Mi 25. Mai 2016, 22:20
Alida bewegte sich weiter durch den tobenden Schneesturm, der anstatt allmählich nachzulassen immer stärker zu werden schien. Kurz bevor sie durch Schnee, Kälte und der Schwärze der Nacht beinahe nicht mehr ausmachen konnte, wo sie sich überhaupt befand oder in welche Richtung sie sich bewegte, ließ der Sturmwind wieder etwas nach. Zu schnell und zu plötzlich, als dass ein solcher Wetterumschwung natürlich gewesen sein könnte aber andererseits war dieser Blizzard ja auch mit großer Wahrscheinlichkeit nicht so ohne Zutun der Hexer entstanden. Irgendwann entlang des Wegs fiel die Steinwand zu ihrer Linken in gähnend Leere und nur schmale, steinerne Pfade, führte sie weiter. Ein tückischer und gefährlicher Weg. Brückenartige Konstrukte aus Fels spannten sich über tiefe Abgründe und dann sah Alida einen großen Höhleneingang, der aussah als wäre er kaum per Hand geschlagen worden, sondern eher ‚hineingefressen‘ worden. Man hätte gut und gerne eine kleine Kirche darin aufstellen können, aber so wie es aussah, war es nur ein großes, verschneites Loch mitten in den Karpaten an dem sich die Eiszapfen sammelten. Unnatürlich war es dennoch allemal.
Hinter einen Felsen gelehnt und noch einige hundert Meter entfernt, war es durch die Dunkelheit und den Schneefall nicht einfach auszumachen, aber es brannte ein Licht am Eingang zu den Höhlen und man konnte zwei Wachleute ausmachen, die in den Rüstungen der Drachen gekleidete waren, sich aber zusätzlich mit Decken eingehüllt hatten und in Ermangelung eines anderen Ausdrucks den Arsch abfroren. Ein kleiner, hölzerner Unterstand mit Stroh und ein paar Kochutensilien, war alles was man dem Wachtrupp hiergelassen hatte. Einmal hörte sie dank ihrer geschärften, übernatürlichen Sinne auch ein Niesen und Fluchen.
Alida holte tief Luft und durchdachte ihre Möglichkeiten. Einfach reinmarschieren, ob in Zulogestalt oder als Dienstmagd war nicht sehr erfolgsversprechend, die Wachen mit ihrem kleinen Stilett bedrängen? -lächerlich. Sie könnte die riesigen Felsformationen umklettern aber bei dem heftigen Sturm, der jederzeit abebbte und wieder heranbrauste kam das einem Suizidversuch gleich. Eine letzte Möglichkeit fiel ihr ein.
Alida schluckte. Sie betrachtete ihre Hände und die helle Haut der Unterarme und schloss die Augen. Sie hatte es niemals in ihrer Existenz getan- mit einer Ausnahme- in der seltsamen Parallelwelt, von der sie auch heute noch nicht mit absoluter Sicherheit sagen konnte, ob sie echt oder nur ein Gespinst thaumaturgischer Hexenkunst war. Damals hatte Joachim ohne Schwert, in dieser ‚realen‘ Welt schon vor Jahrzehnten enthauptet, ihr diese eine Fluchtmöglichkeit geboten und sie hatte sie genutzt.
Tief in ihrem Inneren wusste sie genau, dass sie es konnte… aber sie hatte zu viel Respekt, Angst, Ehrfurcht, Grauen davor.
Sie schloss die Augen und spürte das Gefühl ihres Blutes, ließ es alles übernehmen, übergab ihm die Kontrolle und konnte spüren, wie sich ihre Konturen aufzulösen begannen. Es war ähnlich wie die Momente in denen Emilian seine Haut mit ihrer vereinte und doch anders.
Nichts mehr sein als das, was ihre Existenz aufrechterhielt: Vitae, und ihr Bewusstsein.
Sie unterdrückte das Zögern und verbannte es in den letzten Winkel. Dann machte sie sich auf den Weg.
Sie hielt sich im Schatten, versuchte mit jeder Nische im Fels zu verschmelzen und soweit es ihr möglich war von den Wachen fern zu bleiben.
