Vampire: Die Maskerade


Eine Welt der Dunkelheit
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 Betreff des Beitrags: Re: Die Fesseln der Macht
BeitragVerfasst: So 24. Jul 2016, 09:36 
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Gähnende Leere und finstere Schwärze, lediglich durchbrochen vom Weiß der verschneiten Bergspitzen und Felsvorsprünge. Zudem schoben sich gelegentliche Nebelbänke vor ihr Sichtfeld und es pfiff ein eisiger Wind. Ob jemand diesen Sturz überlebt hatte oder überhaupt überleben konnte, war von hier oben nicht festzustellen.
Emilian trat an ihre Seite. „Er… er hat Velya…“, sagte er in einem Flüsterton und vergewisserte sich, dass der Voivode der Voivoden nicht zuhörte. Dieser schien aber viel zu beschäftigt wieder Ordnung in seine Reihen zu bringen und sich ein generelles Bild über die Lage und den Zustand seiner verbliebenen Streitkräfte zu machen.
Alida fuhr mit den Zähnen über ihre Unterlippe, überlegte einen Augenblick, dann nickte sie.
„Ja, das hat er…“ Ihre Stimme war genauso leise.
Kurz huschte ein schwach grünes Leuchten über ihr Sichtfeld und als sie das Glühen genauer in Augenschein nahm, erkannte sie just hinter dem völlig zerstörten Thron, eine Einfassung für etwas, das ungefähr die Größe eines Kristalles hatte. Um diesen Siegelpunkt zu finden, hätte sie wohl schier ewig gebraucht. Schließlich holte sie mit dem Stoff ihres Mantels den letzten Kristall aus dem Beutel und fügte ihn in die Formation ein.
Kaum hatte sie den leuchtenden Kristall in der eindeutig dafür vorgesehenen Vertiefung unlängst des Thrones verankert, da trat der gleiche Effekt ein wie sie ihn schon von den Malen davor erleben durfte: Eine große Welle leuchtender Magie breitete sich vom Kristall über das Mauerwerk aus und verzweigte sich wie kleine Linien aus flüssigem Sternenlicht in den Ritzen und Kanten der Wände. Diesmal jedoch, war es noch um einiges stärker und wurde von einem brachialen Donnern und Grollen begleitet, das fast schon die Ausmaße der Drachenschreie erreichte. Plötzlich war da wieder das unverständliche Wispern und Flüstern aus dem Nichts, das aus allen Richtungen zu kommen schien und immer lauter wurde und zusammen mit dem Brodeln und Grollen dann schlagartig verklang. In weiter Ferne hörte man schwere Steine, die sich verschoben und mechanische Schlösser knacken; irgendwo brach etwas ab und fiel schwer zu Boden. Ein kalter Luftzug fegte just in diesem Moment durch das riesige Loch, wo einst die stolzen Fenster waren, der auf geradezu beängstigende Art und Weise ausreichte die Fackeln der russischen Eroberer auszulöschen. Im ganzen Schloss war es mit einem Mal schwärzeste Nacht und nur das fahle Mondlicht erhellte ein wenig die Umgebung. Mehr war da nicht und doch…. Und doch hatte Alida mit einem Mal das Gefühl, sämtliches Leben wäre aus der Festung gewichen. Wo die markanten Felsen und Steine einst irgendwie lebendig und durchzogen von unheiliger Macht gewirkt hatten, waren sie jetzt tot und wahrlich kalt. Ceoris war nunmehr nichts mehr weiter als ein großer Haufen Steine auf einem Berg, vollgepackt mit allem was die Tremere nicht mehr rechtzeitig vernichten oder retten konnten.
Der Drache der Drachen hatte das Schauspiel mit kritischem Blick verfolgt und wandte sich an seinen Neffen und Alida. „Der letzte böse Zauber ist aus den Steinen gewichen, jetzt endlich gehört uns die Trutzburg der verhassten Hexer und niemand kann uns unseren Sieg noch streitig machen!“ An seine erschrockenen und teilweise schwer verletzten Soldaten gewandt, gab er weitere Befehle; wirkte jetzt noch zuversichtlicher. Da mochten gerade Velya und ein möglicher Verräter in den Tod gestürzt sein; die Eroberung der Festung hatte eindeutig Vorrang. „Der Bote zu Andrej soll sich beeilen, sonst lasse ich ihn auspeitschen. Wir brauchen diese Nachhut dringend...“, murmelte er knirschend und begutachtete mit einem Tormentor, dem er Anweisungen gab, die Höhe und Schwere der Verluste.
Emilian an Alidas Seite seufzte und beobachtete wie Zunderkästchen auspackt und die Fackeln erneut entfacht wurden um für Licht zu sorgen. In der Dunkelheit von Ceoris stöhnten, ächzten und schrien noch immer die Verwundeten und Sterbenden. „Kein leichter Sieg…“, meinte ihr Erzeuger in einem bedauernden Tonfall. „Aber ich glaube, jetzt ist es wirklich vorbei und wir in Sicherheit.“
Alida tastete nach seiner Hand, die sie im Dunkeln nur schwer erkennen konnte. „Ich hoffe, das Schlachten und Töten hat jetzt ein Ende, wo diese Lande wieder den Drachen gehören. Es wäre eine Schande, wenn es anders wäre. Zu viele Kainiten, Soldaten, Feinde und einfache Zivilisten sind in diesem Krieg bereits gefallen.“
Sie fühlte seine Hand in der Dunkelheit und die Finger, die sich um ihre schlossen, diese drückten um ihr Zuversicht zu verleihen. „Zumindest dürften sich kriegerische Auseinandersetzungen in diesem Ausmaß nun sehr in Grenzen halten. Der große Feind wurde besiegt und aus den Stammlanden der Tzimisce vertrieben. Das heißt natürlich nicht, dass nun alles vergeben und vergessen ist; die Hexer werden trotzdem stets den Zorn unseres Clans gegen sich aufgebracht haben, aber wir verlassen unsere Heimat für gewöhnlich nicht um große Rachegelüste zu befriedigen. Unser Land gehört wieder uns, die Familien sind unter dem Emblem meines Onkels geeint und die Tremere vertrieben. Diese Nacht ist eine bedeutende.“ Er schmunzelte und küsste sie rasch auf die Wange. „Nicht nur für den Clan.“ Wieder nickte sie und ließ dann ihren Blick nach draußen in den Abgrund wandern. „Ich denke, ich muss da raus und nachschauen, was dort geschehen ist.“ Ein schwaches Lächeln huschte über ihre Züge. „Unholde, die sich ein wenig in der Kunst des Fleischformens auskennen, sind schneller und sicherer unterwegs als jeder Sterbliche.“
Sein Blick folgte dem ihren. „Es ist unwahrscheinlich, dass der Drach das überlebt hat. Er ist zwar eine widernatürliche Kreatur, aber er trägt nicht den Fluch. Sein massiver Körper wird auf den spitzen Felsen zerschellt sein. Was deinen… Freund betrifft…“ Emilian pausierte kurz. „Das hängt ganz davon ab, wie zäh er ist. Gleiches gilt wohl für Velya. Letzterem traue ich einiges zu, um ehrlich zu sein.“ Leiser fügte er hinzu. „Warum hat er…“
Dann wurde er schon von den schweren Schritten Rustovichs unterbrochen. „Ha! Emilian, wir haben noch eine Hand voll unverletzter und tüchtiger Soldaten. Die Hälfte bleibt bei den Verwundeten und schlägt ein Basislager auf, wartet auf die Nachhut von Andrej. Indessen werden wir die letzten Stockwerke der Festung untersuchen. Jetzt, da der Bann gefallen ist…“ Sein Blick wanderte anerkennend zu Alida, „… haben wir ja nichts mehr von der Hexenkunst der Blutverräter zu befürchten.“ Und als ob er es erahnt hätte, prüfte der Drache kurzerhand den Abgrund vor sich. „Ihr gedenkt euch nach unten fallen zu lassen, Alida? Ein guter Gedanke. Nur so erlangen wir Gewissheit. Und Gewissheit habe ich lieber gleich als später. Ihr werdet das erledigen, während mein Neffe und ich die oberen Kammern erstürmen. Ich gehe davon aus, dass ich auch diesmal auf euch zählen kann?“
Sie lächelte schwach. „Ich hoffe, meine Gedanken sind mir nicht immer so ins Gesicht geschrieben und so leicht zu lesen wie in diesem Augenblick, Voivode der Voivoden. Es wäre mir eine Ehre euch so zu Diensten sein zu können. So stehen euch möglicherweise mehr Männer für die Erstürmung der letzten Teile dieser Festung zur Verfügung.“
Rustovich lächelte ein wohlwissendes Lächeln. „Euer Charme und eure Redegewandtheit gereichen euch als kluge Händlerin zur Ehre, Kind, und doch bin ich Nacht für Nacht von Speichelleckern und Günstlingen umgeben. Ihr werdet dort hinabsteigen, weil es niemand anderen gibt den ich ansonsten schicken könnte und weil es offenbar euer eigener Wunsch ist.“ Sein Blick glitt zurück zu Emilian. „Und du wirst mit mir die Tormentoren nach oben führen, Emilian Victorovich. Wenn wir uns beeilen sind wir bei Ankunft der Nachhut bereits zurück. Beeil dich, Neffe.“ Er wollte sich bereits umdrehen und seine Leibgarde versammeln, da wandte er sich ein letztes Mal an Alida. „Falls ihr diesen… Ritter da unten finden solltet, sorgt ihr dafür, dass er zu mir gebracht wird. Egal in welchem Zustand. Ich will wissen, wer er war und warum er dieses Attentat auf den größten Koldunen unserer Zeit geführt hat, zum Teufel. Velya mag seine ganz eigenen Ziele und Pläne verfolgen und wie allen Drachen kann man ihm nicht trauen. Dennoch war er bisher stets loyal zu mir und äußerst wertvoll für unsere Unternehmung. Ich werde es nicht dulden, das Separatisten und Spione sich in meine Reihen einnisten! Geht jetzt, Alida.“ Damit entließ er sie mit einer knappen Handbewegung; Emilian folgte ihm etwas verhalten und hob das Schwert an. Er nickte der blonden Frau zu. Gegen den Willen des Drachen konnte man sich nicht auflehnen. „Sei vorsichtig“, bat er sie mit besorgter Miene.

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Dann erkannte sie schon den kleinen Trupp Tormentoren, der sich diszipliniert aufgereiht hatte und sich soeben mit Fackeln bestückt hatte.
Alida stand still und hielt sich gerade. ‚Schultern zurück, Brust raus, Kinn nach vorne‘ hörte sie im hintersten Teil ihrer Erinnerung. Irgendjemand, der sich die Mühe machen wollte, sie in die Grundzüge von Etikette und Anstand einzuweisen, hatte ihr diese Anweisungen beigebracht. Wer war das gewesen? Ihr Vater? Ein Lehrer? Eine Gouvernante? Es war zu viele Jahrhunderte her und nun versuchte sie sich an diesen Kleinigkeiten festzuhalten, um sich nicht erneut durch Nichtigkeiten zu verraten. Sie spürte, dass sie auf ihrer Unterlippe kaute und unterband diese Geste sofort. Sie würde Jeremiah gewiss nicht vor den Voivoden der Voivoden zerren, wenn sie ihn tatsächlich fand.
Sie sah den Männern, die sich sammelten und vor allem Emilian hinterher und versuchte das schwermütige Gefühl, das sich in ihr ausbreitete zu verdrängen.

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Dann wandte sie sich zurück zur Brüstung, holte ein letztes Mal tief Luft, spürte, wie der eisige Wind ihr ins Gesicht blies und ihre Haare nach hinten fegte. Dann begannen sich die Haarsträhnen genau wie der Rest ihres Körpers aufzulösen, zu der Quintessenz ihrer Existenz, dem kainitischen Blut zu werden. Sie stieg oder glitt über die Brüstung, konzentrierte sich auf den Kontakt zu dem kalten Stein und machte sich auf den Weg in die Tiefe.
Es ging lange und steil bergab, vorbei an verschneiten Felsvorsprüngen und klippenartigen, spitzen Dornen. Um sie herum war nur pfeifender, eisiger Wind, der kleine Schneeflocken gegen den Felsen wehte und grausame Kälte brachte. Fast senkrecht kämpfte sich das blutige Rinnsal, das einst Alidas fester Körper gewesen war seinen Weg hinab an den Fuß des Berges. Ein sterblicher Kletterer, und mochte er noch so geschickt und erfahren sein, wäre unweigerlich an der eisigen Felswand bei Wind und stockfinsterer Nacht in den sicheren Tod gestürzt. Trotz ihrer Form als dahinfließendes Blut, das sämtlicher Tiefe und nagender Kälte trutzte, dauerte es fast dreißig Minuten bis sie in einer engen Schlucht angekommen war, die mit versprengten mannshohen Felsblöcken und unzähligen zerborstenen Splittern gesäumt war.
Das fahle Mondlicht erhellte ihr alsbald den noch von Wärme dampfenden Kadaver des toten Drachen, dessen Blut die dünne Schneeschicht rot färbte. Von der Kreatur war durch den Kampf und den Sturz im Grunde nicht viel übriggeblieben als ein großer Haufen aufgeplatztes Fleisch. Von Velya oder Jeremiah fehlte jede Spur.
Sie glitt näher heran, berührte mit den blutigen Fingerspitzen vorsichtig die schuppige Haut des todbringenden drachenförmigen Voydz, um sich zu vergewissern, dass das Monster tatsächlich ein für alle Mal von dieser Erde getilgt war.
Das aufgeplatzte, zerrissene Fleisch dampfte noch und kühlte langsam aus, Blut troff aus unzähligen kleinen oder größeren Wunden und zerborstene, gebrochene Knochen ragten überall aus dem Oberkörper des Untiers. Allerdings tat es keine noch so kleine Bewegung mehr – der Drache hatte den Sturz scheinbar tatsächlich nicht überlebt. Ein grausames Kapitel der höchsten Kunst des Fleischformens hatte sich in blindem Zorn und Wahnsinn selbst vernichtet. Und dabei beinahe die komplette Armee der Eroberer mit sich gerissen.
Sie tat einen Schritt nach hinten und spürte etwas Scharfes unter sich. Sie hob den kleinen, weißen Stein auf und betrachtete ihn im schwachen Mondlicht: ein weißer, spitzer Zahn, fast so lang wie ihr kleiner Finger.

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Kurz zögerte sie, dann schob sie ihn dorthin wo zuvor die Tasche ihres Kleides gewesen war. Sie sah sich um. Da der Drache die beiden Männer mit sich gerissen hatte, war es nicht unwahrscheinlich sie hier in der Nähe zu finden.
Es gab keine weiteren Spuren, die sie noch hätte verfolgen können und doch kam ihr eine der Wunden des Drachen auf eine unerklärliche Weise besonders merkwürdig vor. Bei genauerer Betrachtung wirkte es fast so als hätte sich jemand aus dem Bauch des Ungetüms geschnitten und tatsächlich waren die fleischigen, sauber geschnittenen Wundränder ein Hinweis auf eine nur allzu profane Klinge. Kurz Zeit später fand sie am Ausgang der Schlucht nacheinander einzelne verbeulte und verbogene Rüstungsteile und eine wirklich lächerliche Mütze mit Lederriemen für den Hals. Vermutlich hatte der frisch eingesetzte Schneefall bereits sämtliche Fußspuren überdeckt und eine Verfolgung damit unmöglich gemacht. Ihr Blick fiel nur auf eine nebelige, zerklüftete Berglandschaft, die langsam den magisch verstärkten Klauen des Winters zu entrinnen schien. Eines stand unweigerlich fest: Jeremiah hatte irgendwie überlebt und war irgendwo dort draußen, weit entfernt vom Zugriff durch den Voivoden. Und vermutlich war das auch für alle das Beste. Von Velya hatte sie nicht ein Anzeichen bemerkt, weder gab es Kleiderfetzten oder zerbrochene Gliedmaßen. Fast als hätte er sich in Luft aufgelöst. Am Ende hatte er das vielleicht sogar buchstäblich getan.
Alida zögerte noch eine ganze Weile. Offensichtlich ging es dem Nosferatu gut genug um zu entkommen. Ihm jetzt hinterher zu gehen mochte ihn, und, falls man sie bei ihm sah auch sie selbst, in Gefahr bringen. Ein Risiko, dass sie nicht eingehen konnte. Es ging ihm anscheinend soweit gut und der Drache war vernichtet. Das war, was zählte. Sie wandte sich um und machte sich auf den Rückweg.
Der Aufstieg gestaltete sich ein wenig mühsamer als der Abstieg. Zwar bereitete es ihr grundsätzlich keine Mühe als eine flüssige Form ihrer selbst, Ritzen und zerklüftetes Gestein nach oben zu schlängeln, allerdings brauchte es doch eine gewisse Wegfindung über den fast senkrechten Berghang, die es ihr ermöglichte immer weiter nach oben zu kommen. Offenbar erwies sich selbst in dieser Form als Blut das alte Sprichwort: ‚Runter kommt man immer‘ als wahr. Nach oben war immer mit ein wenig mehr Aufwand verbunden. Trotzdem schaffte sie es in annehmbarer Zeit wieder über die letzte Steinstufe und den letzten zerborstenen Geröllhaufen der Bruchstelle in der Mauer zu gleiten.
Sie erkannte, wie am Ende der Halle Andrej mit einer Anordnung aus Soldaten und Infanteristen eintraf. Der Unhold wirkte beunruhigt und wachsam; er gab den Wachleuten den Befehl das mitgebrachte Verbandsmaterial auszugeben und die Verletzten einzusammeln.
Allein Kraft ihres Willens konnte Alida wieder ihre körperliche Form annehmen und hörte schon die Worte des einstigen Erzfeindes ihrer geliebten Stadt Brügge. „Die Verletzten so gut es geht verbinden und dann direkt durch den Haupteingang zurück; Wachen sind an jeder Abzweigung positioniert und ein großer Wagen mit Ochsen ist vorgespannt.“ Als er Alida bemerkte, kam er rasch auf sie zu.

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Der ernste Gesichtsausdruck wich seinem berühmt-makabres Lächeln, während er sich verbeugte. „Ah sieh an, eurer Mission war anscheinend Erfolg beschieden. Wie gut, dass der Schlüssel euch Zugang gewährt hat und wie gut, dass ihr die Bannsiegel brechen konntet. Der Drache stürzte in sein Verderben wurde mir zugetragen?“
Alida ließ den Blick über die beschäftigten Soldaten gleiten, die Verwundete verbanden und abtransportierten. Sie versank in einer kurzen Verbeugung, wie es sich für einen Gefolgsmann der Heere des Ostens gehörte. Sie nickte. „Dem ist so. Ich habe mich selbst davon überzeugen können.“
Der Unhold hatte sich in einen prachtvollen, geschwärzten Harnisch gekleidet, der aber ansonsten nur von einigen Lagen umwobenen Stoffes geziert wurde. Insgesamt war seine Rüstung eher leicht, mit Arm- und Beinschienen, die Drachengravuren zeigten und einem Reitersäbel an der Seite. Mit spitzen Fingern zog er sich die leichten Lederhandschuhe mit gestickter Borte von den Fingern und starrte kurz missmutig in den Abgrund. „Ich habe ihm stets von derlei Dingen abgeraten. Nicht weil ich die Vorteile einer anständigen Kriegsmaschinerie aus Szlachta und Voidzt nicht zu schätzen weiß, sondern weil Lambros sich selbst übernommen hatte. Es gibt eine Grenze für das Machbare und diese drohten wir beinahe zu überschreiten. Der Wurm in Brügge war als Tunnelgräber konzipiert und brauchte keine harten Knochen oder Verstärkungen; die Mechanik war nicht kompliziert. Schlangen dienten uns als Vorbild. Viel Muskelmasse, mehr nicht. Der Drache war da eine ganz andere Sache, aber Vladimir ließ sich ja nicht davon abbringen. Du kennst deine Verwandtschaft ja mittlerweile, mein Kind.“ Mit einem leichten Schmunzeln drehte er sich vom Abgrund wieder in ihre Richtung. „Unser geliebter zweiter Drache ist wohl mit seinem Ritter dabei die restlichen Räume zu sichern, nehme ich an? War dem Führer eurer Reise durch die Heimat unserer Ahnen denn Glück beschieden? Ich hörte Velya und er wären noch abgängig?“
Ein einzelnes fast ersticktes Lachen war die Antwort. „Das kann man wohl so bezeichnen, Meister Andrej.“ Sie senkte den Blick und folgte seinem Blick hinab in den Abgrund. „Mögt ihr mir eine Frage erlauben, auch wenn sich das möglicherweise als Dreistigkeit auslegen lässt?“
"Der Familie beantworte ich alle Fragen, Alida van de Burse", antwortete er ohne Umschweife und betrachtete den zerstörten Thronsaal der Tremere mit interessierten Blicken.
Sie schmunzelte. „Ich wäre nur zu gespannt darauf mit euch eines Tages über die Definition des Begriffes ‚Familie‘ zu philosophieren. Aber was ich euch eigentlich fragen wollte: Wie gut kennt ihr eure Verbündeten oder wie im Sinne meines ehemaligen Begleiters, vielleicht ‚Untergebenen‘?“
„Gut genug um zu wissen, dass er gewisse Rachegelüste hinsichtlich unseres geschätzten Koldunen gehegt hat und ebenfalls gut genug um zu wissen, dass er eine gewisse Schwäche für allerlei Magisches hat. Das war eure eigentliche Frage, oder? Ihr seid ja bereits über unsere Abmachung im Bilde. Nun, darüber hinaus habe ich ihm die Möglichkeit versprochen, nicht nur eventuell das, wonach es ihn verlangte zu finden und an sich zu nehmen, sondern auch einen lang ersehnten Wunsch zu erfüllen.“ Ein weiteres Mal ging sein Blick Richtung Abgrund. „Natürlich konnte ich ihm nicht versichern, dass seine Bemühungen von Erfolg gekrönt wären; das allein läge in seinen eigenen klauenbewehrten Händen. Ursprünglich wollte er von all dem nichts hören. Erst als ich Velya erwähnte, schien er interessiert es mit dem Schlüssel und euch gemeinsam zu versuchen.“ Im Hintergrund wurden Verbände angelegt und Wundsalben aufgetragen; mehrere heilkundige russische Feldscher kümmerten sich um das, was der Drache von der einstigen Schlachtformation übriggelassen hatte. Von der Treppe zu ihrer linken hörte man schon laute und beinahe ausgelassene Stimmen. Dem Grollen zu urteilen war Ceoris nunmehr tatsächlich fest in der Hand der Drachen und auch noch das letzte Turmzimmer des hintersten Winkels in diesem arkanen Labyrinth war ausgekundschaftet und gesichert worden. Der Voivode der Voivoden, der am Ende der Halle eintrat, schien hochzufrieden und in einem wahren Siegestaumel.
Andrej lächelte. „Velya und Jeremiah stürzten gemeinsam mit dem Drachen in die Tiefe, versuchte mir der schweißüberströmte Bote zu erklären. Nun, ich glaube, so wie ich unseren alten Bekannten einschätze, wird ihn das nur ein müdes Lächeln gekostet haben. Velya wohl ebenfalls. Ihr solltet keinen der beiden unterschätzen. Habt ihr Anzeichen für einen Kampf gefunden?“
Wieder folgte das kurze Lachen, und der Blick ihrer nachdenklich verengten Augen ging wieder zu ihrem alten Widersacher. „Wie immer macht ihr eure eigenen Pläne und überrascht einen stets aufs Neue, Andrej. Ich sollte wohl nie anfangen euch zu unterschätzen und euch vielleicht irgendwann simple, friedliche Absichten unterstellen.“ Sie schmunzelte. „Es fasziniert mich, dass ihr die Figuren auf eurem Schachbrett so meisterlich zu positionieren wisst. Ihr solltet mal mit Emilian eine Partie wagen. Er liebt die Herausforderung. Ihr habt also den Meisterkoldunen Velya geopfert um einen Nosferatu an meiner Seite zu wissen, der dabei hilft die Tore der Festung zu öffnen? Hm, es würde mich, wenn ich den Gedanken weiter verfolge, nicht wundern, wenn Velya und ihr selbst nicht unbedingt die engsten Freunde seid… nicht wahr? Möglicherweise waren Jeremiahs Pläne und die euren gar nicht so uneins.“ Sie suchte in der Miene ihres Gegenübers nach einer Regung und ahnte doch nur zu gut, dass sie dort keine finden würde. „Dann solltet ihr nur euren geliebten Bruder nicht darüber informieren, dass ihr nur zu gut die Pläne des lieblichen Nosferatus gekannt habt. Vladimir wäre mit Sicherheit nicht gar zu erbaut darüber, seinen Meisterkoldunen durch euer Zutun verloren zu haben.“ Auch wenn sie meistens nicht die Art Frau war, die in solchen Bahnen dachte und plante, nickte sie ihm dennoch anerkennend zu.
Der Erzunhold lächelte nur leicht und hakte ungefragt aber mit besonderer Vorsicht ihre Hand unter seinem Arm unter; tätschelte diese leicht. Er schmunzelte verschmitzt. „Aber, aber, mein Kind. Alles was ich tat, war einem tatkräftigen Mann mit einem besonders breiten Lächeln die Belohnung anzubieten, die er sich mit seiner aufopfernden Art uns in diesem Kreuzzug der Rückeroberung unserer Lande, mehr als verdient hat. Gerechter Lohn für gerechte Arbeit, mehr nicht. Und wir sprechen hier von ganz profan intellektuellen Gegenständen wie Pergamenten und Schriftstücken, meine Liebe. Nicht wahr? Dass dieser Mann einen so großen Hass auf einen der unseren entwickelt hat, dass er ihn vor aller Augen töten würde, konnte doch niemand wissen. Am wenigsten ich, wo ich ihn doch lediglich weit weg von unserem Koldunen, gemeinsam mit euch einen anderen Weg in die Festung beschreiten ließ. Nein, ich wäre der letzte, den man für etwas Derartiges beschuldigen könnte.“ Er lächelte und es war ein grimmiges Lächeln. „Eines dürft ihr nie vergessen, Alida van de Burse, genau wie für euch kommt für mich die Familie an erster Stelle. Und wer wäre denn der gefährlichste Anwärter auf den Herrschaftsanspruch der Familie Rustovich? Was könnte einem Mann, der die Lande des Ostens geeint hat noch zum Verhängnis werden? Dinge, über die wir nichts wissen und mit denen wir uns nicht beschäftigen, wie beispielsweise die Magie, nicht wahr? Der Osten ist voller Magie; ihrer ganz eigenen nämlich, und wer ihrer gebietet, hält große Macht in seinen Händen.“ Erneut tätschelte er ihre Hand, während die Schritte lauter wurden und der Voivode der Voivoden freudestrahlend und geradezu berstend vor Energie und Tatendrang durch die Halle schritt. Leise flüsterte Andrej. „Irgendjemand muss doch auf den größten Kriegsherren unserer Zeit aufpassen, meint ihr nicht?“
Alida legte leicht den Kopf schief und blickte Vladimir Rustovich, der näher kam, an, ließ Andrejs Worte auf sich wirken. „Er hat für mich immer den Eindruck eines ausgesprochen wehrhaften Drachen gemacht.“ Sie unterdrückte mit Mühe ein Lächeln. „In all den Jahrzehnten, bald Jahrhunderten, in denen ich mich gefragt habe, wie wohl irgendwann die Rache eines Vladimir Rustovich aussehen würde, dessen Plan es war die Blutlinie meines Großerzeugers, Emilian und mich, auszulöschen, hat mir die bloße Erwähnung des Namens Rustovich einen Schauer über den Rücken gejagt. Eines ist mir jedoch erst jetzt klar geworden. Auch wenn jeder Feind sich zu Recht vor der Durchsetzungsfähigkeit, Stärke und dem bloßen Willen des Voivoden der Voivoden fürchten sollte: Hättet ihr, Andrej, jemals ernsthaft die Order eures Bruders ausführen wollen, dann wären wahrscheinlich sowohl Emilian als auch ich seit Ewigkeiten Asche.“
Andrej ließ seine Hand sinken und ihre damit wieder los als sich der siegreiche Heerführer der Unhold-Armeen näherte. Neben ihm stand Emilian, der interessanterweise gar nicht so unglücklich aussah, wie man hätte erwarten können. Offenbar hatte man es tatsächlich geschafft. „Er hat einen unbeugsamen Willen, eine überbordende Persönlichkeit und besitzt die unleugbaren Qualitäten eines geborenen Führers, das ohne Zweifel. Zudem ist sein Temperament mit Verlaub in jeder Hinsicht ‚drachenartig‘. Aber alle großen Heerführer ihrer Zeit hatten weise Vertraute und enge Berater, die ihnen loyal ergeben waren und ihre Augen auf alle blinden Flecken legten, die diese edlen Herren niemals sehen konnten, weil sie viel zu sehr damit beschäftigt waren genau das zu tun, wofür sie vom Schicksal auserwählt wurden. Ich liebe meinen Bruder über alles, selbst wenn er ein selbstüberzeugter Tyrann ist. Einen habe ich bereits verloren, das wird nicht noch einmal passieren.“ Mit einem abschließenden Lächeln sah der Unhold zu Alida. „Hätte euer Großonkel die Zeit gehabt sich um euch zu kümmern, dann hätte er gewiss auch dieses Ziel erfolgreich verfolgt, allerdings gab es Wolflinge zu töten und Hexen zu erschlagen, Voivoden mit Gold oder Versprechungen, manchmal mit Gewalt gefügig zu machen. Manchmal sogar mit Vernunft, man glaubt es kaum.“ Er überdrehte leicht die Augen. „Aber ja, ich spiele dieses Spiel schon sehr lange und habe gelernt meine Figuren richtig zu positionieren. Und ich gedenke euch in dieser Hinsicht zu beraten, wenn ihr es wünscht.“
Dann trat abrupt der Voivode an Andrej heran und packte ihn an den Schultern. „Ha! Andrej! Wo hast du nur gesteckt? War der Sattel nicht bequem genug oder haben dich deine französischen Künstler aufgehalten? Na, auf jeden Fall hat diese Frau hier die Siegel allesamt gebrochen, jedes Einzelne! Und Emilian und meine Wenigkeit haben die Haupthalle mit dem Drachen genommen. Die Tremere hatten Steingolems auf uns gehetzt, aber die Bestie hat sie in kleine Kieselchen verwandelt.“

