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Re: Die Fesseln der Macht

Do 26. Mai 2016, 20:49

Alida sah ihn, ihren Emilian. Nackt und bloß war er aufgestellt wie ein simples Stück rohes Fleisch, das demnächst den grotesken Vergnügungen und abartigen Foltertechniken eines widerlichen Drachen namens Lambros anheimfallen würde. Das Monster, welches sich wohl zu reinem Vergnügen selbst verunstaltet und mit kundiger Hand selbst neu erschaffen hatte, griff gerade zu einer kleinen aber scharf geschliffenen Säge, die es mit unverhohlener Neugier betrachtete. In ihrem Herzen entbrannte eine unglaubliche Wut; eine Wut die wie ein Sturzbach alles mit sich riss und hinfort fegte. Ihr Geist bemühte sich um Zurückhaltung, um Wachsamkeit, Planung und Strategie. Sie war so weit gekommen, hatte so viele Gefahren und Fährnisse überwunden um endlich am Ziel angelangt zu sein. Doch da war der ungezügelte Blutdurst in ihr, der alle guten Wünsche und Vorsätze zerstörte und nur noch einem Ziel folgte: Töten. Das letzte was sie spürte war, wie sich die Muskelmasse in ihren Oberarmen verhärtete und anschwoll, immer dicker und fester wurde bis schon der dünne Stoff des Kleides zu bersten drohte. Irgendwie bekam die Welt eine völlig neue Perspektive, denn sie schien gleichzeitig ein gutes Stück zu wachsen, während ihrer heiseren Kehle nur ein dunkles Grollen entfuhr. Dann raste sie mit ungebremster Geschwindigkeit in einer scharlachroten Wolke des Zorns auf den Peiniger ihres Geliebten zu und dann…. wurde die Welt Schwarz.

Als sie erwachte, befand sie sich augenscheinlich in der gleichen Zelle, aus der sie geflohen war. Man hatte ihr lediglich einen dünnen Fetzen Stoff aus Leinen, der selbst diese Bezeichnung kaum verdiente gelassen. Alle anderen Gegenstände und Waffen, waren ihr abgenommen worden. Ihr Körper brannte und schmerzte mit jeder Bewegung und als sich der Blick ihres hämmernden Schädels wieder aufklärte, erblickte sie Andrej, der mit den Armen hinter dem Rücken verschränkt in ihre Zelle getreten war und sie beinahe traurig ansah. Hinter ihm am Gang, waren drei Elite-Gardisten in schweren Rüstungen angetreten, die beide Kainiten nicht einen Augenblick aus dem Blickfeld der schwarzen Löchern ihrer Visierungen ließen. Die Hände ruhten auf den Schwertgriffen und zum ersten Mal seitdem sie in dieser merkwürdigen Festungsruine angekommen war, erkannte Alida Unsicherheit in ihrer Haltung. Es roch nach Blut, Schwefel und altem Holz und wenn sie an sich heranblickte, erkannte sie dass ihr geschundener Körper diesen Duft verströmte. Sie war in ein Schlachthaus geraten, als sie Emilian retten wollte aber sie hätte wohl nicht damit gerechnet selbst zum Schlachter zu werden. Andrej wandte den Kopf kurz nach rechts, woraufhin zwei den Blick gesenkt haltende Damen, in einfachen Kleidern den Raum betraten. Eine hielt einen hölzernen Eimer mit Seifenlauge in der Hand, die an der kalten Zellenluft kondensierte, die andere hatte lange Tücher und einen Schwamm mitgebracht. Erst jetzt erkannte sie den langen Holzpfahl, den jemand achtlos in die Ecke geworfen hatte. Blutig war er, lang und spitz und wenn sie dem Schmerz in ihrer Brust glauben wollte, hatte man sie wohl unweigerlich gepfählt. Andrej schüttelte den Kopf und seufzte.
„Ihr seid wirklich ein widerspenstiges kleines Dinge Alida van de Burse und ihr seid äußerst wehrhaft, wenn ich mir die Bemerkung erlauben darf.“ Seine schmalen Lippen verzogen sich in diesem totenblassen Gesicht zu einem gequälten Lächeln. „Womöglich habt ihr immer noch nicht erkannt, in welche Lage ihr euch und euren Geliebten mit eurem Aufbegehren gebracht habt. Der Voivode der Voivoden ist außer sich vor Zorn und Hass und dennoch…..“ Er senkte den Kopf. „Dennoch gibt es eine verschwindend geringe Chance euch bei bester Gesundheit wieder hier herauszubekommen. Mir scheint, man muss euch flandrischen Dickschädel auf die Wahrheit hinter all den Lügen stoßen, auf dass ihr sie erkennt aber gut, das liegt vermutlich in der Familie.“ Erneut lächelte er, diesmal sogar richtiggehend amüsiert.

Do 26. Mai 2016, 20:49

Re: Die Fesseln der Macht

Do 26. Mai 2016, 21:35

Alida spürte den Schmerz und hatte das Gefühl ihr Schädel wolle zerspringen. Es war erstaunlich, dass sie noch immer nicht zu Asche zerfallen war auch wenn ein gewisser Teil ihres Seins das Gefühl von Schmerz, Schuldgefühl, Verzweiflung und Scham kaum ertrug und sich genau ebendies wünschte. Sie sah die beiden Frauen mit der Seife und dem Schwamm und ihre Augen verengten sich wütend. Sollte das ein Witz sein? Ihr Blick sprach Bände und war eine unausgesprochene Drohung an jeden, der nur annähernd auf die Idee käme sie zu berühren um eine gründliche Waschung zu vollziehen.

Sie erhob sich schwerfällig, hielt das Stück Stoff, das sie noch am Körper trug fest und trat mühsam näher an Andrej heran. Ihre Stimme war nur ein leises, zorniges Flüstern, das so gut wie nicht zu verstehen war. Alida wusste zu was Kainiten mit Auspex fähig waren, also gab sie sich keine Mühe lauter zu sprechen. „Ihr nennt mich widerspenstig, unüberlegt, stur? Was wisst ihr schon? Ja? Ist es Torheit jemandem helfen zu wollen, dem die Vernichtung droht, weil er der Meinung ist das Richtige zu tun? Unüberlegt, wenn man bereit ist mit den einzigen Mitteln zu kämpfen, die einem zur Verfügung stehen? Stur, wenn man nicht akzeptiert, dass ein Todesurteil ungerechtfertigt über jemandem, den man liebt, vollstreckt wird?“ Sie trat einen Schritt zurück und fixierte den Unhold. „Ich kann wenigstens bis zum wahrscheinlich baldigen Ende meiner Existenz sagen, dass ich es versucht habe. Denn niemals hätte ich in dem Wissen weiter leben können, nichts unternommen zu haben.“ Sie schloss die Augen und ließ ihren Atem langsam entweichen. Ihre Stimme war traurig und ebenso unhörbar wie zuvor als sie weitersprach. „Es tut mir leid, Andrej... Das ist die Wahrheit. Ich weiß nicht, warum ihr mir helfen wolltet, aber die Chance, die ihr mir ermöglicht habt ist vertan. Verzeiht mir, wenn ihr das irgendwann könnt.“

Re: Die Fesseln der Macht

Fr 27. Mai 2016, 21:35

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Der Unhold wich keinen Zentimeter zurück, als sie sich zu ihm beugte und die geflüsterten Worte an ihn richtete. Jeder andere im Raum hätte Mühe sie zu verstehen, aber für einen Andrej waren solcherlei Dinge eine reine Selbstverständlichkeit. Weniger selbstverständlich waren ihre vielsagenden Blicke für die dienstbeflissenen Frauen, die zunächst erschrocken über so viel Abneigung ihnen gegenüber reagierten und schlussendlich vom Erzunhold selbst mit einer ungeduldigen Handbewegung verscheucht wurden. „Bringt der Frau anständige Kleidung und zwar unverzüglich. Ihr seid zwei bedeutungslose Dienerinnen und euer erbärmliches Leben ist nur die Arbeit wert, die ihr verrichtet. Das hier ist ein Drache und dieser Fetzen ist eines Drachens nicht würdig. Eilt euch, die Dame kommt gut alleine zurecht.“

