Vampire: Die Maskerade


Eine Welt der Dunkelheit
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BeitragVerfasst: Fr 26. Aug 2016, 20:52 
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Abschied

Bin ein Gestirn am Firmament,
das keinen Ort sein eigen nennt.

Doch bringt mein Gehen um die Welt
es mit sich, daß mein Licht nicht hält.

(Friedrich II, ~1220)




Lucien schritt durch die Straßen seiner Stadt. Der tagelange Regen hatte den Boden aufgeweicht, die Straßen schwer passierbar gemacht und zugleich den Schmutz, der sich an den Markttagen angesammelt hatte, fortgespült. Die Ernten dieses Jahres waren überdurchschnittlich reich ausgefallen und so hatten die Bauern des Umlandes einiges in den Mauern Brügges zu verkaufen oder gegen hier produzierte Waren einzutauschen. Der Handel florierte, sehr zum Wohl der Van de Burse, wie er wusste, neue Gebäude wurden errichtet und von den Kunstmäzenen der Stadt reich verzieren lassen, und Blenheim, die Garnisionsfestung, die für die Ausbildung des kleinen Brügger Heeres und der Stadtwache zuständig war, wurde zu seinem Stolz mehr und mehr in Betrieb genommen.

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Lucien schritt über eine große Pfütze hinweg und der Schlamm spritzte unter seinen Stiefeln. Der Mond war noch immer von schweren Regenwolken verhangen und es war fast stockfinster. Bis zum Ende der Nacht würde sich daran wohl auch nichts ändern. Er war auf dem Weg nach Hause, hatte an einer langweiligen Sitzung mit einigen Stadtvorstehenden teilnehmen müssen, die versuchen wollten, die jährlichen Abgaben für die Nachtwache zu reduzieren. Idioten! Wie sollte man eine Stadt wie Brügge verteidigen, wenn man dazu weder Männer noch Waffen oder Rüstungen zur Verfügung hatte? Glücklicherweise war das Gesuch von einigen etwas helleren Köpfen abgewiesen worden.
Während er eine dunkle Gasse durchwanderte, die er nur zu gern als Abkürzung zu seinem in der Nähe liegenden gemütlichen Zuhause verwendete, durchquerte, hörte er plötzlich einige raue Männerstimmen, die ihm nicht bekannt vorkamen. Der Dialekt ließ auf den Süden Flanderns, vielleicht sogar Deutschlands, schließen.

„Wen haben wir denn hier? Zwei Jungen ganz allein in der Nacht?“ Die Stimme klang misstrauisch und boshaft. „Peer? Halt den Größeren fest! Nicht, dass er auf die Idee kommt wegzurennen. Wie alt seid ihr? 15 und 9?“
Die Stimme eines jungen Mannes war zu hören, und als Lucien um die Ecke lugte konnte er eine dunkelhaarige Gestalt ausmachen.

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„Es muss sich um ein Missverständnis handeln, werte Herren. Wir sind auf dem Weg nach Hause. Würdet ihr uns bitte passieren lassen?“ Lucien hörte sofort die angespannte Ruhe, zu der sich der Sprecher zwang.
„Hör mal zu, Bursche. Der Knabe hier, und du wohl auch, gehören um diese Uhrzeit ins Bett und alles andere ist verdächtig! Kennst du dieses Kreuz hier? Wir sind im Auftrag des Bischofs Martin hier um alles, was sich nicht mit rechten Dingen abspielt, zu untersuchen. Betreibst du Hexerei?“
Der Aufruf des Angesprochenen klang entsetzt. „Bei allen guten Geistern, nein. Wir wollen nur nach Hause. Wir wohnen nur einige Straßen entfernt von hier.“
Die Stimme des Inquisitionsbeamten folgte prompt. „Hast du das gehört, Peer? Er redet mit Geistern.“
Lucien konnte plötzlich einen Jungen vernehmen, der sich lautstark einmischte. „Lasst ihn los! Er redet nicht mit Geistern oder irgendjemand. Und hat auch nichts mit Hexerei zu tun!“ Er erkannte die Stimme sofort. Hendrik
Er ließ sich zurück an die Hausmauer fallen, um welche er vor kurzem noch gespäht hatte um das Gespräch der beiden Inquisitionsgesandten zu belauschen. Es war beinahe Schicksal, das die unliebsamen Besucher geradewegs Hendrik und Konstantin als Opfer ihrer selbstgerechten Litanei auserkoren hatten. Der kleine Junge war stets bis spät in die Nacht unterwegs und ließ sich zuweilen auch nicht von versperrten Türen oder direkten Anordnungen von Jean oder Marlene davon abhalten. Konstantin hingegen war besonnener und ruhiger, ein wenig in sich gekehrt und der scharfe Verstand spiegelte sich gerne in den wachen Augen wieder. Lucien wusste nicht viel über den Knaben, außer das Alida ihn von einer Reise nach Konstantinopel mitgebracht hatte. Eine weitere, verlorene Seele ohne Familie oder Anverwandtschaft, die sich um ihn hätte kümmern können. Zwar war er beileibe nicht so häufig auf Konstantin getroffen, um sich ein ernstes Urteil über den Jungen bilden zu können, aber diese Anfeindungen ihm und Hendrik gegenüber dienten nur der Unterhaltung der Kirchendiener. Und das hatten die beiden Jungen auch gerade weil diese christliche Pest, neuerdings mit regelmäßiger Widerwärtigkeit von Bischof Martin geschickt wurde, nicht im Ansatz verdient. Trotzdem blieb die Situation gefährlich, denn die Männer der Kirche, hatten großes Gewicht in der Stadt. Der geradezu fanatische Glauben dieser religiösen Eiferer, wurde nur noch übertroffen von ihrer Heuchelei, die schlussendlich dazu führte, dass jemand tatsächlich schwerwiegende Probleme bekommen konnte, falls er sich gerade als lohnendes Ziel der Inquisition anbot. Ob die Intention nun Geld war oder die simple Tatsache, jemandem zum reinen Vergnügen Angst machen zu wollen; es lief auf dasselbe hinaus: Man musste die Herren leider mit Samthandschuhen anfassen, wenn man nicht noch größere Schwierigkeiten heraufbeschwören wollte. Er legte ein besonders ungehalten-besorgtes Gesicht auf und schritt zügig um die Ecke; blieb dann abrupt stehen.
„Ach hier bist du.“ Seine Züge hellten sich mit einem Mal sehr auf, als er näher an die Szenerie herantrat. Plötzlich aber seufzte er und hob tadelnd den Finger. „Hendrik, ich habe dir doch gesagt, du sollst nicht einfach davonlaufen nur weil du meinst, einen freilaufenden Hund gesehen zu haben.“ Sein Blick ging zunächst Richtung Konstantin, dem er anerkennend auf die Schulter klopfte. „Hast du ihn gefunden und wolltest ihn nach Hause bringen? Danke Junge, das war sehr redlich von dir.“ Jetzt kam der schwierige Teil der ganzen Farce. Lucien lächelte und machte ein halbwegs glaubwürdiges, bestürztes Gesicht. „Es tut mir außerordentlich leid, die Herrschaften. Der Junge war mit mir unterwegs und hat sich dann unerlaubt davongemacht. Ich werde in Zukunft besser auf ihn achtgeben. Sie wissen ja wie Jungen in diesem Alter sind; kaum zur Tür hinaus, meinen sie schon die ganze Welt gehöre ihnen.“ Er lachte leicht und versuchte sich an einem passablen Lächeln. Für alle die den Hauptmann näher kannten, war klar das ihm diese duckmäuserische Erniedrigung ein Gräuel war.
„Und ihr seid?“ Der Diener der Inquisition, der ihm gegenüberstand hatte annähernd Luciens hohen wuchs und funkelte ihn aus dunklen Augen herausfordernd an.

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„Ebenfalls ein nächtlicher Herumtreiber?
Sein blonder, reich gekleideter Begleiter ließ Konstantin los, der sich sofort die schmerzenden Handgelenke hielt und stieß ihn an. „Kai? Das ist doch…“
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Der andere gab ihm mit einer raschen Handbewegung ein Zeichen zu schweigen. „Der Herumtreiber wird es wohl noch schaffen selbst zu antworten, nicht wahr? Zumindest wenn er ein ehrbarer, gottesfürchtiger Mann ist.“ Er reckte das Kinn. (bitte int+etikette wurf gg 6)

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Der Weg zum Ziel beginnt an dem Tag, an dem du die hundertprozentige Verantwortung für dein Tun übernimms.
Dante Alighieri


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Verfasst: Fr 26. Aug 2016, 20:52 


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BeitragVerfasst: Di 30. Aug 2016, 14:20 
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Lucien ließ sich von der harschen Handbewegung nicht beirren, sondern versuchte nach wie vor ruhig zu bleiben, was er ohne jeden Zweifel mehr als hasste. Gewiss wäre es ein leichtes gewesen, eine kleine Keilerei oder ein hartes Wortgefecht auszutragen aber in diesem speziellen Fall waren ihm die Hände gebunden. Ganz abgesehen davon, dass es wohl nicht bei einer gepflegten Schlägerei geblieben wäre, sondern auch zu bösen Wunden und Verletzungen geführt hätte die… ganz andere Dinge hervorgeholt hätten. Dinge die er jetzt nicht unbedingt vor den beiden Jungen und schon gar nicht vor den hochwohlgesandten Inquisitionsbeamten in Amt und Würden zeigen durfte. Er lächelte, wie eine dümmlich grinsende Stoffpuppe. Der liebreizende Bischof aus Brüssel, fing gerade wieder an äußerst lästig zu werden. „Verzeiht das ich mich noch nicht vorgestellt habe. Mein Name ist Lucien Sabatier und meines Zeichens Hauptmann der Nachtwache von Brügge. Und bevor ihr fragt: Es liegt mir fern mich des nächstens herumzutreiben aber wenn die Pflicht ruft, dann muss ich ihr folgen. Dies gehört wohl zu meinen Aufgaben und ich erfülle diesen Dienst schon seit vielen Jahren.“ Bevor der zweite, etwas herrische Mann noch weiter die Aufmerksamkeit in Richtung von Hendrik und Konstantin lenkte, versuchte der Hauptmann beschwichtigend dazwischen zu gehen.

