Mi 31. Aug 2016, 20:35
Hendrik nickte und er presste fast wütend die Lippen aufeinander. „Ja, ich habe von Bischof Martin gehört. Ich weiß, dass er Marlene und Jean und Alida und Frederik in ein dunkles Gefängnis gesperrt hat.“ Sein Tonfall wurde noch leiser. „Und dass sie Glück gehabt haben, dass sie überhaupt wieder raus gekommen sind. Marlene hat mir mal erzählt, dass der Bischof Alida und Jean nicht leiden kann...und Marlene und Frederik nur im Gefängnis waren um zu zeigen wie mächtig er ist. Sie hat gesagt, dass wir sehr vorsichtig sein müssen.“ Sein fragender Blick wanderte zu Lucien um dann wieder den Kopf zu senken. „Es tut mir leid, Lucien. Ich wusste nicht, dass die Männer zum Bischof gehören. Ich verspreche, dass ich vorsichtiger sein werde.“
Ein Räuspern unterbrach die Stille. Konstantin deutete zu einer der größeren, hell erleuchteten Gassen. „Das Anwesen der van de Burse ist von dort nur noch wenige Minuten entfernt. Wenn ihr erlaubt, Meister Sabatier, werde ich mich für heute Nacht verabschieden. Ich bin mir sicher, wir werden erneut aufeinandertreffen.“ Er verbeugte sich leicht, sah dann zu Hendrik. „Mach’s gut, Kleiner. Ich hoff, du hattest einen schönen Abend. Wär doch doof, wenn nicht. Nach all dem Stress.“ Er grinste. Hendrik versuchte ihn in die Seite zu knuffen, aber der Ältere wich mühelos aus als hätte er schon auf den gespielten Angriff gewartet.
Lucien schüttelte knapp den Kopf und wirkte nicht mehr allzu sehr verstimmt. Wahrscheinlich war er eher wütend auf sich selbst, den Bischof und die ganze unerträgliche Situation, die ihnen der damals so undankbare Knabe eingebrockt hatte. „Das macht nichts, Junge. Im Grunde ist es nicht deine Schuld. Zwar ist es für Kinder in deinem Alter wahrlich zu spät für nächtliche Ausflüge aber andererseits bist du ja auch kein normales Kind. Es ist nur wichtig, dass die glauben du wärst es, verstehst du? Außerdem siehst du ja wieviel Spaß es ihnen macht die Leute zu tyrannisieren. Ich kann dich nicht davon abhalten durch die Stadt zu toben, aber halte dich in deinem eigenen Interesse an dein Versprechen. Wenn du diese Leute siehst, musst du schnell sein wie ein Wiesel, geschickt wie eine Katze und listig wie ein Fuchs.“ Das Räuspern ließ den Hauptmann kurz innehalten und sich nach dem zweiten Jungen umdrehen, der gerade im Begriff war eine andere Abzweigung einzuschlagen. „Sicher, Konstantin. Dann eine ruhige Nacht und halt auch du dich möglichst fern von den Inquisitoren. Alida hat Geld, mächtige Freunde und eine ganze Herde voll Kontakten und Günstlingen, aber das haben die auch. Und der Titel Meister ist nicht wirklich erforderlich, ich habe nicht mal eine richtige Ausbildung.“ Er sah sich etwas schmunzelnd die kleine Reiberei der beiden an; nickte dem Älteren dann noch einmal bestimmt zu und schritt dann mit Hendrik weiter in Richtung seines Stadthauses. Irgendetwas an der Ausflugsgeschichte stimmte ihn noch immer misstrauisch aber es würde kein so weltbewegendes Geheimnis sein, als das er es unverzüglich würde erfahren müssen. „Mhh…. Du hast mir noch nicht von diesem Freund erzählt, mit dem du sonst immer in die Schenke gehst? Er wird vermutlich älter sein als du?“ Keine Frage schickte Alida Hendrik nicht allein mit Konstantin in eine schmierige Hafenkneipe. Es würde zweifellos ein Erwachsener sein.
