Vampire: Die Maskerade


Eine Welt der Dunkelheit
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BeitragVerfasst: Sa 17. Dez 2016, 12:28 
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Lucien begann zu berichten und wurde dabei von keinem der Anwesenden unterbrochen. Seine Schilderungen waren so ausgiebig wie nötig, klar und eindeutig. Über für die Obrigkeit der Lehen des schwarzen Kreuzes unwichtige Details schwieg er sich aus.
Im Anschluss begannen die vier ihn zu befragen und die blonde Frau stellte sich als Julia Antasia, Mitglied des Hofstaats von Hardestadt vor.
Eine hitzige Diskussion entbrannte bei der Lucine aufgrund der mangelnden Deutschkenntnisse nicht alles verstand. Flüche und Verwünschungen wurden ausgesprochen, sich gegenseitig hitzig oder nachdenklich widersprochen. Am aufbrausendsten schien noch Jürgen zu sein, der mehrmals heftig mit der Faust auf den Tisch donnerte während seine Linke zum Knauf des Schwertes fuhr.
Lucien bemerkte wie sich Carminus langsam an seine Seite gesellte. Seine Stimme war ruhig und in dem heftigen Disput für andere nicht zu vernehmen. „Die drei tauschen gerade ihre Meinungen aus, wie bezüglich Otto vorzugehen ist. Ihr müsst wissen, Otto ist ein einflussreicher Adeliger mit Rittern und Fußtruppen, einigen fähigen Fußtruppen und einer Schatzkammer mit mehreren Truhen Gold. So mancher…“ Sein Blick wanderte zu Jürgen. „… empfiehlt ein offenes Vorgehen mit den Waffen. Hardestadt würde dabei gewinnen, aber die Ostgrenzen wären geschwächt und das ist derzeit keine Option. Außerdem hat Otto leider tatsächlich kein Verbrechen begangen, da es ihm von Seiten des Rechtes tatsächlich gelungen ist in seinen eigenen Ländereien zu bleiben und sich der junge König freiwillig in seinen Einflussbereich begeben hat. Dann gibt es den Vorschlag seine Ghule zu vernichten oder anderweitig zu binden. Keine schlechte Idee, aber schwierig. Außerdem könnte es ihm leicht gelingen neue zu schaffen. Das Geschlecht der Welfen hat schon immer fähige Männer und Frauen, ja Könige, hervorgebracht. Dann ist da seine Schatzkammer… Ohne sein Gold wären ihm über die nächsten Jahre, vielleicht gar Jahrzehnte die Hände gebunden. Es kostet einiges, Soldaten im Sold zu haben, Burgen zu befestigen, Geld in Investitionen zu stecken… Was denkt ihr?“ Er sah zu Lucien.
Er hatte seinen Bericht abgeliefert, mehr konnte er wohl nicht tun. Es war schon mühsam genug die Fragen von Hardestadt und seiner Untergebenen zu beantworten, ohne dabei seine eigene Meinung kund tun zu dürfen. Wie alle anderen in seiner Domäne, war er es bereits doch schon ein bisschen gewohnt, das die schlussendliche Debatte auch maßgeblich von seiner Stimme und Einschätzung abhing. Doch er befand sich augenblicklich nicht in seiner Domäne, seinem ‚Knochen‘ Brügge, sondern im Einflussbereich des Schwarzen Monarchen, der mitsamt seiner Entourage wilde Diskussionen auf Deutsch führte, die er kaum bis gar nicht zu verstehen vermochte. Im Grunde sollte ihn, dass alles nichts angehen, im Grunde sollte oder könnte es ihm egal sein. Doch Otto war ein kluger und versierter Stratege, der nicht nur der nächtlichen Herrschaftsriege, sondern auch der sterblichen empfindlich schaden konnte. Hardestadt war ihm im dabei eigentlich herzlich egal, doch Friedrich und sein Nachfolger Heinrich, hatten bereits auch ohne Zutun der Unsterblichen genug Probleme bei Hofe. Zumindest sollte die beschlossene Lösung dieses Problems, keine weiteren Fährnisse oder Gefahren für ihn bergen. Gerade verkniff er sich erneut einen leicht beißenden Kommentar, als Carminus an ihn herantrat, um stückchenweise für ihn zu übersetzen und ihn freundlicherweise über den Stand der Dinge aufzuklären. Eine lange Zeit, stand der Hauptmann nur schweigend und nachdenklich neben dem Römer und wog innerlich das Für und Wider der verschiedenen Ansätze ab. Wahrlich, Lucien war kein Politiker oder Herrscher, der ganze Nationen oder die Weltpolitik bis ins kleinste Detail verstand. Er war schon froh, wenn Brügge halbwegs auf den Beinen blieb und sich in lediglich kleine verbale Dispute und die gelegentliche, kampferprobte Auseinandersetzung verstrickte. Schlussendlich aber hob er unschlüssig die Schultern.
„Ich bin kein großer Taktiker oder Stratege. Die Feinheiten der Politik dieses Maßstabs sind mir nicht nur ein Gräuel, sondern zudem ein ewiges Rätsel Carminus. Ihr wisst ja mit welchen kleinen Dingen Brügge sich des Nachts beschäftigt; ein Vergleich zu der Domäne des Schwarzen Monarchen ist da kaum möglich.“ Er öffnete kurz den Mund, schloss ihn dann aber wieder und schüttelte den Kopf. Nein, das hier war wirklich nicht einfach. „Ich will mir kein Urteil anmaßen“, sagte er schließlich. „Aber vermutlich dürfte der sorgsam geplante Weg, der stückchenweisen Reduzierung und Vernichtung der finanziellen Ressourcen unseres Gegners, einen nachhaltigen Erfolge bringen. Im Gegensatz zu den eher konfrontativen Herangehensweisen, birgt diese ein noch relativ geringes Risiko und Hardestadt kann dabei außerdem sein Gesicht wahren. Truppen und Schlachten mögen ein probates Mittel darstellen aber wir dürfen nicht vergessen, dass wir es mit einem gerissenen Ahnen und vollendeten Puppenspieler zu tun haben. Meiner Meinung nach, würde ein Krieg zu weitaus größeren, unüberschaubaren Risiken, Intrigen und Problemen führen und schlussendlich in diesem Maßstab sogar noch weitaus mehr Ressourcen verschlingen.“ Erneut hob er die Schulter und sah zu dem Mann. „Aber das ist nur die unqualifizierte Meinung eines Außenstehenden.“
Carminus schüttelte mit ernstem Gesicht, nach wie vor den heftigen Disputen der deutschen Adeligen lauschend, den Kopf. „Ihr Lucien, spielt mittlerweile lang genug das Spiel um Macht und Einfluss um einige der Grundregeln perfekt verinnerlicht zu haben. Ein wohlüberlegter Schwerthieb zur rechten Zeit mag Probleme zu lösen, aber kluges, überlegtes Handeln mag dazu führen, dass diese Probleme einen gar nicht erst behelligen müssen.“ Er sah Lucien nicht an als er weiter sprach. „Ihr wisst sicher, dass für den schwarzen Monarchen, sollte er tatsächlich über den Plan meiner Erzeugerin nachdenken, ein unbekanntes kainitisches Gesicht von jenseits der Grenzen der Lehen des schwarzen Kreuzes Gold wert ist? Eines, das man nicht sofort mit ihm in Verbindung bringt… Vor allem, wenn dieser Kainit sich durch einige herausragende Fähigkeiten auszeichnet, gewandt mit dem Schwert ist und noch dazu über eine Vergangenheit verfügt, die ihn mit den Feinheiten des Raubrittertums vertraut gemacht hat?“ Lucien bemerkte ein winziges Heben der Mundwinkel während der Ventrue nach wie vor vorgab der wütenden Ausführung Jürgens zu lauschen.

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Der Weg zum Ziel beginnt an dem Tag, an dem du die hundertprozentige Verantwortung für dein Tun übernimms.
Dante Alighieri


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Verfasst: Sa 17. Dez 2016, 12:28 


