Vampire: Die Maskerade


Eine Welt der Dunkelheit
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 Betreff des Beitrags: Sol Invictus
BeitragVerfasst: Mo 11. Sep 2017, 07:40 
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Es war Sommer. Einer der heißesten seit langer Zeit. Weder die kurzen Nächte, noch die laue Brise der nahen Nordsee konnten wirklich für eine Erleichterung sorgen. In Brügge selbst war es sogar noch schlimmer. Die feuchte Hitze hing wie eine Glocke über der Stadt und Alida hörte seit Tagen schon nichts als Gestöhne und Beschwerden über die Temperaturen. Kaum jemand hatte Lust zu arbeiten, jeder schwitzte und eigentlich beteten die meisten einfach nur, dass es sich ein bisschen Abkühlen möge, insbesondere ihre Köchin Bertha, die im Moment hinter dem Feuer ihrer Küche eigentlich konstant so aussah, als hätte man sie mitsamt Kleidung in einen der Kanäle geworfen. Alida machten solche kleinen Probleme der Sterblichen natürlich schon lange nichts mehr aus, allerdings sorgten die Hitze und all das Schwitzen leider auch dafür, dass es selbst im sauberen Anwesen der Familie van de Burse ein regelrechter Dunst herrschte. Das schlichte Aufreißen der Fenster brachte auch keine Erleichterung, denn der nicht vorhandene Wind hätte auch nur den Gestank des Brackwassers der Kanäle hinein geweht. Ein paar Diener hatten begonnen getrocknete Kräuter zu verbrennen, was aber zu eher fragwürdigem Erfolg geführt hatten und eigentlich nur dafür gesorgt hatte das Haus so sehr einzuräuchern.

Es war Sonntag und Alida hatte eine Einladung erhalten. Mildred hatte sie sehr kurzfristig zu einem kleinen Abendessen in ihrem neuen Anwesen eingeladen. Das Ganze wirkte unschuldig genug, immerhin war die Gildenmeisterin der Seidenweberinnen in Brügge ihre Verwandte, aber die Tzimisce wusste, dass es eigentlich ganz und gar nicht Mildreds Art war so kurzfristig und im kleinen Rahmen einzuladen. Die Feiern und Bankette, die ihre Verwandte zu geben pflegte, hatten immer etwas extravagantes und beinahe Dekadentes, zu der so viele Gäste geladen wurden wie in die große Halle passten.
Alida fuhr mit den Fingern über das Schriftstück, das die Einladung enthielt, betrachtete die geschwungenen Linien der feinen, aber konsequenten Handschrift. Wenn Mildred sie so kurzfristig zu einem Abendessen einlud, dann musste es etwas zu besprechen geben, dessen Wichtigkeit wohl keinen allzu langen Aufschub duldete. Mildred und sie waren vor einigen Jahren aneinander geraten. Alida hatte ihr Vorhaltungen gemacht, da das Gerede, das Mildred in den Kreisen der Brügger Bürger Umlauf gebracht hatte, sie selbst und ihre Familie in den Mittelpunkt der Gespräche der Leute rückte und das vielmals nicht zum besten. Was sie in dem Moment, in dem sie ihrer ‚Nichte‘ Geschwätzigkeit vorwarf und sie daran erinnerte, das Wohl der Familie nicht aus den Augen zu verlieren, nicht verstanden hatte, war, dass Mildred genau diese Gerüchte gestreut hatte um von anderen Wahrheiten abzulenken, die sie und die Familie in weit größere Bedrängnis hätte bringen können. Alida stieß ein anerkennendes Schnauben aus: Kluges Mädchen!
Mildred war eine junge Frau, die mit Intelligenz und Gerissenheit ihren Weg ging. Sie war klug und hübsch, wusste wie sie das erhalten konnte, was sie wollte und ließ nicht zu, dass sich dabei etwas in ihren Weg stellte. Mit diesen Eigenschaften hatte sie es bis zur Gildenmeisterin der Seidenweber geschafft. Alida bewunderte die Gradlinigkeit und den festen Charakter ihrer Nichte, die sie oftmals an das sehr ähnliche Wesen ihrer eigenen Schwester Maria erinnerten. Diese Frau konnte es durchaus mit jedem Mann in Brügge aufnehmen.
Sie würde ihren Termin im Kontor für den morgigen Abend absagen.
Auch der Tag des Abendessens brachte keine Abkühlung, ganz im Gegenteil. Es war heiß, stickig und wahrscheinlich würden die wenigsten der Brügger Bürger heute Nacht Schlaf finden. Das Anwesen von Mildred lag im Grunde nicht weit von ihrem eigenen entfernt. Alida konnte das kurze Stück des Weges zu Fuß gehen, aber die Details ihrer Ankunft hatte sie noch nicht entschieden auch nicht ob sie noch jemanden mitnehmen wollte, wie zum Beispiel Cato oder Frederik. Es wurde sehr spät dunkel in dieser Jahreszeit, aber dank der Hitzewelle hatte Mildred den Zeitpunkt des Mahls erst nach Sonnenuntergang gesetzt. Damit gab es keinerlei Probleme bezüglich Alidas Anwesenheit. Trotz allem war der Sommer immer eine besondere Herausforderung für die Tzimisce und auch andere Kainiten. Es blieb einfach sehr wenig Zeit um alles Wichtige in jeder Nacht zu erledigen.
Alida suchte in den Truhen ihrer Kammer nach einem dunkelblauen Gewand aus Leinen. Das Kleid war einfach gehalten, doch an den Seiten edel verziert. Mit Freude hätte sie lieber nach dem Gewand aus der luftigen grüner Seide gegriffen, dass sie einst aus Konstantinopel mitgebracht hatte, aber ein so kostbares Tuch hätte unnötig Aufmerksamkeit mit sich gebracht und darauf wollte sie verzichten.
Sie entschied sich nur einen Wachmann als Begleitung mitzunehmen, der sie vor den Türen des Anwesens der jungen Frau wieder verlassen mochte. Mildred wäre wohl alles andere als erbaut, brächte sie den gigantischen, nach wie vor eher erschreckenden Hund Cato mit zu einem Abendessen und auf der Einladungen waren keine anderen Namen vermerkt, also entschied sie sich dazu allein zu erscheinen. Sie ging an der Seite des Wachmannes bis zu ihrem Ziel und ließ den gestandenen Kerl mit dem Knauf seines Schwertes an die Tür schlagen.
Alida erreichte schließlich nach einem kurzen Fußmarsch und in Begleitung ihrer Wache das Ziel ihres heutigen Abends. Große Holztore aus dunkler Eiche begrüßten sie und passten perfekt zu dem großen Anwesen aus Sandstein und gebrannten Ziegeln.