Es schien wie völlig selbstverständlich als ihr Konturen sich allmählich verflüssigten und wie abperlendes Wachs ihren Körperentlang liefen, bis von Alida van de Burse nicht mehr übrig war als eine blutige Pfütze die sich mit blasphemischer Tücke über die schmale Schneebrücke schlängelte oder dahinfloss; so genau konnte man das nicht sagen. Über dichten Schnee und über dunkle aus dem Schnee emporragende Felsspitzen entlang, glitt Alida als Rinnsal aus Blut immer näher an den großen Höhleneingang, wo sie jetzt die beiden Wachen genauer erkennen konnte. Die Kerle saßen in ihrer Rüstung just unter dem Eingang, wo der Schnee sie nicht mehr erfassen konnte um ein kleines Lagerfeuer, das sie mit einem halbierten Fass gegen den Wind schützten. Ihre Zähne klapperten und auch der Schnaps in den Blechbechern in ihren Händen, konnte sie nicht wärmen. An einer Feuerstelle hinter ihnen am Unterstand, blubberte eine dicke Brühe, bei der es sich vermutlich um Suppe handelte. „Was für ein Schwachsinn uns hier abzustellen“, grummelte der eine und nieste erneut; rieb sich die Nase. „Du weißt warum du hier bist Pavel, also halt die Klappe und sei froh das du noch lebst. Unter anderen Umständen wärst du jetzt da drin anstatt hier draußen.“ In diesem Moment ertönte ein markerschütternder Schrei aus den Höhlen, der nach gellenden Schmerzen und unermesslichem Leid klang. Die beiden Wachen drehten sich kurz um und zogen dann betroffen die Decken enger um die Schultern. „Tschuldigung…“, sagte Pavel kleinlaut und trank einen weiteren Schluck. Alida hatte scheinbar keiner bemerkt. Dafür hatte nicht zuletzt auch der soeben erfolgte Schrei gesorgt. Die Tzimisce glitt über dunklen Fels und kalte Steine aus dem Licht der Feuerstelle und drang dabei immer weiter in die Höhle vor.
Es schien wie völlig selbstverständlich als ihr Konturen sich allmählich verflüssigten und wie abperlendes Wachs ihren Körper entlang liefen bis von Alida van de Burse nicht mehr übrig war als eine blutige Pfütze, die sich mit blasphemischer Tücke über die schmale Schneebrücke schlängelte oder dahinfloss; so genau konnte man das nicht sagen. Über dichten Schnee und über dunkle aus dem Schnee emporragende Felsspitzen entlang glitt Alida als Rinnsal aus Blut immer näher an den großen Höhleneingang, wo sie jetzt die beiden Wachen genauer erkennen konnte. Die Kerle saßen in ihrer Rüstung just unter dem Eingang, wo der Schnee sie nicht mehr erfassen konnte um ein kleines Lagerfeuer, das sie mit einem halbierten Fass gegen den Wind schützten. Ihre Zähne klapperten und auch der Schnaps in den Blechbechern in ihren Händen konnte sie nicht wärmen. An einer Feuerstelle hinter ihnen am Unterstand, blubberte eine dicke Brühe, bei der es sich vermutlich um Suppe handelte.
„Was für ein Schwachsinn uns hier abzustellen“, grummelte der eine und nieste erneut; rieb sich die Nase.
„Du weißt warum, du hier bist Pavel, also halt die Klappe und sei froh das du noch lebst. Unter anderen Umständen wärst du jetzt da drin anstatt hier draußen.“ In diesem Moment ertönte ein markerschütternder Schrei aus den Höhlen, der nach gellenden Schmerzen und unermesslichem Leid klang. Die beiden Wachen drehten sich kurz um und zogen dann betroffen die Decken enger um die Schultern. „Tschuldigung…“, sagte Pavel kleinlaut und trank einen weiteren Schluck.
Alida hatte scheinbar keiner bemerkt. Dafür hatte nicht zuletzt auch der soeben erfolgte Schrei gesorgt. Die Tzimisce glitt über dunklen Fels und kalte Steine aus dem Licht der Feuerstelle und drang dabei immer weiter in die Höhle vor.
Zwischen Stalagmiten und Stalagtiten verteilt, hatte jemand immer wieder ein paar brennende Ölschälchen gelegt, die wohl als Wegweiser dienen sollten. Ihr fiel auch mittlerweile auf, dass die Höhle sich nach hinten hin verjüngte; immer enger wurde bis sie nicht größer war als die üblichen, großzügig ausgelegten Räumlichkeiten eines Schlosses oder des Belfriedes. Manchmal waren es dann doch wieder Kavernen und ganze Hallen, ein andermal nur dunkle, zackige Schlurfe ohne Symmetrie und wiedererkennbare Form. Eins stand fest: Was immer den Eingang gegraben hatte war sicher nicht natürlich gewesen, die Höhlen selbst aber waren es ohne Zweifel. Alida konnte sich nach einiger Zeit sicher sein, völlig allein mit sich und der finsteren Umgebung zu sein. Dann bemerkte sie am fortlaufenden Gang, zwischen einer hochgewachsenen Spalte im Felsen ein helles Licht.