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Die ängstlichen Frauen machten einen hurtigen Knicks, stellten Eimer, Tücher und Schwamm auf der gegenüberliegenden Pritsche ab und stoben aufgeschreckt davon.
Dann folgte eine weitere Bewegung des Erzunholds in Richtung der Tormentoren. „Ihr könnt uns auch alleine lassen, wartet vor der Tür.“ Da die Tormentoren ein wenig unsicher schienen, ob sie denn ihren Posten auch tatsächlich jetzt noch verlassen durften, warf er ihnen einen Blick zu, der die Hölle gefrieren lassen konnte. „Jetzt!!!“, betonte Andrej und die Wachleute machten mit einer unsicheren Verbeugung kehrt, verschwanden vor die Tür.
Kaum war diese ins Schloss gefallen drehte sich Andrej sehr langsam seufzend zu Alida um und legte ihr beinahe behutsam-väterlich beide Hände auf die Schultern. „Mein liebes Kind, es geht nicht darum ob ich euch verzeihe oder nicht, denn das habe ich längst getan, wo alle anderen nur Hass und Verachtung für euch empfinden. Verzeihen müssen wird euch der Voivode der Voivoden, Vladimir Rustovich, der Drache der Drachen aber lasst den Mut nicht sinken. Noch thront dieser hübsche Kopf auf euren Schultern.“ Er griff mit einer seiner kalten Hände unter ihr Kinn und hob ihren Blick leicht in den seinen; lächelte dabei. „Ich stimme euch im Übrigen in allen Punkten zu. Ihr seid äußerst tapfer und mutig, in ein Land zu kommen, dessen Beschaffenheit, Politik, Natur, Religion oder Riten und Traditionen ihr nicht kennt. Ihr wisst überhaupt nichts und doch zieht es euch eurem Liebsten hinterher, nicht wahr? Wer könnte euch das wohl auch verdenken?“ Sachte schüttelte er den Kopf und ließ ihr Kinn wieder los. „Allerdings habe ich euch nicht die Möglichkeit zur Flucht verschafft damit ihr ihm in die Gruben folgen könnt, obwohl ich so etwas schon bereits ahnte. Mein Arm reicht weit, aber ich bin nicht allmächtig, Kind. Wascht euch und dann zieht euch an, die Heere haben bereits das Haupttor passiert denn der Angriff der Gargylen hat nachgelassen. Ihr wisst nicht zufällig weshalb?“ Seine Augen ruhten einschätzend auf ihr und er verschränkte wieder die Hände hinter dem Rücken.
Alida hatte sein seltsames Gebaren wie stets ungläubig beobachtet. Sie verstand diesen Unhold in keinster Weise und Andrej würde auch nicht bereit sein, sie in seine Gedanken einzuweihen, das war ihr klar. Bei seiner letzten Frage seufzte sie leicht. „Die Gargylen? Warum stellt ihr mir eine Frage auf die ihr die Antwort eh bereits wisst? Das Haupttor ist passiert und damit ihre Chance ihre Clansbrüder aus den Untiefen von Ceoris zu befreien, vertan. Wer von ihnen immer sich noch in den Kellern aufhält ist der Vernichtung gewiss…“
Andrej schüttelte nur den Kopf, schien nun seinerseits nicht ganz zu verstehen, worauf sie hinauswollte. „Was in den unteren Kellern verborgen liegt, wissen wir nicht. Niemand war zuvor dort; Ceoris ist selbst nach dem bevorstehenden Sieg ein tückischer Ort für unseresgleichen. Die Brutstätten wurden lediglich durch Zufall entdeckt, aber konnten schnell erobert werden. Leider kam man uns zuvor und hat sämtliche Verbindungswege in die eigentliche Festung gekappt, was unseren guten Lambros aber nicht weiter störte. Dort unten kann er seinen Leidenschaften nachgehen, die unser Fürst so sehr schätzt und derzeit dringend benötigt.“ Sie bemerkte, dass der Unhold nicht viel von seinem Clansbruder zu halten schien; was ungewöhnlich war. Nun, es mussten sich ja nicht immer alle Unholde untereinander prächtig verstehen. Alida, Emilian und ihre Familie waren das beste Beispiel dafür.
„Wusstet ihr, dass Lambros Sergej Belinkov verabscheute? Er hatte sich ganz dem Formen des Fleisches verschworen, hatte nur dafür gelebt, doch der Wanderer im Westen, war ihm immer einen Schritt voraus. Dabei interessierte er sich im Vergleich zu Lambros deutlich weniger für diese Kunst; es war einfach ein ungeheuerliches Talent, das in ihm schlummerte. Euer Erzeuger ist in dieser Hinsicht ein ganz außergewöhnlicher Drache.“
Sie sah dem Kainit in das strenge, blasse Gesicht und suchte dort nach einer Antwort, die sie nicht zu finden schien. „Wollt ihr mir sagen, was geschehen ist? Man hat wohl sehr effizient dafür gesorgt, dass ich selbst nichts davon mitbekommen habe, oder im Nachhinein mein Gedächtnis geformt…?“
Als sie ihn direkt auf die Geschehnisse in den Bruthöhlen ansprach, seufzte der Unhold lediglich. „Mir ist zwar schleierhaft wie ihr das geschafft haben mögt, aber anscheinend wart ihr noch vor dem Gardistentrupp in den Höhlen und wurdet dort Zeuge wie Belinkov von Lambros gefoltert wurde. Dieser muss irgendwie von seiner wahren Identität erfahren haben, bloß wie, ist mir völlig schleierhaft.“ Seine Augen fixierten sie ausdruckslos. „Dann verzehrte euch der glühende Hass eures Tieres und ihr seid Meister Lambros angesprungen, in der Gestalt eines Zulos. Selbst die nachfolgenden Wachen hatten Mühe euch zu bändigen; ihr habt fünf von acht Männern zerrissen bevor man euch pflocken konnte. Und einen Tormentor zu sehen, der zögerlich den Arm am Schwertknauf hält so wie die drei Burschen da vor der Tür, ist wahrlich eine Seltenheit. Ihr seid ein unbeugsamer Drache, auf vielerlei Art.“ Andrej begann etwas auf und ab zu gehen. „Nun, die Schlacht nahm weiter ihren Lauf und mittlerweile haben wir die Hauptsäle gestürmt. Die Kreaturen aus den Brutstätten wurden allesamt zur Schlacht berufen, doch wir warten immer noch auf Lambros sogenanntes Meisterwerk, das Rustovich sich persönlich gewünscht hat. Damit soll die magische Barriere zu den tieferen Stockwerken durchbrochen werden. Es ist ein ganzer Tag vergangen seitdem ihr in den Gruben gewütet habt. Jetzt, im Augenblick des Sieges, scheint der Voivode zumindest so viel Zeit erübrigen zu können, über euch zu richten.“
Sie schluckte und stellte schließlich die alles entscheidende Frage. „Ist ‚Er‘ vernichtet?“ Sie wagte nicht Andrej gegenüber den Namen ‚Emilian‘ in den Mund zu nehmen.
Nachdem er einige etwas nervös wirkende Runden gemacht hat, blieb der Tsimiske wieder vor ihr stehen.

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„Rustovich hat darauf bestanden euch vor eurer Exekution noch einmal persönlich zu sehen, ein Vergnügen, das…“ Andrej machte eine sehr lang gezogene Pause. „… ihm bei Sergeij Belinkov alias Emilian Victorovich leider verwehrt blieb. Lambros hat ihn eigenhändig getötet, als er euch wohl zu Hilfe kommen wollte. Der Drache ist sehr ungehalten darüber, da er es als eine persönliche Angelegenheit betrachtete, aber ist geneigt Meister Lambros zu vergeben, da er sich noch immer maßgeblich um sein Projekt bemüht. Es tut mir unendlich leid.“ Andrej wirkte für einen Moment tatsächlich schmerzvoll gekränkt. „Ich hätte wissen müssen, das Lambros nicht nur euch verfolgte, sondern auch euren Herrn Belinkov genauer unter die Lupe nahm. Er ist ein Speichellecker und Günstling ohne Ehre, aber in diesem Fall war er sogar mir noch etwas voraus. Ich schäme mich zutiefst dafür, verzeiht mir.“



Alida wollte nicht begreifen, was sie soeben gehört hatte. Alles hätte er ihr berichten können, aber nicht diese Sätze. Sie erstarrte. Alles in ihr schien zusammen zu brechen. In ihrem Innersten schrie eine Stimme, schrie und schrie. Zerriss in unvorstellbarer Tonhöhe und Lautstärke ihre Gefühle, Gedanken, Erinnerungen, Bande, Emotionen. Ihr Körper schien zu zerspringen und in unvorstellbar viele verlorene Teile zu explodieren, die keinen Zusammenhalt mehr fanden.
Sie sah Emilians nachdenkliches Lächeln, die verstörenden rot-braunen Augen, die sie so liebte, sein Grinsen, wenn er das Gefühl hatte demnächst bei einem Schachspiel zu gewinnen, roch seinen Duft, spürte den Geschmack seines Blutes auf ihren Lippen, beobachtete den braunhaarigen, achtjährigen Jungen, über ein Buch mit anatomischen Zeichnungen gelehnt,
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den künstlich wirkenden mittlerweile so vertrauten Mann, der ihr eine Haarsträhne hinters Ohr strich.

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Die Stimme verklang und hinterließ eine Leere, die schlimmer war als jeder Aufschrei dieser Erde.
Mit Mühe öffnete sie die Lippen. „Tut mir den Gefallen, Meister Andrej, und geht einfach…“

