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Re: Die Fesseln der Macht

Sa 14. Mai 2016, 17:27

Alida warf Jeremiah einen letzten, so hoffte sie zumindest, ermutigenden Blick zu und wartete darauf, dass man sie herein bat. In ihren Gedanken ging sie die die Stadien der kainitischen Umgangsformen und der Etikette der Unholde durch, so weit sie ihr bekannt war.
Beim Eintreten hielt sie den Blick gesenkt und sah nur hin und wieder kurz auf um ihr Gegenüber zu fixieren. Andrej… Der Unhold, der sich mit Draga verbündet hatte um auszuprobieren wie leicht es wohl möglich wäre eine flandrische Stadt einzunehmen. Für ihn eine kleine unerfreuliche Lappalie, für sie und ihre Verbündeten ein harter, fast vernichtender Schlag. Sie versank in eine Verbeugung.
Sie wartete bis man sie ansprach. Dann antwortete sie mit fester, befehlsgewohnter Stimme in Russisch mit dem melodisch gebildet klingenden Akzent des Italienischen, das sie sich in Genua angeeignet hatte. „ Großmeister, Andrej Cercescu. Es ist mir eine Ehre. Alexandra Dimanetti, Kind des Pavlo Bellini, Prinz von Pisa. Mein Begleiter, Bartholomäus, der Fromme, ein getreuer Vasall und seines Zeichens Siegelbewahrer. Mein Erzeuger schickt mich damit ich mit eigenen Augen sehe und ihm von dem bevorstehenden Sieg berichten möge, der die Achtung und das Ansehen unseres Clans für alle Zeiten wieder herstellen und verstärken möge.“

Sa 14. Mai 2016, 17:27

Re: Die Fesseln der Macht

Mo 16. Mai 2016, 15:51

Der Raum in dem sie sich befand, war kaum größer als eine besser Abstellkammer und wie zu erwarten, völlig fensterlos. Die Einrichtung war karg und bestand lediglich aus einem in die Jahre gekommenen Bücherregal, das allerdings gut bestückt schien sowie einem einst prachtvoll anmutenden Eichentisch mit Einlegearbeiten und ein paar Stühlen. Rundherum hatte jemand viele Wachskerzen entzündet um den engen Raum etwas zu erhellen und als die Tür wieder ins Schloss fiel, sah Alida schon Andrej der mit einer Hand an der Hüfte gegen den Tisch gelegt war und wie üblich seine roten Roben mit filigranen Stickereien trug. Es schien fast so als habe er sich in Positur geworfen und als sie genauer hinsah, erkannte sie einen ärmlich gekleideten Mann, der an einer Staffelei stand und neben sich auf einem Holzschemel Malerwerkzeug bereit gelegt hatte. Wohl ein Porträtmaler, der gerade ein Siegesporträt des Tzimisce anzufertigen schien. Leicht schmunzelnd und sichtlich wohlwollend, hob Andrej die Hand und forderte Jeremiah als auch Alida auf näher zu treten. Mit einer ebenfalls leichten Verbeugung musterte er die Besucher und schenkte ihnen ein maliziöses Lächeln. „Ah Alexandra Dimanetti, die Tochter aus dem Hause Bellini. Wie schön das uns die südliche Linie unseres illustren Hauses ebenfalls die Ehre erweist. Es muss eine lange und ermüdende Reise für euch gewesen sein, verzeiht die ungünstigen Umstände aber die Hexer haben es gerne prachtvoll weiß.“ Andrej lachte leicht verhalten und deutete auf zwei leere Stühle. „Bedauerlicherweise kann ich euch nicht viel mehr Annehmlichkeiten bieten als zwei simple Stühle aber bitte, seid mein Gast. Setzt euch doch.“

Der Maler an der Staffelei brummelte vor sich hin. „Sir, wenn ihr euch weiterhin so viel bewegt, wird das Gemälde niemals fertig.“ Der Tzimisce seuftze und hob Einhalt gebietend die Hand. „Wir werden später weiter machen Claude, wie ihr seht habe ich gerade erfreulichen und unerwarteten Besuch. Zwar nicht den, welchen ich zunächst erwartete aber es ist mir eine ganz besondere Freude, die Verwandtschaft aus Europa hier begrüßen zu dürfen.“ Der Maler packte fast schon etwas beleidigt seine Pinsel zusammen und verbeugte sich. „Ganz wie ihr wünscht Großmeister Andrej“; schlurfte dann rückwärts gehend aus dem Raum. Andrej hatte ihn bereits wieder vergessen und widmete sich der Staffelei um den Fortschritt zu begutachten; besah seinen Besuch dabei aus den Augenwinkeln. „Eine Idee einer meiner Bekanntschaften aus Frankreich. Es hat sich scheinbar eingebürgert schmeichelhafte Porträts von einem Selbst anfertigen zu lassen, um dem eigenen Ego zu frönen. Selbstverherrlichend aber ein lustvoller Zeitvertreib, zeitlose Kunst für zeitlose Wesen.“ Der Unhold sinnierte etwas und lächelte wieder großmütig. „Signore Bellini sah sich wohl außer Stande zu kommen, da ihn wichtig Amtsgeschäfte davon abhielten nicht wahr? Nun zumindest seid ihr ja nun hier und unser guter Freund Belinkov aus Genua.“ Seine langen Finger fuhren die Konturen der Zeichnung nach. „Sagt, ihr seid nicht zufällig einer weiteren Verwandten aus Europa begegnet? Ich hatte gehofft sie würde uns auch die Ehre erweisen. Alida van de Burse, eine hübsche blonde Händlerin aus dem entfernten Flandern?“

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Re: Die Fesseln der Macht

Mo 16. Mai 2016, 17:32

Alida stand regungslos im Eingangsbereich des Raumes und musterte ohne mit der Wimper zu zucken wie sich der Unhold porträtieren ließ. Es fiel ihr schwer über so viel Dekadenz nicht die Nase zu rümpfen. Dort draußen begann die Schlacht, Menschen würden niedergemetzelt werden, Kainiten unter dem Angriff ihrer Feinde zu Asche zerfallen. Die Krieger marschierten auf Befehl der Obrigkeit der Drachen ihrer letzten Nacht, dem Ende ihrer endgültigen Existenz entgegen, und er stand hier und ließ ein Bild von sich in Siegerpose anfertigen. Wäre das hier nicht Andrej, einer der Obersten ihres Clans, sie hätte vor ihm ausgespuckt. Was er wohl getan hatte während seine Truppen die Mauern von Brügge schleiften, sein Kind sich einen Spaß daraus machte den Bewohnern mit einem Streich die Köpfe von den Schultern zu trennen?
Alida zwang sich den Gedanken zu verdrängen und sich auf das Hier und Jetzt zu konzentrieren. Mit der bestmöglichen Eleganz einer erfolgsverwöhnten italienischen Adeligen nahm sie auf dem einfachen Stuhl Platz. „Die Reise verlief den Umständen entsprechend erfolgreich. Danke der Nachfrage.“ Sie lächelte. „Signore Bellini ist ein vielbeschäftigter Mann und wie ihr sicherlich wisst hindern ihn die Amtsgeschäfte tatsächlich daran selbst zu erscheinen. Er kämpft als Prinz von Pisa als Drache auf recht einsamem Posten seit die Tsimiske Principessa Rosa De Angelis ihre Domäne Mailand an die Medici Toreador aus Florenz verloren hat. Dieses Schicksal plant er nicht zu teilen…“ Sie nickte einmal wohlwollend als wäre überhaupt der Gedanke daran Pisa an einen anderen Prinzen zu verlieren jenseits des Vorstellbaren. „Alida van de Burse ist mir bekannt. Vor vier Jahren kam es zu einem Treffen zwischen den Drachen aus Pisa und den damals in Genua weilenden Tsimiske Belinkov und van de Burse. Wir sind uns auf einem Maskenball in Venedig begegnet und ins Gespräch gekommen. Soweit mir bekannt unterstützt Belinkov unseren Großmeister Rustovich überwiegend mit finanziellen und materiellen Mitteln. Er unterhält geschäftliche Beziehungen mit Pisa.
Bezüglich Alida van de Burse vermag ich euch leider nicht viele Auskünfte zu geben, denn eine gemeinsame Reise hat es nicht gegeben. Ich hörte Gerüchte, dass es zu einem kleinen Scharmützel in einem Städtchen namens Baja gekommen sei, in dem sie verweilt haben soll, aber ihr wisst ja, wie das mit Gerüchten sein soll: Selbst tausend Gerüchte ergeben noch nicht unbedingt ein Körnchen Wahrheit.“
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Re: Die Fesseln der Macht

Di 17. Mai 2016, 21:47

Während Andrej die Worte langsam für sich zu bewerten und einzuschätzen schien, blieb sein erfreutes Lächeln weiterhin aufrecht. Offenbar gefiel ihm ihre eloquente und höfliche Ausdrucksweise sehr; war es doch in diesen Nächten ohnehin eher selten einen derart angenehmen Gesprächspartner zu finden, dem die Etikette noch etwas bedeutete. Der Krieg führt ja immer zu einer Art Verrohung, die man dem alten Unhold aber nicht anmerkte. Er zog es wohl offensichtlich vor sich der französischen Kunst und wenn man den Buchrücken in seinem Schrank glauben mochte, den Schriften des Aristoteles, zuzuwenden.
Gutmütig nickte er während sein Blick vom Gemälde hin zu ‚Alexandra Dimanetti‘ und ihrem dienstbeflissenen Seneschall und wieder zurück glitt. „Der Prinz von Pisa ist ein guter und loyaler Mann; einer der wenigen, die tatsächlich eine Stadt im Westen für sich alleine beanspruchen können. Man muss bedenken in welcher Gesellschaft er sich befindet; umgeben von Lasombra und den eingebildeten Gecken der Ventrue und Toreador. Ihr tut gut daran von ihm zu lernen, meine Liebe, aber wie ich feststelle…“ Er lächelte maliziös. „Tut ihr das bereits.“ Seine Arme auf dem Rücken verschränkend, kam er etwas näher zu den beiden Besuchern; gesellte sich aber nicht zu ihnen. Stattdessen warf er einen interessierten Blick zu Jeremiah und fuhr fort, ohne Alida dabei anzusehen. „Meister Belinkov ist wahrhaft ein Meister, allerdings nicht in den Dingen, die im so gerne von offizieller Seite zugeschrieben werden. Vielmehr übt er sich auf geradezu unvergleichliche am Formen von sterblichem und totem Fleisch. Seine finanzielle Unterstützung für unsere gerechte Sache, ist uns immer mehr als willkommen, doch ist dies nicht der eigentliche Grund, warum er diese lange Reise auf sich genommen hat, um heute hier bei uns sein zu können.“ Andrej begann ein paar verstreute Pergamentrollen auf dem Tisch zusammenzurollen, prüfte gelegentlich den Inhalt der Texte und klemmte sie sich recht formlos unter den Arm. „Was das Fräulein van de Burse angeht, empfinde ich großes Bedauern darüber, dass sie heute nicht bei uns sein kann. Ich bin überzeugt davon: Sie hätte wahrlich davon profitiert; in vielerlei Hinsicht aber ich kann verstehen, dass sie die gefährlichen Pfade nur ungern beschreitet. Bei unserem letzten Treffen haben wir uns zwar angeregt unterhalten, dennoch wurde ich mit einem 50-jährigen Bann belegt, der mich ihrer hübschen Stadt verwies. Es kann gut sein, dass mein kleiner Überfall vor ein paar Jahren ihr noch bitter aufstößt; ich kann es ihr nicht wirklich übelnehmen. Ich bin untröstlich darüber, dass sie meine wahren Beweggründe nie verstanden hat. Die Kinder heutzutage sind aber auch wirklich ungeduldig.“ Der Tzimisce lachte ein trockenes Lachen und schüttelte nur etwas seufzend gedankenverloren den Kopf.
Jeremiah lächelte sein höflichstes und untertänigstes Lächeln, das locker mit jenem von Bruder Levikus konkurrieren konnte, und fügt den Kopf gebeugt haltend hinzu. „Ihr, Großmeister Andrej, seid dem Prinzen von Pisa in seiner Stadt natürlich immer ganz besonders herzlich willkommen, er würde sich sehr darüber freuen, wenn ihr ihm die Ehre erweisen würdet.“
Andrej nickte nur und forderte die beiden auf ihm zu folgen. „Wollen wir? Ich nehme an ihr möchtet die anderen Teilnehmer dieses denkwürdigen Spektakels kennenlernen? Nun, es bleibt euch bedauerlicherweise nicht viel Anderes übrig, denn meine Anwesenheit wird im Sitzungssaal erwartet. Ich würdet euch in diesem zerklüfteten Steinhaufen ansonsten nur langweilen, es sei denn ihr mögt die griechischen Philosophen.“ Er lachte erneut; für ihn bestand natürlich kein Zweifel daran, dass der westliche Besuch den Heerführer der blutrünstigsten Armee kennenlernen wollte, die es jemals auf den Schlachtfeldern des dunklen Mittelalters gegeben hatte. Mit Ausnahme der Baali natürlich aber die waren schwerlich als ‚Armee‘ zu bezeichnen.
Alida nickte zu seinen Ausführungen. Während er über Belinkov und sie selbst, Alida van de Burse, sprach, atmete sie minimal ein. Eine Geste die höflich, aber dennoch minimales Desinteresse vermittelte, als wären solche Dinge für sie nicht weiter von Belang, doch sie sog jedes einzelne Wort ein. Als er davon sprach die Heerführer der Armeen der Unholde aufzusuchen, blickte sie rasch und mit erstaunt und zugleich erfreutem Gesichtsausdruck auf um sogleich das Haupt wieder demütig zu senken. „Ich hätte nie mit einer solchen Ehre zu einer so entscheidenden Stunde gerechnet, Großmeister Andrej.“ Abfällig sah sie zu Jeremiah hinab, obwohl er einige Zentimeter größer war als sie. „Bartholomäus? Geht nach draußen und warte dort auf mich. Oder lasst euch von einem der Wachen nach draußen geleiten, wenn ihr den Weg nicht alleine finden solltet.“ Leise, aber dennoch gut für alle vernehmbar, als würde sie einem Untergebenen etwas Offensichtliches erklären, fügte sie hinzu: „Dieser Moment gehört den Drachen!“ Sie betete innerlich, dass Andrej Jeremiah ziehen lassen würde. Was auch immer kommen mochte, so hatte wenigstens der Nosferatu noch eine Chance heil hier wieder heraus zu kommen.
Wenn er gekonnt hätte, so wäre ihm das Lächeln, welches für gewöhnlich recht breit ausfiel, im Gesicht erfroren aber um den Schein zu wahren und ja nicht aus der Rolle zu fallen, neigte auch Bartholomäus der Fromme, schweigsam und ehrerbietend den Kopf. Sie konnte sich förmlich vorstellen wie seine vor Speichel triefenden, schiefen Zähne unter anderen Umständen gearbeitet hätten. Es gefiel ihm ganz und gar nicht einfach hinfort geschickt zu werden, auch wenn sie es vielleicht zu seinem Besten meinen sollte. Schon wollte er zu einer Rückantwort ansetzen, verfiel aber lediglich in beinahe zu fröhliches Lächeln. „Ganz wie ihr wünscht, Mylady.“ Noch bevor er sich aber erheben konnte, hob Andrej eine Hand und schüttelte langsam den Kopf. „Ihr seid gewiss ein treuer und loyaler Diener, Bartholomäus, aber ihr werdet sicher verstehen, dass dieses Privileg ausnahmslos den Drachen vorbehalten ist. Fürst Rustovitch ist manchmal recht… aufbrausend und nur die Tatsache einen der seinen vor sich zu haben, rettete schon so machen den Kopf. Es ist also auch in eurem eigenen Interesse.“ Er griff ein Buch aus dem Regal und legte es dem Nosferatu in die Hände, bevor er nach den Wachen rief. „Die Tormentoren werden euch in die Aufenthaltsräume geleiten, wo ihr euch nach der langen Reise ausruhen könnt und ein wenig den Werken der alten Meister frönen mögt. Ich bin überzeugt davon, sie werden euch zusagen.“ Er legte ihm die Hand auf die Schulter und begleitete ihn zur Tür, wo zwei schwarz gerüstete Dementoren als Eskorte bereitstanden. Jeremiah verneigte sich noch ein letztes Mal in der Tür vor Alida und Andrej und während er sich wieder erhob, lag in seinem Gesicht eine unverkennbare Unsicherheit. Dann verschwanden er und die Wachen durch die steinernen Gänge. Wäre es das letzte Mal, dass sie den lachenden Mann zu Gesicht bekäme?