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Andrej lächelte bescheiden. „Ich hörte, auch die Bestie hat uns beinahe in kleine Kieselchen aus Blut und Asche verwandelt?“


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Rustovich machte eine abfällige Handbewegung, nichts sollte den Triumph jetzt noch schmälern. „Ach, das haben wir schon wieder hinbekommen. Die Soldaten haben tapfer gekämpft und ihr Leben gelassen, der Drachenbändiger Emilian hielt das Untier im Zaum und der Rest von uns attackierte es. Schlussendlich hielt Velya es mit seinen magischen Kräften auf als dann… ja, dieser merkwürdige Ritter aus... ich glaube deinem Tross ihn angegriffen hat? Wer war das überhaupt?“
Andrej hob die Schultern. „Oh, eigentlich nur ein unbedeutender Kerl, der sich in meine Dienste stellen wollte. Er konnte mich von seinen Fähigkeiten überzeugen und daher versprach ich ihm einige nicht nennenswerte Bücher dieses Ortes. Wer hätte ahnen können, dass …“ Er tat erschrocken, aber Vladimir Rustovich war bereits wieder bei einem anderen Thema; dreht sich zu Alida und breitete die Arme aus. „Du hast dich wahrlich bewiesen. Du hast die Siegel gebrochen und uns im Kampf mit dem Drachen geholfen; hast sogar deinen Erzeuger, unseren Bestienmeister, gerettet und eine Tremere erschlagen.“
Emilian räusperte sich. „Nun, leider ist die Tremere…“
Rustovich sah ihn grimmig an; wollte wohl nicht unterbrochen werden. „Sie hat eine Hexenhure fast dem Tode überantwortet oder ihr zumindest das gegeben, was diesen Verrätern gebührt. Das nenne ich einen wahren Drachen. Und wie ein solcher sollst du fortan auch behandelt werden. Schwöre mir die Treue, mein Kind, und all deine Sünden sollen getilgt sein.“ Rustovich umarmte sie väterlich und küsste sie links und rechts auf die Wange.
Alida sah Andrej hilfesuchend an. „Ich bin mir sicher, Voivode der Voivoden, euer Bruder Andrej wird mich in mir derzeit nicht vertrauten Riten der Treueschwüre des Ostens einweisen, so dass ihr ihn zum passenden Zeitpunkt entgegen nehmen könnt.“ Alida versuchte ein freudiges Lächeln auf ihre erstarrten Züge zu zaubern.
Vladimir Rustovichs Züge schwankten zwischen sichtlicher Verärgerung und der Verwirrung ob er erbost oder unschlüssig bezüglich ihrer Antwort sein sollte. Ein Blick zu seinem Bruder und dessen ehrfurchtsvolles Nicken genügte jedoch, um seine Laune wieder zu heben.
Allmählich begann er zu verstehen und billigte offenbar diesen kurzfristigen Aufschub ihrer Entscheidung. Lehnstreue war schließlich etwas, das man nicht einfach so jeden Abend abverlangte oder anbot. Noch weniger nahm man sie so ohne weiteres an.
Andrej lächelte leicht. „Vladimir. Sie hat Recht. Noch ist die Zeit der Treueschwüre und der Siegesfeiern nicht gekommen. Die Festung mag gesichert sein, doch die Heere sind geschwächt und verwundet. Jetzt, wo wir die Feinde vertrieben haben, müssen wir unsere Grenzen sichern. Dafür sind gestärkte Truppen und Reittiere vonnöten sowie eine beachtliche Anzahl anderer Ressourcen, die wir bestimmen, anfordern und angemessen verteilen müssen.“
Jetzt wirkte der Voivode tatsächlich ein wenig verärgert. Man mochte ihm ja viele Eigenschaften zusprechen, aber gerade jetzt fühlte er sich bevormundet. „Ah, das weiß ich selbst genauso gut, Andrej! Mir ist schon klar, dass es Momente des Feierns gibt und Momente, in denen wir uns um die Konsolidierung eines Sieges kümmern müssen. Das ist nicht meine erste Schlacht, Bruder, und es wird gewiss nicht meine letzte sein. Die Zeit für derlei Dinge mag also noch nicht gekommen sein; wir verschieben all diese Angelegenheiten auf die Zeit nach den Feierlichkeiten. Jetzt werden wir die Festung weiter sichern und uns um das Heer kümmern und schlussendlich alle wichtigen Gegenstände und Bücher katalogisieren und auf ihren ideellen und strategischen Wert hin untersuchen lassen. Sobald ich zufrieden bin und die unmittelbare Umgebung sicher genug erscheint, wird der Schrei des unumstößlichen Sieges der Unholde und der Drachen über diese zerklüfteten Berggipfel jagen und wir werden diesen bedeutenden Sieg gemeinsam feiern.“
Andrej nickte und bedeutete seinem Bruder doch schon einmal vorauszugehen. „Gewiss. Mit deiner Erlaubnis werde ich einige fähige Leute beauftragen unsere Beutestücke zu sichern. Es sind vertrauenswürdige Vasallen; handverlesen. Im Übrigen denke ich, dass dieser Ritter aus meinen Diensten lediglich eine Chance sah mit dem Angriff auf Velya den Drachen abrupt durch die Mauer brechen zu lassen. Eine gefährliche und seltsame, wenn auch eindeutig erfolgreiche Taktik. Ich bin überzeugt Velya wird bald wieder auftauchen. So leicht lässt sich ein Koldune nicht vernichten, außerdem hat Alida auch keine Anzeichen für sein vorzeitiges Ableben gefunden. Was hältst du davon, wenn wir… “
Langsam verschwanden die beiden durch die Halle, während Andrej weiter auf den Drachen der Drachen einredete. Die Tormentoren bildeten augenblicklich eine sichernde Phalanx nach vorne und hinten um die beiden Männer.
Emilian kam näher an Alida heran und zog sie in seine Arme. „Damit hätten wir es wohl tatsächlich geschafft. Ceoris ist gefallen, die Tremere vertrieben und der Streit unserer Familie, der uralte Hass auf meinen Vater und Erzeuger beendet. Mein Onkel will dir offensichtlich sogar einen Treueeid abverlangen.“ Ein schiefes Grinsen legte sich über seine ihr so vertrauten Züge.
Sie erwiderte den Gesichtsausdruck. „Oh ja… scheint ganz offensichtlich so. Wie wunderbar… eine Van de Burse in den Diensten des mächtigsten Unholdes der heutigen Nacht. Welch spannende Vorstellung: Leif, Gerrit und Lucien werden begeistert sein. Ich kann mir schon Georgs Gesicht vorstellen, wenn er mich mit bloßen Händen erwürgen will und feststellt, dass das leider nicht so leicht geht.“ Sie grinste.
Seine Lippen legten sich auf die ihren, um sie leidenschaftlich und eine Spur spitzbübisch zu küssen. „Oh ich kann mir sein Gesicht auch schon richtig gut ausmalen. Aber wenn er kann, wird er zunächst wohl versuchen mir die Schuld zu geben und mich zu erwürgen. Das dürfte sich dann wohl auch als äußerst schwierig herausstellen.

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Und was deine Ratsmitglieder in Brügge betrifft… ich glaube du solltest ihnen nicht einmal ansatzweise erzählen, dass Vladimir Rustovich dir quasi einen Ritterschlag erteilen wollte. Vielleicht solltest du deine Verwandtschaft überhaupt eher im Geheimen lassen. Man mag sie dir im Westen als Schwäche auslegen, oder meinem Onkel, und das folglich gegen ihn zu nutzen wissen. Dein Vorteil ist, dass niemand sich auch nur vorstellen könnte wie du in den Osten passen könntest.“ Er grinste. „Und doch muss ich sagen, dass du dafür bisher eine ganz formidable Figur gemacht hast.“
Alida nickte ihm anerkennend zu. „Du! hast es geschafft. Und Vladimir Rustovich sieht in all dem Chaos und Gemetzel sogar erfreut darüber aus. Wenn er vor ein paar Jahrhunderten zu dieser Erkenntnis gelangt wäre, hätte er schon seit Urzeiten auf deine Unterstützung zählen können und sich und dir so einiges erspart.“ Das Lächeln verschwand und machte einer nachdenklichen Miene Platz. Oh, ja. In all der Zeit hatte vor allem Emilian viel ertragen müssen.
Sacht ergriff er ihre Hand um sie zu küssen und dann in die seine zu legen. „Wir hätten uns gewiss vieles ersparen können, aber niemand kann sagen, wie sich die Fäden unseres Schicksals gesponnen hätten und wie unsere Geschichte verlaufen wäre, wenn all dies nicht passiert wäre. Vielleicht musste es so sein, damit wir heute beide gemeinsam hier stehen können und uns nicht länger verstecken müssen. Weder vor unserer Vergangenheit noch vor irgendetwas sonst. Und weder du noch ich müssen weiterhin vorgeben, dass uns beide nur das Interesse an guten Geschäften verbindet um uns nicht gegenseitig in Gefahr zu bringen.“ Er strich ihr sanft mit einem Finger über die Lippen, um ihr ernstes Gesicht zu vertreiben. „Heute ist nicht die Nacht für dunkle Gedanken. Erfreuen wir uns daran, was wir gemeinsam für uns geschafft haben, denn du hast daran mindestens so viel Anteil, wie ich selbst. Mein Vater, Victor, wäre stolz auf uns beide… vermutlich sogar auf seine beiden merkwürdigen Brüder.“ Emilian drückte ihre Hand und wandte sich der langen Halle zu, in der die Truppen versorgt und transportbereit gemacht wurden. „Ich nehme an, es wird noch ein Weilchen dauern, aber seine Siegesfeier lässt sich Vladimir bestimmt nicht nehmen, da kann Andrej einwenden, was er will. Vielleicht dürfen wir uns jetzt zumindest eine kurze Pause von all dem hier gönnen und einfach nur dem frönen, wonach es uns sicher schon beide sehnlichst verlangt: ein wenig Ruhe. Wollen wir?“ Er machte eine einladende Geste.
Sie strich sich das blutverkrustete Haar nach hinten und rückte die Reste der dunklen Tsimiskerüstung zurecht. Die wenigen Fetzen, die sie noch am Leib trug, starrten vor Schmutz und enthüllten die verbrannte, rußgeschwärzte Schulter. Ihre Finger glitten zum Schwertknauf der alten Waffe, die genauso gut in der Hand lag wie in der Nacht als die vor Jahrhunderten geschmiedet wurde, dann zu Emilians Fingern. Alida atmete tief ein und nickte. „Da hast du verdammt recht.“

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Der Weg zum Ziel beginnt an dem Tag, an dem du die hundertprozentige Verantwortung für dein Tun übernimms.
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 Betreff des Beitrags:
Verfasst: So 24. Jul 2016, 09:36 


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 Betreff des Beitrags: Re: Die Fesseln der Macht
BeitragVerfasst: So 24. Jul 2016, 19:47 
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"Noch immer riecht es hier nach Blut."
~William Shakespeare; Macbeth~

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Während die Tzimisce Anführer sich bereits wieder auf den Weg zurück nach Vardenfell machten um das weitere Vorgehen zu besprechen und zu beschließen, die Versorgungswege zu gewährleisten und den Abtransport der Kriegsbeute zu koordinieren, hatte Alida sich dazu entschlossen erneut den geheimen Eingang zu den Bruthöhlen aufzusuchen, in denen ja nach wie vor noch das Wolfswesen gefangen war. Zumindest sollte es das noch sein, wenn nicht schon Rustovich oder jemand anderes bereits den Befehl gegeben hatte die Höhlen zum Einsturz zu bringen oder alles Lebendige in ihren Inneren rigoros zu töten und jeden Hinweis auf die Bluthexer zu verbrennen.
Sie hätte Emilian nur zu gern an ihrer Seite gewusst, denn die Entscheidung, die sie treffen musste war keine leichte. Sie wusste nicht, was für ein Wesen sie im Begriff war zu befreien und vielleicht hatten die Tremere gut daran getan es für immer wegzusperren. Ihr Erzeuger war jedoch bereits wenige Meter nachdem sie das Haupttor von Ceoris durchschritten hatten von einem hageren Mann angehalten worden. „Meister Victorovich. Verzeiht meine Dreistigkeit. Bis vor wenigen Tagen hat Meister Lambros nach einem Gefecht die ‚Materialschau‘ vorgenommen um festzustellen, welche Teile der Gefallenen und Verwundeten sich noch für weitere Projekte eignen können. Der Voivode der Voivoden schickt mich mit dem Auftrag euch zu bitten, dieser Aufgabe nachzukommen.“ Obwohl die ebenmäßigen Züge von Emilian reglos blieben, bemerkte Alida an seinem kaum merklichen Zusammenkneifen der Augenwinkel, dass ihm der Gedanke nicht recht zu gefallen schien. Ob es an der grausigen Tätigkeit lag, bei der beim bloßen Gedanken daran Alida ein Schauer über den Rücken jagte, oder daran, dass er nicht erbaut darüber war sie erneut alleine zu lassen, konnte sie nicht feststellen.
Er sah zu ihr, überlegte einen Augenblick. „Geh bitte schon mal vor. Eine Order vom Drachen der Drachen lässt man nicht unbefolgt. Wir sehen uns später wieder.“ Er warf ihr einen letzten langen Blick aus den rot-braunen Augen zu, dann folgte er dem Boten zurück ins Innere.
Alida seufzte und machte sich allein auf den Weg.
Die Höhlen waren aber in erster Linie die Domäne der Fleischformer und allen voran Lambros gewesen; kein Ort an den sich der durchschnittliche Soldat einfach so hineinwagen würde, wenn er nicht Gefahr laufen wollte selbst ein wenig Material zu ‚spenden‘. Die Chancen standen also nicht schlecht, dass sie ihr Versprechen mit dem vom Zauberlehrling überreichten Leviathan-Schlüssel doch noch halten würde können.

Allzu viel Zeit blieb ihr aber dennoch nicht, denn selbst jemanden der mit den Sitten des Ostens nicht vertraut war, würde unverzüglich klarwerden, das der Voivode der Voivode nicht mehr viel von Ceoris und der Kavernen unterhalb der Festung übriglassen würde, sobald alles Wertvolle daraus gerettet worden war. Der altbekannte Pfad führte sie über mittlerweile langsam dahinschmelzenden Schnee zurück an die große Öffnung, an der sie sich an den Wachleuten vorbeigeschlichen hatte. Auch diesmal saßen wieder zwei Bewacher vor dem Eingang, hatten aber im Hintergrund ein wenig Verstärkung bekommen. Fünf andere Soldaten stapelten abgebrochene Kristalle in einem Handwagen. Es mochten vielleicht gerade zehn Stück sein. Das unvermittelte Tauwetter machte den Pfad zwar tückisch aber dafür nahm die Kälte ab; sehr zum Vorteil der Sterblichen, die sich gerade einen Schluck Vodka aus einem Schlauch gönnten. Als Alida näher schritt, schnellten die Hände an die Schwerter, verharrten aber lediglich dort. „Herrin van de Burse“, sagte einer der Wachen verblüfft. Offenbar hatte sich ihre Stellung im gemeinen russischen Volk gerade ungemein verbessert.

„Verzeiht die Dreistigkeit meiner Frage aber werdet ihr nicht bei der Führung vermisst?“ Der Kessel mit dicker Suppe dampfte im Hintergrund.

