Do 18. Aug 2016, 21:23
Hinweis: nur Dialog
Lange hatte es gedauert, ehe überhaupt nur an einen Moment der Erholung und des Nachlassens der allgemeinen Anspannung zu denken war, aber schlussendlich war es doch noch soweit: Das große Siegesfest der Eroberer von Ceoris; Valdimir Rustovich, des Verteidigers der Stammlande des Clans Tzimisce, wurde in einem überschwänglichen Maß an Ausgelassenheit und monströser Ausschweifungen eröffnet. Schon Tage zuvor waren die Bergungsarbeiten der Geheimnisse und Wertgegenstände der Hexer in vollem Gange gewesen und unablässig waren bei Tag und auch bei Nacht die Ochsenkarren den steilen Bergweg Richtung Anhöhe gekarrt worden, um die wertvolle Fracht zu verladen und zum Stammsitz der Familie zu überführen. Natürlich gab es sowohl bei den regulären Einheiten und Freischärlern den einen oder anderen Plünderer, der sein Glück in einem vermeintlich unbeobachteten Moment versuchte. Aber die Tormentoren hatten ein wachsames Auge und so konnte Alida in den Nächten vor dem Fest immer wieder Soldaten des eigenen Heeres sehen, die an große Holzblöcke aufgeschlagen waren und dort langsam verbluteten wenn sie Glück hatten. Diejenige, die schon für die Unholde oder gar gegen sie gekämpft hatten, kamen derartige Ideen gar nicht in den Sinn und die Abschreckung verfehlte auch nicht ihre Wirkung. Währenddessen wurde am Fuße des Berges einiges an Lebensmitteln und literweise Bier und Schnaps konfisziert, das nicht lange brauchte um in der Küche von Vardenfell zu landen. Dort hatte man bereits unter Tags gekocht und gedünstet, gebraten und zerhackt um für die tapferen Kämpfer der Drachen ein opulentes Schlachtmahl aufwarten zu können. Nicht weniger als zehn Schweine hatte man auf überlange Spieße gesteckt, gefüllt und stundenlang garen lassen, während riesige, eiserne Töpfe einen nie endenden, dicken Eintopf vor sich hin blubbern ließen. Es gab sogar einen mehrstöckigen Kuchen, süße Früchte aus fernen Ländern und türkischen Honig. Bereits als die Brüggerin in dieser Nacht erwacht war, vernahm sie das ausgelassene Gejohle, Geschrei und Imponiergehabe der sterblichen Soldaten. Ein kurzer Gang, der sie durch die Tunnel der verfallenen Festung führte, in der sie sich mittlerweile fast wie zu Hause fühlte, vervollständigte das Bild vor ihrem geistigen Auge: Rustovich hatte für Gerechtigkeit gesorgt: Die eine Hälfte der Soldaten durfte sich heute dem ausgelassenen Sieges- und Alkoholrausch hingeben; morgen waren dann die tapferen Männer an der Reihe, die nunmehr Wache hielten und sich noch immer in höchster Alarmbereitschaft befanden. Becher und Kannen klapperten während Besteck auf Tellern kratze und der vom fettigen Bratensaft erfüllte Raum förmlich überquoll von angetrunkenen, lachenden, sich prügelnden und tüchtig essenden Soldaten. Man hatte im Speisesaal überall lange, bunte Tücher aufgehängt die wellenförmig geschnitten worden waren, sodass sie Schlangen ähnelten. Die Schlange galt als das Symbol der Tremere und von daher hatte man dutzende dieser Stoffschlangen mit Schnüren am Hals aufgehängt. Am Rande der Szenerie tummelten sich einige leichte Mädchen, die man wohl freiwillig oder unfreiwillig an dem ganzen ‚Spaß‘ teilnehmen ließ. Alida begnügte sich mit dem Gedanken, dass die Kunde über ein großes Heer und dessen Sieg nicht selten die Huren anzogen und von daher den Mädchen im Dorf keine direkte Gefahr drohen sollte. Emilian hatte ihr ein kleines Paket zukommen lassen und ihr aufgetragen auf ihn zu warten, bevor sie gemeinsam in den Versammlungssaal der Tzimisce schreiten würden, wo der Clan gemeinsam den so lang ersehnten Sieg feiern würde. Als sie die Verpackung, die von Schnüren gehalten wurde öffnete, erblickte sie fließenden, roten Samtstoff der kurz darauf in Ärmel und Rock überging; ein prächtiges Abendkleid mit einer dezent französisch angehauchten Korsage. Die Stäbchen selbiger waren, wie sie schnell feststellte, aus weißem Knochen gefertigt und auch das Muster, das sich nur durch einen leicht dunkleren Farbton vom restlichen Rot abhob, fühlte sich leicht ledrig und dabei doch geschmeidig an.
Alida hatte die Vorbereitungen auf das Treiben mit einer gewissen Mischung aus Unruhe und Erwartung verfolgt. Auf der einen Seite wäre sie am liebsten noch in der nächsten Nacht nach der Eroberung von Ceoris aufgebrochen. Wer wusste schon, ob sich Vladimir Rustovich nicht zu guter Letzt doch noch einmal umbesinnen würde. Zum anderen war da Neugier und gespannte Erwartung. Sie wusste zu wenig von der Welt der östlichen Tsimiske… Emilian hatte ihr schon vor mehr als hundert Jahren hin und wieder davon berichtet. Es waren Geschichten von Grausamkeit und Stolz, Familienbanden und Ehre, dunklen Wäldern, heimeligen Ortschaften und tief im Schatten liegenden Schlössern in den tiefsten Tiefen der Karpaten, von Blutdurst, Rache und Gastfreundschaft. Geschichten, die ob ihrer Grausamkeiten jedem Zuhörer einen Schauer über den Rücken jagten doch zugleich bis zur letzten Minute zu fesseln wussten.
Sie fuhr mit den Fingerspitzen über das Geschenk und verharrte bei der samtenen Stickerei. Es war ein edles Geschenk und dennoch fragte sie sich aus welchem Material wohl der ledrige Teil bestand und sie schluckte einen Moment. Emilian wusste, dass sie gewiss nicht erfreut darüber wäre Menschenteile als Kleidung zu tragen und er würde darauf Rücksicht nehmen. Zumindest hoffte sie das. Langsam streifte sie sich das Kleid über, knüpfte die Bänder, befestigte das wenige an Schmuck, das an einem Ort wie Vardenvall zur Verfügung stand und begann mit dem Flechten ihrer Haare. Sie spürte wie ihre Finger sich verkrampften als die Strähnen sich wieder zu lösen begannen und erneut herab fielen. Sie seufzte, überlegte einen kurzen Moment und begann dann mit der den Unholden innewohnende Kraft des Vicissitudo, wie so mancher gelehrte Tsimiske Fleischformen nannte, die blonden Haare zu bearbeiten.