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„Seid ebenso versichert guter Mann, dass die beiden Jungen ganz besonders ehrbare und gottgefällige junge Männer sind. Der jüngere ist ein kleiner Weltenerkunder und Ziehsohn meines Neffen Jean Sabatier, der als Hauptmann der Tagwache tätig ist. Der andere ist ein Teil der Verwandtschaft der van de Burse hier in der Stadt. Ich war gerade dabei die Wachmannschaften aufzusuchen und den Jungen zu Bett zu bringen, da hat er wohl Interessanteres bemerkt und ist mir davongelaufen.“ Mit einem kleinen, energischen Blick Richtung der Jungen der etwas Nachdrückliches in sich trug, fixierte er erst den einen, dann den anderen. „Konstantin hier war für die Geschäfte seiner Familie unterwegs und das ist in seinem Alter und für einen heranzubildenden Händler nichts Ungewöhnliches um diese Zeit. Scheinbar hatte ich Glück, das dieser tugendhafte junge Mann Hendrik noch gefunden hat. So war es doch Jungs oder?“

(Prophylaktisch: Man. + Ausfl. gg 6 = 4 Erf ?)

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Through action, a Man becomes a Hero.
Through death, a Hero becomes a Legend.
Through time, a Legend becomes a Myth.
By learning from Myth, a Man takes action.
~Corazon~


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BeitragVerfasst: Di 30. Aug 2016, 20:42 
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Die Männer blickten irritiert zu den beiden Jungen, die fleißig nickten, doch schwenkte das Gesicht des dunkelhaarigen Mannes sofort wieder zu Lucien und verfinsterte sich. Der Hauptmann der Wache konnte anhand der Kleidung und des Gehabes der Männer erkennen, dass es sich bei den beiden um niedere Adelige handeln musste. Oder zumindest die Letztgeborenen eines höheren Adelsgeschlechts.
„Nun gut, Meister Sabatier. Passt in Zukunft besser auf eure Brut auf. Und sorgt dafür, dass rechtschaffene Bürger beizeiten im Bett liegen. Gott schuf die Nacht zum Ruhen.“ Er sah Hendrik finster an. „Und wenn ich dich noch mal allein durch die Nacht spazieren sehe, dann zieh ich dir das Fell über die Ohren.“
Der Junge streckte bereits die Schultern nach hinten und reckte das Kinn nach vorne um etwas zu erwidern, doch ein kurzer Blick aus den dunkelbraunen Augen des älteren ließ ihn inne halten. Er biss sich auf die Lippen, senkte den Kopf und murmelte „Verzeiht, die Herren.“
„So ist’s recht.“ Der Blonde sah zu seinem Kumpan. „Es wird Zeit, dass der Bischof erfährt, dass hier gar so manches im Argen liegt. Kinder zu so später Stunde… Komm, wir haben noch einiges zu erledigen.“
Es tat ihm fast schon weh so penibel und scheinheilig grinsen zu müssen; manch einer hätte behauptet, er wäre gerade dabei gewesen sich die Zähne abzubeißen, so fest presste er Unter- und Oberkiefer aufeinander. „Ich werde ganz besonders auf den Jungen achten, die Herren; auch euch noch eine angenehme Nacht.“ Sie hatten zwar nicht gegrüßt aber diese Floskel war wohl der artige und notwendige Abschluss dieser fantastischen Unterhaltung. Kaum dass die Inquisitoren außer Hörreichweite waren, spuckte Lucien verächtlich neben sich auf den Boden. „Nun schau sich doch mal einer diese beiden fetten Landplagen an. Der dicke Gürtel mit Goldbeschlag rutscht ja schon fast die Hose runter vor lauter Prunk. Kleine dumme Landadelige, die ihren Frust bei Festgelagen der Reichen und Schönen, nicht als erster zur Hammelkeule greifen zu dürfen, jetzt unter dem Deckmantel geheuchelter Frömmigkeit an Kindern auslassen. Kirche und Adel, die haben es mir ja schon von jeher angetan…“ Er schüttelte den Kopf und seufzte. Was nicht zu ändern war, das war nicht zu ändern und auch wenn es ihn dringlich danach verlangte ein paar Bäuche aufzuschlitzen, würde er sich hüten in diesem Falle zu unüberlegt vorzugehen. Fürs erste musste er den Großmäulern ihren Sieg lassen.
Mit einem unschlüssigen Blick wandte er sich an die beiden Jungen. „Und ihr? Ich weiß, dass du Konstantin, einfach sicher nur zur falschen Zeit am falschen Ort warst. Ob deines Alters können sie dir auch nicht wirklich etwas anlasten und deine Verbindung zu den van de Burse schützt dich… fürs erste. Aber du bist schon hell genug um zu erkennen, dass wir die Pfaffen und deren Diener nicht allzu sehr kitzeln dürfen und mag es mir noch so stinken.“ Sein Blick glitt zu Hendrik. „Du allerdings, Junge, bist ein ganz eigener Fall, in mehrfacher Hinsicht. Für mich mag es nicht ungewöhnlich sein die Nacht zu durchstreifen, aber in deinem Alter gehören Kinder einfach ins Bett. Das hat nichts damit zu ob du müde bist oder nicht, sondern damit, dass diese beiden Kerle da wirklich Ärger für dich bedeuten können. Ärger, den du auch mit wirklich mächtiger Hilfe nur schwer wieder loswirst.“ Er lächelte grimmig. „Aber sollte einer dieser Herren dich auch nur ein wenig grob anfassen, sag mir Bescheid.“ Seufzend atmete er die Nachtluft ein. „Ich gehe jetzt erst mal zu mir nach Hause, was gleichbedeutend ist mit: Hendrik, du kommst ebenfalls mit. Konstantin, du auch, sie werden dich wohl für den Augenblick in Ruhe lassen, aber der Vorsicht halber bringe ich dich im Anschluss zurück zu Alida. Was habt ihr eigentlich hier draußen wirklich angestellt? Und seid so gut und erzählt mir keine Märchen.“ Langsam setzte er sich in Bewegung.
Hendrik zögerte keinen Augenblick und schritt neben dem hochgewachsenen Hauptmann her. „Danke, Lucien. Diese Männer sind unmöglich. Denken, sie wussten alles. Dabei wissen sie nur das, was sie wissen wollen.“ Er vergrub die Hände in den Hosentaschen und sah vor sich auf das holprige Kopfsteinpflaster. Diesmal war es an Konstantin einen Moment zu zögern und dann aufzuschließen. Immerhin kannte er Lucien Sabatier nur vom Hören Sagen. Der achtjährige Junge biss sich auf die Lippen, schien einen Moment zu überlegen, was er sagen sollte, dann blickte er Lucien von unten an. Seine Stimme war leise. „Es gibt nicht weit von hier, beim Hafen, eine… Gaststube… Dort spielen sie abends oft wunderbare Musik. Ich war oftmals mit einem Freund da. Und mit Alida. Sie hat mir erlaubt, dass ich da hingehen darf, wenn ich vorher Bescheid sage. Ich wollte mit meinem Freund dorthin gehen, aber der hatte leider keine Zeit. Also hab ich Konstantin gefragt.“
Lucien konnte an der Art wie Konstantin die Lippen aufeinanderpresste sehen, dass ihm wohl eine Antwort auf den Zunge lag die er lieber hinunterschluckte.
Der Gangrel warf im Gehen einen Blick zu dem kleinen Jungen und musste unvermittelt schmunzeln. Er war noch so klein aber schritt schon neben ihm als gäbe es rein gar nichts was ihn aufhalten könnte; als wäre es das Selbstverständlichste, was er sich nur hätte einfallen lassen können. Nun, das musste zum einen daran liegen, dass der Hauptmann nach wie vor wie Hendriks Ziehvater Jean aussah und dass nicht nur ein klein wenig. Zum anderen lag es aber vermutlich auch einfach daran, dass der Knabe eine recht ungesunde Neugier und fast schon bemerkenswerte Auffassungsgabe besaß, was die Welt hinter dem Vorhang betraf. Ob das mit dem verfluchten Blut kam? Er wusste es nicht. Alles was er wusste war, dass der kleine Bengel es faustdick hinter den Ohren hatte, aber ein aufgeweckter, liebenswerter Bursche sein sollte. Jean und Marlene beschrieben ihn so und wem sollte er da mehr vertrauen? Er selbst scheute sich ja ein wenig davor, sich allzu viel mit ihm abzugeben; womöglich war das genau der falsche Weg. Vielleicht musste er vorbereitet werden auf das, was ihn dereinst erwarten mochte, damit er damit umzugehen lernte. Während er so seinen ganz eigenen Gedanken nachging und den trotzigen Jungen beobachtete, warf er gelegentlich einen Blick zu Konstantin, der nur zögerlich aufschloss. „Ich glaube, Hendrik, du hast die Sachlage voll und ganz erfasst. Es ist sehr wichtig, dass du dich immer selbst von der Wahrheit überzeugst. Es wird sehr viele Leute geben, die dir alles Mögliche einreden wollen, aber versuche dir immer selbst eine Meinung zu bilden. Reden können sie alle viel, vom Bischof bis zum Grafen.“ Der Hauptmann lachte kurz einmal auf und schüttelte belustigt den Kopf. Nein, lachen hatte man ihn auf diese Weise nicht wirklich oft gehört. Ein echtes, nicht zynisches oder bitteres Lachen. Hatte er das eigentlich jemals getan seitdem er hier war? „Du gehst also in ein Gasthaus und hörst den Zechern beim Spielen und singen ihrer Lieder zu? Hörst dir das alte Seemannsgarn an und die Abenteuergeschichten der Droschkenkutscher? Und Alida erlaubt dir das, wenn du in Begleitung bist? Das ist ja mal allerhand. Ich war früher oft gezwungenermaßen bis in die frühen Morgenstunden in der Schankstube; später dann… freiwillig.“ Lucien grinste. „Wenn sie dich dort hingehen lässt, dann vertraut sie dir und deinem Freund wohl, dass ihr wisst, wann es auch genug ist oder man sich besser aus dem Staub macht, nehme ich an?“ Eine scheinbar rhetorische Frage; es war offensichtlich, ansonsten hätte er schon von größeren Standpauken bei Jean oder Marlene gehört. Schlussendlich hätte Hendrik auch einfach jemand erkannt. Also irgendwas musste wohl wahr sein an seiner Behauptung und doch, an der Art wie Konstantin den Mund zusammenkniff. „Hm, als dein Freund, der hatte keine Zeit. Stimmt das denn auch, Konstantin?“ Er sah zu dem Jungen. „Nur nicht so zögerlich, wir kennen uns zwar nicht, aber ich sage dir im Vertrauen, dass Alida van de Burse und mich mehr verbindet, als es den Anschein macht. Ich denke, sie hat dich darüber sicher schon informiert. Möchtest du irgendetwas zu eurem Ausflug… ergänzen?“, fragte er leicht schmunzelnd.
Konstantin sah zu Hendrik und schien ein Seufzen und ein Rollen der Augen zu unterdrücken. „Nein. Hendriks Worte sind wahr. Sein Freund hatte keine Zeit.“
Hendrik nickte eifrig. „Die Musik war wirklich ausgezeichnet. Und ja, ein Geschichtenerzähler war auch da. Allerdings hat er mit unglaublich nordischem Dialekt erzählt und da ist das mit dem Verstehen wirklich nicht so einfach. Vielleicht Dänisch oder Norwegisch.“ Hendrik schien zu bemerken, dass er zu viel erzählte und schwieg wieder. Er sah zu Konstantin und dann zu Lucien. „Diese beiden Männer? Wer sind die wirklich? Und was wollen sie?“ Die Frage war nicht in zornigen Ton hervorgebracht. Lucien hörte reine nachdenkliche Neugier darin.