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 Betreff des Beitrags: Re: Die Fesseln der Macht
BeitragVerfasst: Di 26. Jul 2016, 13:32 
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Alida spürte den Drang den Sterblichen herunter zu putzen und ihn mit einem Grollen auf seinen Platz zu verweisen. Sie spürte schon, wie sie den Mund öffnete, die Fangzähne ausfuhr um ihm entsprechend zu drohen, dann schloss sie die Lippen wieder. Sie sog tief die kalte, nach Suppe riechende Luft ein. Sie war eine Frau des Westens, kein Drache aus dem Osten. Sie musste sich bemühen, das nicht zu vergessen.
Statt dessen schüttelte sie den Kopf. „Nein, ich werde derzeit nicht vermisst. Es gibt eine Angelegenheit, der ich in den Bruthöhlen noch nachzugehen habe. Dann werde ich mich der Führung wieder anschließen.“ Sie sah zu den Kristallen, die die Männer abtrugen. „Ihr seid fleißig. Gute Arbeit. Denkt daran, keinen der Steine mit den bloßen Händen zu berühren. Rustovich wird begeistert sein.“ Sie trat an den Männern vorbei um ihren Weg fortzusetzen.
Der Soldat verbeugte sich tief vor Alida; tiefer als sie es womöglich streng nach den hierarchischen Strukturen im Osten verdient hätte, aber Unsterbliche war Unsterbliche. Der Drache der Drachen war ein energischer, launenhafter Anführer und sie stellte für die vielen, unzähligen Krieger dieser Lande nur eine weitere, mächtige Adlige der Nacht dar, der man sich zu fügen hatte, wollte man nicht genau dort enden, wo sie beabsichtigte hinzugehen. „Selbstverständlich euer Gnaden. Die Höhlen sind soweit gesichert und vollkommen ungefährlich. Es gibt dort allerdings noch ein Wesen, das einem Wolfe ähnlich scheint. Es ist angekettet in der Nähe des Kristallwaldes, von dem wir diese Proben entnommen haben. Offenbar stellt es keine direkte Gefahr dar, aber wir würden euch doch zu erhöhter Vorsicht raten Herrin. Möchtet ihr eine Eskorte?“ Die Soldaten im Hintergrund, die einen Moment lang inne gehalten hatten, arbeiteten weiter daran die Kristalle möglichst dick einzuwickeln und für den Transport zu sichern. Natürlich würde man sie für ihre niederen Dienste schätzen – ein wenig zumindest. Falls den mysteriösen Kristallen jedoch etwas geschehen sollte… nun, das wollte niemand herausfinden.
„Das wird nicht nötig sein. Eure Arbeit hier ist wichtiger als meine Begleitung. Habt dennoch Dank für euer Angebot.“ Sie trat näher in Richtung Eingang.
Die Soldaten verneigten sich erneut vor ihr und setzten ihre Arbeit zügig und mit ganz besonderer Sorgfalt fort. Sie selbst konnte ihren Weg ungehindert fortsetzen und gelangte wie schon zuvor über die großen Höhlenschluchten und Kavernen, über die Eishöhlen zurück zu den Kristallen, von denen nicht mehr allzu viel übrig zu sein schien. Anscheinend war den Soldaten befohlen worden nur eine Hand voll der merkwürdig-leuchtenden Steine zur näheren Untersuchung und Bestimmung einzusammeln, den Rest ließ der Voivode noch vor der eigentlichen Versiegelung der Höhle zerstören. Wohl um ganz sicher zu gehen, dass sich niemand mehr ihrer Macht bedienen konnte. Überall lagen zersplitterte Bruchstücke von Kristallen, die nur noch schwach und unergiebig leuchteten; manche hatten überhaupt schon aufgehört das pulsierend-blaue Leuchten auszustrahlen. Als ob jegliches Leben und jegliche Magie aus ihnen gewichen war. Tot, mochte man meinen, um einen symbolischen Ausdruck dafür zu finden. Vermutlich hatten schwere Hämmer stundenlang auf die bläulichen Wälder eingedroschen, und jetzt gaben schon die an den Wänden platzierten Fackeln mehr Licht als zuvor noch die magischen Objekte.

https://www.youtube.com/watch?v=itMd1_nxfzc

In einer finsteren Ecke, in die sich beinahe sämtliche Schatten der Höhle zu drängen schienen, vernahm sie das schwere Rasseln von Ketten und eine altbekannte Stimme. „Ist es nicht erheiternd zu sehen, wie diese dummen Menschen so viel Macht nur allein auf den Befehl eines einzelnen vernichten? Wenn diese Ignoranz nicht so bedauerlich wäre, müsste ich beinahe lachen.“ Die Stimme klang rau und gelangweilt. „Seid ihr hier um mich sterben zu sehen, kleiner Vampir? Wie wollt ihr es anstellen? Bringt ihr die Höhle zum Einsturz oder trennt mir ein Schwerthieb den Kopf von den Schultern?“
Alida trat näher. „Ja, Menschen sind in der Lage auf Befehl von Einzelnen fiel zu bewerkstelligen, Gutes wie Böses, Unsinniges und Logisches. Diese Kristalle sind ein ausgesprochen mächtiges Werkzeug, dass die Unholde jedoch nicht zu nutzen in der Lage sind. Folglich werden sie zerstört, auf das sie niemals dem Feind dienen können. Eine schlechte Schlussfolgerung, aber für die Unholde die einzig Nachvollziehbare in dieser Nacht.“ Sie schüttelte den Kopf. „Ich weiß nicht, was der Drache der Drachen mit dieser Höhle plant. Aber er ist recht rigoros mit seinen Entscheidungen.“
Die Ketten rasselten in der Dunkelheit. „Da habt ihr wohl recht. Magie kommt vom Leben, der Essenz des Seins und man kann nun wirklich nicht behaupten, das eure Art noch viel Ähnlichkeit damit hätte. Somit bleibt euch diese Macht verwehrt und für die windenden Massen dieser dummen Menschen ist das vermutlich auch besser so, gerade weil euer Drache des Ostens bei seinen Entscheidungen nicht zaudert.“ Sie vernahm ein Husten und es entstand eine merkwürdig stille Pause, die irgendwie deplatziert wirkte. „Ich habe keine Lust als Schoßhund für einen der euren zu enden, obgleich mir ein solches Schicksal bei eurer speziellen Linie wohl nicht vergönnt sein wird. Am ehesten wird man meinen Kadaver zerlegen und zersetzten und hinter das Geheimnis zu kommen. Wie schade nur das es keines zu entdecken gibt. Was wollt ihr also dann, wenn ihr nicht hier seid um noch ein paar Kristalle für den persönlichen Gebrauch mitzunehmen oder mich leiden zu sehen oder mir den erlösenden Tod zu gewähren? Ich spüre die Euphorie da draußen und ich fühle die Abwesenheit der Hexer… offenbar hattet ihr Erfolg. Na wenn das mal kein Grund zur ausgelassenen Freude ist.“ Die Art und Weise wie das Wesen seine Worte betonte, durfte durchaus als staubtrocken bezeichnet werden.
Wieder war es an Alida ein paar Schritte näher zu treten. Sie ging vor dem Wolfwesen in die Hocke und schließlich auf die Knie. „Ich bin nicht hier um euer Geheimnis zu lüften. Es gibt in dieser Welt zu viele Geheimnisse und ich bilde mir nicht ein, dass ich jemand sein könnte, der sie zu enträtseln im Stande wäre. Doch wenn ihr mir einen kleinen Gefallen tun möchtet: Was für ein Wesen seid ihr? Und wie nennt man euch?“
Je näher sie kam desto mehr hatte sie das Gefühl von der allgegenwärtigen Schwärze des Raumes verschluckt zu werden. Von den Lasombra erzählte man sich ähnliche Geschichten; Kräfte, die den Schatten befahlen und Lucien hatte nicht zuletzt auch einige dieser Fähigkeiten gezeigt, die er von seiner unfreiwilligen Reise in den Abgrund mitgebracht hatte. Das hier fühlte sich jedoch insofern anders an, als dass die Schatten und die Schwärze um das Wesen nicht beschworen oder herbeigerufen waren, sondern fester Bestandteil des überdimensional großen Wolfes. Erst als sie direkt vor ihm auf die Knie sank, teilte sich die Finsternis und gab den Anblick des breiten Körpers mit dem dichtem Fell Preis. Selbst Cato hätte sich vor dem Ding jaulend versteckt, denn allein der Schädel war doppelt so groß wie der eines gewöhnlichen Wolfes. „Einen Gefallen? Niemand tut niemandem einen Gefallen ohne Gegenleistung. Wenn ich euch meinen Namen und mein Wesen offenbare, tötet ihr mich dann endlich?“

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Ihre Augen verengten sich zu Schlitzen und sie schob das seltsame bedrohliche Gefühl fort um sich auf ihr seltsames Gegenüber zu konzentrieren. „Wenn ihr es tut, werde ich eher gewillt sein, eurem Wunsch nachzukommen.“ Sie zog die Klinge ihres alten Freundes aus der Scheide und legte die Waffe neben sich auf den steinernen Boden. Sie wusste genau, das, was sie hier tat, war eine Qual, aber sie war nach wie vor nicht sicher, wie sie handeln sollte.
Der Wolfsschädel wandte sich in völliger Gelassenheit dem Dolch neben sich zu und schenkte Alida dann einen Blick, der sie fast schon drohte mit Haut und Haaren aufzufressen. Die Ketten rasselten als das Ding sich zu seiner vollen Größe erhob und sich auf die Hinterbeine setzte. „Ihr seid ein gerissener kleiner Blutsäufer, aber so sei es. Immerhin habt ihr mir einen kleinen Gefallen getan, als ihr die Tremere in ihrem eigenen Feuer habt brennen lassen. Es tut gut selbst jetzt am Ende meiner Reise noch den süßen Geschmack von Rache genießen zu dürfen.“ Die spitzen Ohren zitterten ein paar Mal. „Ich bin Tasfarel. Geschaffen aus allem was ist, besiegt in einem Kampf, der euren hier völlig bedeutungslos macht und verdammt in einem Pfuhl aus dem es kein Entrinnen gibt. Die Bluthexer haben mich herbeigerufen um mir Geheimnisse zu entlocken.“ Das Ding fletschte die Zähne, wie um zu grinsen. „Aber ich war ihrem Wissensdurst wohl nicht ausreichend genug und so verloren sie schnell das Interesse. Als Belohnung bekam ich diese Fessel, die mich seit dem Bestehen ihrer kleinen Trutzburg an diese Steine fesselt.“ Tasfarel machte ein paar kleine Schritte auf Alida zu, bevor die Kette ihn zurückhielt. „Ihr habt den Schlüssel, das spüre ich. Wie unnütz, so etwas vor mir verbergen zu wollen. Entscheidet euch Blutsäufer; wollt ihr mich vernichten oder freilassen? Ich gehe nicht davon aus das ihr Versprechen zu halten pflegt.“ Anscheinend konnte das Wesen die Anwesenheit des Schlüssels tatsächlich spüren oder der Wolf versuchte einen gewagten Bluff.
„Ich pflege Versprechen zu halten, aber ich habe auch andere Prinzipien in meiner untoten Existenz, an die ich mich halte. Ich weiß nicht, wer ihr seid, was ihr tut, was ihr wollt. Ich weiß nicht, zu was ihr in der Lage seid. Ich setze, wenn es mir möglich ist, weder Kainit, noch Setskind, noch Wiedergänger oder welches Geschöpf auch immer, keiner unnötigen Gefahr aus und ich kann nicht abschätzen, ob ihr eine solche seid. Ich weiß nicht, ob eure erste Tat, wenn man euch befreit, diejenige sein wird mir den Kopf von den Schultern zu beißen. Euch frei zu lassen ist ein Risiko, und ich habe keine Ahnung, ob ich das eingehen kann.“ Sie presste die Lippen aufeinander.
„Ich bin in der Tat ein Risiko. Ihr kennt mich nicht und ich kenne euch nicht, obgleich mir eure Art und mittlerweile eure spezielle Linie von Blutsäufern ganz geläufig scheint. Die Hexer haben oft von euch gesprochen. Aber da ihr ja so entzückend verzweifelt fragt und mit eurem eigenen Schicksal und euren Entscheidungen hadert, werde ich euch ein wenig helfen.“ Der massive Schädel drehte sich leicht und kam ganz nah an sie heran. „Wenn ihr mich befreit, habt ihr einen Wunsch frei soweit es meine Möglichkeiten nicht vollends übersteigt. Was immer es sei, es soll euch erfüllt werden. Und weil ich tatsächlich lange genug in dieser lächerlichen Höhle gelegen habe, gewähre ich euch sogar einen zweiten Wunsch, da ihr zweifelsfrei geholfen habt die Hexer in dieser Festung zu töten und mir damit ein kleines Stück Rache ermöglicht. Ich werde euch kein Leid zufügen, denn ihr könnt euch einer Sache ganz sicher sein: Diesen Ort möchte ich so schnell wie möglich verlassen.“ Tasfarel war nun nur noch Zentimeter von ihrem Gesicht entfernt und vermutlich hätte ein Biss gereicht, um ihre den Kopf aus dem Rückgrat zu reißen. „Das oder ihr erdolcht mich und macht meinem Leiden auf diese Art ein Ende. Es liegt an euch, nur lasst mich nicht länger hier dahinvegetieren.“
Alida bewegte sich ein Stück nach hinten. „Ich brauche euch nicht zu töten. Dafür gibt es genug andere, die nur darauf warten… Und die wenigen Stunden bis dahin würdet Ihr mit Sicherheit auch noch aushalten, nach all den Ewigkeiten, die ihr hier anscheinend, wenn ich euch richtig verstanden habe, ja ohnehin schon ausharrt.“ Sie tat einen Atemzug und sog den seltsamen Geruch nach Höhle, Moder und Pelz ein. „Was für ein Geschöpf seid ihr, Tasfarel, geschaffen aus allem was ist? Ein Dämon? Ich schätze, ihr gehört weder den Sterblichen, den Magiern, den Wolflingen oder den Kainiten an…“
Der Wolf drehte den massiven Schädel und begann leise und beinahe verächtlich in sich hinein zu kichern. Es klang düster und rau wie die Gischt, die gegen Kreidefelsen brandete. „Ein Abkömmling des ersten Mörders und doch will sie sich nicht selbst die Hände schmutzig machen. Achtest du noch immer seine Gebote?“ Die magischen Ketten an seinem Hals rasselten erneut als seine Augen giftig grün aufleuchteten. „Ich habe das große Glück zu niemandem zu gehören, nein. Meine Art gehört nur sich selbst - wie klug ihr doch seid, Blutsäuferin. Für gewöhnlich zittern die Sterblichen vor dem, als was sie mich bezeichnen; Dämon, Ausgeburt der Hölle, Scherge des Untergangs.“ Tasfarel schnaubte verächtlich. „Und allerlei andere alberne Namen und Bezeichnungen. Meistens hat es mit ihren eigenen Ängsten und Sehnsüchten zu tun. Dabei wissen sie nicht wie nahe sie dem sind, was sie eigentlich an jedem ihrer Feiertage glühend huldigen; welch Ironie.“ Die rechte Pfote schabte im erdigen Untergrund. „Ihr strapaziert meine Geduld, Mörderin, und überrascht mich dennoch. Seid unzähligen Jahrzehnten seid ihr das erste Wesen das mich weder foltert noch ausnutzen möchte.“ Das überdimensionale Gebiss verzog sich zu einem maliziösen Grinsen. „Aber die Neugier lässt euch nicht mehr los nicht wahr?“
Alida schüttelte den Kopf. „Es ist euch ganz gleich, was ich denke, oder nach welchen Geboten ich lebe. Ein Dämon also…“ Sie schloss für einen kurzen Moment die Augen, atmete langsam durch die geschlossenen Lippen aus. Dann griff sie mit der Rechten zu ihre Schwert. „Ihr wollt mir zwei Wünsche erfüllen? Ich hoffe, sie lassen sich miteinander in Einklang bringen: Bringt meine Clansbrüder- und -schwestern sowie ihre kainitischen und sterblichen Gefolgsleute in diesen östlichen Landen nicht um ihre Existenz und macht ihnen ihre Existenz nicht zu schwer… Ich möchte mein Unleben in diesem verdammten Krieg nicht umsonst aufs Spiel gesetzt haben. Und der zweite: …“ Sie zögerte einen Wimpernschlag lang, dann hielt sie ihm mit der Linken den Schlüssel hin. „Genießt eure Freiheit!“ Sie war sich sicher, dass ein Wesen wie er keine Finger brauchte um seine Ketten zu lösen.
Der Wolf verfolgte stillschweigend ihre Bewegung an die rechte zum Heft ihres Schwertes und nickte nur völlig gelassen. „Da habt ihr recht, Mörderin. Weder schert es mich, was ihr mit ihm zu tun habt oder wofür ihr euer verfluchtes Dasein hergebt. In gewisser Hinsicht sind wir uns gar nicht so unähnlich, aber das würdet ihr mit eurem begrenzten Wissen nur beharrlich leugnen. Es tut nichts zur Sache…“ Die grünen Augen fraßen sich in den silbernen Leviathans-Schlüssel, den sie aus ihren Taschen beförderte. „Ah, der Schlüssel mit dem Siegel des Leviathans. Ich fand es schon immer bemerkenswert, dass sie seine Runen für mein Gefängnis erwählten; diese Tremere sind aus der Ferne betrachtet schon erheiternde Ameisen. Alle in einem großen Haufen krabbeln sie übereinander und horten Dinge, die sie nie verstehen werden. Ihr müsst meine Fesseln berühren, Mörderin, nur dann werden die Siegel gebrochen. Schnürt euch die Furcht schon die Kehle zu oder bringt ihr den Mut auf mich zu erlösen?“ Sie erkannte eindeutig das er es amüsant fand, wie ihre Unsicherheit sich in ihren Worten und Taten spiegelte.
Sie lachte zugleich amüsiert und mit trockenem Ernst. „Wir wollen doch nicht, dass ich dieses Ding hier die ganze Zeit umsonst mit mir rumgeschleppt habe, oder?“ Dann berührte sie mit dem silbern glänzenden Metall die Ketten.
Der riesige Wolf hielt ihr den Hals hin und beugte sich zu ihr herab, sodass sie den silbernen Schlüssel an die völlig profan wirkende Halsfessel halten konnte. Anders als in der Festung der Hexer passierte zunächst überhaupt nichts. Kein Licht, kein geheimnisumwobenes Säuseln oder Flüstern, kein Dröhnen und Raunen; keine Energiewelle, die sich ausbreitete. Stattdessen machte es einmal kurz ‚Klick‘ und das rostige Metall fiel dem Wolf vor die Füße. Nur eine Sekunde später löste es sich vor den Augen Alidas in einen rostigen Pulverhaufen aus altem Metall auf; ähnlich einem Kainit, der den endgültigen Tod gefunden hatte. Das gleiche Schicksal kam dem Schlüssel zu, der in ihrer Hand zu einer silbrig glänzenden Wolke wurde und ihr durch die Finger rieselte.
Tasfarel reckte und streckte sich; jedes einzelne Glied seines monströsen Körpers wurde gedehnt und bewegt. Die Kiefer öffneten sich und er schnappte ein paar Mal gierig in die Luft, als ob er sich in etwas verbeißen wollte. Als sich das Untier genug seiner neu gewonnenen Bewegungsfreiheit erfreut hatte, kam es langsam auf Alida zu und schien dabei immer größer zu werden. Und tatsächlich, sie irrte sich nicht – Tasfarel wurde immer größer, bis er in dieser Form eines Wolfes so groß war wie Alida selbst. Was diesen Wandel ausgelöst hatte, konnte sie nicht sagen, aber es hatte sich fast wie eine Verzerrung der Realität angefühlt.
Der vermeintliche Dämon bleckte die Zähne und lächelte. „Mmh, das Gefühl der Freiheit. Wie viele Jahrzehnte musste ich mich mit diesen dummen, einfältigen Hexern herumplagen? Welche Schmach musste ich hinnehmen? Doch damit ist es nun vorbei; denn ihr habt mich befreit und meine Ketten gelöst. Mein Dank ist euch gewiss und was eure Wünsche betrifft…“ Der Wolf umkreiste die Brüggerin wie ein Raubtier, das seine Beute begutachtete um nach einer passenden Schwachstelle zu suchen bevor es zum Angriff überging. „Sie seien euch gewährt. Doch zählen eure genannten Wünsche nicht, da ihr mich zu diesem Zeitpunkt noch nicht befreit hattet. Nach wie vor stehen euch also zwei Wünsche zur Verfügung. Erlaubt mir euch die Entscheidung zu vereinfachen.“ Tasfarel schritt zu den Überresten von Schlüssel und Kette und riss das Maul auf; wühlte in der Erde und schien die pulvrigen Überreste von Eisen und Silber zu verschlingen als ob sie rohes Fleisch wären. Danach schritt er zu den Kristallsplittern, die noch immer ein wenig schwach vor sich hin glommen und fraß auch jene. Die Spitzen bohrten sich in seinen Kiefern und dickes, schwarzes Blut rann ihm das Fell hinab, sammelte sich in gallertartigen Pfützen zu seinen Pfoten. Als auch die Splitter verschlungen waren, begann der Körper des Wolfes sich zu schütteln und zu zittern. Wie ein Hund, der etwas Falsches gegessen hatte würgte Tasfarel und erbrach sich. Doch anstatt Nahrung oder die Überreste des unverdaulichen Metalls auf den Erdboden zu verteilen, fiel ein schwarzes Amulett, mit silbernen Gravuren aus seinem Maul, vor ihm auf den Boden. Es hatte die Form einer Klaue, möglicherweise die eines Drachen und umschloss ein geschliffenes Stück eines Kristalls, der seine Farbe von bläulich auf durchdringendes Rot geändert hatte. Der Stein pulsierte wie ein böses, dunkles Herz und schwamm in dem dickflüssig erbrochenen Blut. Tasfarel kaute leicht und schüttelte sich. „Euer lieber Osten und eure Erfolge gegen die Tremere interessieren mich nicht Mörderin. Ich habe kein Interesse an diesem Landstrich oder den Bewohnern darin, diesbezüglich müsst ihr euch keine Sorgen machen. Wenn ihr so wollt, betrachtet euer Ansinnen also als erfüllt. Dennoch habt ihr zwei Wünsche frei, die ihr nach Belieben äußern könnt. Wenn ihr wisst wonach es euch verlangt, ruft meinen Namen und ich werde erscheinen. Doch missbraucht diese Macht nicht und gebt mein Amulett nicht weiter. Ihr allein habt mich erlöst, also stehen euch allein die beiden Wünsche zu. Benutzt sie weise, Mörderin.“

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Alida hatte das seltsame Schauspiel mit einer Mischung aus Ekel und Faszination betrachtet. Sie hatte als Tzimisce längst gewisse Grenzen des Ekelerregenden oder Grauenhaften überschritten, die andere Kainiten auch nicht im Entferntesten in Erwägung zogen. aber diese dämonenhafte Kreatur war doch von anderer Natur. Noch immer stand sie da wie erstarrt. Schließlich lachte sie erneut tonlos auf. „Na, dann hoffen wir mal, dass ich das nicht irgendwann bereuen darf.“

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Der Wolf lachte kurz laut und sonderbar bellend auf, schüttelte das pechschwarze Fell und lenkte seine Pfoten in Richtung Höhlenausgang. Alida merkte, wie er mit jedem seiner Schritte wieder auf die gewöhnliche Größe eines Wolfes zusammenschrumpfte. Ganz ohne Frage war die Tarnung als wenig auffälliges Tier der Wildnis, das einzige was ihn den langen Weg über die Karpaten, hinab ins Tal und vorbei an den Bewacherketten vor einem frühzeitigen Ende bewahren würde. „Dann verschwendet die Wünsche meinetwegen auf irgendeine Sinnlosigkeit oder zeitlich begrenzte Macht und Reichtum. Wünscht euch eine neue Bürste, mit edlen Saphiren und Smaragden oder ein Bad im Blute von hundert Jungfrauen. Mir ist es gleich; es sind eure Wünsche. Was ihr damit gedenkt zu tun, ist allein eure Sache aber ich warne euch: Verschenkt sie an niemand anderen. Das Amulett trägt einen Teil meiner Essenz in sich, auf das ich euch finden kann. Ich gab euch mein Versprechen und ebenso ist es ein Versprechen, dass wer immer mich ruft und nicht meine Gunst verdient hat, nur einen Wunsch erfüllt bekommt: Einen qualvollen Tod.“
Alida griff nach dem Amulett und zog es aus der schwarzen Blutpfütze. War das eine gute Idee? Sie ging hinter dem Wolf her. „Lebt wohl, Tasfarel. Ich hoffe, euer Weg führt euch an euer Ziel, was auch immer das sein mag…“ Sie kräuselte fragend die Stirn.
Der Wolf wandte ein letztes Mal den Kopf über die Schulter zu ihr zurück. „Ihr seid vielleicht eine der wenigen, die den Augenblick, da ich tatsächlich meine Ziele erreichen sollte noch erleben dürfte. Noch eine Gemeinsamkeit, die uns verbindet: Zeit ist bedeutungslos und im besten Falle eine Fußnote unserer Existenz. Aber ich glaube, was ihr am Ende meines Weges erkennen dürftet, würde euren kleinen Geist unweigerlich zerschmettern. So ist es für alle am besten, dass sich unsere Wege nicht mehr allzu bald kreuzen. Habt Dank für meine Befreiung und wählt eure Wünsche mit bedacht.“ Dann begann der Wolf in einen leichten Dauerlauf zu verfallen, der sich kontinuierlich steigerte, und bald schon war er in den Untiefen der Höhle verschwunden. Schon allein das schwarze Fell verbarg ihn geradezu vorzüglich. Die Tzimisce hatte nicht den geringsten Zweifel, dass er völlig ungesehen an den Wachen am Höhleneingang vorbeischleichen würde können. Das wäre für ein derartiges Wesen, ein verschwindend kleines Problem.

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 Betreff des Beitrags: Re: Die Fesseln der Macht
BeitragVerfasst: Sa 6. Aug 2016, 09:44 
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Warnung: Der nächste Beitrag enthält nur 'langweiligen Dialog' zwischen Alida und Emilian. Leute, denen sowas nicht zusagt: Bitte einfach überspringen ;)

Alida ging durch das breite Tor von Vardenfall. Im Gegensatz zu früher ließ man sie ungehindert passieren. Für Alida schien es unglaublich wie sich doch in so wenigen Nächten alles verändern konnte. Erst zu Beginn dieser Nacht hatte sie als Tormentorenschlächterin in den Verließen dieser Mauern gesessen, nun durfte sie als geachteter Drache die Burg betreten, ohne dass man sie auch nur misstrauisch anblinzelte.
Sie bot einen jämmerlichen Anblick, aber das tat fast jeder überlebende Soldat oder Kainit. Sie schritt durch den Burghof und verharrte einen Moment als sie einen Mann mit fast schwarzen Haaren von einem Pferd steigen sah, der ihr bekannt vorkam. Der Krieger musste sich von einem Diener helfen lassen, sonst wäre er wohl gestürzt. Wie sie vermutet hatte, handelte es sich um Jaropolk, der sie vor einigen Jahren in Flandern bereits in kürzester Zeit im Kampf hatte besiegen können. Ihm fehlten der rechte Arm sowie die ganze Schulter. Das rechte Bein war vom Schenkel abwärts abgerissen und die Hautfetzen hingen wie blutige Tücher über den Stumpf. Sie fragte sich, gegen was er wohl gekämpft hatte. Es würd elange dauern, diese Wunden heilen zu lassen, aber er war Kainit...