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Mildred war nach ihrer Heirat mit einem Zunftmeister der Weber natürlich in dessen Haus gezogen, auch wenn von dem eigentlichen Gebäude nicht mehr viel übrig war. Sie hatte das alte Holzhaus abreißen lassen und ein völlig neues bauen lassen. Sie hatte sogar einen Architekten aus dem fernen Florenz kommen lassen, den Frederik ihr eigens für das Bauvorhaben empfohlen hatte. Das Ergebnis war, wie die meisten Leuten zugeben mussten, ein einzigartiger Hybrid aus flandrischer Praktikabilität und italienischer Handwerkskunst. Von außen sah man davon aufgrund der Mauern zwar nicht viel, doch die großen Fenster die viel Licht in das Haus ließen, schafften einen offenen und freundlichen Charakter, den man so weit im Norden recht selten sah.
Eine in saubere Gewänder gekleidete Dienerin öffnete Alida und mit einem formvollendeten Knicks bat sie Alida einzutreten. „Herrin, ich bin hier, wenn ihr ablegen möchtet, ansonsten bitte ich euch, den Weg in Richtung Garten zu folgen. Meine Herrin hat das Mahl aufgrund der warmen Nacht nach draußen verlegt.“ Das junge Mädchen, das wohl nicht älter als sechzehn Jahre alt war, drehte sich zu ihrer Wache. „Werdet ihr warten? Dann stehen in der Küche Bier und frisch gebackenes Brot für euch bereit.“ Sie zeigte kurz auf einen Seiteneingang der Wohl in die Küche führen würde.
Alidas Weg schließlich führte sie weiter in das Anwesen, in Richtung Garten hinein und schon von weitem hörte sie das Gemurmel einiger Stimmen und ein paar leise Harfenklänge, die das Gespräch begleiteten. Irgendwo zwischen einigen Obstbäumen konnte sie eine große Tafel ausmachen, an der etwas zehn Personen saßen, die sich offenbar bereits Wein und Bier schmecken ließen. Plötzlich entdeckte Alida auch Mildred, die ehrlich lächelnd auf ihre Verwandte zutrat. Sie küsste Alida kurz auf die linke und rechte Wange und führte sie dann in Richtung Tisch. Ihre ‚Nichte‘ trug ein dünnes Kleid aus feiner, weißer Seide welches sicherlich ein kleines Vermögen gekostet hatte, trotzdem aber wohl die sicherste Zuflucht vor der schwülen Hitze bot, die man sich vorstellen konnte. Mildreds Stimme klang fröhlich. „Wünscht du eine Erfrischung, Tante? Es gibt guten Rotwein aus der Gascogne, Florentiner Weißen, Minzwasser und natürlich auch Aldurbräu.“

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Alida war ein wenig überrascht. Sie hatte, angesichts der kurzfristigen Einladung eher mit einer privaten Unterredung im kleinen Kreis als mit einem kleinen Fest gerechnet, aber wie immer gelang es Mildred ganz offensichtlich auch in einer schwülen, kaum erträglichen Nacht wie der diesigen den Gästen auf die zuvorkommenste und angenehmste Art den Abend zu einem Vergnügen zu gestalten. Fast ein wenig neidisch blickte sie auf die weiße, luftige Seide und dachte wehmütig an das grüne Kleid, das in seiner Kiste ruhen musste. Seide- Die perfekte Wahl für einen Abend wie diesen.
„Hab Dank für diese Einladung, Mildred. Florentiner Weiße wäre grandios. Aber nur, wenn es keine Umstände macht. Ein gelungenes Fest.“ Sie nickte anerkennend.
„Ich danke dir. Für deine lieben Worte, Tante.“ Mildred gab kurz darauf eine Anweisung an eine der bereitstehenden Dienerinnen und erreichte schließlich mit Alida die reich gedeckte Tafel. Am Kopfende saß der Herr des Hauses, der alte Arn van Bergen. Er war der Patriarch einer der einflussreichsten Weberfamilien der Stadt und das schon seit über sechzig Jahren. Ursprünglich hatte Mildred seinen Sohn heiraten wollen um Teil der einflussreichen Familie zu werden. Die Verbindung war beiden Seiten der Familie recht gewesen, brachte man doch so zwei einflussreiche und respektable Händlerfamilien in Brügge zusammen. Das Schicksal meinte es jedoch nicht sonderlich gut mit den Verlobten und innerhalb kürzester Zeit war Mildreds Versprochener einem Winterfieber zum Opfer gefallen. Da der Mann keine Brüder hatte, schien die Verbindung geplatzt zu sein, aber pragmatisch wie sie war, hatte Alidas Verwandte einfach den alten Patriarchen selbst geehelicht. Ein Altersunterschied zwischen einem Mann und seiner Braut war zwar nicht ungewöhnlich, hier reizte es den möglichen Rahmen jedoch voll aus, auch wenn natürlich jeder wusste, dass die Ehe aus rein wirtschaftlichen und nicht romantischen Motiven geschlossen wurde. Der alte Arn, wie er auch von vielen genannt wurde, war ein gutherziger und gerechter Mann. Er stand zu seinem Wort, hatte viele Jahre hart gearbeitet und ebenso wie Alida selbst neben dem eigenen Wohl auch das der Stadt im Kopf gehabt. Er war inzwischen erblindet, hatte nur noch zwei Zähne, aber hinter den milchigen Augen verbarg sich noch immer ein scharfer Geist. Als der alte Mann Alidas Stimme hörte, stand er unter Stöhnen seinem bequemen Sessel um Alida zu begrüßen. „Alida van de Burse. Welch eine Freude. Bitte fühlt euch ganz wie zu Hause!“