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Er hätte es vielleicht dabei bewenden lassen können und im Grunde tat er das auch, jedoch kam er nicht umhin noch einmal genauer nachfragen zu müssen als der Junge einen nordischen Akzent erwähnte. Für den Hauptmann war es gerade zu offensichtlich, dass der liebe Freund gar nicht verhindert gewesen war aber irgendwann im Laufe der Nacht, würde ihm Konstantin schon noch darüber berichten. „Schade, aber es hat ja auch nicht jeder immer Zeit, hm?“ Sein Schmunzeln wurde von einem sachten Nicken in Richtung des Älteren begleitet. Ein stillschweigendes Versprechen, dass diese Fragen zukünftig eher in seine Richtung gehen würden, zu einem anderen Zeitpunkt. „Jetzt musst du mir aber noch verraten, wie er heißt, dein guter Freund mit dem du so gerne in die Schenke gehst?“ Lucien überlegte kurz, wog dann ab und gab der Frage Hendriks, die wohl ernst gestellt war aber doch von einer ganz anderen Situation handelte, vorläufig den Vorzug. „Was sie wirklich sind? Nun, das, was sie sein sollten, sind Männer der Kirche, sozusagen Soldaten in kirchlichem Auftrag, die überall in der Stadt nach verbotenen Machwerk, Hexenkunst, Teufelserscheinungen und irgendwelchen Dämonen und Geistern Ausschau halten. Nebenbei genießen sie diese Macht um alle möglichen Leute zu schikanieren und unliebsame Nebenbuhler mit wüsten Anklagen vor Gericht zu bringen. Was sie aber in Wahrheit sind, aber das ist ihnen vermutlich nicht einmal selbst klar, ist ein Spionagetrupp. Es sind Spione für den Bischof in Brüssel. Du hast sicher schon von ihm gehört nicht wahr?“

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BeitragVerfasst: Mi 31. Aug 2016, 20:35 
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Hendrik nickte und er presste fast wütend die Lippen aufeinander. „Ja, ich habe von Bischof Martin gehört. Ich weiß, dass er Marlene und Jean und Alida und Frederik in ein dunkles Gefängnis gesperrt hat.“ Sein Tonfall wurde noch leiser. „Und dass sie Glück gehabt haben, dass sie überhaupt wieder raus gekommen sind. Marlene hat mir mal erzählt, dass der Bischof Alida und Jean nicht leiden kann...und Marlene und Frederik nur im Gefängnis waren um zu zeigen wie mächtig er ist. Sie hat gesagt, dass wir sehr vorsichtig sein müssen.“ Sein fragender Blick wanderte zu Lucien um dann wieder den Kopf zu senken. „Es tut mir leid, Lucien. Ich wusste nicht, dass die Männer zum Bischof gehören. Ich verspreche, dass ich vorsichtiger sein werde.“
Ein Räuspern unterbrach die Stille. Konstantin deutete zu einer der größeren, hell erleuchteten Gassen. „Das Anwesen der van de Burse ist von dort nur noch wenige Minuten entfernt. Wenn ihr erlaubt, Meister Sabatier, werde ich mich für heute Nacht verabschieden. Ich bin mir sicher, wir werden erneut aufeinandertreffen.“ Er verbeugte sich leicht, sah dann zu Hendrik. „Mach’s gut, Kleiner. Ich hoff, du hattest einen schönen Abend. Wär doch doof, wenn nicht. Nach all dem Stress.“ Er grinste. Hendrik versuchte ihn in die Seite zu knuffen, aber der Ältere wich mühelos aus als hätte er schon auf den gespielten Angriff gewartet.
Lucien schüttelte knapp den Kopf und wirkte nicht mehr allzu sehr verstimmt. Wahrscheinlich war er eher wütend auf sich selbst, den Bischof und die ganze unerträgliche Situation, die ihnen der damals so undankbare Knabe eingebrockt hatte. „Das macht nichts, Junge. Im Grunde ist es nicht deine Schuld. Zwar ist es für Kinder in deinem Alter wahrlich zu spät für nächtliche Ausflüge aber andererseits bist du ja auch kein normales Kind. Es ist nur wichtig, dass die glauben du wärst es, verstehst du? Außerdem siehst du ja wieviel Spaß es ihnen macht die Leute zu tyrannisieren. Ich kann dich nicht davon abhalten durch die Stadt zu toben, aber halte dich in deinem eigenen Interesse an dein Versprechen. Wenn du diese Leute siehst, musst du schnell sein wie ein Wiesel, geschickt wie eine Katze und listig wie ein Fuchs.“ Das Räuspern ließ den Hauptmann kurz innehalten und sich nach dem zweiten Jungen umdrehen, der gerade im Begriff war eine andere Abzweigung einzuschlagen. „Sicher, Konstantin. Dann eine ruhige Nacht und halt auch du dich möglichst fern von den Inquisitoren. Alida hat Geld, mächtige Freunde und eine ganze Herde voll Kontakten und Günstlingen, aber das haben die auch. Und der Titel Meister ist nicht wirklich erforderlich, ich habe nicht mal eine richtige Ausbildung.“ Er sah sich etwas schmunzelnd die kleine Reiberei der beiden an; nickte dem Älteren dann noch einmal bestimmt zu und schritt dann mit Hendrik weiter in Richtung seines Stadthauses. Irgendetwas an der Ausflugsgeschichte stimmte ihn noch immer misstrauisch aber es würde kein so weltbewegendes Geheimnis sein, als das er es unverzüglich würde erfahren müssen. „Mhh…. Du hast mir noch nicht von diesem Freund erzählt, mit dem du sonst immer in die Schenke gehst? Er wird vermutlich älter sein als du?“ Keine Frage schickte Alida Hendrik nicht allein mit Konstantin in eine schmierige Hafenkneipe. Es würde zweifellos ein Erwachsener sein.

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Erneut presste der Junge mühsam die Lippen aufeinander und wich Luciens Blick aus. „Ich…“ Er zögerte sichtlich. „Ich weiß nicht ob mein Freund will, dass ich seinen Namen nenne.“ Er sah den Hauptmann hoffnungsvoll an. „Er ist ein guter Freund. Ihr braucht euch keine Gedanken zu machen. Ganz bestimmt nicht.“ Seine Hand wanderte zu einem Anhänger, den er um den Hals trug und griff danach wie die Gläubigen nach ihren Kreuzen. Hendrik erblickte Luciens Haus am Ende der schmalen Gasse und sah fast erleichtert aus. „Schau mal. Wir sind fast da.“
Der Gangrel legte ihm die Hand auf die Schultern und klopfte einige Male behutsam darauf. „Du hast Geheimnisse, die du sorgsam bewahrst, Namen die du schützen willst und Versprechen, die du nicht zu brechen gedenkst. Das ist ehrenhaft von dir, Hendrik. Ich werde dich nicht weiter mit Fragen zu deinem heutigen Ausflug oder dem mysteriösen Freund löchern. Du tust, was du für richtig erachtest; sieh nur zu, dass du dich nicht in wirkliche Schwierigkeiten bringst.“ Den Bick anhebend, sah er bereits die Türschwelle zu seinem bescheidenen Haus in Brügge. Über die Jahrzehnte hatte man immer wieder ausgebessert, neu gestrichen, getüncht und gemauert, sodass es stets halbwegs ordentlich aussah. Kein Vergleich zu seinen Anfängen in der Stadt. Vor der soliden Holztür, die er mittlerweile durch eine eigene ersetzt hatte, die Jagdmotive zeigte, blieb er stehen und suchte in seinem Wams nach dem eisernen Bartschlüssel.