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BeitragVerfasst: Mo 26. Dez 2016, 17:17 
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Der Gangrel grinste wissend über das ganze Gesicht, während er sich ebenfalls größte Mühe gab sich nicht von der wild diskutierenden Führungsriege abzuwenden. Man wollte dem Schwarzen Monarchen und dessen Vasallen ja auch keinen Grund geben, sich misstrauisch über den flandrischen Besuch oder dessen Umgang mit Carminus zu äußern. „Wir vergessen dabei nur…“, führte Lucien sich leicht in Richtung des Ventrue lehnend aus, „… dass dieser edle Raubritter vielleicht gar nicht so große Lust hat sich zur Zielscheibe für jemanden zu machen, der ihn ohne zu Zögern für seine eigenen Interessen opfern würde. Ich mache ja gerne mal den einen oder anderen Liebesdienst für verzweifelte Kaiser und Könige, nicht zuletzt weil es auch mir gewiss irgendeine Art von Nutzen bringt. Aber was wollte mir ein Hardestadt anbieten?“
Carminus schien ein lachendes Prusten zu unterdrücken. Seine Stimme, die nach wie vor Flandrisch sprach, war für niemanden außer Lucien zu vernehmen. „Was euch der schwarze Monarch anzubieten hätte? Nun… er ist einer der mächtigsten Fürsten von ganz Europa. Offiziell wird er euch Geld anbieten und soweit mir bekannt sind die Schatztruhen Ottos gut gefüllt. Gedenkt ihr nicht die alte Festung Blenheim wieder in altem Glanz aufzubauen? Auf der anderen Seite stehen selbstverständlich Gefallen über die man offiziell nicht zu reden gedenkt, die aber doch dann und wann in naher oder ferner Zukunft durchaus ein Blatt zu wenden vermögen. Allerdings ist das alles genauso geheim wie ein gelegentlicher Jagdausflug zur Plünderung der welfischen Schatzkammer. Außerdem schätze ich Flandern, das hartnäckig an seiner Unabhängigkeit festhält nach wie vor. Hardestadt gedenkt diesbezüglich nichts zu unternehmen um an diesem Zustand etwas zu unternehmen, wofür ich den Schwarzen Monarchen sehr achte. Ob ein Otto als Herrscher über die Lehen des schwarzen Kreuzes ebenso vorzugehen gedenkt mag ich nicht sagen…“ Er sah zu seiner Erzeugerin, die mit offenen Händen den beiden Männern eine Situation zu erläutern suchte. „Aber Sabatier. Ich respektiere eure Entscheidung, wenn ihr beabsichtigt euch nicht die Hände schmutzig zu machen. Das ist nicht Flandern und das ist nicht euer Konflikt. Hardestadt, da bin ich mir sicher, wird dieses Problem über kurz oder lang lösen können.“
Der Hauptmann seufzte und zuckte mit den Schultern. Erst als er sich auch mehrfach vergewissert hatte, dass weder Hardestadt selbst noch einer seiner Getreuen ihr Gespräch verstehen oder verfolgen könnte, nickte er nachdenklich. „Oh, die Frage klang vielleicht ein wenig zu naiv, gewiss, denn wer kennt und fürchtet ihn nicht, den großen Schwarzen Monarchen? Ohne Frage besitzt er ausgedehnte Ländereien und prall gefüllte Schatzkammern und wie ihr schon so treffend erkannt habt, bin ich gerade dabei für etwas mehr schlagkräftige Sicherheit in Brügge zu sorgen. Da käme mir das Geld des Fürsten sowie das Vermögen Ottos wohl gerade recht zumal unsere Stadt selbst bei all dem gerne in den Vordergrund gestellten Reichtum, nicht über unerschöpfliche Geldreserven verfügt. Ihr habt sicher schon von unserem Domprojekt gehört?“ Er lächelte fast schon erheitert und dachte an den Begründer dieser streitbaren Idee. „Ich will nicht für eure Politik verantwortlich gemacht werden oder für irgendetwas Partei ergreifen und die Sache müsste absoluter Geheimhaltung unterliegen. Aus meiner Hilfe dürften sich keine negativen Konsequenzen für mich oder meine Stadt ergeben. Aber kann mir das Hardestadt garantieren? Könnt ihr es? Niemand kann es und die Chancen stehen nicht schlecht, dass Otto eher persönlich d.h mit mir und nicht mit Hardestadt abrechnet, wenn das alles vorüber ist. Es werden immer zuerst die Bauern vom Schlachtfeld gefegt, Carminus, auch das hat der edle Raubritter mittlerweile gelernt. Wie sollte dieser plötzliche Überfall überhaupt aussehen?“
Carminus nickte kaum merklich. „Es mag durchaus sein, dass der kleine Jagdausflug auf die Ländereien von Otto auffliegt, auch wenn absolute Geheimhaltung selbstverständlich oberstes Gebot sein sollte. So lange Otto jedoch nicht zu seiner alten Macht zurück gefunden hat, sind ihm wohl die Hände gebunden. Und wenn er tatsächlich gegen jemanden zu Felde ziehen wünscht, dann sicher Hardestadt, den Urheber der Angelegenheit, und nicht einen französischen Hauptmann, da könnt ihr euch sicher sein.“
Es dauerte eine Weile lang, in der Lucien abermals nachdenklich und grübelnd die gegebene Situation und die näheren Umstände überdachte. Einerseits war es ein verlockendes und interessantes Angebot, nicht zuletzt auch deswegen, weil er sich in gewisser Weise an Otto für den Angriff auf Francesca revanchieren wollte. Andererseits spielte er eine tragende Rolle in einer Schlacht bzw. Intrige, von der er nur indirekt profitierte und dessen Erfolg ihm nur nebensächlich im Hinblick auf seine eigenen Interessen dienlich war. Schlussendlich nickte er aber zaghaft. „Man könnte darüber reden, sollte die Entschädigung entsprechend ansprechend ausfallen. Hoffentlich wird sich das nicht nachträglich als so schlechte Entscheidung erweisen, wie es sich im Augenblick anfühlt.“
„Denkt darüber nach und lasst euch Zeit. Ich vermute, es wird mindestens drei Tage Zeit in Anspruch nehmen bis ein tragbarer Konsens gefunden werden wird. Und dann müssen die Männer dazu ausgewählt werden. Vielleicht setzt sich auch Jürgen durch…“ Ein Fingerzeig ging in die Richtung des schwarzhaarigen Sachsen, der erneut mit der Faust auf den Tisch hämmerte so dass die Steine, die eine Landkarte an ihrem Fleck hielten, polternd zu Boden rollten. „… und es gibt ein Scharmützel… Wer weiß… Teilt mir eure Entscheidung mit. Der Knappe Piak des Erzherzogs von Franken ist mein Mittelsmann, wenn ihr Kontakt aufzunehmen wünscht.“
Lucien machte eine langsame aber doch deutlich erkennbar ablehnende Handbewegung. „Das wird nicht nötig sein, Carminus. Ich habe mich bereits entschieden. Sollten sich die edlen Herren auf die entsprechende Vorgehensweise einigen können, so stehe ich zu Verhandlungen meiner Entlohnung betreffend zur Verfügung. Falls nicht, nun… dann habe ich immerhin noch ein paar nette Nächte beim Kaiser verbracht, dessen Auftrag ich ja bereits zu einem erfolgreichen Abschluss führen konnte. Drei Tage sind keine besonders lange Zeit, die ich auch noch zu warten bereit wäre, da ich ohnehin jemandem versprochen habe, mir mit ihm Aachen anzusehen. Sobald eine Entscheidung getroffen wurde, könnt ihr mich ja darüber unterrichten.“ Sein Blick glitt über die noch immer energisch debattierenden Kainiten. „Ich glaube, es ist nicht wirklich notwendig, dass ich mich in aller Förmlichkeit verabschiede, oder?“, fragte er ein wenig schmal lächelnd. Selbst wenn er sich an einer gekonnten Verbeugung versucht hätte, wäre es wohl weder Hardestadt noch den anderen Anwesenden aufgefallen. So drehte er sich nur um und klopfte Carminus auf die Schulter. „Ruft mich, wenn es Neuigkeiten gibt.“ Dann verließ er möglichst leise und unauffällig die Ratskammer und machte sich auf den Weg zu seiner Absteige.
Noch während er durch die Gassen Aachens ging verspürte er den Hunger, der sein Tier an die Oberfläche rief. Er machte sich auf die Jagd und fand einen jungen Handwerksgesellen, der sich in einer Ecke erleichterte und daher wenig Aufmerksamkeit auf seinen Rücken legte und eine Magd, die in einem Garten gerade nach Hühnereiern suchte und nahm sich das, was er brauchte. Gutwillig sah er zu, wie beide danach wieder etwas verwirrt ihrer Arbeit nachgingen.
Erst als er vor sich das große Anwesen des russischen Händlers erblickte, in dem Alida und ihr Erzeuger unter gekommen waren, bemerkte er, dass er verfolgt wurde. Hinter ihm waren hastige Schritte zu hören, jemand stolperte über einen der Steine im Straßenpflaster.
Nun es gehörte in seinem Unleben ja mittlerweile fast zum guten Ton einen heimlichen Verehrer zu haben, der einen unliebsamer Weise auf Schritt und Tritt verfolgte. Das war das Los der Politik, die mittlerweile auch Brügge des Öfteren mit voller Wucht erreichte und derer man sich nur schwer erwehren konnte. Allerdings stellt sich der Spion in spe als sehr ungeschickt heraus, zumindest was das trippelnde Stolpern über die Pflastersteine vermuten ließ. Er verbarg sich in einer dunklen Häuserecke, um den Besucher mit seiner ganz besonders charmanten Art zu überraschen.
Es dauerte nur wenige Sekunden bis die Gestalt, die in einen dicken dunkelblauen Mantel gehüllt war, an ihm vorbei huschte ohne ihn zu bemerken. Er schien etwas überrascht, dass der Hauptmann auf der Straße nicht mehr zu erkennen war. Eine zögernde, etwas ängstliche Stimme war zu hören. „Meister Sabatier? Seid ihr hier irgendwo?“
Lucien rollte die Augen über und ob der linkischen und ganz und gar ungeschickten und wenig heimlichen Bewegungen hatte er bereits einen festen Verdacht, als er den eingehüllten Verfolger von hinten auf die Schulter tippte. „Im Zweifelsfall immer hinter dir“, raunte er zugegeben etwas belustigt.
Der junge Mann zuckte zusammen als hätte Lucien statt der Hand einen scharfen Dolch verwendet. „Oh Herr sei…“ Mit Mühe beherrschte er sich und drehte sich auf dem Absatz. Tatsächlich erkannte Lucien den blonden, helläugigen Magierlehrling.

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„Verzeiht. Ich wollte euch nicht eure Nacht verderben. Ihr seid mit Sicherheit äußerst beschäftigt…“ Er sah sich in der Straße und der dunklen Seitengasse um als erwarte er dort zerfleischte menschliche Opfer zu sehen. „Meister Aleister schickt mich…“
Lucien lächelte verzeihend und schüttelte sachte den Kopf. Als ob irgendjemand noch tatsächlich in ihm eine Bedrohung sah. Natürlich gefiel es ihm den gelegentlich völlig unbedarften Sterblichen einzuschüchtern, vor allem da ja nur er allein wusste, wie viele noch viel scheußlichere ‚Monster’ sich abseits von ihm selbst da draußen tummelten. Aber zugegeben war es auch immer ein wenig mühsam eine Konversation aufrecht zu erhalten, wenn der Gegenpart sich fast in die Hose machte. Sein Blick folgte dem des Jungen und blieb dann wieder auf ihm haften: „Du störst mich nicht, ich hab bereits gegessen, danke.“ Im selben Moment, erkannte er selbst das diese Wortwahl vielleicht etwas unbeholfen und inadäquat gewählt sein mochte. Er half sich mit einem Räuspern. „Meister Aleister? Wunderbar. Dann ist Francesca aufgewacht nehme ich an? Wie fühlt sie sich?“

Die Worte schienen den Lehrling tatsächlich etwas zu beschwichtigen. „Der Kriegerin geht es deutlich besser. Sie hat sich entgegen Meister Aleisters Empfehlung schon wieder in die Kaiserpfalz begeben. Sie meinte, rumliegen oder sitzen und sich erholen könnte sie dort auch.“ Er seufzte, als hätte er die Worte des Magiers in den Ohren.
„Der Meister wünscht, dass ich euch das hier gebe. Er hat es im Auftrag des Kaisers angefertigt. Meister Aleister meinte, wenn ihr es zu euch nehmt, solltet ihr darauf achten es nicht dann zu verwenden, wenn am nächsten Tag Stunden der Gefahr drohen mögen. Es hält sich allerdings nur drei Tage…“
Der Junge überreichte dem Gangrel einen kleinen Flakon. Darin war ein winziger Wassertropfen zu erkennen.