Erneut presste der Junge mühsam die Lippen aufeinander und wich Luciens Blick aus. „Ich…“ Er zögerte sichtlich. „Ich weiß nicht ob mein Freund will, dass ich seinen Namen nenne.“ Er sah den Hauptmann hoffnungsvoll an. „Er ist ein guter Freund. Ihr braucht euch keine Gedanken zu machen. Ganz bestimmt nicht.“ Seine Hand wanderte zu einem Anhänger, den er um den Hals trug und griff danach wie die Gläubigen nach ihren Kreuzen. Hendrik erblickte Luciens Haus am Ende der schmalen Gasse und sah fast erleichtert aus. „Schau mal. Wir sind fast da.“
Der Gangrel legte ihm die Hand auf die Schultern und klopfte einige Male behutsam darauf. „Du hast Geheimnisse, die du sorgsam bewahrst, Namen die du schützen willst und Versprechen, die du nicht zu brechen gedenkst. Das ist ehrenhaft von dir, Hendrik. Ich werde dich nicht weiter mit Fragen zu deinem heutigen Ausflug oder dem mysteriösen Freund löchern. Du tust, was du für richtig erachtest; sieh nur zu, dass du dich nicht in wirkliche Schwierigkeiten bringst.“ Den Bick anhebend, sah er bereits die Türschwelle zu seinem bescheidenen Haus in Brügge. Über die Jahrzehnte hatte man immer wieder ausgebessert, neu gestrichen, getüncht und gemauert, sodass es stets halbwegs ordentlich aussah. Kein Vergleich zu seinen Anfängen in der Stadt. Vor der soliden Holztür, die er mittlerweile durch eine eigene ersetzt hatte, die Jagdmotive zeigte, blieb er stehen und suchte in seinem Wams nach dem eisernen Bartschlüssel.
„Eigentlich müsste ich dich gleich nach Hause schicken; Jean wird sich wie immer ganz besonders freuen dich Ausreißer mal wieder nach Mitternacht einzusammeln, aber da du jetzt schon einmal hier bist… kannst du auch gerne noch einen Augenblick mit hineinkommen, wenn du magst?“ Der Schlüssel wurde ins Schloss gesteckt und entriegelte schabend den Mechanismus.
Hendrik sah ihn erfreut an. Offensichtlich hatte Lucien ihm mit den schlichten Sätzen eine ungemeine Freude gemacht, die er nicht erwartet hatte. „Das wäre toll. Ich kann Feuer machen und Fenris füttern, wenn du magst.“ Fügte er eifrig hinzu.
Der Hauptmann nickte und schob die Tür auf, ließ den Jungen eintreten. Und obgleich es in der Stube um diese Zeit stockfinster war, verschloss er sie nur einen Augenblick darauf wieder. „Hab keine Furcht, Hendrik, aber um ehrlich zu sein… ich glaube, es gibt wenig vor dem du dich fürchtest. Die Dunkelheit scheint dir vertraut. Ich werde ein Licht entzünden.“ Man hörte die schweren, knarzenden Schritte der beschlagenen Stiefel über den Dielen, als der gerüstete Hauptmann mit rot glimmenden Augen durch die Finsternis schritt, um in der Nähe des Kamins eine Kerze mithilfe eines Zunderkästchens zu entfachen. Mitsamt Kerze, die den Raum nun in dämmriges Licht tauchte, kehrt er zu Hendrik zurück; ging vor ihm auf die Knie und hielt ihm die Kerze hin. „Machen wir erstmal ein wenig Licht. Auf dem Tisch steht noch ein großer Kerzenständer und auf der Kommode dort im Flur auch. Entzünde du die erstmal, ich entfache den Rest. Wenn du magst, kannst du dann Holz hinten im Hof holen gehen und Ajax einen Apfel zustecken.“ Das leichte Jaulen im Hintergrund ließ Lucien kurz auflachen. „Oh ja… und Fenris freut sich sicher auch über deinen Besuch.“
Der Junge sah Luciens glühende Augen fasziniert und mit kurzzeitig offenem Mund an, den er, sobald ihm die Kerze gereicht wurde, wieder schloss. „Wow. Das mit den Augen ist toll. Kannst du mir das auch beibringen? Das wäre phantastisch. Mit denen sieht man bestimmt unglaublich gut in der Nacht.“
Lucien war indessen weiter durch den Raum gewandert und hatte nach der Reihe alle Sorten von Kerzen, die gut verteilt in der Dunkelheit lagen, entzündet. Seine neueste Errungenschaft, war ein schmiedeeiserner Kronleuchter; nicht groß in seinen Ausmaßen, aber er hatte kleine Abtropfbehälter für die dicken, wenig rußenden Kerzen und einen bauchigen Glasumschluss. Es waren eigentlich nur abgeschliffene Flaschenbäuche dieser besonders voluminösen, italienischen Weinflaschen. Er hatte sie vor einiger Zeit bei Alida mitgenommen. Nicht lange und es wurde auch schon um einiges heller und freundlicher im Raum, während das Glimmen in seinen Augen erlosch. Mit einem leicht nachdenklichen Gesichtsausdruck legte er den Waffengürtel auf den Tisch, kurz gefolgt von den Handschuhen. „Ja, es ist durchaus nützlich, auch wenn der aufmerksame Beobachter das Glimmen recht gut erkennen kann. Die meisten glauben dann bereits aber, dass der Leibhaftige hinter ihnen her ist… deshalb würde ich dich bitten es für dich zu behalten. Sagen wir es ist jetzt unser Geheimnis.“ Er lächelte schief.