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„Eigentlich müsste ich dich gleich nach Hause schicken; Jean wird sich wie immer ganz besonders freuen dich Ausreißer mal wieder nach Mitternacht einzusammeln, aber da du jetzt schon einmal hier bist… kannst du auch gerne noch einen Augenblick mit hineinkommen, wenn du magst?“ Der Schlüssel wurde ins Schloss gesteckt und entriegelte schabend den Mechanismus.
Hendrik sah ihn erfreut an. Offensichtlich hatte Lucien ihm mit den schlichten Sätzen eine ungemeine Freude gemacht, die er nicht erwartet hatte. „Das wäre toll. Ich kann Feuer machen und Fenris füttern, wenn du magst.“ Fügte er eifrig hinzu.
Der Hauptmann nickte und schob die Tür auf, ließ den Jungen eintreten. Und obgleich es in der Stube um diese Zeit stockfinster war, verschloss er sie nur einen Augenblick darauf wieder. „Hab keine Furcht, Hendrik, aber um ehrlich zu sein… ich glaube, es gibt wenig vor dem du dich fürchtest. Die Dunkelheit scheint dir vertraut. Ich werde ein Licht entzünden.“ Man hörte die schweren, knarzenden Schritte der beschlagenen Stiefel über den Dielen, als der gerüstete Hauptmann mit rot glimmenden Augen durch die Finsternis schritt, um in der Nähe des Kamins eine Kerze mithilfe eines Zunderkästchens zu entfachen. Mitsamt Kerze, die den Raum nun in dämmriges Licht tauchte, kehrt er zu Hendrik zurück; ging vor ihm auf die Knie und hielt ihm die Kerze hin. „Machen wir erstmal ein wenig Licht. Auf dem Tisch steht noch ein großer Kerzenständer und auf der Kommode dort im Flur auch. Entzünde du die erstmal, ich entfache den Rest. Wenn du magst, kannst du dann Holz hinten im Hof holen gehen und Ajax einen Apfel zustecken.“ Das leichte Jaulen im Hintergrund ließ Lucien kurz auflachen. „Oh ja… und Fenris freut sich sicher auch über deinen Besuch.“
Der Junge sah Luciens glühende Augen fasziniert und mit kurzzeitig offenem Mund an, den er, sobald ihm die Kerze gereicht wurde, wieder schloss. „Wow. Das mit den Augen ist toll. Kannst du mir das auch beibringen? Das wäre phantastisch. Mit denen sieht man bestimmt unglaublich gut in der Nacht.“
Lucien war indessen weiter durch den Raum gewandert und hatte nach der Reihe alle Sorten von Kerzen, die gut verteilt in der Dunkelheit lagen, entzündet. Seine neueste Errungenschaft, war ein schmiedeeiserner Kronleuchter; nicht groß in seinen Ausmaßen, aber er hatte kleine Abtropfbehälter für die dicken, wenig rußenden Kerzen und einen bauchigen Glasumschluss. Es waren eigentlich nur abgeschliffene Flaschenbäuche dieser besonders voluminösen, italienischen Weinflaschen. Er hatte sie vor einiger Zeit bei Alida mitgenommen. Nicht lange und es wurde auch schon um einiges heller und freundlicher im Raum, während das Glimmen in seinen Augen erlosch. Mit einem leicht nachdenklichen Gesichtsausdruck legte er den Waffengürtel auf den Tisch, kurz gefolgt von den Handschuhen. „Ja, es ist durchaus nützlich, auch wenn der aufmerksame Beobachter das Glimmen recht gut erkennen kann. Die meisten glauben dann bereits aber, dass der Leibhaftige hinter ihnen her ist… deshalb würde ich dich bitten es für dich zu behalten. Sagen wir es ist jetzt unser Geheimnis.“ Er lächelte schief.
Hendrik nickte und streckte ihm die Finger zum Schwur hin. „Ich schwör’s. ich werde keinen Ton zu niemandem sagen.“
„Und ob ich dir das mit den Augen beibringen kann? Schwer zu sagen, aber ich würde es nicht grundsätzlich ausschließen. Allerdings, wird das noch warten müssen bis du älter bist, fürchte ich.“ Zwischen seinen Lippen erklang ein Pfiff. „Fenris, na komm her und begrüß Hendrik. Ihr habt euch ja beide schon eine halbe Ewigkeit nicht mehr gesehen. Ich werde einstweilen sehen, was ich dir zu Essen auftreiben kann, falls du Hunger hast.“ Erneut grinste er. „Du kennst dich hier ja perfekt aus, ich muss dir nicht zeigen, wo was ist.“
Hendrik nickte schuldbewusst. „Ich nehm‘ mir einen Apfel, wenn ich darf?“
Ein kurzes Jaulen war zu hören. Offensichtlich hatte man den Wolf unabsichtlich in der Küche eingesperrt in dem man einfach die Tür verschlossen hatte. Lucien hörte ein Schaben und ein leises Poltern, dann öffnete sich die Pforte zur Küche wie von Geisterhand und Fenris stob hindurch. Irgendwie musste er die Tür aufbekommen haben.

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Der mittlerweile ausgewachsene Wolf rannte auf Lucien zu und sprang freudig an ihm hoch. Schwanzwedelnd wollte er sich auch auf Hendrik stürzen, doch der Junge trat einen Schritt zurück. „Nein!“ Der Befehl schien zu wirken und das Tier blieb mit allen Vieren auf der Erde und ließ sich streicheln um dann wieder zu Lucien zu trotten und an seiner Seite zu verweilen.
Hendrik umfasste die Kerze fester. „Ich schau nach Ajax und dann mach ich Feuer.“ Er überlegte kurz. „Du bist so wie Alida und Frederik und…“ Er sprach einen Moment nicht weiter und fügte dann „… du magst es nicht so gern Feuer zu machen, oder? Da kann ich das ja erledigen…“
Nun Fenris war ein Wildtier, auch wenn mancher gerne von einem domestizierten Hund sprach. Und wenn ein Wolf etwas wirklich dringend wollte, dann konnte ihn augenscheinlich nicht einmal eine verschlossene Küchentür aufhalten. Es war geradezu bemerkenswert gewesen, wie schnell der Welpe gewachsen war und nun lag in jedem noch so freudigen Sprung eine stattliche Kraft; ganz anders als er ihn noch dazumal mit der Flasche und Milch vor dem Kamin gesäugt hatte. Vielen war der ‚Hund‘ ein leichtes Ärgernis, war doch allein an der Fellfärbung und den scharfen Augen für jeden in der Stadt ersichtlich, dass dies im Grunde kein Arbeitstier war, sondern in den Wald gehörte. Vielleicht sogar noch ehestmöglich erlegt, bevor es anfing Schafe zu reißen. Aber man verzieh dem Hauptmann diese leichte Exzentrik, hatte er doch schon zuvor einen Hang für große, hässliche Hunde gehabt. Die meisten waren davon überzeugt, er übe sich an der Kreuzung einer neuen Hunderasse für den Wachdienst und würde sich des Wolfs bald entledigen. Fenris selbst bekam ausreichend zu fressen und wurde auf viele Wachgänge mitgenommen. Mindestens viermal pro Woche, machte er einen sehr langen Ausgang in den Wald mit ihm, damit auch der Kontakt zu seiner wahren Natur nicht verloren ging. Dabei machte es dem Gangrel ganz besondere Freude ebenfalls als Wolf umher zu streifen; dann war es fast als wäre Fenris eine Art ‚Ziehsohn‘. Lächeln tätschelte er den braunen Rüden und redete ihm gut zu, während sein Blick Hendrik streifte. War es nicht merkwürdig? So wie Jean einst sein Ziehsohn gewesen war, war nun bei allen Unterschieden ein wildes Tier zu etwas Ähnlichem geworden. Und Hendrik? Nun, bisher hatte er ihn immer gemieden und nicht besonders erfreut über ihn gesprochen. Aber was immer er auch war oder werden würde, er konnte erstens nichts dafür und zweitens war es gefährlich ihn unwissend auf diese Welt loszulassen. Und es sah nicht gerade danach aus, als würde sich irgendjemand diesbezüglich um ihn kümmern. Das könnte sich als schwerer Fehler entpuppen. Macht bedeutet Verantwortung, Macht korrumpiert. Wenn Hendrik feststellen sollte, dass er ein bedeutend langes Leben vor sich hatte und einige wirklich übernatürliche Begabungen, was würde er damit anstellen? Respektvoll nickend, hörte er den Befehl des Jungen und sah wie sich Fenris zurück an seine Seite begab. Ihm den Kopf kraulend, machte Lucien eine einladende Geste. „Du scheinst ein Talent für Tiere zu besitzen, das ist gut“, stellte er fest. „Vielleicht wirst du eines Tages Zureiter oder Falkner?“ Der Hauptmann ließ sich auf einen schweren Holzsessel nahe des Kamins niedersinken und zog die schweren Stiefel aus. Hin und her kratzte und kraulte er Fenris. Das Tier schien ihn beinahe wortlos zu verstehen. „Ja, Alida, Frederik und ebenso ich, haben eine leichte Abneigung gegen Feuer. Jeder kann sich böse verbrennen, wenn er nicht achtgibt, aber uns schmerzt es besonders, deshalb sind wir ganz besonders vorsichtig.“ Er hob lässig die Hand. „Nur zu, füttere Ajax und leg ein paar Scheite auf. Wir haben sicher auch noch eine anständige Wurst, etwas Käse und ein wenig Zwiebel im Haus. Bediene dich so wie du Hunger hast, wegen mir musst du dich nicht zurückhalten. Wenn ich könnte, würde ich für zehn essen.“ Er grinste.
Hendrik lachte. „Für zehn essen wäre, glaub ich, nicht gut. Dann platzt man.“ Er ging zu einem der Schränke und griff nach Käse, Wurst und Brot und stellte alles, gemeinsam mit zwei Holzbrettern und einem scharfen Messer auf den Tisch. Er suchte nach zwei Krügen und füllte Wasser aus einem Eimer hinein. „Weißt du, …ich würde später gern mal in der Welt rumreisen. Ich hab zu meinem Geburtstag eine Karte bekommen auf der ein großer Teil der Welt eingezeichnet ist. Die Welt ist riesig… Wusstest du das?“ Ein fasziniertes Strahlen legte sich auf seine Züge. „Brügge, die italienischen Lande, Brittanien… das ist alles winzig im Vergleich zu dem, was es noch gibt. Wir sind winzig. Nicht mal Sandkörner auf dieser Karte. Ich weiß, dass es Menschen gibt, die anders aussehen als wir: Männer mit Haut von der Farbe von Leder und solche, die so dunkel sind wie die Nacht. Es soll gestreifte Katzen geben, groß wie Kälber und Länder, die mehr Schriftzeichen haben als Bäume Blätter. Kannst du dir das vorstellen?“ Er sah Lucien fragend an. „Ich würde das gerne alles sehen.“

