Fr 9. Jul 2021, 21:10
Mit einer leichten Neigung des Kopfes verabschiedete sich die Brujah von der Köchin. Ihre eigene Über-raschung, kaum minder groß als die ihres jungen Bekannten, verbarg sie hinter einem Lächeln. "Gern doch" erwiderte sie auf seine Worte. "Wenn du der Kavalier sein sollst, der mir das ritterliche Geleit gibt, dann ist mir das sehr recht." Gemächlichen Schrittes folgte sie dem Jungen, wobei sie ihre Blicke schweifen ließ wie eine müßige Spaziergängerin. Wann immer sie Hendrik streiften, blitzte der Schalk in ihren Augen. "Die rundliche Dame eben tat wohl nur so streng, weil eine Fremde dabei war, nicht? Sie scheint dich in Wahrheit sehr zu schätzen." Ein wenig neckend klangen ihre Worte. Es begann sie doch zu interessieren, welche Rolle der ungewöhnliche Knabe in diesem Haushalt spielte.
„Berta herrscht über ‚ihre Küche‘“, kommentierte der Knabe die Rolle der Köchin. „Sie liebt es seit jeher mir mitunter wenig sinnvolle Aufgaben zu übertragen, da sie es nicht sehr schätzt, wenn sich Kinder zu später Stunde außerhalb ihrer Betten aufhalten. Sie besteht auf Zucht und Ordnung, ist aber eigentlich ein herzensguter Mensch.“ Hendrik ließ sich ein wenig nach hinten fallen um neben ihr zu gehen. „Ich habe nicht damit gerechnet, dass ihr Alida aufsuchen würdet.“ Er zuckte mit den Schultern. „Auf der anderen Seite trifft sie mit der Zeit wohl eh alle wichtigen Bewohner von Brügge…, schätze ich mal…“
"Zucht und Ordnung, so ,so... Nun, es sind viele der Meinung, die seien das wichtigste" meinte sie, wo-bei ihr Grinsen deutlich machte, dass ihre Position wohl ein wenig hiervon abwich. Sie warf Hendrik einen Seitenblick zu. "So, du hast nicht damit gerechnet? Also hast du dir so deine Gedanken gemacht, was ich wohl tun würde..." In einer Geste, die normalerweise für erwachsene Männer reserviert war, warf sie kokett ihr Haar zurück. "Ich darf mich also in dem Bewusstsein sonnen, dass mir ein Kavalier einige Gedanken gewidmet hat? Das schmeichelt mir sehr." Die Dame de Burse traf sich also mit vielen, vielleicht gar allen wichtigen Bewohnern der Stadt... "Wichtige Brügger – wen meinst du denn zum Bei-spiel?" erkundigte sie sich, ohne sich die Mühe zu machen, ihr Interesse gänzlich zu überspielen. Der Junge besaß einen gewissen Scharfsinn, und seine Sinne waren bemerkenswert wach. Für ihn wäre es wohl eine schlimme Beleidigung gewesen, hätte sie ihn wie ein Kind behandelt, das man derart leicht hinters Licht führen konnte. Ihr Interesse an diesem kleinen "Hausdiener" wuchs allmählich.
Hendrik biss sich auf die Lippe, überlegend, wie er antworten sollte. „Ihr wisst, wen ich meine, oder? Seit über einem Jahr ist Brügge eure Behausung. Ihr habt einige von ihnen kennen gelernt, sonst wäret ihr jetzt in diesem Moment wahrscheinlich nicht hier.“ Er sah sie vorsichtig und entschuldigend an als hätte er zu viel gesagt oder einen unfreundlichen Ton gebraucht.
Sie blieb stehen und sah dem Jungen in die Augen. Dann nickte sie. "Ja, ich weiß es denke ich. Du sollst nicht mehr sagen, als du darfst. Ich möchte nicht, dass du Schwierigkeiten hast meiner Neugier wegen." Ihr Blick war ernst, barg vielleicht auch eine Andeutung von dem mütterlichen Ausdruck in sich, wie ihn die Köchin gezeigt hatte. Dann lächelte sie wieder, und das Unbeschwerte, Mutwillige, kehrte wieder zurück auf ihre Züge. "Ich will mich sehr gern damit begnügen, von Euch geleitet zu werden, mein Kavalier" neckte sie ihn erneut, deutete einen Hofknicks an und reichte ihm mit einem "Also, wollen wir gehen, mein edler Herr?" den Arm in einer elegantren Geste derart, dass er sie an weiten Ärmel ihres Kleids würde symbolisch "führen" können, ohne ihre kalte Hand zu berühren.