Sie drückte sich näher an die Wand und glitt langsam, stets im Schatten bleibend, heran.
Das helle Leuchten und Funkeln wurde immer durchdringender und blendender, während sie sich vorsichtig durch den Spalt schob und sich plötzlich der anmutigen Pracht einer glänzenden Höhle gegenüberstand, die über und über mit weißlich-glänzenden Licht erfüllt war, das von dutzenden großen und kleinen Kristallen ausging. Es war ein mystisches, unwirkliches Licht, das selbst die schwärzeste Dunkelheit zu durchbrechen vermochte und jegliche Schatten verjagte. Für sie als Kreatur der Finsternis, mochte es für einen Moment sogar regelrecht blendend und in den Augen schmerzen. Etwas ‚Magischeres‘ hatte sie bis zu diesem Augenblick sicher noch nicht gesehen. Bemerkenswert war auch das kleine Bächlein aus Wasser, bei dem es sich höchstwahrscheinlich um Tauwasser handeln musste. Es grub sich emsig seinen Weg durch die Höhle und glitt mühelos durch das gleißende Licht, bis es in einer anderen Felsspalte wieder verschwand. Das Wasser leuchtete in einem überirdischen Blauton. Die ganze Szenerie passte nicht sonderlich zu etwas, das man ‚Bruthöhlen‘ nannte aber es passte zu einem Ort der Magie. Wer hätte gedacht so viel Schönheit unter den zerklüfteten Gedärmen von Ceoris zu entdecken?
Alida glitt näher an das Licht. Wie erstaunlich, dass die Unholde die Tiefen der fernen Ausläufer der tiefen Höhlenschächte von Ceoris genutzt hatten um hier ihre Kriegsmaschinerie zu kreieren. Ob die Magie, die diesen Ort anscheinend noch immer bewohnte dabei half? Sie sah sich näher um, etwas erstaunt darüber nicht mehr Anzeichen des Werks der Tsimiske zu erblicken. Sie hätte mit Sklaven, Leichen, Voydz gerechnet, Werkzeugen, die benötigt wurden, Menschen zur Lieferung der Vitae, die man für solche Unterfangen heranziehen musste. Aber nicht mit dieser Mystik.
„Wenn du das suchst, wofür du gekommen bist, musst du dich tiefer in die Höhlen wagen, Tochter vom Blute Kains des ersten Mörders“, hörte sie dann eine so durchdringende und gleichzeitig so sanft-sonore Stimme, dass man förmlich die Kristalle an der Höhlendecke klirren hören konnte. „Andererseits ist das hier auch ein recht lauschiges Plätzchen.“ Sie konnte sich des Eindrucks nicht erwehren, diese Stimme halle gar nicht durch diesen leuchtenden Kristallwald, sondern allein durch ihren Kopf. Dennoch konnte sie eine Richtung ausmachen. Fast instinktiv, sah sie in den hintersten Winkel der Höhle, dort wo das Licht kaum mehr die Ritzen zu erfassen mochte. Dort in der verschlingenden Schwärze, war ein großer Höhlenspalt und darin zwei grün leuchtende Augen, die sie interessiert anstarrten.
Alida wusste, dass sie beobachtet wurde. Sie spürte den Blick der grünen Augen. Ihre Antwort sandte sie mental und der zu leicht zu überwindende Widerstand machte ihr bewusst, dass es sich anscheinend nicht um einen Kainiten handelt.
„Wer seid ihr?“ war ihre schlichte Frage.
Die Antwort erfolgte prompt und ohne Widerstand. „Nur ein weiterer Gefangener, von denen ihr noch zahlreichen hier begegnen werdet, solltet ihr euch entschließen euren Weg fortzusetzen Abkömmling Kains.“ Man hörte ein leichtes Rasseln, wie von schweren Ketten dann das Scharren von Krallen oder Pfoten auf nacktem Fels. „Wollt ihr euch nicht in eurer wahren Gestalt zeigen? Seid unbesorgt, hier gibt es keine Wachen. Der Unhold in den Brutstätten arbeitet gerne allein und ohne lästiges Sterblichen Geschmeiß.“
Alida riss sich zusammen, sammelte sich, zerfloss zu einer einzigen flüssigen Masse und nahm dann wieder menschliche Züge an. Sie sah auf ihre Finger. Es war ihr offensichtlich gelungen die Gestalt des einfachen Dienstmädchens wieder anzunehmen. Zögernd trat sie näher. Ihre Stimme echote in ihren Ohren. Die Stimme war ihr zu vertraut. Sie klang noch immer wie Alida. „Ich will in die Tiefen der Höhlen, da habt ihr recht. Auch wenn ich wünschte, es wäre anders, habe ich nicht die Zeit jeden von euch zu befreien.“ Sie wandte den Blick ab. „Nichtsdestotrotz… ich werde mich hier, das ist mir klar, nur verirren. Verratet ihr mir den Weg, den ich weiter gehen muss, wenn ich euch im Austausch frei lasse?“ Sie hasste es solche Angebote zu unterbreiten. Das war alles, aber nicht ihre Art. Alida hatte keine Wahl, denn die Zeit drängte.