Ein Diener eilte an ihre Seite und machte sich daran sie durch die Burg zu einem Zimmer zu führen. Er war schweigsam, wandte fast ängstlich den Blick ab und betonte ein ums andere Mal, dass man bereits ein paar Mägden befohlen hatte heißes Wasser zu bringen. Alida nickte dankbar und verabschiedete sich von dem Mann, der mehr als erleichtert darüber zu sein schien wieder in den labyrinthartigen Gängen der Festung verschwinden zu können.
Dann hielt sie ihn noch einmal am Ärmel zurück und der Mann zuckte zusammen als befürchte er einen Angriff. „Verzeiht. Es gibt ein paar Männer am Fuß des Berges. Wiedergänger von jemandem namens Belinkov, angeführt von einem Mann namens Ivan. Wenn ihr so gut sein wollt, sorgt dafür, dass die drei so gut als möglich versorgt und in einem Stück hier eintreffen.“ Wieder folgte ein hastiges Nicken, dann verschwand der Diener endgültig.

Alida öffnete die schwere Eichentür und betrat den Raum.

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Das Zimmer war dunkel und nur durch das Licht eines flackernden Kaminfeuers am anderen Ende des Raumes erhellt. Schwaches Mondlicht fiel durch ein winziges Fenster, das sich mühelos mit hölzernen Läden und Vorhängen verdunkeln ließ. Sie erkannte ein breites Bett mit sauberen Laken und am anderen Ende einen Tisch mit schwarz-weißen Schachfiguren. Alida trat näher und nahm eine davon in die Hand. Mit großer Wahrscheinlichkeit waren das die Gemächer in denen man Emilian, damals noch Sergej Belinkov, untergebracht hatte.
Sie stellte den Läufer zurück und öffnetet schließlich eine Tür, die in ein Zimmer führte in dem man eine große Wanne eingebaut hatte. Tatsächlich hatte man warmes Wasser eingefüllt und daneben lag ein Stück Seife mit einem feinen rosenartigen Geruch, der sie an die erzhäuser Kernseife von Lilliana erinnerte.

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Mit Mühe, so weit möglich, die verletzte Schulter schonend, kämpfte sie sich aus den Überresten ihrer zerbeulten Rüstung, zog sich die Kleider vom Leib und stieg in die Wanne. Das Wasser färbte sich fast augenblicklich rot und braun und nahm die Farbe des dreckigsten Brügger Kanals an. Alida schmunzelte. Fast wie zu Hause. Dann tauchte sie den Kopf unter und wusch sich dann die schmutzigen, verklebten Haare.
Das Wasser in den Kanälen, mochte erdig und braun sein, kein Vergleich zum Azurblau der Küste Genuas oder dem Stahlgrau des Ärmelkanals. Aber eines hatten diese Gewässer, das sie allesamt von dieser mit heißem Badewasser gefüllten Wanne ausschlaggebend unterschied: Sie alle stanken auf die eine oder andere Weise. Nach Seegras, Fisch, Algen oder Unrat. Ihr schäumendes Bad jedoch duftete himmlisch nach Honig und Milch und tatsächlich waren die pflegenden Öle und Cremen auf dem Beistelltischchen neben ihr wohl eindeutig für sie vorbereitet worden. Nach eingehender Prüfung stellte sie verwundert fest, dass es sich bei der Seife tatsächlich um eine echte Erzhausener handelte, die fein säuberlich neben einem weichen Schwamm drapiert worden war.
Ein leichtes Knarzen ließ sie aufhorchen und als sie den Blick hob, stand Emilian mit verschränkten Armen in der Tür und lächelte sie schief grinsend an. „Wie ich sehe hast du nicht nur meine Gemächer, sondern auch schon das Bad gründlich auf Feindpräsenz hin untersucht. Soweit alles zu deiner Zufriedenheit?“ Seine Augen glitten spitzbübisch über ihren zu großen Teilen im Badeschaum versteckten Brustansatz.
Alida versank erneut mit dem Kopf unter Wasser um seinem Blick zu entgehen. Ein Glück, dass Erröten lediglich etwas für Sterbliche war. Schließlich schob sie den Kopf doch wieder über die Wasseroberfläche. „Sag mir doch mal: Da du doch eigentlich davon ausgegangen bist, dass ich mich brav im beschaulichen Brügge aufhalte: Wann hattest du denn neben Leichenteile auseinandernehmen und wieder zusammenstückeln, Voyzd bauen, vor Vladimir Rustovich und Komparsen buckeln und jahrhundertealte Geheimidentität verbergen noch Zeit Erzhäuser Kernseife und Duftessenzen zu besorgen?“ Sie grinste zweideutig. „Lass raten: Ein Präsent deines dich doch so liebenden Onkels, Andrej?“
Emilian grinste und trat näher an den Rand der Wanne, um sich kurzerhand darauf niederzulassen. Verschmitzt betrachtete er zunächst ihr feuchtwarmes Gesicht, bevor er seine Finger ein wenig ins Badewasser tauchte. Der Duft feinster Essenzen erfüllte die nebeldurchzogene Luft. „Erraten. Wenn ich es nicht besser wüsste, so würde ich meinen geliebten Onkel bald in die Reihen der Toreador eingliedern. Andrej hat tatsächlich einen nahezu dekadenten Hang zu exorbitant teuren und erlesenen Dingen. Von Badeessenzen aus Korinth, bis hin zu Wein aus Andalusien oder Gemälden aus Frankreich. Ich habe ihn schon einmal gefragt, warum er sich diesen oberflächlichen Luxus gönnt und er meinte nur: Er habe die Ewigkeit vor sich und hinter sich und er hätte nicht vor auf irgendetwas in seiner Existenz zu verzichten. Zu oft würde man in Blut und Gedärmen waten, den Rest der Zeit sollte man möglichst in erhabener Eleganz und Bequemlichkeit verbringen. Andrej sieht nicht auf die Armen oder weniger wohlhabenden herab, aber er schwelgt gerne in Annehmlichkeiten. Und wenn ich mir das so ansehe…“ Seine Hand fasste etwas Badeschaum und blies ihn sachte in ihre Richtung. „… dann verstehe ich ihn irgendwie. Ich wollte vor einigen Tagen mal ein Bad nehmen; er bestand darauf mir seine Essenzen zur Verfügung zu stellen. Jetzt haben wir beide was davon. Einfaches Wasser mit einer fettigen Seife wäre nach allem, was wir bisher erlebt haben wohl auch ein wenig zu einfach, findest du nicht? Andrej würde wohl sagen: stillos.“ Er grinste.
„Mir ist alles gleichgültig. Egal ob fettige Seife, dreckiges Wasser, stilvoll oder stillos. Ich wäre statt mit diesem gemütlichen Zimmer auch mit der dreckigsten Besenkammer in ganz Paris zufrieden. Ich bin froh, dass ich aus Ceoris raus bin, nicht mehr von einflussreichen, mächtigen Unholden gejagt und verachtet werde und dass ich mir hoffentlich nicht mehr jede Nacht Gedanken machen muss, ob es dir wohl nach wie vor gelungen ist, als Sergej Belinkov durchzugehen.“ Sie stieg aus dem Wasser, griff nach einem der Handtücher.
Bevor sie es noch in der Hand hielt, war er ihr bereits zuvorgekommen und legte es ihr um die Schultern. Sie würde ein weiteres Mal überrascht feststellen, dass es keinesfalls so hart und rau wäre wie man sich das für gewöhnlich vorstellte. Emilian oder besser gesagt, dessen Onkel, hatte tatsächlich an alles gedacht. Offenbar ließ er die Waschweiber noch ganz andere Zusätze verwenden, die den Stoff weich und geschmeidig hielten; für die gewöhnliche Bevölkerung völlig undenkbar, weil selbstredend völlig unerschwinglich. Nachdem sie sich ein wenig getrocknet hatte und aus der Wanne auf das weiche Bärenfell im größeren Zimmer geklettert war, umfasste sie Emilian mit seinen Armen und hielt sie fest umschlungen; roch den Duft ihres nassen Haares. „Du bist schön, egal ob du aussiehst als wärst du mit eurem Gangrel durch den Morast gezogen oder gehüllt in die Gewänder einer Fürstin.“ Er küsste sie auf die Wange und knabberte verspielt an ihrem Ohr.
„Beantwortest du mir eine Frage, Emilian Victorovich?“ Sie fuhr sich mit der Zunge grübelnd über die Lippen. „Was genau hast du eigentlich von deinen durchaus verwobenen Familienbanden gewusst?“
„Hm, nicht viel. Ich wusste das mein Vater noch zwei Brüder hatte und ich war mir durchaus bewusst, dass einer der beiden recht einflussreich und mächtig war. Erst später hörte ich den Namen Vladimir Rustovich; das war zu jener Zeit als er damit begann sich um unseren Clan verdient zu machen und die Wolflinge zurückschlug. Und aufgrund des gemeinsamen Nachnamens mit meinem Vater stellte ich Vermutungen an, die sich bewahrheiteten.
An Andrej in den Zeiten meiner Kindheit kann ich mich kaum erinnern. Laut seiner eigenen Aussage erschien er damals geformt und inkognito bei Victor um das angespannte Verhältnis zum Drachen der Drachen nicht zum Überkochen zu bringen. Angeblich hatte er aber Spione und Informanten in meiner und Victors Nähe.“ Emilian lächelte. „Das wiederum glaube ich ihm aufs Wort.“
Alidas Augenbraune verengten sich ungläubig. „Andrej hatte Kontakt zu deinem Vater nachdem die beiden Brüder miteinander gebrochen haben? In Windau?“
Emilian nickte. „Er behauptet, er habe zwischen den beiden vermitteln wollen, aber Vladimir war schon zu sehr der Drachenfürst und gefürchtete Verteidiger des Ostens, als dass er sich noch auf irgendwelche Kompromisse eingelassen hätte. Vladimir war immer schon stur und sein schneller Aufstieg hat das nur noch verstärkt. Mein Vater…“ Emilian schüttelte nur den Kopf. „Der Voivode hatte immerhin von ihm verlangt sein eigen Fleisch und Blut zu opfern.“
Sie wandte sich zu ihm um, fuhr ihm mit der Hand über die Stirn und strich ihm die lockigen Haarsträhnen aus dem Gesicht. „Es ist keine Kleinigkeit einem Kind den Kuss zu schenken. Einen kleinen Jungen in die Welt der Kainiten zu holen…“ Sie seufzte und dachte an Marlene vor 20 Jahren, Hendrik und schüttelte leicht den Kopf. „Na ja, man hätte ja damals nicht ahnen können, dass mal ein fähiges Mitglied der Gesellschaft der Unholde aus dir werden könnte.“ Das Grinsen kehrte auf ihr Gesicht zurück.
Emilian lächelte sachte, glitt mit seinen Fingern über ihre Hand und führte diese an seine Lippen um sie zu küssen. „Nein, die Welt in der wir leben ist nichts für ein Kind und doch lässt es sich manchmal nicht vermeiden. Manchmal sind auch Kinder so eng mit dieser Dunkelheit verwoben, dass es nur eine Frage der Zeit ist bis sie diese Welt für sich entdecken oder entdecken müssen. Mein Vater gab mir den Kuss sicher nicht wegen irgendwelchen Überlegungen hinsichtlich meines Nutzens. Aber ich glaube, er wäre ganz zufrieden mit mir. Stolz wäre übertrieben, aber ganz zufrieden.“ Erneut lächelte er sie an. „Ich bin auch stolz auf dich. Die Frau, der ich immer nahe sein wollte.“
„Wie ich zu der Ehre komme, mag mir wohl nach wie vor schleierhaft sein.“ Sie sah ihn lang an, konzentrierte sich auf die rotbraunen Augen, suchte nach dem kindlichen Gesicht dahinter und bemerkte, dass es ihr mit den Jahren, die sie mittlerweile in der Nähe dieses erwachsengeformten Kainiten verbrachte, mehr und mehr misslang es ohne Mühe zu finden.
Emilian drehte ihr Gesicht in seine Richtung. „Ich habe mich bereits für dich interessiert als ich dich zum ersten Mal gesehen habe. Weißt du, Kainiten, umgeben von Sterblichen und Wiedergängern des Ostens. Das war es, was ich zu jenem Zeitpunkt gewohnt war: meine Welt. Mein Vater war ihr Fürst, dem sie notgedrungen ins Exil folgten, der Mann dem sie ohne Widerworte ihr ganzes Leben lang gehorcht hatten, ich das unsterbliche Balg, dem sie all das Elend zu verdanken hatten, dem sie dennoch den nötigen Respekt zu zollen hatten. Du und dein Bruder. Ihr habt uns wie Gleichgestellte behandelt, nicht besser und nicht schlechter, und meinen Vater dennoch geachtet. Ihr wart fast so etwas wie Freunde. Das hat mich fasziniert.“ Er schwieg einen Moment. „Weißt du, es ist schön einfach nur um seiner selbst willen geliebt zu werden. Nicht als Fürst, dem Achtung gebührt, behandelt zu werden oder als Vertriebener, dem man voll Verachtung ins Gesicht spuckt.“
Er küsste sie auf die Wange. „Ich mochte den Stolz in deinem Blick, wenn du eines eurer Schiffe in die Heimat bestiegen hast, deine Faszination für fremde Waren, den vertrauten Umgang mit deinem Bruder und euren Freunden und Arbeitern.“ Seine Schultern glitten langsam nach oben, aber sein Blick blieb weiterhin auf sie gerichtet. „Und einen Großteil davon hast du dir auch als Teil dieser dunklen Welt bewahrt.“
Sie wich bei diesem Kompliment kurz seinem Blick aus, hob dann prüfend sein vor Schmutz starrendes Kinn an, musterte ihn kritisch und grinste erneut. „Du bist ein sehr beschaulicher Anblick, Emilian.“ Sie fuhr eine rote Spur an seinem Hals mit dem Finger nach. „Das hier könnte vielleicht dein Blut sein, aber ich will nicht wissen, wieviel Drachengeifer, Leichenteile, Dreck von zermalmten Skelettkriegern und Gedärme und Innereien von der kleinen ‚Materialschau‘ du mit dir rumträgst. Die Fetzen, die du noch am Leib hast stehen fast vor Schmutz.“ Sie schmunzelte zweideutig. „Das Wasser in der Wanne ist noch warm. Auch wenn es nicht mehr wirklich glasklar ist, macht es dich mit Sicherheit sauberer als du derzeit bist.“
Er zog sie schmunzelnd näher an sich, als ihr Finger seinen Hals entlang glitt. „Und du riechst ganz hervorragend. Onkel Andrej hatte scheinbar tatsächlich recht mit seinen wohltuenden Essenzen.“ Seine weißen Zähne schenkten ihr ein schelmisches Grinsen, dann wurde er ernst. „Man hat mich damit beauftragt die ‚Überreste‘ auf ihre Verwertbarkeit hin zu überprüfen. Eine eher… unrühmliche und unangenehme Aufgabe. Manchmal weiß ich nicht, ob ich Schlachter oder Heiler bin, wahrscheinlich ein wenig von beiden.“ Er begann langsam sein Hemd aufzuknöpfen, das tatsächlich schon bessere Tage gesehen hatte. „Weißt du… es gibt hier im Osten ein Sprichwort: Wenn erst einer darin gebadet hat, kann man es noch immer trinken. Du kannst dir vorstellen, wie die Zeiten gewesen sein mochten, als jemanden diesen Sinnspruch ersonnen hat. Willst du dich noch ein wenig zu mir in die Wanne legen?“, fragte er in einer Mischung aus Hoffnung und spitzbübischer Provokation.
„Bin ich noch nicht sauber genug? Nach diesem Tag werde ich dir wohl recht geben.“ Sie grinste. „Platz genug ist darin auf jeden Fall. Und dein Onkel freut sich sicher, wenn er mitbekommt, dass sein Geschenk dankbar angenommen worden ist. Die Duftessenzen und die Erzhäuser Seife riecht er auf hundert Schritt.“
Emilian streifte sich die erdigen Schaftstiefel mit den Fersen ab. „Wenn man es nicht besser wüsste, könnte man ja fast annehmen, er möchte, dass wir ganz besonders intensiv danach riechen, damit er schon allein am Geruch weiß, zu welcher Zeit wir uns wo aufhalten. Klingt ein wenig paranoid, aber ich würde es ihm zutrauen.“ Sie küsste ihn auf die Lippen, die wohl einzige Körperstelle, die nicht von Dreck oder Blut verschmiert war. „Nachdem du zumindest diesen Kampf hinter dich gebracht hast, nicht mehr länger wegen Hochverrat gesucht wirst und deine beiden Onkel ja recht froh darüber scheinen, dass du wieder an ihrem Tisch sitzen darfst: Weißt du schon, wie es mit dir weiter gehen wird? Du hattest schon immer viel Potential.“ Ihr Tonfall nahm einen ironischen Klang an. „Wirst du Ritter des Ostens, kämpfst an der Seite der Gebrüder Rustovich? Former, denn darin brillierst du zweifelsfrei über den größten Teil unserer Clansmitglieder? Heiler? Anführer einer misstrauischen, sturen Wiedergängerfamilie, Händler?“ Sie zog ihm das Hemd über die Schultern und ließ ihren Blick über seinen selbstgeformten Oberkörper gleiten. Obwohl er den größten Teil der Verwundungen hatte heilen können, verliefen auch über seinen Rücken tiefe Schrammen. Wahrscheinlich war diese Verletzung durch den dornengespickten Schwanz des Drachen entstanden und nicht so ohne weiteres heilbar.
Emilian grinste während er sich von ihr entkleiden ließ; begann, nachdem sie ihm seines Hemdes entledigt hatte, damit die Knöpfe und Kordeln der Hose zu lösen. Während er den Gürtel mit der Schwertscheide und den kleinen, zusätzlich darauf bestückten Werkzeugfächern ablegte, wirkte er zunehmend nachdenklicher. „Eine wirklich gute Frage. Ich weiß, du bist es gewohnt, dass ich mir bereits lange im Voraus schon zu allem Möglichen Gedanken mache, aber ausnahmsweise ist das nicht der Fall. Um ehrlich zu sein, bin ich selbst noch ein weniger unschlüssig, was ich mit dieser neu gewonnenen Freiheit anfangen will. In erster Linie genügt es mir schon meinen eigenen Namen tragen zu dürfen, nicht mehr verfolgt und verachtet zu werden. Aber gewiss hast du recht: Vladimir hat sich von dieser Idee des großen, glücklichen Familienbandes ein wenig anstecken und begeistern lassen. Das Gefühl von familiärer Einheit und Rückhalt war etwas, das ihm bisher nur seitens Andrejs gegönnt war und wie die beiden miteinander umgehen hast du ja gesehen. Wahrscheinlich findet es seinen Wohlgefallen, dass ich mit einem Schwert neben ihm stehe und fleischgeformte Monster in die Schlacht entsende.“ Er sah kurz an die Decke und schmunzelte. „Ja, das wird es wohl sein. Aber ewig werde ich das nicht machen. Wir sind verwandt und haben unsere Differenzen überwunden, das heißt aber noch nicht, dass ich mich ihm mit Haut und Haaren verpflichten muss. Ganz werde ich mich dem Einfluss nicht entziehen können, das wird unmöglich werden, aber um die Wahrheit zu sagen, will ich nicht das sich etwas ändert. Ich kann ihm gelegentlich zur Seite stehen und unterstützen, wenn er mich dringend, wirklich dringend brauchen sollte. Ja, ich würde ihm sogar weiterhin Szlachta entwerfen für die Sicherung der Grenzen, aber ich werde nie ein Eroberer und Feldherr sein wie er. Das war mein Vater auch nicht. Und wenn er jetzt etwas über diesen Jahrhundertelangen Disput und unsere Familie gelernt hat: Dass man einen Drachen nicht zähmen kann, wenn er seinen Weg gewählt hat. Ich werde Vladimir Rustovich nicht aufhalten oder ihm vorschreiben was er zu tun hat, aber das darf er bei mir genauso wenig tun. Andrej unterstützt ihn, weil er sein Bruder ist und… „ Emilian zwinkerte ihr zu. „Weil unser seifenliebender Unhold, der sich so gern von französischen Malern porträtieren lässt, nicht nur ein feinsinniges Auge für die Kunst, sondern auch für die filigraneren und komplexeren politischen Ränkespiele hat. Er ist ein Schachspieler und unterstützt damit seinen Bruder. Ich werde es ähnlich halten. Ein Händler im Osten, der jetzt sicher um einige Kundschaft reicher werden wird, was nicht zuletzt auch dir zugutekommen würde und ein gelegentlicher Unterstützer für unsere Familie.“ Er küsste sie. „Der Osten war und ist genauso wie Brügge meine Heimat, das wird sich nicht ändern. Nur den Krieg für diese Heimat muss und wird mein Onkel weiterführen. Ich helfe ihm nur nach eigenem Ermessen und Möglichkeit.“ Ein weiteres Grinsen. „Ritter des Ostens, war nur ein überschäumender Titel, den er sich im Siegestaumel hat einfallen lassen. Warum glaubst, du hat er ‚Tormentoren‘ in seinen Reihen?“ Sachte ergriff er ihre Hand und konnte sich gar nicht satt sehen an ihrer schlanken Erscheinung. „Ich habe ja eher eine Leidenschaft für Händlerinnen… pardon... Handel natürlich.“
„Oh, wirklich? Georg wird hoch erfreut sein, das zu hören und alles dran setzen, sobald du in Gent bist, Margarethe Borluut mit dir zu verkuppeln. Du würdest ihm damit wohl seinen größten Wunsch erfüllen.“
Er legte den Kopf in den Nacken und verharrte dort einige Momente, bevor er Alida lange und ausgiebig betrachtete. „Wir haben viel zu selten die Möglichkeit zu solch einfachen Dingen.“ Er grinste und natürlich war ihm nach Scherzen zumute, wenngleich auch eine tiefe Wahrheit in seinen Worten lag. Gewiss sahen sie sich im Verhältnis zum letzten Jahrhundert recht häufig; Gent und Brügge waren nicht allzu weit voneinander entfernt und doch lebten oder existierten sie getrennt. Das hatte mehrere Gründe… Gründe, die er in diesem Augenblick wohl am liebsten als unerheblich abgetan hätte.
Sie rutschte näher an ihn heran. „Ich bin jetzt hier.“

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Der Weg zum Ziel beginnt an dem Tag, an dem du die hundertprozentige Verantwortung für dein Tun übernimms.
Dante Alighieri