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BeitragVerfasst: Do 1. Sep 2016, 20:43 
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Lucien schälte sich nacheinander die Socken von den Füßen. Von Vorteil war, dass er nicht mehr schwitzte. Was hatte das früher alles für wunderbare Duftnoten angenommen, wenn sie wieder einmal tagelang durch morastigen Wald gewatet waren und oft wochenlang mit den Schuhen an den Füßen in einer muffigen Höhle schlafen mussten. Wer immer auch von einem Leben als freier Gesetzloser schwärmte, so fantastisch war es dann doch wieder nicht gewesen. Aber wenigstens musste er damals keine Berge von Papierkram erledigen. Prüfend betrachtete er die Stiefel. Könnten auch mal wieder neu besohlt werden, befand er. „Ja, die Welt ist schon ein großer Fleck und du hast vollkommen recht: Wir sind nur ein winziger Teil davon. Ich selbst war noch nicht überall; lediglich bis an die Grenzen des Ostens bin ich gekommen.“ Er hob eine dicke Bürste mit rauen Borsten aus einem Eimer empor und begann routiniert seine Stiefel damit zu schrubben und lächelte dem Jungen zu. „Und all diese Wunder gibt es tatsächlich, obwohl ich sie selbst noch nicht gesehen habe. Vielleicht sehe ich es mir eines nachts mal an, wenn mir das alles hier zu langweilig wird. Du selbst hast aber auch gar keine so schlechten Chancen, das eine oder andere mit eigenen Augen zu sehen Hendrik. Einem van de Burse steht die Welt offen, solange er der Familie keine Schande bereitet. Zum Reisen braucht man Zeit und Geld; beides dürfte dir in Zukunft nicht fehlen.“
Der Junge schien sich zu freuen als er mit einem Lächeln die Sachen auf dem Tisch abstellte. „Vielleicht kann ich irgendwann eines der Schiffe haben und kreuz und quer durch die Welt segeln. Ich könnt alles sehen, herausfinden, wie die Welt wirklich ist, wie die Menschen sind, und tolle Sachen von überallher mitbringen. Alida würd sich sicher freuen.“ Er blickte zu dem Hauptmann auf. „Ich geh schnell mal in den Stall und kümmer mich ein wenig um Ajax und dann mach ich Feuer. Fenris? Kommst du mit?“
Der Wolf erhob sich rasch und sah Lucien prüfend an als würde er um Erlaubnis fragen. Als keine Einwände folgten trottete er in raschem Tempo hinter dem Jungen her Richtung Stall.
„Mach das.“ Der Hauptmann lächelte dem Jungen noch hinterher. Es hatte beinahe etwas Nostalgisches. Wie viele Leben waren bereits an ihm vorbeigezogen? Wie viele Menschen bereits gestorben und beerdigt? Kinder wurden zu Erwachsenen, Erwachsene wurden alt und schlussendlich wurde alles zu Asche und Knochen. Er griff nach dem zweiten Stiefel und schrubbte weiter. Der Gangrel würde alle überleben; selbst Hendrik noch, dem vermutlich ein recht langes Leben beschieden wäre. Seufzend sah er auf seine deformierten Füße und griff mit einer Hand unter die wilden Strähnen seines dunklen Haares, um dort die spitzen Wolfsohren zu ertasten. Das Problem war nicht, ob er sie alle überleben würde, sondern ob sie ihn dabei überleben würden. Unbeirrt polierte er weiter seine Schuhe, holte sich ein schmuddeliges Leinentuch, das er in einen Tiegel Schweineschmalz tunkte und damit anfing seine Schuhe einzureiben. Schlussendlich würde er sie noch aufpolieren. Das Fett half das Leder geschmeidig zu halten und das Innere vor Feuchtigkeit zu bewahren. So hatte man gemäß dem Fall einen guten Schuster erwischt zu haben, lange etwas von dieser teuren Anschaffung.
Es dauerte wohl an die zehn Minuten bis Hendrik, gefolgt von Fenris, der sich sofort wieder zu den Füßen von Lucien niederließ, wieder eintrat. In den Händen hielt er einen Korb mit Holz, den er neben dem Kamin abstellte. Einen kurzen Moment hielt er inne, betrachtete die seltsam verformten Füße und ging dann zum Kamin um die Scheite aufeinander zu schichten, dazwischen dünne Holzspäne zu platzieren und alles mit einer der Kerzen zu entzünden.
Er kam zurück an den Tisch und nahm mit einem kurzen Nicken Platz. Erneut glitt sein Blick zu Luciens Füßen und er blickte betroffen drein. „Was ist passiert? Mit deinen Füßen?“
Mit einem rauen Ledertuch polierte der Gangrel die Stiefel wieder auf Hochglanz und platzierte sie neben den Kamin. Nicht zu nah jedoch, denn das Schmalz musste erst anständig einziehen. Die Wärme würde die restliche Feuchtigkeit im Anschluss verdunsten lassen.
Mit einem leichten Zucken im Gesicht, sah er die Flammen im Kamin nach den dünnen Spänen greifen und sich langsam knackend auf die Scheite ausbreiten. „Danke fürs Füttern. Ajax erinnert sich an jeden, der ihn gut behandelt“, quittierte Lucien die Wiederkehr Hendriks. Daraufhin glitt sein Blick etwas perplex auf seine Füße, die irgendwie an Fenris Pfoten erinnern mochten. „Das ist schwer zu erklären, Hendrik. Um ehrlich zu sein, ich bin mir nicht einmal sicher ob ich es dir erklären kann. Sagen wir ich habe ein kleines Leiden: Wann immer ich… ganz besonders zornig werde, werde ich dafür… bestraft. Manchmal wächst mir Fell wie das von Fenris auf dem Rücken, ein andermal sind es die Füße, die sich verändern. Es ist sehr eigen und kompliziert.“ Er nickte ihm zu. „Aber iss erst mal tüchtig und lass das nur meine Sorge sein. Es schmerzt nicht, auch wenn es manche ängstigen mag. Erzähl aber bitt auch davon niemandem etwas. Das ist so wie mit deinen Löchern in den Armen erinnerst du dich? Solche Sachen erzählen wir den gewöhnlichen Leuten in Brügge nicht.“
Hendrik verzog das Gesicht. Ganz offensichtlich hatte Lucien ein Thema angeschnitten, an das der Junge nicht gern erinnert werden wollte. Nichtsdestotrotz nickte er. „Ich verrate nichts. Geht das wieder weg? Ansonsten könntest du vielleicht zu… Meister Belinkov gehen und fragen, ob er das wieder normal machen kann. Wenn du das denn überhaupt willst…“ Zögernd sah er zu Lucien.
Lucien schüttelte den Kopf. „Das ist nett von dir gemeint, Hendrik, aber ich fürchte in diesem Fall kann auch Meister Belinkov nicht mehr viel tun. Und ob es irgendwann wieder von alleine verschwindet, weiß ich selbst nicht; das wird uns nur die Zeit sagen.“ Er schnitt ein paar Stücke Wurst ab und verfütterte sie an Fenris, der sie gierig verschlang. „Lass es dir schmecken, sonst wird Fenris deinen Anteil auch noch wegfuttern.“
Hendrik sah ihn bei diesem Angebot dankbar an und griff dann zu dem Messer und schnitt zwei Scheiben Brot, Käse und Wurst ab. Er lud den größten Teil auf einen der beiden Teller, den er zu Lucien schob und nahm sich dann selbst. Er biss hinein, kaute langsam als suche er nach dem Geschmack des kross gebackenen Brotes, dann nickte er. Ganz offensichtlich schmeckte es ihm. Er stach mehrmals zögernd auf die Wurst ein bis er das Messer wieder zur Seite legte. „Ich bin auch manchmal wütend. Manchmal…“ Er biss sich auf die Lippen. „Es ist nicht gut wütend zu sein, aber es ist auch nicht gut, wenn man so dafür bestraft wird, denke ich.“
Der Gangrel lächelte und schob den Teller sogleich wieder an ihn zurück. „Iss du nur, ich werde ausreichend in der Wache verköstigt. Einmal in der Nacht kommt ein Wachwechsel mit zwei großen, dampfenden Kesseln Eintopf von der Garnison aus Blenheim. Brot gibt’s dann auch.“ Leicht seufzend ließ er sich, Fenris zu seinen Füßen, in den Sessel sinken und sammelte sich einen Augenblick lang. Manchmal tat es einfach gut lediglich dazusitzen und einfach… nun… nichts zu tun außer einem kleinen Jungen beim Essen zuzusehen. Diesen wiederum schien aber etwas ganz Anderes zu beschäftigen, was sich eindeutig am Herumstochern in der Wurst widerspiegelte. „Hm?“, blinzelte er den Jungen an. „Oh, mach dir da keine Sorgen; dir passiert sowas nicht. Ganz sicher nicht, das weiß ich zweifelsfrei. Und was das wütend sein angeht…“ Er beugte sich leicht vor. „Mir ist schon zu Ohren gekommen, das du hin und wieder ein wenig zornig wirst und dich nur schwer beruhigen lässt. Im übrigen wiederspreche ich da den meisten Erwachsenen; man darf durchaus wütend sein. Sogar richtig stinksauer, sodass man schreien könnte. Aber wenn man nicht lernt damit umzugehen, kommen Leute zu schaden, verstehst du? Leute, die du eigentlich lieb hast, aber im Zorn trotzdem verletzt, weil du in diesem Augenblick blind bist und nur Rot siehst. Wir müssen daran arbeiten Hendrik, damit das nicht passiert, ok?“
Hendrik blickte zu Boden und verharrte in dieser Pose für einige lange Atemzüge. Seine Stimme war leise. „Weißt du, das ist gar nicht so einfach. Ich möchte eigentlich niemanden verletzen. Aber manchmal… bin ich so sauer auf diese ganze Welt, dass ich irgendwie gar nicht anders will… oder kann. Ich möchte demjenigen, der gemein oder einfach nur unendlich dumm ist einfach nur wehtun, damit er ein für alle mal damit aufhört.“ Lucien konnte sehen, dass Hendrik das Thema mehr als schwer fiel. „Mein Freund hat gesagt, dass es gut ist, wenn man weggeht, wenn man wütend ist. Zum Beispiel in die Taverne mit der schönen Musik. Ich denke, er ist sehr schlau und er hat damit ganz sicher Recht.“
Lucien sah ihn lange nachdenklich an und nickte dann langsam und bedächtig. „Es fällt dir scheinbar wirklich nicht leicht darüber zu sprechen. Du musst dich nicht dafür schämen Hendrik, wir alle haben Schwächen und Fehler; niemand hier ist perfekt.“ Er grinste schelmisch. „Naja, mit Ausnahme von Aurora von Erzhausen natürlich, die ist schon mit einem Heiligenschein auf die Welt gekommen.“ Zwischen zwei seiner Finger hatte er sich ein Wurstrad geklemmt, dass er an die Nase führte und daran roch. Nein, leider ungenießbar. „Dein Freund hat dir schon einen guten Rat mit auf den Weg gegeben und wie heißt es so schön: der Klügere gibt nach. Das ist nur trotzdem kein gutes Gefühl im Nachhinein, deshalb nennen wir es bei dir auch besser: der Stärkere gibt nach. Und du bist der Stärkere, Hendrik. Ich werde dir ein kleines Geheimnis über dich verraten, dass du vielleicht noch gar nicht wirklich weißt, aber du bist den meisten Jungen in deinem Alter schon bei weitem überlegen und wirst es immer sein. Du bist ein besonderer junger Mann, während alle um dich herum immer nur gewöhnlich sein werden.“ Der Gangrel klopfte ihm auf die Schulter. „So viel Kraft bedeutet aber auch viel Verantwortung, denn du kannst damit viel Gutes als auch Schlechtes bewirken. Weit mehr als alle anderen, deshalb ist es so wichtig, dass du dich zusammen nimmst, auch wenn es schwerfällt. Glaub mir, du bist damit nicht allein; ich kämpfe auch jede Nacht damit. Und wenn ich es nicht mehr aushalte, hol ich meine Axt aus der Hütte und fälle einen richtig dicken Baum. Aus dem Holz wird dann später wieder was Schönes. Wie dein Wolf zum Beispiel.“ Er deutete auf die geschnitzte Figur am Kaminsims.
Hendrik lachte laut auf. „Einen Baum fällen? Das ist wirklich ein ordentliches Stück Arbeit. Danach ist man sicher nicht mehr wütend. Das dauert viel zu lange bis man damit fertig ist… Ich glaube, ich bleib besser bei der Musik. Die ist sehr schön und man beruhigt sich. Aber dafür hab ich dann nicht so tolle geschnitzte Sachen. Hm…“
Lucien lachte auf. „Am Ende hat man einfach eine Menge gutes Holz, genug um es mit anderen zu teilen. Also wenn dir mal neben der Musik und den Geschichten nach Schnitzen sein sollte, fällen wir gemeinsam einen Baum und machen was Schönes draus.“
Ein bedrohliches Knurren von Fenris und ein kurz darauf hörbares plötzliches Pochen an die Tür durchbrachen das leise Lachen des Jungen.
Das Pochen ließ Lucien kurz aufseufzen; wahrscheinlich rief wie so oft, einfach die Pflicht nach ihm. Eilig und in diesem Fall sogar ein wenig widerwillig, zog er sich die dicken Socken an und griff nach dem Schwertheft. „Ja? Wer da?“, rief er schroff und klang dabei möglicherweise eine Spur zu ungehalten. Zumindest falls Marlene vor der Tür stehen sollte. Rupert und der Rest der Wache waren den grummelnden Hauptmann ja schon gewohnt.
Eine durch das dicke Holz gedämpfte Stimme war zu vernehmen. „Mein Name ist Franz. Ich bin auf der Suche nach einem Mann namens Lucien Sabatier, und man hat mir mitgeteilt, dass ich ihn hier finden mag.“ Der Dialekt kam ihm seltsam stockend und ein wenig abgehackt vor. Ganz offensichtlich war Flandrisch nicht die Muttersprache des Sprechers.
Der Hauptmann sah zu Hendrik, dann wieder zur Tür. Der Mann war ihm unbekannt und sprach ein schlechtes Flandrisch. Das allein machte ihn aber noch nicht zu einem schlechten Menschen oder einer Gefahr; trotzdem wollte er sichergehen, selbst wenn er dutzende Leute jede Nacht traf, die sich bei ihm vorstellten und die er schon nach einer Stunde wieder vergessen hatte. „Hendrik, geh bitte kurz in die Küche. Nur für einen Augenblick ja? Ich möchte sichergehen, dass wir keine Probleme haben. Ich rufe dich wenn alles in Ordnung ist“, meinte er etwas gedämpfter an den Jungen gewandt. Sein Blick machte klar, dass er in diesem Fall keine Widerrede duldete. Lucien wartete bis Hendrik getan hatte, worum er gebeten wurde und zog sich dann rasch noch die Stiefel an; schnallte den Waffengurt um. „Dann herein mit euch Herr Franz, ihr habt euren Lucien Sabatier gefunden.“