Das Wesen, was immer es sein mochte offenbarte sich Alida indem es ein paar winzige Schritte näher an den Ausgang des Spalts heran trat, um dort ein wenig in das grelle Licht getaucht zu werden. Offenbar handelte es sich um einen ziemlich zerlumpten aber eindrucksvoll großen, schwarzen Wolf. Ganz mochte es nicht stimmen, denn hie und da unterschied sich das Wesen von einem typischen Wolf. Die Zähne waren länger, die Augen stimmten überhaupt nicht und die Größe hätte wohl eher auf einen verwandelten Gangrel schließen lassen. Süß träufelte die Stimme des Wolfes an ihr Ohr. „Ein jeder will in die Höhlen mein Kind, das wollen sie alle miteinander. Jeder aus unterschiedlichen Gründen und selbst die nicht wollen, landen irgendwann doch hier.“ Der Wolf leckte sich über die Lefzen. „Aber die Dinge ändern sich so wie es scheint. Für die Hexer hat endlich ihr letztes Stündlein geschlagen. Sind die Drachen schon vor den Toren? Ah verratet es mir nicht, ich werde es wohl bald wissen. Was meine Befreiung angeht…. Vergesst es schnell wieder, mein Kind.“ Er tat einen weiteren Schritt nach vorne und sie sah das schwere, schmiedeeiserne Halsband um seinen Hals, mit einer schweren Kette daran. „Ihr werdet mich nicht befreien und höchstwahrscheinlich auch keinen andren an diesem Ort. Aber in die Höhlen, in die gelangt ihr ohne Frage. Ihr müsst nur ein wenig hinter die große Kristallformation sehen, da führt der Weg weiter an euer Ziel.“
Alidas Augen verengten sich. „Was für ein Geschöpf seid ihr? Und warum seid ihr bereit mir zu helfen? Ohne Gegenleistung?“
Der Wolf legte den Kopf etwas seitlich und betrachtete Alida mit diesen schimmernden grünen Augen, die einen förmlich zu durchbohren vermochten. „Ich glaube nicht, dass ich euch eine große Hilfe bin, den Weg hättet ihr auch ohne mich gefunden. Somit schuldet ihr mir also gar nichts Kind des ersten Mörders. Und was ich bin?“ Der massige Kopf drehte sich in die andere Richtung. „Ein Wolf wie ihr seht oder mehr das was die Hexer gedachten aus mir zu machen, als sie mich beschworen. Meine Zeit ist unweigerlich gekommen, meine Liebe. Die Tzimisce füttern mich nur noch, weil sie sich noch nicht ganz im Klaren darüber sind was ich bin.“ Er legte sich der Länge nach hin und legte den Kopf auf die Vorderpfoten. „Aber das wird bald vorbei sein. Sobald dieser Krieg ein Ende gefunden hat, wird man diese Höhle dem Erdboden gleichmachen oder mich verhungern lassen.“
Alida seufzte. Sie war weder Gerrit noch Lucien und die Aussichten diese Kette zu lösen war wahrlich gering. Aber sie konnte es versuchen. Noch einmal schaute sie das Wesen näher an. Es sprach in Rätseln. Die Aura, die sie erkannte war eine, die sie noch nie zuvor gesehen hatte: magisch, spirituell, abgründig
Sie schüttelte den Kopf. „Willst du, dass ich versuche dich zu befreien?“
Das Ungetüm schmunzelte fasst. „Glaubst du, ich selbst wäre nicht kräftig genug diese lächerlichen Ketten zu sprengen? Wir befinden uns unter der Festung von Bluthexern und untoten Abkömmlingen einer degenerierten Sippe von Fleischformern. Glaubst du es ist diese Kette die mich hält? Nein, mein liebes Kind, es ist die Magie daran. Und nur die kann mich wieder befreien. Du brauchst den Schlüssel des Zuchtmeisters und der wird gut verwahrt.“ Der Wolf knurrte etwas belustigt. „Aber bei all dem Getümmel und Lärm da oben, ist das ohnehin sinnlos. Du wirst den Schlüssel nicht finden und niemand wird danach suchen, weil keiner weiß wonach er suchen muss; keiner einen Grund hätte. So werde ich vergehen, kleine Fluchträgerin, und mit mir dieser herrlich leuchtende Ort.“