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 Betreff des Beitrags: Re: Die Fesseln der Macht
BeitragVerfasst: Do 18. Aug 2016, 21:23 
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Lange hatte es gedauert, ehe überhaupt nur an einen Moment der Erholung und des Nachlassens der allgemeinen Anspannung zu denken war, aber schlussendlich war es doch noch soweit: Das große Siegesfest der Eroberer von Ceoris; Valdimir Rustovich, des Verteidigers der Stammlande des Clans Tzimisce, wurde in einem überschwänglichen Maß an Ausgelassenheit und monströser Ausschweifungen eröffnet. Schon Tage zuvor waren die Bergungsarbeiten der Geheimnisse und Wertgegenstände der Hexer in vollem Gange gewesen und unablässig waren bei Tag und auch bei Nacht die Ochsenkarren den steilen Bergweg Richtung Anhöhe gekarrt worden, um die wertvolle Fracht zu verladen und zum Stammsitz der Familie zu überführen. Natürlich gab es sowohl bei den regulären Einheiten und Freischärlern den einen oder anderen Plünderer, der sein Glück in einem vermeintlich unbeobachteten Moment versuchte. Aber die Tormentoren hatten ein wachsames Auge und so konnte Alida in den Nächten vor dem Fest immer wieder Soldaten des eigenen Heeres sehen, die an große Holzblöcke aufgeschlagen waren und dort langsam verbluteten wenn sie Glück hatten. Diejenige, die schon für die Unholde oder gar gegen sie gekämpft hatten, kamen derartige Ideen gar nicht in den Sinn und die Abschreckung verfehlte auch nicht ihre Wirkung. Währenddessen wurde am Fuße des Berges einiges an Lebensmitteln und literweise Bier und Schnaps konfisziert, das nicht lange brauchte um in der Küche von Vardenfell zu landen. Dort hatte man bereits unter Tags gekocht und gedünstet, gebraten und zerhackt um für die tapferen Kämpfer der Drachen ein opulentes Schlachtmahl aufwarten zu können. Nicht weniger als zehn Schweine hatte man auf überlange Spieße gesteckt, gefüllt und stundenlang garen lassen, während riesige, eiserne Töpfe einen nie endenden, dicken Eintopf vor sich hin blubbern ließen. Es gab sogar einen mehrstöckigen Kuchen, süße Früchte aus fernen Ländern und türkischen Honig. Bereits als die Brüggerin in dieser Nacht erwacht war, vernahm sie das ausgelassene Gejohle, Geschrei und Imponiergehabe der sterblichen Soldaten. Ein kurzer Gang, der sie durch die Tunnel der verfallenen Festung führte, in der sie sich mittlerweile fast wie zu Hause fühlte, vervollständigte das Bild vor ihrem geistigen Auge: Rustovich hatte für Gerechtigkeit gesorgt: Die eine Hälfte der Soldaten durfte sich heute dem ausgelassenen Sieges- und Alkoholrausch hingeben; morgen waren dann die tapferen Männer an der Reihe, die nunmehr Wache hielten und sich noch immer in höchster Alarmbereitschaft befanden. Becher und Kannen klapperten während Besteck auf Tellern kratze und der vom fettigen Bratensaft erfüllte Raum förmlich überquoll von angetrunkenen, lachenden, sich prügelnden und tüchtig essenden Soldaten. Man hatte im Speisesaal überall lange, bunte Tücher aufgehängt die wellenförmig geschnitten worden waren, sodass sie Schlangen ähnelten. Die Schlange galt als das Symbol der Tremere und von daher hatte man dutzende dieser Stoffschlangen mit Schnüren am Hals aufgehängt. Am Rande der Szenerie tummelten sich einige leichte Mädchen, die man wohl freiwillig oder unfreiwillig an dem ganzen ‚Spaß‘ teilnehmen ließ. Alida begnügte sich mit dem Gedanken, dass die Kunde über ein großes Heer und dessen Sieg nicht selten die Huren anzogen und von daher den Mädchen im Dorf keine direkte Gefahr drohen sollte. Emilian hatte ihr ein kleines Paket zukommen lassen und ihr aufgetragen auf ihn zu warten, bevor sie gemeinsam in den Versammlungssaal der Tzimisce schreiten würden, wo der Clan gemeinsam den so lang ersehnten Sieg feiern würde. Als sie die Verpackung, die von Schnüren gehalten wurde öffnete, erblickte sie fließenden, roten Samtstoff der kurz darauf in Ärmel und Rock überging; ein prächtiges Abendkleid mit einer dezent französisch angehauchten Korsage. Die Stäbchen selbiger waren, wie sie schnell feststellte, aus weißem Knochen gefertigt und auch das Muster, das sich nur durch einen leicht dunkleren Farbton vom restlichen Rot abhob, fühlte sich leicht ledrig und dabei doch geschmeidig an.
Alida hatte die Vorbereitungen auf das Treiben mit einer gewissen Mischung aus Unruhe und Erwartung verfolgt. Auf der einen Seite wäre sie am liebsten noch in der nächsten Nacht nach der Eroberung von Ceoris aufgebrochen. Wer wusste schon, ob sich Vladimir Rustovich nicht zu guter Letzt doch noch einmal umbesinnen würde. Zum anderen war da Neugier und gespannte Erwartung. Sie wusste zu wenig von der Welt der östlichen Tsimiske… Emilian hatte ihr schon vor mehr als hundert Jahren hin und wieder davon berichtet. Es waren Geschichten von Grausamkeit und Stolz, Familienbanden und Ehre, dunklen Wäldern, heimeligen Ortschaften und tief im Schatten liegenden Schlössern in den tiefsten Tiefen der Karpaten, von Blutdurst, Rache und Gastfreundschaft. Geschichten, die ob ihrer Grausamkeiten jedem Zuhörer einen Schauer über den Rücken jagten doch zugleich bis zur letzten Minute zu fesseln wussten.
Sie fuhr mit den Fingerspitzen über das Geschenk und verharrte bei der samtenen Stickerei. Es war ein edles Geschenk und dennoch fragte sie sich aus welchem Material wohl der ledrige Teil bestand und sie schluckte einen Moment. Emilian wusste, dass sie gewiss nicht erfreut darüber wäre Menschenteile als Kleidung zu tragen und er würde darauf Rücksicht nehmen. Zumindest hoffte sie das. Langsam streifte sie sich das Kleid über, knüpfte die Bänder, befestigte das wenige an Schmuck, das an einem Ort wie Vardenvall zur Verfügung stand und begann mit dem Flechten ihrer Haare. Sie spürte wie ihre Finger sich verkrampften als die Strähnen sich wieder zu lösen begannen und erneut herab fielen. Sie seufzte, überlegte einen kurzen Moment und begann dann mit der den Unholden innewohnende Kraft des Vicissitudo, wie so mancher gelehrte Tsimiske Fleischformen nannte, die blonden Haare zu bearbeiten.
So verbrachte sie eine knappe Zeit alleine in ihrem geräumig eingerichteten Zimmer vor dem Spiegel, um sich ihre Haare, passend zum prachtvollen Abendkleid zu flechten und ansehnlich zu drapieren. Mithilfe ihrer Kenntnisse des Fleischformens war es ein einfaches ihre Frisur ihren Wünschen entsprechend zu formen, obgleich sie nur zu gut wusste, dass manche Tzimisce es sicher nicht bei den Haaren belassen hätten. Dann klopfte es an der Tür, aber bevor sie noch etwas sagen konnte, war der Besucher offenbar schon eingetreten. Mittlerweile konnte sie schon am Gang erahnen, um wen es sich handelte und einen Moment später bestätigte sich ihr begründeter Verdacht: Emilian lehnte im Türrahmen und trug die Gewänder der russischen Aristokraten; ihr sterblicher Vater hätte scherzhaft vielleicht ‚Ausgehuniform‘ dazu gesagt. Zumindest kam es dem sehr nahe, was tüchtige Geschäftsleute bei einem wahrlich bedeutsamen Kaufabschluss zum Abendessen trugen. Auch hier wiederholte sich Samt und edle Stoffe, die kunstvoll dem Auge schmeichelten. Lilliane wäre vielleicht allein schon beim Anblick des roten Kleides in tiefe Andacht verfallen. Mit einem bewundernden Lächeln, betrachtete sie ihr Erzeuger langsam und genießerisch von oben bis unten. „Du bist wunderschön. Das Kleid steht dir wirklich ausgezeichnet.“ Abrupt stieß er sich vom Rahmen ab und machte ein paar Schritte auf sie zu; kam hinter ihr zu stehen, um den Duft ihrer Haare in sich aufzunehmen und seine Arme um ihre Hüften zu legen. „Es ist selten, dass man dich so zu Gesicht bekommt. Ich hoffe meine kleine Aufmerksamkeit gefällt dir?“
Alida lachte. „Das Kleid ist wunderschön. Ich werde mir wohl besser ersparen zu fragen wo du so etwas in Zeiten wie diesen herbekommst, oder?“ Sie schmunzelte und nickte anerkennend. „Dich hab‘ ich auch noch nicht oft so herausgeputzt gesehen. Adel und Bürgertum sind wohl wahrlich zwei verschiedene Klassen.“ Sie drehte sich zu ihm um und umarmte ihn fest, roch an seiner Haut, fuhr ihm mit den Fingern durch die leicht welligen, fast zu perfekten Haare und vergrub schließlich ihre Stirn an seiner Schulter.
Emilian hob beinahe spitzbübisch entschuldigend die Schultern. „Erwischt… wobei ich mir erlaubt habe es ein wenig zu adaptieren. Zu so einem festlichen Anlass, denke ich ist ein wenig Knochen durchaus stilvoll und angebracht.“ Er küsste sie auf die Stirn, als sie ihm durch die Haare fuhr und lächelte nach wie vor ungebrochen und offenbar auch schon in freudiger Erwartung der bevorstehenden Feierlichkeiten. „Im Osten ist das Bürgertum und der Adel ziemlich leicht voneinander zu unterscheiden; die gesellschaftlichen Klassen sind viel ausgeprägter und die Kluft zwischen Arm und Reich um einiges größer. Hier lebt man von Traditionen und jeder spielt seine Rolle gewissenhaft und pflichtbewusst.“ Mit ein zwei Schritten, sie dabei an den Händen haltend, deutete er einen Tanzschritt an, um ihr zu ermöglichen seine Festgarderobe zu bewundern. „Vielen Dank, ich musste mir auch etwas bei Andrej ausleihen aber er scheint ja auf derlei Dinge immer bestens vorbereitet zu sein.“ Draußen hörte man ein lautes Lachen und Johlen. Emilian grinste. „Das hört bald auf sobald die Feierlichkeiten der Drachen beginnen. Die Soldaten dürfen und sollen ausgelassen sein und sich auch tüchtig besaufen, wenn sie das wollen. Aber Rustovich wünscht trotzdem eine gewisse Disziplin und Ruhe. Wenn hier irgendjemand durch die Gänge rennt und sich ungebührlich verhält, bekommt er von den Tormentoren eine Abreibung und landet in einer Zelle. Der Lärmpegel von unten dürfte sich in Grenzen halten.“ Er bot ihr seinen Arm an. „Wollen wir meine, bildhübsche Unholdin?“
Sie biss ihn spielerisch ins Ohr und kostete den wunderbaren Geschmack des Bluttropfens auf ihren Lippen. Raunend brummte er genießerisch, als ihre Fänge sein Ohr sachte durchbohrten und von seiner Vitae kosteten; anschließend bot er ihr erneut galant seinen Arm an und führte sie durch das Zimmer auf den steinernen Flur.
„Du gefällst mir. Frauen scheinen wohl doch auf Männer in Uniform zu stehen.“
Emilian hob leicht eine Augenbraue und grinste besonders breit. „Na dann sollte ich wohl öfter in Uniform ausgehen, hm? Vielleicht sollte ich Andrej um den Namen seines Schneiders bitten…“
"Bitte nicht. Das fehlt noch, dass hier zwei Kainiten in so dekadentem Stil umherlaufen." Sie lachte kurz, wurde dann wieder etwas ernster. "Du bist ihm in gewisser Hinsicht recht ähnlich, deinem Onkel. Ihr beide plant gern und mögt es, wenn die Dinge so geschehen, wie ihr es durchdacht habt..."
Emilian nickte. „Ich habe vielleicht mehr von Andrej als von Vladimir aber andererseits, haben sich wohl gerade ersterer und mein Vater auch besser verstanden. Was uns alle eint, ist das Bestreben, das woran wir glauben bis aufs Blut zu verteidigen, ganz gleich ob wir das mit unserer Familie, mit unserem Kopf oder unseren Waffen tun.“ Er küsste sie erneut auf die Wange und grinste schelmisch. „Aber ich gebe zu, Planung ist ein essentieller Teil meiner Existenz.“
Alida deutete kurz mit einem zweifelnden Verziehen des Gesichts auf ihre Garderobe und die Haare, dann auf ihn. „Reicht das denn für diesen speziellen Anlass?“ Er wusste genau, worauf sie hinauswollte.
„Absolut. Ich glaube nicht einmal, dass Vladimir selbst in solch edle Gewänder gehüllt sein wird; womöglich eine Prunkrüstung, das träfe seinen Geschmack noch am ehesten. Du siehst fantastisch aus und darfst dabei auch nicht vergessen, dass wir uns noch immer an der Front befinden. Jeder wird so festlich erscheinen, wie es ihm möglich ist, aber du bist jetzt schon der Blickfang des Abends. Ganz bestimmt.“ Zärtlich küsste er sie auf die Wange, während sie den weiten, von flackernden Fackeln erhellten Gängen folgten.
Sie seufzte. „Ich bin ja vieles ganz gern, aber ein Blickfang ganz sicher nicht.“

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Sie kannte den Weg bereits recht gut und fand sich selbst schon in der kurzen Zeit, die sie in der alten Festungsanlage verbracht hatte, außergewöhnlich gut zurecht. Alida hätte schwören können, dass es ein kompliziertes System gab, nach dem die Gänge und Abzweigungen angelegt hatten, aber dies zu ergründen blieb ihr bisher verwehrt. Nach einer guten Weile kamen sie am altbekannten Durchgang an, der über ein paar Zwischenräume zum Versammlungssaal führte. Vor dem Tor standen zwei Tormentoren in polierten Rüstungen, die sofort Haltung annahmen als die beiden sich näherten. Links und rechts der Torflügel, hatte man Schilder mit dem Wappen des Drachen an der Wand angebracht, die sich im Fackellicht rot und schwarz spiegelten. Es wirkte bedrohlich, doch im Grunde stellte sie überrascht fest, das darin auch eine gewisse eigentümliche Würde lag. Ungehindert konnten sie passieren und fanden sich kurzerhand auch schon im Saal wieder, in dem Alida das Urteil des Voivoden vernommen und in den Kerker gesperrt worden war. Der ganze Raum war mit unzähligen Kerzen erleuchtet worden und irgendetwas verströmte einen dezent, würzigen Duft. Vermutlich waren es die Öllampen, die man an den prunkvollen Säulen angebracht hatte.

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Das offene Fenster war mit einem großen Vorhang abgedeckt worden, doch der Winde hatte ohnedies nachgelassen; wohl nicht zuletzt, weil die Magie der Tremere versiegt war. An einer langen Tafel, die mehrere silberne und reich verzierte Pokale mit seidenen Tüchern bereithielt, saßen die versammelten Sieger und Unholde des Ostens. Teppiche aus Fell schmückten den Boden und edle Tischtücher waren gespannt worden. Rustovich stieß gerade mit Lugoj an, der ungeschickt das Gefäß umklammert hielt. „Nicht so zaghaft, junger Drache, ein Krieger zeigt Selbstbewusstsein und Tatendrang, was immer er auch tut. Halt dich gerade.“

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Und obgleich es streng und kommandierend klang, konnte Alida sehen, dass der Drache der Drachen lediglich Gefallen daran fand den jungen Unhold zu schulmeistern. Andrej hingegen hatte die beiden Neuankömmlinge bemerkt und sich schon erhoben. „Ah, welch formidabler Anblick. Emilian Victorovich-Rustovich und sein Kind Alida van de Burse. Gesellt euch zu uns, willkommen im Kreise der Familie. Auf die Familie.“ Er erhob seinen Pokal und prostete ihnen zu. Emilian lächelte Alida augenzwinkernd an und entließ ihre Hand, sodass sie sich frei bewegen konnte.
Alida senkte den Blick als sie sich der Elite der russischen Drachen näherten und verbeugte sich als Andrej sich erhob um ihnen und den anderen zuzuprosten. Sie ließ den Blick über die Gesellschaft der Kainiten schweifen, musterte die Gesichter und suchte nach dem ein oder anderen, das sie vielleicht schon gesehen hatte. Neben ihrem Erzeuger trat sie näher an die Tafel und ließ sich auf einem der Stühle nieder, die man ihr anbot.

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Der Saal war wunderschön dekoriert worden. Wo bei den einfachen Soldaten bunte und vor allem ‚tote‘ Schlangen hingen, prangte an der Spitze der Führungsriege das Drachenemblem in verschiedensten Ausführungen. Es hing an Wandteppichen und an silbernen Karaffen, glitzerte an Gürtelschnallen und fand sogar Einzug in den feinen Zwirn, welchen manche der Unholde und deren Untergebenen am Leibe trugen. Die Tafel, das sah sie nun, machte eine Biegung und umschloss beinahe den ganzen Raum; formte ein großes Rechteck, hinter dem aufgereiht hohe Stühle aus edlen Hölzern standen. Sie erblickte Gesichter, die sie noch niemals gesehen hatte. Manche wirkten einfach und trugen saubere aber unscheinbare Kleidung, andere waren tatsächlich verformt und missgestaltet, andere wiederum engelsgleich. Eine Dame hatte sich ihren Schädelknochen zu einem Dutt nach oben geformt, ein besonders kriegerischer Tzimsce hatte sich zwei Hörner kreiert. Gelegentlich hatte man eigene Bedienstet oder Wachleute in blanker Rüstung neben sich aufgereiht und positioniert, die still und schweigsam darauf warteten ihren Herren und Damen dienstbar sein zu dürfen. Es war ein allgemeines Gemurmel im Raum und hie und da waren leichte feminine Laute zu hören oder erstauntes Raunen. Emilian verbeugte sich, als Alida einen leichten Knicks vollführte und gemeinsam umrundeten sie den Tisch, wo Andrej bereits auf die beiden wartete und ihnen einen Platz an der Tafel zuwies; der blonden Frau den Stuhl zurechtrückte.
„In Frankreich ist der Kavalier wohl gerade wieder sehr gefragt?“, spöttelte Emilian ein wenig grinsend.
Andrej lächelte nur. „Ich muss dich berichtigen, geliebter Neffe, Anstand und gute Erziehung ist die Voraussetzung ein Kavalier zu werden.“ Auch er grinste, während Alida Platz nahm.
Von ihrem Platz aus konnte Alida die versammelten Drachen allesamt recht gut überblicken und stellte fest, dass an einer Seite ein Tisch fehlte womit der Durchgang auch im Inneren des Rechtecks möglich war. Vermutlich für die Bediensteten und für die ohne Frage angedachte, nächtliche Unterhaltung. Rustovich schwang den Kelch.

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„Das soll eine Siegesfeier sein? Spielmann, spiel auf sonst spielst du bald nur noch Harfe!“ Einige lachten, manche verhalten, manche lauter. Im Hintergrund stand eine kleine Ansammlung eher ärmlich wirkender Leute mit Instrumenten, die anfingen ein Lied vorzutragen. Sogleich hob sich die Stimmung des Voivoden.
Andrej umschloss Alidas Hand und küsste sie. „Es ist mir ein ganz besonderes Vergnügen dich heute hier zu wissen, Alida. Eure Stadt hat mich davongejagt, doch hier sollst du mein Gast sein. Jeder Wunsch soll dir heute Nacht erfüllt werden und es gibt keine Unterhaltung, die wir heute missen werden.“
Alidas Augen verengten sich, lächelten dann leicht herausfordernd. „Ihr wisst doch mittlerweile, Meister Andrej: Wir Kainiten im Westen tendieren dazu mitunter ein wenig nachtragend zu sein. Vor allem wenn man versucht uns unserer Heimat zu berauben, unsere Mauern bombardiert und mit mächtigen Kriegsvoivoden in Zulogestalt bei uns einfällt. Aber seid doch so freundlich und seht uns das nach. In 48 Jahren seid ihr mein gern gesehener Gast und dann dürft ihr euch der herzlichsten Gastfreundschaft gewiss sein zu der Brügge fähig ist. Sofern meine geliebten Verbündeten mir nicht für solchen Frevel den Kopf von den Schultern trennen.“ Sie lachte amüsiert auf und senkte dann den Kopf in einer kurzen amüsierten Verbeugung. „Es wird mir eine Ehre sein.“