Andrej hingegen hielt Alida bei noch immer offener Tür galant die Hand hin und sobald sie diese ergriff, geleitete er sie zur Tür hinaus und schritt voran. Die Gänge waren zu schmal, als dass sie nebeneinander gehen könnten, wofür er sich auch mehrfach entschuldigte. Während dem Gehen erzählte er munter weiter. „Ja es ist schon eine Tragik mit den Tremere. Da haben sie unser Blut und sind doch kein bisschen schlauer. Es war ein langer und harter Krieg aber schlussendlich gehört dieses Land wieder seinen rechtmäßigen Besitzern. Allein die Scharmützel, die wir auszufechten hatten, all die Schrecken, all die Toten. Aber nun gut, jetzt ist dies alles ja vorbei.“ Mit diesen Worten kamen sie in einen größeren, ausgehöhlten Bereich, der einer steinerne Kaverne glich. An der rechten Seite waren große, massiv wirkende Doppelflügeltüren eingelassen worden, vor denen gleich vier Tormentoren Stellung bezogen hatten. Andrej ließ sich dadurch aber nicht lange aufhalten und nickte der Bewachung bestimmt zu, woraufhin diese die schweren Türen unter großer Anstrengung öffneten, sodass die beiden eintreten konnten. Der alte Tzimisce ließ ihr den Vortritt und lächelte freundlich. „Willkommen im Kreise der Familie, meine Liebe.“
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Sie schenkte ihm ein so dankbares Lächeln, wie sie es nur zustande brachte, das Lächeln einer italienischen Adeligen, der man ihren größten Wunsch erfüllt hatte. Sie musste sich bemühen, denn der Ausdruck schien mehr als ein Mal auf ihrem Gesicht gefrieren zu wollen.
Sie lauschte andächtig den Worten des russischen Fürsten als würde sie sich jedes Wort merken wollen um es als große Weisheit ihrem Erzeuger in Italien weiter geben zu können. Sie unterdrückte den Wunsch schwer zu schlucken. In was für eine Katastrophe hatte sie sich hinein manövriert? Alida hatte schon oft in ihrem Leben eine schlechte Entscheidung getroffen, aber noch nie hatte sie das Gefühl gehabt etwas so derart Falsches getan zu haben wie in diesem Augenblick.
Die Tormentoren verschlossen die Tür nachdem die beiden eingetreten waren, und der Klang des schweren, zentimeterdicken Steines hallte noch durch die kalten, Spinnweben verhangenen Korridore. Überall lag zerbrochenes herum; zerbrochene Fässer, Kisten, Rüstungen. Da gab es Sprünge im Stein, Kratzer und bröckelnden Putz und hie und da waren sogar ein paar winterfeste Pflanzen durch die Ritzen gekrochen. Der Schimmel sammelte sich in dicken, schwarzen Flecken auf dem feuchten, kalten Stein. Andrej, einer der Erzunholde dieser Nächte, schritt geruhsam voran als wäre in diesem Sammelsurium an Verfall und Zerstörung nichts weiter zu entdecken; außer vielleicht die gelegentliche Ehren- und Elitegarde von Rustovitch. Im Gründe hatten sie gerade das betreten, was man in dieser Ruine noch als Räumlichkeiten bezeichnen könnte. Andrej, der hochgewachsen, bleich und imposant erschien, bot ihr seinen Arm an und berührte diesen leicht. Sein Lächeln mit den spitzen Zähnen glänzte im Halbdunkeln der mit Fackeln spärlich erleuchteten Wände. Hie und da pfiff ein Windzug und ließ die Flammen flackern; ab und an hörte man das Scheppern einer metallenen Rüstung. Der Unhold tätschelte ihr beruhigend die Hand. „Habt keine Furcht, Mylady. Ihr seid unter euresgleichen und in der Heimat eurer Vorväter. Spürt ihr schon die Erhabenheit, die von diesem Ort ausgeht?“
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Alida ließ sich führen, was sollte sie auch sonst tun? Sie suchte nach den passenden Worten, die eine erwartungsvolle italienische Adelige in einem solchen Moment hervorstoßen würde, aber ihr fiel nicht das Rechte ein. So nickte sie schließlich einfach nur und antwortete „Dies ist der Ort, an dem die Geschichte unseres Clans neu geschrieben werden wird.“
Andrej lächelte nur versonnen und betrachtete Alida mit einer gewissen vorfreudigen Verzückung. Es war schon etwas Besonderes, wenn jemand ‚den Drachen‘ traf. So wurde er zumindest andernorts von vielen genannt. Nun, auch der berüchtigte Dracula trug diesen Namen gelegentlich. Drachen waren wohl einfach allgegenwärtig; hier in diesen Hallen, wohl sogar buchstäblich.



Als sie sich einem großen Torbogen näherten, der wiederum von den stummen, schwarzgerüsteten Wächtern flankiert wurde, kam ihnen schon ein unsicher wirkender junger Mann entgegen, der abwehrend die Hände hob.

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„Großmeister Andrej ich…“ Er blickte unsicher zu Alida. „Ich glaube das ist kein guter Zeitpunkt“, fuhr er fort obwohl er ganz sicher beabsichtigt hatte, seinen Satz anders zu vollenden.
„Was ist denn, Lugoj? Mylady Alexandra Dimanetti aus Pisa. Sie hat den langen Weg auf sich genommen um heute hier bei uns sein zu können, wo bleiben deine Manieren?“
Der angesprochene Mann verbeugte sich vor Alida und schluckte nach wie vor unsicher. „Es ist mir eine ganz besonders große Freude euch kennenzulernen, Mylady. Italien soll ja wirklich sehr... heiß sein…“
Andrej sah ihn mit einem Blick an, der Lucien mitsamt Leif und Gerrit aus den Stiefeln gerissen hätte. „Verzeiht ich… er hat gerade einen der Tormentoren halbiert und lässt sich nur schwer beruhigen.“ Andrej sah ihn unnachgiebig an. „Was immer er hier halbiert, das gibt dir noch nicht das Recht dich gegenüber unserem Gast ungebührlich zu verhalten. Entschuldige dich!“
Lugoj plapperte eine ungelenke Entschuldigung und sprach weiter auf Andrej ein, aber dieser rückte ihn nur zur Seite und betrat durch den Torbogen, gemeinsam mit Alida einen großen, steinernen Saal, welcher in der Mitte von hohen Säulen umgeben war und Platz bot für einen kreisrunden Ratstisch samt Gestühl. An den Säulen brannten Feuerschalen, die ein merkwürdig intensives Licht ausstrahlten. Es wirkte beinahe taghell. Alida hatte so etwas zuvor noch nie gesehen. Im Schatten der ‚Arena‘ standen noch immer starr die Tormentoren bei Waffe und blickten in die Leere. „Verzeiht Lugoj. Er ist ein unmündiger Vasall und rückgratloser Kretin. Wenden wir uns lieber erfreulichen Dingen zu.“ Damit machte er ein paar Schritte in die Richtung der Tafelrunde und Alida konnte die Gestalten mehrerer Personen ausmachen. Als sie nähertrat, konnte sie im Hintergrund erkennen, dass der Saal sich dort fortsetzte und die Sicht auf Ceoris freigab. Offensichtlich befanden sie sich in den Überresten des höchsten Turmzimmers; sie hatte gar nicht gemerkt, wie der Weg angestiegen war. Vermutlich hatte man die vielen Treppchen und Stufen geschickt angelegt um den Bewohnern ein wenig von ihrer Anstrengung zu nehmen. Draußen pfiff ein eisiger Schneewind, der immer wieder ein paar Flocken auch ins Innere des Saales ließ. Interessanterweise war es dennoch merkwürdig still, wo eigentlich das Pfeifen von Wind zuhören sein musste. Immerhin gab es Zugluft, das hatte Alida bemerken können. Andrej blieb stehen und legte die Hand an die Brust, machte eine tiefe Verbeugung. Mehrere Gestalten blickten in seine Richtung und fixierten ihn und seine Besucherin.

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Alida zögerte keine Sekunde ebenfalls in einen tiefen Knicks zu versinken. Sie senkte demütig das Haupt. Was um alles in der Welt ging hier vor? Seit wann ließ man erst vor wenigen Jahrzehnten gezeugte Kinder in Heeresbesprechungen?
Nachdem Alida sich verbeugt hatte, trat auch schon wieder ein recht verzweifelt wirkender Lugoj an ihre Seite, als ob er neben Andrejs Gestalt Schutz suchen wollte. „Großmeister Andrej und die Lady Alexandra Dimanetti aus dem fernen Pisa erweisen uns die...“
Andrej fegte seine versucht ehrwürdige Ankündigung mit einer Hand hinweg und trat, immer noch mit Alida am Arm, näher an die versammelten Drachen. Er verbeugte sich erneut und Alida konnte den unweigerlichen Geruch von frischem Blut erkennen, der in der Luft lag. Hinter der Tafelrunde lag die verstümmelte Leiche eines Tormentors, der buchstäblich zerrissen worden war. Offensichtlich hatten ihn seine Kameraden dort abgelegt, damit er die Herrschaften bis auf weiteres nicht stören würde.
„Was geht hier vor sich? Die Truppen wurden bereits in Bewegung gesetzt und marschieren auf die Festung an. Ich dachte der Plan sah vor noch auf die Szlachta unseres ehrenwerten Lambros zu warten, Voivode aller Voivoden?“
Dann sah sie ihn. Bleich war er und düster, gerüstet in den schwarzen Stahl einer polierten Rüstung; ähnlich jener der Tormentoren. Ein dunkler Bart und abgründige Augen starrten sie an; Vladimir Rustovich – Voivode der Voivoden, der Drache des Ostens, Heerführer der Tzimisce und Einer des Landes. Sein politisches Gewicht konnte sich nur mit den mächtigsten der Welt messen und er strahlte die Aura eines unweigerlichen Führers und Befehlshabers aus, dem man nicht zu widersprechen gedachte. Innerlich brodelnd, war Rustovich über eine Karte gebeugt und sein Ärger schien nach wie vor nicht verflogen zu sein. „Andrej, wie schön, dass du dich auch einmal von deinen Büchern losgesagt hast um uns hier mit deiner Gesellschaft zu erfreuen. Während du die Verwandtschaft aus dem Westen mit deinen zweifelsfrei erheiternden Geschichten bei Laune hältst haben wir hier ganz andere Probleme.“
Seine Faust fuhr auf den Tisch hernieder, der beinahe knirschte. Andrej sah zu Alida und tätschelte ihr nur den Arm. „Stellt euch bitte vor mein Kind, unser Heerführer vergisst sich manchmal.“

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Alida fiel erneut in den Knicks, der ihr in einem solchen Moment angemessen erschien. Sie senkte das Haupt und sah den Kriegsfürsten nicht an. In sich suchte sie irgendwo ihre Stimme… oder eher die Stimme der italienischen Gesandten. Mit dem festesten Klang und der größten Ehrerbietung zu der sie fähig war in der Stimme, brachte sie so gut sie konnte die Floskeln der Vorstellung hervor. „Alexandra Dimanetti, Kind des Pavlo Bellini, Prinz von Pisa.“
Sie war froh, dass wenigstens Jeremiah aus dieser Hölle entkommen war und sie hoffte inständig, er würde sich bei seinen Fähigkeiten jederzeit verdunkeln und vor zwei Tormentoren fliehen können.
Rustovich besah Alida einmal kurz von oben bis unten und nickte dann scheinbar zufrieden, wenngleich noch immer etwas ungehalten. Es mochte wohl nicht an ihr liegen, sondern ganz einfach daran, dass es Wichtigeres zu besprechen gab. Vladimir Rustovich wollte schon erneut ansetzen, da drehte sich Andrej langsam mit Alida im Kreis zu den jeweiligen Anwesenden. „Velya, der Häuter. Ein kundiger Former aber eigentlich liegt seine Meisterschaft in der Koldunik, der uralten Magie unseres Clans. Wenn ihr einmal wahre Macht sehen möchtet, wendet euch an ihn. Ich genieße unsere Gespräche jedes Mal und es vergeht keine Nacht, in der ich nicht wieder etwas Neues lernen kann.“ Er neigte sich etwas nach rechts und fixierte Lugoj. „Lugoj, ein fähiger Mann mit tadelloser Abstammung und gewiss ehrvollen Ambitionen. An seinen Manieren müssen wir allerdings noch arbeiten.“

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Lugoj verneigte sich lächelnd vor Alida und schien fast ein wenig traurig, dass der Unhold nicht mehr zu sagen wusste.
„Und ein ganz besonderer Ehrengast in dieser siegreichen Schlacht ist…“
Er wurde mit dem Donnern eines Fausthiebes auf den dröhnenden Tisch jäh unterbrochen.

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„Andrej, es ist genug. Sie wird genug Zeit haben sich mit jedem ausgiebig zu unterhalten, aber jetzt brauche ich deine Kenntnisse um das Wesen der geflügelten Monstren. Lambros ist in den Höhlen und bereitet sich vor, aber der Angriff kam unerwartet. Woher kommen nur all diese Gargylen? Wir haben die letzte vor Tagen verjagt? Was ist das Ziel dieses Angriffs oder dient es nur einer Ablenkung?“ Scheinbar waren es gar nicht allzu viele Drachen gewesen, die sich an jenem Abend in Vardenfell eingefunden hatten um direkt am Schlachtgetümmel teilhaben zu können. Vielleicht waren die meisten aber gar nicht erst dazu gekommen den großen Heerführer Rustovich persönlich zu sehen. Man konnte davon ausgehen, dass viele aufstrebende Drachen heute mit vollem Eifer die Soldaten befehligten und sich in die Schlacht stürzten. Eine besonders merkwürdige Gestalt aber hatte Andrej Alida nicht mehr vorstellen können. Der fremdartige Mann saß stumm auf seinem steinernen Thron und verfolgte ohne sich zu rühren den Wortwechsel.

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Der Unhold an ihrer Seite, deutete auf einen Stuhl an der Runde und forderte Alida auf, sich zu setzen. Im Anschluss trat er zu Andrej und besah sich den momentanen Schlachtaufbau. „Ich bin gleich wieder bei euch, meine Liebe“, sagte er ihr noch mit einem freundlichen Lächeln. So freundlich ein Andrej eben zu lächeln vermochte.

Währenddessen trat Lugoj an Alida heran und lächelte ebenfalls. „Es tut gut auch andere unseres Clans hier zu wissen. Meister Belinkov ist ebenfalls vor einiger Zeit eingetroffen. Was für ein Glück, dass wir einen so begabten Mann für unsere Kriegsmaschinen zur Hand haben. Womit verbringt ihr eure Nächte?“

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Alida schenkte ihm ein elegantes, wohlwollendes Lächeln. „Verzeiht meine Unhöflichkeit, Meister Logoj, ich würde mich nur zu gern auf ein interessantes Gespräch mit euch einlassen, aber der Voivode der Voivoden spricht.“ Sie zwinkerte ihm verschwörerisch zu. „Er hat in dieser Nacht sicherlich schon genug Gründe gehabt, den Untauglichen ihre Bestimmung aufzuzeigen.“ Ihr Blick wanderte zu dem abgeschlachteten Tormentor und sie war sich sicher, dass Logoj verstand.

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Lugoj wirkte mit einem Mal etwas ernüchtert; hatte er doch gerade noch ein recht harmloses Gespräch mit Alida beginnen wollen. Zwar hatte er seine Lautstärke etwas gedämpft um den Voivoden nicht zu stören und die beiden Unholde auf der gegenüberliegenden Seite des Tisches, sprachen ohnehin recht laut und energisch miteinander aber schlussendlich siegte doch wieder die Vernunft. Eine Vernunft, die ihm wohl erst durch Alida eingegeben wurde. Am Ende zählte es nicht mehr viel Tzimisce zu sein, wenn man Vladislav Rustovich verärgerte oder mit Belanglosigkeiten störte, jetzt da sich vor dem vermeintlichen Sieg noch ganz andere Probleme aufzutun schienen. Lugoj nickte knapp und schluckte etwas; murmelt ein sehr sachtes ‚Verzeiht… wie recht ihr doch habt‘ und wandte den Blick in Richtung des toten Tormentors.
In der Zwischenzeit hatten sich Andrej und Vladimir etwas über die Lage ausgetauscht. Die Gargylen mussten von irgendwoher gekommen sein aber es machte gar nicht den Eindruck, als ob die Tremere hier ein letztes Aufgebot ihrer steinernen Krieger ins Feld führen wollten.
„Ich verstehe das nicht“, führte Rustovich aus. „Sie greifen uns bereits jetzt auf offener Fläche an, was für eine Dummheit! Warum warten sie nicht auf den Steilpass wo wir keine Möglichkeit haben auszuweichen?“
Andrej zupfte sich nachdenklich am Bart. „Da mag es nur eine Erklärung geben: Sie sind nicht darauf aus uns zu töten, sie wollen sich Zeit erkaufen. Je früher sie uns abbremsen desto mehr Zeit haben sie für…“
Der Voivode starrte ihn missmutig an. „Für was Andrej? Für was mehr Zeit? Um den Hexern den Rückzug zu decken? Wohin sollten sie jetzt noch fliehen wollen? Was ist so wichtig?“
Die schweigende Gestalt auf dem steinernen Thron senkte die ihren Kopf stützende Hand und hob fast nicht wahrnehmbar das Haupt, das hinter der knöchernen Maske samt Helm verborgen lag.
Unvermittelt betrat ein Tormentor den Raum und verbeugte sich. „Ein Bote mein Fürst, aus den Bruthöhlen.“ Energisch hob Rustovich die Hand. „Endlich, das wurde aber auch Zeit. Herein mit dem Mann und wehe, es ist schlechte Kunde.“

Re: Die Fesseln der Macht

Do 19. Mai 2016, 18:52

Nach der etwas ungelenken Verbeugung des Tormentors, wich dieser zur Seite um einen recht zerlumpten und unterernährten Mann hereinzulassen, dessen Kleidung kaum Schutz vor der Kälte bieten mochte. Er kroch viel eher in den Raum, als das er ging; den Blick stets zu Boden haltend und nur manchmal aufsehend, um ein Gefühl für die Richtung zu bekommen. Es war wohl unverkennbar ein Ghul, der hier im Auftrag seines Herrn dem Drachen aller Drachen eine Nachricht überbrachte. Rustovichs Züge hellten sich bei seinem Anblick nicht gerade auf und etwas missmutig betrachtete er die Überreste dieses sterblichen Etwas, die sich in höflicher Ergebenheit bemühten. Unter gewöhnlichen Umständen, hätte man genau eine derartige Demut erwartet doch Rustovich schien ungeduldig, überwand die letzten Meter noch selbst in seiner rasselnden, pechschwarzen Rüstung und riss dem Mann ein Stück gefaltetes Papier aus der Hand, das dieser vor lauter Zittern beinahe fallen gelassen hätte. Andrej sah kurz zu Alida und da war etwas in seinen Augen, das nur schwer für sie auszumachen war. Sorge? Gar eine Spur von… Furcht? Vladimir Rustovich indessen, beachtete den Diener nicht mehr sondern glättete in eiliger Geschwindigkeit die Kanten und überflog die krakeligen Zeilen.

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Andrej im Hintergrund machte ein paar Schritte in Richtung des Ahnen und faltete nun seinerseits die Hände. „Was hat Lambros zu berichten, ich dachte die Vorbereitungen wären in vollem Gange?“ Dann erlebte Alida etwas, das sie ihren Lebtag nicht vergessen würde. Rustovich ließ in atemberaubender Geschwindigkeit seine in einem Panzerhandschuh steckende Hand wie beiläufig gegen den Kopf des Untergebenen fahren, wie eine simple Ohrfeige. Das harte Brechen des Genicks des Mannes, klang wie ein dicker, morscher Ast über den der kleine Hendrik bei seinen nächtlichen Streifzügen getreten war. Wie ein Sack klappte der Tot vornüber und schlug mit dem verdrehten Kopf auf die kalten Fliesen auf. Niemand rührte sich aber es war jedem klar dass der Voivode außer sich war. Mit hastigen Schritten kam er auf Andrej zu und drückte ihm in bebendem Zorn die Nachricht in die Hand. Andrej versuchte die Conti Nuance zu wahren und ergriff das zerknüllte Papier, überflog die Zeilen. Während Rustovich sich zurück an seine Karte begab und vorgebeugt die Hände auf die Karte stützte; die Teilnehmer der Versammlung knurrend ansah. Andrej wandte sich an die Gruppe und las vor. „Lambros hat offenbar die Hintergründe unseres guten Meisters Belinkov etwas durchleuchtet und musste dabei feststellen, dass er nicht derjenige ist, der er vorgibt zu sein. Zumindest dieser Mann in den Bruthöhlen ist es nicht. Vielmehr ist er der Annahme, es handle sich um Emilian Victorovich, den Sohn des Verräters.“ Rustovich hämmerte auf den Tisch, der abermals fast barst. „Und das in meiner eigenen Festung, in meinem eigenen Heerlager, direkt vor meinen, nein.. unser aller Augen! Und du warst noch begeistert von seinen Fähigkeiten Andrej, hast ihn gelobt und emporgehoben, dabei ist er nichts anderes als ein Verräter.“ Andrej hob abwehrend die Hände. „Vladimir, dieser Mann ist eine Koryphäe in seinem Gebiet, du findest nirgendwo anders jemanden der dir dein großes Siegesprojekt…“ Der Drache unterbrach ihn fauchend. „Niemanden? Wofür ist das Lambros hier? Was soll dieser ganze Unsinn? Der Verrätersohn mitten unter uns und dann auch noch zum denkbar ungünstigsten Zeitpunkt. Wahrscheinlich plant er ein Attentat auf mich.“ Andrej schmunzelte leicht obwohl es nicht angebracht war. „Vladimir, der Mann ist an deinem Projekt beschäftigt und hat bisher nichts getan, das irgendwie auf Verrat hindeuten könnte, es gibt sicher…“ Die Faust fuhr wieder herab.