Re: Die Fesseln der Macht

So 29. Mai 2016, 13:40

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Dann schloss sie für einen kurzen Augenblick die Lider. Sie wollte nichts Anderes als allein sein mit diesem unerträglichen Schmerz. Sie fühlte den Verlust und alles in ihr weigerte sich diesen grausamen Gedanken zu akzeptieren. Alida hatte sich freiwillig an diesen einen Drachen gebunden, ihn damit zum Guten wie zum Schlechten vor alles, was ihr je wichtig gewesen war, gestellt. Sie erinnerte sich daran, dass Emilian einst in Genua neben ihr gelegen hatte und mit ihr über die bis in alle Maße bindende Kraft des Blutsbandes gesprochen hatte, die sie beide wider besseren Wissens so bereitwillig eingegangen waren. Er hatte sie gefragt, ob sie es bereute, sich versklavt fühle. Dann hatte er berichtete, dass er damals in Danzig gezwungen gewesen ein Blutsband an einen Unhold namens Darius einzugehen und hatte ihr geschildert wie unvorstellbar befreit er sich nach der Vernichtung dieses Mannes gefühlt hatte.
Alida stand in dieser kalten Kerkerzelle und suchte in sich nach den Empfindungen, die sie in diesem Moment so fürchtete. Jetzt, in diesem Augenblick, war in ihr nichts davon zu spüren, keine Befreiung, kein Hass auf das Band der Versklavung, das sich gelöst hatte. Sie spürte einfach nur, dass sie Emilian brauchte, vermisste ihn wollte… so wie sie es seit dem Beginn des Blutsbands tat.
Sie sah auf und suchte zögernd den Blick des Unholds. „Was macht euch so sicher, dass Emilian wirklich vernichtet ist?“
Andrej wirkte für einen Moment irritiert und schien abermals nicht ganz zu verstehen. „Man fand nur einen Haufen Asche, dort wo euer Erzeuger festgehalten wurde. Es gibt keine Spuren für irgendwelche… Auffälligkeiten. Außerdem haben mindestens drei Tormentoren bei der Hinrichtung zugesehen. Lambros hieb eurem Erzeuger mit der scharfen Klinge eines Langschwerts den Kopf von den Schultern. Verzeiht, meine Liebe, ich weiß, es mag in einem Augenblick wie diesem sehr tröstlich sein daran zu denken, wie ihm noch eine Flucht gelungen sein mochte, aber ich würde mir keine großen Hoffnungen machen. Wir müssen uns wohl leider damit abfinden, dass er nicht mehr unter uns weilt.“ Andrej verneigte sich knapp vor Alida und schritt auf die Zellentür zu. „Es wird nicht mehr lange dauern und man wird euch rufen lassen; selbstverständlich werde ich euch begleiten. Wascht euch und legt die Kleider an, die man euch bringt. Dann werden wir zusehen, wie wir zumindest euren Kopf vor einem ähnlichen Schicksal bewahren.“ Seine Lippen umspielte ein gönnerhaftes Lächeln. „Ihr habt wohl immer noch nicht begriffen, dass ich seitdem ihr hier im Osten ward dafür gesorgt habe, dass ihr wohlbehalten hier eintrefft? Nein? Natürlich nicht, ihr belegtet mich ja auch mit einem lächerlichen Bann der fünfzig Jahre währt. Für meinen Geschmack solltet ihr euch eure Freunde und Feinde ein bisschen besser aussuchen, meine Teuerste. Mittlerweile könnt ihr eins vom anderen nämlich nicht mehr unterscheiden.“
Alida unterdrückte den Drang die Augen zu verdrehen. Oh, wie recht der Unhold doch leider mit dieser Aussage hatte. Es fiel ihr immer schwerer einzuschätzen, wer tatsächlich Feind und wer Freund war. Das wurde ihr mit jeder Stunde, die sie länger im Osten verbrachte um so bewusster, denn obwohl sich alles in ihr dagegen sträubte, begann sie diesen seltsamen exzentrischen, dekadenten, selbstüberzeugten, überheblichen, sich selbst als Intellektuellen betrachtenden Drachen zu mögen. Sie trat näher an ihn heran. „Ihr mögt mir verzeihen, dass ich mitunter hadere und an euren Absichten zweifle. Zum einen sind sie mir in keinster Weise bekannt und ihr beliebt in Rätseln zu sprechen. Zum anderen, das habt ihr vielleicht vergessen, tragt ihr nicht unerheblichen Anteil am Kampf um Brügge, meine Heimatstadt. Menschen, die mir wichtig waren wurden abgeschlachtet, meine Verbündeten beinahe vernichtet und in zwei Hälften gehackt als sie mir im Kampf zur Seite standen, die Mauern geschliffen, die Gebäude vernichtet und niedergebrannt. Ein Großteil der Bevölkerung kam ums Leben und auch wenn ihr dabei den persönlichen Wert nicht so zu schätzen wisst wie ich, könnt ihr euch sicher in mich hineinversetzen und euch vorstellen, dass dieser Kampf für uns mehr als eine Schachpartie war.
Ich habe in den darauffolgenden Jahren oft genug mit meinem Erzeuger darüber gesprochen und ich will euch in dieser Stunde in der ihr mir wider Erwarten zur Seite steht, keine Vorwürfe machen, aber vielleicht mögt ihr mein Misstrauen doch ein wenig nachvollziehen. Denn neben den Eigenschaften Sturheit und Eigensinn, wurde ich schon oft gewarnt, dass ich dazu neige all zu leicht zu vertrauen und das mag in unserer kainitischen Welt, vor allem hier im Osten, mehr als einmal die dazugehörigen Probleme mit sich bringen, findet ihr nicht?“
Sie hatte gesagt, was gesagt werden musste. Und sie war froh es endlich ausgesprochen zu haben.
Die unbändige Verzweiflung über den Verlust von Emilian hatte einem seltsamen verwirrenden Gefühl Platz gemacht, das sie nicht beschreiben konnte. Sie war stur und eigensinnig und in diesem Moment nicht gewillt ihn einfach aufzugeben. Nicht bevor sie endgültige Gewissheit hatte.
Der Unhold in seiner selbstherrlich-charmanten Art verbeugte sich kurz spielerisch vor ihr und gönnte ihr als auch sich selbst ein schiefes Lächeln. Fühlte er sich tatsächlich geehrt über die Tatsache Brügge angegriffen zu haben? Dann aber hob er gemahnend einen Finger und ließ ihn korrigierend von links nach rechts gleiten, wie der gestrenge Herr Lehrer, der ein unmündiges Kind tadelt. „Oh, darf ich darauf entgegnen, dass wenn ich so wie alle anderen, euch mit eingeschlossen, fröhlich und naiv jede meiner Absichten, Beweggründe und Ziele offenbaren würde, nicht mehr lange auf dieser Welt wäre? Man muss vorsichtig sein mit wem man Schach spielt und einen Zug dieser Größenordnung plant. Ihr sagt es ja selbst: Ich habe euer geliebtes Brügge angegriffen und viele sind daran gestorben: Frauen, Kinder, Unschuldige.“ Mit interessiertem Blick sah er sie an und kam dabei ein Stück näher. Seine bleiche Haut schimmerte beinahe im Kontrast zur beinahe stockfinsteren Dunkelheit um sie herum. „Der Erzeuger eures Erzeugers hat eine Stadt und ein Leben gerettet und dafür sind andernorts Städte und Höfe niedergebrannt. Menschen, die jemandem wichtig waren wurden abgeschlachtet, Verbündeten beinahe vernichtet und in zwei Hälften gehackt als sie jemandem im Kampf zur Seite standen, die Mauern geschliffen, die Gebäude vernichtet und niedergebrannt. Ein Großteil der Bevölkerung kam ums Leben.“ Er schmunzelte. „Jetzt sagt mir nicht, Alida van de Burse, das ihr Vladimir Rustovich, so sehr er auch zur Cholerik neigen mag, nicht doch ein wenig versteht? Blutvergießen wird es immer geben, das heißt aber nicht, dass man einander nicht doch eines Nachts in Freundschaft oder auf neutralem Boden begegnet. Für mich sind Kriege nie etwas Persönliches, nur die Menschen dahinter, die es zu so einer Angelegenheit machen. Ich war in hohem Maße gekränkt, als ihr mich in euren Turm sperren habt lassen und mir euren fünfzigjährigen Bann aufludet. Doch ich ertrug ihn mit der Würde und dem Stolz eines Drachen, genauso wie ihr mit der Würde und dem Stolz eines Drachen eure Heimat Flandern verteidigt habt. Ich zolle Freunden wie Feinden gleichermaßen Respekt und wenn mein Feind ebenfalls ein Drache ist, dann umso mehr.“ Er hob ein weiteres Mal den Finger. „Respekt, Alida van de Burse, ist etwas das ihr bei allem Unverständnis für den Osten und seine uralten Werte und Traditionen aufbringen müsst.“
Seine Hand glitt an den Knauf der hölzernen Eingangstür, vor dem sich bereits auch wieder die Wachen befanden. „Im Übrigen schätze ich eure Dickköpfigkeit, so sehr sie auch manchmal gegen euch arbeiten mag. Jeremiah stimmt mit mir da überein. Generell scheint er Gefallen an euch gefunden zu haben. Wie drückte er es aus? Ihr würdet dem Fürsten persönlich in den Hintern beißen, wenn es euch dienlich wäre.“ Es überkam ihn ein dezentes Schmunzeln über einen Witz über den es sich eigentlich nicht geziemte zu lachen.

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Wieder schüttelte sie nur den Kopf. Der Unhold, der ihr gegenüberstand, verbündet mit mit tsimiskehassenden Jeremiah? Unvorstellbar… Aber mittlerweile erschien ihr kaum noch etwas unmöglich.
„Dazu sage ich nur mit einem Augenwink zu unserem lachenden Mann ‚Hut ab!‘, Andrej… Hut ab…“
Sie erhielt nur ein knappes Nicken aufgrund ihrer Ehrenbezeugung an den lachenden Mann und seinem angeblichen Bündnis mit dem Unhold. „Seid unbesorgt. Wie ihr ja bereits festgestellt habt, war Jeremiah in meinem Auftrag unterwegs und sollte euch möglichst vor Unheil bewahren. Und wenn Alida van de Burse in den Osten reist bedeutet das zumeist einiges an Problemen. Noch dazu, wenn der Omenkrieg in seine letzte Phase geht. Ich hatte ja gehofft, ihr würdet in Flandern bleiben und das wärt ihr vermutlich wohl auch, denn ihr hättet nie von all dem hier erfahren, wenn nicht…“ Seine Schultern hoben sich. „Irgendjemand an euch herangetreten wäre; anders kann ich mir das nicht erklären. Nicht einmal auf die Verschwiegenheit seiner Untergebenen kann man sich mehr verlassen. Vielleicht hat man euch aber auch gerade deswegen informiert, damit man sich eurer hier im vereisten Niemandsland entledigen kann. So viele unbekannte Variablen. Seht ihr jetzt, warum man dieses Spiel vorsichtig spielen sollte?“