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Alida deutete eine tiefe Verbeugung vor dem alten Mann an. Sie schluckte bevor sie sich erhob. Sie hatte Arn seit mehreren Jahren nicht gesehen und es erschreckte sie, wie das Alter seinen Tribut gefordert hatte. Sie erinnerte sich noch an den jungen Mann, der damals mit der Hand seines eigenen Vaters auf der Schulter um Aufnahme in die Händlergilde ersucht hatte. Ein hübscher Bursche mit wachen, intelligenten Augen. Damals war Brügge ein andere Stadt gewesen…
„Habt Dank für eure Gastfreundschaft, Meister van Bergen. Möge der Herr euch wie stets sein Wohlwollen schenken.“
Der alte Patriarch bedankte sich artig bei Alida und tauschte noch ein paar Freundlichkeiten mit ihr aus, auch wenn Alida sofort auffiel, das ihn das wenige sehr anstrengte.
„Setz dich, Arn, ich bin gleich bei dir.“ Mildreds Stimme war weich und freundlich als sie ihrem Gatten zurück in seinen Sessel half. Dann wandte die Gastgeberin ihre Aufmerksamkeit allerdings wieder Alida zu und stellte die Tzimisce den anderen Gästen vor. Es handelte sich um englische Wollhändler, die gerade eine nicht unbeträchtliche Menge ihres Rohstoffes nach Brügge geschifft hatten, mit denen der alte Arn im nächsten Jahr Tuche produzieren würde. Mildred setzt Alida neben einen Mann namens Medwick James, ein junger, gutaussehender Rotschopf, der allerdings die mit Abstand beste Kleidung unter all den Engländern trug. Dieser Umstand ließ darauf schließen, dass er wohl der war, der in der kleinen Reisetruppe das meiste zu sagen hatte.
Er war aufgestanden und hatte Alida galant begrüßt und ihr einen Platz angeboten. „Vielleicht sollte ich überlegen mir eine Braut in Flandern zu suchen, wenn alle Frauen hier so schön sind wie ihr und meine großzügige Gastgeberin.“ Er lächelte schelmisch. „Aber für solche Überlegungen bleibt auch später noch Zeit. Es freut mich sehr, eure Bekanntschaft zu machen. Der Name van de Burse ist mir natürlich ein Begriff. Niemand kommt am Handel mit Brügge vorbei ohne Geschichten über das Geschick einer der erfolgreichsten Händlerfamilien nördlich der Alpen zu hören.“ Der Mann namens Medwick erhob einen silbernen Becher der voll mit dunklem Rotwein gefüllt war und prostete Mildred zu. Auch Alidas Weißer war inzwischen serviert worden. Dann wandte sich ihr Tischnachbar noch einmal zu ihr und flüsterte beinahe verschwörerisch. „Und doch glaube ich, dass es kein Zufall ist, dass eure Verwandte uns nebeneinander platziert hat. Ich vermute daher, dass ich mich am besten an euch wende, wenn es darum geht Geschäfte zu machen?“
Innerlich schmunzelte Alida bei dem Gedanken. Ertragreiche Geschäfte kamen allen zu Gute: den van Bergens, den van de Burse, den Engländern und Brügge. Ja, wahrscheinlich hatte Mildred diese kleine Begebenheit tatsächlich eingefädelt, gerissen, wie sie war.
Erfreut ergriff sie die Gelegenheit einen neuen Handelspartner kennen zu lernen und wechselte zugleich ins Englische. „Wir Flandern sind generell dafür bekannt gute Geschäfte zu tätigen, die sich vor allem dadurch auszeichnen, dass sowohl wir als auch unsere Geschäftspartner mit ausgesprochenen Gewinnen, Erfolg und um ein paar positive Erfahrungen reicher daraus hervorgehen.“ Sie lachte bei dieser kleinen ein wenig übertriebenen Lobeshymne an ihr Volk und schmunzelte wohlwollend. Sie begann sich mit ihm über seine Anreise, seinen Eindruck von Brügge und dessen Bewohner und das Wetter zu unterhalten, fragte dann höflich nach seinen Handelswaren und Geschäften in England und kam schließlich zu den Produkten, die er feilbot und auf die Waren, die derzeit in Brügge in den Lagerhäusern der Van de Burse ruhten, zu sprechen.
In der Zwischenzeit wurden die ersten Gänge aufgetafelt. Es gab eine dicke Suppe aus Gerste und Bier, frischen Salat aus jungem Spinat und frischen Gurkenkräutern, mit getrockneten Pflaumen und Walnüssen. Es folgten Schnecken in Honig und Knoblauch deren Sud mit feinsten, weichen Weißbrot genossen werden sollte. Medwick aß langsam und schien jeden Bissen zu genießen, während der Tisch immer weiter mit Fleischpasteten aus Wild und Geflügel, die in dunkler Soße getränkt waren, beladen wurde. Der junge Händler legte sein Essmesser zwischendurch immer wieder ab um sich mit Alida zu unterhalten. Sie streiften eine ganze Reihe von Themen angefangen bei Handel über Politik bis hin zu Kunst und Sprachen. Der Mann war ein äußerst angenehmer und eloquenter Gesprächspartner, der eine breite Bildung besaß. An seinem leichten Akzent konnte Alida ausmachen, dass er ganz sicher nicht der englischen Oberschicht entstammte, sondern eher dem einfachen Volk entstammte. Sie tippte ganz und gar auf London, da die Menschen dort alle ein wenig anders sprachen als auf dem Land. Noch während sie miteinander sprachen wurde mehr Essen herbeigetragen. Birnen pochiert in gewürztem Wein, kleine kross gebratenen Heringe in Salzkruste und kleine mit Pilzen und Zwiebeln gefüllte Fasanenbrüstchen. Ein Dienern war nur damit beschäftigt rubinrote Weine, süffiges Bier und allerlei süße Liköre in den silbernen Bechern nachzufüllen. Wasser wurde kaum getrunken und die Stimmung wurde immer lockerer. Ihr Gesprächspartner ließ sich seinen Wein allerdings immer großzügig mit Wasser verdünnen. Dann wurde der Fleischgang serviert. Zwei Diener trugen ein silbernes Tablett, reichlich beladen mit einer riesigen in Honig und Thymian gebackenem Schinkenkeule, an der heiß zischend das Fett herunterlief. Dazu gab es in Zwiebeln und Mandelmilch gedünstete Leber und allerlei Wildbrett serviert mit Butter und einer cremigen Soße aus Wein und Sahne. Zusätzlich gab es noch frische, immer noch dampfende Brotleibe und eine große Schüssel mit allerlei in Nussbutter geschwenktem Wurzelgemüse. Medwick legte sich die Hände auf den Bauch und atmete geräuschvoll aus. „Ich weiß nicht wie es euch geht, aber ich kapituliere gleich.“ Er lächelte rundum zufrieden und schien sich ausgesprochen wohlzufühlen. Zwischen Fisch und Fleisch kamen sie auch auf den Handel selbst zu sprechen, den der Engländer mit Alida zu tätigen pflegte. Er wollte seine Wolle nicht mehr selbst nach Flandern verschiffen, sondern diese zentral in London abholen lassen. Die beiden Händler verstanden sich beinahe blind und ohne groß zu feilschen, arbeiteten sie ein erstes Angebot aus. Die Details mussten noch geklärt und entsprechende Verträge abgeschlossen werden, aber Alida konnte sich sicher sein, dass nicht nur sie beide, sondern auch Arn van Bergen am Ende daran verdienen würden, wenn sie das Handelshaus van de Burse beauftragen würden das Verschiffen der Rohwolle zu übernehmen. Medwick lächelte ihr mit seinen ebenmäßigen Zähnen zu. „Das ging schneller und einfacher als ich je zu hoffen gewagt hätte.“ Er aß eine der pochierten Birnen und ließ sich ein paar Stücke des Wildes munden. „Sagt mir Alida, was gibt es sonst neues aus euren flandrischen Landen?“
Alida war ausgesprochen froh darüber einen angenehmen Abend mit interessanten Gesprächspartnern verbringen zu können, vor allem, wenn sich daraus noch lohnende Geschäfte ergeben konnten. Für ihre Verhältnisse war das Essen mehr als reichlich und die Dekadenz, die durchaus darin zu erkennen lag, wohl gezielt von Mildred ausgewählt: nur das Beste für ihre Gäste!