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BeitragVerfasst: Sa 3. Sep 2016, 12:49 
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Er öffnete die Tür und erschrak fast, als sich ihm aus der Dunkelheit der Nacht ein Mann entgegenwarf. Erst im zweiten Moment erkannte er, dass dies keinesfalls ein Angriff auf seine Person werden sollte, sondern eine tiefe Verbeugung. Nach einigen Sekunden erhob sich die Gestalt und Lucien erkannte ein gerade geschnittenes Gesicht unter einem Wust aus rotem Haar. Der rote Bart war sauber gestutzt.

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„Verzeiht die nächtliche Störung, Meister Sabatier. Mein Name ist Franz und es hat mich einiges an Mühe gekostet euch in dieser herrlichen Stadt ausfindig machen zu können. Ich bin im Auftrag eines anderen unterwegs. Darf ich eintreten und euch das Anliegen übermitteln.“ Er warf einen Blick über seine Schulter und schien nach potentiellen Zuhörern Ausschau zu halten.
Lucien hob fragend eine Augenbraue und hielt dem späten Besucher die Tür auf; deutete auf einen freien Stuhl. „Nicht doch mein lieber Herr Franz, genug der Höflichkeiten. Immer herein mit euch und nehmt doch bitte Platz.“ Er ließ ihn passieren und schloss langsam wieder die Tür hinter ihm, machte es sich selbst abermals auf dem hölzernen Stuhl bequem. Er kraulte Fenris hinter den Ohren und redete ihm gut zu. „Ganz ruhig mein Guter, ganz ruhig. Der Mann tut uns nichts.“ Zumindest wollte der Hauptmann das schwer hoffen. Mit einem zufriedenen Lächeln, wandte er sich erneut an den Besucher. „Was habt ihr denn nun also auf dem Herzen und wer schickt euch Herr Franz? Ich glaube nicht, dass wir uns schon einmal begegnet wären?“
Fenris knurrte kaum hörbar. Der Körper des Tieres war angespannt und die Nackenhaare gesträubt. Es schien den Wolf Mühe zu kosten sich ruhig hinzulegen und wie gewünscht abzuwarten. Der Mann selbst wirkte nicht ausgesprochen bedrohlich. Zwar konnte Lucine ein Kurzschwert an seiner Seite ausmachen, doch wirkte die Statur seines Gegenübers, obwohl groß und breitschultrig, nicht als würde er täglich stundenlang mit der Waffe trainieren.
Wieder folgte ein abwägender Blick des Mannes durch den Raum ob weitere Gesprächsteilnehmer anwesend wären, dann sah er den Hauptmann direkt an.
„Mein Name ist Franz. Ich bin Gefolgsmann und Vertrauter des Kaisers Friedrich aus dem Geschlecht der Staufer.“ Er wartete einen Augenblick um die Reaktion auf dem Gesicht des Gangrels eingehend zu studieren. „Der Kaiser weilt derzeit in der Kaiserstadt Aachen und trägt über mich die Bitte auf ein Zusammentreffen an euch heran.“
Lucien lächelte beinahe schon gutmütig, als er das Kurzschwert an der Seite des Mannes mit seiner Statur und den Bewegungen abglich. Ein Paradeoffizier in Ausgehuniform; die Klinge hatte er nur gezogen um bei der Vergatterung eine gute Figur abzugeben, während im Hintergrund eine prachtvolle Flagge im Winde wehte. Kavallerieregiment womöglich, dazu hätte er sich die Stiefel des Mannes genauer ansehen müssen. Sie waren mit ziemlicher Sicherheit auf jeden Fall im besseren Zustand als seine eigenen. Die Stadt musste sparen, aber zum Glück nicht mehr lang. Sobald Blenheim endlich eine vorzeigbare Garnison wäre, würde hier ein anderes Lüftchen wehen.
Der Gangrel räusperte sich und nickte. „Dann willkommen in meinem bescheidenen Heim Leutnant Franz. Die Freunde seiner Majestät sind auch meine Freunde.“ Als er die offizielle Einladung nach Aachen vernommen hatte, musterte er den Mann eingehend und dabei interessanterweise gar nicht so überrascht, wie man hätte annehmen können. „Der Kaiser wünscht also ein Treffen in Aachen? Hat er auch verkündet, wie dringend ihm dieses Anliegen ist? Ihr wisst vielleicht, dass ich Hauptmann der Nachtwache bin und nur ungern meine Pflicht vernachlässige.“ Das war natürlich eine schmalzige Lüge; er tat am liebsten alles andere als in Galauniform am Schreibtisch zu sitzen und Dokumente zu unterzeichnen. Früher war er selbst noch durch die Straßen gezogen aber das wurde immer seltener. Die Brügger liebten Gänsekiele und dicke Tintenfässer damit alles mit Begeisterung aufgezeichnet werden konnte.
Franz schüttelte mit Ruhe den Kopf. „Ich bin kein Mann der Schlacht und im Kampf nicht mehr erprobt als es meine Position nötig macht. Meine Aufgaben für den Kaiser haben mich aus meiner Heimat Böhmen hierher geführt. Der Kaiser pflegt die Themen einer Unterredung für gewöhnlich nicht einem Boten anzuvertrauen. Auch wenn dieser wie es unsere Zunft bedarf, des Schweigens mächtig ist, vermag doch so manche Klinge und so viel anderes Foltergerät die Zunge des Überbringers der Nachricht doch zu lockern. Leider…“ Er schwieg eine Weile und zog dann einen kleinen Beutel hervor. „Solltet ihr Friedrich in Aachen aufsuchen so soll es euer Schaden nicht sein. Dies hier…“ Er überreichte das Ledersäckchen an Lucien. „… soll euch als Zeichen dienen, dass die Worte wahrhaftig von ihm sind. Der Kaiser meinte, ihr würdet verstehen.“ Als Lucien ihn öffnete fielen kleine Kerne heraus, die er sofort erkannte.