Solltest du den Schlüssel dennoch finden…“, setzte er an. „Dann erfülle ich dir einen Wunsch wenn du mich frei lässt, sofern es in meiner Macht steht. Allerdings arbeitet die Zeit hier unten gegen jede Art von Wunsch fürchte ich. Meine als auch deine. Jetzt geh und erfülle dein Schicksal.“
Alida presste die Lippen aufeinander. „Dann kann ich nichts für dich tun… Es tut mir leid.“ Sie hasste diese Situation, weigerte sich aber falsche Versprechungen zu machen. „Ich muss gehen. Wenn ihr mögt, erzählt mir woran ich den Schlüssel erkennen mag, denn ich weiß nicht, wohin mein Weg mich in dieser Nacht noch führen wird… und was mir noch begegnen mag.“
„Der Schlüssel wird sich euch als solcher nicht offenbaren, denn er sieht nicht aus wie ein gewöhnlicher Schlüssel, so wie dies hier kein gewöhnliches Schloss ist. Aber ihr mögt ihn daran erkennen, dass er dem Leviathan Kreuz nachempfunden ist.“ Der Wolf schloss die Augen und schien sich nicht länger um Alida kümmern zu wollen. Teils weil er sich wohl schon ziemlich lange mit seinem Schicksal abgefunden hatte, teils wohl auch deshalb, weil er ganz sicher nicht an eine Rettung glaubte. Wie würde ihm einen dahergelaufene Fremde wohl auch helfen können? „Meine Rettung ist recht aussichtslos aber euer Weg ist noch nicht vorherbestimmt“, murmelte er vor sich hin. „Tut was ihr tun müsst, Kind der Nacht, und fasst, wenn möglich keine dieser Kristalle an, es würde euch… ungut bekommen.“ Damit schien er wieder schweigen zu wollen und sich einem unruhigen Schlaf hingeben zu wollen. „Ihr seid im Reich der Lügen… vergesst das nicht…“, flüsterte er ohne die Augen zu öffnen. Dann war er endgültig stumm.
Alida nickte ein letztes Mal in seine Richtung. „Vielleicht hält das Schicksal für euch noch einen Weg parat. Ich wünsche euch das Beste, Wolf.“ Dann wandte sie sich ab und schritt weiter durch die klar erhellten mystischen Hallen.
Der Weg führte sie weiter vorbei an dem hellen Licht und den Kristallformationen, die noch immer ungebrochen leuchteten und strahlten. Dahinter befand sich, so wie ihr der Wolf bereits zuvor berichtet hatte, ein weiterer Gang. Sie folgte dem natürlichen Höhlenbruch bis an sein Ende und trat dann in einen eindeutig von Menschenhand behauenen Tunnel. Zu ihrer linken sah sie einen riesigen Stein und Schutthaufen, der ein Weiterkommen in diese Richtung völlig aussichtlos machte. Zu ihrer rechten aber konnte sie dem Tunnel folgen, der in regelmäßigen Abständen mit Fackeln erleuchtet war. Wenn sie sich umblickte, so würde sie erkennen, dass man buchstäblich einen Graben quer durch die Höhlen geschlagen hatte, um schlussendlich an dieser Stelle durchzustoßen. Vermutlich wollten die Eroberer den linken Weg wählen, just jenen, der mittlerweile verschüttet war. Irgendetwas sagte ihr, dass sie sich wahrscheinlich gar nicht so weit weg von der Festung befand. Nur etwas tiefer, offensichtlich. Am Ende des Ganges weitete sich der Tunnel zu einem großen, hell erleuchteten Raum der links und rechts fest verschlossene Gittertüren aufwies. Die Machart des Steins und die Höhe der einzelnen Zellen, ließen Rückschlüsse auf die Gefangenen. Hin und wieder rasselten Ketten oder etwas schabte, kratzte oder grunzte. Es stand nach Kot, Urin und verfaulten Nahrungsmitteln aber das war bei weitem nicht so schlimm, wie der Duft der jenseits der Kammern an ihre Nase zog. Es roch wie in einem Schlachthaus.