Re: Die Fesseln der Macht

Mo 30. Mai 2016, 18:24

Alida wandte sich erneut an den Voivoden. „Gestattet mir bitte zwei Fragen, bevor ihr geht? Wie seid ihr hinter die Geheimnisse meines Erzeugers gelangt? Die Identität Sergej Belinkov war perfekt, warf keine Fragen auf und hat ihn über ein Jahrhundert geschützt. Nie hätte er jemandem, den er nicht vertraut davon berichtet, …und Emilian vertraut fast niemandem.“ Das hasserfüllte Gesicht von Emilian, in dem Moment in dem Lambros seine Folter beginnen wollte, erschien vor ihrem Auge und sie schloss gequält die Augen. Ihr war bewusst, dass sie auf ganzer Linie versagt hatte und mühte sich mehr schlecht als recht sich zusammen zu reißen um weiter zu sprechen. „Das andere, was ich gerne wüsste: Was genau wirft der Voivode der Voivoden mir vor? Ist es meine Abstammung gegen die er hadert? Oder wird er mir andere Dinge vorhalten wie mein Misstrauen dem Osten gegenüber und die daraus resultierende mangelnde Loyalität?“
Andrejs Stirn legte sich in Falten als sie ihre finalen Fragen an ihn stellte. Dann hob er erneut die Schultern. „Belinkov war jahrelang aktiv. Wie ihr so schön bemerkt habt, sogar ein ganzes Jahrhundert lang. Immer im Osten, dann wieder im Westen, in Genua in Konstantinopel, in Gent und in Antwerpen. Überall war er, unser Sergej, ein fleißiger und tüchtiger Geschäftsmann. Nur nicht in Brügge, was durchaus Sinn ergab, da ja die ‚Hure von Flandern‘ – verzeiht den Ausdruck- dort Hof hält und man es sich nicht mit Rustovich verscherzen wollte. Aber hin und wieder hat man euch dann doch gemeinsam an einem Ort gesehen, völlig unverfänglich natürlich und ich habe mir immer die Frage gestellt, warum so ein ehrbarer russischer Landsmann diese Bürde auf sich nimmt? Es musste sich wohl um ein gutes Geschäft handeln und fürwahr, wer könnte es ihm verdenken mit Brügge handeln zu wollen? Ich kenne niemanden, der nicht mit euch Handel treiben würde und es wäre für einen Mann seiner Fähigkeiten verschwendete Möglichkeiten. Trotzdem hatte ich ein merkwürdiges Gefühl, was euch beide betrifft, etwas das ich mir nur schwer erklären konnte.“
Seine Augen wanderten an die Decke und er schien fast schon in nostalgischen Gedanken schwelgen zu wollen. „Und dann habe ich diese kleine Reise unternommen auf der ihr mich dann mit der Zirkuskarawane gesehen habt. Bevor ich aber gen Westen reiste, machte ich noch kurz Halt im Süden wo mir ein guter alter Freund, ein Obertus namens Gesu, den ihr wohl gut kennt, von den Bestrebungen einer gewissen flandrischen Händlerin erzählte, die, erfreulicherweise wider meiner Erwartung die Absicht hegte, Kontakt in den Osten aufnehmen zu wollen. Ich reiste nach Brügge, doch zu diesem Zeitpunkt hieltet ihr euch in Genua auf. Wie es der Zufall will ebenso wie Sergej Belinkov. Welch‘ seltsame Begebenheit, nicht wahr…? “ Er zeigte ihr seine makellosen Zähne und lächelte ein geradezu maliziös verzücktes Lächeln. „Der Rest bleibt mein kleines Geheimnis, aber ihr könnt getrost davon ausgehen, dass ich im Zweifelsfalle ein Mann der Wissenschaft bin und somit meine Verdächtigungen zu belegen suche. Das habe ich getan und fand etwas, das ich kaum für möglich gehalten hätte: Einen verschollenen Drachen.“
Die Erkenntnis träufelte langsam und schmerzhaft wie Gift in ihr Bewusstsein. Der Kontakt zu ihr, der unbeliebten Unholdin aus dem Westen, hatte die Tsimiske auf den Plan gerufen… Alida hatte den Osten unterschätzt; oh ja. Das hatte sie.
Sie hatte gehofft, das nach fast 150 Jahren die Vergehen ihres Großerzeugers langsam in Vergessenheit geraten würden, und der Kontakt mit den Tsimiske, mit denen sie verkehrt hatte, zumeist erst später gezeugt und überwiegend unwissend, hatten sie in Sicherheit gewiegt. Doch auch wenn Alida es nicht hatte wahrhaben wollen: Die Drachen, die sich erinnerten, die, die nicht vergessen oder vergeben wollten, gab es und sie waren wachsam. Sie beobachteten kritisch, gaben sich nicht mit der auf den ersten Blick offensichtlichen Erklärung ‚Handelspartner‘ zufrieden und begannen die entscheidenden Frage zu stellen und diesen nachzugehen.
Auch Emilian, der ewige Planer, der schweigsam mit seinen eigenen Mitteln seine Ziele verfolgte, hatte sich verschätzt, aber das machte es nicht einfacher für Alida. Wäre sie nicht nach Genua gegangen, nicht mit Emilian nach Konstantinopel gereist, dann wäre er sicher gewesen. Sie hätte ihn nie in diese Gefahr bringen dürfen… Aber diese Erkenntnis kam zu spät.
Andrej nickte nachdenklich als er auf ihre letzte Frage zu sprechen kam. „Und was euch der Voivode der Voivoden vorwirft? Mein liebes Kind, ihr stellt für ihn den letzten Spross einer verdammenswerten Verräterlinie unseres Blutes dar, die mit einer einzigen Tat so große Schande und Schmerz über uns gebracht hat, dass ein Mann vom Format eines Rustovich selbst nach so vielen Jahrhunderten nur schwer verzeihen kann. Wäre euer Großerzeuger Victor nur ein dahergelaufener Landadliger gewesen, so hätte Rustovich diesen Affront als Drache der Drachen, ja noch nachvollziehen können. Ein schwacher Geist, den er ohne mit der Wimper zu zucken sofort eliminiert hätte...“ Andrej fixierte sie gespannt, wog ab und fragte schließlich. „Kennt ihr den Beinamen eures Großerzeugers, Victor?“ Alida suchte in ihrer Erinnerung nach einem Namen und schüttelte schließlich den Kopf.
„So wie Emilian mit seinem Beinamen Victorovich sofort als Sohn des Victor erkannt wird, trug Victor denjenigen seines Vaters Rustic… also ‚Rustovich‘.“ Alida sah ihn mit entgeistertem Blick an als er weitersprach. „Vladimir Rustovich, der Voivode der Voivoden, Drache der Drachen ist der Bruder von Victor, der Onkel eures Erzeugers und euer Großonkel im Blute.“ Andrej sah sie mit belustigtem Blick an. „Ach wusstet ihr das gar nicht?“
Alida schluckte, setzte zu sprechen an und schwieg dann schließlich.
„Vladimir und Victor entstammen einer alten, adeligen Wiedergängerlinie, die schon immer einen Teil der Elite der Tsimiske stellte. Schon in der Kindheit stachen sie durch ihre Talente hervor und wurden für den späteren Kuss vorgesehen. Nebenbei bemerkt hätte es sich eigentlich bei eurem Erzeuger Emilian ebenso verhalten, da er außergewöhnlich früh, bereits als Kind, durch seine hervorragenden fleischformerischen Fähigkeiten auffiel. Nun ja…
Sowohl Vladimir, als auch Victor kurz darauf, erhielten von Kosczecsyku den Kuss und die beiden Brüder galten als mehr als vielversprechend für unseren Clan. Vladimir, der Ältere der zwei, souverän, stark, der geborene Anführer; Victor, stets unterstützend an seiner Seite, abwägend, diplomatisch und in Lage seinen Bruder immer dann zu beschwichtigen, wenn ein klarer Verstand gefordert war.
Zwei Nächte vor einer damals für unseren Clan alles entscheidenden Schlacht erhielt Victor von Vladimir die Order einen der bedeutendsten sterblichen Kriegsfürsten, einen Ghul, der bisher keine Schlacht verloren hatte, in die Dunkelheit zu holen. Als Victor jedoch die Nachricht erhielt, sein eigener, einziger Sohn sei schwer erkrankt und läge im Sterben, schwankte er und entschied er sich dazu den Befehl nicht auszuführen. Er ritt in die entgegengesetzte Richtung, in seine Heimatstadt, und schenkte dem achtjährigen Jungen den Kuss.“ Andrej verzog minimal das Gesicht. „Wir Unholde mögen ja durch unsere Künste mitunter bei anderen Kainiten als exzentrisch oder grotesk gelten, aber eine solche Tat ist auch bei uns kein Kavaliersdelikt.“ Er seufzte bei den Erinnerungen. „Der sterbliche Kriegsfürst fiel im Kampf, die Schlacht ging verloren und Vladimir tobte. Sein eigener Bruder hatte ihn für einen Sterblichen im Stich gelassen. Das war eine Schmach, ein Schmerz, ein Verrat der tiefer reichte als nur die Vergehen eines hinlänglich bekannten Drachen. Er zog mit einem Teil seiner verbleibenden Truppen der gemeinsamen Heimatstadt entgegen und verlangte die Auslieferung seines Bruders. Als die Stadt sich weigerte, folgte ein erbitterter Kampf. Ein Großteil der Bevölkerung fiel, die Mauern wurden geschliffen, die Felder verwüstet. Es gelang Victor mit einem kleinen Teil der Bewohner zu fliehen, die Vladimir weiter verfolgen ließ. Irgendwann fanden die Flüchtlinge Zuflucht in den Landen eines damals noch verfeindeten Unholds und der Voivode musste seine Jagd vorerst notgedrungen aufgeben.“