So verbrachte sie eine knappe Zeit alleine in ihrem geräumig eingerichteten Zimmer vor dem Spiegel, um sich ihre Haare, passend zum prachtvollen Abendkleid zu flechten und ansehnlich zu drapieren. Mithilfe ihrer Kenntnisse des Fleischformens war es ein einfaches ihre Frisur ihren Wünschen entsprechend zu formen, obgleich sie nur zu gut wusste, dass manche Tzimisce es sicher nicht bei den Haaren belassen hätten. Dann klopfte es an der Tür, aber bevor sie noch etwas sagen konnte, war der Besucher offenbar schon eingetreten. Mittlerweile konnte sie schon am Gang erahnen, um wen es sich handelte und einen Moment später bestätigte sich ihr begründeter Verdacht: Emilian lehnte im Türrahmen und trug die Gewänder der russischen Aristokraten; ihr sterblicher Vater hätte scherzhaft vielleicht ‚Ausgehuniform‘ dazu gesagt. Zumindest kam es dem sehr nahe, was tüchtige Geschäftsleute bei einem wahrlich bedeutsamen Kaufabschluss zum Abendessen trugen. Auch hier wiederholte sich Samt und edle Stoffe, die kunstvoll dem Auge schmeichelten. Lilliane wäre vielleicht allein schon beim Anblick des roten Kleides in tiefe Andacht verfallen. Mit einem bewundernden Lächeln, betrachtete sie ihr Erzeuger langsam und genießerisch von oben bis unten. „Du bist wunderschön. Das Kleid steht dir wirklich ausgezeichnet.“ Abrupt stieß er sich vom Rahmen ab und machte ein paar Schritte auf sie zu; kam hinter ihr zu stehen, um den Duft ihrer Haare in sich aufzunehmen und seine Arme um ihre Hüften zu legen. „Es ist selten, dass man dich so zu Gesicht bekommt. Ich hoffe meine kleine Aufmerksamkeit gefällt dir?“
Alida lachte. „Das Kleid ist wunderschön. Ich werde mir wohl besser ersparen zu fragen wo du so etwas in Zeiten wie diesen herbekommst, oder?“ Sie schmunzelte und nickte anerkennend. „Dich hab‘ ich auch noch nicht oft so herausgeputzt gesehen. Adel und Bürgertum sind wohl wahrlich zwei verschiedene Klassen.“ Sie drehte sich zu ihm um und umarmte ihn fest, roch an seiner Haut, fuhr ihm mit den Fingern durch die leicht welligen, fast zu perfekten Haare und vergrub schließlich ihre Stirn an seiner Schulter.
Emilian hob beinahe spitzbübisch entschuldigend die Schultern. „Erwischt… wobei ich mir erlaubt habe es ein wenig zu adaptieren. Zu so einem festlichen Anlass, denke ich ist ein wenig Knochen durchaus stilvoll und angebracht.“ Er küsste sie auf die Stirn, als sie ihm durch die Haare fuhr und lächelte nach wie vor ungebrochen und offenbar auch schon in freudiger Erwartung der bevorstehenden Feierlichkeiten. „Im Osten ist das Bürgertum und der Adel ziemlich leicht voneinander zu unterscheiden; die gesellschaftlichen Klassen sind viel ausgeprägter und die Kluft zwischen Arm und Reich um einiges größer. Hier lebt man von Traditionen und jeder spielt seine Rolle gewissenhaft und pflichtbewusst.“ Mit ein zwei Schritten, sie dabei an den Händen haltend, deutete er einen Tanzschritt an, um ihr zu ermöglichen seine Festgarderobe zu bewundern. „Vielen Dank, ich musste mir auch etwas bei Andrej ausleihen aber er scheint ja auf derlei Dinge immer bestens vorbereitet zu sein.“ Draußen hörte man ein lautes Lachen und Johlen. Emilian grinste. „Das hört bald auf sobald die Feierlichkeiten der Drachen beginnen. Die Soldaten dürfen und sollen ausgelassen sein und sich auch tüchtig besaufen, wenn sie das wollen. Aber Rustovich wünscht trotzdem eine gewisse Disziplin und Ruhe. Wenn hier irgendjemand durch die Gänge rennt und sich ungebührlich verhält, bekommt er von den Tormentoren eine Abreibung und landet in einer Zelle. Der Lärmpegel von unten dürfte sich in Grenzen halten.“ Er bot ihr seinen Arm an. „Wollen wir meine, bildhübsche Unholdin?“
Sie biss ihn spielerisch ins Ohr und kostete den wunderbaren Geschmack des Bluttropfens auf ihren Lippen. Raunend brummte er genießerisch, als ihre Fänge sein Ohr sachte durchbohrten und von seiner Vitae kosteten; anschließend bot er ihr erneut galant seinen Arm an und führte sie durch das Zimmer auf den steinernen Flur.
„Du gefällst mir. Frauen scheinen wohl doch auf Männer in Uniform zu stehen.“
Emilian hob leicht eine Augenbraue und grinste besonders breit. „Na dann sollte ich wohl öfter in Uniform ausgehen, hm? Vielleicht sollte ich Andrej um den Namen seines Schneiders bitten…“
"Bitte nicht. Das fehlt noch, dass hier zwei Kainiten in so dekadentem Stil umherlaufen." Sie lachte kurz, wurde dann wieder etwas ernster. "Du bist ihm in gewisser Hinsicht recht ähnlich, deinem Onkel. Ihr beide plant gern und mögt es, wenn die Dinge so geschehen, wie ihr es durchdacht habt..."
Emilian nickte. „Ich habe vielleicht mehr von Andrej als von Vladimir aber andererseits, haben sich wohl gerade ersterer und mein Vater auch besser verstanden. Was uns alle eint, ist das Bestreben, das woran wir glauben bis aufs Blut zu verteidigen, ganz gleich ob wir das mit unserer Familie, mit unserem Kopf oder unseren Waffen tun.“ Er küsste sie erneut auf die Wange und grinste schelmisch. „Aber ich gebe zu, Planung ist ein essentieller Teil meiner Existenz.“
Alida deutete kurz mit einem zweifelnden Verziehen des Gesichts auf ihre Garderobe und die Haare, dann auf ihn. „Reicht das denn für diesen speziellen Anlass?“ Er wusste genau, worauf sie hinauswollte.