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Alida lachte als sie sprach. „Neues in Flandern? Ihr meint außer der Tatsache, dass wir uns derzeit überlegen wie man sich am ehesten Kiemen und Schwimmhäute wachsen lassen könnte um in die Kanäle und die See zu springen um wenigstens dort ein wenig Kühle zu genießen? Bevor man dahin schmilzt?“ Sie sah den Engländer an. „Was ist euch im weit gerühmten London denn zu Ohren gekommen über das Festland?“ Es erschien ihr geschickter mit einer Gegenfrage zu beginnen. Sie überlegte, was sie ihm Positives von Flandern berichten konnte. Gerüchte über verfeindete Adelsgeschlechter und drohenden Bürgerkrieg wären ihren Geschäften mehr als abträglich.
Die feinen Bienenwachskerzen, die den Tisch erleuchteten, waren bereits ein gutes Stück heruntergebrannt, als die schier unendliche scheinende Anzahl von Dienern, die Mildred zu beschäftigen schien, schließlich den Nachtisch auftrugen. Es gab süßes und gewürztes Gebäck, frische Walderdbeeren in Sahne und kleine, weiße Kuchen aus Nussmehl und Butter, die in Safranwasser getaucht waren. Zusätzlich wurde jedem Gast ein Krug mit Honig gesüßter Mandelmilch serviert. Zusätzlich aromatisiert war das Getränk mit Zimt, aber nicht einmal das war es, was den Tisch plötzlich in eine erstaunte Stille tauchte. Die Milch war wunderbar kalt, denn in der Flüssigkeit schwamm Eis welches, wie Alida wusste aus dem eigens gebauten Eiskeller stammen musste. Im Winter wurde dort frisches Eis aus den Teichen und Seen eingelagert, welches vorher mit Stroh eingepackt wurde. Ein so gekühltes Getränk schaffte es immer Eindruck zu schinden insbesondere an einem so heißen Tag.
Medwick wirkte schlagartig ein wenig ernster als Alida ihm zwischendurch ihre Frage stellte. Er hielt sich bedeckt, antwortete aber überlegt und ehrlich. „Auf der Straße spricht man noch nicht davon, aber ich habe gehört das es Spannungen im Land gibt. Viele meiner Kollegen fürchten einen Bürgerkrieg in Flandern.“ Der Rotschopf hielt einen Moment inne und überlegte. Arn van Bergen war noch vor dem Nachtisch eingeschlafen und schnarchte leise. Zwei Diener erschienen lautlos und trugen den alten Mann ins Innere des Hauses und niemand unterbrach sein Mahl. Das schien öfter vorzukommen. Medwick hatte sich davon aber nicht ablenken lassen. „Ich weiß nicht, was kommen wird, aber je nachdem wie sich diese Spannungen entladen sollten, würden auch wir in England erheblich darunter leiden. Der Wollmarkt ist einer der wichtigsten im ganzen Land und Flandern unser Hauptabnehmer.“
Alida nickte nachdenklich. Sie versuchte nicht all zu zustimmend auszusehen, teilte aber nur all zu gut die Befürchtungen des jungen Kaufmannes. „Unsere Gräfin Johanna regiert Flandern seit einigen Jahren und hat dabei ein für eine Frau beträchtliches Geschick an den Tag gelegt, das im gleichen Atemzug mit vielen anderen Herrschern genannt werden kann. Probleme gilt es dabei immer zu überwinden. Ob von außen oder aus den inneren Kreisen. Möge der Herr ihre Schritte stets auf dem rechten Pfad lenken, genauso wie die ihrer Familie und Berater.“ Alida wagte nicht mehr mit einem Fremden auszutauschen.
Bevor Medwick auch nur antworten konnte, erhob sich Mildred und plötzliche Stille kehrte an den Tisch. Die Händler wirkten alle satt und zufrieden und keiner der Anwesenden schien das ernste Thema, welches Alida und ihr Gesprächspartner angeschnitten hatten, bemerkt zu haben.
Mildred lächelte den Männern entwaffnend zu. „Meine Herren, ich hoffe, allen hat das Mahl gemundet.“ Sofort kamen Worte des Lobes und der Zustimmung, die Alidas Verwandte aber sofort überspielte. „Bitte esst und trinkt noch, doch ich werde mich nun für das erste zusammen mit meiner Verwandten zurückziehen. In der Zwischenzeit wünscht unser junger Barde hier das erlauchte englische Publikum mit ein paar Weisen zu unterhalten.“ Der braunhaarige, ausnehmend hübsche junge Mann verbeugte sich leicht und begann wie ein Engel auf seiner Harfe zu spielen. Schließlich begann er auf Englisch zu singen, die Ballade des König Arthus und seiner Tafelrunde.
Es dauert nicht lange, dann stand Mildred neben Alida und bot ihr einen Arm an. „Tante?“ Die grün-braunen Augen ihrer Verwandten sprachen Bände. Jetzt war wohl wirklich der private Teil des Abends gekommen. Die meisten der Händler folgten inzwischen dem jungen Barden. Einige nippten noch an einem Glas Wein oder knabberten an einem der Gebäckstücke. Alle schienen wie verzaubert. Es war einmal mehr erheiternd zu sehen auf welch wundersame Weise ein gutes Essen und etwas Unterhaltung manchmal wirken konnten.
Alida verabschiedete sich höflich von ihrem Tischpartner sowie den anderen Gästen und erhob sich. Sie bat den jungen Engländer doch am nächsten Abend bei den van de Burse zu einer geschäftlichen Unterredung vorbei zu kommen sofern er die Zeit erübrigen könne und nahm dann den Arm der jungen blonden Frau an. Sobald sie außer Hörweite der anderen waren, gratulierte Alida. „Ein ganz und gar gelungenes Fest. Herzlichen Glückwunsch. Deine Gäste sind beeindruckt.“
„Danke Alida. Ich glaube, meine Köchin hätte sich am liebsten selbst in die Flammen geworfen als ich ihr den Speiseplan gegeben habe, aber es scheint sich doch alles gelohnt zu haben.“ Sie gingen ins Innere des Hauses. Über dem Portal, welches in die Empfangshalle führte, war noch ein Dach gezogen wurde, welches von Säulen gehalten wurde, ein architektonisches Element, welches auf der ganzen Seite des Hauses genutzt wurde. Es erinnerte ein wenig an einen Kreuzgang, mehr noch an eine Art von Atrium, was wieder zum südländischen Stil des Hauses beitrug. Hier oben im Norden musste man tricksen. Man durfte die Kälte schließlich nicht hineinlassen, aber so gewann die Rückseite des Hauses doch ein wenig an Leichtigkeit.
Erst als sie im inneren des Hauses waren sprach Mildred wieder. „Der Abend war zwar dazu da vielleicht ein paar Handlungsbeziehungen knüpfen zu können, aber das war noch nicht alles, was du dir vielleicht denken konntest. Es gibt jemanden, der mit dir sprechen möchte, und dieser jemand wollte keinesfalls, dass jemand etwas davon mitbekommt. Das Essen hat dafür einen perfekten Rahmen geboten.“ Die Eingangshalle war prachtvoll. Es gab viel dunkles Holz und Marmor, die den weiten Weg aus Italien hierher gebracht wurden. In der Mitte des großen Treppenaufganges hing allerdings ein ganz anderer Blickfang. Es war ein Seidentuch, fein bestickt mit Scharlach und Gold welches das Wappen der Familie van de Burse darstellte. Drei goldene Geldsäcke auf einem rot-goldenen Wappen. Es war Mildreds Meisterstück gewesen, ein Beweis ihrer feinen Handwerkskunst mit dem sie zur Gildenmeisterin aufgestiegen war. Neben der ganz offenbar schmückenden Funktion hatte es wohl auch noch eine andere Funktion, denn so war ganz klar, wer hier in diesem Haus eigentlich das Sagen hatte.

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Alida nickte anerkennend. „Du hast dir hier ein großartiges, bewundernswertes Zuhause geschaffen und allein für diese meisterhafte Arbeit hättest du deinen Platz im Rat der Seidenweber verdient. Nebenbei: ich mag das Motiv.“ Sie schmunzelte verräterisch. „Ich hoffe, dein Erfolg bleibt bestehen. Verdient hast du ihn. Mit dem Wollhandel mit England werden vor allem deinem Mann und seinen Gesellen weitere Tore offen stehen, aber wir erwarten in den nächsten Wochen einen Konvoi aus Andalusien. Ich bin mir sicher, er wird auch für dich die bestellte Seide mitbringen.“ Sie sah zu der blonden jungen Frau und ging auf das andere ein, was sie gesagt hatte. „Du hast mich neugierig gemacht… Welcher deiner Bekannten wünscht mich zu treffen?“
Mildred nickte ehrlich dankbar für die Worte und die Anerkennung. Beide Frauen wussten wie risikoreich das Geschäft der Seidenweber war. Wenn es an dem teuren und seltenen Rohstoff mangelte, konnten sie schlicht nicht arbeiten und jeder einzelne, noch so kleine Fehler den man beim Weben des dünnen Fadens machte, war permanent und minderten den Preis des fertigen Stoffes. Fehlerfreie, dicht gewebte und ordentlich gefärbte Seide erzielte dafür aber so unverschämt hohe Preise bei Kirche, Adel und wohlhabendem Bürgertum, dass sich das Geschäft mehr als nur lohnte. Die junge Frau führte Alida in einen Seitengang. „Oh, es ist nicht einer meiner Bekannten, sondern einer von deinen. Sie sagte, sie kennt dich und hat sich mit dem Namen Charlotte Erembald vorgestellt. Noch etwas Alida. Sie war sehr geheimnisvoll und wollte auch, dass es so bleibt. Nicht einmal die Diener wissen, dass die Frau hier ist. Ich werde in der Bibliothek warten, denn sie wollte unbedingt alleine mit dir sprechen.“ Sie ließ ihre Verwandte schließlich eintreten und schloss die Tür dann wieder hinter sich. Die Tzimisce trat in ein kleines Arbeitszimmer welches nur von ein paar Kerzen erhellt wurde. Die Gestalt, die dort auf sie wartete, war die, die sich angekündigt hatte. Sie kannten sich nicht besonders gut, aber beide Kainiten hatten schon miteinander zu tun gehabt. Charlotte Erembald saß aufrecht auf einem kleinen Sofa und nickte Alida kurz zu, während sie sofort zu sprechen begann.
„Guten Abend, Alida. Ich entschuldige mich für einen solch dilettant-theatralischen Auftritt, aber meine Anwesenheit hier sollte unter allen Umständen geheim bleiben. Bitte setzt euch wir haben keine Zeit zu verlieren, denn morgen brechen wir nach England auf.“