„Lächerlich! Was immer er ist, wir werden schon noch die Wahrheit aus ihm herausbekommen. Ich vertraue Lambros, er hat mich noch niemals enttäuscht. Diesen Belinkov kenne ich nur als jemanden, der öfter im Westen als im Osten anzutreffen ist. Hat er nicht auch dieser Hure in Flandern einen Besuch abgestattet?“ Andrej wollte etwas sagen aber nochmals fuhr die Faust herab. „Genug! Ich habe keine Zeit für solcherlei Dinge. Nehmt den Mann unverzüglich fest und legt ihn in die stärksten Ketten, welche unsere Schmieden ausspucken. Beim Ältesten, wenn er ist wofür Lambros ihn hält werde ich heute Nacht zwei große Ärgernisse auf einmal los.“ Mit einer Handbewegung, holte er einen Tormentor zu sich. „Holt einen dieser stammelnden Diener und schickt ihn in die Bruthöhlen; lasst Lambros informieren, das wir ihm Unterstützung zukommen lassen. Sobald der Diener die Höhlen wieder verlassen hat, schickt ihr einen Zug Gardisten hinein. Und dann nagelt diesen Bastard fest. Buchstäblich, hast du das verstanden?“ Der Tormentor nickte nur und eilte davon.

Re: Die Fesseln der Macht

Fr 20. Mai 2016, 19:53

Alida hatte das Gefühl zu schwanken, als würde ihr der Boden mit einer einzigen grausamen Bewegung unter den Füßen weggezogen. Mit allergrößter Mühe gelang es ihr nicht mit der Wimper zu zucken oder zurück zu weichen. Ihr gleichmütiger Gesichtsausdruck blieb wie eine der undurchschaubaren venezianischen Masken bestehen.
Das, was sie in all den Jahrhunderten gefürchtet hatte, war geschehen: Man hatte von der wahren Existenz ihres Erzeugers erfahren.
Emilian war ein Meister darin geworden sich eine lückenlose, perfekte Tarnidentität aufzubauen, die all die Jahrhunderte keine Fragen aufwarf. Belinkov galt als linientreuer Tsimiske, Unterstützer der Belange der Drachen, investierte Geld und Material in einen Kampf, der weit jenseits seiner eigenen Heimat stattfand. Er hatte Geschäftspartner und Verbündete gefunden und in deren Namen sogar Alida aufgefordert, sich deren Sache anzuschließen und Brügge unter die Herrschaft der Unholde zu stellen. Sein Ruf war bisher zwar der eines leichten Exzentrikers, da er seine Schlachten lieber mit Geld und Intrigen statt mit Burgen und Schwertern schlug, aber dennoch der eines tadellosen Tsimiske.
Nun drohte alles wie ein Kartenhaus zusammen zu fallen… war wahrscheinlich längst zerbrochen. Es gab nur ein Verbrechen, dessen sich Emilian Victorovich in Rustovichs Augen schuldig gemacht hatte und das war die Tatsache seiner Existenz. Da sein Vater, ein Voivode der Drachen, sich entschlossen hatte sein eigenes Fleisch und Blut in die Dunkelheit zu holen statt einem unbesiegten Heerführer den Kuss zu schenken, war damals eine der wichtigsten Schlachten verloren worden und man gab Victor die alleinige Schuld daran.
Der rotblonde Mann war schon seit unzählbaren Jahren vernichtet und Alida hatte sich im Nachhinein oft gefragt, wie ein so mächtiger Kainit der sechsten Generation so einfach hatte hingerichtet werden können, aber Emilian lebte weiter und seine bloße Existenz war eine Erinnerung an die Schmach und Schande, die die Tsimiske damals, in der Stunde ihrer Niederlage, erdulden mussten.
Alida wusste, in all den Jahren in denen er als Sergej Belinkov agierte, langsam die Aufmerksamkeit der Oberen des Clans auf sich zog, war es ihm eigentlich doch nur um eines gegangen: darum, das Ansehen seiner Familie wieder rein zu waschen, zu beweisen, dass er kein Verräter sondern ein wertvoller, treuer Verbündeter des Ostens war.
Sie schloss für einen Moment die Augen. Egal, was er getan und unternommen hatte: es war gleichgültig. Rustovich würde in ihm immer nur einen Verräter sehen und was immer Emilian zustande gebracht hatte, es wäre in seinen Augen nur ein Werk der Heimtücke zur Schwächung des Voivoden der Voivoden und seiner Anhänger.
Alida hatte wie erstarrt zugehört wie Rustovich seine Befehle hervorstieß. Kurz schloss sie die Augen, suchte in ihrem Inneren nach dem letzten bisschen Mut, das sie aufbringen konnte, dann trat sie einen Schritt nach vorne. Ihre Stimme war fest als sie den Heerführer der gigantischen Armeen der Unholde kurz ansah um sogleich wieder demütig den Blick abzuwenden. „Verzeiht, Meister Rustovich, Voivode der Voivoden, dass ich die Dreistigkeit besitze in dieser Runde zu sprechen.“ Sie wartete zwei Sekunden ob Rustovich ihr ins Wort fallen oder sie gleich, ohne mit der Wimper zu zucken, enthaupten würde, aber als dies nicht geschah, redete sie mit einer Selbstbestimmtheit weiter, die sie eigentlich nicht besaß. „Als Kind des Pavlo Bellini, Prinz von Pisa, war ich in den letzten Jahren mit der Organisation der geschäftlichen Treffen meines Herrn und Erzeugers betraut und in diesem Rahmen auch bei manchen Besprechungen zwischen dem Prinzen von Pisa und Sergej Belinkov zugegen. Ich besitze Kenntnis über manches geschäftliche Detail, das nur den beiden Beteiligten vertraut ist. Sofern ihr wünscht, stelle ich mein Wissen zur Überführung eines schändlichen Verräters in eure Dienste. Es wäre mir eine Ehre, dabei helfen zu können einen ruchlosen Abtrünnigen, der sich als Belinkov ausgibt, überführen zu können.“
Es wurde mit einem Mal wieder recht still im Raum, keiner wagte es den Fürsten noch weiter zu verärgern oder mit Fragen und Anmerkungen zu bedrängen. Rustovich hatte gerade wirklich keine gute Nacht hinter sich und musste sich wohl seiner Meinung nach mit so unwürdigen Nebensächlichkeiten wie Verrätern und Spionen herumärgern. Dabei war der Endsieg zum Greifen nahe; er musste nur noch die Hand nach Ceoris ausstrecken und es sich nehmen wie einen reifen Apfel.
Langsam glitt sein Kopf von der Karte nach oben und fixierte Alida; schwieg eisern. Der Moment zog sich eine gefühlte Ewigkeit lang hin, als der Drache der Drachen sie einfach nur anstarrte und noch war nicht klar, ob sie gleich in Teilen zerhackt am Boden liegen oder er ihr Angebot sogar überraschend annehmen würde.
Schließlich nickte er langsam und seinen dunklen Augen funkelten. „Einverstanden, eure Kenntnis bezüglich Meister Belinkov wird uns Aufschluss darüber geben mit wem wir es in Wahrheit zu tun haben.“ Sein Blick glitt hinüber zu Velya. „Aber zunächst würde ich dich bitten, mein lieber Freund, einen kurzen Blick auf unseren reizenden Gast zu werfen. Ich bin zwar überzeugt, dass unser Andrej hier für gewöhnlich einen scharfsinnigen Verstand und hervorragende Intelligenz sein eigen nennt, aber unter Umständen hat man ihn bereits ein zweites Mal schwer getäuscht. Wir wollen nur völlig sicher gehen…“

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Eine Augenbraue glitt in Andrejs Gesicht nach oben und es war ohne Frage klar, dass dies im Grunde nur eine Demütigung vor allen anderen Tzimisce war, die der Ahn an Alidas Seite wegstecken musste. Andrej wollte schon zu einer Rückantwort ansetzen, als ein Beben durch das Schloss fuhr. Sand und Staub rieselten von der Decke und der Boden vibrierte.
„Was zur Hölle ist das?“, fragte Rustovich mit hervorspringenden Fangzähnen.
Ein Tormentor bog hastig ums Eck und rief etwas metallen und außer Atem: „Gargylen. Sie tragen Felsbrocken von den brüchigen Felsen hierher und benutzen sie als Geschosse.“
Rustovichs Faust fuhr erneut hernieder. „Teufel auch, der Turm ist verwundbar. Diese elenden Biester!“ Er hechtete an Andrej vorbei und zeigte dabei harsch mit einem Finger auf Alida, doch Andrej kam ihm bereits zuvor. „Du wirst Velya und seine Künste brauchen, Vladimir, ich lasse sie in eine Zelle bringen bis sich die Lage beruhigt hat. Danach werden sowohl Velya als auch du genügend Zeit haben; ich selbst werde mich auch noch einmal überzeugen.“
Vladimir deutete Velya an ihm zu folgen; Lugoj tat es ihm gleich. „Wir haben immer noch Krieg. All diese Dinge könnten zu keinem ungünstigeren Zeitpunkt passieren. Schaff sie hier weg.“ Damit eilte er begleitet von Velya und Lugoj davon, einige Tormentoren folgten ihm in schweren Rüstungen. Andrej indessen legte Alida die Hände auf die Schulter und führte sie rasch weiter, zwei Tormentoren gesellten sich zu ihnen und dienten als Eskorte.

Mit gedämpfter Stimme, sprach er zu ihr während er sich hastig durch die dunklen Ruinengänge führte. Sie stellte fest, dass es recht zügig bergab ging. Draußen hörte man immer noch ein Donnern und gelegentlich bröckelte erneut Verputz von der Decke. Andrejs Stimme an ihrem Ohr war kaum mehr als ein Zischen. „Ihr habt Mut. mein Kind, das muss ich euch lassen, aber ihr hättet euch keinen schlechteren Zeitpunkt aussuchen können.“
Alida blieb keine andere Wahl als sich durch die Gänge führen zu lassen. Sie hatte sich selbst in diese Situation manövriert und ihr war bewusst, dass die Wahrscheinlichkeit hier je in einem Stück wieder heraus zu kommen mehr als gering waren. Dennoch blieb ihr vorerst nichts anderes übrig als ihre Rolle weiter zu spielen. „Verzeiht, Meister Andrej. Es war eine unerhörte Dreistigkeit meine Stimme in Anwesenheit der Obersten unseres Clans zu erheben.“
Andrej schüttelte nur den Kopf und ging mit ihr weiter die Gänge entlang. Seine gedämpfte Stimme an ihrem Ohr hatte etwas zutiefst Bedauerndes. „Wir beiden wissen ganz genau, dass ihr nicht die seid, für die ihr euch ausgebt, Verehrteste. Allerdings ist dies kein guter Zeitpunkt für eine Familienzusammenkunft.“ Der Gang bog schräg nach rechts ab und mittlerweile waren nur noch alle fünf Meter Feuerschalen oder Fackeln an der Wand angebracht, die die nackten Felsen in dumpfes Licht tauchten. Ihre Schritte knirschten auf brüchigen Platten und Sand.
„Ich hätte wissen müssen, dass ihr euren verehrten Herrn Belinkov nicht alleine ziehen lassen würdet.“ Alida war der Mund offen stehen geblieben als sie die Worte des Tzimiske in ihren Ohren vernahm. Nur die Tatsache, dass sie als erste durch die dunklen Gänge wanderte, verhinderte, dass ihr Gesicht sie verriet.
Sie kamen an eine dicke Holztür mit verschließbarem Sichtfenster vor der ein Tormentor Wache bezogen hatte. Er stand stramm als die Eskorte mit Andrej und Alida nähertrat und öffnete ungefragt die Tür. Drinnen stank es überraschenderweise nicht; was wohl nicht zuletzt an der Kälte liegen musste. Eine recht gewöhnliche Gefängniszelle, die am Ende des Ganges lag, erwartete sie. Drei Gefangene passten in dieses fensterlose Verließ, wenn man jedem einzelnen eine Zelle zugestand. Andrej ließ die Zelle öffnen und hieß die Wachen vor der Tür zu warten, führte Alida dann hinein. Außer einer Pritsche und einem Eimer mit Wasser, etwas Stroh und ein paar menschlicher Knochen, befand sich darin nichts. Als die Wachen auf Andrejs Geheiß vor der Tür Position bezogen hatten, sah er die Brüggerin erneut kopfschüttelnd an. „Ihr hasst den Osten mehr als alles andere, warum diese Reise, Alida? Seid ihr euch der Gefahr bewusst, in die ihr euch gebracht habt, meine Liebe?“
Andrej machte eine schnelle Handbewegung, als er die Unsicherheit in ihren Augen erkannte. "Die Wachen wagen es nicht zu lauschen, sie würden ihren Kopf verlieren. Die Tormentoren Garde wurde nur zu einem Zwecke ins Leben gerufen: dem Schutz und der Verteidigung des Voivoden der Voivoden. Ihr könnt frei sprechen."
Andrejs Bemerkungen waren fast genauso verstörend für sie wie zuvor Rustovichs Ankündigung. Sie biss sich auf die Unterlippe und brauchte einen Moment um sich zu fassen. „Woran habt ihr mich erkannt? Meine mangelnden fleischformerischen Künste? Mein eher genuesisches statt pisanesisches Italienisch? Oder seid ihr mit Alexandra Dimanetti vertrauter als ich hätte ahnen können?“
Andrej setzte sich seufzend auf die knarrende Pritsche und ließ den Blick über die etwas angeschimmelte, kalte Decke gleiten. „Kein Ort an dem man sich länger aufhalten möchte. Feucht, zugig und der Komfort lässt eindeutig zu wünschen übrig. Immerhin, die Funktion dieses Gefängnisses wurde damit zufriedenstellend erfüllt. Ich denke, selbst Flandern hat gemütlichere Ecken zu bieten als die verschneiten Gipfel der Karpaten.“ Er deutete mit einer Hand auf die leere Stelle neben sich auf der Holzpritsche und forderte sie damit eindeutig auf, sich zu ihm zu setzen. Die Beine leicht überschlagend und seine bleichen Hände faltend, wirkte er fast wie ein gönnerhafter Vater, der ruhig und abwartend auf die Reaktion seines ungezogenen Kindes wartete. Selbst in dieser kalten, modrigen Zelle, war Andrej ein fremdartiger Ahnherr mit tadellosen Manieren. „Wir hatten bereits das Vergnügen uns länger miteinander zu unterhalten, mein Kind, dabei bekam ich ein rundum eindrückliches Bild von euch. Sowohl was eure Persönlichkeit, als auch eure Ziele und Werte betrifft; nicht zuletzt auch die kleinen, feinen Details eures liebreizenden Äußeren.“ Sachte verhalten lachte der Unhold etwas beschämt vergnügt. „Abgesehen davon bin ich über Eure Anwesenheit völlig im Bilde gewesen, seit dem Moment da ihr einen Fuß auf östlichen Boden gesetzt habt. Ich hatte ja nicht erwartet, dass ihr es tatsächlich wagen würdet, aber nun seid ihr hier.“ Seufzend sah er sich kopfschüttelnd um. „Hier…“, wiederholte er bedauernd.