„Absolut. Ich glaube nicht einmal, dass Vladimir selbst in solch edle Gewänder gehüllt sein wird; womöglich eine Prunkrüstung, das träfe seinen Geschmack noch am ehesten. Du siehst fantastisch aus und darfst dabei auch nicht vergessen, dass wir uns noch immer an der Front befinden. Jeder wird so festlich erscheinen, wie es ihm möglich ist, aber du bist jetzt schon der Blickfang des Abends. Ganz bestimmt.“ Zärtlich küsste er sie auf die Wange, während sie den weiten, von flackernden Fackeln erhellten Gängen folgten.
Sie seufzte. „Ich bin ja vieles ganz gern, aber ein Blickfang ganz sicher nicht.“
Sie kannte den Weg bereits recht gut und fand sich selbst schon in der kurzen Zeit, die sie in der alten Festungsanlage verbracht hatte, außergewöhnlich gut zurecht. Alida hätte schwören können, dass es ein kompliziertes System gab, nach dem die Gänge und Abzweigungen angelegt hatten, aber dies zu ergründen blieb ihr bisher verwehrt. Nach einer guten Weile kamen sie am altbekannten Durchgang an, der über ein paar Zwischenräume zum Versammlungssaal führte. Vor dem Tor standen zwei Tormentoren in polierten Rüstungen, die sofort Haltung annahmen als die beiden sich näherten. Links und rechts der Torflügel, hatte man Schilder mit dem Wappen des Drachen an der Wand angebracht, die sich im Fackellicht rot und schwarz spiegelten. Es wirkte bedrohlich, doch im Grunde stellte sie überrascht fest, das darin auch eine gewisse eigentümliche Würde lag. Ungehindert konnten sie passieren und fanden sich kurzerhand auch schon im Saal wieder, in dem Alida das Urteil des Voivoden vernommen und in den Kerker gesperrt worden war. Der ganze Raum war mit unzähligen Kerzen erleuchtet worden und irgendetwas verströmte einen dezent, würzigen Duft. Vermutlich waren es die Öllampen, die man an den prunkvollen Säulen angebracht hatte.
Das offene Fenster war mit einem großen Vorhang abgedeckt worden, doch der Winde hatte ohnedies nachgelassen; wohl nicht zuletzt, weil die Magie der Tremere versiegt war. An einer langen Tafel, die mehrere silberne und reich verzierte Pokale mit seidenen Tüchern bereithielt, saßen die versammelten Sieger und Unholde des Ostens. Teppiche aus Fell schmückten den Boden und edle Tischtücher waren gespannt worden. Rustovich stieß gerade mit Lugoj an, der ungeschickt das Gefäß umklammert hielt. „Nicht so zaghaft, junger Drache, ein Krieger zeigt Selbstbewusstsein und Tatendrang, was immer er auch tut. Halt dich gerade.“
Und obgleich es streng und kommandierend klang, konnte Alida sehen, dass der Drache der Drachen lediglich Gefallen daran fand den jungen Unhold zu schulmeistern. Andrej hingegen hatte die beiden Neuankömmlinge bemerkt und sich schon erhoben. „Ah, welch formidabler Anblick. Emilian Victorovich-Rustovich und sein Kind Alida van de Burse. Gesellt euch zu uns, willkommen im Kreise der Familie. Auf die Familie.“ Er erhob seinen Pokal und prostete ihnen zu. Emilian lächelte Alida augenzwinkernd an und entließ ihre Hand, sodass sie sich frei bewegen konnte.
Alida senkte den Blick als sie sich der Elite der russischen Drachen näherten und verbeugte sich als Andrej sich erhob um ihnen und den anderen zuzuprosten. Sie ließ den Blick über die Gesellschaft der Kainiten schweifen, musterte die Gesichter und suchte nach dem ein oder anderen, das sie vielleicht schon gesehen hatte. Neben ihrem Erzeuger trat sie näher an die Tafel und ließ sich auf einem der Stühle nieder, die man ihr anbot.
https://www.youtube.com/watch?v=MNsjsEate-YDer Saal war wunderschön dekoriert worden. Wo bei den einfachen Soldaten bunte und vor allem ‚tote‘ Schlangen hingen, prangte an der Spitze der Führungsriege das Drachenemblem in verschiedensten Ausführungen. Es hing an Wandteppichen und an silbernen Karaffen, glitzerte an Gürtelschnallen und fand sogar Einzug in den feinen Zwirn, welchen manche der Unholde und deren Untergebenen am Leibe trugen. Die Tafel, das sah sie nun, machte eine Biegung und umschloss beinahe den ganzen Raum; formte ein großes Rechteck, hinter dem aufgereiht hohe Stühle aus edlen Hölzern standen. Sie erblickte Gesichter, die sie noch niemals gesehen hatte. Manche wirkten einfach und trugen saubere aber unscheinbare Kleidung, andere waren tatsächlich verformt und missgestaltet, andere wiederum engelsgleich. Eine Dame hatte sich ihren Schädelknochen zu einem Dutt nach oben geformt, ein besonders kriegerischer Tzimsce hatte sich zwei Hörner kreiert. Gelegentlich hatte man eigene Bedienstet oder Wachleute in blanker Rüstung neben sich aufgereiht und positioniert, die still und schweigsam darauf warteten ihren Herren und Damen dienstbar sein zu dürfen. Es war ein allgemeines Gemurmel im Raum und hie und da waren leichte feminine Laute zu hören oder erstauntes Raunen. Emilian verbeugte sich, als Alida einen leichten Knicks vollführte und gemeinsam umrundeten sie den Tisch, wo Andrej bereits auf die beiden wartete und ihnen einen Platz an der Tafel zuwies; der blonden Frau den Stuhl zurechtrückte.
„In Frankreich ist der Kavalier wohl gerade wieder sehr gefragt?“, spöttelte Emilian ein wenig grinsend.
Andrej lächelte nur. „Ich muss dich berichtigen, geliebter Neffe, Anstand und gute Erziehung ist die Voraussetzung ein Kavalier zu werden.“ Auch er grinste, während Alida Platz nahm.
Von ihrem Platz aus konnte Alida die versammelten Drachen allesamt recht gut überblicken und stellte fest, dass an einer Seite ein Tisch fehlte womit der Durchgang auch im Inneren des Rechtecks möglich war. Vermutlich für die Bediensteten und für die ohne Frage angedachte, nächtliche Unterhaltung. Rustovich schwang den Kelch.