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Der Unhold sah sie etwas überrascht an, lachte dann aber plötzlich laut und ungehemmt; etwas das sie von Andrej vielleicht in dieser Form nicht erwartet hätte. Nur kurz darauf jedoch, verbeugte er sich schon wieder höflich und gesittet in ihre Richtung und zwinkerte ihr verschlagen zu. „Es ist erstaunlich, was ein paar Tage im Kreise der Familie so alles bewirken können, ich bin entzückt. Mir scheint du hast einen guten Schuss Rustovich in den Adern, mein Kind. Apropos Schuss… was wünscht du zu trinken? Die Speisekarte hat heute Abend eine erlesene Auswahl.“ Er klatschte knapp in die Hände und neben den beiden erschien ein Junge, der gerade fünfzehn Jahre zählen mochte. Er wich ihrem Blick zaghaft aus und verbeugte sich knapp ohne ein Wort zu sagen. Andrej hingegen, tätschelte dem Jungen über das braune, strubbelige Haar und lächelte. „Pjotr hier wird sich für dich nach allem umsehen, wonach dein Herz verlangt. Vladimir zum Beispiel hat sich einen kräftigen Vodka bestellt; der erheitert ihn immer, auch wenn er ihn selten bekommt. Manches haben wir auf Vorrat aber natürlich schmeckt man das Bouquet nicht in diesem Umfang, wenn die Vitae erkaltet. Möchtest du vielleicht einen Aperitif?“
Alida sah Andrej fest, aber freundlich an. „Oh, ich glaube doch, wir alle werden ein wenig mutiger, wenn uns nicht in jeder einzelnen Minute die Möglichkeit der endgültigen Vernichtung anlacht.“ Ihr Blick, der zu Emilian wanderte und ihn wissend ansah, konnte auch Andrej nicht entgangen sein. Was immer Alida in den Zeiten ihrer kainitischen Existenz erlebt hatte, was war das schon im Vergleich zu dem gefährlichen Spiel, das ihr Erzeuger in jeder einzelnen Nacht gespielt hatte?
„Oh, ich wäre erfreut, wenn Ihr mir etwas bestellen könntet, Meister Andrej. Ich bin mir sicher, dass wenige hier an dieser Tafel sich so vorzüglich dazu eignen.“
Ihr Erzeuger an ihrer Seite fing ihren Blick auf und sah dann ebenfalls fest zu Andrej; wirkte insofern unterstützend, als dass er damit ihre Aussage geradewegs mit seiner Person untermauerte.
Andrej schmunzelte leicht und schien sofort verstanden zu haben, worauf sie es angelegt hatte. Sein Nicken bekräftigte ihre Aussage wohlwollend. „In der Tat. Es lebt sich viel angenehmer, wenn man gelegentlich ein wenig Abstand von seinen Häschern nehmen kann.“ Erneut tätschelte er den Knaben. „Aber mach dir keine Illusionen, jetzt da sein guter Name rehabilitiert wurde, wird es womöglich nicht besser, sondern schlimmer. Türen schwingen nach beiden Seiten, Alida van de Burse, und wo eine aufgeht, tun sich gute wie schlechte Dinge vor einem auf. Doch heute Nacht sollen es die Guten sein, an denen wir uns erfreuen…. Wie zum Beispiel…“ Der Unhold tippte sich nachdenklich auf die Lippe. „… ein aquitanischer Rotwein. Ich denke das dürfte deinen Gaumen erfreuen.“ Er nickte dem Knaben zu, als dieser sich nach einer raschen Verbeugung aus dem Staub machte. Andrej indessen, wandte sich an Emilian. „Geliebter Neffe, würdest du mir die Ehre erweisen und eine Partie meines Lieblingsspiels mit mir bestreiten?“ Sein Blick streifte Alida. „Selbstverständlich könnt auch ihr euch frei bewegen und euch mit den Gästen unterhalten, viele von uns finden derartige Aufmärsche übertrieben und fühlen sich ohnehin nicht wohl dabei. Da kommt es ihnen sehr zugute, dass diese Räumlichkeiten genug Platz bieten um ein wenig frische Luft zu schnappen.“ Andrej sah zunächst zu Alida, dann zu Emilian und lächelte schlussendlich.
Alidas Erzeuger warf ihm einen herausfordernden Blick zu. „Ich möchte fair sein und dich warnen, ich bin recht gut, Onkel.“
Andrej lächelte weiterhin. „Das hoffe ich doch.“
Kurze Zeit später verließen sie gemeinsam den Tisch um sich etwas abseits der Festtafel an einen kleinen Tisch zu setzen, auf dem ein Schachbrett aufgestellt war. Im Gehen strich Emilian Alida über die Schulter; sie öffentlich auch nur mit einem Kuss auf die Stirn zu bedenken, wagte er offenbar nicht.
Alida sah den beiden Männern hinterher unterdrückte ein Schmunzeln. Ganz wie zu Hause. Es gab immer den ein oder anderen, der sich vom Tisch erhob um anderen Beschäftigungen nachzugehen und das Schachspiel zählte immer wieder dazu. Marlene und Jean als sie noch jünger gewesen waren, Evelyn und Emilian vor längst vergangenen Zeiten.
Alida wartete noch einige Minuten ab und erhob sich schließlich mit einem gefüllten Pokal, der auf dem Tisch stand. Sie trat zu dem großen Fenster und schob vorsichtig den Vorhang zur Seite. Sie war gespannt auf den Blick auf Ceoris, der sich ihr nun bieten würde.
Der Anblick, der sich Alida in dieser dunklen Nacht bot, war einerseits ein erhabener und gleichzeitig ernüchternder. Ceoris lag nach wie vor als drohende Festung in den wolkenverhangenen Ausläufern der Karpaten und wenn sie sich ganz besonders bemühte, konnte sie sogar hie und da das Aufleuchten eines kleinen Lichtschimmers hinter den steinernen Tor- und Fensterbögen erkennen. Noch immer wurden einzelne Regimenter der Armee des Drachen dazu abkommandiert mithilfe kundiger Unholde und Gelehrter, selbst die noch am besten verborgenen Verstecke und Geheimnisse aus den kalten Eingeweiden der Hexerburg hervorzuholen. Und das war auch gut so, denn wie sie bereits gestern Nacht festgestellt hatte waren mit den Ochsenkarren, die Bücher und andere wertvolle Gegenstände nach unten ins Tal brachten, große Holzplanken und Wagenräder nach oben transportiert worden. Aus den Erinnerungen an den Krieg um Brügge erkannte sie darin bald Ballisten und große Schleudern, die ohne Frage das Feuer eröffnen würden, sobald das Interesse der Tzimisce für Ceoris versiegt wäre oder aber alles an einen sicheren Ort gebracht worden war, das irgendwie von Nutzen sein konnte.
Leise trug der Wind das Gelächter der feiernden, sterblichen Soldaten an ihr Ohr, als sie ein leicht metallisches Rasseln vernahm. Ohne sich umdrehen zu müssen, erkannte sie allein am festen Aufsetzen der Schritte, dass sich der Heerführer persönlich zu ihr gesellte.
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Das schwere Gewicht von gepanzerten Handschuhen landete mit einem Mal auf ihrer Schulter, als der Unhold sich neben ihr positionierte. „Unter uns gesprochen ist es eine Schande diese Trutzburg zu vernichten. Du kannst dir sicher vorstellen, dass ich diese Ressource nur ungern aufgebe“, begann er in einem beinahe vertrauten Ton ein Gespräch mit ihr. „Doch selbst wenn ich mich manchmal nicht besonders um die Details dieses Krieges schere, so kann ich diesen Haufen Stein nicht einfach dort stehen lassen. Politische Gründe hauptsächlich, …aber auch einfach aufgrund der Tatsache, dass wir nie wissen werden, was abseits aller Bücher, Kelche und Relikte für ein böser Zauber in den verfluchten Steinen selbst steckt. Nein, Ceoris muss fallen, endgültig.“ Er klopfte ihr wie einem Kameraden auf die Schulter. „Alida van de Burse. Ihr erinnert euch daran, was ich am Ende unserer gemeinsamen Übereinkunft von euch zu wissen erhoffte?“ Das finstere Gesicht mit dem rauschenden Bart in mitternachtsschwarz, drehte sich fragend und abwarten in ihre Richtung.
Alida musterte den breitschultrigen russischen Heerführer, der sie wohl um eineinhalb Köpfe überragte. Sie nickte bedächtig. „Ich erinnere mich gut, Voivode der Voivoden. Bisher hat euer hochgeschätzter Bruder nicht die Zeit finden können mich in der nötigen Etikette zu unterweisen. Es gibt wohl zu viele Belange, die ihn in Zeiten wie diesen davon abhielten.“ Ihr Blick schweifte zu den beiden dunkelhaarigen Männern, die, das Kinn in die Hand gestützt über den weißen und schwarzen Figuren des Schachs grübelten als ginge es um den Ausgang einer alles entscheidenden Schlacht. „Ich habe nicht oft jemandem Untergebenheit geschworen. Die letzte Prinz, die wir in meiner Heimatstadt hatten, eine Lasombra unter der Obhut eines Tremere, ist seit Jahrzehnten Asche, und ich habe wohl meinen Teil dazu beigetragen. Ich schwöre oft für die Tugenden Freundschaft, Treue und Loyalität und breche diesen Schwur nicht. Aber ihr seid ein Heerführer, mein Fürst, und es verlangt euch nicht nach solchen Dingen, sondern nach Gefolgsleuten. “ Sie senkte das Haupt. „Ich hoffe, euer Bruder wird mich in die wichtigen Dinge einweisen.“
Rustovich wirkte für einen kurzen Moment leicht überrascht, dann etwas ungehalten; lachte aber schlussendlich rau und beinahe herzlich auf. „Ha, mein Bruder, der Bewahrer der guten Sitte und der seidenen Prachtgewänder. Vollendeter Ästhet und leidenschaftlicher Taktiker. Es gibt nichts in was euch mein geliebtes Bruderherz einweihen könnte, Alida van de Burse, denn ihr seid Tzimisce. Es ist in eurem Blut und eurem Herzen. Den sich in der faulen Mittagssonne aalenden Salamander könnt ihr gerne weiterspielen, aber ihr seid ein Drache; vergesst das nicht. Ein Drache erobert und beschützt seinen Hort, ein Drache kennt Geheimnisse und weiß diese zu verteidigen. Schlussendlich lebt ein Drache, an dem Ort, den er Heimat nennt, auch wenn es manchmal nur eine kleine Stadt mitten zwischen den selbstgerechten Ländereien der Ventrue und Toreador sein mag. Ich bin mir durchaus im Klaren, was ich suche, Kind.“ Seine dunklen Augen durchzuckte ein kurzes Leuchten des Eifers. „Andrej hält mich für dumm und kurzsichtig und zum Teufel, vermutlich hat er recht. Dennoch bin ich klug genug zu erkennen, wo ein Verbündeter am besten eingesetzt wird. Ich kann jemanden wie euch nicht an die Grenze stellen, wo er mit dem Schwert herumfuchtelt oder an die Tische der Speichellecker in Ungarn setzen. Selbst in einer Festung wäre euer Talent verschwendet. Nein, ich brauche euch genau dort, wo ihr seid. Gefolgschaft heißt nicht, dass ihr mir wie ein duckender Hund folgen müsst und auf einen Knochen wartet, es heißt, dass ihr meinen… unseren Wunsch weitertragt und verteidigt. Bildet nach eurem Ermessen und euren Möglichkeiten eine breite Front gegen die Hexer im Westen und lasst die lächerlichen Ventrue nicht zu sehr mit den widerlichen Hexenwerken der Usurpatoren liebäugeln. Wir haben sie aus unseren Landen geworfen und ihre Köpfe auf Pfähle gespießt, aber dort wo ihr seid, fängt man an ihnen edle Weine zu kredenzen. Täuscht euch nicht, ihre Worte sind Gift und wie ein Geschwür werden sie sich verbreiten, bis sie uns von innen aushöhlen wie einen fauligen Apfel.“ Starke Hände umfassten ihre Schultern und sein scharfer Blick ruhte auf Alida, ohne dass sie ihm hätte ausweichen können. „Ich will eure Loyalität einzig und allein in dieser Sache, Alida van de Burse, Kind des Emilian, Kind des Viktor. Seid ein Leuchtfeuer der Drachen im Westen und steht wie ein Mann hinter eurer Familie; sterblich wie unsterblich. Um diesen Schwur zu verstehen und zu leisten, braucht ihr keinen Andrej oder euren Erzeuger. Ihr seid klug genug selbst die Gefahr zu erkennen, Drache.“
Sie hob den Blick und damit auch das Kinn. Sie konnte ahnen, dass ihm ihre Worte nicht gefallen würden, dennoch wagte sie, sie auszusprechen. Vielleicht würde sie seine derzeitige gute Laune vor dem schlimmsten bewahren. „Ich bin ein Kind des Westens, mein Fürst, und erhielt den Kuss in einer unseligen Nacht vor langer Zeit in einem längst vergessenen Nest namens Windau von eurem Neffen nachdem dieser alles verloren hatte, was man nur verlieren kann. Ich bin ein seltsames Geschöpf, gehöre weder in die kainitische Welt des Westens noch in die des Ostens. Ward ihr je im Westen, Voivode der Voivoden? Um uns sind die Königreiche der Ventrue im Norden und Westen, im Osten und Süden beherrschen die Toreador ihre Lande. Überall, selbst in dem kleinen unwichtigen Flandern verbreiten sich die Mitglieder unserer abtrünnigen Blutlinie, die Hexer, und es gelingt nicht sie aufzuhalten. Die Tatsache, dass wir Drachen mit den Ventrue im Krieg liegen, macht es nicht einfacher, denn das treibt die Tremere und Ventrue zusammen, stets nach dem Motto ‚Der Feind meines Feindes ist mein Freund‘. Ich verfüge nicht über die Mittel oder die Position etwas gegen die Hexer ausrichten zu können und wäre es so würde es mir Feinde in allen Ecken bescheren, derer ich nicht Herr werden könnte. Obwohl es nichts gäbe, was ich lieber täte als hinter meiner neu gewonnenen Familie zu stehen, ist gerade diese Aufgabe wohl eine der schwierigsten, wenn man umringt ist von Löwen, Schlangen und Harpyien.“ Sie lächelte kurz. „Wer hätte wohl je gedacht, dass es mein Wunsch sein könnte, hinter meiner Familie zu stehen? Einer Familie, die sowohl mich als auch meinen Erzeuger noch vor wenigen Tagen tot sehen wollte.“
Der Voivode der Voivoden nickte einsichtig; eine knappe Geste, die sie so vermutlich nicht erwartet hätte. „Manchmal vergesse ich in meinem Zorn auf die Hexer, warum wir diesen Krieg überhaupt führen und was unsere ursprünglichen Ziele waren. Der Osten ist befreit und gesäubert von den Räubern des Blutes; natürlich zieht es sie nach Westen. Wusstest du, dass diese sogenannten Blaublütigen Löwen den Tremere gelegentlich sogar Unterstützung angedeihen ließen? Dabei geht es um weit mehr als nur einen Zwist zwischen Drachen und Löwen. Diese selbstgefälligen Herrscher erkennen die Gefahr nicht, die sie sich ins Bett holen.“ Das Leder des Plattenhandschuhs knirschte hart, als der Voivode die rechte Hand zu einer Faust ballte. Verachtung und Wut spiegelte sich in seiner Mimik wieder. „Heute sind es Drachen und Wölfe deren Blut sie rauben aber wir können getrost davon ausgehen, dass auch Löwen und andere leichtgläubige Schafe ihren abscheulichen Künsten dienlich sein werden.“ Rustovich kniff die Augen zusammen und benötigte einen Augenblick um sich zu beruhigen. Als besonders hilfreich erwies sich da der Anblick des dunklen Ceoris in der Ferne; der Osten war wieder fest in der Hand der Unholde. „Ich selbst habe mich von Ehre und Stolz blenden lassen. Dafür mag es eine Zeit geben und ich werde den Teufel tun und plötzlich meine Meinung ändern: Mein Zorn auf euren Großerzeuger und meinen Bruder war gerecht und berechtigt; der auf seine Nachkommen nicht. Es gilt die richtigen Prioritäten zu setzen und diese liegen und lagen immer in der Heimat und der Familie. Ihr gehört nicht in den Osten und Emilian nennt diese Ländereien auch nur sporadisch seine Heimat, dennoch seid ihr Familie.“ Der Drache beugte sich näher an Alida und hob mit der linken einen halb gefüllten Trinkpokal aus geschwärztem Silber und blutroten Einlagen aus Rubinen. „Ich habe euch vergeben, so wie ich meinem Bruder vergeben habe. Vielleicht wird er mir auch irgendwann vergeben können, so es denn ein Leben nach dem endgültigen Tode gibt. Es tröstet mich, dass ich meinen Schwur dieses Land von allen Üblen zu befreien eingehalten habe und noch immer fortführe. Damit ehre ich auch sein Andenken.“
Unvermittelt, kam der kleine Junge zurück, den Andrej zuvor ausgesandt hatte der Brüggerin einen reichhaltigen und geschmackvollen Umtrunk zu servieren. Zögerlich hielt er den Blick gesenkt haltend den Pokal mit der blutroten Flüssigkeit nach oben. Rustovich beachtete ihn gar nicht, sondern griff rasch nach dem Gefäß um es Alida in die Hand zu drücken. Der Junge verneigte sich und war bereits wieder verschwunden, als er mit ihr anstieß. Das dunkle Rot in dem Kelch, drohte bald schon über den Rand zu schwappen. „Ich könnte euch binden, erpressen und zwingen, nötigen und in Ketten werfen lassen, wenn es mich danach gelüsten würde, Alida van de Burse…“ Sein Blick war hart und unerbittlich, änderte sich dann aber zu einem schiefen Lächeln. „Doch wir sind Drachen, mein Kind und obgleich wir es wie Andrej und seine Künstlerjünger auch genießen mögen uns in unserer bösartigen Raffinesse und erhabenen Kultiviertheit zu sonnen, gibt es für unsere Familie weitaus schlimmeres als Maler und dilettantische Künstler, verlogene Brüder und verwestlichte Geldmacher. Ich lasse euch ziehen, denn wer bin ich, dass ich euch vom Westen erzählen will, in dem ihr leben müsst? Versprecht mir nur eines: Tragt euren Namen und den eurer Familie mit Stolz und behaltet eure Herkunft im Herzen wie ein tobendes Feuer, das jeden Feind verschlingt. Macht mir keine Schande und zermalmt eure Widersacher unter euren mahlenden Kiefern. Alles ist Tzimisce.“ Dann trank der Fürst in großen, grimmigen Zügen.
Ihre Augen verengten sich prüfend. Sie sah diesen Mann, der in so vielen Nächten der Inbegriff ihrer Furcht vor dem Osten gewesen war, lange an. Sie begann zu verstehen warum dieser Mann zum Voivoden der Voivoden, zum obersten Heer- du Anführer der Tsimiske aufgestiegen war: Es gelang ihm wie kaum einem vor ihm die Unholde unter einem gemeinsamen Ziel zu vereinen und an seiner Seite kämpfen zu lassen. Er verstand wie kein zweiter, wann zu fordern, wann zu drohen und wann zuzuhören war. Es war eine Schande, dass es nie gelingen würde Ventrue und Unholde für eine gemeinsame Sache kämpfen zu lassen. Es wäre schwer sie aufzuhalten
Sie fuhr sich mit den Zähnen über die Unterlippe und sah wieder zu dem Hünen auf. „Ihr wollt meinen Schwur, Voivode der Voivoden?“ Sie sank auf ein Knie und senkte den Kopf. „Ich schwöre euch bei Kain und Gott, dass ich meinen Clan im Westen so würdig vertreten werde wie es mir möglich ist. Ich trage meinen Namen und den meiner Herkunft und Familie mit Stolz. Ich behalte sie im Herzen wie ein tobendes Feuer, das den Feind verschlingt. Wenn ihr mich an eurer Seite wünscht werde ich erscheinen sobald es mir möglich ist, und wenn ich euch hilfreich zur Seite stehen kann bei den Belangen, die die Ehre der Drachen in der Welt mehren, dann werde ich es tun.“
Der Voivode der Voiden, Drache der Drachen, Vladimir Rustovich sah Alida lange und vielleicht ein wenig ausdruckslos an. Und obgleich man ihm eine gewisse Kühle in diesem Moment vorwerfen konnte, da sie so freigiebig vor ihm auf die Knie fiel um ihm die Treue zu schwören, lag darin ein gewisser distanzierter Respekt, der die Bedeutung dieses Augenblicks geradezu noch unterstrich. Sie konnte es in seinen Augen und an seiner aufrechten Haltung unverkennbar feststellen: Er nahm sie, als auch diesen Schwur sehr ernst und wusste ihn zu würdigen, wie der Feldherr, der er war. Die blonde Händlerin konnte in ihrer gebeugten Haltung aus den Augenwinkeln erkennen, dass einige interessierte und neugierige Blicke auf ihr und dem Gastgeber dieser Siegesfeier lagen. Es war auch schwer den hochgewachsenen Drachen in seiner Prunkrüstung zu übersehen. Kein Zweifel, würde man selbst wenn niemand den genauen Wortlaut ihres Schwurs vernommen hätte außer dem Fürsten selbst, davon ausgehen, dass gerade etwas Bedeutendes vor sich ging.
Rustovich indessen, deutete ihr an sich zu erheben und stellte seinen Trinkpokal kurzerhand neben sich ab. Mit beiden Armen umschloss er ihren Kopf und küsste sie knapp auf die Stirn, in seinen Augen lag erfreutes Wohlwollen.

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„Ein großer Schwur, den du da tust, mein Kind. Ich will ihn zu schätzen wissen. Erhebe dich und falle fortan nie wieder vor jemandem auf die Knie, der deiner nicht würdig ist. Du bist ein Drache und ein Drache beugt sich nicht.“ Er klopfte ihr anerkennend auf die Schulter und lächelte zufrieden, während er seinen Trinkpokal ergriff um einen weiteren Schluck zu nehmen. „Auf den unbeugsamen Drachen des Westens…“, prostete er ihr zu.
Im Hintergrund konnte Alida ein leises Hüsteln vernehmen, das wohl von einem der Diener stammen musste. „Verzeiht, Herr, aber der Voivode von…“ Weiter kam er nicht mehr, denn da hatte ihn Rustovich schon am Kragen gepackt. „Wenn ich mit meiner Familie spreche, wünsche ich nicht gestört zu werden? Ist das klar?“
Der Diener schien unsagbar erschrocken und eilte sich mit Entschuldigungen.
Zum Glück war der Drache gerade in guter Stimmung und grummelte leicht. „Sagt dem edlen Herren, dass ich mich gleich seiner annehmen werde… und stört mich nie wieder ungefragt.“ An Alida gewandt lächelte er lediglich und seufzte. „Verzeih, aber die Politik schläft selbst auf einer Feier mit Delikatessen und schlechter Unterhaltungsmusik nicht. Die Gunst der Drachen muss mir nach wie vor sicher sein und so tue ich das, was eigentlich einem Andrej besser zu Gesicht stünde. Ich hoffe, zumindest du findest heute Abend noch etwas, das dich mehr unterhält als mich.“ Mit diesen Worten verbeugte sich Rustovich knapp und schritt auf einen Pulk gut gekleideter Adeliger zu, die sich ihm verneigend zuwandten.

Es dauerte nicht lange und der große Fürst wurde durch ein anderes Gesicht ersetzt, das Alida nur allzu gut kannte. Lugoj hatte offenbar festlichste Kleidung angelegt, die ihm nicht so recht stehen wollte, obgleich sie von tadelloser Machart war. Irgendwie wirkte der offensichtliche Protegé Velyas immer so, als hätte er Probleme damit sich zu orientieren. Sei es in Gesprächen oder in Konflikten, in Schlachten oder… Festen. Nach einer hektischen Verbeugung für die er wohl lange geübt hatte, warf er einen Blick aus dem Fenster und lächelte leicht. „Eine Schande, dass die Festung zerstört wird, ich glaube wir hätten sie gut als Trutzburg ausbauen können. Vardenfell mag eine gute, alte Geschichte haben, aber als Wehranlage taugt sie nicht viel. Wäre das kein Sitz für euch, verehrte Clansschwester?“ Offenkundig übte er sich in Galanterie, wenn auch recht unbeholfen.
Alida konnte sich ein amüsiertes Lachen nicht ganz verkneifen. „Eine Festung wie Ceoris für jemanden wie mich?“ Sie schmunzelte als sie an ihr großes, aber einfaches Zuhause in Brügge dachte. Dann schüttelte sie den Kopf. „Ich muss mich leider der Meinung unseres Drachen der Drachen anschließen. Diese Festung ist eine Trutzburg der Tremere und wir werden nie sicher gehen können, ob wir sie je gänzlich unser eigen nennen können. Deshalb kommen wir nicht um ihre Vernichtung herum. Habt ihr etwas von eurem geschätzten Freund Velya gehört? Oder von demjenigen, der mit seinem Manöver, in dem er Velyas Kuldunik unterbrach, den Drachen zu Fall brachte?“
Lugoj nickte leicht und bemühte sich um einen verständnisvollen Blick, als wäre es natürlich von vornherein klar gewesen, dass Ceoris vernichtet werden musste. Das lag natürlich auf der Hand… wenn man weit genug dachte. „Da mögt ihr recht haben, Alida van de Burse. Velya selbst hat schon zu Beginn einiger Schlachten gegen die Hexer immer wieder betont, wie sehr sich ihr finsteres Machwerk von den altehrwürdigen Mächten der Koldunen unterscheidet. Gerade aus diesem Grunde, ist ihnen ja auch so schwer beizukommen. Nun, vielleicht können ja einige Bücher aus den Katakomben dieses bald schon zerstörten Gemäuers einige Fragen beantworten.“ Als die Sprache auf den eher schweigsamen und undurchsichtigen Koldunen mit dem langen, wallenden Haar und Jeremiah fiel, wirkte Lugoj kurzzeitig tatsächlich betroffen. „Nein, bedauerlicherweise noch nicht. Ich persönlich würde mir ja wünschen…“, er machte eine überlegende Pause, in der sie sich ganz sicher sein konnte, dass er zögerte den Satz zu beenden und sie einschätzend betrachtete. Schließlich fuhr er aber doch fort. „… das der Voivode der Voivoden mehr Leute für den Suchtrupp eingeteilt hätte. Gewiss hat Ceoris Priorität aber… Meister Velya war ihm stets treu ergeben und hat sich mehr als nur mit völliger Hingabe für unsere Bemühungen eingesetzt. Ich hoffe, er ist wohlauf… was ich zumindest annehme, da man weder einen erstarrten Leichnam noch Asche gefunden hat. Gleiches gilt übrigens für diesen merkwürdigen Ritter, der… irgendwie ebenfalls unauffindbar ist. Seine Spur endet zwischen den nebligen Spitzen des Hochgebirges und der Neuschnee macht eine weitere Suche bestenfalls schwierig. Manche munkeln, dass es noch andere Gargylenhöhlen gegeben hat und dass beide Opfer eines Angriffs derselben wurden, aber wissen kann das natürlich niemand. Wir können nur hoffen.“
„Und die Hoffnung stirbt zuletzt, mein Freund“, hörte Alida dann plötzlich Andrejs Stimme auf sich zukommen, der guter Dinge schien. Der Erzunhold legte Lugoj eine Hand auf die Schulter und lächelte ein formvollendetes Lächeln. „Der Voivode hat die Sicherung der Festung und die Verwahrung der Wertgegenstände der Hexer als oberste Priorität auserkoren. Das heißt nicht, dass er seine Verbündeten und loyalen Anhänger im Stich lässt, aber wir befinden uns im Krieg und ein weiser Feldherr weiß, welchen Aufgaben er zunächst Aufmerksamkeit zu schenken hat. Und Vladimir Rustovich ist wie wir alles wissen derjenige, der diesem Land die Freiheit zurückgegeben hat. Zweifelsfrei können wir seine Kompetenz nicht anzweifeln, nicht wahr?“

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Die rhetorische Frage wurde von Lugoj gar nicht mehr beantwortet, sondern nur noch nickend, schief belächelt. „Ah, gewiss, Lord Andrej, gewiss. Der Fürst weiß, was zu tun ist… wenn ihr mich nun entschuldigen würdet, ich glaube da ist eine Verwandte aus Severnaya.“ Und nur einen Augenblick späte, war Lugoj auch schon wieder zwischen kleinen Festgrüppchen verschwunden.
Neben Andrej hingegen, tauchte nun Emilian auf, der sichtlich entspannter wirkte und dennoch ein wenig besorgt. Er warf dem davoneilenden Lugoj einen misstrauischen Blick nach.