Alida benötigte erneut einige Sekunden um sich zusammen zu reißen. Das hier war der Osten und sie hatte genau gewusst, was sie hier erwarten würde. Aber das machte es nicht einfacher. Mühsam setzte sie einen Schritt vor den anderen. Sie merkte, dass sie zu hasten begann, doch es war ihr egal. Sie wusste, dass sie weiter musste.
Alida schritt vorbei an den Käfigen und wurde Zeugin des unermesslichen Grauens, das sich wohl nur in einer sogenannten ‚Bruthöhle‘ abspielen konnte. Viel hatte sie über die Meister des Formens gehört, vieles nur vom Hörensagen. Emilian und sie waren auch dazu in der Lage aber einige ihres Clans hatten es schon bis zum Exzess getrieben; sich selbst immer weiter zu neuen Untrieben angespornt um immer groteskere, verstörender oder mächtigere Kreaturen zu erschaffen. Es hieß sogar, dass manche daraus bereits eine eigene Religion erschaffen mochten; eine Art Erlösung durch Formung des eignen oder andern Körpers. Sie sah die wohlbekannten Licker, mit den langen, spitzen Zungen die dereinst auf der Kirche der heiligen Schwestern auf die Brügger Abgesandten gewartet hatten und auch Gerrit problemlos zu Fall gebracht hatten.
In einer Rotte aus drei Kreaturen, fauchten und knurrten sie, sprangen wie wild im Käfig auf und ab als Alida daran vorbeiging und ließen die Zungen hervorschnellen. Im Käfig gegenüber saßen ein paar wimmernde, nackte Menschen, die aus glasigen Augen furchtsam zu ihr aufblickten. Dann ein monströses Etwas, wie ein haariger Bär aber mit gespreizten Knochenkiefern und den Muskeln eines Stiers. Das Ding stieß nur heiß die kalte Luft seiner Zelle aus den Nüstern und beobachtete Alida argwöhnisch. In den letzten Zellen sah sie ein völlig fleischgeformtes Etwas, dünn und hager war das Gesicht völlig deformiert, das speicheltriefende Kiefer offen und die Augen weit nach vorne gerichtet.
Es taumelte mehr als es ging und war wohl nicht mehr in der Lage zu sprechen. Wie ein Kind oder ein stummer Krüppel, sah es Alida hilfesuchend an und klopfte ungelenk gegen die Tür der Zelle. Gegenüber befand sich ein ehrfurchtgebietender Steinkoloss, eine zerfurchte, brachiale Monstrosität in Form einer Gargyle. Auf allen vieren saß sie auf dem strohbedeckten Zellenboden und funkelte Alida einfach nur an.
Alida dachte an Griselda und Victor, die oben gegen die Heere der Unholde ankämpften und ging auf den Käfig zu. Das wenigstens war sie den beiden schuldig. So leise dass es nur von dem Gargyle verstanden werden konnte, sprach sie den Koloss an. „Dort draußen kämpfen Gargylen darum, dich frei zu bekommen. Weißt du das?“
Das Ungetüm sah Alida nur grimmig an und legte den Kopf schief. „Verhöhne mich nicht, Drache. Du und deine Brut, ihr habt längst gewonnen. Ob die Meister uns versklaven oder die Drachen ausbluten lassen; was spielt es noch für eine Rolle? Mach mit mir was du willst aber verhöhne mich nicht.“ Die Stimme des Gargoyle klang rau und alt, knisterte wie frischer Kies im Garten von Alida. Gleichzeitig lag darin eine gewisse Weisheit und Klugheit, die man einem solchen Koloss, der nur für den Kampf gezüchtet worden war, gar nicht zugetraut hätte.
Alida lächelte kaum merklich. „Meine Lieblingsgargyle, Griselda, hat mir mitgeteilt, dass hier noch Mitglieder ihres Clans sind die es wert sind, gerettet zu werden. Offensichtlich gehört ihr zu denjenigen, von denen sie sprach. Mir bleibt nicht viel Zeit.“ Sie besah sich das Schloss näher, hielt nach einem Schrank für Schlüssel oder einem Haken Ausschau.