„Das soll eine Siegesfeier sein? Spielmann, spiel auf sonst spielst du bald nur noch Harfe!“ Einige lachten, manche verhalten, manche lauter. Im Hintergrund stand eine kleine Ansammlung eher ärmlich wirkender Leute mit Instrumenten, die anfingen ein Lied vorzutragen. Sogleich hob sich die Stimmung des Voivoden.
Andrej umschloss Alidas Hand und küsste sie. „Es ist mir ein ganz besonderes Vergnügen dich heute hier zu wissen, Alida. Eure Stadt hat mich davongejagt, doch hier sollst du mein Gast sein. Jeder Wunsch soll dir heute Nacht erfüllt werden und es gibt keine Unterhaltung, die wir heute missen werden.“
Alidas Augen verengten sich, lächelten dann leicht herausfordernd. „Ihr wisst doch mittlerweile, Meister Andrej: Wir Kainiten im Westen tendieren dazu mitunter ein wenig nachtragend zu sein. Vor allem wenn man versucht uns unserer Heimat zu berauben, unsere Mauern bombardiert und mit mächtigen Kriegsvoivoden in Zulogestalt bei uns einfällt. Aber seid doch so freundlich und seht uns das nach. In 48 Jahren seid ihr mein gern gesehener Gast und dann dürft ihr euch der herzlichsten Gastfreundschaft gewiss sein zu der Brügge fähig ist. Sofern meine geliebten Verbündeten mir nicht für solchen Frevel den Kopf von den Schultern trennen.“ Sie lachte amüsiert auf und senkte dann den Kopf in einer kurzen amüsierten Verbeugung. „Es wird mir eine Ehre sein.“
Der Unhold sah sie etwas überrascht an, lachte dann aber plötzlich laut und ungehemmt; etwas das sie von Andrej vielleicht in dieser Form nicht erwartet hätte. Nur kurz darauf jedoch, verbeugte er sich schon wieder höflich und gesittet in ihre Richtung und zwinkerte ihr verschlagen zu. „Es ist erstaunlich, was ein paar Tage im Kreise der Familie so alles bewirken können, ich bin entzückt. Mir scheint du hast einen guten Schuss Rustovich in den Adern, mein Kind. Apropos Schuss… was wünscht du zu trinken? Die Speisekarte hat heute Abend eine erlesene Auswahl.“ Er klatschte knapp in die Hände und neben den beiden erschien ein Junge, der gerade fünfzehn Jahre zählen mochte. Er wich ihrem Blick zaghaft aus und verbeugte sich knapp ohne ein Wort zu sagen. Andrej hingegen, tätschelte dem Jungen über das braune, strubbelige Haar und lächelte. „Pjotr hier wird sich für dich nach allem umsehen, wonach dein Herz verlangt. Vladimir zum Beispiel hat sich einen kräftigen Vodka bestellt; der erheitert ihn immer, auch wenn er ihn selten bekommt. Manches haben wir auf Vorrat aber natürlich schmeckt man das Bouquet nicht in diesem Umfang, wenn die Vitae erkaltet. Möchtest du vielleicht einen Aperitif?“
Alida sah Andrej fest, aber freundlich an. „Oh, ich glaube doch, wir alle werden ein wenig mutiger, wenn uns nicht in jeder einzelnen Minute die Möglichkeit der endgültigen Vernichtung anlacht.“ Ihr Blick, der zu Emilian wanderte und ihn wissend ansah, konnte auch Andrej nicht entgangen sein. Was immer Alida in den Zeiten ihrer kainitischen Existenz erlebt hatte, was war das schon im Vergleich zu dem gefährlichen Spiel, das ihr Erzeuger in jeder einzelnen Nacht gespielt hatte?
„Oh, ich wäre erfreut, wenn Ihr mir etwas bestellen könntet, Meister Andrej. Ich bin mir sicher, dass wenige hier an dieser Tafel sich so vorzüglich dazu eignen.“
Ihr Erzeuger an ihrer Seite fing ihren Blick auf und sah dann ebenfalls fest zu Andrej; wirkte insofern unterstützend, als dass er damit ihre Aussage geradewegs mit seiner Person untermauerte.
Andrej schmunzelte leicht und schien sofort verstanden zu haben, worauf sie es angelegt hatte. Sein Nicken bekräftigte ihre Aussage wohlwollend. „In der Tat. Es lebt sich viel angenehmer, wenn man gelegentlich ein wenig Abstand von seinen Häschern nehmen kann.“ Erneut tätschelte er den Knaben. „Aber mach dir keine Illusionen, jetzt da sein guter Name rehabilitiert wurde, wird es womöglich nicht besser, sondern schlimmer. Türen schwingen nach beiden Seiten, Alida van de Burse, und wo eine aufgeht, tun sich gute wie schlechte Dinge vor einem auf. Doch heute Nacht sollen es die Guten sein, an denen wir uns erfreuen…. Wie zum Beispiel…“ Der Unhold tippte sich nachdenklich auf die Lippe. „… ein aquitanischer Rotwein. Ich denke das dürfte deinen Gaumen erfreuen.“ Er nickte dem Knaben zu, als dieser sich nach einer raschen Verbeugung aus dem Staub machte. Andrej indessen, wandte sich an Emilian. „Geliebter Neffe, würdest du mir die Ehre erweisen und eine Partie meines Lieblingsspiels mit mir bestreiten?“ Sein Blick streifte Alida. „Selbstverständlich könnt auch ihr euch frei bewegen und euch mit den Gästen unterhalten, viele von uns finden derartige Aufmärsche übertrieben und fühlen sich ohnehin nicht wohl dabei. Da kommt es ihnen sehr zugute, dass diese Räumlichkeiten genug Platz bieten um ein wenig frische Luft zu schnappen.“ Andrej sah zunächst zu Alida, dann zu Emilian und lächelte schlussendlich.
Alidas Erzeuger warf ihm einen herausfordernden Blick zu. „Ich möchte fair sein und dich warnen, ich bin recht gut, Onkel.“
Andrej lächelte weiterhin. „Das hoffe ich doch.“
Kurze Zeit später verließen sie gemeinsam den Tisch um sich etwas abseits der Festtafel an einen kleinen Tisch zu setzen, auf dem ein Schachbrett aufgestellt war. Im Gehen strich Emilian Alida über die Schulter; sie öffentlich auch nur mit einem Kuss auf die Stirn zu bedenken, wagte er offenbar nicht.
Alida sah den beiden Männern hinterher unterdrückte ein Schmunzeln. Ganz wie zu Hause. Es gab immer den ein oder anderen, der sich vom Tisch erhob um anderen Beschäftigungen nachzugehen und das Schachspiel zählte immer wieder dazu. Marlene und Jean als sie noch jünger gewesen waren, Evelyn und Emilian vor längst vergangenen Zeiten.