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Luciens Stimmung schien sich gleich um ein gutes Stück zu verbessern, als er von Francescas energischer Behandlungsflucht hörte. Die Dame hatte nicht nur eine ungeheure Kampfstärke in ihrer monströsen Wolfform, nein. Auch ihr Selbstbewusstsein und ihre Sturheit, übertrafen alles was er bisher gesehen hatte. „Gut zu wissen, dass unsere Kriegerin wieder auf dem besten Wege ist sich vollständig von ihren Blessuren zu erholen. Ich werde sie wohl kurz besuchen müssen um mich selbst davon zu überzeugen.“ Anschließend nahm Lucien den kleinen, unscheinbaren und doch hübsch angefertigten Flakon entgegen; drehte den noch seltsameren Inhalt im Mondlicht. „Das ist sehr freundlich vom Kaiser als auch von eurem Meister, mein lieber Helmut, aber um was handelt es sich hierbei? Ich denke nicht, das es lediglich Wasser ist, nicht wahr?“ Seine Augen suchten den Blick des Jungen und verlangten offenbar nach einer näheren Erklärung.
Helmut presste die Lippen aufeinander und schien mit sich zu ringen ob er wirklich mit diesem möglicherweise gefährlichen Kainiten reden oder das Gespräch schnellstmöglich beenden wollte. Anscheinend entschied er sich schließlich doch für Ersteres. „Meister Aleister hat gemeint, ich müsse nicht immer alles wissen, als ich ihn danach gefragt habe. Ich wollte wissen ob es etwas sehr Wertvolles wäre, aber er sagte, ich würde absolut nichts damit anfangen können. Aber ihr solltet es anwenden. Sonst würd‘ er sich grün und blau ärgern, weil die Herstellung alles andere als einfach gewesen sei. Na ja… er hat das natürlich anders ausgedrückt.“ Anhand von Helmuts etwas skeptischem Gesichtsausdruck konnte Lucien schlussfolgern, dass Aleister wohl einiges an heftigen Gesten und Kraftausdrücken verwendet hatte.
Der Gangrel nickte und verstaute den filigranen Flakon in der Innentasche seines Wamses, während seine Lippen ein amüsiertes Lächeln umspielte. „Ich bin mehr als überzeugt davon, der Meister hat seinen Standpunkt aus- und eindrücklich dargelegt. Dann wird mir wohl nichts anderes übrig bleiben, als ihn selbst zu fragen. Danke Helmut.“ Er sah den Jungen noch eine kurze Weile lang an, als wüsste er gar nicht so recht, was er dem Lehrling noch mitteilen wollte. Dann aber griff er abermals in die Innenseite seines Wamses und fischte aus einem kleinen Lederbeutel ein paar Münzen und drückte sie dem Knaben in die Hand. „Kauf dir was Schönes dafür Junge; einen schönen Abend noch.“ Er wandte sich schon um, als er noch einmal knapp innehielt. „Und danke an Meister Aleister, wobei er mir, wenn er schon dir nichts Genaues verraten will, wenigstens eine Gebrauchsanweisung mit auf den Weg geben sollte.“ Mit einem weiteren knappen Lächeln, stapfte er davon.
Helmut schüttelte mit dem Kopf als Lucien ihm die Münzen reichen wollte als würde es sich die Silberlinge des Judas höchstpersönlich handeln. Dann wirkte er etwas verlegen. „Danke, aber ich hab‘ alles, was ich brauche.“ Er sah zögernd zu Lucien auf. „Meister Aleister hat gemeint, bei dem Elixier gäb’s nichts Besonderes zu beachten. Wahrscheinlich soll das heißen, eine orale Applikation sollte genügen.“ Er spähte in Richtung des Fläschchens. „Ist ja auch nicht besonders viel drin…“
„Wenn er mich umbringen wollte, dann hätte er das auch einfacher haben können“, schmunzelte Lucien belustigt vor sich hin und nickte beinahe beruhigend in Richtung des Jungen. Er sah es nicht als persönlichen Affront, dass der Lehrling die Münzen nicht annahm, immerhin war der Knabe einer der wenigen, der noch einen ‚gewöhnlichen’ Umgang mit allem Übernatürlichen pflegte: Helmut war ängstlich, misstrauisch und vorsichtig. Genau so würde man es wohl erwarten, aber hier in Aachen tickten die Uhren für viele offenbar anders. Lucien klopfte ihm daher nur abschließend auf die Schulter und wandte sich ab. „Das mit dem Trinken ist immer so eine Sache, meistens geht das nach hinten los, aber damit musst du dich nicht weiter belasten. Richte deinem Meister meinen Dank und beste Wünsche aus.“ Dann setzte er sich endgültig in Bewegung und zog, als er um eine Häuserzeile gebogen war den Flakon hervor. Er müsste völlig wahnsinnig sein, aus irgendwelchen ominösen Gefäßen zu trinken, das widerliche, heilige Blut hatte ihm da eine schmerzhafte Lehre erteilt. Andererseits hatte wohl das damalige Flüstern des Kaisers mit Aleister und dem Elixier zu tun; möglicherweise hatte der Fürst den Magier sogar darum gebeten. Gab es einen Grund für den Kaiser, den Gangrel nach Ausübung seines Dienstes zu liquidieren? Sollte Aleister ihm Übles wollen? Beides musste er aufgrund seines derzeitigen Wissensstandes verneinen, aber man wusste nie, welche Intrigen und komplexen Spinnennetze der Politik und Macht die Leute in Aachen antrieben. Er schüttelte den Kopf und hätte gerne zunächst Francesca besucht, die ja über eine geradezu brachiale Ehrlichkeit verfügte. Da es dafür in dieser Nacht zu spät war, machte er sich wieder auf in seine Zuflucht.
In der Zuflucht angekommen, unterhielt er sich noch eine kurze Weile mit Hendrik und klärte ihn über die näheren Umstände seines Fernbleibens auf; verriet dabei aber keine zu abendfüllenden Details. Er schloss mit den Worten: „… und morgen können wir uns dann abends die Stadt ansehen, wenn du willst. Zunächst werde ich wie gesagt noch den einen oder anderen Besuch erledigen müssen, aber dann habe ich alle Zeit der Welt um gemeinsam mit dir die Gegend zu erkunden. Bisher bin ich ja auch noch nicht wirklich dazu gekommen.“
Hendrik sah sehr erfreut aus. Er strahlte ihn bei dieser Aussicht an, verzog dann jedoch grübelnd die Lippen. „Aber du hast gerade erzählt, dass es morgen am Hof ein Fest geben wird für den jungen König. Musst du denn dann nicht da hin? Dann hast du doch keine Zeit um die Stadt entdecken zu gehen.“
Der Gangrel überdrehte die Augen und nickte stöhnend. „Ah, du hast recht. Das habe ich wohl einfach vergessen oder verdrängt. Ich mache mir ja nicht besonders viel aus solchen Festen.“ Er wuschelte dem Jungen durch die Haare. „Dann wohl übermorgen, versprochen. Der Kaiser hat mich persönlich eingeladen und da ich nicht glaube, dass es ihm dabei lediglich um Gesang und Tanz geht, werde ich wohl erscheinen müssen. Schaffst du es noch einen Tag zu warten, Hendrik?“
Der dunkelblonde Junge wirkte ungewohnt zuversichtlich. „Klar. Vielleicht hat ja jemand anders Zeit. Heute hat mich Meister Girland mitgenommen. Anja ist nämlich krank. Allerdings redet der fast nur Russisch und das kann ich nicht.“ Er nickte und sah aus dem Fenster. „So ein Fest ist bestimmt was Tolles. Aber ich glaub, ich mag nicht, wenn da zu viele Leute sind, die ich nicht kenne.“
Der Hauptmann nickte respektvoll. „Sieh mal einer an, der Haushofmeister von Victorovich persönlich macht eine Stadtführung mit dir; allerhand. Aber auch wenn er nur Russisch spricht, ich glaube Girland ist im Grunde kein schlechter Reiseführer. Sein Meister kommt ja als Händler doch ganz schön in der Weltgeschichte herum und kann dir da sicher einiges zeigen und erzählen. Und du kommst mal raus, auch wenn deine Aufpasserin krank im Bett liegen sollte.“
„Meister Girland hat keine Stadtführung mit mir gemacht. Er hat sich mit anderen russischen Männern getroffen und mich mitgenommen. Aber ich hab keine Ahnung wovon die geredet haben.“
Der Gangrel erhob sich langsam und streckte die untoten Glieder, bis die Knochen knackten. „Auf dem Fest werde ich auch kaum jemanden kennen und mir gefällt es auch nicht, in all die fremden Gesichter blicken zu müssen und mich ebenfalls von allen anglotzen lassen zu müssen.“ Er seufzte, während er seine Schritte auch schon wieder in Richtung seiner Kammer lenkte. „Aber ich kann es wohl nicht ändern; du wirst morgen sicher den schöneren Tag haben Hendrik.“ An der Tür angekommen, lugte er noch einmal zwischen der massiven Holztür hervor und zog die Brauen kraus. „Was ist eigentlich mit Belinkov und Alida? Egal wie lange ich weg bin oder wann ich zurückkomme, die beiden scheinen nie hier zu sein?“
Hendrik wirkte etwas betroffen. „Ja, die sind irgendwie immer weg. Ich weiß auch nicht, mit wem die sich treffen.“ Der Junge sah hinter Lucien her. „Schlaf gut.“
Lucien nickte knapp und kratzte sich über den stoppeligen Bart. „Hm, naja immer noch besser als den ganzen Tag hier zu verbringen.“ Über die blonde Händlerin konnte er sich nur gemeinsam mit Hendrik wundern und zuckte mit den Schultern. „Ich glaube die beiden haben nur einfach ganz besonders viel zu tun in Aachen. Wir dürfen nicht vergessen, dass sie beide ein Handelsunternehmen leiten und darüber hinaus noch… andere Interessen teilen. Schlaf gut Hendrik, wir sehen uns.“
Bevor er sich in sein ausladendes aber nur gutbürgerliches Bett fallen ließ, hielt er noch einmal den Flakon mit der durchsichtigen Flüssigkeit vor seine Augen und schwenkte den kargen Inhalt. Mit einem Seufzen entkorkte er ihn und nippte an dem magischen Elixier, das wunderlicherweise nach überhaupt nichts schmeckte. „Wie Wasser…“, brummelte er vor sich hin als die Müdigkeit ihn schon langsam übermannte. Aber was immer es war, es würde ihn entweder umbringen oder aber wahrhaftig wunderliche Dinge anstellen, die er sich nicht im Entferntesten ausmalen konnte. „Merkwürdiges Zeug trinken wird noch mal mein Tod werden…“, raunte er als er langsam in einen totenähnlichen Schlaf verfiel.