Die Gargyle legte den Kopf noch ein Stück weit schiefer und schien nicht recht verstehen zu können oder zu wollen. Und auch wenn es überhaupt nicht den Anschein hätte, als gäbe es irgendetwas, das sie dazu bewegen könnte ihre Position am hinteren Ender der Zelle zu verlassen, so ließ doch die Neugier auf Alidas Worte hin die steinerne Gestalt ein paar schwere, gleichmäßige Schritte in Richtung Zellentür machen. Sie richtete sich voll auf und überragte die Brüggerin spielend. Gerrit hätte endlich jemanden gefunden, der ihm noch ein Gegner im Armdrücken sein könnte. Das Ungetüm sog tief die Luft ein und versuchte den Duft von Alidas Haar zu riechen; beinahe konnte sie schon den Luftsog über sich spüren. „Griselda? Ich hörte diesen Namen. Eine der Schwestern hat ihn ihr gegeben, als sie von einen ihrer Streifzüge zurückkam. Es heißt, sie habe ihn von einer Frau gehört, die ihr Kind in einer Wiege bettete. Kinder brauchen Namen… Wer seid ihr?“, sagte der Koloss monoton. Einen Schrank für Schlüssel oder etwas dergleichen konnte Alida nicht ausmachen, dafür in einem Eimer an der Wand, kurz vorm Treppenaufgang alle möglichen Eisenwaren. Von kleinen Dolchen und Stiletten, über verrosteten verbogenen Schlössern und Hufeisen, Nägel und Fassumrandungen, war alles Mögliche zu finden. Und alles war mit getrocknetem oder frischem Blut überzogen.
Alida schüttelte nur den Kopf. „Mein Name tut in den Tiefen dieser Höhlen nichts zur Sache. Ich bin nur ein Drache, der ein Versprechen gegeben hat. Sollte ich es einlösen können, werdet ihr Griselda hoffentlich dort draußen antreffen. Wenn ich versage…“ Sie schluckte. „Nun, dann habt ihr wenigstens keinen Namen, den ihr verfluchen könnt.“ Sie suchte sich etwas aus den Tiefen des Eimers, das sie als Dietrich verwenden konnte und wischte das Metall an der Innenseite ihres Kleides ab. Dann versuchte sie sich an dem großen Schloss der riesigen Zelle.
Es war ein schrecklich kompliziertes Schloss und sicher nicht ohne Grund so gewählt worden. Es dauerte und bescherte Alida einige Momente der Frustration, ehe das alte mechanische Wunderwerk sich endlich öffnen ließ und die Gargyle freigab. Der Koloss sah für einen Moment völlig ungläubig auf die offene Tür und machte dann einige, langsam Schritte in Richtung Freiheit. Es dröhnte dumpf bei jedem Schritt, bis er vor Alida zu Stehen kam. „Weißt du wie lange ich schon der Sklave eines fremden Herren bin? Wie lange ich schon Sklave meiner eigenen Unmündigkeit bin? Das höchste Gut, das einer haben kann, ist die Freiheit, aber das wirst du nie verstehen können, Drache, du bist immerhin in Freiheit geboren.“ Der massige Schädel beugte sich zu ihr herab. „Ich werde Griselda finden und ihr von dir erzählen, Drache, deine Tat mag nicht in Vergessenheit geraten. Warum du das tust, kann ich nicht verstehen aber in deinen Augen liegt eine Güte, die ich an diesem Ort zuvor noch nie erblicken konnte.“ Langsam streckte sich der Hüne zu seiner vollen Größe aus und die steinernen Flügel reichten beinahe von der Zelle der einen Seite zur Zelle der gegenüberliegenden. „Ihr wollt mir euren Namen sicher nicht verraten? Dann will ich euch meinen nennen: Man nennt mich Boris. Vergesst ihn nicht, Drache.“
Alida senkte das Haupt. „Ich werde ihn nicht vergessen, Boris. Wenn ihr dort den Gang entlang geht, werdet ihr einen Weg nach draußen finden. Hütet euch vor allem was leuchtet, wurde mir gesagt.“ Sie deutete auf die Gänge durch die sie geschritten war. „Ich wünsche euch, dass ihr eure Sippe findet. Grüßt Griselda von mir.“ Sie atmetet kurz ein „Mein Name ist Alida, aber wer weiß, ob er in einigen Stunden noch existiert?“