Hendrik nickte und streckte ihm die Finger zum Schwur hin. „Ich schwör’s. ich werde keinen Ton zu niemandem sagen.“
„Und ob ich dir das mit den Augen beibringen kann? Schwer zu sagen, aber ich würde es nicht grundsätzlich ausschließen. Allerdings, wird das noch warten müssen bis du älter bist, fürchte ich.“ Zwischen seinen Lippen erklang ein Pfiff. „Fenris, na komm her und begrüß Hendrik. Ihr habt euch ja beide schon eine halbe Ewigkeit nicht mehr gesehen. Ich werde einstweilen sehen, was ich dir zu Essen auftreiben kann, falls du Hunger hast.“ Erneut grinste er. „Du kennst dich hier ja perfekt aus, ich muss dir nicht zeigen, wo was ist.“
Hendrik nickte schuldbewusst. „Ich nehm‘ mir einen Apfel, wenn ich darf?“
Ein kurzes Jaulen war zu hören. Offensichtlich hatte man den Wolf unabsichtlich in der Küche eingesperrt in dem man einfach die Tür verschlossen hatte. Lucien hörte ein Schaben und ein leises Poltern, dann öffnete sich die Pforte zur Küche wie von Geisterhand und Fenris stob hindurch. Irgendwie musste er die Tür aufbekommen haben.
Der mittlerweile ausgewachsene Wolf rannte auf Lucien zu und sprang freudig an ihm hoch. Schwanzwedelnd wollte er sich auch auf Hendrik stürzen, doch der Junge trat einen Schritt zurück. „Nein!“ Der Befehl schien zu wirken und das Tier blieb mit allen Vieren auf der Erde und ließ sich streicheln um dann wieder zu Lucien zu trotten und an seiner Seite zu verweilen.
Hendrik umfasste die Kerze fester. „Ich schau nach Ajax und dann mach ich Feuer.“ Er überlegte kurz. „Du bist so wie Alida und Frederik und…“ Er sprach einen Moment nicht weiter und fügte dann „… du magst es nicht so gern Feuer zu machen, oder? Da kann ich das ja erledigen…“
Nun Fenris war ein Wildtier, auch wenn mancher gerne von einem domestizierten Hund sprach. Und wenn ein Wolf etwas wirklich dringend wollte, dann konnte ihn augenscheinlich nicht einmal eine verschlossene Küchentür aufhalten. Es war geradezu bemerkenswert gewesen, wie schnell der Welpe gewachsen war und nun lag in jedem noch so freudigen Sprung eine stattliche Kraft; ganz anders als er ihn noch dazumal mit der Flasche und Milch vor dem Kamin gesäugt hatte. Vielen war der ‚Hund‘ ein leichtes Ärgernis, war doch allein an der Fellfärbung und den scharfen Augen für jeden in der Stadt ersichtlich, dass dies im Grunde kein Arbeitstier war, sondern in den Wald gehörte. Vielleicht sogar noch ehestmöglich erlegt, bevor es anfing Schafe zu reißen. Aber man verzieh dem Hauptmann diese leichte Exzentrik, hatte er doch schon zuvor einen Hang für große, hässliche Hunde gehabt. Die meisten waren davon überzeugt, er übe sich an der Kreuzung einer neuen Hunderasse für den Wachdienst und würde sich des Wolfs bald entledigen. Fenris selbst bekam ausreichend zu fressen und wurde auf viele Wachgänge mitgenommen. Mindestens viermal pro Woche, machte er einen sehr langen Ausgang in den Wald mit ihm, damit auch der Kontakt zu seiner wahren Natur nicht verloren ging. Dabei machte es dem Gangrel ganz besondere Freude ebenfalls als