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„Wie?“ War das einzige, das Alida in diesem Moment hervorbrachte.
Andrej sah Alida sehr lange und durchdringend an, bevor er sich zu einer Antwort hinreißen ließ. Schlussendlich verengten sich seine Augen nachdenklich. „Es war abzusehen, dass ihr eurem Erzeuger hinterherreisen würdet; zumindest hatte ich den starken Verdacht, ihr würdet es tun. Meinen Informationen zufolge, habt ihr gute Kontakte zur Wiedergängerfamilie unseres geschätzten Sergej. Es war nur eine Frage der Zeit, bis sich irgendwoher eine Information zu euch hindurchkämpfen würde. Zeit ist es auch, die dabei den entscheidenden Faktor spielte. Offenbar erreichte euch die Kunde noch rechtzeitig, um euch daraufhin stur und unüberlegt wie ihr seid auf den Weg zu machen. Dabei sollte doch nichts nach außen dringen…“ Der Unhold lächelte fast sanft.
Alida schüttelte ungläubig den Kopf. Sie verstand nichts und die Worte des Unholdes machten es in keinster Weise einfacher. Zögernd nahm sie am anderen Ende der Pritsche in gebührendem Abstand Platz. „Ich bin hier und ich habe meine unüberlegten, sturen Gründe, wie ihr euch sicher denken könnt.“ Sie schwieg einige Zeit. Hatte der Mann, der ihr gegenübersaß, Emilian mit falschen Versprechungen in den Osten gelockt um ihn hier Rustovich ausliefern zu können? Wenn, warum hätte er es dann bisher noch nicht getan? Um sie auch noch in die Finger bekommen zu können? Falls ja, dann war es ihm gelungen…
Sie massierte ihre Daumen in den verschränkten Händen. Ihre Stimme war eisig als sie weitersprach. „Ihr habt Erfolg gehabt, Andrej. Ich gratuliere. Ihr habt bewiesen: Um seine vermeintlichen Feinde zu besiegen benötigt man keine Armeen, Kuldunik oder Voivoden: Belinkov ist hier… ich bin hier. Rustovich wird euch sehr dankbar sein.“
Der Erzunhold, der einstmals die Unterstützung aus Söldnern, Freischärlern und ungarischen Soldaten, zusammen mit einigen abscheulichen, fleischgeformten Kreaturen gegen Brügge entsandt hatte, ließ die Mundwinkel wieder ein Stück weit sinken. Fast schien er ein wenig enttäuscht von Alida und ihrer eisigen Wortwahl. Aber wer konnte es ihr schon verdenken? Sie saß hier in einer schimmligen Zelle und würde bald genauer in Augenschein genommen werden. Es stand wohl außer Frage, dass in Zusammenarbeit mit Andrej und Velya keine Fleischkunst der Welt sie vor einer Enttarnung schützen könnte. Zudem war gerade ein Geschwader Elitesoldaten zu Emilian unterwegs, die ihn festsetzen sollten, damit ihn Rustovich beizeiten wohl noch selbst hinrichten konnte.
Der Unhold sah wieder etwas an die Decke und lehnte sich ein Stück zurück. „Wusstet ihr, das die Szlachta und Voidz, die euch in der Schlacht um Brügge begegneten, nicht meine Werke sind? Ich habe sehr viel Zeit mit den Formern unseres Clans verbracht und verschiedenen Individuen und Meister dort kennengelernt. Lambros ist ein solcher Meister des Formens und hat mir für ein paar Zugeständnisse ein paar seiner interessanteren Kreationen überlassen; für die Schlacht natürlich.“ Er sah sie von der Seite an. „Allesamt wurden sie von euch vernichtet. Nicht eine überlebte; das hat mich ein Vermögen gekostet, allerdings handelte es sich bei diesem Vermögen um keine glitzernden Goldmünzen. Stets habe ich mich gefragt, wie eine solche Niederlage möglich ist und warum mein Kind Volgar euch so sehr unterlegen war…“ Der Unhold erhob sich langsam und machte einige Schritte auf die Zellentür zu, verließ diese und schloss hinter Alida ab. Im Gegensatz zum Rest der Zelle hätte man noch ein paar gute Jährchen Zeit bis sich die Feuchtigkeit in die Gitterstäbe gefressen hatte; die Zelle sah stabil aus. Er verschränkte die Arme hinter dem Rücken und lächelte. „Euer Erscheinen war demnach wohl unumgänglich, Tochter der Drachen. Ich glaube ihr seid euch eurer Rolle in diesem ganzen Spektakel noch nicht ganz bewusst und was meine Rolle angeht…“ Er schmunzelte. „So habt ihr nie verstanden, warum ich vor so vielen Jahren respektvoll an eure Tür klopfte und um Einlass bat, selbst dann als ihr meine Armeen vernichtet und mein Kinder erschlagen hattet. Ihr werdet feststellen, Alida van de Burse, dass wir uns ähnlicher sind, als ihr auf den ersten Blick zu glauben meint.“ Mit leichten Schritten verließ er das Gefängnis. „Velya wird bald hier sein und ich fürchte er wird seinem Beinamen ganze Ehre machen.“ Dann fiel die Gefängnistür wieder ins Schloss und Alida war allein mit sich, schimmligen Stein und ihren düsteren Gedanken.
Alida erhob sich als er hinausschritt. Kein einziges seiner Worte hatte ihr irgendeine Antwort gegeben sondern nur weitere Rätsel gebracht. Mit den Fingern berührte sie die eisernen, kalten Gitterstäbe um sie sofort wieder sinken zu lassen. „Beantwortet mir eine letzte Frage bevor ihr geht, denn ich vermute, das wird wohl eines der letzten Gespräche sein, die ich führen werde!“ Sie hielt eine Sekunde inne. „Warum?“
Andrej hielt in seiner Bewegung inne und sah Alida erneut lange und interessiert an; trat dann ein letztes Mal an die Gitterstäbe heran. „Ganz einfach: Vladimir Rustovich hat den gesamten Osten geeint und obwohl viele Fürsten und Grafen sich noch während dieses großen Augenblicks zähneknirschend seiner taktischen Brillanz und seinem strategischen Geschick als Feldherr unterordnen, gibt es niemanden, der das vor ihm gemeistert hat. Er hat alle Hindernisse überwunden, ja selbst die Wolflinge aus unseren Landen vertrieben. Eine Sache allerdings hat ihn sein Unleben lang verfolgt – die eigene Familie. Wie kann ein so großartiger Feldherr von sich behaupten seines Namens würdig zu sein, wenn er zwar die halbe Welt für seine Sache gewinnt und unterwirft, aber an der eigenen Familie scheitert?“ Andrej lächelte. „Er kann es eben nicht und genau aus diesem Grunde hat er seinen treuen Berater – mich.“ Er wandte sich wieder von den Stäben ab und verließ die Kammern; ein letztes Mal drehte er sich noch zu ihr um bevor die Tür ins Schloss fiel. „Es gibt da leider noch eine Kleinigkeit, die getan werden muss und ich versichere euch, die Umstände sind mir mehr als unangenehm. Ihr seid eine Tsimiske und so bezieht ihr eure Kraft aus eurer Heimaterde. Es gibt keine effizientere Art und Weise einen Drachen an der Flucht zu hindern als ihm diese zu nehmen. Man würde mir unverzeihliche Nachlässigkeit unterstellen, wenn ich dies hier nicht täte.“ Andrej schnipste mit den Fingern um die Aufmerksamkeit der beiden Tormentoren zu erlangen und deutete auf Alida. „Durchsucht sie!“ Schweres Scheppern war zu vernehmen als die beiden Krieger herantraten. Obwohl ihre Hände in metallenen Kettenhandschuhen steckten, waren ihre Bewegungen fest und routiniert. In weniger als einer halben Minute hatten sie Alidas Schwert und den Dolch sowie ihren Bogen an sich genommen und die Waffen an Andrej überreicht. Dann fanden sie das, was sie eigentlich suchten.

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Andrej nickte ihnen zu. „Öffnen!“ Der Größere der beiden Tormentoren gehorchte und zog die Schnur, die den Beutel zusammen gehalten hatte, fort. Dunkelbraune, tonhaltige Erde war zu erkennen, durchsetzt mit weißen Blütenblättern und einigen anderen getrockneten Zweigen. Alida roch für einen winzigen Augenblick Minze und Flieder. Der Unhold besah die Erde und erblickte plötzlich den kleinen blutroten Stein, der zuoberst lag. Er streckte die Finger danach aus und hielt ihn in das schwache Licht der Fackeln. „Sehr hübsch. Zwar keine Erde aber, ich bin mir sicher, für euch mit Sicherheit nicht minder bedeutsam.“

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Er legte ihn zurück und der Tormentor verschloss die Lederschnüre wieder. Der Diener händigte den kleinen Beutel an den Unhold aus, schloss dann die quietschende Zellentür hinter sich und trat erneut auf seine Position neben den anderen Wachen um dort wie eine unverrückbare Statue zu verharren.
Andrej sah Alida ein letztes Mal an. „Oh, ich bin davon überzeugt, dass wir uns noch sehr viel und sehr angeregt unterhalten werden. Zumindest hoffe ich es doch sehr, allerdings…“ Seine Augen glitten abermals über das düstere Verließ. „.. ich kann niemanden an der Hand führen oder den holprigen Weg hinweg tragen, den er zu beschreiten hat. Wie ich bereits auch zu eurem Erzeuger sagte: Alles was ich tun kann, ist eine Tür zu öffnen.“ Dann war er verschwunden und das einzige Geräusch in Alidas Gefängnis, war das beständige Tropfen von Wasser. Selbst das Beben rund um den Turm und die Ruine hatte wieder aufgehört.

Re: Die Fesseln der Macht

Sa 21. Mai 2016, 19:52

Alida bemerkte eine Bewegung in der Dunkelheit der ersten Zelle, an der sie vorbeigeschritten waren. Irgendwie sah es aus wie ein großer brauner Berg aber nachdem sich ihre Augen ein wenig an die kalte Finsternis des Lichts einer einzigen Fackel im Raum gewöhnt hatten, erkannte sie die Gestalt eines in Decken gehüllten Mann, die sich aus dem kargen Stroh der hinteren Ecke des Raumes löste. Er summte eine altertümliche, traurige Weise, die nicht in der Sprache Andrejs oder Alidas, sondern in Englisch gehalten war.



Der Mann war alt, hustete zwischen den Zeilen der bitteren Weise als würden die letzten Fetzen seiner bröckligen Lunge mit jedem einzelnen Atemzug mit den kleinen Atemwolken zusammen ausgehustet werden. Auf seinem verfilzten Umhang war das Emblem eines Löwen zu erkennen.

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Alida trat näher an den Alten heran, sah ihn an und stieß ein trauriges Lachen aus. „Was hat einen Mann wie euch zu dieser Stunde hierher verschlagen, Ritter?“
Nachdem er ein paar Zeilen gesungen hatte, brach der alte Mann in rasselndes Husten aus. Offenbar hatte ihm die Kälte mittlerweile eine Lungenentzündung beschert. Sie konnte sich zwar nicht sicher sein, aber es schien fast als habe er die ganze Zeit zusammengekauert in der Ecke geschlafen und selbst wenn er etwas von ihrem Gespräch mitbekommen hatte; schien er nicht so als ob er die nächsten Nächte überleben würde. Das machte das Alter, die Krankheit und seine Konstitution. Er versuchte sich an einem Lächeln. "Oh, verzeiht mir ich habe gar nicht bemerkt, dass ihr hier seid. Dieser beinahe lichtlose Raum lässt einen ab und an die Zeit vergessen; ich weiß nicht einmal wie spät es ist." Er versuchte sich zu erheben, hustete und verbeugte sich. "Verzeiht mein unsittliches Benehmen und meinen Aufzug, Mylady. Ich bin Ser Ian Eglamore, Ritter des Duke of Wessex und im Auftrag seiner Eminenz des Bischofs von Shiring unterwegs. Man bat mich in Ungarn ein paar Nachforschungen anzustellen über den Verbleib einiger unserer tapfersten Ritter und dann..." Er schüttelte den Kopf. "Es ist Teufelswerk, was hier passiert: der Anführer dieser Armee ist der Teufel selbst, Mylady. Ich erhielt die Wegbeschreibung zu einer Festung in den Bergen und da ich dem Ritterkodex verpflichtet bin, ging ich der Sache nach. Leider fand ich die besagte Festung nicht; wurde aber bereits im Tal von dieser Armee empfangen. Man hieß mich Spion und Verräter und warf mich hier hinein. Mylady, es tut mir leid aber.... wisst ihr was das alles zu bedeuten hat? Ist der jüngste Tag angebrochen?"
Alida trat näher heran und sank auf die Knie. Das hier war mit großer Wahrscheinlichkeit ein Sterbender. „Es tut mir leid, guter Mann. Ich kann euch weder mit Nahrung noch Kleidung versorgen und das ist das, was ihr in dieser Nacht wirklich bräuchtet…“ Sie schwieg einen Moment und sah in die wässrigen Augen. „Nein, das hier ist nicht das Jüngste Gericht. Es ist nur ein Kampf in den wir geraten sind der für uns beide wohl zu groß war. Und wahrscheinlich werden wir beide zu guter letzt wohl das gleiche Schicksal teilen und nicht mehr auf eigenen Beinen durch die Tore dieser Festung gehen… Verzeiht meine düsteren Worte.“
Der alte Ritter sah sie mit glasigen, leicht zuckenden Augen an und lächelte sanftmütig. Ein knappes Nicken. „Es gibt nichts zu verzeihen, Mylady. Genau wie ich seid ihr in die Hände von gotteslästerlichen Schurken gefallen, die offenbar dem Satan huldigen und ihren unheiligen Krieg durch dieses Land tragen. Ich wünschte, ich könnte den Bischof über diese Blasphemie unterrichten, aber bedauerlicherweise wird es wohl nicht mehr dazu kommen.“ Er erhob sich. „Und dennoch werde ich hier ausharren bis der Hunger mich dahinrafft oder sie mich holen kommen, die Monster und Mörder dieser häretischen Festung. Mit meinem letzten Atemzug werde ich mich ihnen entgegenstellen und für die gute Sache der Ritterlichkeit eintreten. Der Herr wird mir Kraft verleihen, genau wie euch in diesen letzten Stunden. Wir sind nicht allein, Mylady; der Segen des Herrn ist mit den Gläubigen.“
In diesem Moment wurde die Tür des Verlieses geöffnet und ein brummiger, breitschultriger Mann trat herein, der aussah als könne er nicht bis drei zählen, dafür aber jede Wirtshausschlägerei mit Leichtigkeit gewinnen. Er entzog dem Jutesack auf seinem Rücken ein Tablet und befüllte es mit Brot und etwas Käse.
Der Ritter sah nur verächtlich zu ihm. „Gebt es der Lady, sie hat es dringender nötig als ich, so bleich wie sie aussieht.“ Er lächelte sanft zu Alida.
Der grummelnde Mann packte die Sachen zusammen und stapelte zwei Stück Brot, zweimal Käse und eine Schüssel mit dickem, stinkenden Brei auf das Tablet und schob es durch eine Aussparung am Boden der Zelle. Er hatte sogar ein kleines Tuch als Serviette daneben hingelegt. „Meister Andrej meint, der Schlüssel zu euren Antworten liegt in der Unbeugsamkeit des Drachen“, sagte er schief lächelnd. „Den Rest werde ich dann wohl den Wachen geben müssen, die können sicher noch etwas vertragen.“ Er zwinkerte und verließ die Zelle. Draußen hörte Alida ein paar Stimmen, dann Gelächter, im Anschluss Schritte, die sich entfernten.
Der Ritter legte den Kopf in den Nacken. „Esst mein Kind, esst nur.“
Alida schüttelte den Kopf. „Ob ihr’s mir glauben wollt, oder nicht, ich habe heute Nacht bereits gespeist.“ Sie dachte an den köstlichen Geschmack des Blutes, das sie in Zulogestalt dem toten Wachmann, der sie zu Beginn der Nacht gemeinsam mit seinen Kumpanen überfallen hatte, aus der Kehle gesaugt hatte und spürte den dumpfen Klang von Reue. Ja, sie hatte sich schon sehr weit vom Leben der normalen Sterblichen fort bewegt und ihre Reise in den Osten tat ihr übriges. Sie griff nach dem Essen und untersuchte es grob, dann faltete sie die Serviette auseinander.
Bei näherer Betrachtung stellte Alida fest, dass im Brot ein kleines, spitzes Stillet steckte und der Krug mit Wasser gar nicht gefüllt war. Stattdessen befand sich darin ihr Beutel mit Erde und dem kleinen Halbedelstein, so als wäre ihr beides nie abgenommen worden. Unter dem kleinen Tüchlein, das als Serviette diente, war ein Schlüssel verborgen, der, wie sie nach einem kurzen prüfenden Blick feststellte, die Tür zu ihrer Zelle entriegeln würde. Wahrscheinlich würde es auch die Tür zum Verließ aufsperren können.
Sie schob dem Mann das Essen zu. „Ihr seid ein Ehrenmann, Ritter. Vieles hier in diesen Landen ist nicht das, was es scheint aber eines ist sicher: Es ist den Sterblichen nicht wohl gesonnen. Solltet ihr je hier herauskommen, dann kehrt in eure Heimat zurück und tut dort Gutes. Damit schafft ihr mehr als ihr hier je ausrichten könntet.“
Der Ritter lächelte zaghaft, nickte dann aber und trat an das Tablet heran. Hustend griff er nach dem Brot und bemühte sich so gut er konnte nicht wie ein Wahnsinniger zu schlingen. „Ihr habt ein gutes Herz, Mylady, und Mitleid mit einem alten Mann, aber ich will euren Ratschlag beherzigen. Diese Lande, werde ich gewiss nie wieder aufsuchen.“
Alida verbarg den Schlüssel in der Handfläche und spürte das fein geformte Metall. Sie musste ein ungläubiges Kopfschütteln unterdrücken. Dennoch flüsterte sie leise. „Diese Lande halten so manche Überraschung bereit.“ Sie fuhr mit den Fingern über den kleinen Sack und spürte die Kraft, die davon ausging. Tief sog sie die kalte Luft ein, roch einen schwachen Abglanz ihrer Heimat.
Sie erhob sich und trat zu dem Guckfenster, das in die Zellentür eingelassen war. Sie schluckte mit einem Mal mühsam als ihr das verschwörerische Zwinkern des Dieners einfiel und seine seltsame Bemerkung, er würde den Rest den Wachen geben. „Verdammt!“ Sie fuhr herum, sah zu dem Ritter und hatte das erdrückende Gefühl, das ihre flehentliche Bemerkung zu spät kam. „Hört auf, das zu essen, guter Mann. Bitte…“ Dann ging sie zu dem Fensterchen um sich Gewissheit zu verschaffen.
Der Ritter biss gerade herzhaft in ein Stück Käse und schluckte gierig, hustete dann. „Was meint ihr, Mylady? Wollt ihr doch noch ein…“ Er hustete erneut. „.. Stück von dem…“ Noch ein Husten. Der Mann wollte zwar noch einmal erneut ansetzen, aber da wurde er bereits von einem Hustenanfall durchgeschüttelt, der ihn scharf und schwer die Luft in seine Lungen saugen ließ. Er keuchte, ächzte und lief trotz seiner bleichen Gesichtsfarbe rot an. Brot und Käse fielen ihm aus der Hand und er hielt sich die Kehle, erstickte qualvoll. Als er mit tränenden, blutig unterlaufenden Augen zu Alida sah, streckte er seine Zunge heraus, die dick angeschwollen war. Er zuckte unaufhörlich und streckte die Hand nach ihr aus als wolle er um Hilfe flehen. Dann sackte er mit schäumendem Mund zusammen und rührte sich nicht mehr. Ihr feines Gehör verriet ihr, das sich vor der Tür zum Verließ ähnliche Szenen abspielen mussten. Nur diesmal wurde das Zusammensacken des toten Körpers begleitet von einem dumpfen Knallen als der voll gerüstete Mann tot zu Boden glitt. Ob das jemand gehört hatte?