Re: Die Fesseln der Macht

Mo 30. Mai 2016, 21:32

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Alida war bei Andrejs Schilderung der Mund offen stehen geblieben. Emilian hatte ihr vor Jahren einmal berichtet, dass sein Kuss der Grund für die Verfolgung seines Vaters und seiner Wiedergängerfamilie gewesen war, aber er hatte es stets vermieden näher ins Detail zu gehen. Skeptisch sah sie den Unhold an, wartete darauf, dass er jederzeit aufgrund seines gelungenen Scherzes und ihres völlig erschütterten Gesichtsausdrucks zu lachen beginnen würde. Doch diese Regung blieb aus. „Ich…“ Sie wusste nicht, was sie sagen sollte und schloss die Lippen.
Andrej überlegte ebenfalls für einen weiteren Moment ob er noch etwas hinzufügen sollte, befand aber dann anscheinend doch, dass es vorerst genug wäre mit ungeahnten und unverhofften Enthüllungen. Nur ein knappes Nicken bevor er die Tür endgültig aufzog. „Ganz genau. Ihr seid sprachlos. Vladimir war es einst auch. Vielleicht habt ihr jetzt eine annähernd leise Ahnung davon bekommen, worum es hier geht, Liebes. Macht euch zurecht und versucht ein wenig Würde auszustrahlen.“ Seine Augen glitten an ihr entlang. „Wir haben nicht viel Zeit. Die Frauen mit euren Gewändern, sollen euch in Bezug auf Vitae dienlich sein; ich werde es veranlassen. "Mit diesen Worten, verließ Andrej die Zelle und sprach offenbar noch ein paar schnelle Sätze mit den Wachen. Es ging wohl darum, dass man Alida die Zeit alleine geben sollte, die sie bräuchte um sich zu waschen. Auf Andrejs Anordnungen hin bekam sie diese dann auch; wurde nur von den zwei Frauen unterbrochen, die ihr nach einiger Zeit ein halbwegs vorzeigbares Kleid mit Unterrock und Schuhen überreichten. Die Stoffe waren weit entfernt von jeder flandrischen Qualität und die Farben hätten einer Erzhausen die Augen Bluten lassen aber es war immerhin bei weitem besser als jeder Gefängnisfetzen.
Alida griff nach dem Schwamm und dem erfreulicherweise tatsächlich lauwarmen Seifenwasser und wusch sich das Blut und den Schmutz von der Haut und aus den Haaren. Sie war froh, dass sie sich nicht daran erinnerte in wie viele Kehlen sie ihre Fänge, in wie viele Bäuche ihre Klauen vergraben hatte. Alida schauderte. Die Frauen brachten ihr die Kleidung und gaben bereitwillig das Blut, das Alida brauchte. Waren sie daran gewöhnt? genossen sie den Akt des Trinkens oder war es einfach die Todesangst bei einer Weigerung für ganz andere Wünsche der Unholde zur Verfügung stehen zu müssen. Sie zog das Kleid an und strich es glatt. Tief sog sie die Luft ein. Panik stieg trotz der ermutigenden Worte von Andrej in ihr auf, wenn sie an das Gespräch mit dem Voivoden der Voivoden dachte. Sie versuchte sich zusammen zu reißen.
Man ließ ihr wohl gerade noch so viel Zeit, dass sie sich einigermaßen waschen und zurechtmachen konnte. Das heiße Wasser mit der kräftigen Seife, zusammen mit dem Schwamm und Tüchern, verhalf ihr auch ohne Spiegel ein halbwegs passables Aussehen wiederherzustellen. Eigenartigerweise hatten ihre langen blonden Haare gar nicht so viel abbekommen und benötigten daher nur wenig zusätzlichen Pflegeaufwand. Vermutlich hatte sie einfach mit monströsen Kiefern zugebissen und was dazwischen gelangt war, war einfach ohne große Probleme zermalmt worden. Hätte sie nicht die unzähligen Schwerthiebe einstecken müssen wäre sie voll mit Blut; könnte darin höchst wahrscheinlich selbst in der Gestalt eines Zulos ein Vollbad nehmen. Die Frauen, die ihr als Erfrischungen dienten, waren wortkarg und wirkten erfahren im Umgang als Blutquelle für ihre Meister. Geduldig erduldeten sie auch Alidas Verlangen. Dann wurde unvermittelt die Tür zum Verließ aufgerissen und eine ganze Gardistenkompanie, bestehend aus mindesten zehn Ehrengardisten in Begleitung von Lugoj betraten den kalten Raum. Der etwas beschämte Unhold ließ aufschließen und verbeugte sich einladend. „Der Voivode lässt bitten…“, tönte er vollmundig und fügte mit einem kleinen Lächeln Alidas vollen und wahren Namen hinzu. Jetzt erst besah er sie sich gründlich in ihrer wahren Gestalt und schien sich wie ein kleines Kind zu freuen, das er einmal irgendjemandem überlegen war. Vielleicht war er auch einfach nur schadenfroh.

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Alida nickte dem Kainiten nur ein Mal kurz zu und wandte dann den Blick ab. Sie hatte genug Fehler begangen und war sich dieser mehr als bewusst. Sie brauchte keinen breit grinsenden Mann wie Lugoj, der sie erneut daran erinnerte. Sie schenkte ihm schließlich ein zuckersüßes Lächeln. „Habt Dank, Lugoj. Darf ich es als Ehre betrachten von so vielen Gardisten begleitet zu werden?“
Lugoj wirkte ein wenig überfahren mit ihrer Frage; rückte nach einigen vielsagenden Blicken aber seinen dunklen Mantel aus Leder zurecht und räusperte sich fast schon etwas verlegen. „Nun wie wir ja alle wissen, habt ihr euer Können und eure Möglichkeiten zu Kämpfen und zu Töten ja bereits mehr als bewiesen. Es handelt sich um eine reine Vorsichtsmaßnahme; ihr werdet gewiss verstehen. Wenn ihr mir nun folgen möchtet? Der Drache der Drachen erwartet euch bereits.“ Erneut folgte eine einladende Bewegung und als Alida aus der Zelle heraustrat, bewegten sich die Wachen je nach Verhältnis der Wege in der Festung stets in Formation mit ihr. Die Schwerter waren dabei bereits gezogen und hin und wieder hörte man das metallische Klackern und Schaben von Eisen auf Felsen. Das tat der Klinge zwar nicht gut, aber nach allem was man aus den Bruthöhlen gehört hatte, wollte niemand allein mit der Gefangenen in eine Auseinandersetzung geraten. Lugoj ging in der Formation voran und warf immer wieder Blicke zu der Brüggerin. In gewisser Weise war sie so etwas wie Prominenz, wenn auch im negativen Sinne.

Der Weg führte abermals durch viele, mal schmale, mal breite Pfade hoch in den Turm und sie passierte bereits bekannte Stellen, bevor sie nach schier endlosen, quälenden Minuten wieder in der Ratshalle ankam, wo die Gardistenversammlung ohne zu Zögern einen Korridor bildete, der nur einen Weg zuließ: Ein Stuhl am runden Steintisch, der den Sitzplätzen der versammelten Drachen gegenüberlag. Vladimir Rustovich, Velya der Häuter, Andrej Cunescu, Lugoj sowie das widerwärtige Gesicht von Lambros blickten ihr entgegen. Die Wächter nahmen Positionen in der Halle ein, die an eine gut aufgestellte Schlachtformation erinnerten, bereit jederzeit einzugreifen. In großen Schalen, brannte wieder das überirdisch helle Licht. In den Gesichtern von Velya und Lambros konnte sie nur schwer lesen, Lugoj wirkte unsicher und Andrej etwas bedrückt. Einzig Rustovich, der noch nicht Platz genommen hatte, schien gute Laune zu haben. Sein grimmiges Lächeln an die Anwesenden richtend, tönte er voller Zufriedenheit. „Ha! Der Durchbruch! Hast du das gehört, Andrej? Der Durchbruch! Ich wusste, dass diese Maden nicht lange durchhalten werden. Sobald die Räumlichkeiten gesichert sind, werden wir den letzten Widerstand brechen und die Ursupatoren allesamt in die Hölle werfen!“ Andrej nickte nur seufzend. „Natürlich Vladimir, das werden wir. Nicht zuletzt durch die unschätzbare Hilfe unseres geschätzten Lambros hier, aber… ich denke es gibt dennoch Dinge, die ebenfalls deiner Aufmerksamkeit bedürfen.“
Es mochte Alida nun mittlerweile doch sehr verwundern, dass Andrej einen so vertrauten Umgang mit dem Voivoden der Voivoden pflegte und dies scheinbar auf Gegenseitigkeit beruhte. Andrej nickte Alida zu; ein Zeichen sich zu setzen.
Die blonde Frau versank zunächst in einer mehrere Sekunden währenden Verbeugung bevor sie der Aufforderung zögernd nachkam. Hätte sie noch einen Herzschlag, es hätte wahrscheinlich mittlerweile ein panisches Stakkato erreicht. Ihr Blick wanderte kurz über die bereits bekannten Gesichter und verharrte lange auf dem von Lambros. Ihre Augen bohrten sich auf die grotesk verzerrte Fratze und sie spürte den unbändigen Hass, der nur von dem einen Gedanken im Zaun gehalten wurde, dass der Hauch einer Chance bestehen mochte, dass Emilian noch lebte. Und wenn sie dies, so unwahrscheinlich es auch war, nur im Mindesten in Betracht zog, dann war dieses Geschöpf der Schlüssel zu ihm. Sie wusste nicht, was für ein Spiel Lambros vielleicht trieb, aber er sie hatte diese eine Möglichkeit.
Mit allem Mut, den sie aufbringen konnte, verweilte ihr Blick noch eine Sekunde länger auf der Fratze und sie versuchte einen Zugriff zu seinen Gedanken zu erhalten… irgendwo einen winzigen Hinweis auf ihren Erzeuger.
Nichts- Lambros Geist war absolut leer. Nirgendwo war auch nur der Hauch einer Erinnerung auszumachen. Alida spürte Wut und Verzweiflung. Aber sie war nicht in der Lage irgendetwas daran zu ändern.