Die Gargyle nickte und lenkte den Blick in Richtung des Eingangs, aus dem zuvor Alida in die Verließe gelangt war. „Die Zelle konnte mich halten, denn sie ist durchzogen von der Magie der alten Meister. Dieser Stein allerdings…“ Boris sah zur Decke des großräumigen Gefängnisses. „Ist frei von Blutmagie und kein Hindernis für mich. Einen Ein- oder Ausgang werde ich nicht benötigen, habt dennoch Dank.“ Seine Flügel weit ausbreitend, machte er sich bereit mitten im Raum vom Boden abzuheben. „Meine Sippe hat noch nie jemandem im Stich gelassen und auch ich werde das nicht tun. Mir scheint ihr selbst habt in diesen dunklen Hallen noch Dinge zu erledigen. Ich würde euch ja raten umzukehren, aber die Entschlossenheit in euren Augen steht eurer Güte in nichts nach. Habt Dank für eure ehrbare Tat und viel Erfolg für euer Vorhaben.“ Die Gargyle lächelte. „Wenn ich eines gelernt habe, dann das die Hoffnung immer zuletzt stirbt. Ich bin überzeugt davon, dass wir uns wieder sehen, Alida. Ich werde diesen Namen nicht vergessen. Passt auf euch auf, hinter diesen Verließen werdet ihr nichts finden als Schmerz und Pein.“ Damit schlug er mit den kräftigen Flügeln, die ihn mühelos in die Lüfte trugen und visierte die Felsendecke an, durch die er förmlich hindurchzufliegen schien. Ja, er verschmolz schier mit dem kalten Stein, so wie Lucien es oft mit der Erde tat. Kaum war er emporgestiegen, da war er auch schon wieder verschwunden und ließ Alida allein zurück in den Verließen. Die restlichen Monster in den Zellen tobten, stampften, kreischten und schabten wie verrückt. Die Menschen rüttelten an den Käfigtüren und das ungelenk-deformierte Ding schien beinahe in seinen Bemühungen umkippen zu wollen.
‚Verdammt‘ schoss es ihr durch den Kopf. Das war eindeutig zu laut. Alida ging weiter. Sie hielt sich in den Schatten, lauschte in die Dunkelheit. Es konnte nicht mehr so weit sein, versuchte sie sich selbst Mut zu machen. Auf der anderen Seite war ihr eines bewusst. Der Weg, den sie gekommen war, war annähernd menschenleer gewesen und schien selten genutzt. Es musste andere Wege ins Innere der Bruthöhlen geben, die von den Unholden häufiger begangen wurden. Wege, die von den Untergebenen Rustovichs aufgesucht wurden. Von dort musste der Tross kommen, der Emilian festsetzten würde. Falls er es nicht schon getan hatte.
Sie hörte nichts und niemanden, außer den Biestern und hilflosen Menschen, die sich erst nach einer guten Weile wieder beruhigen wollten. Es mochten vielleicht gute fünf Minuten vergehen, dann war es wieder merkwürdig still in den Hallen. Nichts war passiert, niemand war erschienen.
Sie ging weiter.
Sie kam in einen weiteren, sehr weitläufigen und mehrfach unterteilten Raum, dessen Zweck ihr schon bei erstmaligem Betrachten völlig klar wurde. Die Haken und Seile, Apparaturen, Maschinen, Nieten, Gürtel, Zahnräder, scharfen, stumpfen und gezackten Werkzeuge, Käfige und Senkgruben konnten nur eines bedeuten: Sie hatte eine Art Folterkammer erreicht.
Eine Folterkammer, die groß und einladend war und zudem auch Experimenten dienen mochte. Das wurde an merkwürdigen anatomischen Zeichnungen und kryptischen Symbolen, großen Operationstischen und merkwürdigen Flüssigkeiten, eingelegten Körperteilen in vergilbten Flaschen eindeutig erkennbar. In einigen Käfigen waren nur noch Knochen, während in anderen blutige, abgetrennte Gliedmaßen lagen. In einer stinkenden Grube voller Maden und Ratten, lagen die schimmelnden Überreste hunderter Gedärme und Organe. Eine halb aufgeschlitzte Frau ohne Augen war auf eine Streckbank gefesselt, ein halbierter Männertorso ohne Kopf, hing an Haken an der gegenüberliegenden Wand. Sägen, Haken, Gestänge, Winden, Messer, Beile und allerlei Kurioses lag verstreut umher.
Und dann sah sie ihn: Emilian. Er war nackt und bloß, buchstäblich an einen großen Bretterverschlag genagelt worden. Spitze Dorne durchbohrten die Arme und Scharniere hielten die Füße zurück. In seinem Blick lag angewiderter Hass.
Davor stand eine Gestalt wie aus einem Alptraum. Es besaß keine Augen oder keine solchen, die man hätte erkennen können, dafür war die bleiche Haut nach hinten gebogen worden und entblößte die weißen Zähne, die mit Draht nach hinten gehalten wurden und die Lippen abspreizten. Lederne Roben umhüllten das schmale Etwas. Ohne Frage handelte es sich hier um den Meister des Fleisches, einem Könner und Folterer ohne gleichen: Lambros.