Alida wartete noch einige Minuten ab und erhob sich schließlich mit einem gefüllten Pokal, der auf dem Tisch stand. Sie trat zu dem großen Fenster und schob vorsichtig den Vorhang zur Seite. Sie war gespannt auf den Blick auf Ceoris, der sich ihr nun bieten würde.
Der Anblick, der sich Alida in dieser dunklen Nacht bot, war einerseits ein erhabener und gleichzeitig ernüchternder. Ceoris lag nach wie vor als drohende Festung in den wolkenverhangenen Ausläufern der Karpaten und wenn sie sich ganz besonders bemühte, konnte sie sogar hie und da das Aufleuchten eines kleinen Lichtschimmers hinter den steinernen Tor- und Fensterbögen erkennen. Noch immer wurden einzelne Regimenter der Armee des Drachen dazu abkommandiert mithilfe kundiger Unholde und Gelehrter, selbst die noch am besten verborgenen Verstecke und Geheimnisse aus den kalten Eingeweiden der Hexerburg hervorzuholen. Und das war auch gut so, denn wie sie bereits gestern Nacht festgestellt hatte waren mit den Ochsenkarren, die Bücher und andere wertvolle Gegenstände nach unten ins Tal brachten, große Holzplanken und Wagenräder nach oben transportiert worden. Aus den Erinnerungen an den Krieg um Brügge erkannte sie darin bald Ballisten und große Schleudern, die ohne Frage das Feuer eröffnen würden, sobald das Interesse der Tzimisce für Ceoris versiegt wäre oder aber alles an einen sicheren Ort gebracht worden war, das irgendwie von Nutzen sein konnte.
Leise trug der Wind das Gelächter der feiernden, sterblichen Soldaten an ihr Ohr, als sie ein leicht metallisches Rasseln vernahm. Ohne sich umdrehen zu müssen, erkannte sie allein am festen Aufsetzen der Schritte, dass sich der Heerführer persönlich zu ihr gesellte.
https://www.youtube.com/watch?v=sFdSQ_utdD4Das schwere Gewicht von gepanzerten Handschuhen landete mit einem Mal auf ihrer Schulter, als der Unhold sich neben ihr positionierte. „Unter uns gesprochen ist es eine Schande diese Trutzburg zu vernichten. Du kannst dir sicher vorstellen, dass ich diese Ressource nur ungern aufgebe“, begann er in einem beinahe vertrauten Ton ein Gespräch mit ihr. „Doch selbst wenn ich mich manchmal nicht besonders um die Details dieses Krieges schere, so kann ich diesen Haufen Stein nicht einfach dort stehen lassen. Politische Gründe hauptsächlich, …aber auch einfach aufgrund der Tatsache, dass wir nie wissen werden, was abseits aller Bücher, Kelche und Relikte für ein böser Zauber in den verfluchten Steinen selbst steckt. Nein, Ceoris muss fallen, endgültig.“ Er klopfte ihr wie einem Kameraden auf die Schulter. „Alida van de Burse. Ihr erinnert euch daran, was ich am Ende unserer gemeinsamen Übereinkunft von euch zu wissen erhoffte?“ Das finstere Gesicht mit dem rauschenden Bart in mitternachtsschwarz, drehte sich fragend und abwarten in ihre Richtung.
Alida musterte den breitschultrigen russischen Heerführer, der sie wohl um eineinhalb Köpfe überragte. Sie nickte bedächtig. „Ich erinnere mich gut, Voivode der Voivoden. Bisher hat euer hochgeschätzter Bruder nicht die Zeit finden können mich in der nötigen Etikette zu unterweisen. Es gibt wohl zu viele Belange, die ihn in Zeiten wie diesen davon abhielten.“ Ihr Blick schweifte zu den beiden dunkelhaarigen Männern, die, das Kinn in die Hand gestützt über den weißen und schwarzen Figuren des Schachs grübelten als ginge es um den Ausgang einer alles entscheidenden Schlacht. „Ich habe nicht oft jemandem Untergebenheit geschworen. Die letzte Prinz, die wir in meiner Heimatstadt hatten, eine Lasombra unter der Obhut eines Tremere, ist seit Jahrzehnten Asche, und ich habe wohl meinen Teil dazu beigetragen. Ich schwöre oft für die Tugenden Freundschaft, Treue und Loyalität und breche diesen Schwur nicht. Aber ihr seid ein Heerführer, mein Fürst, und es verlangt euch nicht nach solchen Dingen, sondern nach Gefolgsleuten. “ Sie senkte das Haupt. „Ich hoffe, euer Bruder wird mich in die wichtigen Dinge einweisen.“
Rustovich wirkte für einen kurzen Moment leicht überrascht, dann etwas ungehalten; lachte aber schlussendlich rau und beinahe herzlich auf. „Ha, mein Bruder, der Bewahrer der guten Sitte und der seidenen Prachtgewänder. Vollendeter Ästhet und leidenschaftlicher Taktiker. Es gibt nichts in was euch mein geliebtes Bruderherz einweihen könnte, Alida van de Burse, denn ihr seid Tzimisce. Es ist in eurem Blut und eurem Herzen. Den sich in der faulen Mittagssonne aalenden Salamander könnt ihr gerne weiterspielen, aber ihr seid ein Drache; vergesst das nicht. Ein Drache erobert und beschützt seinen Hort, ein Drache kennt Geheimnisse und weiß diese zu verteidigen. Schlussendlich lebt ein Drache, an dem Ort, den er Heimat nennt, auch wenn es manchmal nur eine kleine Stadt mitten zwischen den selbstgerechten Ländereien der Ventrue und Toreador sein mag. Ich bin mir durchaus im Klaren, was ich suche, Kind.“ Seine dunklen Augen durchzuckte ein kurzes Leuchten des Eifers. „Andrej hält mich für dumm und kurzsichtig und zum Teufel, vermutlich hat er recht. Dennoch bin ich klug genug zu erkennen, wo ein Verbündeter am besten eingesetzt wird. Ich kann jemanden wie euch nicht an die Grenze stellen, wo er mit dem Schwert herumfuchtelt oder an die Tische der Speichellecker in Ungarn setzen. Selbst in einer Festung wäre euer Talent verschwendet. Nein, ich brauche euch genau dort, wo ihr seid. Gefolgschaft heißt nicht, dass ihr mir wie ein duckender Hund folgen müsst und auf einen Knochen wartet, es heißt, dass ihr meinen… unseren Wunsch weitertragt und verteidigt. Bildet nach eurem Ermessen und euren Möglichkeiten eine breite Front gegen die Hexer im Westen und lasst die lächerlichen Ventrue nicht zu sehr mit den widerlichen Hexenwerken der Usurpatoren liebäugeln. Wir haben sie aus unseren Landen geworfen und ihre Köpfe auf Pfähle gespießt, aber dort wo ihr seid, fängt man an ihnen edle Weine zu kredenzen. Täuscht euch nicht, ihre Worte sind Gift und wie ein Geschwür werden sie sich verbreiten, bis sie uns von innen aushöhlen wie einen fauligen Apfel.“ Starke Hände umfassten ihre Schultern und sein scharfer Blick ruhte auf Alida, ohne dass sie ihm hätte ausweichen können. „Ich will eure Loyalität einzig und allein in dieser Sache, Alida van de Burse, Kind des Emilian, Kind des Viktor. Seid ein Leuchtfeuer der Drachen im Westen und steht wie ein Mann hinter eurer Familie; sterblich wie unsterblich. Um diesen Schwur zu verstehen und zu leisten, braucht ihr keinen Andrej oder euren Erzeuger. Ihr seid klug genug selbst die Gefahr zu erkennen, Drache.“