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Alida schloss die Augen und unterdrückte das Entsetzen, das bei der grausamen Szene in ihr aufstieg. Sie verharrte länger in der erstarrten Pose als gut war, doch es kostete sie große Überwindung sich zu rühren. Sie ging schließlich zu dem toten Ritter. „Es tut mir leid…“ Dann schloss sie ihm die Augen. „Möge der Herr mit euch sein.“ Sie ahnte, dass er solche Worte gewollt hätte, auch wenn er sie jetzt nicht mehr vernahm.
Alida griff nach dem Stilett, überprüfte seine Lage in der Hand, atmete ein letztes Mal durch.
Die Zellentür ließ sich locker aufsperren und quietsche nicht einmal sonderlich als sie zur Seite schwang. Alida in Gestalt der Alexandra Dimanetti befand sich auf dem Gang, an dem sich die drei Zellen befanden und der zur großen Eingangstür führte, vor der soeben der Wachmann tot zusammengebrochen war. Sie besaß ihre adelige Kleidung und ein Stilett, ihr Säckchen mit Erde und den Halbedelstein. Der tote Ritter, der so ein Ende wohl wahrlich nicht verdient hatte, besaß allerdings ein Kettenhemd. Vielleicht sperrte der Schlüssel auch die anderen Zellen auf? Natürlich war es fraglich ob man so etwas überhaupt tun wollte und zugleich war noch immer die Frage im Raum, ob das Umfallen des Wachmannes jemand gehört hatte?
Alida entschied sich dagegen dem toten Ritter das Kettenhemd abzunehmen. Zum einen verursachte ihr der Gedanke daran ein ungutes Gefühl, zum anderen würde es zu viel Zeit kosten und zu viel Lärm verursachen. Sie musste hier raus… Sie hatte keine Zeit große Veränderungen an sich vorzunehmen und fuhr sich schließlich nur durch die Haare, die eine braune, einfache Farbe annahmen. Auch wenn sie der Gedanke abstieß begann sie langsam die fleischformerischen Kräfte als Teil ihrer selbst anzusehen. Sie veränderte die Gesichtszüge nur marginal, streifte das reich bestickte Kleid ab, so dass sie im einfach gewebten braunen Unterkleid da stand. Vielleicht gelang es ihr als Dienstmagd durchzugehen?
Ein letztes Mal blickte sie durch die Gitterstäbe zu dem toten Ritter und ging schließlich auf den leblosen Wachmann zu.

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Der Wachmann schien sich nicht mehr zu rühren, auch er war wohl qualvoll dem Gift erlegen, dass irgendjemand ins Essen gemischt hatte. Sein Gesicht war unter dem Helm nicht zu sehen aber es mochte sicherlich auch zu einer Fratze der Pein verzerrt sein, genau wie bei Ser Ian. Das wollte man nicht wirklich sehen. Gut war allerdings seine Bewaffnung, denn obgleich sie weder die Zeit hätte seine Rüstung anzuziehen, geschweige denn, dass sie ihr auch nur annähernd gepasst hätte, so führte die Wache doch ein einladend langes und frisch geschliffenes Breitschwert mit sich. Würde sie die Klinge an sich nehmen, so wäre die Tarnung als Dienstmagd hinfällig; würde sie sich dagegen entscheiden, so wäre sie aber bis auf das Stilett waffenlos. Sie kannte den Weg nicht, wohin zog es sie überhaupt? Streifte Andrej hier noch herum oder war gar schon Velya auf dem Weg zu seinem Verhör? Oder würde am Ende gleich Rustovich selbst um die nächste Ecke biegen? Was immer sie vorhatte und wie sie sich auch entschied, alle Varianten waren gefährlich. Vor ihr breitete sich ein Gang aus, der ein paar Meter nach vorn führte und dann links und rechts abging. Alle paar Meter brannte entweder eine Fackel oder eine Feuerschale.
Sie nahm das Schwert an sich und verbarg es unter ihrem Rock. So konnte sie es zwar nicht ohne weiteres ziehen aber sie hatte keine Ahnung wie sich die Situation verändern würde. Sie entschied sich dazu den erstbesten Weg einzuschlagen. Sie hatte keinerlei Ahnung wie man herauskommen konnte, aber eines war sicher: hier verweilen war keine Lösung.

Re: Die Fesseln der Macht

So 22. Mai 2016, 21:24

Sie irrte einige Zeit lang durch die Gänge, ohne wirklich zu wissen wohin ihr Weg sie führte und ob sie dadurch einen Ausgang erreichen könnte. Es war verdammt schwer sich in diesem dunklen, fensterlosen Labyrinth einer Ruine zurechtzufinden.

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Selbst Gerrit, der ja förmlich eine Nase für solche Steinbauten hatte, wäre hier grenzenlos überfordert gewesen. Hin und wieder verbreiterte sich der Gang, dann wurde er wieder schmaler. Ab und an hört sie Stimmen und dann kam die erste Wache vorbei; diesmal keine Tormentoren sondern gewöhnliche Soldaten in gewöhnlichen Rüstungen mit dem Wappen des Drachenfürsten. Sie wollten schon an Alida vorbeigehen, unterhielten sich lachend miteinander, bevor einer der beiden plötzlich innehielt und sie von oben bis unten musterte. „Halt, Mädchen“, sprach er sie in Russisch an. „Was irrst du hier so herum wie ein aufgescheuchtes Huhn? Hast du nicht in der Garnisonsküche zu tun? Der Fürst entlohnt die Dörfler wie Könige und du läufst hier einfach herum? Du weißt doch, dass es untersagt ist sich aus dem Küchenbereich zu entfernen oder? Was machst du hier?“
Alida wandte scheu und schüchtern den Blick ab. „Es tut mir leid, Herr. Ich bin irgendwo in einem der Gänge falsch abgebogen und hab den richtigen Weg nicht mehr gefunden. Könntet ihr mir sagen, wie ich zurück zur Küche komme?“ Entschuldigend fügte sie leise hinzu. „Hier gibt es so verdammt viele Wege…“
Einer der beiden Wachleute überdrehte nur die Augen, während der anderen etwas verhalten lachte und den Kopf schüttelte. Die Situation schien sich entspannt zu haben; nicht zuletzt, weil Alida offenbar eine hervorragende Lügnerin war und ihre Tarnung die Männer zu überzeugen wusste. „Immer das gleiche mit euch Weibern, selbst die einfachsten Aufgaben könnt ihr nicht ausführen, ohne dass man euch ständig im Auge behält. Du hast Glück, Mädchen, wir wollten gerade unsere Wachration abholen. Also komm.“ Dies schien auch schon eine Aufforderung zu sein mit ihnen zu kommen und bevor Alida noch etwas sagen konnte, befand sich schon einer der Männer vor ihr, der andere hinter ihr und so wurde sie durch die finsteren Gänge dirigiert wo sie alsbald zur Küche gelangten. Die Küche der Ruine war wirklich nicht viel mehr als das, nur durch einen zweiten Raum abgetrennt, indem das Gesinde wohl einst gegessen haben musste. Es passen nicht mehr als 3 längliche Holztische in den Raum, wo eine Hand voll Wachen mit eher unsittsamen Tischmanieren eine fleischige Brühe mit dicken Brocken Brot herunterschlangen. Es war hier um einiges wärmer als im Rest der Burg und geradezu heiß im Vergleich zum eisigen Schneewind vor den Toren. In der Küche waren zwei weitere Frauen dabei einen dicken Eintopf einzurühren. Die ältere hackte gerade Gemüse klein und die jüngere schälte Kartoffeln. Die Wachen führten Alida direkt zum Kücheneingang und ließen sie dort stehen. „Du kannst uns gleich mal was holen“, grinste einer und klatschte ihr beim Weggehen auf den Hintern; ließ sich mit seinen Kumpanen an einem der Tische nieder. Die ältere Frau glänzte Alida misstrauisch an, sagte aber noch kein Wort. Sie stand ein wenig verloren da am Eingang zur Küche, während hinter ihr grunzend ‚gefressen‘ wurde.
Sie hätte die beiden Männer noch am liebsten nach weiteren Informationen gefragt, aber die Möglichkeit ergab sich leider nicht mehr, da sie nach so kurzer Zeit bereits in der Küche angelangt waren.
Alida sah sich mit einem kurzen Blick um und hielt weiterhin demütig das Haupt gesenkt. Irgendwo musste man doch nach draußen gelangen können. Das misstrauische Gesicht der Alten war fast unerträglich. Wäre sie noch sterblich, der Angstschweiß wäre ihr am Rücken herabgeronnen. So nickte sie nur, fügte ein kaum hörbares kleinlautes „So nehmt doch Platz“ hinzu und entschied sich dazu eine Tür zu ihrer Linken zu wählen. Anhand der abgewetzten Fliesen konnte man davon ausgehen, dass der Weg häufig benutzt wurde und es waren vereinzelte Erdkrumen zu erkennen. Offensichtlich waren Menschen mit schmutzigen Stiefeln von dort ins Innere gelangt. Alida zögerte nur eine winzige Sekunde, dann schritt sie los.
Sie kam nach draußen aber nicht so wie sie sich gedacht hatte. Die Tür, welche tatsächlich ein wenig verdreckt war, hatte sicher ein wenig schmutzige Erde als Indikator zu bieten aber in erster Linie sammelte sich dort geschmolzenes Wasser. Als sie die Türen aufmachte, wurde es unverzüglich bitterkalt denn es ging tatsächlich hinaus ins Freie. Ein paar Meter untertunnelt, ging es aus dem Felsen hinaus auf einen großen Rundgang, der sowohl nach links auch als nach rechts weiterführte. Große, in Stein gehauene Rundbögen die auf Hüfthöhe ein beständig wiederholendes Muster zeigten, gaben die Sicht auf die verschneite Ebene frei; in der Entfernung war Ceoris auszumachen. Die Schneeflocken flogen ihr ins Gesicht und ein Blick nach unten zeigte ihr das sie ungefähr auf halber Höhe des Turms war.




Alida schloss für einen Moment die Augen. Ihr war nach Heulen zumute und es kostete sie unsagbare Anstrengung die Verzweiflung nieder zu kämpfen. Irgendwo da draußen war Emilian während sie inhaftiert wurde, es ihr nach einer in dieser Situation gefühlten Ewigkeit gelang mit der unnachvollziehbaren Hilfe von Andrej wieder auszubrechen. Sie irrte hier durch die Flure dieses Labyrinths während er wahrscheinlich von einem Dutzend Tormentoren abgeführt wurde um schließlich auf seine Enttarnung und Hinrichtung zu warten. So wie Ceoris stand auch Emilian die endgültige Vernichtung bevor und sie stand hier an dieser Brüstung… und hätte am liebsten geschrien.
Sie wagte den Blick nach unten. Vielleicht konnte man wenigstens zwischen all den Armeen die Gebäude ausmachen, die als Brutstätten dienten. Dort, soviel hatte sie erfahren können, war Emilian zuletzt gewesen.
Es blieb ihr leider nicht allzu viel Zeit um ihr momentanes Schicksal oder das ihres Erzeugers zu bedauern, selbst wenn tatsächlich irgendwo unter ihr die ominösen Brutgruben liegen mochten. Plötzlich gab es einen ohrenbetäubenden Lärm und Alida konnte förmlich spüren wie der Turm bis ins innerste Mark erschüttert wurde. Alles dröhnte und vibrierte und plötzlich sausten vor Alidas Augen, Felsenbruchstücke und Schneebänke nach unten. Irgendetwas schien den Turm mit voller Wucht getroffen zu haben. Nur kurz darauf, sah Alida von einer Seite des Rundgangs, der wahrscheinlich einen großen Teil des Turmes als Wachgang diente, einen Gardisten keuchend auf sie zu gerannt kommen. Er hatte die Armbrust im Anschlag und zielte hinaus in das Schneegestöber. Ihm folgten weitere. Bolzen segelten pfeifend durch die Luft und es wurde emsig nachgeladen. „Holt sie runter!“, knurrte einer der Wachen und spannte die Armbrust nach. Weder er noch die anderen Leute bemerkten sie.
Dann wurde Alida von einem plötzlichen Geräusch herumgerissen; die Tür hinter ihr schwang auf und darin stand einer der beiden Wachleute, die sie zuvor noch in die Küche gebracht hatten. In seinem Gesicht lag blanker Zorn. „Wer immer du bist, du bist sicher keine Küchenmagd und schon gar nicht aus dem Dorf! Aber die Wahrheit kriegen wir schon noch aus dir heraus meine Hübsche!“ Im Hintergrund sah sie die alte Frau stehen die sie mit einer gleichbleibend höhnischen Miene besah.
Der Wachmann hielt das Schwert auf sie gerichtet und kam langsam durch den Felstunnel in Richtung Rundgang.
Tief atmete die Frau aus Brügge durch. Sie hatte es alles so satt, so endgültig satt…Sie legte die Hand auf das Stilett an ihrem Gürtel und zog die Klinge. Wenn sie es so wollten, dann sollten sie es wohl so haben. Sie hatte keine Möglichkeit mehr weiter wegzulaufen, keine Möglichkeit sich mit einem Lügenkonstrukt zu retten.
Der Soldat setzte zum Angriff an und hieb mit seinem russischen Breitschwert nach ihr; traf sie knappe an der Schulter als sie sich schon mit dem Stilett gegen die Brüstung drehte. Die Klinge riss einen hässlichen Schnitt in ihre Dienstroben aber es war kein Blut zu sehen. Nicht ein Tropfen. Der Soldat sah sie verwundert an. „Das ist doch…“ Im selben Moment schnellte Alida nach vor und stieß ihm das Stilett genau zwischen die ungeschützte Stelle seiner Rüstung. Er schrie erschrocken auf und hielt sich die Seite, die unablässig blutete. Ja, da hatte sie ihn wohl eindeutig überrascht.
Diese Art von Kampf würde sie nicht lange durchhalten, das war eindeutig. Ohne Rüstung und ohne Schwert? Das war Wahnsinn. Sie musste sich etwas einfallen lassen.
Ein weiteres Mal fuhren die Hiebe auf Alida herab, aber egal wo der Soldat sie traf und sie scharf und bösartig seine Klinge ihr Fleisch durchbohrte; er richtete nichts bei ihr an. Seine Augen füllten sich mit verzweifeltem Zorn und einer langsamen Erkenntnis, es hier offensichtlich nicht mit einem gewöhnlichen Menschen zu tun zu haben. Alidas Stiche hingegen saßen und trafen präzise erneut eine ungeschützte Stelle knapp über seinem Knie.
Er heulte auf und biss die Zähne zusammen. „Sooo, kleines Fräulein, das war ja ganz witzig, aber jetzt machen wir hier Schluss.“ Sein Blick fiel zu den anderen Leuten, die an der Brüstung lehnten und immer wieder mit den Bolzen in die verschneite Nacht schossen.
„Sie sind zu schnell, die Biester“, brüllte einer. „Uns gehen die Bolzen aus!“, schrie ein anderer, während der Turm dröhnend ächzte.
Der Soldat hielt sein Schwert auf Alida gerichtet und kam immer näher. „Was glaubst, du wer du bist, hä? Diese Festung ist voller Soldaten und Krieger, wohin willst du flüchten, was immer du auch bist, Mädchen?“ Sein Lachen ging etwas im Dröhnen des Turms unter, dann gab es einen nahezu ohrenzerfetzenden Lärm, als der Rundgang förmlich gesprengt wurde als etwas unglaublich Hochgewachsenes, wie ein Geschoss förmlich in den Wehrgang einschlug. Es durchbrach den Stein mit Leichtigkeit und griff mit großen, steinernen Klauen nach dem Kopf eines der Soldaten mit den Armbrüsten und zerquetschte ihn wie eine Traube. Gehirnmasse und Blut, verteilten sich auf dem Boden, als das geflügelte Monstrum sich mit klauenartigen Fortsätzen an der Kante des Wehrgangs festhielt und ein heiseres Brüllen den übrigen Männern entgegen stieß. Alida erkannte ihn auf Anhieb: Victor, in all seiner unzerstörbaren Pracht.

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Alida traute ihren Augen nicht. Der Gargyle hatte sich entgegen aller Erwartungen erneut mit den verhassten Tremere eingelassen? Es fiel schwer, das zu glauben. Vor allem, da er die letzten Jahre doch vermutlich mit Griselda verbracht hatte, die niemals wieder in deren Dienst getreten wäre… Sie versuchte das Bild aus ihrem Kopf zu vertreiben. Es war egal. Wenn die Gargylen hier waren, dann an komplett unterschiedlichen Fronten. Alida betrachtete den Soldaten und seine Handlungen. Was würde als nächstes kommen?
Der Soldat, der sich soeben noch gegen Alida gestellt hatte, war mittlerweile kurzzeitig ins Taumeln geraten; mit weit aufgerissenen Augen starrte er Victor an und versuchte seine Furcht abzuschütteln. Möglicherweise waren die Soldaten und Günstlinge der Unholde den Anblick von grauenerregenden Wesenheiten schon ein wenig gewohnt, vielleicht war es aber nur das Adrenalin, jedenfalls fasste sich der bleich gewordene Mann ein Herz und wollte schon mit einem gewaltigen Hieb auf Alida einschlagen. Dann stockte er in seiner Bewegung, zuckte leicht und öffnete langsam dem Mund, als sich ein Schwall Blut über sein Kinn ergoss und er tot vor ihr zusammenbrach. Dann konnte Alida auch den Grund dafür sehen. Hinter ihm schälte sich eine Gestalt aus der Steinmauer; schien auf den ersten Blick wie verschmolzen mit dieser. Lediglich eine schmale, mit scharfen und brachial anmutenden Klauen gesäumte Hand war blutverschmiert in die Luft gehalten. Allmählich nahm das Wesen Form an und trat aus dem schroffen, kalten Felsen. Die femininen, steinernen Züge waren ihr auch diesmal nicht unbekannt: Griselda, die dem Mann soeben das Herz aus dem Rücken gerissen und zerquetscht hatte. Die Gargyle hob die blutende Hand ein weiteres Mal und machte ein paar Schritte auf Alida zu. In ihren Zügen lag kein Bedauern, kein Zögern.

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Re: Die Fesseln der Macht

Mo 23. Mai 2016, 21:16

„Griselda?“ Der geflüsterte Name ging im Lärm des Scharmützels und eisigen Sturmes unter. Ungläubig sah sie die Gargyle vor sich an. Dann erwachte sie aus ihrer Verwunderung und wurde sich schlagartig der Situation bewusst in der sie sich befand. Sie, Alida, mit dem Aussehen einer Dienstmagd des Ostens auf den Zinnen von Vardenfell, stand einer Gargyle, einer der gewaltigsten Kriegsmaschinen der Hexer gegenüber und die Tatsache, dass sie vor Jahrzehnten als Verbündete miteinander gekämpft hatten würde daran nichts ändern, da Griselda sie in dieser Gestalt nie erkennen könnte. Alida sah nur einen einzigen Ausweg. Sie trat einen Schritt nach hinten und machte sich bereit zur Not ausweichen zu können. Dann sprach sie die Gargyle in dem breiten Flandrisch an, das sie seit Monaten nicht mehr gehört hatte. „Ich hätte überall in der Welt mit dir gerechnet, Griselda, aber nicht hier in den gottverlassenen Weiten der Karpaten zu genau dieser Stunde.“
Victor war noch immer mit den beiden restlichen Wachleuten beschäftigt, die von dem schnellen Angriff schier überwältigt schienen. Aber auch ohne das das Überraschungsmoment auf seiner Seite gewesen wäre, hätte die Gargyle leichtes Spiel mit den Sterblichen. Die unkoordinierten Schläge prallten einfach von der steinernen Hülle ab, während sich die Klauen gnadenlos in dampfend warmes Fleisch bohrten.