Der Junge sah sie an und musterte ihre Gestik ihm den Arm zu reichen verstohlen. Er sah zu ihr hoch, die sie ihn um mehrere Köpfe überragte und biss sich erneut auf die Lippen. Louisa konnte sich denken, dass es schmerzen musste. Er entscheid sich dafür den Arm zu ignorie-ren und deutete auf ein Gebäude am östlichen Ende des Gartens. Das Haus wirkte neu, wahr-scheinlich keine zehn Jahre alt, mit soliden Mauern und steinernem Dach. Man hatte Rosen gezogen, die sich an den Hauswänden hochrankten, in den Rabatten davor blühten Kapuzi-nerkresse und Minze um die Wette. „Das ist das Gästehaus. Alida wird sich noch ein wenig zurecht machen und bald bei euch sein.“
Nonchalant überging sie sein Zögern und seine Entscheidung, ihren Arm zu ignorieren. Als sei nichts geschehen, schritt sie neben dem Jungen weiter. Eingehend mustert sie das Gäste-haus, schätzte, wie viel seine Errichtung wohl gekostet haben mochte, studierte die stabilen Mauern. "Ich danke dir, mein Junge" sagte sie schließlich ganz ruhig und fuhr mit der Hand in ihre verborgene Börse, um ein kleines Geldstück hervorzuziehen. "Ich vermute, dass du dich nicht beleidigt fühlst, denn ein wenig Geld kann man immer brauchen, und für ein Ge-leit keinen angemessenen Lohn zu geben wäre meines Standes unwürdig" meinte sie und hielt ihm die Münze hin. Dass er unter einem hohen Druck stand, war unschwer zu bemer-ken. In ihn zu dringen, wäre hier und jetzt aber das schlechteste, das sie versuchen könnte, da war sie sicher. Vielleicht würde er früher oder später von sich aus einen Schritt wagen...
Das Haus war solide und eindrucksvoll gebaut und musste den Bauherren eine Stange Geld gekostet haben. Die Brujah konnte sich denken, dass es genutzt wurde um reiche Gäste zu empfangen, die man mit dem zur Schau gestellten Reichtum beeindrucken wollte.
Hendrik schüttelte mit einem amüsierten Zucken um die Mundwinkel den Kopf. „Es war mir eine Freude euch wieder zu sehen und ich habe euch gern den Weg zum Gästehaus begleitet. Wenn ihr so wollt…: Es war mir eine Ehre!“ Er öffnete die zweitürige Hauptpforte des Ge-bäudes und ließ sie eintreten. Er führte sie durch einige mit Teppichen ausgelegte Gänge in ein weitläufiges, edel eingerichtetes Studierzimmer
Sinnend ließ sie ihre Blicke auf und ab schweifen. Der Reichtum, den das Haus verdeutlich-te, sagte ihr eines: Sie war im Gespräch mit den rechten Leuten – denn wer reich werden wollte, brauchte reiche Freunde, wie das Sprichwort so sagte. Mit einem kurzen Neigen des Kopfes akzeptierte sie die Worte Hendriks und meinte: "Nun gut. Doch ich weiß Galanterie zu schätzen, mein Kavalier. Vielleicht kann ich mich irgendwann noch auf andere Weise bedanken." Dieses Mal lag kein Scherz in ihren Worten – der Tonfall war ruhig, aber ernst. Sodann betrat sie das Gebäude und ließ nun auch die Räumlichkeiten im Inneren auf sich wirken. Unwillkürlich schritt sie in dem Studierzimmer umher, besah sich Folianten, Ast-rolabien oder was auch immer an Handwerkszeug eines Geistesarbeiters sich vorfand. Diese Dinge, sie atmeten den Geist des Hidalgos... Wissen. Erkenntnis. Weisheit? Macht, in jedem Falle. Sie hatte sich innerlich stets gegen sein strenges Regime, gegen die Erziehung zu ei-ner Gelehrten gesträubt. Und doch: Das geschrieben Wort, die Werkzeuge des forschenden Geistes, sie hatten mittlerweile etwas vertrautes für sie, die einmal, als Sterbliche, kaum in der Lage gewesen war, den eigenen Namen zu kritzeln. Sonderbar... Dabei hatte sie ihren Meister stets dafür verlacht, dass er manches Buch als einen engen Freund anzusehen schien.
Das Studierzimmer, soviel war Louisa bewusst, diente zur kurzweiligen Unterhaltung von Gästen, die warten mussten. Gemälde und Karten hingen an den Wänden, in den Regalen waren ein paar Bücher aufbewahrt, deren Wert nicht im unermesslichen angesiedelt war. Diese Räume dienten für gewöhnlich wohl dazu Geschäfte abzuschließen.
Der Junge musterte sie, während sie durch den Raum wanderte. „Ich mag die Karten sehr“, gestand er. „Eines Tages würde ich auch gerne reisen…“
Gedankenverloren ließ sie ihre Hand über Buchrücken streichen. Mochten auch die Inhalte der Seiten nicht die seltensten sein, so war doch immer noch jedes von ihnen das Erzeugnis mühsamer Handarbeit, die man sich nicht für wertlose Worte machte. Eine Bibliothek, hatte ihr Meister einmal gesagt, sei ein größerer Schatz als ein Gemach voller Goldmünzen. Tö-richt, hatte sie damals gedacht, lächerlich, denn für Gold erhielt man ein kostbares Gewand, ein edles Reitpferd, ein Haus, Diener – was immer man wollte. Und doch... Louisa hob den Kopf und musterte Hendrik. "Du würdest gern ferne Länder sehen? Welches mag wohl das sein, das du am liebsten von allen sehen würdest? Venedig? Konstantinopel? Das Heilige Land? Oder vielleicht die Länder der Muselmanen im Westen?"