Sie hob den Blick und damit auch das Kinn. Sie konnte ahnen, dass ihm ihre Worte nicht gefallen würden, dennoch wagte sie, sie auszusprechen. Vielleicht würde sie seine derzeitige gute Laune vor dem schlimmsten bewahren. „Ich bin ein Kind des Westens, mein Fürst, und erhielt den Kuss in einer unseligen Nacht vor langer Zeit in einem längst vergessenen Nest namens Windau von eurem Neffen nachdem dieser alles verloren hatte, was man nur verlieren kann. Ich bin ein seltsames Geschöpf, gehöre weder in die kainitische Welt des Westens noch in die des Ostens. Ward ihr je im Westen, Voivode der Voivoden? Um uns sind die Königreiche der Ventrue im Norden und Westen, im Osten und Süden beherrschen die Toreador ihre Lande. Überall, selbst in dem kleinen unwichtigen Flandern verbreiten sich die Mitglieder unserer abtrünnigen Blutlinie, die Hexer, und es gelingt nicht sie aufzuhalten. Die Tatsache, dass wir Drachen mit den Ventrue im Krieg liegen, macht es nicht einfacher, denn das treibt die Tremere und Ventrue zusammen, stets nach dem Motto ‚Der Feind meines Feindes ist mein Freund‘. Ich verfüge nicht über die Mittel oder die Position etwas gegen die Hexer ausrichten zu können und wäre es so würde es mir Feinde in allen Ecken bescheren, derer ich nicht Herr werden könnte. Obwohl es nichts gäbe, was ich lieber täte als hinter meiner neu gewonnenen Familie zu stehen, ist gerade diese Aufgabe wohl eine der schwierigsten, wenn man umringt ist von Löwen, Schlangen und Harpyien.“ Sie lächelte kurz. „Wer hätte wohl je gedacht, dass es mein Wunsch sein könnte, hinter meiner Familie zu stehen? Einer Familie, die sowohl mich als auch meinen Erzeuger noch vor wenigen Tagen tot sehen wollte.“
Der Voivode der Voivoden nickte einsichtig; eine knappe Geste, die sie so vermutlich nicht erwartet hätte. „Manchmal vergesse ich in meinem Zorn auf die Hexer, warum wir diesen Krieg überhaupt führen und was unsere ursprünglichen Ziele waren. Der Osten ist befreit und gesäubert von den Räubern des Blutes; natürlich zieht es sie nach Westen. Wusstest du, dass diese sogenannten Blaublütigen Löwen den Tremere gelegentlich sogar Unterstützung angedeihen ließen? Dabei geht es um weit mehr als nur einen Zwist zwischen Drachen und Löwen. Diese selbstgefälligen Herrscher erkennen die Gefahr nicht, die sie sich ins Bett holen.“ Das Leder des Plattenhandschuhs knirschte hart, als der Voivode die rechte Hand zu einer Faust ballte. Verachtung und Wut spiegelte sich in seiner Mimik wieder. „Heute sind es Drachen und Wölfe deren Blut sie rauben aber wir können getrost davon ausgehen, dass auch Löwen und andere leichtgläubige Schafe ihren abscheulichen Künsten dienlich sein werden.“ Rustovich kniff die Augen zusammen und benötigte einen Augenblick um sich zu beruhigen. Als besonders hilfreich erwies sich da der Anblick des dunklen Ceoris in der Ferne; der Osten war wieder fest in der Hand der Unholde. „Ich selbst habe mich von Ehre und Stolz blenden lassen. Dafür mag es eine Zeit geben und ich werde den Teufel tun und plötzlich meine Meinung ändern: Mein Zorn auf euren Großerzeuger und meinen Bruder war gerecht und berechtigt; der auf seine Nachkommen nicht. Es gilt die richtigen Prioritäten zu setzen und diese liegen und lagen immer in der Heimat und der Familie. Ihr gehört nicht in den Osten und Emilian nennt diese Ländereien auch nur sporadisch seine Heimat, dennoch seid ihr Familie.“ Der Drache beugte sich näher an Alida und hob mit der linken einen halb gefüllten Trinkpokal aus geschwärztem Silber und blutroten Einlagen aus Rubinen. „Ich habe euch vergeben, so wie ich meinem Bruder vergeben habe. Vielleicht wird er mir auch irgendwann vergeben können, so es denn ein Leben nach dem endgültigen Tode gibt. Es tröstet mich, dass ich meinen Schwur dieses Land von allen Üblen zu befreien eingehalten habe und noch immer fortführe. Damit ehre ich auch sein Andenken.“
Unvermittelt, kam der kleine Junge zurück, den Andrej zuvor ausgesandt hatte der Brüggerin einen reichhaltigen und geschmackvollen Umtrunk zu servieren. Zögerlich hielt er den Blick gesenkt haltend den Pokal mit der blutroten Flüssigkeit nach oben. Rustovich beachtete ihn gar nicht, sondern griff rasch nach dem Gefäß um es Alida in die Hand zu drücken. Der Junge verneigte sich und war bereits wieder verschwunden, als er mit ihr anstieß. Das dunkle Rot in dem Kelch, drohte bald schon über den Rand zu schwappen. „Ich könnte euch binden, erpressen und zwingen, nötigen und in Ketten werfen lassen, wenn es mich danach gelüsten würde, Alida van de Burse…“ Sein Blick war hart und unerbittlich, änderte sich dann aber zu einem schiefen Lächeln. „Doch wir sind Drachen, mein Kind und obgleich wir es wie Andrej und seine Künstlerjünger auch genießen mögen uns in unserer bösartigen Raffinesse und erhabenen Kultiviertheit zu sonnen, gibt es für unsere Familie weitaus schlimmeres als Maler und dilettantische Künstler, verlogene Brüder und verwestlichte Geldmacher. Ich lasse euch ziehen, denn wer bin ich, dass ich euch vom Westen erzählen will, in dem ihr leben müsst? Versprecht mir nur eines: Tragt euren Namen und den eurer Familie mit Stolz und behaltet eure Herkunft im Herzen wie ein tobendes Feuer, das jeden Feind verschlingt. Macht mir keine Schande und zermalmt eure Widersacher unter euren mahlenden Kiefern. Alles ist Tzimisce.“ Dann trank der Fürst in großen, grimmigen Zügen.