Lucien wurde von einem zögernden Klopfen an die Zimmertür geweckt. Einige Augenblicke verharrte das Geräusch um dann erneut vernommen zu werden. Der Hauptmann konnte die leise Stimme von Hendrik hören. „Lucien? Bist du wach?“
Er wälzte sich noch etwas benommen von einer Seite auf die andere, dann öffnete er die Augen und rutschte wie ein nasser Kartoffelsack an die Bettkante, wo er sich mit den Händen die Augen rieb, gähnte und etwas unbeholfen auf die Tür zugetrottet kam. „Ja Hendrik… ich bin wach. Was gibt es denn?“ Lucien verbot sich selbst die Türe vollständig zu öffnen, denn es war klar dass schon der geringste Sonnenstrahl von außen den schmerzvollen Tod bedeuten könnte. Verwundert sah er sich im Raum um. „Wie spät ist es?“, fragte er zögerlich.
Hendrik öffnete die Tür einen winzigen Spalt und ein Streifen helles Sonnenlicht fiel in den Raum in dem die winzigen Staubpartikel flirrten. Er steckte vorsichtig den Kopf durch die Tür. „Viel zu früh für dich, so kurz vor Mittag, aber da draußen steht ein Mann, der meint, sein Meister hätte ihm aufgetragen sich danach zu erkundigen. Ich hab ihm gesagt, dass du nie so früh wach bist, weil du durch deine Arbeit immer in der Nacht zu tun hast, aber der hat darauf bestanden, dass ich nachschauen gehe. Du bist also wirklich schon wach?“ Hendrik sah ihn ungläubig an.
Lucien wirkte überrascht und völlig auf dem falschen Fuß erwischt. Sein Blick glitt an sich selbst herab, betrachtete einzelne Finger und seine Kleidung. Nein, er war noch immer er selbst, auch wenn ihm langsam über ein eindrucksvoll verändertes Körpergefühl, die Wahrheit über das magische Elixier des Meisters Aleister zu dämmern begann. Er war zu Mittag wach und fühlte sich kein bisschen schläfrig, seine Hände waren warm und merkwürdig leicht. Dann erst erkannte er, dass er atmete als wäre es eine Selbstverständlichkeit. Als er die Luft anhielt, spürte er schon nach wenigen Augenblicken das drängende Verlangen seine Lungen mit Sauerstoff zu füllen und war beinahe entsetzt über das Klopfen seines Herzens. Das krönende Finale, stellte der ultimative Test dar: Er hielt seine Hand in den Sonnenstrahl. Selbst wenn es ihn verbrennen könnte, würde er aufgrund seiner Zähigkeit die paar Sekunden notwendigen Schmerz ertragen, um sich ganz sicher sein zu können. Als seine Haut nichts weiter als die angenehme Wärme fühlte, die ihm unter die fast schon rosige Haut kroch, zog er die Hand zurück. Zum Teufel, Aleister hatte ihn wieder sterblich gemacht. Wer verfügte über so eine Macht? An Hendrik gewandt meinte er nur perplex. „Ja ich bin scheinbar schon wach… und es irritiert mich über alle Maßen…“ Erneut schüttelte er den Kopf und setzte sich wackelig auf die Bettkante. „Bitte den Besuch doch herein“, brachte er belegt hervor und hatte sich noch niemals so verwundbar gefühlt.
„Hm…“ Hendrik verzog skeptisch den Mund und kam dann etwas unschlüssig näher. „Ich…“ Er schien nicht recht zu wissen, wie er anfangen sollte. „Ich dachte immer, du wärest jemand, der… hm… Tageslicht nicht so mag.“ Er blieb zögernd vor Lucien stehen und streckte schließlich die Hand aus und berührte seinen Arm. „Eigentlich warst du immer kalt…“

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Der Gangrel nickte. „Nun, so war es bisher auch“, gab er bekräftigend zurück. „Aber der Kaiser hat mir wohl eine Belohnung zukommen lassen durch jemanden der…“ Er stockte kurz und schien nach den passenden Worten zu suchen. „… jemanden, der in den magischen Künsten geschult zu sein scheint. Ein Elixier von durchsichtiger Farbe und keinerlei Geschmack. Ich nahm es gestern zu mir und ich glaube…“ Seine Augen streiften Hendriks Blick. „Es hat mir… meine… Schwächen genommen. Wie immer das auch möglich sein kann.“
Hendrik sah Lucien fragend an. Er schien vorsichtig zu sein. „Bist du ein Kainit?“ Das letzte Wort war nur geflüstert.
Der Gangrel fixierte den Jungen prüfend und einschätzend, schließlich aber nickte er langsam und bedächtig. Irgendjemand musste es ihm schlussendlich doch noch erzählt haben. In welchem Umfang, darüber konnte der Hauptmann nur spekulieren aber immerhin hatte sich jemand seine Worte zu Herzen genommen. „Ja…“, gab er gleichsam vorsichtig von sich.
Hendrik kaute nachdenklich auf der Unterlippe bevor er weitersprach. Er schien darauf bedacht zu sein die richtigen Worte zu finden als er langsam die Finger wieder zurück zog. „Ein Kainit und Sonnenlicht. Das ist nicht gut… Aber ihr seid doch viel stärker als die ganzen Menschen, die nur ihrem Tagwerk nachgehen ohne irgendetwas zu verstehen… oder verstehen zu wollen. Ihr seht besser, seid stärker, könnt Dinge, die normale Leute nie können werden und habt mehr Erfahrung…“ Er sah Lucien fragend an. „Oder?“
Ein leichtes Schmunzeln zauberte sich auf die Lippen des Hauptmanns und er wog den Kopf nach links und rechts. „Das ist, glaube ich, wirklich nicht einfach zu beantworten, Hendrik. Natürlich sind die Kainiten den Menschen in vielerlei Hinsicht weit überlegen. Wir altern nicht, wir sterben nicht auf natürliche Art und Weise, wir vermögen unvorstellbare Dinge zu tun.“ Lucien seufzte. „Aber wir tun auch eine Menge sehr schlimmer und verdammenswerter Dinge, schließlich müssen wir zusehen, dass wir die Ewigkeit mit irgendetwas…. ausfüllen.“ Er erhob sich von der Bettkante und griff nach seiner Kleidung; begann sich langsam anzuziehen. „Aber man gibt auch eine Menge auf. Das Tageslicht zum Beispiel oder die Möglichkeit zu Essen und zu Trinken, Kinder und Familie. Ob es ein Fluch ist oder nicht – du wirst so viele Antworten und Meinungen dazu erhalten, wie es Vertreter unserer Art gibt. Für mich…“ Er pausierte. „…kommt es etwas überraschend und sicher hat es auch enorme Nachteile, aber ich kann mich jetzt ausnahmsweise an den Tisch setzen und all die guten Sachen Essen, auf die du dich auch immer freust.“ Lucien grinste den Jungen aufmunternd an.
„Das mit dem Essen ist natürlich doof… Aber wenn ich mal groß bin, möchte ich auch Kainit werden.“ Er nickte zögernd. „Ich glaub, der Mann möchte nicht reinkommen. Er sieht nicht wirklich gut aus. Ist ziemlich blass um die Nase.“
Lucien sah ihn für einen Moment geradezu entsetzt an, ließ seine Züge dann aber wieder in ein wohlwollendes Lächeln übergehen. Er schnürte die Stiefel. Hendrik war noch ein Kind, was es wirklich hieß oder bedeutete als Untoter durch die Nacht zu wandeln, konnte ihm wohl noch niemand wirklich begreiflich machen. Natürlich sah der Knabe nur die schönen Seiten voller Vorteile und grenzenloser, übermenschlicher Macht. Was immer man ihm erzählte, es wäre lediglich ein weiterer Ansporn; ja eine geradezu fantastische Abenteuergeschichte. So griff er sich im Vorbeigehen den Waffengürtel, schnallte ihn sich an, um dann Hendrik noch einmal behutsam auf die Schulter zu klopfen und sich zu ihm hinunter zu beugen. „Darüber reden wir noch mal, wenn du größer bist. Und jetzt sehen wir uns das Käsegesicht vor der Tür an.“ Seine Knochen noch einmal reckend, ging er voran und trat ins von hellem Sonnenlicht durchflutete Zimmer. Die Panik war für kurze Augenblicke grenzenlos, doch dann stand er einfach nur da genoss den hellen, wärmenden Schein; schloss die Augen.

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Lucien fand den Weg zum Hauptportal ohne Mühe. Immer wieder kreuzte ein russischer Bediensteter seine Wege, der ihn etwas iritiert ansah, dann aber wieder seiner Arbeit nachging ohne den Fremden aus Flandern weiter zu beachten. Der Freund eines Gastes des Hausherren, der in wenigen Tagen wieder abreisen würde- da war weiteres Interesse wohl vergeudet. Hendrik folgte Lucien auf dem Fuße. Ganz offensichtlich war der Junge mehr als nur gespannt auf das Zusammentreffen der beiden Männer. Er kniff im Gegensatz zu Lucien geblendet die Augen zusammen als er hinter dem Hauptmann durch die lichtdurchfluteten Gänge trabte.
Am Hauptportal angekommen stemmte er die Hände in die Hüften und wirkte sehr zufrieden. Er war wieder sterblich, wenn auch nur für kurze Zeit und konnte all die Dinge machen, die ihm für Jahrzehnte verwehrt geblieben waren. Gewiss trug es auch ein Risiko mit sich aber für ein paar Tage wieder die Freuden der Sterblichkeit genießen, war ihm jedes Risiko wert. Tief sog er die Luft ein und sah sich nach dem Besucher um.