Wolf umher zu streifen; dann war es fast als wäre Fenris eine Art ‚Ziehsohn‘. Lächeln tätschelte er den braunen Rüden und redete ihm gut zu, während sein Blick Hendrik streifte. War es nicht merkwürdig? So wie Jean einst sein Ziehsohn gewesen war, war nun bei allen Unterschieden ein wildes Tier zu etwas Ähnlichem geworden. Und Hendrik? Nun, bisher hatte er ihn immer gemieden und nicht besonders erfreut über ihn gesprochen. Aber was immer er auch war oder werden würde, er konnte erstens nichts dafür und zweitens war es gefährlich ihn unwissend auf diese Welt loszulassen. Und es sah nicht gerade danach aus, als würde sich irgendjemand diesbezüglich um ihn kümmern. Das könnte sich als schwerer Fehler entpuppen. Macht bedeutet Verantwortung, Macht korrumpiert. Wenn Hendrik feststellen sollte, dass er ein bedeutend langes Leben vor sich hatte und einige wirklich übernatürliche Begabungen, was würde er damit anstellen? Respektvoll nickend, hörte er den Befehl des Jungen und sah wie sich Fenris zurück an seine Seite begab. Ihm den Kopf kraulend, machte Lucien eine einladende Geste. „Du scheinst ein Talent für Tiere zu besitzen, das ist gut“, stellte er fest. „Vielleicht wirst du eines Tages Zureiter oder Falkner?“ Der Hauptmann ließ sich auf einen schweren Holzsessel nahe des Kamins niedersinken und zog die schweren Stiefel aus. Hin und her kratzte und kraulte er Fenris. Das Tier schien ihn beinahe wortlos zu verstehen. „Ja, Alida, Frederik und ebenso ich, haben eine leichte Abneigung gegen Feuer. Jeder kann sich böse verbrennen, wenn er nicht achtgibt, aber uns schmerzt es besonders, deshalb sind wir ganz besonders vorsichtig.“ Er hob lässig die Hand. „Nur zu, füttere Ajax und leg ein paar Scheite auf. Wir haben sicher auch noch eine anständige Wurst, etwas Käse und ein wenig Zwiebel im Haus. Bediene dich so wie du Hunger hast, wegen mir musst du dich nicht zurückhalten. Wenn ich könnte, würde ich für zehn essen.“ Er grinste.
Hendrik lachte. „Für zehn essen wäre, glaub ich, nicht gut. Dann platzt man.“ Er ging zu einem der Schränke und griff nach Käse, Wurst und Brot und stellte alles, gemeinsam mit zwei Holzbrettern und einem scharfen Messer auf den Tisch. Er suchte nach zwei Krügen und füllte Wasser aus einem Eimer hinein. „Weißt du, …ich würde später gern mal in der Welt rumreisen. Ich hab zu meinem Geburtstag eine Karte bekommen auf der ein großer Teil der Welt eingezeichnet ist. Die Welt ist riesig… Wusstest du das?“ Ein fasziniertes Strahlen legte sich auf seine Züge. „Brügge, die italienischen Lande, Brittanien… das ist alles winzig im Vergleich zu dem, was es noch gibt. Wir sind winzig. Nicht mal Sandkörner auf dieser Karte. Ich weiß, dass es Menschen gibt, die anders aussehen als wir: Männer mit Haut von der Farbe von Leder und solche, die so dunkel sind wie die Nacht. Es soll gestreifte Katzen geben, groß wie Kälber und Länder, die mehr Schriftzeichen haben als Bäume Blätter. Kannst du dir das vorstellen?“ Er sah Lucien fragend an. „Ich würde das gerne alles sehen.“