Rustovich sah in Richtung Alida und allein an seinem Gesichtsausdruck erkannte sie das blanke Missfallen ihrer alleinigen Anwesenheit, die er wohl nur notgedrungen ertrug, weil sie ihm als offizieller Feldherr und Wahrer der Traditionen nicht erspart blieb. Der Drache der Drache setzte sich und sein zunächst so hocherfreuter Blick über den herannahenden Sieg, war erneut gekennzeichnet von kaum unterdrückten Zorn.
Andrej war es schließlich, der sich nunmehr erhob und in die Runde blickte. „Wir wollen aus dieser Sache kein großes Gerichtsverfahren machen oder ihr zu viel persönliche Bedeutung beimessen, aber wie es scheint, hat sich herausgestellt das unser Gast tatsächlich nicht diejenige war, für die sie sich ausgegeben hatte. Eine Tatsache die wir wohl unter den gegebenen Umständen verstehen können.“ Er schielte leicht in Richtung Vladimir, der nur ungeduldig mit den Fingern auf den Tisch trommelte. „Ebenfalls..“, fuhr Andrej fort, „Hat sich unser aller Freund und Weggefährte, Sergej Belinkov, in Wahrheit als Emilian der Abkömmling des Verräters entpuppt; wie von unserem geschätzten Lambros aufgedeckt wurde. Der betreffende Drache, weilt zu diesem Zeitpunkt bereits nicht mehr unter uns; Meister Lambros vernichtete ihn wohl in den Bruthöhlen. Bleibt also noch darüber zu entscheiden, was Alida van de Burse, Ratsmitglied aus Brügge und Unholdin des Westens für ein Schicksal beschreiten wird.“
Lambros zuckte mit keiner Miene als sein Name fiel, während Rustovich nur die Augen überdrehte und tief die Luft einsog. „Eine wundervolle Ansprache, Andrej, ganz zauberhaft aber ich glaube nicht das derlei Protokoll angebracht ist. Nicht während einer Schlacht dieses Ausmaßes. Sie ist das Kind des Kindes eines Verräters und soll den Lohn dafür erhalten. Damit haben wir dieses finstere Kapitel endlich abgeschlossen und können uns wichtigen Dingen widmen. Meister Lambros hier versicherte mir das seine Spezialentwicklung bald einsatzbereit wäre?“ Wie beiläufig sah er zu letztgenannten.
Alida besah sich Vladimir Rustovich zum ersten Mal näher. Der Voivode der Voivoden sollte der Bruder von Victor sein? Sie rief sich das markante Gesicht des seit Jahrhunderten vernichteten Freundes ins Gedächtnis. Den kurzgeschorenen Bart, das rotblonde Haar, den ernsten Ausdruck.
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Sie verglich ihre Erinnerung an Emilians Vater mit dem breitschultrigen, braunhaarigen Hünen vor sich und hatte Schwierigkeiten eine Verbindung herzustellen.
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Konnten Andrejs Worte wirklich der Wahrheit entsprechen und beide doch so unterschiedliche Männer Brüder sein? Der Zug um die hellen Pupillen war ebenso wie der Schwung der Augenbrauen ähnlich… Alida riss sich aus ihren Erinnerungen. ES war gleich: Das hier war Vladimir Rustovich, Voivode der Voivoden, Drache der Drachen und in dieser Nacht Richter über Alida van de Burse. Auch wenn er ganz offensichtllich lieber wichtigeren Dingen nachgehen wollte.
Die monströse Fratze des Formers drehte sich kaum merklich in die Richtung des Voivoden, als Andrej sich unverhohlen und recht deutlich räusperte; gleichzeitig den Kopf vehement schüttelte. „Bei allem gebührenden Respekt, Vladimir, aber ich kenne diese Frau, als auch den Verblichenen sehr gut oder meine zumindest beide mittlerweile gut genug zu kennen, um mir ein Urteil bilden zu können. Ich bedauere zutiefst, was vorgefallen ist, kann aber die versuchte Täuschung der Dame nur allzu gut nachvollziehen, bedenkt man deinen blinden und abgründigen Hass.“ Er verschränkte die Arme und machte ein paar Schritte um den Tisch herum.
Vladimir sah ihn fast mitleidig an, ganz eindeutig wollte er das gerade nicht hören.
„Doch, so ist es, lieber Vladimir. Sergej Belinkov, alias Emilian, der Verräter, war niemals ein Feind unserer Heimat, denn es war auch die seine. Er war im Osten, er war im Westen, er kannte beide Landstriche und die dortigen Gebräuche und Traditionen gut. Hat er dir jemals widersprochen? Hat er jemals deine Befehle oder deinen Feldzug in Frage gestellt? Nein, Vladimir, das hat er nicht. Er hat gehandelt und unserem Land damit Wohlstand gebracht, unsere Domänen gesichert, den Menschen Arbeit und Brot gegeben. Er hielt unsere Ehre und unsere Werte aufrecht und trug sie in den Westen, wo er sich tadellos benahm und wie ich hörte überall ein gern gesehener und geschätzter Gast ist. Baronessa Caravaggio beliebte beizeiten mit ihm Schach zu spielen wie ich hörte, und Hussain al Muhammed erwartete ihn regelmäßig in Konstantinopel, wo er mit dem Ältesten Gesu philosophierte. Es gibt nichts, rein gar nichts, was man ihm vorwerfen könnte, oh Drache aller Drachen. Er war ein Vorbild an Genügsamkeit, Schläue, Stolz, Manieren und Heimatverbundenheit. Nie stand seine Loyalität in Frage; bis zu seinem Tode nicht.“ Er sah lange in Richtung Alida.
„Dies war auch der Grund, warum ich ihn einlud unseren Feldzug zu unterstützen. Ich bin nach Flandern gereist und habe ihn dort um Hilfe und Unterstützung gebeten, da Meister Belinkov für seine Kunstfertigkeit im Formen bekannt ist. Und auch schon damals habe ich gewusst, wen ich da in Wahrheit für unsere Sache gewinne und tat es voller Überzeugung. Er wusste es und hätte nicht kommen müssen, auch wenn ich ihm einige Dinge in Aussicht stellte, die teilweise illusorisch klingen mochten. Er folgte meiner Bitte und ja...“ Seine Augen fixierten Rustovich. „Ich wusste, dass er Emilian war und ich wusste oder vermutete, dass Alida van de Burse ihm folgen würde. Beides war mir schon im Voraus wohl bekannt, Vladimir. Den Verräter, zu dem ihr ihn jetzt machen wollt um eure Wut in seinem Blut zu löschen, hat niemals existiert.“
Alida schwieg. Was sollte sie darauf auch sagen? Es machte Emilian auch nicht mehr lebendig. Sie schloss die Augen und wartete.
Rustovich erhob sich von seinem Stuhl und wirkte zum ersten Mal seitdem Alida ihn gesehen hatte geradezu sprachlos, ob vor Wut oder Unglauben wegen Andrejs Worten konnte sie nicht sagen. Andrej, der Erzunhold, der ihre schöne Stadt hatte angreifen und beinahe dem Erdboden gleich hatte machen lassen, fuhr jedoch unbeirrt fort; unterbrach Vladimir sogar bevor dieser etwas sagen konnte. „Nein Vladimir, du weißt, dass ich die Wahrheit spreche. Wir haben dir so viel zu verdanken, so unendlich viel. Du warst es, der die Voivoden unter deinen Bannern einte, der die Wolflinge aus unseren Wäldern vertrieb, der sterbliche wie unsterbliche Feinde zermalmt und uns schlussendlich den Sieg über die größte Pest dieses Landes, die Tremere, brachte. Aber all diese ehrenwerten, stolzen und wichtigen Taten sind nur dann etwas wert, wenn man sie nicht aus Selbstverliebtheit tut. All dies hast du nicht nur für dich getan, um dir selbst etwas zu beweisen, sondern für unsere Heimat und deine Familie. Das ist deine Familie.“ Er deutete auf Alida. „Victor Rustovic war dein Bruder, doppelt im Blute und Emilian war sein Kind, Alida ist das Kind von Emilian. Das ist deine eigene Verwandtschaft, die du kurz vor deinem größten Sieg hinrichten lässt, Vladimir!“ Andrej redete sich allmählich in Rage und wurde lauter und eindringlicher, wandte sich nun an die versammelten Kainiten; sprach diese ebenfalls direkt an und sah ihnen fest in die Augen. Der Drache der Drache war schier überrumpelt von Andrejs Plädoyer.

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„Und warum? Weil dein Bruder einmal vor einer ewig langen Zeit eine Entscheidung getroffen hat, die du als Feldherr nicht gutheißen konntest. Er hat sich für seinen eigenen Sohn entschieden, anstatt für jemanden anderen den du für eine Schlacht vorgesehen hattest. Ja, es gab viele Tote und Verwundete und auch herbe Rückschläge und möglicherweise hätte dein Kandidat uns all diese Niederlagen in Siege verwandelt, vielleicht aber auch nicht, Vladimir. Ich sage dir das….“ Und nun sah er erneut zu Alida und fixierte sie mit ausdruckslosen Augen. „Als der dritte Bruder unseres gemeinsamen Vaters und Erzeugers. Er war ein frommer und kluger Mann, ein ehrenwerter Drache und ein leuchtendes Vorbild für uns alle; versinnbildlichte die Dreifaltigkeit Kains in seinen Söhnen, die er über alles liebte: Kain, der Tyrann, der Feldherr und Eroberer: Vladimir Rustovich. Kain, der dunkel Vater, Beschützer der Familie und Erhalter der Linie: Victor Rustovich und schließlich Kain, der Wanderer, der Gelehrte und Philosoph: Andrej Cunescu Rustovich.“ Mit einem Mal drehte er sich zum Voivoden der Voivoden um und sah ihn fast schon bedauernd an. „War diese Schmähung so groß, wog die Kränkung so schwer, das du deinen eigenen Bruder so verfluchen und verdammen musstest, dass selbst seine Kindeskinder, deine Neffen und Großnichten jetzt noch für ein Verbrechen zahlen müssen, das man dem dunklen Vater unserer gemeinsamen Familie nur schwer vorwerfen kann? Wo warst du, als man unseren geliebten Bruder verbrannte? Du warst ebenfalls nicht zur Stelle sondern in der Schlacht; er war bei seiner Familie. Wir sind nicht besser als Victor, mein lieber Vladimir. Aber das, was du gerade im Inbegriff bist zu tun, ist eines Drachen der Drachen nicht würdig, ist eines Voivoden der Voivoden nicht würdig. Unser Vater würde sich schämen.“

Re: Die Fesseln der Macht

Mi 1. Jun 2016, 21:08

Wieder hatte Alida das Gefühl den Boden unter den Füßen weggezogen zu bekommen. Emilian musste das all die Jahre gewusst haben… und er hatte nie ein Wort gesagt. Oder war er selbst zu dem Zeitpunkt als die Fehde zwischen seinem Vater und dessen Brüdern begann noch zu jung gewesen um zu begreifen? Andrej also, der dritte Bruder, der seine Ziele verfolgte und seine Wege beschritt? Der in dieser Nacht dieses eine Ziel verfolgte, das sie wohl von allen Bestrebungen der Welt am ehesten nachvollziehen konnte: Die Familie.
Sie presste die Lippen aufeinander und unterdrückte mühsam ein Kopfschütteln.