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Das gleiche schien offenbar auch Alida blühen, da sah sie ein Zögern in den Augen Griseldas. Es war kein Zögern, der als Akt der Gnade oder des Widerstandes vor dem Töten gesehen werden mochte, sondern die Erkenntnis, dass die Gargyle Alida gehört und sehr wohl verstanden hatte. Die steinerne Klaue senkte sich für einen Moment, als die munteren, flandrischen Worte aus ihrem Mund sprudelten. „Alida?“, kniff Griselda fragende die Augen zu und fügte dann „Liliane?“, hinzu bevor sie einen Schritt näherkam und die kleine ‚Dienstmagd‘ genauer in Augenschein nahm. Von fünfhundert Soldaten, die an dieser Schlacht teilnehmen mochten, gab es viele verschiedene Lautfärbungen und Sprachen, Dialekte und Ausdrucksweisen aber ganz sicher sprach niemand hier Flandrisch. Und die Kainiten? Selbst wenn es einen geben mochte, der der Sprache mächtig war, warum sollte er sie ansprechen? Und warum sollte er sie bei ihrem Namen nennen? Woher sollte er ihren Namen überhaupt kennen? Schweigend senkte sich das steinerne Antlitz hinunter zu der Tzimisce und für einen Moment wurde klar, warum die Unholde und deren Diener die monströsen Flugwesen so fürchteten: Im Kampf sah man überall hin aber nie nach oben. „Bist du…. aus Brügge?“, fragte Griselda misstrauisch.
Mit einer schnellen Bewegung ihrer anderen Hand fuhren ihre Klauen auf den Kopf der griesgrämigen Köchin hernieder, die da zuvor noch mit schockgeweiteten Augen gestanden und Alida den Wachmann auf den Hals gehetzt hatte. In einer gurgelnden Blutfontäne, stürzte der Körper vornüber und verteilte den roten Lebenssaft auf dem kalten Wehrgangboden. Griselda knurrte dumpf und zufrieden.
Alida achtete nicht weiter auf die zuvor noch höhnisch grinsende Köchin. Das hier war ein Krieg mit den dazugehörigen Opfern. Sie sah auf ihre Hände, die Finger, die etwas kürzer als ihre eigenen waren, dann wieder in das steinerne Gesicht ihres Gegenübers. „Ja, ich bin Alida…auch wenn ich gerade wenig danach aussehe. Warum ich hier bin ist eine lange, lange Geschichte.“ Sie sah zu Victor, der gerade einen anderen Wachmann packte und mit einem Stoß seines Flügels in die Tiefe katapultierte. „Wie auch immer es aussehen mag, ich kämpfe derzeit auf keiner der Seiten… Was tut ihr hier? Seid ihr erneut in die Dienste der Tremere getreten?“ Ihre Frage war genauso skeptisch wie ihr Blick.
Griselda kniff die Raubtieraugen zusammen und schnüffelte nahe an Alidas Haut, ganz so wie ein Hund, der eine Fährte aufnahm. Ihre Worte und ihre Art zu sprechen mochten durchaus stimmen. Auch die Tatsache, dass sie scheinbar über sie und Victor, als auch ihren eigentlichen Kampf gegen die Bluthexer Bescheid wusste. Allein das Aussehen war ein vollkommen anderes. Alida hatte jedoch offenbar genug Indizien zusammengetragen, um die Gargyle daran zu hindern sie mit einem einzigen Schlag zu durchbohren. Griselda legte den Kopf schief und nickte langsam. „Ihr könntet Alida van de Burse sein, allerdings wäre das ganz ohne Zweifel eine sehr interessante und lange Geschichte. Ich will euch glauben, Unhold, denn Mensch seid ihr ganz gewiss nicht. Beantwortet mir nur eine Frage…“ Währenddessen hauchte auch der letzte Wachmann sein Leben aus und Victor stapfte mit scharrenden Schritten auf die beiden zu, holte schon aus. Griselda hielt ihn in seiner Bewegung zurück und fixierte wieder Alida. „Wie heißt der rechtmäßige Erbe des flandrischen Thrones?“ Aus missmutigen Blicken starrte die steinerne Gestalt Alida an und es war offensichtlich, dass sie bei einer falschen Antwort keine Sekunde zögern würde.
Ein trauriges Lächeln legte sich auf die Züge der jungen Frau. „Balduin von Hennegau.“ Sie hatten den Jungen damals gerettet, es aber nicht geschafft ihm seinen Thron zurück zu geben. Dafür war sein Gesicht wieder sein eigenes. „Der Bastardprinz“
Griselda nickte Victor knurrend zu und verschwendete keinen weiteren Augenblick. „Wir nehmen sie mit; sie ist offenbar tatsächlich diejenige, die sie vorgibt zu sein. Alida van de Burse, Ratsmitglied von Brügge…“ Victor beugte sich etwas tiefer zu Alida hinab und sie mochte sich für einen Moment fühlen, wie eine Maus, die von einem Katzenpärchen umringt wurde. „Sie sieht nicht so aus wie Alida?“, kam es von ihrem steinernen Gefährten und die Brügger Händlerin musste unweigerlich feststellen, dass jemand mit ihm an seiner sprachlichen Ausdrucksweise gefeilt hatte.
Griselda lächelte grimmig. „Sie weiß, wer der wahre Herr über Flandern ist, das weiß nur der Rat der Stadt und einige wenige Eingeweihte. Ich bin mir nicht einmal sicher, ob die Hälfte dieses neuen kleinen Rates darüber Bescheid weiß.“
Victor nickte nur und schien seiner Gefährtin da uneingeschränkt vertrauen zu wollen. „Wenn ihr wirklich Alida seid, dann habt ihr euch einen wirklich spannenden Ort zum Entdecken ausgesucht. Klettert auf meinen Rücken, wir müssen weg von hier.“
Griselda sah nach hinten, wo man schon wieder laute, russische Schreie hörte. „Beeilung, da kommt der Rest dieser blinden Fleischlinge.“ Die Gargyle verschwendete keinen weiteren Moment und sprang behände auf die Mauer, wo sie sich in die Schwärze der Nacht abstieß. Victor beugte sich nach unten und er war noch immer ein Koloss von einer Gargyle. Kein Wunder das Griselda Gefallen an ihm fand, er war durchaus stattlich. Für seine Verhältnisse.
Alida zögerte, die Hand bereits auf der kalten steinernen Haut des Gargyle. Hinter sich hörte sie das Rumoren der nächsten Wachmannschaft. „Ich habe keine Ahnung wohin ihr fliegt, aber ich kann nicht einfach mit euch zu eurem Ziel fliegen. Ich muss zu den Brutstätten. Egal, wie ich dort hingelange. Es hängt zu viel davon ab.“
Victor nickte nur und drückte den Rücken weiter durch, auf seinen Zügen zeichnete sich so etwas wie ein Lächeln ab. „Ich weiß nicht, warum du hier bist, Alida van de Burse, aber sei unbesorgt: Wir helfen dir soweit wir können. Die Zeit drängt offenbar für dich, als auch für uns aber trotzdem müssen wir uns alle darüber im Klaren werden, warum wir hier sind. Mit dir hätten wir nicht gerechnet obschon es ein schönes Wiedersehen ist. Viele Jahre sind vergangen. Jetzt aber los, diese Kämpfe dienen nicht dazu zu gewinnen. Das können wir nämlich gar nicht.“ Der Gargyle spannte die kräftigen Flügel auf.
Alida durfte es sich auf dem breiten Kreuz von Victor bequem machen und nachdem er sie angewiesen hatte sich gut an ihm festzuhalten, erklomm er die Brüstung und stürzte sich ohne Vorwarnung in die nächtliche Tiefe. Der Boden raste immer näher auf sie heran und ab und an sauste etwas Surrendes an ihr vorbei, das böse zischte, aber weder den Gargyle noch sie traf. Als Victor langsam wieder in die Horizontale kam, drückte es Alida gegen den steinernen Rücken und sie konnte beinahe die ganze Ebene erblicken. In weiter Ferne, marschierten die Soldaten des Drachen immer weiter auf die Festung Ceoris zu; ein Fackelzug der nicht enden wollte. Jetzt erkannte sie auch den Grund für das Dröhnen am Turm bei Vardenfell, als sich eine kleine schwarze Gestalt löste und in Formation mit Victor aufschloss. Etwas weiter vorne weg flog Griselda und visierte die rechte Flanke des Bergrückens an. Es war unsagbar kalt, windig und frostig auf dem Rücken des Gargyle und von bequem konnte auch keine Rede sein aber es gäbe nichts, das sie schneller zu den Bruthöhlen bringen würde. Falls ihre alten Freunde sich dazu überreden ließen. Unter sich konnte sie jetzt auch endlich das Terrain etwas besser einschätzen: Vardenfell lag auf einem schmalen Hochplateau, das sanft ansteigend Richtung Ceoris führte, nur links und rechts davon gingen zerklüftete, beinahe senkrecht abfallende Steilwände entlang. Der sichere Tod vieler unvorsichtiger Wanderer.
Victor legte sich in den schneidend kalten Nachtwind des Hochgebirges und auf Alidas Wangen bildete sich eine kleine Frostschicht. Zischend flogen die Gargylen einen schmalen Kreis und hielten auf den zerklüfteten Abgrund zu ihrer rechten zu, wo man auf einer kleinen schroffen Felsformation landete. Unter sich sah Alida schon äußerst schmale, gefährliche Wege die schneebedeckt waren. Es war kaum mehr als ein eineinhalb Meter breiter, brüchiger Pfad der sich an der Steilwand entlang nach unten schlängelte. Griselda ließ die Flügel auf den Rücken klappen und lächelte Alida an, Viktor ließ sie absteigen und tat es ihr gleich. Sogleich würde sie eine winzige Ausbuchtung im Felsen erkennen, eine Möglichkeit etwas Schutz vor dem Sturm zu finden. Ein paar Momente später saß sie auf einem kleinen runden Stein in einer Felsspalte, welche die Gargylen unmöglich betreten konnten; gezwungen waren so mit ihr zu sprechen. „Du bist also wirklich Alida?“, fragte Griselda mittlerweile bei weitem freundlicher. „Was bei allen Sklaventreibern machst du hier unter den Unholden? Hat es dich wieder zurück zu deinem Clan gezogen? Bist du Teil dieser Schlacht?“ Es klang ungläubig und man konnte getrost davon ausgehen, dass Griselda diese Möglichkeit selbst nicht ganz glauben konnte. Alida war kein Freund des Ostens oder der darin lebenden Drachen ihres Stammclans.
Alida schüttelte den Kopf und lehnte sich mit dem Rücken etwas weiter an die Felswand um sich weiter von dem Abgrund zu entfernen, der sich vor ihnen auftat. „Ich habe vor einigen Monaten Kunde erhalten, dass ein Geschäftspartner von mir hierher gelockt wurde und hier den endgültigen Tod erhalten soll. Ich habe mich auf den Weg gemacht um ihn zu warnen. Allerdings werde ich nach wie vor von den Mitgliedern meines Clans etwas kritisch beäugt und kaum einem steht derzeit der Sinn nach langen Gesprächen und gegenseitigem Kennenlernen…“ Sie seufzte. „Ich bin vor kurzem aus den Zellen von Vardenfell ausgebrochen.“ Sie sah die Gargylen an. „Aber was um alles in der Welt hat euch von den Alpen hierher verschlagen?“
Griselda nickte nur und schien zu verstehen, mittlerweile war sie endgültig der Überzeugung, tatsächlich Alida vor sich stehen zu haben. Etwas schief grinsend betrachtete sie die ‚Dienstmagd‘ und schüttelte beeindruckt den Kopf. „Es ist viel Zeit vergangen und ich bedauere, dass wir so wenig Zeit haben und uns unter so gefährlichen Umständen begegnen. Ihr habt euch also schlussendlich doch den Künsten der Drachen zugewandt? Notgedrungen nehme ich an.“ Ein Seufzen entfuhr ihr. „Wir haben uns mit unserer Sippe hierher auf den Weg gemacht, weil wir Kunde vom finalen Angriff der Drachen erhalten haben: Dem Angriff auf Ceoris. Einer unserer Sippe, den wir aus den Klauen der Meister retten und in unserem Hort in den Alpen aufnehmen konnten, erzählte uns, dass noch viele andere Brüder und Schwestern hier gefangen gehalten werden. Leider sind die meisten schon tot oder so vom Blut der Hexer korrumpiert, dass sie nur dumme Schlachtmaschinen sind.“ Ihr Blick glitt kurz zu Victor, dann wieder zu Alida und es stand ihr ins Gesicht geschrieben, dass ihr diese Tatsache sehr weh tat. „Die meisten sind schon tot“, fuhr sie fort. „Die Festung ist so gut wie aufgegeben und dennoch sitzen noch ein paar arme Kreaturen in den Kerkern und Käfigen fest, die einfach zurückgelassen wurden. Wenn die Drachen sie bekommen, werden sie alle töten, unweigerlich. Doch wir sind zu wenige, meine Sippe stirbt und es geht um jede einzelne Gargyle. Deshalb werfen wir Felsen auf ihre anrückenden Armeen und lassen Steine auf diesen Turm regnen. Als Ablenkung. Währenddessen suchen unsere Brüder im Inneren der Festung nach Überlebenden, die es wert sind gerettet zu werden.“ Sie atmete tief ein und aus. „Bald werden die Tsimisce ihre eigenen Monster schicken und wir sind zahlenmäßig unterlegen, alles was wir tun können, ist Zeit erkaufen und hoffen, dass wir erfolgreich sind. Ich will niemanden von meinem Volk mehr sterben sehen.“ Victor legte ihr behutsam eine Pranke auf die Schulter und ‚lächelte‘ sie aufmunternd an. Wenigstens hatten sie einander, falls alles schief ging.
Alida fasste das Gesagte kurz grübelnd zusammen. „Ihr wollt also eure Leute aus Ceoris rausholen bevor die Drachen die Festung stürmen und die Gargylen als Werkzeug der Tremere vernichten?“ Sie nickte. „Ihr hättet versuchen können, euch mit den Drachen zu verbünden. Eure Erfolgsaussichten wären damit wohl gestiegen. Rustovich hätte jede von euch gebrauchen können.“ Sie schüttelte den Kopf. Es machte keinen Sinn sich über solche Gegebenheiten Gedanken zu machen. Nicht bei jedem Kainit galt: Der Feind meines Feindes ist mein Freund. Und außerdem erschreckte sie die Tatsache, dass sie bereits Überlegungen anstellte, wie die Unholde Ceoris am sinnvollsten einnehmen konnten… Verdammt.
„Ich werde euch in dieser Hinsicht in keinster Weise zu Hilfe sein können, aber ich verspreche euch, wenn sich mir irgendeine Möglichkeit bietet, dann werde ich sie nutzen und für die letzten Gargylen sprechen? Könnt ihr mich in die Nähe der Brutstätten bringen? Ich schätze, ich werde zu spät kommen, aber ich muss es versuchen.“
Griselda schüttelte nur den Kopf. „Ich wünschte, es gäbe tatsächlich etwas, dass ihr in dieser Hinsicht für uns tun könntet, Alida, aber ich fürchte…“ Und da konnte sie nicht umhin ein wenig zu grinsen, „… ihr habt bei den Unholden derzeit wohl auch keinen allzu guten Stand, wenn man bedenkt, dass ihr angeblich gerade aus den Verließen ausgebrochen seid. Nein, wir müssen das unsrige tun, soweit wir es vermögen; es zumindest mit aller Kraft versuchen. Ein Bündnis mit den Drachen, ist nebenbei bemerkt gleich schlimm wie die Sklaverei der Tremere. Sobald sie die Flieger schicken, ist ein Kampf aussichtslos und wir wenigen würden erst wieder an der Kette landen. Aber lasst das alles unsere Sorge sein, ihr sollt nicht unsere Schlachten für uns schlagen.“
Victor hob den mächtigen Schädel die Steilwand empor und nickte Griselda zu. „Es wird Zeit, fürchte ich. Für unsere Brüder und Schwestern gilt es jede Minute herauszuschlagen. Wenn der Drache die Festung erreicht, haben wir keinen Vorteil mehr.“
Griselda nickte ihm zu und wandte sich wieder an Alida. „Ich bedauere es zutiefst, dass ich euch nicht besser zu helfen vermag, Alida, aber in diesem Fall geht meine Sippe vor Brügge.“ Ihre krallenartigen Auswüchse, deuteten die Steilwand entlang ein Stück voraus. „Es gibt einen kleinen Kletterpfad, der nach unten auf einen breiteren Weg führt. Der Klettersteig wird gefährlich, eisig und rutschig werden aber der darauffolgende Weg dürfte sicher sein. Am Ende des Weges, erreicht ihr die Bruthöhlen, aber was immer ihr dort sucht…“ Sie zögerte. „Dort werden all die Alpträume erschaffen, wofür euer Clan so gehasst und gefürchtet wird und es wird gut bewacht. Mehr kann ich nicht für euch tun, die Zeit drängt bereits.“
Alida legte Griselda die Hand auf die Schulter und nickte Victor zu. „Hab Dank, Griselda. Victor. Ich hoffe, wir sehen uns wieder. Viel Glück euch bei eurem Unterfangen. Brügge wird euch immer herzlich aufnehmen.“ Sie lächelte schwach zu der Gargyle. „Und ja, ihr habt Recht. Auch für mich gilt in dieser Nacht. Meine Sippe vor Brügge…“ Sie sah noch ein letztes Mal zu den steinernen Kainiten.
Griselda reichte Alida noch kurz die klauenbewehrte Hand, während Victor ihr auf die Schulter klopfte. „Wir danken euch, Alida van de Burse, und wünschen euch alles Gute auf eurer Mission. Möge ihr Erfolg beschieden sein und ihr heil wieder nach Flandern zurückkommen. Falls ich kann, werde ich versuchen, wenn das alles hier vorbei ist oder die Situation es zulässt nach euch in den Bruthöhlen sehen aber das kann ich euch beim besten Willen nicht versprechen. Wie immer das hier enden mag, ich hoffe wir sehen uns in ruhigeren Zeiten bald wieder in Brügge. Viel Glück!“ Damit erhoben sich beide Gargylen wieder in die eisigen Höhen der Karpaten und trugen den vermeintlichen Kampf zu den Unholden. Ein Kampf, der in erster Linie nicht dem Sieg, sondern nur dem Erhalt der eigenen Art diente. Alida indessen machte sich an eine komplizierte und gefährliche Kletterpartie. Der Felsen war kalt, teilweise eisig gefroren und rutschig oder dicht verschneit und es dauerte eine gute Weile, bevor die Brüggerin wieder halbwegs festen Boden unter den Füßen spürte. Ein Blick nach oben als auch nach unten zeigte ihr unmissverständlich: Es war gut, dass sie diesen Weg mit Bravour gemeistert hatte. Wäre sie gestürzt, hätte sie nämlich eine ziemlich lange Zeit gehabt um über ihr Leben nachzudenken, während das Bergmassiv an ihr vorbeizog. Doch vor ihr breitete sich nunmehr ein breiter, solide wirkender Pfad aus, der zwar verschneit war aber keine bösen Überraschungen bereithielt. Der Wind fegte dennoch unablässig und trieb ihr die dichten Schneeflocken ins Gesicht.