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Der Hauptmann nickte anerkennend. „Natürlich habt ihr vollkommen recht, Franz. Erst letztens hatten wir in Brügge einen ähnlichen Fall von dreister Spionage, die vermutlich noch eine Reihe sehr unangenehmer Folgen für uns nach sich ziehen wird. Man kann nicht vorsichtig genug sein.“ Er bedachte die kleinen Samenkörner mit einem Lächeln und nickte erneut, diesmal als Zeichen des eindeutigen Verstehens. „Ich denke es gibt wohl keinen Grund mehr an euren Worten zu zweifeln. Danke, dass ihr mir diese Nachricht so zügig überbracht habt. Bittet richtet eurer Majestät aus, dass es mir natürlich wie immer ein ganz besonderes Vergnügen sein wird einen kleinen Spaziergang in seinen Gärten zu wagen. Da bedarf es keiner besonderen Entlohnung.“ Lucien schmunzelte, erhob sich und klopfte dem Mann auf die Schulter. „Vermutlich werdet ihr nicht mehr heute Nacht aufbrechen. Erlaubt mir euch das Gasthaus ‚Schwarz und Rot‘ am Ende der Straße zu empfehlen. Der Eintopf ist dick und die Betten weich. Sagt, dass euch der Hauptmann schickt und ihr bekommt ein anständiges Zimmer. Der Stallbursche hat im Übrigen wirklich ein Händchen für Pferde, sodass ihr gleich morgen ausgeruht weiterreiten könnt.“ Langsam geleitete er ihn zur Tür.
Franz nickte. „Es freut mich, dass ich euch angetroffen habe und ich meinen Auftrag ausführen konnte. Eure Worte werde ich sobald als möglich ausrichten. Der Kaiser weilt in der Königspfalz zu Aachen, so ihr ihn demnächst aufsuchen möget. Für eine Audienz, so ließ er mir ausrichten, solltet ihr euch an Francesca di Valle wenden. Sie wird wissen, welche weiteren Schritte zu tätigen sind.“
Er trat aus der Tür in die Dunkelheit und verbeugte sich ein letztes Mal. „Gehabt euch Wohl. Gott zum Gruße, Meister Sabatier.“
Er verabschiedete ihn an der Tür und hob die Hand ein letztes Mal zum Gruß. „Und euch ebenfalls, Franz.“ Danach lehnte er sich etwas geistesabwesend mit dem Rücken an das schwere Holz und blickte an die Decke. Das letzte und zugleich erste Mal, hatte er den Kaiser auf Sizilien getroffen, wo dieser ihm geholfen hatte, die merkwürdigen Samenkörner zu sammeln, welche die schottische Schamanin zur Heilung seines Waldes benötigt hatte. Er selbst hatte dafür im Gegenzug die Sicherheit der kaiserlichen Festung auf Schwachstellen hin überprüft; mehr oder weniger. Man hatte sich im Guten getrennt und er wusste noch, wie verwunderlich es ihm vorkam einen so äußerst bedeutenden Mann kennenzulernen, der obgleich er nur sterblich war, bestens über die Welt hinter dem Vorhang Bescheid zu wissen schien. Damals hatte er das Angebot Friedrichs ausgeschlagen, als sein persönlicher Berater in Angelegenheiten der Sicherheit zu fungieren. Aber möglicherweise hatten sich die Umstände, die ihn damals zu dieser Antwort bewogen hatten, geändert. Eine feste Anstellung am Kaiserhof für ein paar Jahre, ein wenig Schlachterfahrung und Einblicke in militärische Taktik? Er könnte davon profitieren, aber das hieße Brügge eine längere Zeit den Rücken zu kehren. Vielleicht konnte er ein paar seiner aktuellen Pläne und Vorhaben geschickt miteinander verbinden. Er würde wohl den Dienstplan für die nächsten Tage ändern müssen. Sich am Kopf kratzend und nachdenklich in die Flammen des Kamins blickend, meinte er in ruhigem Tonfall: „Du kannst rauskommen, Hendrik. Mir ist schon klar, dass du alles belauscht hast, aber ich wollte den Boten nicht weiter verunsichern.“
Der Junge zögerte nur wenige Sekunden bis er aus der Küche kam. Er sah ein wenig betroffen zu Boden. „Ich wollte nicht lauschen, aber der Mann hat so laut geredet, dass man das nicht überhören konnte.“ Vorsichtig sah er zu Lucien auf und kraulte dann den Wolf hinter den Ohren als würde er sich Rückendeckung von dem Tier erhoffen.
„Unnötig zu sagen, dass dieses Gespräch natürlich dennoch nicht für deine Ohren bestimmt war. Deshalb muss ich dich leider zum wiederholten Male an diesem Abend darum bitten, darüber Stillschweigen zu bewahren.“ Er sah den Jungen an und lächelte. „Du merkst schon, unser Leben besteht hauptsächlich aus Geheimnissen, geflüsterten Worten und Verschwiegenheit. Und das ist erst der Anfang.“ Der Hauptmann stemmte ein Bein auf einen nahegelegenen Hocker und schnürte die Stiefel fester; adjustierte sein ledernes Rüstzeug. „Auf jeden Fall sieht es so aus, als müsste ich heute noch ein paar Reisevorbereitungen treffen. Der Dienstplan ändert sich jetzt schon zum dritten Mal, aber das werden die Männer aushalten müssen. Zum Glück gibt’s ja noch deinen Onkel Jean.“ Er nickte in Richtung des gedeckten Tisches. „Iss so viel du möchtest Hendrik und leiste Fenris gern noch etwas Gesellschaft. Leider werde ich mich um diese Sachen jetzt noch kümmern müssen.“
Der Junge sah ihn nach wie vor etwas betroffen an. „Darf ich mitkommen? Aachen ist doch gar nicht so weit weg. Das hab ich auf meiner Karte gesehen. Und Alida reist morgen nach Gent. Sie hat mir versprochen, dass ich das nächste Mal mitkommen darf, wenn sie Emili… äh… Meister Belinkov besuchen geht. Gent und Aachen sind nicht so weit weg voneinander, oder?“ Hoffnungsvoll sah er zu Lucien.
Nachdenklich sah er den Jungen an und irgendetwas in ihm verspürte fernab aller gebotenen Vorsicht und Warnungen, die ihm tunlichst davon abrieten, den Wunsch Hendrik dennoch mitzunehmen. „An und für sich würde ich dich eher nicht mitnehmen, Hendrik. Ich bezweifle zwar, dass wir in große Gefahren geraten werden aber die Reise nach Aachen wird trotzdem etwas länger dauern und…“ Er sah ihn eingehend an. „… und Reisen mit mir finden nur bei Nacht statt. Tagsüber ruhe ich und dann ist niemand da, der sich um dich kümmert. Natürlich wirst du mir jetzt gleich erzählen, dass du keinen Aufpasser brauchst und gut alleine klarkommst, aber wir sind weit weg von Brügge und ganz allein kann ich dich während meiner Abwesenheit nicht lassen.“ Er kratzte sich am Bart. „Ich mache dir einen Vorschlag. Du redest mit Alida und schickst sie noch einmal bei mir vorbei, damit wir das gegebenenfalls planen können. Ich kann Jean nicht vom Dienst abziehen, denn ohne mich fehlt uns ohnehin wieder einer in der Wachstube. Was wir also brauchen ist ein vertrauenswürdiger Mann, der tagsüber an deiner Seite weilt.“ Er grinste. „Und die Erlaubnis deiner hochgeschätzten Vorzeigehändlerin, dem Drachen von Brügge. Frag sie doch morgen Abend einmal; so schnell kann ich ohnehin nicht aufbrechen.“
Ein breites Strahlen zeigte sich auf Hendriks Zügen: Lucien hatte nicht von vornherein Nein gesagt. Das war ein verheißungsvoller Anfang. Er nickte rasch. „Ich wird Marlene und Jean fragen. Und Alida. Sie will aber morgen Abend recht früh aufbrechen.“

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BeitragVerfasst: Mo 5. Sep 2016, 08:04 
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Ein breites Strahlen zeigte sich auf Hendriks Zügen: Lucien hatte nicht von vornherein Nein gesagt. Das war ein verheißungsvoller Anfang. Er nickte rasch. „Ich werd Marlene und Jean fragen. Und Alida. Sie will aber morgen Abend recht früh nach Gent aufbrechen. Ich weiß nicht, ob sie da vorher noch zu dir kommen kann. Warum hast du Alida Drache genannt?“

Lucien nickte und schien kurz nachzudenken. „Gut. Nun, in diesem Falle würde ich dich dennoch bitten sie zu fragen und mir ihre Antwort mitzuteilen. Schließlich bist du streng genommen eher mehr ein Teil des Hauptzweiges der Familie als ein Sabatier.“ Der Hauptmann verkniff sich ein leichtes Grinsen. ‚Sabatier‘, das klang mittlerweile wie der Seitenarm einer uralten Adelsfamilie, dabei bestand diese doch gerade mal aus vier Leuten, von denen einer noch nicht einmal mehr am Leben war. Mit einer ruckartigen Bewegung, schob der Gangrel seine Hände erneut in die schweren Lederhandschuhe. „Jean und Marlene müssen definitiv ihr vollstes Einverständnis geben; das ist die Minimalvoraussetzung. Du solltest sie vielleicht, wenn du mit dem Essen fertig bist, gleich aufsuchen. Nun… das solltest du so oder so; die Nacht ist schon weit vorangeschritten.“ Kurz stutzte er noch, dann legte sich abermals ein schiefes Lächeln auf das schlecht rasierte Räubergesicht. „Alida ist ein Drache aber kein Hausdrache der Zeter und Mordio schreit oder eine Plage für ihre Verwandtschaft oder Arbeitnehmer wäre, obwohl ich das wohl schlecht beurteilen kann. Es ist mehr die Bezeichnung einer gewissen… Abstammung, die über gewöhnliche Familienverhältnisse hinausgeht. Wir werden uns eines nachts darüber unterhalten.“ Eine gute Zeit lang unterhielten sich Hendrik und Lucien noch, dann brachen aber trennten sich ihre Wege in dieser Nacht. Der Hauptmann schritt zur Hauptwachstube, wo er die Dienstpläne änderte, Posten neu verteilte und die restlichen Vorbereitungen für seinen mehrtätigen Ritt traf, soweit er es während der regulären Dienstzeit eben noch konnte, während Hendrik sich an Jean, Marlene und Alida wandte, um den Brügger Hauptmann nach Aachen begleiten zu dürfen. Hoffentlich wirkte sich das allzu lange Ausbleiben von gestern Nacht, nicht allzu negativ auf deren Entscheidung aus.