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„Hat er dich… mit unnötigen Fragen durchlöchert?“, versuchte er es in einem Tonfall, der fast eine Spur zu heftig klang. „Entschuldige, dass ich mit meinem Onkel so einfach gegangen bin, um mich in einer kleinen Schlacht der Geister zu messen. Das war nicht besonders ehrenhaft oder höflich von mir.“ Emilian grinste. „Aber du weißt ja um meine Leidenschaft für das Spiel und Andrej ist wahrlich ein…“ Er suchte nach den richtigen Worten, „… gerissener Gegner.“ Der Erzunhold lächelte nur und gab sich bescheiden. „Nicht nur ich allein bin gerissen, du hast einen scharfen Verstand. Aber den solltest du auch besser haben…“ An Alida gewandt meinte er wie nebenbei: „Was wollte der gute Lugoj denn von dir, mein Kind?“
Alida sah Onkel und Neffe schmunzelnd an und blickte dann hinter Lugoj her. „Wir werden es wohl nie herausfinden. Wenn ich so dreist sein darf, würde ich mal sagen: Ihr habt ihn verjagt.“ Das Schmunzeln wurde zu einem Grinsen, das nach einiger Zeit einem nachdenklichen Gesichtsausdruck wich. „Lugoj scheint ein Kainit zu sein, der Orientierung sucht. Jemanden, der ihm den Weg zeigt, den es zu gehen gilt. Ob Velya der Richtige dafür ist…?“ Sie schwieg eine bedeutungsvolle Sekunde. „Zum anderen… welcher Generation gehört er an? Er wirkt nicht so, aber ich denke, dass sein Blut ausgesprochen dick ist. Und das mag eine zusätzliche Gefahr darstellen… Bei einem Kainit mit so viel Unsicherheit.“

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Der Weg zum Ziel beginnt an dem Tag, an dem du die hundertprozentige Verantwortung für dein Tun übernimms.
Dante Alighieri


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 Betreff des Beitrags: Re: Die Fesseln der Macht
BeitragVerfasst: Sa 20. Aug 2016, 09:36 
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Andrej nickte bedächtig und legte Alida respektvoll eine Hand auf die Schulter. In seinem schmalen Lächeln, lag nicht zuletzt auch ein wenig Stolz darauf, dass sie den davoneilenden Lugoj so schnell eingeschätzt hatte. Immerhin war man ja verwandt, wenn auch über Umwege. „Du hast ein gutes Auge für Details Alida. Zwar möchte ich grundsätzlich nicht empfehlen, dem ersten trügerischen Blick auf jemandem zu trauen aber in diesem speziellen Fall…“ Sein Blick glitt ein wenig suchend über die Menge bis er den betreffenden Unhold in einer sich unterhaltenden Traube entdecken konnte und fast schon vergnügt lächelte. „… muss ich dir recht geben. Das Blut unseres lieben Lugoj ist in der Tat alt und mächtig; sein Erzeuger war es ebenso.“ Emilian sah sich etwas misstrauisch um und fügte knapp und besonders verhalten hinzu. „Außerdem war er der ehemalige Voivode der Voivoden; ein Titel den er nicht lange für sich beanspruchen konnte. Alter Adel der… “ Der Unhold Andrej wandte sich nun seinerseits in Richtung seines Neffen und schenkte ihm ein strahlendes Lächeln. „… sich sehr um unser Land und den Clan verdient gemacht hat; eine Tatsache die wir nie vergessen dürfen.“ Mit einem leichten Seitenblick, den sein Neffe wohl offenkundig verstehen würde, bot er Alida seinen Arm an, damit sie sich unterhaken konnte. Es dürfte mittlerweile allen klargeworden sein, dass derartige Gespräche nichts auf dem Fest verloren hatten. Zumindest jetzt noch nicht. Emilian nickte wissend. „Verzeiht Onkel, die Euphorie sich nicht mehr verstecken zu müssen…“ Andrej schenkte ihm einen verzeihenden Blick. „Oh du irrst, das Spiel hört niemals auf; es verändert sich nur beständig lieber Neffe. Wenn du nichts dagegen hast, dann leihe ich mir kurz unsere flandrische Händlerin. Es gibt da noch etwas das ich mit ihr besprechen müsste.“ Im selben Moment sah er zu Alida, um sich deren Einverständnis sicher zu sein. Emilian seinerseits nickte nur und hob die Schultern. „Natürlich. Ich werde einstweilen ein paar… erfrischende Gespräche führen“, fügte er grinsend hinzu. Sein Onkel nickte und tätschelte Alidas Hand. „Willst du mich einen Moment lang begleiten? ich habe noch ein, zwei Dinge mit dir zu besprechen, bevor wir uns wieder vollends diesem Feste hingeben können. Du hast doch nichts dagegen meine Liebe?“

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Through action, a Man becomes a Hero.
Through death, a Hero becomes a Legend.
Through time, a Legend becomes a Myth.
By learning from Myth, a Man takes action.
~Corazon~


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 Betreff des Beitrags: Re: Die Fesseln der Macht
BeitragVerfasst: Mo 22. Aug 2016, 20:50 
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Alida warf Emilian einen fragenden und vorsichtigen Blick zu, aber da sie keinerlei Zweifel oder Misstrauen in seinen Augen lesen konnte, nickte sie. „Selbstverständlich.“ Sie hakte sich bei dem Unhold unter.
Andrej verließ ruhigen Schrittes, zusammen mit Alida die Festlichkeiten. Als sie an den zur Bewachung aufgestellten Tormentoren vorbeikamen, ließen diese sie ungehindert passieren. Nun hätte man sich gewiss einiger neugieriger und verstohlener Blicke sicher sein können und selbstverständlich gab es diese auch, doch der Unhold war der Bruder des Voivoden und wenn er gedachte sich ein wenig zurückzuziehen oder einen privaten Spaziergang in der Festung zu unternehmen, dann war das sein gutes, nicht zu hinterfragendes Recht. Gemeinsam schritten sie durch die Gewölbe und unterwegs konnte Alida aus den unteren Bereichen eher raue Wirtshausmusik und Gelächter hören. Trinklieder und Gesang ertönten und ganz offensichtlich tranken und feierten die Sterblichen bis zur Besinnungslosigkeit. Einem Soldaten, der für die Drachen kämpfte blühte meistens ein eher unrühmlicher und blutiger Tod; wer konnte ihnen diese Siegesfeier also verdenken?

Nach einiger Zeit gelangten die beiden Tzimisce wieder an die Tür zu Andrejs kleiner Kammer, wo dieser Alida einließ und ihr folgte. Nachdem die Tür ins Schloss gefallen war, bedeutete er der blonden Händlerin sich an den kleinen Tisch zu setzen und entzündete einen Kerzenständer mit fünf dicken Kerzen. „Ein Fest der Unholde ist eine wunderbare Gelegenheit sich neue Freunde aber auch Feinde zu machen“, sprach er beinahe schon im Plauderton, während er in einem hohen Schrank nach etwas zu suchen schien. „Ich gebe es nicht gerne zu aber im Wesentlichen unterscheidet sich da ein Drachenfest nicht sonderlich von der giftigen und zwiespältigen Freude einer Toreador-Abendveranstaltung in Paris. Man muss immer noch vorsichtig sein was man in Gegenwart welcher loyaler Verbündeter und Mitstreiter erzählt und in welcher Art. Diplomatie ist eine Klinge, die immer scharf sein muss, denn wenn sie es nicht ist, spürt man bald echte Klingen an seiner Kehle.“ Andrej trat etwas näher an den Tisch heran und stellte dann eine recht gewöhnlich wirkende aber halbwegs sorgfältig gebrannte Tonschale darauf ab.

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„Der Erzeuger von Lugoj war Noriz ein furchterregender, machtbesessener und gieriger Drache. der Zeit seiner Existenz danach trachtete der mächtigste seiner Art in unseren östlichen Landen zu werden. Die Ehre alle anderen zu dominieren wurde ihm auch zuteil, nicht zuletzt, weil er erbarmungslos und paranoid gegen mögliche Feinde vorging und ein fantastischer Stratege war. Aber er war auch ein egoistisches Monster das sich dadurch ebenso genügend Feinde machte. Schlussendlich war er und sein alter Adel der Tremere Bedrohung und den Wolflingen nicht mehr gewachsen. Was früher vielleicht einmal funktionierte, war gegen die Hexer machtlos und da Noriz mittlerweile auf seine ganze eigene Art in blutiger und verschwenderischer, geradezu hochmütiger Dekadenz schwelgte, wurde er recht rasch wieder abgesetzt.“ Andrej lächelte. „An seine Stelle trat ein dunkelhaariger Choleriker, der sich gegen alle anderen, selbst Noriz behaupten konnte. Eines muss man meinem Bruder lassen, er hat sich den Titel nicht nur in der Schlacht verdient. Wenn du nur wüsstest wie viele unserer Art halsstarrig und unbekehrbar waren; am meisten haben wir uns selbst geschadet. Dieser Sieg ist auch ein politischer, das darfst du nie vergessen. Er gibt meinem Bruder Recht und legitimiert seinen Anspruch.“ Langsam setzt sich Andrej und faltete die Hände ineinander. „Aber lass uns doch von erfreulicheren Dingen sprechen. Mir wurde zugetragen du hast Vladimir die Treue geschworen?“
Sie sah den Mann mit dem kurz geschorenen Bart an und versuchte seinem Blick so lang als möglich stand zu halten. Sie erwiderte seine Worte mit einer Gegenfrage. „Ist es eine erfreuliche Angelegenheit für Euch, dass ich ihm die Treue geschworen habe?“
Der Erzunhold nickte. „Natürlich bin ich darüber erfreut. Überleg nur wo wir beide begonnen haben und wo wir jetzt stehen, liebste Verwandte. Von einer recht unfruchtbaren Belagerung, bis hin zu einer recht kunstvollen Gerichtsverhandlung und anschließenden Wegweisung und Einreiseverbot, stehen wir am Ende des so vollmundig genannten ‚Omenkrieges‘, gemeinsam an der Tafel des Drachen der Drachen. Es freut mich, dass alles so gekommen ist, wie ich es mir erhoffte.“ Andrej tätschelte leicht ihre Hand. „Euer Schwur war löblich und wichtig, weil er eure Loyalität bekräftigt hat, nicht nur für Vladimir, sondern auch den Rest unseres Clans, der dabei zugegen war. Ihr werdet kaum in den Osten beordert werden oder an irgendwelchen Schlachten teilnehmen, doch kann man sich eurer Verbundenheit und Unterstützung nun trotzdem über Zeit und Raum hinweg sicher sein. Das macht euch wertvoll für den Voivoden, wertvoll für den Clan und wertvoll für die Familie als Ganzes. Zudem bekennt ihr Farbe; das ist mindesten genauso wichtig.“
Die blonde Frau leckte sich über die, sich seltsam trocken anfühlenden Lippen. „Ich denke, dass es wichtig ist, dass die Tsimiske zusammenhalten, sich unterstützen, Seite an Seite kämpfen wenn Not am Manne ist. Wir sind Meister darin uns gegenseitig wegen unserem Grund und Boden bis aufs Blut zu bekriegen und das, was wir unser eigen nennen wie ein Hund seinen Knochen mit den Zähnen zu verteidigen. Dabei vergessen wir die wirklich wesentlichen Dinge in unserer untoten Existenz und das hätte die Drachen hier beinahe ihr Land und ihre Ehre gekostet. Vladimir Rustovich ist ein Mann, der in der Lage ist die Tsimiske zu einen und das verdient mehr als meinen Respekt. Wenn es mir möglich ist, bin ich bereit für dieses Ziel mit meinen Mitteln zu kämpfen. Allerdings, wenn ihr mir erlaubt, meine unerfahrene Meinung frei zu äußern, würde ich gern hinzufügen, dass es, so glaube ich, mehr als gewetzte Klauen und scharfer Schwerter bedarf, wenn wir in dieser Welt bestehen wollen. Wenn wir nicht in der Lage sein werden uns den gegebenen Umständen anzupassen, dann werden wir vielleicht mehr als nur unser Land einbüßen müssen.“ Sie zögerte, fuhr dann aber fort. „In dieser Welt gibt es viele Clans. Wenn wir uns die größten und mächtigsten zum Feind machen, statt mit ihnen zusammen zu arbeiten, dann vergeben wir eine gewaltige Chance. Ich denke, ihr, Andrej, seid ein Mann, der diesen Gedankengang versteht. Ihr ward an den Höfen im Westen und ich verwette eine unserer flandrischen Koggen darauf, dass ihr das nicht nur wegen dem Blut der schwarzhaarigen spanischen Jungfrauen und strammen, französischen Grafensöhne getan habt.“ Sie verzog die Lippen zu einem schmalen, leicht schiefen Lächeln.
„In der Tat, Alida van de Burse. Man macht sich viele verschiedene Feinde, unter anderem ganze Clans und Blutlinien. Solcherlei Dinge sind kaum aufzuhalten, manchmal spielt einem das Schicksal regelrecht böswillige Streiche. Und dennoch ist es wichtig, nach Möglichkeit so zu agieren, dass man sich seine Feinde sorgfältig erwählen kann. Das gilt für die Freunde gleichermaßen.“ Der Unhold lächelte wissend und wirkte für einen knappen Augenblick sogar geschmeichelt, als sie ihn auf seine Reisen in den Westen ansprach. Es herrschte eine merkwürdige Pause, in der Andrej seine Gesprächspartnerin nur sinnierend und einschätzend betrachtete, als würde er allein aus ihrer Mimik und Körperhaltung wertvolle Informationen ziehen können, die ihm bei einer Entscheidung helfen würden. Schlussendlich nickte er. „Gewiss sind die heißblütigen Spanierinnen und stramme, französische Offiziere nicht zu verachten. Manch einer würde allein deswegen eine solche Reise auf sich nehmen.“ Er lächelte. „Doch ich verbinde das Angenehme gerne mit dem Nützlichen. Neben Claude unserem begnadeten Maler, einiger wohlduftender Essenzen und Auszüge, sowie duftender Seifen und seidenweicher Stoffballen, habe ich auch einige andere Dinge von meinen Reisen mitgebracht.“ Sein Grinsen wurde breiter. „Genauso wie ich auch Dinge für diese Orte mitgenommen hatte. Du bist eine kluge und misstrauische Frau, Alida; behalte dir diese Eigenschaft, sie wird dir mehr als nur einmal deine Existenz retten.“ Er deutete in einer fließenden Bewegung auf die irdene Schale vor sich. „Das ist auch mit ein Grund, warum ich gedachte dir hin und wieder mit ein paar gut gemeinten Ratschlägen zur Seite zu stehen. Du gehörst zur Familie und hast nun dem Voivoden der Voivoden die Treue geschworen. Ich behaupte nicht, dass ich der beste aller Ratgeber bin aber ich habe lange genug mit Cholerikern, Despoten, Tyrannen und Eitlen in der Politik gearbeitet, um einiges an Erfahrung daraus zu gewinnen. So wie ich dich einst vielleicht vernichten wollte, dich und deine Stadt, so will ich dir jetzt helfen, solltest du irgendwann Hilfe benötigen.“
Alida musterte ihn mit ruhiger, fast bemüht ausdrucksloser Mine, zog dann einen kleinen ledernen Beutel heraus, öffnete die Schnüre und schob die bleichen Finger hinein.

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Als sie die Hand wieder herauszog, war sie gefüllt mit dunkler Erde, trockenen ausgebleichten Blütenblättern, einem rotbraunen Jaspis und einem winzigen gelben Halbedelstein. „Das hier, Meister Andrej, ist das wertvollste für uns Drachen, kostbarer als jegliches Gold. Es ist wie Wasser für die Sterblichen, Luft in deren Lungen. Ohne die Erde unserer Heimat sind wir ein nichts, nicht mal ein Schatten unserer selbst und deswegen kämpfen wir bis zum letzten Tropfen unseres Blutes dafür.“ Sie schloss die Finger darum. „Durch euren Angriff hätte ich beinahe das hier verloren… und so unvorstellbar viel mehr…“ Sie sah ihn fest an. „Ich möchte euch vertrauen: Ihr habt euch für mich eingesetzt, mir geholfen, mir das Leben gerettet. Aus Gründen, die ich nicht verstanden habe. Ihr habt es meinem Erzeuger ermöglicht, seinen Namen rein zu waschen und ihn mit seiner Familie ausgesöhnt, eine jahrhundertealte Fehde beendet. Ihr präsentiert euch als Teil einer Familie, die mich miteinschließt und die euch kostbar erscheint. Aber bis vor kurzem habe ich erfahren, zu was diese Familie fähig ist, und ich habe Angst, dass das Wohlwollen, das mir derzeit entgegen gebracht wird so rasch wieder wechseln mag wie das Wetter in den hohen Gebirgszügen des Ostens.“ Sie ließ die Erde wieder in den Beutel zurück gleiten. „Warum wollt ihr mir helfen, Meister Andrej?“
Andrej nickte einsichtig und verständnisvoll. „Gewiss hast du jeden Grund mir zu misstrauen, selbst jetzt noch da ich unsere Familie wieder vereint, eine alte Fehde begraben und aus Feindschaft eine zumindest neutrale Gesprächsbasis geschaffen habe, aus denen mehr entstehen könnte.“ Er schob die irdene Schale näher an Alida heran. „Aber du hast schon gut erkannt, dass wir uns unsere Feinde und Freunde sehr sorgfältig auswählen müssen und Informationen, sind die wahre Währung dieser Nächte. Du möchtest unseren Clan unterstützen so gut es dir gelingen mag; auf der anderen Seite ist dir auch bewusst, wie wenig zahl- oder einflussreich unsere Familie dieser Nächte im Westen ist. Selbstverständlich geht es nicht darum irgendwelche Ländereien zu erobern oder uns mit blutigem Ruhm zu brüsten.“ Der Unhold lächelte. „Du gehörst ab jetzt offiziell und ohne Wenn und Aber zur Familie, selbst wenn ich bezweifle, dass Vladimir dir irgendeinen Dienst abverlangen wird denn die politischen Probleme des Ostens, sind unsere Probleme, nicht deine. Deine Nächte überschneiden sich nur marginal mit unseren Nächten, dennoch sind wir in der Familie und im Blute verbunden. Wir hier in den Stammlanden unseres Clans, sind viele und können einander helfen; du jedoch bist umgeben von großen und einflussreichen Domänen und kannst im Westen nicht so ohne weiteres auf deine Clangefährten zählen.“
Er sah sie nachdenklich an bevor er fort fuhr. „Ich sollte erwähnen, dass es wie so oft im Unleben mehr als einen Grund gibt. Ich schätze das Urteil meines Neffen. Schon unter dem Deckmantel des Sergej Belinkov hat er uns in seinem Rahmen unterstützt und man wusste, dass man auf ihn zählen konnte. Ich werde ihm, ebenso wie dir, meinen Rat anbieten. Du bist ihm kostbar und dafür, da bin ich mir sicher, wird es mehr Gründe als nur ein hübsches Gesicht geben.“ Er schmunzelte. „Und… nun ja, ich denke, nach dem Scharmützel um deine Heimatstadt… möchte ich dir, wenn möglich, helfen und mit Rat zur Seite stehen.“
Alida blickte fragend zu ihm auf. „Ihr wollt mir helfen? Ohne Gegenleistung?“ Skeptisch verfolgte sie sein ernstes Nicken. Dann breitete sich ein verschmitztes Lächeln auf ihren Zügen aus. „Erwartet nicht von mir, dass ich nach Frankreich reise, um die Höfe der Liebe für euch auszuspionieren. Auch in den deutschen Landen oder Britannien halte ich mich nicht so häufig auf, dass es euch von großem Nutzen sein könnte.“ Sie lachte, grübelte dennoch über ihre Worte. Würde sie ihm berichten, wenn er es verlangen würde? Nein... Aber sie wusste, dass sie das tun würde, wenn sie es für nötig befinden würde. Und wenn sie ihm irgendwann vielleicht vertrauen würde... Falls dieser Zeitpunkt je käme... Alida seufzte leise. Sie kannte sich selbst zu gut und wusste, dass sie immer dazu tendierte schneller zu vertrauen als klug war. Dann nickte sie langsam.
Andrej nickte ihr ebenfalls bekräftigend und sichtlich erfreut zu. „Nun, ich habe mir bereits über die Möglichkeiten einer Kontaktaufnahme Gedanken gemacht. Es ist natürlich verhältnismäßig schwierig, sich über so weite Distanzen miteinander auszutauschen. Ein gewöhnlicher Brief würde Wochen brauchen bis er beim Empfänger ankommt und das auch nur, wenn er nicht vorher von spionierenden Feinden oder gierigen Wegelagerern abgefangen wird.“ Der Unhold machte eine abwehrende Geste und unterstrich diese mit einem überspitzt unzufriedenen Gesichtsausdruck. „Zudem ist, was immer wir uns auch in unseren Briefen zu berichten wüssten, schon längst wieder von aktuelleren Ereignissen und Fakten überholt, wenn wir das Pergament endlich in Händen halten. Darum habe ich mir erlaubt, die Koldunen unseres Clans um Unterstützung zu bitten.“ Er nickte in Richtung der irdenen Tonschale und lächelte. „Es mag wie eine gewöhnliche Schale wirken, die sich auch durchaus als solche verwenden lässt, in Wahrheit aber liegt in ihr eine uralte Kraft, angetrieben von den Geistern der Erde und dem Blut der Drachen. Der Ton wurde noch beim Bearbeiten mit ein wenig Erde des Umlandes und mit meiner Vitae vermengt; anschließend gebrannt. Jetzt ist die Schale ein verlängertes Sprachrohr meiner Stimme und ein Spiegel meiner selbst.“ Mit einer dezenten Handbewegung schob er das völlig gewöhnlich wirkende Objekt näher an Alida heran. „Sie ist ein Geschenk an dich, das es dir ermöglicht mit mir zu kommunizieren, ganz egal wo du dich gerade aufhältst. Zeit und Raum werden bedeutungslos. Ich besitze ebenfalls eine solche Schale, die als Gegenstück zu dieser fungiert. Wann immer du mit mir zu sprechen wünscht, wird diese Schale deine Worte an mein Ohr tragen und umgekehrt.“
Sie sah skeptisch zu dem irdenen Gefäß. „Ihr meint, mit dieser Schale ist es möglich über hunderte von Kilometern mit euch zu sprechen?“ Man konnte ihrem Blick sofort anmerken, dass sie in irgendeiner Art und Weise seltsames Hexenwerk vermutete.
Andrej nickte. „In der Tat. Doch ist die Schale allein für euch gedacht und auf ein entsprechendes Gegenstück eingestimmt. Nur ihr werdet mit Hilfe der Schale in der Lage sein mit mir zu sprechen, niemand sonst. Es ist allerdings ein wenig Vorbereitung von Nöten, Alida. Die Geister verlangen einen Tribut, in Form von ein wenig Vitae und Kraft der Erde. Ihr müsst ein wenig eures Bluts in das Gefäß fließen lassen und diese mit ein wenig Erde eurer Heimat Brügge vermengen. Je kraftvoller die Erde, desto klarer werden unsere Gespräche. Stellt also sicher, dass dieser Tribut ein Opfer von Bedeutung ist. Anschließend müsst ihr euch nur auf mich konzentrieren und ich werde wissen, dass ihr mit mir zu sprechen wünscht. Das funktioniert natürlich auch umgekehrt. Das Ritual verlangt aber, dass ihr einen Schluck meines Blutes zu euch nehmt, Kind.“ Er ergriff ihre Hände und lächelte erneut. „Habt keine Furcht, es ist Magie; natürlich. Doch ist es die immanente Kraft unseres Heimatlandes, das in diesen Künsten liegt, keine geraubte Vitae und blasphemische Rituale. Die Koldunik ist älter als alles was die Tremere je zustande bekamen und auch nicht mit ihrer Kunst kompatibel. Seht trotzdem zu, dass ihr die Schale nicht in ihrer unmittelbaren Gegenwart benutzt. Die Hexer haben eine feine und gierige Nase, was magische Artefakte angeht.“ Sein Lächeln wurde zu einem Grinsen. „Und lasst sie nicht auf den Boden fallen Alida; aller Magie zum Trotz, ist es eine Tonschale.“
Sie konnte sich das Schmunzeln nicht verkneifen. „Das wäre ein eindeutiger Verlust.“ Vorsichtig strich sie mit den Fingerspitzen über den gebrannten Ton. Es sah ein wenig so aus, als befürchte sie, die Schale würde jeden Moment lebendig und sie anfallen.
Andrej hielt plötzlich ein blitzendes und rasiermesserscharfes Stilett in der Hand und war dabei den rechten Ärmel seiner kostbaren Robe nach oben zu krempeln. Belustigt verfolgt er, wie sie über die Schale strich. „Wenn ihr euch ein wenig konzentriert, dann könnt ihr die Energie unseres Landes in dieser Schale spüren. Für gewöhnlich sind nur ausgebildete Koldunen dazu in der Lage; doch manchmal überkommt einen ein leichtes Kribbeln oder Kitzeln dabei.“ Seine Hand über die Schüssel haltend, schnitt er sich ins Handgelenk und ließ die dunkelrote, dickflüssige Vita aus der klaffenden Wunde in das Gefäß fliesen. Als sich ungefähr ein guter Becher des roten Lebenssaftes darin gesammelt hatte, leckte er sich knapp über die Wunde und reinigte den Dolch an einem kleinen Seidentüchlein. „Damit wird unser Bund geschlossen und weder Zeit noch Raum, können unsere Gespräche beeinflussen.“ Worauf er wartete, war offensichtlich.
Sie roch die Intensität des alten Blutes sofort. Viel stärker als die Vita eines Sterblichen je sein konnte. Pure untote Essenz, die am Leben hielt. „Ein Bündnis also…“ Sie hatte in ihrem Unleben von wenigen Kainiten getrunken, kannte die Wirkung aber dennoch. Sie war ein Bündnis mit Lilliana eingegangen, das Blutsband, das sie mit Emilian verband ließ alle anderen wichtigen Begebenheiten ihrer Existenz dahinter verblassen und nun unterbreitete ihr ehemaliger Feind ihr dieses Angebot.
Sie atmete tief ein, dann griff sie zu der Schale und trank.
Nachdem sie das Blut in einigen, kräftigen Zügen getrunken und die Schale wieder abgestellt hatte, goss Andrej aus einem kleinen Fläschchen eine leicht scharf riechende Flüssigkeit hinein. Mit beiden Händen schwenkte er das Gefäß, bis die Flüssigkeit die ganze Schale benetzt hatte. Dann trug er sie zu einer nahen Feuerstelle, wo er sie auf einem kleinen Tischchen abstellte und mit einem glühenden Holzspan die Flüssigkeit entzündete. Es gab eine kleine Stichflamme, vor der der Unhold argwöhnisch zurückwich, dann brannte das Innere der Schale gemächlich vor sich hin und beseitigte somit alle Spuren seiner alten und mächtigen Vitae. „Eine sehr nützliche Mischung meines Haus- und Hofheilers. Es brennt schnell, heiß und hinterlässt keine Spuren. Ich werde euch die Zutaten aufschreiben lassen.“ Sobald der leichte Flammenteppich vollständig niedergebrannt war, ergriff Andrej die Schale wieder und trug sie zurück an den Tisch vor Alida. „Keine Sorge, sie ist ganz kühl. Ich werde sie euch für die lange Heimreise sicher und sorgsam einpacken lassen. Habt ihr noch eine Frage zu ihrer Handhabung?“
Alida schüttelte langsam den Kopf. „Ich denke nicht. Ich…“ Sie sog die Unterlippe ein. Die Worte fielen ihr nicht leicht „Ich hoffe, euer Geschenk ist tatsächlich so ehrenhaft wie ich denke. Habt Dank für eure Mühe und… das Vertrauen, das ihr in mich setzt.“
Andrej bot ihr seine Hand an, um ihr beim Aufstehen zu helfen. „Solange ihr mein in euch gesetztes Vertrauen oder das von Vladimir Rustovich nicht enttäuscht mein Kind, habe ich nicht den geringsten Zweifel, dass dieser Bund einer der ehrenhaftesten und vertrauensvollsten sein wird, den der Westen jemals bestaunen durfte. Wollen wir uns nun erneut der Festgemeinschaft anschließen?“ Er half ihr aus der eher bescheidenen Sitzgelegenheit. „Da fällt mir ein, dass ich euch die besten Grüße von eurem Ghul Ivan ausrichten soll. Eure Begleiter aus Brügge wurden verpflegt und versorgt; sind soweit es mir zugetragen wurde wieder gut genesen und bereit für den Aufbruch. Ich teile euch dies mit, weil mein lieber Neffe mir zuvor während unserer Schachpartie berichtete, er plane zügig weiterzureisen, nachdem die Festlichkeiten vorüber sind. Und da wo er hingeht nun… “ Der Unhold lächelte. „Da geht zuweilen auch ihr hin.“
Alida lachte. „Ja, das kommt mitunter vor. Osten, Westen. Je nach Umständen schneller oder auch nach Längerem.“ Oh, wie Recht der gute Andrej mit diesen Worten doch hatte. Wobei das auf Gegenseitigkeit beruhte. Emilian war mit ihr nach Brügge gereist, hatte sie nach Jahrhunderten wieder in Flandern aufgesucht, sie war zu ihm nach Genua gezogen und er hatte schließlich eine neue Bleibe in Gent gesucht um in ihrer Nähe sein zu können, weil es sie wieder zurück in die Heimat zog. Und sie war den weiten Weg in den gefahrenvollen Osten gewandert. Das Schicksal, oder war es das Blut?, verbanden sie stets miteinander.
„Darf ich euch eine Frage stellen, Andrej? Victor und ihr? Hab ihr den gleichen Erzeuger?“
Er ließ sie sich bei ihm einhaken und verließ gemeinsam mit der blonden Händlerin seine Privatgemächer, die wenn man den Unhold etwas näher kannte, wohl eindeutig nicht seinem Geschmack entsprechen würden. In Anbetracht des Allgemeinzustandes von Vardenfell war ihm aber wohl kein anderer Raum mehr zur Verfügung gestanden. Leicht tätschelte er die Hand von Alida, während sie Biegungen und Abzweigungen durch die kühlen Hallen in Richtung des Festsaales nahmen. „Ich habe euch doch die Geschichte der drei Brüder erzählt, meine Liebe. Vladimir, Victor und Andrej haben alle den gleichen Erzeuger. Das ist auch kein großes Geheimnis in diesen Landen, wobei sich die wenigsten dafür zu interessieren scheinen. Würde ich meinen Bruder nicht in seinem Vorhaben unsere Länder zurückzuerobern helfen, wäre ich wohl nur ein weiterer dekadenter Adeliger in einem reizenden, kleinen Schlösschen. Dafür ist mir mein Unleben allerdings zu schade.“
„Da stimme ich euch eindeutig zu. Eine Vergeudung.“ Sie schmunzelte. „Wenn es nach euch ginge… Mit den halbwegs realistischen Möglichkeiten, die uns offen stehen. Wo wären die Drachen in hundert Jahren?“
Der Unhold schien zu überlegen und offensichtlich fiel ihm diese Antwort nicht leicht. „Das ist schwer zu sagen oder auch nur vage einzuschätzen, meine Liebe, aber ich hoffe mit ein wenig Glück und den richtigen politischen Entscheidungen, können wir unser Land weiterhin gegen unsere Feinde verteidigen und alle Drachen unter einem Banner einen. Das muss nicht das Banner Vladimirs sein, doch wünsche ich mir zumindest einen Anführer und Voivoden von standhafter Entschlossenheit und gerissener Schläue.“ Er lächelte. „Oder jemanden, der genug gute Berater an seiner Seite weiß, die tatsächlich um dieses Land bemüht sind und die kleinen Schwächen des Voivoden abzudecken wissen, ohne sich in den Vordergrund spielen zu müssen. Wo wird Brügge sein in hundert Jahren? Ihr könnte es genauso wenig sagen, meine Liebe. Alles was wir tun können, ist unsere ganzen Bemühungen in die Verwirklichung unserer Pläne zu investieren, uns den Rücken freizuhalten, gnadenlos zu unseren Feinden sein und loyal zu unseren Verbündeten.“ Mittlerweile hatten sie die Stufen zum Saal wieder erklommen und passierten gerade die erste Passage, durch den leicht lädierten Flur, welche direkt zurück zu den Festlichkeiten führte. Die Spielleute hatten gerade aufgehört zu spielen und es ertönte heiterer Applaus. „Ah, wir kommen gerade recht zur Enthüllung“, meinte Andrej und zwinkerte ihr zu.
„Hm?“ Sie sah ihn fragend an und folgte seinem Blick.