Ihre Augen verengten sich prüfend. Sie sah diesen Mann, der in so vielen Nächten der Inbegriff ihrer Furcht vor dem Osten gewesen war, lange an. Sie begann zu verstehen warum dieser Mann zum Voivoden der Voivoden, zum obersten Heer- du Anführer der Tsimiske aufgestiegen war: Es gelang ihm wie kaum einem vor ihm die Unholde unter einem gemeinsamen Ziel zu vereinen und an seiner Seite kämpfen zu lassen. Er verstand wie kein zweiter, wann zu fordern, wann zu drohen und wann zuzuhören war. Es war eine Schande, dass es nie gelingen würde Ventrue und Unholde für eine gemeinsame Sache kämpfen zu lassen. Es wäre schwer sie aufzuhalten
Sie fuhr sich mit den Zähnen über die Unterlippe und sah wieder zu dem Hünen auf. „Ihr wollt meinen Schwur, Voivode der Voivoden?“ Sie sank auf ein Knie und senkte den Kopf. „Ich schwöre euch bei Kain und Gott, dass ich meinen Clan im Westen so würdig vertreten werde wie es mir möglich ist. Ich trage meinen Namen und den meiner Herkunft und Familie mit Stolz. Ich behalte sie im Herzen wie ein tobendes Feuer, das den Feind verschlingt. Wenn ihr mich an eurer Seite wünscht werde ich erscheinen sobald es mir möglich ist, und wenn ich euch hilfreich zur Seite stehen kann bei den Belangen, die die Ehre der Drachen in der Welt mehren, dann werde ich es tun.“
Der Voivode der Voiden, Drache der Drachen, Vladimir Rustovich sah Alida lange und vielleicht ein wenig ausdruckslos an. Und obgleich man ihm eine gewisse Kühle in diesem Moment vorwerfen konnte, da sie so freigiebig vor ihm auf die Knie fiel um ihm die Treue zu schwören, lag darin ein gewisser distanzierter Respekt, der die Bedeutung dieses Augenblicks geradezu noch unterstrich. Sie konnte es in seinen Augen und an seiner aufrechten Haltung unverkennbar feststellen: Er nahm sie, als auch diesen Schwur sehr ernst und wusste ihn zu würdigen, wie der Feldherr, der er war. Die blonde Händlerin konnte in ihrer gebeugten Haltung aus den Augenwinkeln erkennen, dass einige interessierte und neugierige Blicke auf ihr und dem Gastgeber dieser Siegesfeier lagen. Es war auch schwer den hochgewachsenen Drachen in seiner Prunkrüstung zu übersehen. Kein Zweifel, würde man selbst wenn niemand den genauen Wortlaut ihres Schwurs vernommen hätte außer dem Fürsten selbst, davon ausgehen, dass gerade etwas Bedeutendes vor sich ging.
Rustovich indessen, deutete ihr an sich zu erheben und stellte seinen Trinkpokal kurzerhand neben sich ab. Mit beiden Armen umschloss er ihren Kopf und küsste sie knapp auf die Stirn, in seinen Augen lag erfreutes Wohlwollen.
„Ein großer Schwur, den du da tust, mein Kind. Ich will ihn zu schätzen wissen. Erhebe dich und falle fortan nie wieder vor jemandem auf die Knie, der deiner nicht würdig ist. Du bist ein Drache und ein Drache beugt sich nicht.“ Er klopfte ihr anerkennend auf die Schulter und lächelte zufrieden, während er seinen Trinkpokal ergriff um einen weiteren Schluck zu nehmen. „Auf den unbeugsamen Drachen des Westens…“, prostete er ihr zu.
Im Hintergrund konnte Alida ein leises Hüsteln vernehmen, das wohl von einem der Diener stammen musste. „Verzeiht, Herr, aber der Voivode von…“ Weiter kam er nicht mehr, denn da hatte ihn Rustovich schon am Kragen gepackt. „Wenn ich mit meiner Familie spreche, wünsche ich nicht gestört zu werden? Ist das klar?“
Der Diener schien unsagbar erschrocken und eilte sich mit Entschuldigungen.
Zum Glück war der Drache gerade in guter Stimmung und grummelte leicht. „Sagt dem edlen Herren, dass ich mich gleich seiner annehmen werde… und stört mich nie wieder ungefragt.“ An Alida gewandt lächelte er lediglich und seufzte. „Verzeih, aber die Politik schläft selbst auf einer Feier mit Delikatessen und schlechter Unterhaltungsmusik nicht. Die Gunst der Drachen muss mir nach wie vor sicher sein und so tue ich das, was eigentlich einem Andrej besser zu Gesicht stünde. Ich hoffe, zumindest du findest heute Abend noch etwas, das dich mehr unterhält als mich.“ Mit diesen Worten verbeugte sich Rustovich knapp und schritt auf einen Pulk gut gekleideter Adeliger zu, die sich ihm verneigend zuwandten.
Es dauerte nicht lange und der große Fürst wurde durch ein anderes Gesicht ersetzt, das Alida nur allzu gut kannte. Lugoj hatte offenbar festlichste Kleidung angelegt, die ihm nicht so recht stehen wollte, obgleich sie von tadelloser Machart war. Irgendwie wirkte der offensichtliche Protegé Velyas immer so, als hätte er Probleme damit sich zu orientieren. Sei es in Gesprächen oder in Konflikten, in Schlachten oder… Festen. Nach einer hektischen Verbeugung für die er wohl lange geübt hatte, warf er einen Blick aus dem Fenster und lächelte leicht. „Eine Schande, dass die Festung zerstört wird, ich glaube wir hätten sie gut als Trutzburg ausbauen können. Vardenfell mag eine gute, alte Geschichte haben, aber als Wehranlage taugt sie nicht viel. Wäre das kein Sitz für euch, verehrte Clansschwester?“ Offenkundig übte er sich in Galanterie, wenn auch recht unbeholfen.