Sie zog sich die Kapuze tiefer ins Gesicht und wischte sich den Schnee aus den Augen. Es war ihr gelungen aus Vardenfell zu fliehen. Nie hätte sie damit gerechnet… Sie sah sich um und machte den Pfad aus. So schnell sie konnte hetzte sie über den Weg in Richtung Bruthöhlen. Sie versuchte ihre Gedanken zu ordnen. Wie um alles in der Welt wollte sie dort hinein kommen? Als Dienstmagd ganz sicherlich nicht… Und wie sollte sie Emilian finden? Wenn es nicht eh zu spät war? Wie fliehen?

Re: Die Fesseln der Macht

Mi 25. Mai 2016, 22:20

Alida bewegte sich weiter durch den tobenden Schneesturm, der anstatt allmählich nachzulassen immer stärker zu werden schien. Kurz bevor sie durch Schnee, Kälte und der Schwärze der Nacht beinahe nicht mehr ausmachen konnte, wo sie sich überhaupt befand oder in welche Richtung sie sich bewegte, ließ der Sturmwind wieder etwas nach. Zu schnell und zu plötzlich, als dass ein solcher Wetterumschwung natürlich gewesen sein könnte aber andererseits war dieser Blizzard ja auch mit großer Wahrscheinlichkeit nicht so ohne Zutun der Hexer entstanden. Irgendwann entlang des Wegs fiel die Steinwand zu ihrer Linken in gähnend Leere und nur schmale, steinerne Pfade, führte sie weiter. Ein tückischer und gefährlicher Weg. Brückenartige Konstrukte aus Fels spannten sich über tiefe Abgründe und dann sah Alida einen großen Höhleneingang, der aussah als wäre er kaum per Hand geschlagen worden, sondern eher ‚hineingefressen‘ worden. Man hätte gut und gerne eine kleine Kirche darin aufstellen können, aber so wie es aussah, war es nur ein großes, verschneites Loch mitten in den Karpaten an dem sich die Eiszapfen sammelten. Unnatürlich war es dennoch allemal.

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Hinter einen Felsen gelehnt und noch einige hundert Meter entfernt, war es durch die Dunkelheit und den Schneefall nicht einfach auszumachen, aber es brannte ein Licht am Eingang zu den Höhlen und man konnte zwei Wachleute ausmachen, die in den Rüstungen der Drachen gekleidete waren, sich aber zusätzlich mit Decken eingehüllt hatten und in Ermangelung eines anderen Ausdrucks den Arsch abfroren. Ein kleiner, hölzerner Unterstand mit Stroh und ein paar Kochutensilien, war alles was man dem Wachtrupp hiergelassen hatte. Einmal hörte sie dank ihrer geschärften, übernatürlichen Sinne auch ein Niesen und Fluchen.
Alida holte tief Luft und durchdachte ihre Möglichkeiten. Einfach reinmarschieren, ob in Zulogestalt oder als Dienstmagd war nicht sehr erfolgsversprechend, die Wachen mit ihrem kleinen Stilett bedrängen? -lächerlich. Sie könnte die riesigen Felsformationen umklettern aber bei dem heftigen Sturm, der jederzeit abebbte und wieder heranbrauste kam das einem Suizidversuch gleich. Eine letzte Möglichkeit fiel ihr ein.
Alida schluckte. Sie betrachtete ihre Hände und die helle Haut der Unterarme und schloss die Augen. Sie hatte es niemals in ihrer Existenz getan- mit einer Ausnahme- in der seltsamen Parallelwelt, von der sie auch heute noch nicht mit absoluter Sicherheit sagen konnte, ob sie echt oder nur ein Gespinst thaumaturgischer Hexenkunst war. Damals hatte Joachim ohne Schwert, in dieser ‚realen‘ Welt schon vor Jahrzehnten enthauptet, ihr diese eine Fluchtmöglichkeit geboten und sie hatte sie genutzt.
Tief in ihrem Inneren wusste sie genau, dass sie es konnte… aber sie hatte zu viel Respekt, Angst, Ehrfurcht, Grauen davor.
Sie schloss die Augen und spürte das Gefühl ihres Blutes, ließ es alles übernehmen, übergab ihm die Kontrolle und konnte spüren, wie sich ihre Konturen aufzulösen begannen. Es war ähnlich wie die Momente in denen Emilian seine Haut mit ihrer vereinte und doch anders.
Nichts mehr sein als das, was ihre Existenz aufrechterhielt: Vitae, und ihr Bewusstsein.
Sie unterdrückte das Zögern und verbannte es in den letzten Winkel. Dann machte sie sich auf den Weg.
Sie hielt sich im Schatten, versuchte mit jeder Nische im Fels zu verschmelzen und soweit es ihr möglich war von den Wachen fern zu bleiben.
Es schien wie völlig selbstverständlich als ihr Konturen sich allmählich verflüssigten und wie abperlendes Wachs ihren Körperentlang liefen, bis von Alida van de Burse nicht mehr übrig war als eine blutige Pfütze die sich mit blasphemischer Tücke über die schmale Schneebrücke schlängelte oder dahinfloss; so genau konnte man das nicht sagen. Über dichten Schnee und über dunkle aus dem Schnee emporragende Felsspitzen entlang, glitt Alida als Rinnsal aus Blut immer näher an den großen Höhleneingang, wo sie jetzt die beiden Wachen genauer erkennen konnte. Die Kerle saßen in ihrer Rüstung just unter dem Eingang, wo der Schnee sie nicht mehr erfassen konnte um ein kleines Lagerfeuer, das sie mit einem halbierten Fass gegen den Wind schützten. Ihre Zähne klapperten und auch der Schnaps in den Blechbechern in ihren Händen, konnte sie nicht wärmen. An einer Feuerstelle hinter ihnen am Unterstand, blubberte eine dicke Brühe, bei der es sich vermutlich um Suppe handelte. „Was für ein Schwachsinn uns hier abzustellen“, grummelte der eine und nieste erneut; rieb sich die Nase. „Du weißt warum du hier bist Pavel, also halt die Klappe und sei froh das du noch lebst. Unter anderen Umständen wärst du jetzt da drin anstatt hier draußen.“ In diesem Moment ertönte ein markerschütternder Schrei aus den Höhlen, der nach gellenden Schmerzen und unermesslichem Leid klang. Die beiden Wachen drehten sich kurz um und zogen dann betroffen die Decken enger um die Schultern. „Tschuldigung…“, sagte Pavel kleinlaut und trank einen weiteren Schluck. Alida hatte scheinbar keiner bemerkt. Dafür hatte nicht zuletzt auch der soeben erfolgte Schrei gesorgt. Die Tzimisce glitt über dunklen Fels und kalte Steine aus dem Licht der Feuerstelle und drang dabei immer weiter in die Höhle vor.
Es schien wie völlig selbstverständlich als ihr Konturen sich allmählich verflüssigten und wie abperlendes Wachs ihren Körper entlang liefen bis von Alida van de Burse nicht mehr übrig war als eine blutige Pfütze, die sich mit blasphemischer Tücke über die schmale Schneebrücke schlängelte oder dahinfloss; so genau konnte man das nicht sagen. Über dichten Schnee und über dunkle aus dem Schnee emporragende Felsspitzen entlang glitt Alida als Rinnsal aus Blut immer näher an den großen Höhleneingang, wo sie jetzt die beiden Wachen genauer erkennen konnte. Die Kerle saßen in ihrer Rüstung just unter dem Eingang, wo der Schnee sie nicht mehr erfassen konnte um ein kleines Lagerfeuer, das sie mit einem halbierten Fass gegen den Wind schützten. Ihre Zähne klapperten und auch der Schnaps in den Blechbechern in ihren Händen konnte sie nicht wärmen. An einer Feuerstelle hinter ihnen am Unterstand, blubberte eine dicke Brühe, bei der es sich vermutlich um Suppe handelte.
„Was für ein Schwachsinn uns hier abzustellen“, grummelte der eine und nieste erneut; rieb sich die Nase.
„Du weißt warum, du hier bist Pavel, also halt die Klappe und sei froh das du noch lebst. Unter anderen Umständen wärst du jetzt da drin anstatt hier draußen.“ In diesem Moment ertönte ein markerschütternder Schrei aus den Höhlen, der nach gellenden Schmerzen und unermesslichem Leid klang. Die beiden Wachen drehten sich kurz um und zogen dann betroffen die Decken enger um die Schultern. „Tschuldigung…“, sagte Pavel kleinlaut und trank einen weiteren Schluck.
Alida hatte scheinbar keiner bemerkt. Dafür hatte nicht zuletzt auch der soeben erfolgte Schrei gesorgt. Die Tzimisce glitt über dunklen Fels und kalte Steine aus dem Licht der Feuerstelle und drang dabei immer weiter in die Höhle vor.

Zwischen Stalagmiten und Stalagtiten verteilt, hatte jemand immer wieder ein paar brennende Ölschälchen gelegt, die wohl als Wegweiser dienen sollten. Ihr fiel auch mittlerweile auf, dass die Höhle sich nach hinten hin verjüngte; immer enger wurde bis sie nicht größer war als die üblichen, großzügig ausgelegten Räumlichkeiten eines Schlosses oder des Belfriedes. Manchmal waren es dann doch wieder Kavernen und ganze Hallen, ein andermal nur dunkle, zackige Schlurfe ohne Symmetrie und wiedererkennbare Form. Eins stand fest: Was immer den Eingang gegraben hatte war sicher nicht natürlich gewesen, die Höhlen selbst aber waren es ohne Zweifel. Alida konnte sich nach einiger Zeit sicher sein, völlig allein mit sich und der finsteren Umgebung zu sein. Dann bemerkte sie am fortlaufenden Gang, zwischen einer hochgewachsenen Spalte im Felsen ein helles Licht.

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Sie drückte sich näher an die Wand und glitt langsam, stets im Schatten bleibend, heran.
Das helle Leuchten und Funkeln wurde immer durchdringender und blendender, während sie sich vorsichtig durch den Spalt schob und sich plötzlich der anmutigen Pracht einer glänzenden Höhle gegenüberstand, die über und über mit weißlich-glänzenden Licht erfüllt war, das von dutzenden großen und kleinen Kristallen ausging. Es war ein mystisches, unwirkliches Licht, das selbst die schwärzeste Dunkelheit zu durchbrechen vermochte und jegliche Schatten verjagte. Für sie als Kreatur der Finsternis, mochte es für einen Moment sogar regelrecht blendend und in den Augen schmerzen. Etwas ‚Magischeres‘ hatte sie bis zu diesem Augenblick sicher noch nicht gesehen. Bemerkenswert war auch das kleine Bächlein aus Wasser, bei dem es sich höchstwahrscheinlich um Tauwasser handeln musste. Es grub sich emsig seinen Weg durch die Höhle und glitt mühelos durch das gleißende Licht, bis es in einer anderen Felsspalte wieder verschwand. Das Wasser leuchtete in einem überirdischen Blauton. Die ganze Szenerie passte nicht sonderlich zu etwas, das man ‚Bruthöhlen‘ nannte aber es passte zu einem Ort der Magie. Wer hätte gedacht so viel Schönheit unter den zerklüfteten Gedärmen von Ceoris zu entdecken?

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Alida glitt näher an das Licht. Wie erstaunlich, dass die Unholde die Tiefen der fernen Ausläufer der tiefen Höhlenschächte von Ceoris genutzt hatten um hier ihre Kriegsmaschinerie zu kreieren. Ob die Magie, die diesen Ort anscheinend noch immer bewohnte dabei half? Sie sah sich näher um, etwas erstaunt darüber nicht mehr Anzeichen des Werks der Tsimiske zu erblicken. Sie hätte mit Sklaven, Leichen, Voydz gerechnet, Werkzeugen, die benötigt wurden, Menschen zur Lieferung der Vitae, die man für solche Unterfangen heranziehen musste. Aber nicht mit dieser Mystik.
„Wenn du das suchst, wofür du gekommen bist, musst du dich tiefer in die Höhlen wagen, Tochter vom Blute Kains des ersten Mörders“, hörte sie dann eine so durchdringende und gleichzeitig so sanft-sonore Stimme, dass man förmlich die Kristalle an der Höhlendecke klirren hören konnte. „Andererseits ist das hier auch ein recht lauschiges Plätzchen.“ Sie konnte sich des Eindrucks nicht erwehren, diese Stimme halle gar nicht durch diesen leuchtenden Kristallwald, sondern allein durch ihren Kopf. Dennoch konnte sie eine Richtung ausmachen. Fast instinktiv, sah sie in den hintersten Winkel der Höhle, dort wo das Licht kaum mehr die Ritzen zu erfassen mochte. Dort in der verschlingenden Schwärze, war ein großer Höhlenspalt und darin zwei grün leuchtende Augen, die sie interessiert anstarrten.

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Alida wusste, dass sie beobachtet wurde. Sie spürte den Blick der grünen Augen. Ihre Antwort sandte sie mental und der zu leicht zu überwindende Widerstand machte ihr bewusst, dass es sich anscheinend nicht um einen Kainiten handelt.
„Wer seid ihr?“ war ihre schlichte Frage.
Die Antwort erfolgte prompt und ohne Widerstand. „Nur ein weiterer Gefangener, von denen ihr noch zahlreichen hier begegnen werdet, solltet ihr euch entschließen euren Weg fortzusetzen Abkömmling Kains.“ Man hörte ein leichtes Rasseln, wie von schweren Ketten dann das Scharren von Krallen oder Pfoten auf nacktem Fels. „Wollt ihr euch nicht in eurer wahren Gestalt zeigen? Seid unbesorgt, hier gibt es keine Wachen. Der Unhold in den Brutstätten arbeitet gerne allein und ohne lästiges Sterblichen Geschmeiß.“
Alida riss sich zusammen, sammelte sich, zerfloss zu einer einzigen flüssigen Masse und nahm dann wieder menschliche Züge an. Sie sah auf ihre Finger. Es war ihr offensichtlich gelungen die Gestalt des einfachen Dienstmädchens wieder anzunehmen. Zögernd trat sie näher. Ihre Stimme echote in ihren Ohren. Die Stimme war ihr zu vertraut. Sie klang noch immer wie Alida. „Ich will in die Tiefen der Höhlen, da habt ihr recht. Auch wenn ich wünschte, es wäre anders, habe ich nicht die Zeit jeden von euch zu befreien.“ Sie wandte den Blick ab. „Nichtsdestotrotz… ich werde mich hier, das ist mir klar, nur verirren. Verratet ihr mir den Weg, den ich weiter gehen muss, wenn ich euch im Austausch frei lasse?“ Sie hasste es solche Angebote zu unterbreiten. Das war alles, aber nicht ihre Art. Alida hatte keine Wahl, denn die Zeit drängte.
Das Wesen, was immer es sein mochte offenbarte sich Alida indem es ein paar winzige Schritte näher an den Ausgang des Spalts heran trat, um dort ein wenig in das grelle Licht getaucht zu werden. Offenbar handelte es sich um einen ziemlich zerlumpten aber eindrucksvoll großen, schwarzen Wolf. Ganz mochte es nicht stimmen, denn hie und da unterschied sich das Wesen von einem typischen Wolf. Die Zähne waren länger, die Augen stimmten überhaupt nicht und die Größe hätte wohl eher auf einen verwandelten Gangrel schließen lassen. Süß träufelte die Stimme des Wolfes an ihr Ohr. „Ein jeder will in die Höhlen mein Kind, das wollen sie alle miteinander. Jeder aus unterschiedlichen Gründen und selbst die nicht wollen, landen irgendwann doch hier.“ Der Wolf leckte sich über die Lefzen. „Aber die Dinge ändern sich so wie es scheint. Für die Hexer hat endlich ihr letztes Stündlein geschlagen. Sind die Drachen schon vor den Toren? Ah verratet es mir nicht, ich werde es wohl bald wissen. Was meine Befreiung angeht…. Vergesst es schnell wieder, mein Kind.“ Er tat einen weiteren Schritt nach vorne und sie sah das schwere, schmiedeeiserne Halsband um seinen Hals, mit einer schweren Kette daran. „Ihr werdet mich nicht befreien und höchstwahrscheinlich auch keinen andren an diesem Ort. Aber in die Höhlen, in die gelangt ihr ohne Frage. Ihr müsst nur ein wenig hinter die große Kristallformation sehen, da führt der Weg weiter an euer Ziel.“