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Erneut erblickte Lucien am Eingangsportal den jungen Magus, der ihm letzte Nacht die Flasche überreicht hatte. Als er Lucien erkannte fiel ihm die Kinnlade herunter und er starrte den Gangrel mit weit geöffneten Augen an. Ganz offensichtlich hatte er wohl mit vielem gerechnet, aber nicht damit, dass der Angeforderte tatsächlich erscheinen würde. Hendrik trat einen Schritt nach vorne. „Du hattest wohl doch recht. Er ist schon wach.“
Mit noch immer geöffnetem Mund schüttelte Helmut ungläubig den Kopf.
Breit grinsend und kopfschüttelnd baute sich der Hauptmann vor dem Jungen auf. „Nun, was soll ich dir sagen, Helmut? Du hattest wohl auch nicht angenommen, dass ich das Elixier deines Meisters so ohne weiteres trinken würde. Und noch viel weniger, dass es eine so unglaubliche Wirkung zeigen würde. Ich kann nur sagen, dass er uns beide wirklich überrascht hat.“ Respektvoll und bekräftigend, nickte er dem Jungen zu. „Wenn du weiter von Meister Aleister lernst, wirst du eines Tages einer der mächtigsten deiner Zunft, das steht ohne Zweifel fest.“ Abgelenkt, ließ er dann den Blick kurz in Richtung Hendrik gleiten. „Oh verzeiht mir, das hier ist Hendrik. Hendrik, das hier ist Helmut. Der Junge ist Lehrling bei…“ er verfiel in einen Flüsterton „…. einem Zauberer.“ Wie zur Unterstreichung seiner Worte, zwinkerte er ihm verschwörerisch zu.
Hendrik nickte als würden ihn die Worte nicht weiter verwundern. Er verbeugte sich leicht und lächelte dem Anderen aufmunternd zu.
Helmut hatte Mühe sich wieder zu sammeln. „Ich dachte immer…“ Er trat einen Schritt zurück. „Meister Aleister hat mich geschickt. Er hat gemeint, ich soll veranlassen, dass man euch wecken lässt. Ich hab nicht verstanden, warum er eine solch irrwitzige Tat von mir verlangt hat und hatte schon Angst, ich wäre so weit in seiner Gunst gefallen, dass er mich zu guter Letzt doch noch einem Kainiten zum Fraß vorsetzen lassen wollte. Da hab ich mich wohl glücklicherweise geirrt. Ihr seid tatsächlich wach…“
Lucien lachte und hatte tatsächlich Mühe sich selbst wieder unter Kontrolle zu bringen. Diese entzückende Furchtsamkeit des jungen Helmut war mehr als erheiternd. Vor allem da Hendrik, der um einiges jünger war, noch nicht einmal mit der Wimper zuckte. Da wurde einem der Unterschied von Hendrik zu anderen Menschen noch einmal direkt vor Augen geführt, selbst dann noch, wenn Helmut bei Meister Aleister in die Lehre ging. „Ich werde dich nicht fressen“, meinte der Gangrel amüsiert. „Nicht, dass ich das überhaupt in meiner derzeitigen Verfassung noch könnte und ja: Ich bin mehr als wach. Du kannst deinem Meister ausrichten lassen, dass sein Elixier buchstäblich Wunder gewirkt hat.“
Helmut nickte nach wie vor irritiert. „Ich werde ihm eure Worte ausrichten. Gehabt euch wohl. Äh… guten Tag.“ Der junge Mann machte auf dem Absatz kehrt und tat einige Schritte, die nur mit Mühe in normaler Geschwindigkeit gesetzt wurden. Lucien konnte sich schon denken, dass er sobald er um die nächste Gasse gebogen war, zu rennen beginnen würde. Mit einem Mal blieb der junge Magus jedoch stehen und drehte sich noch ein Mal zu ihnen um. „erlaubt mir eine Frage, Meister Sabatier…“ Er schwieg als würde er überlegen, ob er weiter reden sollte. „Kennt ihr eine Frau namens Alida? Blond, mit holländischem Akzent.“
Lucien zog die Augenbrauen zusammen und der amüsierte Gesichtsausdruck ob der linkischen aber gutherzigen Art des jungen Helmut, wich einer plötzlichen Besorgnis. „Ich kenne Alida van de Burse sehr gut, möchte ich sagen. Es gibt neben ihr nur noch eine Handvoll Leute, die ich gleich gut oder besser kenne. Warum? Ist etwas… passiert?“ Sein Blick wurde nachdenklich. „Sprich Helmut“, forderte er den Jungen auf.
Helmut schüttelte den Kopf. „So ist der Kreis der Kainiten sich untereinander durchaus bekannt… Lebt… Existiert sie noch?“
Hendrik wollte schon vorpreschen um etwas zu sagen, aber die Anwesenheit des erwachsenen Lucien ließ ihn schweigen.
Lucien deutete dem Jungen näher zu treten; die Mittagsstunde war bei Gott kein Ort an dem man diese Thematik in aller Öffentlichkeit über die gut besuchte Straße hin und herrief. Erst als Helmut nahe an den Hauptmann herangekommen war und Hendrik sich an dessen Seite selbst im Zaume hielt, legte Lucien die Hand auf die Schulter des Magierlehrlings. „Alida van de Burse ist eine sehr gute Freundin von mir, ebenso von Hendrik.“ Er nickte in die Richtung des Jungen. „Und was wir beide wissen, sollte sie noch existieren und nicht vernichtet sein. Also wenn es etwas gibt, das du uns sagen willst Helmut, dann tu das bitte Junge.“ Sein Blick fixierte eindringlich den des Lehrlings.
Helmut fuhr zusammen als Lucien seine Schulter berührte als habe er sich verbrannt. Er fixierte Hendrik ungläubig bei den Worten des Hauptmanns, sah diesen dann fest an und schüttelte den Kopf. „Nein, sie ist mir zu Beginn des Jahres unter recht ungünstigen Umständen begegnet. Richtet ihr Grüße aus, wenn ihr der Dame eines Tages begegnen solltet. Gehabt euch wohl.“ Er verbeugte sich vorsichtig. Dann verschwand er in den Straßen Aachens.
Der Hauptmann nickte und ließ den Jungen ziehen; sah ihm noch eine Zeit lang hinterher. „Hm. Ich glaube die Grüße solltest wohl besser du Alida ausrichten. Mir fiele nicht ein, dass ich den Jungen zuvor schon einmal gesehen habe. Sie muss ihm wohl demnach im Osten begegnet sein, was wie er ja bereits so treffend sagte, eher ungünstige Umstände waren.“ Nach einer Weile hob Lucien die Schultern. „Naja…. Ich für meinen Teil besorge mir jetzt mal ein anständiges Mittagessen. Hast du Hunger?“
Hendrik wirkte etwas verlegen. „Beim Fest gibt es bestimmt ganz viele tolle Sachen zu essen. Ich muss Girland helfen. Er hat gesagt, in der Bibliothek von dem Händler wo wir wohnen gibt es eine wichtige Karte, die wir suchen müssen und er braucht mich dabei.“ Lucien war sofort bewusst, dass das ein gekonntes Beschäftigungsmanöver des Majordomus sein musste, aber offensichtlich schien es zu funktionieren- Hendrik war Feuer und Flamme. „Vielleicht können wir ja, wenn du wieder da bist, was machen?“
Der Junge wartete Luciens Antwort ab und verschwand dann wieder im Inneren des Gebäudes. Ganz wohl schien er sich hier draußen bei Tag nicht zu fühlen.

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BeitragVerfasst: Mo 9. Jan 2017, 17:09 
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„Sicher“, meinte der dunkelhaarige Mann nicht ohne ein verhaltenes Schmunzeln. Girland war offenbar genau der richtige, wenn es darum ging dem jungen Hendrik eine sinnvolle Aufgabe zu geben und ihn gleichzeitig zu beaufsichtigen. Alte Karten und Legenden, fremde Länder und Kulturen; mehr brauchte es nicht um die Neugier des kleinen van de Burse zu wecken. Nun, irgendwie schien diese Leidenschaft in allen Mitgliedern der Familie zu schlummern, ein stilles Zeugnis davon, dass der Knabe seine Herkunft niemals würde leugnen können. Er sah ihm noch eine Weile hinterher und wandte sich dann der hell erleuchteten Straße zu; tat einen tiefen Atemzug um seine Lungen zu füllen. Die Sonne war warm und er musst einige Male blinzeln, bevor er sich nach und nach an die Umgebungshelligkeit gewöhnt hatte. Atmung, Sonnenlicht, reflexives Blinzeln, ja selbst die Schwere und Kälte in seinen Gliedern schien verschwunden und sein Herz pochte in regelmäßigem Takt. So seltsam es für ihn das erste Mal gewesen war tot zu sein, so seltsam schien ihm nun das Leben. Wie lange hatte er all das hinter sich gelassen? Es waren wohl Jahrzehnte. Der Gangrel streckte sich und schritt durch die belebten Straßen, lauschte dem Lachen und Raunen, den Stimmen der Kaufleute und dem Getratsche der Marktweiber. Fast war es schon surreal: All diese Dinge passierten auch in Brügge nur eben genau dann, wenn er sich zur Ruhe begeben hatte. Eine kleine Stimme in seinem Hinterkopf, mochte es animalischer Instinkt oder simple, über die Jahre gepflegte Paranoia sein, hieß ihn Vorsicht walten zu lassen – immerhin war er sterblich. Und genauso wie dieses kostbare Geschenk, das beinahe an ein Wunder grenzte, etwas Wundervolles und sicherlich Einmaliges war, so könnte es retrospektiv betrachtet auch eine simple Taktik sein. Eine Strategie um sich seiner zu entledigen, ohne Klauen und eiserne Härte befürchten zu müssen. Menschen waren schwach und fragil; wie einfach wäre es ihn als Mensch auszuschalten, gerade jetzt da es reichlich Auswahl an Übernatürlichen in Aachen gab? Lucien schüttelte den Kopf und kämpfte diese giftigen Gedanken zurück in die hintersten Winkel seiner Gedanken. Für den Moment, wollte er dieses zweifelhafte Wunder in vollen Zügen genießen.

Es dauerte nicht lange, da fand er eine ansprechende Wirtsstube, die er guten Mutes betrat und dort mit breitem Lächeln und fast kindergleich leuchtenden Augen, ein Bier bei der Schankmeid bestellte. Natürlich gäbe es auf der Feier allerlei Köstlichkeiten zu Essen und zu trinken aber einerseits wollte er nicht solange warten, andererseits handelte es sich um eine Festlichkeit mit einem großen Überschuss an Übernatürlichen. Chaos und Konflikt waren zweifelsohne vorprogrammiert, sodass er vermutlich gar nicht dazu käme sich auf das Buffet zu stürzen. Da zog er es vor sich gleich einen guten Humpen zu gönnen, solange dieser sterbliche Frieden anhielt.