Alida konnte sich ein amüsiertes Lachen nicht ganz verkneifen. „Eine Festung wie Ceoris für jemanden wie mich?“ Sie schmunzelte als sie an ihr großes, aber einfaches Zuhause in Brügge dachte. Dann schüttelte sie den Kopf. „Ich muss mich leider der Meinung unseres Drachen der Drachen anschließen. Diese Festung ist eine Trutzburg der Tremere und wir werden nie sicher gehen können, ob wir sie je gänzlich unser eigen nennen können. Deshalb kommen wir nicht um ihre Vernichtung herum. Habt ihr etwas von eurem geschätzten Freund Velya gehört? Oder von demjenigen, der mit seinem Manöver, in dem er Velyas Kuldunik unterbrach, den Drachen zu Fall brachte?“
Lugoj nickte leicht und bemühte sich um einen verständnisvollen Blick, als wäre es natürlich von vornherein klar gewesen, dass Ceoris vernichtet werden musste. Das lag natürlich auf der Hand… wenn man weit genug dachte. „Da mögt ihr recht haben, Alida van de Burse. Velya selbst hat schon zu Beginn einiger Schlachten gegen die Hexer immer wieder betont, wie sehr sich ihr finsteres Machwerk von den altehrwürdigen Mächten der Koldunen unterscheidet. Gerade aus diesem Grunde, ist ihnen ja auch so schwer beizukommen. Nun, vielleicht können ja einige Bücher aus den Katakomben dieses bald schon zerstörten Gemäuers einige Fragen beantworten.“ Als die Sprache auf den eher schweigsamen und undurchsichtigen Koldunen mit dem langen, wallenden Haar und Jeremiah fiel, wirkte Lugoj kurzzeitig tatsächlich betroffen. „Nein, bedauerlicherweise noch nicht. Ich persönlich würde mir ja wünschen…“, er machte eine überlegende Pause, in der sie sich ganz sicher sein konnte, dass er zögerte den Satz zu beenden und sie einschätzend betrachtete. Schließlich fuhr er aber doch fort. „… das der Voivode der Voivoden mehr Leute für den Suchtrupp eingeteilt hätte. Gewiss hat Ceoris Priorität aber… Meister Velya war ihm stets treu ergeben und hat sich mehr als nur mit völliger Hingabe für unsere Bemühungen eingesetzt. Ich hoffe, er ist wohlauf… was ich zumindest annehme, da man weder einen erstarrten Leichnam noch Asche gefunden hat. Gleiches gilt übrigens für diesen merkwürdigen Ritter, der… irgendwie ebenfalls unauffindbar ist. Seine Spur endet zwischen den nebligen Spitzen des Hochgebirges und der Neuschnee macht eine weitere Suche bestenfalls schwierig. Manche munkeln, dass es noch andere Gargylenhöhlen gegeben hat und dass beide Opfer eines Angriffs derselben wurden, aber wissen kann das natürlich niemand. Wir können nur hoffen.“
„Und die Hoffnung stirbt zuletzt, mein Freund“, hörte Alida dann plötzlich Andrejs Stimme auf sich zukommen, der guter Dinge schien. Der Erzunhold legte Lugoj eine Hand auf die Schulter und lächelte ein formvollendetes Lächeln. „Der Voivode hat die Sicherung der Festung und die Verwahrung der Wertgegenstände der Hexer als oberste Priorität auserkoren. Das heißt nicht, dass er seine Verbündeten und loyalen Anhänger im Stich lässt, aber wir befinden uns im Krieg und ein weiser Feldherr weiß, welchen Aufgaben er zunächst Aufmerksamkeit zu schenken hat. Und Vladimir Rustovich ist wie wir alles wissen derjenige, der diesem Land die Freiheit zurückgegeben hat. Zweifelsfrei können wir seine Kompetenz nicht anzweifeln, nicht wahr?“
Die rhetorische Frage wurde von Lugoj gar nicht mehr beantwortet, sondern nur noch nickend, schief belächelt. „Ah, gewiss, Lord Andrej, gewiss. Der Fürst weiß, was zu tun ist… wenn ihr mich nun entschuldigen würdet, ich glaube da ist eine Verwandte aus Severnaya.“ Und nur einen Augenblick späte, war Lugoj auch schon wieder zwischen kleinen Festgrüppchen verschwunden.
Neben Andrej hingegen, tauchte nun Emilian auf, der sichtlich entspannter wirkte und dennoch ein wenig besorgt. Er warf dem davoneilenden Lugoj einen misstrauischen Blick nach.
„Hat er dich… mit unnötigen Fragen durchlöchert?“, versuchte er es in einem Tonfall, der fast eine Spur zu heftig klang. „Entschuldige, dass ich mit meinem Onkel so einfach gegangen bin, um mich in einer kleinen Schlacht der Geister zu messen. Das war nicht besonders ehrenhaft oder höflich von mir.“ Emilian grinste. „Aber du weißt ja um meine Leidenschaft für das Spiel und Andrej ist wahrlich ein…“ Er suchte nach den richtigen Worten, „… gerissener Gegner.“ Der Erzunhold lächelte nur und gab sich bescheiden. „Nicht nur ich allein bin gerissen, du hast einen scharfen Verstand. Aber den solltest du auch besser haben…“ An Alida gewandt meinte er wie nebenbei: „Was wollte der gute Lugoj denn von dir, mein Kind?“
Alida sah Onkel und Neffe schmunzelnd an und blickte dann hinter Lugoj her. „Wir werden es wohl nie herausfinden. Wenn ich so dreist sein darf, würde ich mal sagen: Ihr habt ihn verjagt.“ Das Schmunzeln wurde zu einem Grinsen, das nach einiger Zeit einem nachdenklichen Gesichtsausdruck wich. „Lugoj scheint ein Kainit zu sein, der Orientierung sucht. Jemanden, der ihm den Weg zeigt, den es zu gehen gilt. Ob Velya der Richtige dafür ist…?“ Sie schwieg eine bedeutungsvolle Sekunde. „Zum anderen… welcher Generation gehört er an? Er wirkt nicht so, aber ich denke, dass sein Blut ausgesprochen dick ist. Und das mag eine zusätzliche Gefahr darstellen… Bei einem Kainit mit so viel Unsicherheit.“