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Verfasst: Mo 11. Sep 2017, 07:40 


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 Betreff des Beitrags: Re: Sol Invictus
BeitragVerfasst: Mo 11. Sep 2017, 12:32 
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Charlotte Erembald… Alida verharrte einen Augenblick an der Tür um das Bild in sich wirken zu lassen. Die Kainitin mit den Zügen einer alten Frau sah besorgt aus, ein Ausdruck, den sie nicht häufig auf ihren Zügen gesehen hatte. Zugegebenermaßen: Alida irritierte die forsche, meist überhebliche Art der ehemaligen Adeligen von Brügge, aber sie bewunderte deren Schneid, Gewieftheit und Intelligenz. Und zu guter letzt vor allem eine Besonderheit: Charlotte Erembald war als Diplomatin in England und mitunter auch in Deutschland unterwegs, hielt Augen und Ohren offen, plante und taktierte und nach allem, was die blonde Händlerin in Erfahrung hatte bringen können war diese Frau gut für Brügge… was sie automatisch, auch wenn es Alida mitunter aufgrund ihrer für eine Adelige typische überhebliche Art nicht ganz einfach fiel, zu ihrer wichtigsten Verbündeten zählen ließ.
Alida deutete mit einem knappen Nicken eine Verbeugung an und trat dann näher. Sie ließ keine Zeit verstreichen, denn die Adelige schien es eilig zu haben, und nahm in dem weich bezogenen Sessel ihr gegenüber Platz. Nichtsdestotrotz fügte sie deine kurze Begrüßung an. „Es freut mich euch wieder zu treffen. Ihr seid in den letzten Jahren ein seltener, aber gern gesehener Besuch. Wobei ihr zumeist nicht über das schöne Wetter in England berichtet, sondern größtenteils Nachrichten mit euch führt, die uns Augen und Ohren offenhalten lassen müssen.“ Sie schmunzelte

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 Betreff des Beitrags: Re: Sol Invictus
BeitragVerfasst: Di 12. Sep 2017, 12:15 
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Das Studierzimmer war ebenso wie der Rest des Hauses geschmackvoll und vor allem teuer eingerichtet. Der Sessel auf dem Alida platz genommen hatte, war mit bunten Stoffen bezogen und herrlich weich und die übrigen Möbel aus stabilem, lackierten Holz. Die ältere Frau erwiderte die Begrüßung der blonden Händlerin mit knappen Worten. „Es überrascht mich, dass ich noch immer ein gern gesehener Besuch bin, auch wenn meine Anwesenheit wie so oft mit schlechten Nachrichten verbunden ist.“ Charlotte lächelte nicht, ihr Ausdruck war nach wie vor besorgt und ernst. „Aber beklage mich gewiss nicht, zumindest nicht bei euch da ich es bevorzuge meine Zeit mit einer intelligenten Frau besser zu benutzen.“ Die alte Frau lehnte sich zurück und verschränkte ihre langen, dünnen Finger zu einem Muster das irgendwie an eine Spinne erinnerte. „Der Krieg steht vor unseren Türen, aber das wisst ihr sicherlich bereits und da ich mich nicht wie ein gemeinder Dieb hier verschanzt habe um euch mit Offensichtlichem zu langweilen komme ich gleich zur Sache. Ich brauche nämlich eure Hilfe, damit die Geier sich nicht auf das stürzen was von diesem Land übrig ist, sobald die eine Schwester die andere umgebracht hat.“ Charlotte Erembald verschränkte die Arme vor der Brust. "Ich hoffe daher ihr habt diesen Monat noch nichts besseres vor und Zeit für einen kleinen Ausflug an den englischen Hof."

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 Betreff des Beitrags: Re: Sol Invictus
BeitragVerfasst: Di 12. Sep 2017, 15:52 
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„Schlechte Nachrichten sind besonders dann die besten Neuigkeiten, wenn man sie früher hat als andere.“ Alida lauschte der Ausführung der alt wirkenden Frau und sah ernst in deren Gesicht. Sie kannte die Vermutungen, die diese aussprach nur zu gut. „Ich hoffe, dass eure Befürchtungen sich nicht bewahrheiten werden. Allerdings ist man stets besser beraten, potentelle Gefahren angemessen zu berücksichtigen… Sagt, Charlotte: Was lässt euch zu der Annahme kommen, ich wäre in England zu mehr zu gebrauchen als in Flandern in Zeiten in denen solche Konflikte anstehen mögen. Sollte es wirklich zu einem Krieg kommen, dann ist mein Platz hier und sollte eine Möglichkeit bestehen ihn zu verhindern ebenfalls…“ Alidas Worte waren vorsichtig und mit Bedacht gesprochen. Vielleicht vermochte sie wirklich in irgendeiner Weise in England von Nutzen sein, aber konnte sie ihre Familie, Freunde und die Kainiten, die ihr etwas bedeuteten wirklich allein lassen, wenn es so ernst stand, wie die Kainitin vermutete?

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 Betreff des Beitrags: Re: Sol Invictus
BeitragVerfasst: Mi 13. Sep 2017, 08:23 
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Die silbernen, mit roten Steinen besetzten Ohrringe von Charlotte Erembald glitzerten im Licht der einzelnen, flackernden Kerze während sie Alidas Ausführungen stoisch lauschte. Sie lehnte sich ein Stück vor um ihr zu antworten und ließ die Tzimisce dabei keinen einzigen Moment aus den Augen. „Ihr könnt hier bleiben aber was werdet ihr tun um die Position jener wirklich zu verbessern die hier in Flandern auf das unvermeidliche warten? Haltet ihr die Hand derer die Angst haben? Wollt ihr Mauern und Palisaden bauen, ohne zu wissen wo die zukünftigen Schlachten überhaupt geschlagen werden? Die Kämpfe könnten morgen ausbrechen, was mehr als unwahrscheinlich ist oder auch erst im nächsten Jahr, was ich ebenso nicht glaube. Wir haben noch Zeit. Es ist nicht sonderlich viel, aber ich gedenke sie zu nutzen und zwar an dem Ort wo es vielleicht noch möglich ist einen echten Unterschied zu machen" Die Ventrue mit der ältlichen Maske lehnte sich wieder in ihren Sessel zurück. „Am 21. Juni, zur Sommersonnenwende findet der ‚Sol Invictus‘ in London statt. Das Fest der ‚unbesiegbaren Sonne‘, die größte und wichtigste Versammlung der Baronien von Avalon. Alle kainitischen Machthaber und grauen Eminenzen der britischen Inseln werden dort sein um Lord Mithras ihre Aufwartung zu machen. Das ist natürlich nur der offizielle Grund." Charlotte lächelte säuerlich. "Im Grunde geht es vor allem darum Ränke zu spinnen und seine eigene Position zu verbessern, aber ihr habt genug Erfahrungen mit den mächtigsten dieses Kontinents gehabt um zu wissen wie solche gesellschaftlichen Ereignisse normalerweise vonstatten gehen. Ich möchte...“ Sie zeigte mit ihren spindeldürren Fingern auf die Tzimisce. „...ich möchte das ihr Alida den ‚Sol Invictus‘ besucht um die Anwesenden davon zu überzeugen welch schlechte Idee es für Britannien wäre sich an einem Krieg in Flandern zu beteiligen. Sei es während der Kämpfe oder auch danach wenn die Geier beginnen zu kreisen, um sich an dem gütlich zu tun was noch übrig ist.“