So saß er also eine ganze Weile lang in der Wirtsstube und verspeiste diverse Köstlichkeiten und tat sich am Bier gütlich, bis ihm die quälenden Gedanken einer Verpflichtung nicht nur zuerst auf den Abort, sondern danach wieder aus der Behaglichkeit der Gaststätte trieben. Er mochte menschlich sein natürlich aber dieser Zauber würde wohl nur eine begrenzte Zeit lang anhalten. Der Meister hatte von drei Tagen gesprochen, wohl wissend das es der Gesundheit des Hauptmanns sehr abträglich wäre sich innerhalb dieser Zeit in irgendwelche größeren Auseinandersetzungen zu stürzen. Vor allem da die Kaiserpfalz gerade nicht nur von gewöhnlichen Sterblichen, sondern ebenfalls von allerlei übernatürlichen Kreaturen bewohnt wurde. Dennoch war der Ruf der Pflicht stärker, als alle Köstlichkeiten die ihm sämtliche Gaststuben und Bordelle der Stadt hätten bieten können. Die Feier war wohl bereits im Gange und selbst wenn die Kainiten erst zur Nacht die kaiserlichen Hallen unsicher machen würden, waren jetzt schon andere Gäste, Feinde, Intriganten und potentielle Handlanger von Unruhestiftern unterwegs. Lucien hatte drei Tage Zeit sich am Dasein als Sterblicher zu erfreuen, die Sonne auf seiner Haut zu spüren und ein mehr oder weniger behagliches Leben zu führen; vorerst aber galt es die Festlichkeiten zu überwachen und sicherzustellen, dass Friedrichs Pläne des Friedens für alle Beteiligten, nicht ein jähes Ende finden würden. Sollte wider Erwarten alles ohne weitere Zwischenfälle verlaufen, hätte er im Anschluss noch genug Zeit sich ordentlich zu besaufen, herumzuhuren oder einen ganz banalen Stadtspaziergang zu machen. Im Herzen, lebendig oder tot war er immer noch ein Wesen der Nacht, verflucht oder gesegnet – dieser Zustand würde nicht überdauern. Was überdauern würde, wäre der Ausgang dieser politisch höchst prekären Verhandlungen.

Er knallte dem Wirt selbstbewusst ein paar Münzen auf den Tresen, bedankte sich und raffte den Waffengurt. Getreulich drauf achtend, dass ihn so viele Menschen wie möglich sahen, begab er sich durch die belebten Straßen in Richtung der Kaiserpfalz. Gewiss waren es die deutschen Lande, in denen er sich befand aber für seine Tarnung unter den Schäfchen des Lichts, konnte es sicher nicht schaden, dass Köln das Gesicht des Brügger Wachhauptmannes auch bei Tage sah. Vielleicht sprach sich das sogar in seiner Domäne herum oder er hätte im Anschluss noch Zeit sich selbst dort bei Tagelicht zu zeigen; nach all den Jahren war das wohl auch einmal nötig.

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Bei der Residenz des Kaisers angekommen, fragte er ungeduldig nach Francesca. Die raue Kriegerin war ja nicht nur bereits entgegen jeglicher ärztlichen Anordnung wieder auf den Beinen, sondern war zudem auch noch seine erste Ansprechpartnerin. Er würde sie informieren müssen und dann zusehen, wie er zum Gelingen dieses Spektakels beitragen konnte. Auch wenn er jetzt bluten und verrecken konnte wie jeder andere selbstüberzeugte Recke in feinem Rüstgeschirr. Allein der Gedanke ließ ihn schlucken. Lucien Sabatier, Hauptmann, Mensch und wieder sterblich. Innerlich hoffte er, dass die Schergen der anderen Untoten ihn doch nicht in der Stadt bemerkt hätten; die Tatsache dieser „sterblichen Schwäche“ durfte nicht bekannt werden. Zumindest nicht unter seinesgleichen, ansonsten würde das ein kurzer Ausflug werden. Immerhin war ihm dieses Wunder ebenso unbegreiflich, wie es wohl dem durchschnittlichem Ghul vorkommen mochte, würde er seiner um zwölf Uhr mittags ansichtig werden. Er lächelte schief – Liliane würde diesmal wohl wirklich ein wenig für ihn beten müssen. Hoffentlich gab wenigstens der Teufel ein wenig auf die Seinen acht.

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BeitragVerfasst: Mo 23. Jan 2017, 20:49 
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Das Sonnenlicht schien warm auf seine Haut und schien seine Bedenken verhöhnen zu wollen. Der Tag war für Mitte Oktober ungewöhnlich warm und einzelne blendendweiße Wolken zogen am klaren blauen Herbsthimmel dahin.
Als Lucien die Kaiserpfalz erreichte, hielten mehrere Männer Wache. Offensichtlich hatte man die Mannschaft an diesem Tag erhöht. Zwei stark gerüstete Hünen, von denen zumindest einer Latein sprach, musterten ihn skeptisch als er sich vorstellte, doch als er sich ausweisen konnte, fielen beiden nach einem kurzen gegenseitigen, sich fast etwas bekräftigenden Nicken, in eine ausgiebige Verbeugung. Seine Frage nach der italienischen Kriegerin zauberte sofort wieder eine ungläubige Miene auf das Gesicht des einen Wachmannes, während der andere sich besser im Griff hielt. Sie wechselten ein paar hastige Worte, in denen es ganz offensichtlich um Francesca ging, und obwohl Lucien keinen Ton verstand, war es mehr als eindeutig, dass die beiden dabei mehr als unangebrachte Begriffe zu verwenden schienen.
Man ließ ihn schließliche ein und ernuet war es der junge Bursche, den er bereits von seinem ersten Besuch in der Kaiserpfalz kannte, der ihn ins Innere führte.
Im Inneren der Anlage fand ein gut besuchtes Fest statt. Überall hatte man Tische aufgebaut an denen duftender Braten, reichhaltiger Eintopf und süßes Zuckerwerk auf schwere Holzteller geladen wurde. Die Gäste waren zumeist, soweit Lucien das beurteilen konnte, niedere Adelige und angesehenere Bürger, aber ab und an schlenderte auch das ein oder andere Gesicht durch die Menschenmengen, das nicht so recht in die Gesellschaft zu passen schien.
An mehreren Stellen kreuzten Ritter miteinander die Klingen und an einem Tournierplatz traten berittene Krieger mit ihren Lanzen gegeneinander an.

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Die Zuschauer johlten und grölten oder vergnügten sich selbst bei Wettkämpfen wie Apfel aus einem Trog fangen oder Eierlauf. Kleine Preise warteten auf die Gewinner.

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Lucien wurde durch die Menschentrauben geführt und erkannte schließlich den Kaiser, der von einem erhöhten Podest einen der Kämpfe zwischen zwei Rittern beobachtete. Er war in ein Gespräch mit einem anderen Adeligen vertieft und trug legere Kleidung, ein Zeichen dafür, dass das Fest hier im eher privaten und nicht offiziellen Kreis statt fand. Lucien konnte sich fast schon denken: Wo Friedrich war, war in der Regel auch Francesca nicht weit.
Erst nach weiteren dreißig Sekunden gelang es ihm, die Kriegerin auszumachen.

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Anstatt der gewohnten Rüstung trug sie ein Kleid, in dem sie sich, das war ihm sofort bewusst, nicht sonderlich wohl zu fühlen schien. Immer wieder fuhr ihre Hand zur leeren linken Seite, wie um sich zu überzeugen, dass dort nicht doch ein Waffengurt mit Schwert zu finden wäre.

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BeitragVerfasst: Mo 23. Jan 2017, 21:51 
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Trügerisch kam ihm die Ruhe vor. Das heißt, rings um ihn war es natürlich weder besonders leise noch besonders ruhig aber die ausgelassene Festgesellschaft; ob dabei lediglich im privaten Rahmen oder auch nicht, hatte schon etwas beinahe Unschuldiges fast Naives. So als würde kein einziger auch nur im Entferntesten ahnen, was sich da unter ihnen verbarg und nur darauf wartete, dass die Sonne hinter dem Horizont verschwand. Er wusste es. Und bis vor kurzem hatte er selbst auch noch artig warten müssen. Dass man die Wachmannschaften verstärkt hatte, wunderte ihn nicht weiter, ebenso wenig wie die unverständlichen Worte, die offensichtlich eher Francesca denn ihm galten. Es blieb dennoch unüberhörbar was die Soldaten von der Dame hielten; das machte allein die Aussprache der Männer deutlich. ‚Wenn die nur wüssten‘, dachte er bei sich selbst; ließ sich aber zu keinem weiteren Kommentar hinreißen. Umso mehr freute er sich dann, als er die raue Schönheit in einem ganz und gar unpassenden Kleid in der Nähe des Podests des Kaisers erblickte. Genau wie er, war Francesca es nicht gewohnt sich in feiner Gesellschaft zu bewegen und auf Festen eine imposante, eindrucksvolle Figur abzugeben. Diese Dinge sparten sie sich beide eher für den Kampf auf. Als er mit einem leichten Seitenblick erkannte, dass Friedrich gerade ins Gespräch mit einem weiteren, ohne Zweifel über alle Maßen ‚wichtigen‘ Würdenträger vertieft war, wandte er sich zunächst freundlich an den weiblichen Werwolf und vollführte dabei eine dezente Verbeugung.

