Sa 3. Dez 2016, 12:03
Alida saß schweigend und starr da. Auch wenn sie versuchte sich nichts anmerken zu lassen, hatten Leifs Worte sie zutiefst durcheinandergebracht. Selbstverständlich hatte sie sich selbst oft genug gefragt, ob das, was sie tat, richtig war, aber ihr wurde erst in diesem Moment bewusst, dass es Leif war, der sie zum ersten Mal offen mit ihren eigenen Gedanken konfrontierte. Sie hatte bis zu diesem Gespräch nie mit jemandem über den Osten geredet. Frederik wäre wohl einfach nur skeptisch, Georg würde sie verfluchen sobald sie auch nur das Wort Tzimisce in den Mund nähme…
Woher kam ihre Annäherung an den Osten wirklich? Selbstverständlich war sie unsagbar erleichtert darüber, nun keine Gefahr mehr von Seiten der Unholde fürchten zu müssen, der Voivode der Voivoden und sein Bruder Andrej hatten sie beide auf ihre Art beeindruckt und es war ihr nicht möglich gewesen, nach allem, was geschehen war, den Onkel ihres Erzeugers weiter zu hassen. Und dann, das wusste sie, war da Emilian und das Blutsband. Es war nicht richtig ihn und seine Handlungen in Frage zu stellen, so wie er sie und ihre Vorgehensweise nicht in Frage stellte. Es gab nur Annäherung, nicht Änderung, das wussten sie beiden, sonst würde alles irgendwann auseinanderbrechen. Sie hatte Angst ihn zu verlieren…
Aber Leif hatte Recht: Dabei verriet sie in gewissem Maße das, woran sie selbst glaubte. Sie hatte zugelassen, dass er seine Leute auspeitschen ließ, akzeptierte die Vorgehensweisen des Ostens ohne ein einziges Mal den Mund zu öffnen. Ihren Familienmitgliedern sollten Anstand und Respekt, Ehre, Loyalität und Pflichtgefühl beigebracht werden, und dennoch ließ sie zu, dass man diese Tugenden im Osten oder bei Emilian mit den Füßen trat. Alida seufzte innerlich, denn sie wusste, dass es so einfach auch wieder nicht war. Die Tzimisce hatten unanzweifelbar ihre Tugenden, aber allen voran stand der uneingeschränkte Herrschaftsanspruch des Kainiten, dem sich alles andere unterzuordnen hatte. Und die meisten Sterblichen oder Widergänger hatten sich mit diesem System arrangiert.
Sie sah zu Leif. „Ich habe den Osten gesehen und das, was ich erblicken musste, war mitunter grausig. Da hast du recht. Aber als ich dort war herrschte Krieg. Ein Kampf von gewaltigem Ausmaß für den die Unholde alles gegeben haben: Geld, ihre Ländereien, Soldaten, Blut, Menschen, ihr eigenes Unleben. Dabei erscheinen sie absolut fatalistisch.“ Sie dachte voll Grauen an Emilians Widersacher, der für das Formen des drachenförmigen Voydz die Bewohner all seiner Dörfer abschlachten ließ. „Ich weiß, dass es viele Tzimisce gibt, die das Beste für ihre Ländereien wollen. Ich habe vor langer Zeit einen kennen lernen dürfen, der für das Wohl seiner Leute gekämpft hat und habe viel von ihm gelernt. Ich hoffe, dass der Frieden, der folgen wird, die Bedingungen im Osten für alle verbessern wird. Und wenn meine sturen, auf ihren Burgen eingemauerten Verwandten keinen Kontakt zu anderen Gedanken und Vorgehensweisen bekommen, kann sich ja auch nie etwas ändern.“ Sie lächelte schwach, sah ihn dann an. Sie würde sich seine Worte zu Herzen nehmen. Da konnte er sicher sein.
Dann kam sie auf Leifs Motivationen zu sprechen. „Die Salubri waren ein mehr als geachteter Clan. Außer dir durfte ich leider nie einem anderen von euch kennen lernen, aber das, was ich gehört habe, war überwiegend ehrenhaft und gut. Ich werde nie verstehen, wie sich das Bild eines Clans so ändern kann. Wie es jemandem mit Hilfe von Verleumdung gelingen kann, eine Verfolgung zu beginnen, die so viele Opfer kostet. Du bewahrst das, was davon übrig ist. Bisher warst du sehr erfolgreich darin, nicht selbst ins Visier dieser Fanatiker zu gelangen. Ich hoffe, du weißt, dass du auf mich zählen kannst, wenn dir je einer von denen ans Messer will?“ Sie schmunzelte trotz des mehr als ernsten Themas.