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 Betreff des Beitrags: Re: Sol Invictus
BeitragVerfasst: Do 14. Sep 2017, 16:25 
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Alida faltete die Hände und legte die Zeigefinger nachdenklich an die Lippen während sie Charlottes Ausführungen lauschte. Dann nickte sie. „Ich verstehe euren Standpunkt und die Sorge, die ihr um Flandern und Brügge hegt, ehrt euch in meinen Augen. Das wisst ihr. Euer politisches Kalkül und euer diplomatisches Fingerspitzengefühl bewundere ich. Ich werde mit euch nach England kommen. Die Insel ist nicht weit von Flandern entfernt und innerhalb ein oder zwei Tagesreisen bin ich in der Lage wieder hier zu sein, wenn es die Umstände erfordern.“ Sie sah die Ventrue fest an und faltete die Hände in ihrem Schoss, schmunzelte dann wissend. „Keine Angst. Es gibt durchaus für Kaufleute wie uns auch andere Möglichkeiten der Unterstützung als den Ängstlichen die Hand zu halten, Lady Erembald.“ Man sah ihr an, sie hatte die Herausforderung der ältlichen Frau durchaus verstanden, nahm sie aber nicht weiter persönlich. „Ich frage mich, wie ihr beabsichtigt, die Mächtigen der Baronien davon zu überzeugen die Finger von Flandern zu lassen. Bündnisverträge? Drohungen? Bestechung? Unsere Position ist derzeit nicht allzu überzeugend…“ Alida seufzte leicht. Oh, wie sie sich wünschte, dass die politische Situation in Flandern eine andere wäre. Kurz hing sie dem unrealistischen Gedanken nach, der ihr durch den Kopf schoss: Hätten Draga und ihr Kind Costayne damals nicht ihre eigenen gescheiterten intriganten Pläne geschmiedet um den Thronfolger auszutauschen, säße heute Balduin auf dem Thron. Er wäre ein guter Fürst für Flandern, da war sie sich sicher. Kurz schloss sie die Augen, sah dann wieder zu Charlotte. „Wenn ihr wirklich anstrebt, durch flandrische Kainiten die Position unseres Landes in den Augen der Baronien zu stärken, wäre es eine Überlegung wert, ein paar andere mit nach London reisen zu lassen: Lilliana von Erzhausen ist bei weitem geschulter als ich im Umgang mit Adel und Etikette, in Gent gibt es Kainiten wie Alvarr, oder Anna und Jasper Ellington, die wahrscheinlich ebenfalls mehr Eindruck als ich hinterlassen würden. Würde es Mithras als Ventrue nicht als Affront sehen, wenn sich ein Drache an seinem Hof aufhalten würde?“ Sie wartete einen Moment auf Charlottes Antwort, dann fuhr sie fort. „Es ist mir eine Ehre euch nach London begleiten zu können. Wenn ich vielleicht auch nicht davon zu überzeugen vermag, dass die Baronien besser die Finger von Flandern lassen sollten, so bin ich möglicherweise dennoch in der Lage unsere potentiellen Feinde näher kennen zu lernen und das mag uns vielleicht eines Tages nützen…“

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 Betreff des Beitrags: Re: Sol Invictus
BeitragVerfasst: Fr 15. Sep 2017, 10:35 
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„Meine Liebe versteh mich nicht falsch, aber es gibt schon genügend selbstherrliche Könige und über-kultivierte Rosen auf dem Sol Invictus ohne das wir zusätzlich welche aus Flandern importieren müssten. Im Gegenteil ich würde mich lieber mit aller Begeisterung die in meinen alten Knochen noch übrig geblieben ist vom Belfried stürzen, als mir auch nur einen von denen mehr ans Bein binden zu müssen.“ Die grimmige Miene der so alt wirkenden Frau hatte einen sarkastischen Zug angenommen. „Außerdem geht es bei den Verhandlungen die ich zu führen gedenke nicht um Adel, Bündnisse, Etikette oder darum sich wie ein notgeiler Pfau aufzuplustern, sondern um Geld, Wohlstand und Handel. Dinge die wirklich etwas in diesen Zeiten bewegen können. Gott möge unserer aller Seelen gnädig sein, wenn es wirklich einmal so weit kommt, dass affektiertes Gehabe und gute Manieren etwas in dieser Welt verändern sollten.“ Charlotte seufzte und breitete eine Pergamentrolle vor Alida aus. Darauf konnte man die britischen Inseln, in kruder Form ausmachen. Die Ventrue hatte ein Stück Kohle in der Hand und begann an verschiedenen Orten Englands und auch im südlichen Wales schwarze Kreuze zu setzten. Sie drehte die Karte um und ließ Alida darauf schauen. „An diesen Orten leben komplette Landstriche Englands von Schafen und ihrer Wolle. Ganze Industrien haben sich dort angesiedelt deren komplettes Jahr von blökendem, stinkenden Vieh bestimmt wird und man kann recht sicher davon ausgehen, dass es mehr und nicht weniger werden. Wahrscheinlich pissen manche der Bauern dort sogar schon Wolle, so wichtig sind die Schafe für den Wohlstand. Das aber ist noch nicht allen gänzlich bewusst. Insbesondere denen die das Geld nur ausgeben und nicht verdienen.“ Die grauhaarige Frau pausierte für einen Moment um sicherzustellen, dass Alida ihren Ausführungen aufmerksam folgte.

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„Das ist aber auch unsere Trumpfkarte, denn wohin genau wird ihre wertvolle Wolle hauptsächlich exportiert um Kleidung daraus zu weben? Richtig.“ Charlotte nickt Alida nur zu. Die Antwort auf die Frage brauchte keine von beiden Frauen laut auszusprechen. „Genau hier kommt ihr auch ins Spiel meine Liebe. Ihr müsst den Sol Invictus nutzen um ein paar wichtigen Schlüsselfiguren klar vor Augen zu führen, welche verheerende Konsequenzen der Einbruch des Wollhandels für England hätte.“ Charlotte verschränkte ihre Arme vor Brust und blickte Alida lange an. Sie schien das Pro und Contra einer Entscheidung in ihrem Kopf abzuwiegen „Details über Lord Mithras Hofstaat, seinen Rat und wichtige Kainiten werde ich euch auf der Reise erzählen. Diese Dinge eilen noch nicht. Eine Sache ist aber noch wichtig.“ Die Stimme ihrer Gegenüber war angespannt und Aldia konnte die Warnung dahinter beinahe spüren. „Lord Mithras ist anders als Ventrue die ihr bereits kennen gelernt habt. Dieses Individuum hat mehr von einer Naturgewalt, als von einem echten Kainiten, geschweige denn einem Menschen. Sein Zorn ist gewaltig gegenüber jenen die ihn enttäuschen, genauso wie es die Geschenke für jene sind die ihm erfolgreich und treu dienen. Die Tatsache das ihr eine Tzimisce seid sollte in England eigentlich keine Rolle spielen. Im Gegenteil Mithras hat die Drachen im Omenkrieg sogar gegen die Tremere unterstützt, denn es gibt nichts auf dieser Welt was er mehr verabscheut als die Hexer. Die Baronien von Avalon und die Lehen des schwarzen Kreuzes mögen beide von Ventrue geführt werden, aber dort hören die Gemeinsamkeiten auch schon wieder auf. Glaubt mir. Trotz allem erreicht Mithras Wille nicht jeden Winkel und jede Ecke seines Landes und es mag Individuen in seinem Hofstaat geben, die vielleicht erheblich weniger von eurem Clan halten als der Monarch. Behaltet dieses Detail bitte im Hinterkopf.“ Das düstere wich langsam aus der Stimme der Ventrue.