„Madmoiselle…“, sprach er sie in hörbar französischem Akzent an. „In der einen Nacht badet ihr Gliedmaßen und Innereien und liegt nur wenig später beinahe sterbend in euren eigenen und heute seid ihr schon wieder auf den Beinen und macht der edlen Gesellschaft eure Aufwartung.“ Lucien schmunzelte leicht. „Ich bin schwer beeindruckt, wahrlich. Ihr habt eine gesegnete Konstitution.“ Sein Blick fiel an ihre Seite. „Keine Bewaffnung? Ich frage wohl besser nicht.“ Leiser fuhr er fort: “Hat man euch dazu verdonnert das hübsche Dummchen zu mimen?“

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BeitragVerfasst: Mi 25. Jan 2017, 21:44 
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Die Italienerin fuhr zu ihm herum und ihre Gesichtsausdrücke wechselten wohl so rasch wie ihre Gedanken. Zunächst ein kaum merkliches Schmunzeln als sie den Fremden erkannte, dann Irritation und maßlose Verwirrung. Schließlich schien sie sich wieder so weit gefasst zu haben, dass sie sich nichts weiter anmerken ließ und setzte eine fast gleichgültige Mine auf. Sie sah ihn an. „Aus eurer Argumentation könnte man schließen, dass ihr allen Damen in feiner Gewandung die Fähigkeit der Intelligenz absprecht. Oder bezieht sich das Kompliment nur auf mich, Blutwolf?“ An der Art wie sie die Lippen leicht zusammen kniff konnte der Hauptmann dennoch erkennen, dass er ganz offensichtlich in gewisser Weise ins Schwarze getroffen haben musste. „Ja, Friedrich hat meine Anwesenheit heute an die Bedingung geknüpft, dass ich nicht als Teil seiner Leibgarde, sondern als Gast teilnehme und mein Schwert zu Hause lasse.“ Sie stieß einen leisen Fluch in Sizilianisch aus, musterte ihn dann mehr als skeptisch und trat näher an ihn heran, so dass auch die gespitztesten Ohren nicht mehr in der Lage wären zu lauschen. Sie sog mehrmals kaum merklich die Luft durch die Nase ein als würde sie wittern. „Ihr riecht gu… annehmbar. Der Gestank nach Wyrm, den ihr immer mit euch herum tragt, ist kaum noch zu riechen.“ Ihre Augen sahen ihn fest an. „Lucien? Was um alles in der Welt tut ihr hier?“
„Ich sollte eigentlich im besten Falle nach mittelmäßigem Bier und Bratensoße riechen, aber danke für das Kompliment“, konterte er unverzüglich; nicht ohne ihr dabei ein besonders amüsiertes Lächeln zu schenken. „Und wie ihr wisst, spare ich mir alle Tugend und meinen gesamten Charme einzig und allein auf, um im richtigen Moment eurer Grazie gerecht werden zu können.“