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Alidas Augen verengten sich. „Was für ein Geschöpf seid ihr? Und warum seid ihr bereit mir zu helfen? Ohne Gegenleistung?“
Der Wolf legte den Kopf etwas seitlich und betrachtete Alida mit diesen schimmernden grünen Augen, die einen förmlich zu durchbohren vermochten. „Ich glaube nicht, dass ich euch eine große Hilfe bin, den Weg hättet ihr auch ohne mich gefunden. Somit schuldet ihr mir also gar nichts Kind des ersten Mörders. Und was ich bin?“ Der massige Kopf drehte sich in die andere Richtung. „Ein Wolf wie ihr seht oder mehr das was die Hexer gedachten aus mir zu machen, als sie mich beschworen. Meine Zeit ist unweigerlich gekommen, meine Liebe. Die Tzimisce füttern mich nur noch, weil sie sich noch nicht ganz im Klaren darüber sind was ich bin.“ Er legte sich der Länge nach hin und legte den Kopf auf die Vorderpfoten. „Aber das wird bald vorbei sein. Sobald dieser Krieg ein Ende gefunden hat, wird man diese Höhle dem Erdboden gleichmachen oder mich verhungern lassen.“
Alida seufzte. Sie war weder Gerrit noch Lucien und die Aussichten diese Kette zu lösen war wahrlich gering. Aber sie konnte es versuchen. Noch einmal schaute sie das Wesen näher an. Es sprach in Rätseln. Die Aura, die sie erkannte war eine, die sie noch nie zuvor gesehen hatte: magisch, spirituell, abgründig
Sie schüttelte den Kopf. „Willst du, dass ich versuche dich zu befreien?“
Das Ungetüm schmunzelte fasst. „Glaubst du, ich selbst wäre nicht kräftig genug diese lächerlichen Ketten zu sprengen? Wir befinden uns unter der Festung von Bluthexern und untoten Abkömmlingen einer degenerierten Sippe von Fleischformern. Glaubst du es ist diese Kette die mich hält? Nein, mein liebes Kind, es ist die Magie daran. Und nur die kann mich wieder befreien. Du brauchst den Schlüssel des Zuchtmeisters und der wird gut verwahrt.“ Der Wolf knurrte etwas belustigt. „Aber bei all dem Getümmel und Lärm da oben, ist das ohnehin sinnlos. Du wirst den Schlüssel nicht finden und niemand wird danach suchen, weil keiner weiß wonach er suchen muss; keiner einen Grund hätte. So werde ich vergehen, kleine Fluchträgerin, und mit mir dieser herrlich leuchtende Ort.“
Solltest du den Schlüssel dennoch finden…“, setzte er an. „Dann erfülle ich dir einen Wunsch wenn du mich frei lässt, sofern es in meiner Macht steht. Allerdings arbeitet die Zeit hier unten gegen jede Art von Wunsch fürchte ich. Meine als auch deine. Jetzt geh und erfülle dein Schicksal.“
Alida presste die Lippen aufeinander. „Dann kann ich nichts für dich tun… Es tut mir leid.“ Sie hasste diese Situation, weigerte sich aber falsche Versprechungen zu machen. „Ich muss gehen. Wenn ihr mögt, erzählt mir woran ich den Schlüssel erkennen mag, denn ich weiß nicht, wohin mein Weg mich in dieser Nacht noch führen wird… und was mir noch begegnen mag.“
„Der Schlüssel wird sich euch als solcher nicht offenbaren, denn er sieht nicht aus wie ein gewöhnlicher Schlüssel, so wie dies hier kein gewöhnliches Schloss ist. Aber ihr mögt ihn daran erkennen, dass er dem Leviathan Kreuz nachempfunden ist.“ Der Wolf schloss die Augen und schien sich nicht länger um Alida kümmern zu wollen. Teils weil er sich wohl schon ziemlich lange mit seinem Schicksal abgefunden hatte, teils wohl auch deshalb, weil er ganz sicher nicht an eine Rettung glaubte. Wie würde ihm einen dahergelaufene Fremde wohl auch helfen können? „Meine Rettung ist recht aussichtslos aber euer Weg ist noch nicht vorherbestimmt“, murmelte er vor sich hin. „Tut was ihr tun müsst, Kind der Nacht, und fasst, wenn möglich keine dieser Kristalle an, es würde euch… ungut bekommen.“ Damit schien er wieder schweigen zu wollen und sich einem unruhigen Schlaf hingeben zu wollen. „Ihr seid im Reich der Lügen… vergesst das nicht…“, flüsterte er ohne die Augen zu öffnen. Dann war er endgültig stumm.
Alida nickte ein letztes Mal in seine Richtung. „Vielleicht hält das Schicksal für euch noch einen Weg parat. Ich wünsche euch das Beste, Wolf.“ Dann wandte sie sich ab und schritt weiter durch die klar erhellten mystischen Hallen.
Der Weg führte sie weiter vorbei an dem hellen Licht und den Kristallformationen, die noch immer ungebrochen leuchteten und strahlten. Dahinter befand sich, so wie ihr der Wolf bereits zuvor berichtet hatte, ein weiterer Gang. Sie folgte dem natürlichen Höhlenbruch bis an sein Ende und trat dann in einen eindeutig von Menschenhand behauenen Tunnel. Zu ihrer linken sah sie einen riesigen Stein und Schutthaufen, der ein Weiterkommen in diese Richtung völlig aussichtlos machte. Zu ihrer rechten aber konnte sie dem Tunnel folgen, der in regelmäßigen Abständen mit Fackeln erleuchtet war. Wenn sie sich umblickte, so würde sie erkennen, dass man buchstäblich einen Graben quer durch die Höhlen geschlagen hatte, um schlussendlich an dieser Stelle durchzustoßen. Vermutlich wollten die Eroberer den linken Weg wählen, just jenen, der mittlerweile verschüttet war. Irgendetwas sagte ihr, dass sie sich wahrscheinlich gar nicht so weit weg von der Festung befand. Nur etwas tiefer, offensichtlich. Am Ende des Ganges weitete sich der Tunnel zu einem großen, hell erleuchteten Raum der links und rechts fest verschlossene Gittertüren aufwies. Die Machart des Steins und die Höhe der einzelnen Zellen, ließen Rückschlüsse auf die Gefangenen. Hin und wieder rasselten Ketten oder etwas schabte, kratzte oder grunzte. Es stand nach Kot, Urin und verfaulten Nahrungsmitteln aber das war bei weitem nicht so schlimm, wie der Duft der jenseits der Kammern an ihre Nase zog. Es roch wie in einem Schlachthaus.
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Alida benötigte erneut einige Sekunden um sich zusammen zu reißen. Das hier war der Osten und sie hatte genau gewusst, was sie hier erwarten würde. Aber das machte es nicht einfacher. Mühsam setzte sie einen Schritt vor den anderen. Sie merkte, dass sie zu hasten begann, doch es war ihr egal. Sie wusste, dass sie weiter musste.
Alida schritt vorbei an den Käfigen und wurde Zeugin des unermesslichen Grauens, das sich wohl nur in einer sogenannten ‚Bruthöhle‘ abspielen konnte. Viel hatte sie über die Meister des Formens gehört, vieles nur vom Hörensagen. Emilian und sie waren auch dazu in der Lage aber einige ihres Clans hatten es schon bis zum Exzess getrieben; sich selbst immer weiter zu neuen Untrieben angespornt um immer groteskere, verstörender oder mächtigere Kreaturen zu erschaffen. Es hieß sogar, dass manche daraus bereits eine eigene Religion erschaffen mochten; eine Art Erlösung durch Formung des eignen oder andern Körpers. Sie sah die wohlbekannten Licker, mit den langen, spitzen Zungen die dereinst auf der Kirche der heiligen Schwestern auf die Brügger Abgesandten gewartet hatten und auch Gerrit problemlos zu Fall gebracht hatten.

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In einer Rotte aus drei Kreaturen, fauchten und knurrten sie, sprangen wie wild im Käfig auf und ab als Alida daran vorbeiging und ließen die Zungen hervorschnellen. Im Käfig gegenüber saßen ein paar wimmernde, nackte Menschen, die aus glasigen Augen furchtsam zu ihr aufblickten. Dann ein monströses Etwas, wie ein haariger Bär aber mit gespreizten Knochenkiefern und den Muskeln eines Stiers. Das Ding stieß nur heiß die kalte Luft seiner Zelle aus den Nüstern und beobachtete Alida argwöhnisch. In den letzten Zellen sah sie ein völlig fleischgeformtes Etwas, dünn und hager war das Gesicht völlig deformiert, das speicheltriefende Kiefer offen und die Augen weit nach vorne gerichtet.

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Es taumelte mehr als es ging und war wohl nicht mehr in der Lage zu sprechen. Wie ein Kind oder ein stummer Krüppel, sah es Alida hilfesuchend an und klopfte ungelenk gegen die Tür der Zelle. Gegenüber befand sich ein ehrfurchtgebietender Steinkoloss, eine zerfurchte, brachiale Monstrosität in Form einer Gargyle. Auf allen vieren saß sie auf dem strohbedeckten Zellenboden und funkelte Alida einfach nur an.

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Alida dachte an Griselda und Victor, die oben gegen die Heere der Unholde ankämpften und ging auf den Käfig zu. Das wenigstens war sie den beiden schuldig. So leise dass es nur von dem Gargyle verstanden werden konnte, sprach sie den Koloss an. „Dort draußen kämpfen Gargylen darum, dich frei zu bekommen. Weißt du das?“
Das Ungetüm sah Alida nur grimmig an und legte den Kopf schief. „Verhöhne mich nicht, Drache. Du und deine Brut, ihr habt längst gewonnen. Ob die Meister uns versklaven oder die Drachen ausbluten lassen; was spielt es noch für eine Rolle? Mach mit mir was du willst aber verhöhne mich nicht.“ Die Stimme des Gargoyle klang rau und alt, knisterte wie frischer Kies im Garten von Alida. Gleichzeitig lag darin eine gewisse Weisheit und Klugheit, die man einem solchen Koloss, der nur für den Kampf gezüchtet worden war, gar nicht zugetraut hätte.
Alida lächelte kaum merklich. „Meine Lieblingsgargyle, Griselda, hat mir mitgeteilt, dass hier noch Mitglieder ihres Clans sind die es wert sind, gerettet zu werden. Offensichtlich gehört ihr zu denjenigen, von denen sie sprach. Mir bleibt nicht viel Zeit.“ Sie besah sich das Schloss näher, hielt nach einem Schrank für Schlüssel oder einem Haken Ausschau.
Die Gargyle legte den Kopf noch ein Stück weit schiefer und schien nicht recht verstehen zu können oder zu wollen. Und auch wenn es überhaupt nicht den Anschein hätte, als gäbe es irgendetwas, das sie dazu bewegen könnte ihre Position am hinteren Ender der Zelle zu verlassen, so ließ doch die Neugier auf Alidas Worte hin die steinerne Gestalt ein paar schwere, gleichmäßige Schritte in Richtung Zellentür machen. Sie richtete sich voll auf und überragte die Brüggerin spielend. Gerrit hätte endlich jemanden gefunden, der ihm noch ein Gegner im Armdrücken sein könnte. Das Ungetüm sog tief die Luft ein und versuchte den Duft von Alidas Haar zu riechen; beinahe konnte sie schon den Luftsog über sich spüren. „Griselda? Ich hörte diesen Namen. Eine der Schwestern hat ihn ihr gegeben, als sie von einen ihrer Streifzüge zurückkam. Es heißt, sie habe ihn von einer Frau gehört, die ihr Kind in einer Wiege bettete. Kinder brauchen Namen… Wer seid ihr?“, sagte der Koloss monoton. Einen Schrank für Schlüssel oder etwas dergleichen konnte Alida nicht ausmachen, dafür in einem Eimer an der Wand, kurz vorm Treppenaufgang alle möglichen Eisenwaren. Von kleinen Dolchen und Stiletten, über verrosteten verbogenen Schlössern und Hufeisen, Nägel und Fassumrandungen, war alles Mögliche zu finden. Und alles war mit getrocknetem oder frischem Blut überzogen.
Alida schüttelte nur den Kopf. „Mein Name tut in den Tiefen dieser Höhlen nichts zur Sache. Ich bin nur ein Drache, der ein Versprechen gegeben hat. Sollte ich es einlösen können, werdet ihr Griselda hoffentlich dort draußen antreffen. Wenn ich versage…“ Sie schluckte. „Nun, dann habt ihr wenigstens keinen Namen, den ihr verfluchen könnt.“ Sie suchte sich etwas aus den Tiefen des Eimers, das sie als Dietrich verwenden konnte und wischte das Metall an der Innenseite ihres Kleides ab. Dann versuchte sie sich an dem großen Schloss der riesigen Zelle.
Es war ein schrecklich kompliziertes Schloss und sicher nicht ohne Grund so gewählt worden. Es dauerte und bescherte Alida einige Momente der Frustration, ehe das alte mechanische Wunderwerk sich endlich öffnen ließ und die Gargyle freigab. Der Koloss sah für einen Moment völlig ungläubig auf die offene Tür und machte dann einige, langsam Schritte in Richtung Freiheit. Es dröhnte dumpf bei jedem Schritt, bis er vor Alida zu Stehen kam. „Weißt du wie lange ich schon der Sklave eines fremden Herren bin? Wie lange ich schon Sklave meiner eigenen Unmündigkeit bin? Das höchste Gut, das einer haben kann, ist die Freiheit, aber das wirst du nie verstehen können, Drache, du bist immerhin in Freiheit geboren.“ Der massige Schädel beugte sich zu ihr herab. „Ich werde Griselda finden und ihr von dir erzählen, Drache, deine Tat mag nicht in Vergessenheit geraten. Warum du das tust, kann ich nicht verstehen aber in deinen Augen liegt eine Güte, die ich an diesem Ort zuvor noch nie erblicken konnte.“ Langsam streckte sich der Hüne zu seiner vollen Größe aus und die steinernen Flügel reichten beinahe von der Zelle der einen Seite zur Zelle der gegenüberliegenden. „Ihr wollt mir euren Namen sicher nicht verraten? Dann will ich euch meinen nennen: Man nennt mich Boris. Vergesst ihn nicht, Drache.“
Alida senkte das Haupt. „Ich werde ihn nicht vergessen, Boris. Wenn ihr dort den Gang entlang geht, werdet ihr einen Weg nach draußen finden. Hütet euch vor allem was leuchtet, wurde mir gesagt.“ Sie deutete auf die Gänge durch die sie geschritten war. „Ich wünsche euch, dass ihr eure Sippe findet. Grüßt Griselda von mir.“ Sie atmetet kurz ein „Mein Name ist Alida, aber wer weiß, ob er in einigen Stunden noch existiert?“
Die Gargyle nickte und lenkte den Blick in Richtung des Eingangs, aus dem zuvor Alida in die Verließe gelangt war. „Die Zelle konnte mich halten, denn sie ist durchzogen von der Magie der alten Meister. Dieser Stein allerdings…“ Boris sah zur Decke des großräumigen Gefängnisses. „Ist frei von Blutmagie und kein Hindernis für mich. Einen Ein- oder Ausgang werde ich nicht benötigen, habt dennoch Dank.“ Seine Flügel weit ausbreitend, machte er sich bereit mitten im Raum vom Boden abzuheben. „Meine Sippe hat noch nie jemandem im Stich gelassen und auch ich werde das nicht tun. Mir scheint ihr selbst habt in diesen dunklen Hallen noch Dinge zu erledigen. Ich würde euch ja raten umzukehren, aber die Entschlossenheit in euren Augen steht eurer Güte in nichts nach. Habt Dank für eure ehrbare Tat und viel Erfolg für euer Vorhaben.“ Die Gargyle lächelte. „Wenn ich eines gelernt habe, dann das die Hoffnung immer zuletzt stirbt. Ich bin überzeugt davon, dass wir uns wieder sehen, Alida. Ich werde diesen Namen nicht vergessen. Passt auf euch auf, hinter diesen Verließen werdet ihr nichts finden als Schmerz und Pein.“ Damit schlug er mit den kräftigen Flügeln, die ihn mühelos in die Lüfte trugen und visierte die Felsendecke an, durch die er förmlich hindurchzufliegen schien. Ja, er verschmolz schier mit dem kalten Stein, so wie Lucien es oft mit der Erde tat. Kaum war er emporgestiegen, da war er auch schon wieder verschwunden und ließ Alida allein zurück in den Verließen. Die restlichen Monster in den Zellen tobten, stampften, kreischten und schabten wie verrückt. Die Menschen rüttelten an den Käfigtüren und das ungelenk-deformierte Ding schien beinahe in seinen Bemühungen umkippen zu wollen.
‚Verdammt‘ schoss es ihr durch den Kopf. Das war eindeutig zu laut. Alida ging weiter. Sie hielt sich in den Schatten, lauschte in die Dunkelheit. Es konnte nicht mehr so weit sein, versuchte sie sich selbst Mut zu machen. Auf der anderen Seite war ihr eines bewusst. Der Weg, den sie gekommen war, war annähernd menschenleer gewesen und schien selten genutzt. Es musste andere Wege ins Innere der Bruthöhlen geben, die von den Unholden häufiger begangen wurden. Wege, die von den Untergebenen Rustovichs aufgesucht wurden. Von dort musste der Tross kommen, der Emilian festsetzten würde. Falls er es nicht schon getan hatte.
Sie hörte nichts und niemanden, außer den Biestern und hilflosen Menschen, die sich erst nach einer guten Weile wieder beruhigen wollten. Es mochten vielleicht gute fünf Minuten vergehen, dann war es wieder merkwürdig still in den Hallen. Nichts war passiert, niemand war erschienen.
Sie ging weiter.
Sie kam in einen weiteren, sehr weitläufigen und mehrfach unterteilten Raum, dessen Zweck ihr schon bei erstmaligem Betrachten völlig klar wurde. Die Haken und Seile, Apparaturen, Maschinen, Nieten, Gürtel, Zahnräder, scharfen, stumpfen und gezackten Werkzeuge, Käfige und Senkgruben konnten nur eines bedeuten: Sie hatte eine Art Folterkammer erreicht.

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Eine Folterkammer, die groß und einladend war und zudem auch Experimenten dienen mochte. Das wurde an merkwürdigen anatomischen Zeichnungen und kryptischen Symbolen, großen Operationstischen und merkwürdigen Flüssigkeiten, eingelegten Körperteilen in vergilbten Flaschen eindeutig erkennbar. In einigen Käfigen waren nur noch Knochen, während in anderen blutige, abgetrennte Gliedmaßen lagen. In einer stinkenden Grube voller Maden und Ratten, lagen die schimmelnden Überreste hunderter Gedärme und Organe. Eine halb aufgeschlitzte Frau ohne Augen war auf eine Streckbank gefesselt, ein halbierter Männertorso ohne Kopf, hing an Haken an der gegenüberliegenden Wand. Sägen, Haken, Gestänge, Winden, Messer, Beile und allerlei Kurioses lag verstreut umher.
Und dann sah sie ihn: Emilian. Er war nackt und bloß, buchstäblich an einen großen Bretterverschlag genagelt worden. Spitze Dorne durchbohrten die Arme und Scharniere hielten die Füße zurück. In seinem Blick lag angewiderter Hass.
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Davor stand eine Gestalt wie aus einem Alptraum. Es besaß keine Augen oder keine solchen, die man hätte erkennen können, dafür war die bleiche Haut nach hinten gebogen worden und entblößte die weißen Zähne, die mit Draht nach hinten gehalten wurden und die Lippen abspreizten. Lederne Roben umhüllten das schmale Etwas. Ohne Frage handelte es sich hier um den Meister des Fleisches, einem Könner und Folterer ohne gleichen: Lambros.

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