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 Betreff des Beitrags: Re: Sol Invictus
BeitragVerfasst: Fr 15. Sep 2017, 16:56 
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Alida nickte. „Danke für die Ausführungen zu den kainitischen politischen Hintergründen. Ich werde sie berücksichtigen. Die wirtschaftlichen Belange sind mir nur zu gut bewusst. Meine Familie handelt seit Jahrhunderten in England und Schottland mit Wolle. Beste Qualität zu gutem Preis. Wir werden sehen, wie sich mit wirtschaftlichen Gründen am besten argumentieren lässt, denn ein Land, zerrissen in Bürgerkrieg, ist kein guter Absatznehmer.“ Sie seufzte bei dem Gedanken. „Gibt es noch etwas, das ich vor der Abreise wissen sollte? Gedenkt ihr noch jemanden sonst mitzunehmen?“

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 Betreff des Beitrags: Re: Sol Invictus
BeitragVerfasst: So 17. Sep 2017, 20:40 
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Ein bisher nicht gekannte Milde legte sich in den Ausdruck und die Stimme der Ventrue. „Ich fühle mit euch, Alida. Auch ich möchte die beschützen, die mir nahestehen, und es treibt mich beinahe in den Wahnsinn so wenig Einfluss auf alles zu besitzen was im Moment geschieht.“ Die grauhaarige Frau fixierte einen Punkt über Alidas Schulter. „Es fühlt sich an als würde ich irgendetwas übersehen, als wartet irgendwo noch eine böse Überraschung darauf hervorzubrechen und das bereits vorhandene Chaos auch noch anzuzünden.“ Charlotte schüttelte energisch das ergraute Haupt. „Es hilft nichts Gespenstern nachzujagen. Im Gegenteil, wir sollten lieber das Blatt spielen so gut wir können, welches uns im Moment ausgeteilt wurde. Nur so sind wir in der Lage einen wirklichen Unterschied zu machen.“ Die Ventrue erhob sich und nickte Alida zu. „Bringt eure Angelegenheiten in Ordnung. Wir treffen uns hier morgen Nacht wieder. Bis dahin werde ich die Gastfreundschaft eurer Verwandten noch ein wenig ausnutzen.“
Alida erhob sich. „Wäre es vielleicht sinnvoller sich am Hafen zu treffen? So würden wir weniger Zeit verlieren…“ warf sie kurz ein.
"Meine Liebe, wir werden erst ab Calais mit dem Schiff reisen. Ich weiß nämlich ziemlich sicher, dass es im Hafen Spione gibt, denen wir keinen Anhaltspunkt für unsere kleine Reise geben wollen. Außerdem müssen wir in Calais noch einen Bekannten treffen, bevor wir übersetzten."
Alida sah zu der Frau, die noch immer saß, hinab. „Ihr macht mich neugierig… nun denn. Bis morgen Abend. Ich werde hier sein.“ Sie nickte der Jüngeren zum Abschied noch einmal zu und wandte sich dann zum gehen.
Die blonde Händlerin verabschiedete sich ein letztes Mal von den Herrschaften des Hauses, was ihr nicht recht einfach fiel. Sie war in Gedanken schon längst bei Themen wie Bürgerkrieg, den von Hennegau Schwestern und der Reise nach London.
Während sie schweigsam neben dem Diener durch die Häuserzeilen ihrer Heimatstadt schritt
Überlegte sie, wer bereit wäre sie auf diese Reise zu begleiten. Es gab einige Kainiten, die ihr auf Anhieb in den Sinn kamen:
Da war der Hauptmann der Nachtwache, dessen raue, ehrliche Art sie vor Jahrzehnten mehr als nur zu schätzen gelernt hatte und dessen Schwert und Klauen sie immer gern an ihrer Seite wusste.
Man könnte Leif fragen, aber Charlotte stand ihm näher als ihr. Wenn er bei der Reise zugegen sein sollte, dann hätte sie ihn wohl bereits gefragt.
Frederik wäre in der Lage sie zu unterstützen und ihr zu helfen die Niederlassung in London weiter auszubauen. Der Gedanke allein schmerzte: Die van de Burse in den Baronien von Mithras statt in der Heimat, Flandern. Sie schluckte den Gedanken hinunter. Sie war keine Närrin. Sie selbst war diejenige der Familie, die am tiefsten mit ihrer Heimat verwurzelt war. Viele ihrer Familie waren Abenteuer, Händler, die gern auf Reisen gingen um neues zu entdecken, egal ob es sich dabei um fremde Kulturen oder auch nur neue Gewürze für die Schweinekeule waren. Sie wären nur zu gut in der Lage in einer anderen Stadt eine neue Heimat zu finden… im Gegensatz zu ihr selbst… Alida starrte auf das Kopfsteinpflaster und versuchte sich wieder auf andere Gedanken zu konzentrieren.
Sie hatte versprochen, dass Hendrik sie dereinst nach London begleiten dürfe, also würde sie ihm die Reise nach Britannien anbieten.
Dann blieb noch Emilian. Er war in Gent, würde bestenfalls nachreisen können. Aber natürlich würde sie ihn in so belanglosen Ton wie nur möglich in einem Brief fragen. Wenn es jemanden gab den sie dabei haben wollte, dann ihn.
Alida verbrachte den Rest der Nacht damit drei Diener damit zu beauftragen alles für ihre Abreise vorzubereiten. Ihr selbst blieb keine Zeit, da sie das offizielle Oberhaupt der van de Burse, ihren alten Ghul Christian, Frederiks Vater, über ihre Reise in Kenntnis setzte ohne ihm die genauen Hintergründe zu nennen. Offiziell ging es um den Ausbau des englischen Kontors um die wirtschaftliche Sicherheit der Familie auch in Zeiten eines Bürgerkriegs zu gewährleisten. Ihr gelang es nicht Lucien ausfindig zu machen, der, so erfuhr sie später von Hendrik, gerade dabei war in Blenheim für die Ausbildung der Brügger Soldaten zu sorgen. Der zwölfjährige Junge hatte sie mit weit aufgerissenen Augen angestarrt, als sie ihm verkündete, dass sie morgen nach London abreisen würde und daran dachte ihn mitzunehmen. Er war ganz außer sich vor Freude als er sofort begann seine wenigen Habseligkeiten in einen ledernen Seesack zu packen.
Auch Frederik konnte sie, bevor sie vor der beginnenden Helligkeit des Morgens in ihre Kammer floh, kurz ansprechen. Die Zeit ließ es nicht zu ins kleinste Detail zu gehen, aber sie fragte ihn, ob er nicht schon immer mal zu einer Reise nach London hatte aufbrechen wollen. Wenige Minuten später warf sie sich in die Kissen ihres Bettes unfähig nach einer Bettdecke zu greifen und wurde hinab gerissen in den Schlaf der Untoten.
Frederik war sofort mit aller Gründlichkeit damit beschäftigt seine Reise vorzubereiten und natürlich war Hendrik kaum zu halten, als er die Nachrichten hörte. Alidas Schlaf war unruhig, aber traumlos und die nächste Nacht brachte keine weiteren Überraschungen oder Ankündigungen. Mitternacht war nicht mehr weit entfernt und sowohl Hendrik, als auch Frederik waren bereit zur Abreise. Der Junge war ganz aufgeregt, versuchte das Gefühl aber offenbar zu überspielen und ruhig zu wirken. Er grinste breit, als er Alida sah und begann sofort zu erzählen. „Ich freue mich auf unsere Reise! Werden wir mit dem Schiff reisen? Natürlich werden wir mit dem Schiff reisen, immerhin ist England eine Insel. Das wird toll. Ich habe allen erzählt das du mich mitnimmst. Ich glaube Mama hat Angst, auch wenn sie nichts gesagt hat.“ Der sonst so gern vor sich hinbrütende Junge brach plötzlich ab, ganz so als hätte er sich selbst beim Plappern erwischt. Schließlich fragt er etwas ruhiger. „Was glaubst du, wie lange wir unterwegs sein werden Tante Alida?“ Frederik beobachtete das Schauspiel nur schmunzelnd.
Alida versuchte den nachdenklichen Ausdruck auf ihrem Gesicht einem erfreuten Lächeln weichen zu lassen. Wie verborgen würden sie wohl reisen müssen? Sie schätzte grob die Entfernung ab. „Ich vermute zwei bis drei Tagesreisen bis Calais, dann eine weitere Tagesreise bis nach Dover. Einen weiteren Tag von Dover nach London, wenn alles ohne große Schwierigkeiten abläuft und das Wetter so trocken bleibt wie die ganze Zeit schon.“ Sie sog tief die heiße Luft ein. Würde es in England ebenso heiß sein? Wahrscheinlich. „und ja, wir reisen mit einem Schiff, aber ich weiß nicht, welches unsere Reisebegleitung zu buchen gedenkt. Nach England braucht man ein Schiff. Sonst müsste man eine Brücke bauen… oder einen Tunnel.“ Sie begann zu lachen. „Aber das ist für uns Menschen absolut unmöglich: viel zu weit.“
Hendrik nickte enthusiastisch. Er nahm die Information, die Alida ihm gab, begierig auf und verstaute sie irgendwo in seinem ständig arbeitenden Kopf. Er schien zu überlegen. „Vielleicht haben wir ja irgendwann einmal einen Tunnel oder eine Brücke bis nach England. Wir könnten ganz viele Boote zusammenbinden. Von Calais bis Dover und schon hätte wie die erste Brücke über den Ärmelkanal.“ Er grinste breit, offenbar zufrieden mit seiner eigenen Cleverness. Alida brach schließlich mit ihren Reisegefährten auf und als sie Mildreds Anwesen erreichten, standen die Tore bereits weit offen. Zwei Kutschen und drei Wagen, beladen mit verschiedensten Waren, die man auf Brügges Märkten kaufen konnte, schienen bereit für ihre Reise zurück nach England. Alida sah nicht nur feinste Tuche und Kleider, sondern auch Erzhausener Kernseife und Aldurbräu. Mildred schien sie bereits zu erwarten und begrüßte ihre kleine Reisegruppe, noch bevor sie das Haus betraten. Sie sah perfekt aus in einem Kleid aus nachtblauer Seide, besetzt mit Spitze und kleinen Perlen um den Ausschnitt. Als sie sich zu Alida beugte um ihr einen Kuss auf die Wange zu geben flüsterte sie. „Die alte Schachtel in meinem Studierzimmer ist fuchsteufelswild. Ich glaube irgendetwas ist erheblich schief gegangen, nur das du vorbereitet bist.“ Dann begrüßte ihre Verwandte noch Frederik und Hendrik, auch wenn es recht offensichtlich was das Mildred nicht viel mit Kindern im Sinn zu haben schien.
Auch wenn sich bereits wieder Sorge in Alida festsetzen wollte, brachte sie Mildreds Bemerkung über die ‚alte Schachtel‘ doch wieder zu einem Grinsen, das sie vor den anderen hastig zu verbergen suchte, und vertrieb die Bedenken. „Ich werde nach unserer gemeinsamen Bekannten sehen.“ Sie schmunzelte Mildred kurz verschwörerisch zu und ging dann in die Richtung der Gemächer in denen Charlotte gestern gewartet hatte.
Das Arbeitszimmer sah noch genauso aus wie in der Nacht zuvor, abgesehen von einer großen Anzahl an Karten und Büchern, die sich auf dem Schreibtisch türmten. Die Ventrue trug heute ein einfaches graues Kleid und hatte die Haare zu einem festen Dutt gebunden, der dem strengen Gesicht noch mehr Schärfe gab. Über ihren Schultern hing ein Schwarzer Mantel aus dünner Wolle, der trotz des filigranen eingewebten Musters, zu warm für diese heiße Sommernacht wirkte. Als sie Alida in den Raum kommen sah, verzog sich ihr Mund zu einem dünnen Strich und ihre Augen waren eiskalt. „Ich wusste nicht, dass ihr unter euren ‚aller engsten Vertrauten‘ die ganze Stadt versteht.“ Die Ventrue begann die Papiere und Pergamente, die noch herumlagen in eine schwere Holztruhe zu räumen. Die graublauen Augen streiften noch einmal Alida. „Es war wahrhaftig enttäuschend aufzuwachen, nur um die ganze Stadt darüber reden zu hören, dass Alida van de Burse nach England aufbricht. Euer junger Verwandter Hendrik van de Burse hat kaum jemanden ausgelassen, als er die fröhliche Nachricht verkündete, dass er schon heute mit seiner Tante auf Reisen gehen würde. Wenn ich es nicht besser wüsste, müsste ich davon ausgehen, ihr wollt diese Mission sabotieren.“
Alidas Mundwinkel verzogen sich zu einem Strich. „Verzeiht. Es liegt eigentlich nicht in der Natur meines Neffen mit Fremden irgendwelche Gegebenheiten zu besprechen. Er ist normalerweise eher zurückhaltender Natur. Aber ihr habt recht. Ich habe ihm kein explizites Verbot ausgesprochen etwas zu erzählen. Mögt ihr mir kurz erläutern aus welchem Grund es ein solches Geheimnis sein muss, dass ein Mitglied der van de Burse die eigenen Besitztümer in London zu inspizieren gedenkt? Immerhin ist das keine Begebenheit, die man als Seltenheit bezeichnen würde.“