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Seine Augen wanderten ein weiteres Mal an den nicht vorhandenen Waffengurt, während Francesca noch ein wenig abwägend seine Witterung einzuordnen schien. Selbst ein Mann wie Friedrich konnte nur schwer eine simple Frau als öffentliche Leibwache zur Schau stellen; zumindest dann nicht, wenn er süffige Auftritte zu absolvieren hatte, die das männliche Ideal des Rittertums in sportlicher Auseinandersetzung hochhielten. „Das mit dem Geruch kann ich euch recht problemlos aufklären, denke ich.“ Die Blicke des Hauptmanns wanderten trotz der geringen Distanz zu seiner Gesprächspartnerin kontrollierend in alle Richtungen und spähten die Umgebung nach möglichen Zuhörern aus. Erst als er sich vollends davon überzeugt hatte tatsächlich ungestört zu sein, zog er sie noch weiter an sich. Seine Lippen berührten beinahe ihr Ohr. „Ich glaube das Meister Aleister, zu dem ich euch bringen sollte, mir im Auftrag von Friedrich einen Zaubertrank zubereitet hat. Vermutlich eine Art Belohnung dafür, dass wir ihm Heinrich zurückgebracht haben. Angeblich wirkt er für drei ganze Tage und…“ Er räusperte sich. „.. nun wir haben helles Tageslicht und eure Frage ist durchaus berechtigt: Ich dürfte nur noch ein qualmender Haufen Asche zu euren Füßen sein – bin ich aber nicht. Der Trank scheint mich für eine begrenzte Zeit sterblich gemacht zu haben, aber… behaltet das bitte für euch. Wenn schon nicht um meinetwillen, dann wegen Friedrich.“ Er nickte kurz in die Richtung des deutschen Kaisers. „Der Kaiser hat mich eingeladen und genauso wie ihr, bin ich für seine Sicherheit verantwortlich. Zumindest bis dieses Fest vorüber ist.“ Der Gangrel kratzte sich nachdenklich am Kinn. „Der Azubi, Helmut hat mich mittags geweckt, ich dachte mich trifft der Schlag aber nein, hier stehe ich und bin noch nicht verglüht. Das nenn ich mal Magie.“
Sie nickte. „Meister Aleister ist ein wahrer Zauberer und Heiler. Es ist für mich unvorstellbar zu was die Magi in der Lage sind…“ Ihre Stimme wurde leise. „Habt Dank, Blutwolf. Ohne eure Hilfe hätte ich es nie zu ihm geschafft. Ich stehe in eurer Schuld…und das ist etwas, dass uns Garou wohl ein Mal in hundert Jahren geschieht.“ Sie verbeugte sich für einen kurzen Moment respektvoll. „Keine hohe Ehre für mich in den Augen meiner Familie, aber ich denke, ich werde lernen damit zu leben.“ Ein Grinsen huschte über ihr Gesicht, dass ihm zu verstehen gab, dass sie ihr eigenen Worte nicht allzu ernst nahm.
Lucien schüttelte nur sachte den Kopf. „Ganz im Gegenteil. Ihr steht überhaupt nicht in meiner Schuld, denn mein Plan war über alle Maßen schlecht durchdacht. Ich hätte wissen müssen, dass uns Otto ganz sicher nicht so ohne weiteres davonkommen lassen würde, somit habe ich euch grob fahrlässig dieser Meute ausgesetzt, die euch fast getötet hätte.“ Er seufze resignierend. „Macht mir bitte also die Freude und vergesst das mit dem in meiner Schuld stehen schnell wieder. Ich habe weder euren Dank, noch sonst etwas verdient; den Kampf habt allein ihr bestritten. Das diese Sache schlussendlich noch so gut ausgegangen ist, verdankt Friedrich euch und nicht mir. Ihr müsst eurer Familie also gar nichts erklären und eure Ehre bleibt ebenso unangetastet.“ Aufmunternd lächelte er sie an und sah dann wieder in Richtung des Kaisers, als ob er auf den richtigen Moment warten würde. „Es ist ein Fluch und Segen zugleich diese temporäre Sterblichkeit. Ich kann das Fest genießen wie ein Mensch aber weder jetzt noch spät in der Nacht, wenn es unter Umständen wirklich gefährlich wird, kann ich euch oder dem Kaiser eine große Hilfe sein. Ich verblute und sterbe wie jeder andere auch. Keine Fänge, kein Körper aus gehärtetem Stahl und sehen tu ich auch nichts mehr in dieser Finsternis.“ Sachte schmunzelte er. „Ich bin wohl zum ersten Mal dazu verdammt im Zweifelsfall tatenlos zusehen zu müssen, bei dem Aufgebot an Übernatürlichem.“
Sie lächelte kaum merklich bei seinen Worten, ihre Schuld betreffend, ging aber zu guter Letzt nicht weiter darauf ein. Ganz offensichtlich hatte sie sich ihre eigene Meinung gebildet. „Ist das möglich? Das man einen Kainit seiner Kräfte beraubt? Habt ihr es ausprobiert?“
Er hob die Schultern. „Ehrlich gesagt nicht, nein. Allerdings war ich auch bisher viel zu überrascht von dem was offenbar geschehen ist, um diesen neuen Zustand irgendwelchen Tests zu unterziehen. Aber…“ Es entstand eine knappe Pause. „Wenn ich essen und trinken kann und atme und mein Herz schlägt, wenn die Sonne mich nicht verbrennt – dann sollte ich doch sterblich sein, ein gewöhnlicher Mensch nicht wahr? Und Menschen können nicht mit der Erde verschmelzen oder sich in Wölfe verwandeln. Hm…“ Der Hauptmann kratzte sich am Kinn. „Gut, wir können ja einen kleinen Versuch wagen etwas, dass bei Tageslicht nicht so schnell auffallen dürfte.“ Angestrengt konzentrierte er sich auf seine Augen und versuchte die nicht vorhandene Dunkelheit zu durchbrechen. Für gewöhnlich leuchteten sie dabei leicht rötlich aber im hellen Tageslicht, würde man dies wohl nur aus nächster Distanz bemerken.
Luciens Pupillen begannen wie Feuer zu brennen als er seine Augen zwang sich weiter zu öffnen. Es waren nur einige Sekundenbruchteile, aber es reichte um ihn durch das helle Tageslicht komplett zu blenden. Fast blind stand er fast eine ganze Minute da bis er wieder Umrisse und dann Gestalten sah. Die Stimme neben ihm klang leicht besorgt. „Alles in Ordnung? Das mit dem Leuchten habt ihr interessanterweise hin bekommen…“
Noch immer etwas benommen, zog er scharf die Luft in seine wieder voll funktionstüchtigen Lungen bevor er langsam den Umriss von Francesca vor sich ausmachen konnte. Er rieb sich die Augen, als die schattenhaften Schemen langsam schärfer wurden. Sie brannten noch immer wie Feuer. „Teufel auch… das ist… nicht möglich“, presste er aus zusammengebissenen Zähnen hervor. „Der Zauberer hat mich sterblich gemacht, aber ich habe all meine Kräfte und übernatürlichen Fähigkeiten behalten; zumindest macht es den Eindruck.“ Einige Augenblicke lang, hielt er die Augen noch geschlossen, rieb sich die Lider und schien in Gedanken mit sich selbst zu ringen. War so etwas überhaupt möglich? Konnte jemanden den Fluch Kains, einen angeblich gottgegebenen Fluch brechen? Oder mehr noch nicht brechen, sondern gar modifizieren? Die Kraft eines Kainiten, aber keine seiner Schwächen? Wenn dieser Trank in die falschen Hände geraten würde und selbst wenn es nur drei Tange anhielte – nicht auszudenken. Gab es vielleicht… mehr davon? Eine Möglichkeit diesen Zustand permanent aufrecht zu erhalten? Der Hauptmann war drauf und dran, unverzüglich Antworten auf seine drängenden Fragen von Aleister erhalten zu wollen, dann sah er aber die noch immer festlich gekleidete Francesca vor sich. Der Magier würde warten müssen. Drei Tage waren ihm zugesichert worden; er hätte genug Zeit dem, in seinen Augen mittlerweile ehrfurchtgebietend mächtigem Mann alle möglichen Fragen zu stellen. „Ein letzter Test, aber dafür brauche ich eure Hilfe Francesca. Bitte stellt euch kurz vor mich und erschreckt nicht.“ Lucien konzentrierte sich auf seine Hände, die er vor dem Körper nach unten ausgestreckt hielt. Gewöhnlich bedurfte es der Vitae, die er durch seinen Körper zwang, um sich Klauen wachsen zu lassen. Würde es dennoch klappen?
Lucien spürte ein seltsam fremdes und zugleich vertrautes Prickeln. Was auch immer durch seine Adern rann, ob es Vita oder Magie war, es fand keinen Widerhall in seinen Fingern. Die Hände blieben Hände und das Gefühl verschwand.
Er nickte knapp, als das Gefühl allmählich verging und sich nichts an ihm oder seinen Händen verändert hatte. „Gut, der erste Testlauf scheint zu bestätigen, dass ich keine Kräfte zur Verfügung habe, die sich über meine Vitae speisen.“ Mit einem leicht selbst verblüfften Blick Richtung Francesca lachte er einmal laut auf und schüttelte den Kopf. „Verzeiht, das müsst ihr nicht verstehen. Es genügt wohl zu wissen, dass ich dank eures guten Arguments, ein wenig mehr über diesen temporären Zustand lernen konnte. Das hilft mir schon ungemein. Wird Aleister auch auf dem Fest zugegen sein? Ich nehme an er wird wohl erst eher abends erscheinen?“
Noch während er die Worte an Francesca richtete und etwas versonnen über den merkwürdigen Zaubertrank nachdachte, bekam er allmählich schon ein besseres Gefühl dafür, was er in diesem magisch erweiterten Zustand alles vollbringen würde können und was ihm verwehrt blieb. Obgleich er es nicht benennen oder erklären konnte, wusste er nach und nach instinktiv die Grenzen seiner aktuellen Leistungsfähigkeit. Es war nicht gerade viel für seine ursprünglichen Verhältnisse, aber mehr als ein Mensch je nur zu träumen wagen durfte.
Francesca sah ihn an. „Ich weiß nicht recht, ob Meister Aleister auf dem Fest erscheinen wird. Ich hoffe es, denn ich kann ihm nicht oft genug meinen Dank aussprechen. Auch wenn er euch da ähnelt und tut, als wäre es eine kleine Nichtigkeit, die er da vollbracht hat.“
Der Dunkelhaarige neben ihr nickte. „Für ihn mag es nur eine Kleinigkeit sein, aber wir sehen ja beide, dass er nicht nur als Heiler wahre Wunder vollbringen kann. Ich kenne außer ihm nur einen weiteren Mann, der solche Kenntnisse im Bereich des Versorgens von Wunden und Verletzungen hat und dem steht keine Magie zur Verfügung. Wenn Meister Aleister da sein sollte, was ich ebenfalls hoffe, ergibt sich vielleicht die Gelegenheit ihn ein wenig näher zu diesem Trank zu befragen. Vorerst habe ich das Gefühl, dass meine Anwesenheit hier unabdingbar ist. Und sei es nur zu meiner eigenen Beruhigung.“
Ihr Blick ging zu Friedrich und sie nickte in dessen Richtung damit Lucien ihrem Blick folgen konnte. „Er redet mit dem Fürsten der Habsburger. Ein fähiger Mann und recht gewieft. Wenn das Geschlecht noch mehr solcher Leute herausbringt, dann werden die es wohl noch weit bringen. Die Bündnisse, die er mit Heiratspolitik schafft sind ein eigenes Machtinstrument.“ Sie seufzte kurz. „Aus diesem Grund wird es ihn wohl nicht sonderlich erfreuen, wenn sein Kaiser ihn just in diesem Moment bittet die Hochzeit auf die Zeit nach dem Kreuzzug zu verlegen. Ein Kreuzzug kann Jahrzehnte dauern und wer weiß, ob der Kaiser je aus dem Heiligen Land zurückkommen wird? Nun ja, ich könnte bei einem Bad in flüssigem Silber darauf wetten, dass das ist, was sich der Papst erhofft.“
Sein Blick folgte mäßig interessiert jenem von Francesca, bis er an dem Mann an der Seite des Kaisers hängen blieb. Bekräftigend nickte der Gangrel. „Ja, auch heiraten mag eine Methode sein sich Länder, Titel und Reichtum zu sichern. Immerhin sterben da für gewöhnlich weniger Zivilisten, das hat ja fast etwas Positives.“ Lucien schnaubte kurz. „Der Papst ja… der sähe es nur allzu gern, wenn Friedrich im Namen der Heiligen Mutter Kirche weit weg von Deutschland in einer sinnlosen Schlacht das zeitliche segnet. Seine Pläne für Heinrich sind nach wie vor unverändert, ja? Vorteilhafte Heirat und solide Ausbildung während seiner Abwesenheit?“, fragte er dann eine Spur interessierter.
„Das mit der vorteilhaften Heirat wird nun wohl noch einige Jahre in Anspruch nehmen. Ich schätze, Friedrich spielt auf Zeit. Wer weiß, was sich in den nächsten Jahren ändern wird? Wer mag voraussehen, wen die nächste Krankheit dahinraffen wird und wer als treuer Verbündeter hinter ihm steht und, wer als Verräter entlarvt werden wird?“ Sie seufzte. „Ein gefährliches Spiel. Heinrich ist sein einziger legitimer Nachfolger und ein junger König ist immer Spielball der Mächtigen. Wenn er überhaupt überleben wird. Aber dafür, da habt ihr recht, muss eine gute Ausbildung und eine Unterbringung in Sicherheit her. Wenn er nicht Heinrich verheiraten kann, wird Friedrich selbst demnächst eine bedeutende Adelige heiraten müssen… und das wird er wohl tun um Ressourcen für den Kreuzzug zu gewinnen.“ Sie grinste schief. „Friedrich hat viele Frauen, aber die Richtige war wohl noch nicht dabei.“
Der Brügger Wachhauptmann lächelte leicht und verzog die Mundwinkel zu seinem markant schiefen Lächeln. „Verzeiht mir, ich vergesse stets, dass die Zeit der Sterblichen begrenzt ist und sich höchstens in Monaten und bestenfalls Jahren messen lässt. Wir Geschöpfe der Nacht, haben einen weitaus längeren Atem.“ Er nickte einsichtig. „Ja, Friedrich spielt auf Zeit, aber er wird weder seine Feinde noch seine Heiratspläne und aufgedrängten Bündnisse überdauern; er ist und bleibt sterblich. Dementsprechend muss er vorausschauend planen, gerade mit diesem aufgebürdeten Kreuzzug im Nacken.“ Mit einem langen Seufzen stieß er die Luft aus seinen Lungen, einfach, weil ihm danach war und weil es guttat zu spüren, dass seine Lungen sich mit Sauerstoff füllen konnten. „Ob ihr mir das glaubt oder nicht, aber mir liegt etwas am Kaiser und seinem Nachfolger. Ich finde seine Pläne irrsinnig und zum Scheitern verurteilt, gerade weil er mit meiner Art verhandelt, aber ich kenne niemanden, der je auch nur ansatzweise diesen Schritt gewagt hätte. Frieden in der Welt der Sterblichen, Frieden in der Welt der Unsterblichen. Er ist zweifellos ein großer Mann, egal was die Bücher später über ihn sagen mögen. Ich würde seinen Jungen ja selbst unterrichten aber mehr als Schwertkampf kann ich ihm nicht beibringen. Außerdem gibt es immer noch Bessere als mich. Was er brauchen wird, sind absolut treue und loyale Untergebene und Berater; besser noch: Freunde. Heinrich braucht Freunde, die ihm helfen, ihn schützen und unterstützen, sollte er je den Thron besteigen, denn er tritt so oder so ein sehr schweres Erbe an.“ Der Gangrel musterte den ins Gespräch vertieften Kaiser und schmunzelte in Richtung Francesca. „Bedauerlich, dass ihr keine so finanziell lukrative Partie seid, oder? Sonst könntet ihr vielleicht die nächste Königin werden. Verzeiht, wenn ich so offen bin und euch mit meiner Fragerei brüskiere, aber… mir scheint es ist mehr, dass euch zu Friedrich hinzieht, als nur die große Sache und der Frieden an sich. Seid ihr eurer Majestät denn persönlich zugetan? Ihr müsst euch deswegen nicht schämen, ich selbst liebte auch einmal eine Frau, die weit über meinem Stand war. Wobei… es nicht schwer war über meinem Stand zu sein“, fügte er etwas nachdenklich hinzu.
Francesca sah ihn einen Moment an als würde sie darauf warten, dass er laut zu lachen begänne. Dann, als ihr klar wurde, dass er seine Frage ernst meinte, brach sie jedoch in schallendes Gelächter aus und hielt sich die Hand vor den Mund als einige Gäste sich wegen des unziemlichen Verhaltens in ihre Richtung drehten. „Friedrich ist der Kaiser, ein gebildeter, äußerst fähiger Fürst, der unbeirrbar seinen Weg geht und ich bewundere ihn dafür und kämpfe an seiner Seite, da wir Garou Teil dieses seltsamen Bündnisses sind. Ich vertrete meine Art mit Schwert, Klauen und Feuer und hoffe, dass ich ihnen dabei keine Schande mache. Ich bin eine Garou und ich brauche etwas Anderes als mächtige Festungen, gigantische Städte und buckelnde Untergebene.“ Sie spitzte abfällig die Lippen. „Macht oder Geld, oder Reichtum… Nette Sache, aber ich verzichte dankend.“

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Der Weg zum Ziel beginnt an dem Tag, an dem du die hundertprozentige Verantwortung für dein Tun übernimms.
Dante Alighieri


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BeitragVerfasst: Di 31. Jan 2017, 14:06 
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Lucien nickte nur knapp und lächelte zu ihren Worten gar nicht einmal besonders verlegen. Auf jeden Fall weniger als es sich gehört hätte. Für einen kurzen Augenblick, hätte er sowohl Francesca als auch Friedrich nicht nur im übertragenen Sinne unter eine Decke gesteckt. Und wäre das tatsächlich so unvorstellbar gewesen? Der Kaiser war ein vielbeschäftigter Mann, dem kaum Zeit für Zerstreuung blieb und die italienische Dame war eine der wenigen weiblichen Konstanten in seinem Leben. Zudem konnte man davon ausgehen, dass bereits ein gewisses Vertrauensverhältnis zwischen den beiden Bestand, ansonsten würde Friedrich ihr nicht so einfach sein Leben anvertrauen. „Vergesst was ich sagte Francesca, es war nur eine offensichtlich falsche Eingebung meinerseits. Gewiss habt ihr besseres zu tun als mit dem Kaiser anzubandeln“, führte er leicht entschuldigend aus. Sich etwas gespielt räuspernd, wandte er den Blick wieder in Richtung des Monarchen. „Das wird ein langer Tag und eine noch viel längere Nacht“, kommentierte er seufzend.

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Through action, a Man becomes a Hero.
Through death, a Hero becomes a Legend.
Through time, a Legend becomes a Myth.
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