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Kaum hatte das letzte Wort Andrejs Mund verlassen, da erhob sich der Voivode der Voivoden auch schon erneut zu voller Größe und stützte sich mit beiden Händen auf dem schweren Steintisch vor sich ab. Sein Gesicht wirkte hart und unerbittlich, obgleich Alida nicht das Gefühl bekam der große Tzimisce-Heerführer, wäre tatsächlich wütend. Irgendwie sah Vladimir Rustovich ernst aus. Ernst und nicht zu Späßen aufgelegt, als ob diese ganze Angelegenheit eine neue Qualität der Dringlichkeit und persönlichen Bedeutung erhalten hätte. Die dunklen Augen funkelten seinen dritten und letzten, verbliebenen Bruder einschätzend an, bevor er sein Gewicht minimal verlagerte und sich an die restlichen, versammelten Unholde wandte. „Meine geschätzten Freunde, Vertrauten und loyalen Mitstreiter, würdet ihr mich und meinen Bruder einen Augenblick entschuldigen?“
Velya erhob sich ohne zu Zögern von seinem Stuhl und verbeugte sich tief vor dem Drachen der Drachen. „Selbstverständlich Voivode aller Voivoden, mit eurer Erlaubnis hatte ich ohnedies vor, bereits das Innere der Tremere Festung zu erkunden. Jetzt da wir die größte Hürde gemeistert haben kann die Front einen zusätzlichen Drachen gewiss gebrauchen.“
Rustovich nickte ihm nur bestätigend zu, während er im Anschluss Lugoj scharf fixierte, der sich ebenfalls etwas ungelenk erhob und verbeugte. „Ich äh… werde ihn dann wohl begleiten, mein Herr“, stammelte er ein wenig verlegen, bevor er sich eilte zu Velya aufzuschließen, der gerade im Begriff war den steinernen Torbogen zu durchschreiten.
Lambros indessen erhob sich wohl eine halbe Minute später und nickte Rustovich nur höflich zu; machte aber keine Anstalten den Raum zu verlassen. Stattdessen erklang zum ersten Mal seine schroffe Stimme.
„Gerne würde ich eurer Aufforderung nachkommen, Voivode aller Voivoden, doch ich fürchte meine Anwesenheit wird noch Bedeutung haben in diesem Gespräch, zumal ich den Verräter tatsächlich getötet habe.“
Rustovich lächelte nur unterkühlt und ungeduldig. „Gewiss, das habt ihr mein Freund und dennoch…“
Lambros erlaubte es sich tatsächlich ihn zu unterbrechen. „Verzeiht mein Herr, es scheint wir sprechen nicht vom gleichen Mann. Der wahre Verräter in euren Hallen, oh Drache aller Drachen, war Lambros.“ Und unter den erstaunten und beinahe entsetzten Blicken Rustovichs, der ein paar Schritte zurückmachte, hob Lambros die Hände an die Schläfen und es dauerte nur Augenblicke, da blickten ihn die hellen Augen eines altbekannten Gesichtes an. Andrej lächelte anerkennend während Velya und Lugoj nur das erschrockene Erstaunen ihres Feldherrn zu teilen schienen. Vor den Augen Alidas war das monströse Abbild Lambros soeben zu Emilian geworden, der nunmehr vor dem Drachen auf die Knie fiel. „Mein Herr.“

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Alida zuckte zusammen und stieß den Stuhl zurück in dem sie saß. Schwer schluckte sie und krallte die Finger in das Holz der Lehne. Sie musste sich beherrschen um ihren Platz nicht zu verlassen. War das ein seltsames Spiel? Ein Trick, den sie nicht verstand?
Fast im gleichen Moment weiteten sich ihre Pupillen um die vertraute Gestalt genauer anzusehen.
Und auch wenn niemand es glauben konnte, schien die Gestalt des vermeintlich getöteten Verräters vor dem Voivoden zu knien und seine Gunst zu erbitten. „Ich habe euch nie verraten, mein Herr Rustovich, lediglich dafür gesorgt, dass ihr mir nicht sofort ohne zu zögern den Kopf von den Schultern trennt. Wie immer ihr auch zu mir stehen mögt, nie tat ich etwas, dass euren Ländereien oder Vorhaben Schaden zugefügt hätte. Das schwöre ich bei meinem toten Vater und Erzeuger Viktor.“
Rustovich erschien Alida in diesem Moment noch um einiges blasser als es der Untod eh schon mit sich brachte. Er hieb mit der Faust auf den Tisch und brüllte in vollster Lautstärke „Was tut er hier? Wachen! Nehm ihn sofort fest!“
Mehrere Wachen stürmten auf den Eindringling zu, zogen ihre Schwerter und umringten ihn.
Ohne auf Rustovichs Erlaubnis zu warten, erhob Emilian sich und deutete auf Andrej. „Euer Bruder hat mich eingeladen euer Vorhaben hier in Ceoris zu unterstützen. Weil er der Meinung war, ich könnte hier das Unmögliche für euch schaffen, und ich folgte, weil er mir unser verwandtschaftliches Verhältnis offenbarte. Es erschien mir wie eine Falle, in die man mich locken wollte und trotzdem bin ich gekommen. Damals habe ich nicht verstanden, worum es Andrej wirklich dabei ging. Aber hier stehe ich nun, mein Herr, als Emilian, das Kind eures Bruders. Und ich habe das Werk vollendet an dem Lambros scheiterte.“

Rustovich schien mehr als sprachlos und war sogar zu perplex um einen erneuten Wutausbruch zu unterliegen. Er blickte von Emilian zu Andrej und von diesem zu Alida als erwarte er, dass sich diese vervielfältigen und mit gezogenen Klingen auf ihn stürzen würden. Als nichts dergleichen geschah scheuchte er Velya und Lugoj mit einer harschen Handbewegung zur Tür hinaus, die dem Wunsch des Voividen nur allzu gerne nachkamen.
Schließlich schloss er die Augen und atmete tief ein und aus. Wie ein Vulkan, der kurz davor war auszubrechen. Scharf und schneidend drang seine Stimme durch zusammengebissene Zähne. „Du bist tatsächlich so töricht und wagst es, mir unter die Augen zu treten? Du hättest fliehen können…“ Emilian war in eine leichte Verbeugung gesunken und hielt den Kopf ergeben gesenkt ohne zu antworten. Beide Männer wussten nur zu gut, dass es so war. Rustovich fuhr in deutlich leiserer Tonlage fort. „Dann bist du, Sohn des Verräters, also hier um mein Urteil zu erwarten?“ Wieder folgte nur zustimmendes Schweigen und der Voivode der Voivoden seufzte. Er trat näher an den Tisch heran und nahm wieder in seinem Stuhl Platz. Ein einziger Wink seiner Hand ließ die Wachen zurück auf ihre Positionen marschieren. Er fixierte Emilian und schien zu überlegen wie er fortfahren sollte. „Du hast also meinen Getreuen, Lambros, getötet und dein Antlitz in das seine verwandelt? Warum?“
Emilian hielt den Kopf weiterhin gesenkt. „Seit dem Tag unserer ersten Begegnung blickte Lambros neidvoll auf mein Talent im Formen des Fleisches. Ob in Gestalt von Sergej Belinkov oder Emilian Victorovich machte keinen Unterschied. Er ließ keine Gelegenheit aus mich schlecht zu machen und allerlei böse Gerüchte über mich zu verbreiten; nie aber hatte er etwas in der Hand mit dem er mir wirklich schaden konnte. Nichtsdestotrotz suchte er nach jeder Kleinigkeit und schien schließlich den Hauch eines Verdachts zu haben. Um diesen zu verifizieren hat er ein Geschäft mit den Tremere vereinbart um aus einer geraubten Blutprobe weitere Informationen und meine wahre Herkunft zu erfahren.“ Emilian nickte. „Ja, sein Hass und Neid waren so groß, dass er dem Feind so manches Mal Informationen verkaufte um mich vor euren Augen bloßzustellen. Ihr könnt euch seine Freude sicher vorstellen, als er erfuhr, wer ich in Wirklichkeit war... Er hat mir, als auch meinem Kind Alida, alle möglichen Steinen in den Weg gelegt und dennoch sind wir beide in dieser Nacht hier.
Ich habe ihn vernichtet, nachdem ich seine Identität angenommen hatte, weil ich fürchtete unverzüglich mitvernichtet zu werden; da ich um euren Hass auf meinen Vater weiß. Verzeiht diesen Schritt aber mir zeigte sich kein anderer Ausweg.“ Erneut verneigte sich Emilian.
Rustovich blickte erneut zu seinem Neffen. „Und dafür hast du Beweise?“
Alidas Erzeuger wollte gerade zu einer Antwort ansetzen, da erhob sich aus dem Hintergrund eine langsam und dunkle Stimme, die fast so klang als würde die Erde unter ihren Füßen sprechen. Aus einem der dunklen Winkel des Raumes löste sich die merkwürdige Gestalt des Mannes, der die knöcherne Maske mitsamt Helm getragen hatte und zuvor nur die Szenerie auf seinem steinernen Thron betrachtet hatte. Niemandem war aufgefallen, wo er sich bei Beginn der Unterredung befunden hatte, noch wie er jetzt so einfach hier eindringen konnte. Allerdings fragte auch merkwürdigerweise keiner danach.