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 Betreff des Beitrags: Re: Sol Invictus
BeitragVerfasst: Di 19. Sep 2017, 17:23 
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Charlotte musterte Alida aufmerksam und sicherlich einen guten Moment länger als angenehm war, bevor sie endlich sprach. „Mir ist bewusst, dass ihr den Namen eurer Familie mit Stolz vor euch her tragt. Wie ein Soldat sein Banner oder ein Mann sein steifes Gemächt. Das ist für Außenstehende offensichtlich und ihr habt es euch all das redlich verdient. Ich bin mir nämlich sicher, dass es eine Menge Opfer, Arbeit und Herzblut für euch und eure Ahnen bedeutet hat um an den Punkt zu kommen an dem ich euch im Moment befindet. Aber es geht nicht immer um die Van de Burses oder die Tatsache, dass ihr diesen Namen tragt.“ Die Ventrue setzte sich auf einen der weich gepolsterten Stühle und verschränkte die Arme vor ihrer üppigen Oberweite. „Ein Mitglied des Brügger großen Rates bricht nach London auf, kurz vor dem Sol Invictus. Zusätzlich dazu bahnt sich in Flandern ein Krieg an. Jeder der sich wie ihr oder ich politischen Umstände annimmt, kann eins und eins zusammenzählen um zu sehen warum es euch wirklich nach England verschlägt.“ In der Stimme der grauhaarigen Frau lag keine Herausforderung. „Aber ich gebe zu das dies nicht der eigentlich Grund ist wieso ich so verwirrt bin und daran zweifeln muss, dass ihr meinen Grund nach England zu reisen wirklich ernst nehmt. Immerhin habt ihr ein Kind nach London eingeladen. Diese Tatsache irritiert mich zutiefst, denn die nächsten Wochen werden gefährlich und ganz sicher kein Urlaub. Irgendetwas Mächtiges, etwas Übernatürliches will das der Krieg in Flandern ausbricht und ich prophezeie, dass dieses etwas versuchen wird den Erfolg dieser Mission zu verhindern."

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