Andrej betrat gemeinsam mit ihr die Halle und küsste sie knapp auf die Oberseite ihrer Hand, bevor er diese losließ. Dann erhob er einen der silbernen Pokale, die ihm ein übereifriger Deiner überreichte und klopfte mit einem seiner silbernen Siegelringe gegen das Trinkgefäß, um die Aufmerksamkeit der Anwesenden auf sich zu lenken. „Meine lieben Freunde, Verwandten, Verbündeten und Familienmitglieder, liebe Gäste…“ Seine Stimme hallte über den gefüllten Raum und nach einigen Augenblicken konnte er sich beinahe der Aufmerksamkeit aller Drachen und deren blutsgebundener Diener sicher sein. Er hatte die musikalische Pause geschickt genutzt. Der Voivode der Voivode, unterhielt sich gerade mit Emilian und schien guter Dinge, als er den Blick Richtung Andrej lenkte. Fast konnte man einen leichten Ausdruck des Spotts in seiner Miene erkennen, wusste er doch nur zu gut das Andrej sich gerne als galanter Gastgeber und gönnerhafter Meister der Etikette aufspielte. Diesmal war jedoch auch der Drache der Drachen auf seine Worte gespannt. Sein Bruder fuhr munter fort, schenkte dabei niemand bestimmten seine Aufmerksamkeit, sondern bemühte sich jeden in seine Ansprache einzuschließen. Zu diesem Zweck drehte er sich immer leicht während er einzelnen Personen in die Augen sah. „Verzeiht, dass ich unsere Feierlichkeiten auf so empfindliche Art und Weise störe, ihr wisst liebe Freunde, ich bin kein Freund großer Worte…“ Von irgendwoher tönte leichtes Lachen. Andrej machte einen Witz auf seine eigenen Kosten und es tat seine Wirkung. „Darum möchte ich auch keine weiteren Ansprachen zum Besten geben, sondern lediglich meinem geliebten Bruder unseren geschätzten Voivoden der Voivoden, erneut zu seinem formidablen Sieg gratulieren und ihm ein persönliches Geschenk überreichen, um ihn zu ehren.“ Er klatschte zweimal in die Hände, und unter erstaunten Raunen wurde eine riesige Staffelei durch den Raum gezogen, die von einem roten Seidentuch überdeckt war. Andrej schritt zu der Staffelei und umfasste das Tuch. „Claude Barbet hat in meinem Auftrag ein Gemälde unseres siegreichen Drachen angefertigt, das ihm natürlich keineswegs gerecht werden kann, aber dennoch als bleibende Erinnerung an diesen denkwürdigen Sieg meines Bruders, einen guten Platz nahe an der ehrwürdigen Tafel unserer Ahnen finden möge.“ Damit enthüllte Andrej das übergroß geratene Bild und ein abermaliges Raunen erfüllte den Raum. Das Bild zeigte eine nachtschwarze Landschaft in Schwarz und Blautönen; im Hintergrund ein zerstörtes, brennendes Ceoris und die angreifenden Horden von Soldaten und Reittieren. Auf den Zinnen Vardenfells stand Vladimir, den der Künstler überraschend gut getroffen hatte wie eine unüberwindbare Säule der Stabilität und Unüberwindbarkeit, der entschlossen wie der Heerführer, der er war, die Schlacht überblickte. Gerüstet war er in seine eigens angefertigte Prunkrüstung und eine Hand lag auf dem verzierten Schwertknauf, während die andere eine Hand voll Erde im Panzerhandschuh hielt. Es ertönte großer Applaus und bewundernde Rufe und selbst Vladimir lachte und schritt auf Andrej zu. Er umarmte seinen Bruder und küsste ihn auf die Wange; stieß mit ihm an und wandte sich der Menge zu. „Wer mich kennt, weiß das mir Pomp und allzu viel Geschmeide nicht liegen. Nur ein Schwert in der Hand wird mir gerecht. Das war schon so, als ich mich aus unserer feuchten Grab Erde erhob und es wird so sein, wenn der Ostwind meine Asche in alle Richtungen verteilt. Was wird mir bleiben von diesem Moment? Die Erinnerung, meine Freunde, und diese hat mein Bruder für mich eingefangen. Lasst uns feiern und diesem glorreichen Moment, noch viele weitere hinzufügen!“ Die Menge applaudierte und brach in begeisterte Zurufe aus; selbst Emilian klatsche und lächelte verschmitzt.
Alida trat so wenig Aufmerksamkeit wie möglich auf sich ziehend an Emilians Seite und klatschte im gleichen Rhythmus wie die anderen Anwesenden in die blassen Hände. So leise und unauffällig es ihr möglich war flüsterte sie dem braunhaarigen Mann zu: „Wenn du mir jemals sowas schenken solltest, häng ich das in die Besenkammer. Nur damit dir das klar ist. Oder in den Fleischerkeller. unseres Hauses Damit du gute Unterhaltung oder zumindest Aussicht hast, wenn du dich mal wieder ans Fleischformen machst.“ Sie grinste ihn schief an.
Ohne in seinem Applaus inne zu halten oder sich allzu direkt zu Alida zu drehen, grinste Emilian lediglich und nickte langsam und verstohlen. „Ich glaube ihm wird es auch nicht so besonders zusagen, aber was soll er schon tun? Andrej hat es ihm vor allen Gästen zu Ehren seines Sieges überreicht… vermutlich landet es in einer Stelle in seinem Familiensitz, wo er möglichst selten daran vorbeigeht. Immerhin ist der Gesichtsausdruck gut getroffen.“ Er neigte leicht den Kopf. „Oh, ich glaube solange es nicht zu überladen oder pompös wirkt, hätte ich nichts gegen ein Bild von dir. Vermutlich geht es Andrej um den Moment des Sieges, den er auf Leinen gebannt wissen wollte. Vladimir wird Zeit seiner Existenz nie anders aussehen. Du könntest dich ja in ein hübsches Kleid werfen…“ Erneut grinste der Tzimisce an ihrer Seite, während Andrej und Vladimir Bruderschaft tranken und die Spielmänner erneut aufspielten.
„Ist dir das, was ich trage, nicht hübsch genug? Immerhin ist es von dir.“ Ihre Finger suchten nach seiner Hand. „Wenn das hier vorbei ist, dann gehen wir nach Hause… Einverstanden? Oder möchtest du dir hier eine neue Heimat aufbauen? Derzeit erscheint es mir hier im Osten für uns sicherer als im Westen…“ Sie sah ihn fest an, konzentrierte sich auf die rotbraunen Augen. „Ich liebe dich, Emilian. Nur damit du das weißt… Ich würde für dich bis zum Ende der Welt reisen, es mit jedem Drachen, Einhorn, Hexer, jeder Rose oder Ratte aufnehmen. Und ich denke, das würd‘ ich für dich! tun… nicht für ein durch uns geschaffenes Blutsband. Auch wenn deine Vita und deine Küsse das Verheißungsvollste sind, was ich mir vorstellen kann.“ Sie grinste und wandte dann, einem alten Reflex folgend den Blick ab.
Emilian drehte sich zu seinem Kind, das gleichzeitig seit seiner frühesten Jugend, der Mittelpunkt seiner Existenz gewesen war. Eine schier endlose Zeit hatte er sich selbst und seine Herkunft, genauso wie die Zuneigung zu Alida verleugnet. Nun hatten sie gemeinsam das Unmögliche vollbracht und eine uralte Familienfehde wieder geschlichtet; ja sogar neue Verbündete gewonnen und dem Zweig ihrer Linie dabei geholfen, die Stammlande der Unholde von dem Geschmeiß der blutraubenden Hexer zu befreien.
In seinen rotbraunen Augen, lag eine angenehme Wärme und Vertrautheit, die sich in ihren Blick schlich um sie mit einem leichten Lächeln zu bedenken. Er kam näher an sie heran und küsste sie heimlich auf die Wange. „Du bist wunderschön, Alida; das warst du schon immer für mich. Ganz egal ob du ein Ballkleid oder die abgegriffene Kittelschürze von Berta trägst. Natürlich würde ich dennoch Ballkleider bevorzugen, sie betonen deine…. natürliche Schönheit um einiges mehr und verleihen dir einen gewissen… Ausdruck.“ Seine Lippen verzogen sich zu einem Grinsen. „Nein, wir werden den Osten nach den Feierlichkeiten wieder verlassen. Es wirkt sicher hier, vorerst, aber auch wenn die Tremere besiegt sind und man aktuell eine gemeinsame Front bildet, wirst du schnell merken wie sich der Neid und die nächtliche Politik in diesen friedvollen Ballsaal einschleichen. Womöglich wird die Verwandtschaft keine Gargylen mehr enthaupten müssen, dafür aber Nebenbuhler und aufstrebende Konkurrenten. Hier kämpft immer irgendjemand gegen irgendjemanden, aus allen möglichen guten und schlechten Gründen.“ Mit seiner rechten Hand, strich er ihr langsam durch das blonde, hübsch drapierte und gefleischformte Haar, um sie anschließend flüchtig auf die Stirn zu küssen. Einen offenen Kuss vor allen Drachen wagte er augenblicklich wohl noch nicht. „Und ich liebe dich; habe dich immer geliebt, Alida. Unser Blut schweißt uns nur enger aneinander, aber das was uns schlussendlich zueinander geführt hat, waren kein Fluch oder blutige Vitae.“
Die restliche Nacht, verbrachten Emilian und Alida damit sich noch ausgiebig mit Andrej, Vladimir und den anderen ehrwürdigen Unholden der Karpaten und östlichen Lande zu unterhalten. Es wurde getrunken, gelacht, Gerüchte und Geschichten ausgetauscht und nicht selten prahlte Rustovich mit ganz besonderen Siegen oder Schlachten; fand in seinen Erzählungen Unterstützung von einigen Vlazi-Rittern und alten Kampfgefährten. Andrej diskutierte mit den eher kunstinteressierten Vertretern der Unholde die neueste Form der Malerei, wobei Alida immer wieder auffiel, wie der Unhold geschickte Fragen und Anspielungen machte, um genau das zu hören zu bekommen, worauf er es wohl in Wahrheit abgesehen hatte.

In der nächsten Nacht konnte Alida schon sehen wie die mächtigen Katapulte aufgebaut und schussbereit gemacht wurden, während Ivan, Strazny und Popov wieder zu ihnen stießen und sich mit ihnen über ihre Erlebnisse austauschten. Sie waren nach den Kämpfen am Fuße des Berges zum Feldarzt gebracht worden, wo man sie zunächst versorgt und anschließend inhaftiert hatte. Trotzdem war es ihnen nicht allzu schlecht ergangen und spätestens nachdem Alida sich für die Unholde des Ostens eingesetzt hatte, wurden die Wiedergänger Emilians unverzüglich freigelassen. Es war ihnen sogar vergönnt bei den Feierlichkeiten der Sterblichen teilzunehmen, und Ivan behauptete sogar Rustovich selbst hätte sie für ihre Treue zu ihrem Herrn gelobt.
Nachdem genug Proviant für die lange Reise zurück nach Brügge aufgesattelt und gepackt worden war, wurde es Zeit für den Abschied. Rustovich und Andrej waren beide gekommen, schüttelten Emilian die Hand und gaben Alida einen dezenten Handkuss. Vladimir weniger vollendet als Andrej, der das Unwohlsein seines Bruders sichtlich spitzbübisch genoss. Selbst Lugoj war erschienen und hatte eine linkische Verbeugung einstudiert.
Dann begann der lange Ritt heimwärts durch das mittlerweile etwas aufgetaute Land, in dem die Bäche teilweise schon vom Tauwetter überliefen. Dennoch war es eine Wohltat den Schnee dahinschmelzen zu sehen und den ersten Frühlingsvorboten beim Wachsen zuzusehen. Es hatte den Anschein eines symbolischen Neuanfangs, nicht nur für die Ländereien im Osten, sondern auch für deren Fürsten, die Tzimisce. Man konnte nur hoffen, dass ihnen dieser Sieg und Frieden für lange Zeit vergönnt wäre. Emilian tadelte zunächst Ivan und seine Truppe, aber schlussendlich konnte auch er sich nicht der Tatsache erwehren, dass sie großen Mut bewiesen hatten und einige Fährnisse überwunden hatten, um Alida bei der Suche nach ihrem Gebieter bis zum Tode beizustehen. Es war klar, dass Emilian auch Girland ohne großes Aufheben vergeben würde; irgendwo war er ihm ja auch dankbar. Hätte er Alida nichts von seiner Abreise und der Vereinbarung erzählt, hätte ihn vielleicht Lambros und wenn nicht dieser, dann die Hexe in den Höhlen vernichtet. Die Ausreißerin Anja würde ebenfalls lobende Erwähnung finden.

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Wieder im Westen angekommen, verabschiedete sich Emilian einstweilen von Alida, versprach aber sie sobald als möglich in Brügge aufzusuchen, nachdem er in seinem Haushalt alles Notwendige geklärt hätte. Obwohl es ihr nach all der Zeit schwer fiel Emilian gehen zu lassen, konnte die Händlerin nur erleichtert aufatmen, als sie die steinernen Mauern rings um ihre Stadt aus der Ferne erkennen konnte. Allein der Handelspfad von Gent nach Brügge kam ihr so beruhigend vertraut vor und spätestens als sie das Osttor durchschritten hatte, konnte sie es kaum mehr erwarten nach Hause zu kommen, zur immer geschäftigen Berta, Frederik, der sich mit den Büchern herumärgerte, dem meist misstrauischen Georg, Marlene und Jean, Hendrik und Konstantin.
Der Osten war ein interessanter Ort gewesen, voller Geheimnisse, Mysterien, Blut und ruhmreichen Schlachten, doch wenn es ein Sprichwort gab, dem ein Tzimisce voll und ganz zustimmen würde, dann wäre es wohl: ‚nirgendwo ist es schöner als zuhause‘ gewesen. Und da war sie nach schier endloser Zeit, endlich wieder angelangt.

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Der Weg zum Ziel beginnt an dem Tag, an dem du die hundertprozentige Verantwortung für dein Tun übernimms.
Dante Alighieri


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 Betreff des Beitrags: Re: Die Fesseln der Macht
BeitragVerfasst: So 23. Okt 2016, 16:40 
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Zwei Tage später erhielt Alida eine kleine, hölzerne Kiste, welche ihr von einem Boten überbracht wurde. Dieser konnte ihr über den Inhalt der Sendung keine Auskunft erteilen; gab aber an, dass ein unscheinbarer Herr ihm für ein paar Silbermünzen den Auftrag erteilt hatte, sie zum Anwesen der Familie van de Burse zu bringen. Er habe das Paket einzig und allein an die Herrin des Hauses zu übergeben.
Nachdem der Bote wieder verschwunden war und Alida die kleine Kiste in ihrer privaten Schreibstube öffnete, fand sie darin eine zusammengerollte Pergamentrolle, die mit einem alten Stück Stoff umwickelt war, sowie eine längliche Flasche mit einem Holzschiffchen darin. Ganz offensichtlich hatte jemand mit sehr viel Muse und Liebe zum Detail ein Buddelschiff gebaut. An den kleinen Segeln und Takelagen, sowie an den feinen, winzig kleinen Planken und Beschlägen war ein sehr versierter Künstler an das Projekt herangegangen. Oder jemand mit sehr langen, dünnen Fingern.
Als sie die Nachricht entrollte, konnte sie in feinen, fast schön königlichen Lettern darauf lesen:

Der Osten bekommt meinem makellosen Teint nicht wirklich. Zudem glaube ich, dass unser aller Lieblingszauberer mich nach unserem kleinen Zusammenstoß mit dem fliegenden Ungetüm erkannt hat. Zwar wird deine reizende Verwandtschaft sich nicht wirklich an der Beseitigung seiner persönlichen, offenen Rechnungen beteiligen, aber dennoch hat er genug Macht und Einfluss, um mir meinen schönen Lebensabend auf meinem fürstlichen Landsitz zu verderben. Darum habe ich in Anbetracht der jüngsten Ereignisse einen kleinen, erfrischenden Ortswechsel vorgezogen. Nicht zuletzt, da ihr ja so von eurer reizenden Stadt geschwärmt habt und ich selten verreise. Die Reise selbst war anstrengend und gefährlich; dennoch hatte ich genug Zeit mich ein wenig handwerklich zu betätigen (was eine Kunst für sich ist, wenn der Karren jedes Schlagloch mitnimmt). Behaltet das Schiff als Geschenk – ich habe mich von den Geschichten über eure Koggen und Handelskaravellen inspirieren lassen. Vielleicht versuche ich als nächstes einen Buddeldrachen. Es wäre mir ein besonderes Vergnügen, unser Wiedersehen gebührend zu feiern.
Bis dahin: Mit den vorzüglichsten Grüßen und hochachtungsvoller Ehrerbietung an den Drachen von Flandern.

J.

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Der Weg zum Ziel beginnt an dem Tag, an dem du die hundertprozentige Verantwortung für dein Tun übernimms.
Dante Alighieri


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