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Through action, a Man becomes a Hero.
Through death, a Hero becomes a Legend.
Through time, a Legend becomes a Myth.
By learning from Myth, a Man takes action.
~Corazon~


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BeitragVerfasst: Sa 10. Sep 2016, 15:24 
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Lucien konnte seine letzten Vorbereitungen treffen bevor sich die Nacht dem Ende zuneigte. Am nächsten Abend wurde ihm bereits kurz nach Sonnenuntergang durch einen von einem Ohr zum nächsten strahlenden Hendrik, der zunächst leise, dann mit bestimmter Heftigkeit an Luciens Vordertür geklopft hatte, mitgeteilt, dass man ihm erlaubt hatte, nach Gent mitzureisen. Jean und Marlene wussten, dass der Junge beim Hauptmann in guten Händen wäre. Alida selbst würde sich in dieser Nacht auf den Weg in die größte Stadt Flanderns begeben und nach einer Besprechung mit Lucien würde man bezüglich der im Anschluss folgenden Reise nach Aachen weitersehen.
Hendrik schien schon selig nach Gent mitgenommen zu werden. Er hatte einen Sack mit seinen wenigen Sachen gepackt, bereits die Pferde, die man zur Reise auserkoren hatte, gestriegelt und wie er Lucien stolz verkündete, einen Haufen Äpfel für Ajax als Reiseproviant gesammelt.
Der kleine Reisetrupp mit dem Alida reiste erschien ungefähr eine Stunde später beim Haus des Hauptmanns. Während sich Hendrik von Marlene und Jean verabschiedete und seine heftig protestierende dreijährige Ziehschwester Florine mit den Worten beruhigte, dass er ja bald wieder da sei und sie bestimmt mitdürfe, wenn sie ein wenig älter wäre, begutachtete Lucien den Rest der Reisenden.
Er erkannte den dunkelhaarigen Konstantin, der die Taschen seines Pferdes überprüfte und dem Tier ab und an beruhigend über den Hals strich. Der Junge wirkte angespannt auch wenn er versuchte sich gerade zu halten und sich nichts anmerken ließ. Alida war in einen dünnen Reiseumhang gewandet und wechselte ein paar Worte auf Russisch mit einem missmutig dreinblickenden Mann, den sie ihm wenige Augenblicke später als Ivan vorstellte. Der Hauptmann erkannte den Mann, der bei der Begrüßung merklich zusammenzuckte, in diesem Moment sofort. Es war derjenige, der ihm vor zwei Jahrzehnten den Zugang zum Anwesen des Tsimiske Belinkov in Genua verwehrt hatte und dafür die wohl unter Fleischformern nicht unübliche Bestrafung der Entstellung hatte erfahren dürfen. Der breitschultrige, etwas gedrungene Mann, der ihm gegenüberstand, hatte ein unauffälliges Gesicht ohne Anzeichen einer ehemaligen Behinderung und wirkte gerade mal fünf Jahre älter als damals. Er deutete eine Verbeugung an und wich Luciens Blick aus.
Der Russe half Hendrik schließlich aufs Pferd, drückte ihm mit einer ruppigen Handbewegung die Zügel in die Hand und grummelte mit starkem Akzent. „Du nicht fallen vom Pferd, ja? Ist weiter Weg nach Gent für kleinen Jungen.“
Hendrik verzog trotzig das Gesicht. „Ich bin nicht klein. Und vom Pferd fall ich auch nicht!“ Er ließ sein Pferd an Konstantins Seite traben und ignorierte den Diener.
Ivan erwiderte Alidas leicht vorwurfsvollen Blick mit einem Schulterzucken und den leisen Worten. „Was? Ist kleiner Junge. Wenn er fallen vom Pferd, er schreien. Wie alle kleinen Jungen.“ Alida antwortete etwas auf Russisch und lachte dann. Ivan verdrehte die Augen und setzte sich dann an die Spitze des Zuges. Alida blieb bei Lucien zurück und wartete. Erst als sie die Tore Brügges hinter sich gelassen hatten und die Jungen wohl dreißig Meter vor ihnen fröhlich plapperten, wandte sie erneut das Wort an den Gangrel.
„Es freut mich, dass du mitkommst. Hendrik hat mir erzählt, du willst nach Aachen. Ich kenn dich ja mittlerweile wohl gut genug. Du treibst dich gern rund um Brügge herum und liebst den ein oder anderen Flecken Wildnis. Aber die Städte im Lehen des schwarzen Kreuzes? Ist da Hendriks Phantasie mit ihm durchgegangen?“

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BeitragVerfasst: Sa 10. Sep 2016, 16:36 
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Der Gangrel ritt etwas wortkarg und weit offensichtlicher nachdenklich als üblich an Alidas Seite, während die beiden Jungen bereits ein gutes Stück des Weges vorausgeritten waren. Es hatte ihn nicht besonders gewundert, Hendrik bereits am nächsten Abend freudestrahlend vor seiner Tür wiederzufinden denn Geschäftsreisen gehörten zu den alltäglichen Dingen für den Drachen von Brügge und Gent lag nun auch keine Ewigkeit weit entfernt. Zwar hatten Marlene und Jean der Reise zugestimmt aber noch war das letztliche Urteil über eine weitere Reise des Jungen nach Aachen nicht gefällt worden. Schlussendlich war schon allein die Begleitung nach Gent ein großes Abenteuer für Alidas Mündel und selbst wenn er es nicht bis nach Aachen schaffen würde, so würde ihm zumindest allein dieser kurze Ausritt begeistern. Das war bereits jetzt offensichtlich. Auch war die Anwesenheit mehrerer russischer Wachleute, inklusive Ivan nicht zu übersehen. Natürlich trieb Alida regen Handel mit Gent und machte sich auch immer öfter persönlich auf in die Stadt aber nach wie vor blieb die Beziehung zu diesem mysteriösen, russischen Händler Belinkov ein Rätsel. Er war Tzimisce, das wusste Lucien bereits seit langem, hatte der seltsame Mann doch noch eigenhändig das Antlitz von Balduin wiederhergestellt, als die Intrige Dragas unverhofft aufgeflogen war. Aber wieviel von dem, was der Unhold hier in Brügge und Gent veranstaltete, kam an die Höfe des Ostens? Wie viele Geheimnisse und Informationen, sickerten durch Ungarn in die Stammlande der Drachen? War dem Mann zu trauen? Wie stand er selbst zum Omenkrieg? All diese Fragen waren nie wirklich beantwortet worden und er hätte sich vielleicht auch gar nicht darum bemüht, diese Geheimnisse tiefer zu erforschen, wenn da nicht die Tatsache wäre, dass Alida offenbar eine äußerst enge Beziehung zu dem Manne pflegte. Er hatte nie gefragt aber das Auftauchen Ivans, den er selbst auch nur schweigend ignorierte und die harten Konsonanten des Russischen, ließen ihn ein weiteres Mal misstrauisch aufhorchen. Mit einer Hand straffte er die Zügel und sah zu der Unholdin neben sich.

„Ich habe nie wirklich gefragt aber was verbindet dich und Belinkov? Gewiss scheint es mehr zu sein als nur das Blut des gleichen Clans? Und bitte erzähl mir nichts von irgendwelchen Handelsarrangements; du bist gerne mal unterwegs um ertragreiche Verträge abzuschließen aber sooft wie in Gent bist du nirgendwo. Meiner Meinung nach liegt das auch ganz sicher nicht an unserer reizenden Frau Borluut und ihrem streitbaren Rat.“ Anstatt ihre Frage zu beantworten, antwortete er offensichtlich unverblümt mit einer recht direkten Gegenfrage.

„Er hat uns mit Balduin geholfen und dadurch sicherlich ein gewisses Vertrauen verdient, doch frage ich mich wie weit dieses Vertrauen geht oder gehen darf? Kann ich mich auf dein Wort verlassen, wenn du sagst Meister Belinkov stellt keine Gefahr für uns dar?“ Er hob fragend eine Augenbraue.

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Through death, a Hero becomes a Legend.
Through time, a Legend becomes a Myth.
By learning from Myth, a Man takes action.
~Corazon~


Zuletzt geändert von Lucien am Di 27. Sep 2016, 09:25, insgesamt 1-mal geändert.

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BeitragVerfasst: Sa 17. Sep 2016, 17:57 
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Alida sah ihn an und begann zu lachen.‘statt mir zu erzählen, ob du wirklich nach Aachen reist, kommen dir Fragen zu einem meiner clansbrüder?“ ihr lachen sistierte und sie sah reglos nach vorne auf den weg, der im düster vor ihnen liegenden Wald verschwand. Ein kurzes aufblitzen ihrer augen ließ ihn auch im dunkeln wissen,dass sie ihn abwiegend ansah. “wie ich schon sagte,ich kenne dich mittlerweile lang genug und vertrau dir... kann ich mich auf deine Verschwiegenheit verlassen?“ sie wartete sein langsames, überlegtes nicken ab bevor sie antwortete. “ich würde nicht behaupten, dass er keine Gefahr für brügge wäre.er gehört nicht zu den‘guten',die nichts als das Wohl der Menschheit im Sinn haben. Aber ich kann dir versichern,dass er kein Interesse daran hat,etwas zu tun,dass brügge,dich oder mich gefährden würde.“ ihre Hände spannten sich fest um die Zügel ihres Pferdes und sie ließ einige Zeit verstreichen,kaute nachdenklich auf ihrer unterlippe bis sie weiter sprach. “belinkov...“ sie atmete lang ein. „Sein wahrer Name ist Victorovich, Emilian Victorovich. Er ist mein Erzeuger.“ Alida sah ihn an als erwarte sie eine heftige Reaktion. Sie lachte,diesmal zögernder. „Das erscheint mir ein guter Grund ab und an gent aufzusuchen.“

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