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„Lambros hat den Tremere mehr als einmal wichtige Geheimnisse offenbart, die deine Bemühungen zunichtemachten oder erschwerten, Vladimir. Meine Bürgschaft gehört dem Jungen, denn auch meine Diener berichten ähnliches. Bedauerlicherweise hast du in diesem Hass auf deinen Bruder, nicht erkannt wer dir Gutes und wer dir Schlechtes will. Das ist gefährlich, Voivode.“
Rustovich verbeugte sich eilig vor dem unbekannten Fremden; ging auch gar nicht weiter auf dessen Auftauchen ein, obgleich er überrascht darüber schien. Irgendwie hatte es für alle den Anschein als wäre der merkwürdigen Erscheinung ganz besonders viel Respekt zu zollen. Selbst Rustovich neigte sein Haupt, während Emilian Alida kurz zuzwinkerte. Ein schmales Lächeln umspielte seine Lippen, das, ohne das er ein Wort verloren müsste, bereits alles sagte.
Vladimir indessen betrachtete den Neuankömmling weiterhin kritisch. „Ihr meint, dass Lambros selbst ein Geschäft mit dem Teufel schloss um den jungen Belinkov alias Emilian zu übertreffen? Nun in diesem Fall verdient er tatsächlich, was ihm widerfahren ist.“
Rustovich öffnete die Augen und sah beinahe wie versteinert zu Alida; danach vorwurfsvoll und fast mürrisch zu Andrej. Wie konnte dieser ihn ausgerechnet in dieser Stunde mit der Last von jahrhundertealtem Hass, Selbstzweifel und Misstrauen behelligen, die der Verrat des zuvor so wichtigen Bruders, dessen Verfolgung und Vernichtung mit sich gebracht hatten.
Andrej hob entschuldigend die Schultern. „Ich wusste, du würdest den größten Fleischformer brauchen, den du bekommen kannst. Und dieser war nicht Lambros, sondern dein Neffe, Emilian, den du tot sehen wolltest und der dir nunmehr bei der Erfüllung deines sehnlichsten Wunsches zu Diensten ist.“
Emilian nickte und versuchte die Aufmerksamkeit des Voivoden auf die Schlacht zu lenken.
„Den Brecher der Blockade hätte Lambros wahrscheinlich niemals fertig bekommen, mein Herr. Viel zu ungeschickt und uninspiriert war seine Arbeit; zu groß sein Drängen sich euch beweisen zu wollen. Ich habe ihn selbst fertig gestellt und er steht bereit in den Bruthöhlen und wartet auf eure Befehle, oh Voivode der Voivoden.“
Der Drache der Drachen schloss erneut die Augen und richtete diese dann zu aller Überraschung auf Alida. So viele neuen Informationen und Erkenntnisse gingen auf ihn hernieder, dass er Mühe hatte seine Gedanken zu ordnen. Er wusste augenscheinlich ja noch nicht einmal, wen er jetzt eigentlich anbrüllen sollte. So sagte er schlussendlich lediglich: „Alida van de Burse. Unabhängig von eurem Erzeuger oder Andrej hier, selbst unabhängig des gemeinsamen Blutes, das uns verbinden mag, wie steht ihr zu den Heimatlanden der Tzimisce und meinem Feldzug gegen die Bluthexer?“
Alida hatte in diesem Moment mit allem gerechnet, aber nicht damit direkt angesprochen zu werden. Wen interessierte in dieser Runde die Meinung ein einer unbedeutenden flandrischen Kainitin? Sie schloss für einen Lidschlag die Augen und überlegte wie sie antworten sollte. „Die östlichen Lande sind die ursprüngliche Heimat meines Erzeugers. Sie sind ihm teuer und so lerne auch ich sie zu schätzen.“ Sie nickte. „Ich bin durch diese Lande gereist und ich habe gesehen, was der Krieg angerichtet hat. Welches Leid er mit sich gebracht hat für Kainit ebenso wie für Sethskind. Es wird Zeit, dass er endet.“
Vladimir Rustovich, der Voivode der Voivoden, der Drache der Drachen stand für einige stillschweigende Minuten einfach nur da und schien Vergangenes, Gegenwärtiges und Zukünftiges zu überdenken. Es wäre ohne Zweifel der beste Moment um den großen Feldherr mit seinen Überlegungen alleine zu lassen; jegliche Einmischung irgendeines zweiten, selbst Andrejs oder der merkwürdigen Gestalt hinter der steinernen Tafelrunde hätte wohl unberechenbare Konsequenzen nach sich gezogen.
Schließlich nickte der Unhold und wandte sich an Emilian, der ohne zu fragen auf die Knie ging.

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„Ich habe meinen Bruder geliebt, genauso wie ich Andrej noch immer liebe, obgleich ich ihm manchmal am liebsten den Panzerhandschuh um die Ohren schlagen möchte, für seine Dreistigkeiten. Doch so ist das unter Brüdern, so ist das in einer Familie.“ Er sah zu Andrej als er weitersprach. „Am Ende ist wohl nur bedeutend, dass ein Blut und eine Seele zusammenhalten und sich geeint gegen die Feinde stellen.“ Er bedeute Emilian sich zu erheben. „Ich habe Viktor gehasst, für seine Entscheidung dich meinem ausgewählten Kandidaten und damit mir vorgezogen zu haben. Es hat uns beiden nichts als Blut und Pein gebracht. Nie werde ich mir verzeihen können, dass ich nicht da war als man ihn verbrannt hat. Der Schmerz als ich damals davon erfuhr war größer als mein Hass auf ihn, denn er war nach wie vor mein Bruder. Und ich habe bereitwillig die Möglichkeit genutzt mir einzureden, dass er sein Schicksal verdient hätte um mir die Selbstvorwürfe zu ersparen, dass ich nicht zur rechten Zeit am rechten Ort war...“ Der braunhaarige Kriegsfürst schwieg lange. „Wir haben einander beide Unrecht getan und dennoch will ich meinen Zorn nicht mit deinem Blut löschen; Du hast den Mut und trittst mir unter die Augen, gibst mir zusätzlich eine Waffe zur Vernichtung unserer Feinde in die Hand… Ich erwarte von deiner meisterlichen Arbeit nichts weiter als unseren finalen Durchbruch in die unteren Gewölbekammern.“ Vladimir Rustovich, zog sein Schwert und hielt es Emilian auf die linke, dann auf die rechte Schulter bevor er ihn sich endgültig erheben ließ. „Du bist mein Neffe und Blut, Emilian, Sohn des Viktor und ich vergebe deinem Vater, als auch dir. Unser Clan hat so viele Neider, speichelleckerische Loyalisten und verlogene Gesichter, dass man sich am Ende wahrscheinlich doch nur auf eines verlassen kann, auch wenn man daran mitunter zweifeln mag: die eigene Familie. Blut ist dicker als Wasser. Dir sei vergeben, Ritter des Ostens.“
Dann bedeutete er Alida näher zu kommen, wirkte dabei zum ersten Mal an diesem Abend, beinahe freundlich. „Komm her, mein Kind.“
Alida senkte den Blick. Sie traute dem seltsamen Familienidyll nicht so recht und fühlte sich so unwohl in ihrer Haut wie schon lange nicht mehr. Sie presste die Zähne auf die Lippen und sah den Voivoden der Voivoden an. Sie versuchte sich so aufrecht wie möglich zu halten als sie nähertrat, kam sich aber im Vergleich zu dem Hünen, der sie um mehr als Haupteslänge überragte winzig vor.

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Der hochgewachsene Mann legte ihr die Hand auf die Schulter Emilians und sah ihn ein letztes Mal an; nickte ihm bestimmt zu. „Als Sergej Belinkov, hast du mir viele Jahre lang treu und ohne zu Zögern vorbildlich gedient, dies erachte ich als Begleichen deiner Erbschuld. Du hast oft genug bewiesen, wo deine Loyalität liegt obschon du jederzeit hättest enttarnt und getötet werden können.“
Dann blickte er Alida fest in die Augen und verengte seinen Blick prüfend. „Du magst die Hure Flanderns sein, aber du bist eine standhafte, verbissene Hure, die ihre Heimat in weiter Entfernung im Westen gewählt hat und dort eine der reichsten Städte unserer Zeit regiert. Weder Andrejs Söldnerschergen, noch sein eigenes Kind konnten dich aus deinem Stammsitz vertreiben. Immerhin hatte Andrej ja ein paar Lambros Kriecher verpflichtet, hörte ich. Dafür zolle ich dir Respekt, kleines Mädchen, auch wenn nicht viel dabei sein mag sich gegen müde, stinkende Söldner, die tagelange Märsche hinter sich haben, zu wehren.“ Sein Blick glitt kurz abschätzig zu eben jenem, fiel dann aber wieder zurück zu ihr. „Dein Erzeuger hat mir jahrelang gute Dienste erwiesen und sich loyal gezeigt, auch wenn er sich dabei selbst verleugnen musste. Das muss selbst ich, der Voivode der Voivode anerkennen und darum werde ich diese Fehde beenden. Du aber bist in meine Festung eingedrungen, hast mich und alle anderen getäuscht und meine Gardisten attackiert; mehrere davon getötet. Ganz abgesehen von dem allgemeinen Chaos und der Verwirrung, die du in dieser wichtigsten aller Schlachten gestiftet hast, werde ich aber auch dir die Chance geben dir mein Wohlwollen zu verdienen. Bist du bereit dazu, Drache des Westens?“ Seine dunklen Augen bohrten sich in die ihren.
Alida biss die Zähne aufeinander um die Worte zurück zu halten, die sie ihm mehr als bereitwillig bei seinen Vorwürfen, entgegengeschleudert hätte. ‚Ja! Und ich würde es jederzeit wieder tun.‘ Sie wusste, dass sie in diesem Moment keine Wahl hatte. Sie nickte und ihre Worte waren klar, aber leise. „Ich bin bereit zu tun, was getan werden muss.“
Rustovich nickte. „Gut, dann sind wir uns einig. Solltest du Erfolg haben, ist auch dir und somit jedem deiner weiterführenden Ahnenreihe vergeben. Kein Unhold soll mehr in meinem Namen Krieg gegen dich oder deine Stadt führen und kein Former sich an deinem Blute gütig tun. Da du kein direkter Nachfahre unserer Linie bist, ist es dir aber untersagt unser Wappen in deinen Insignien oder den Namen Rustovich öffentlich zu führen. Solltest du dies wünschen, müsstest du dich dessen erste einmal würdig erweisen.“ Der Voivode schmunzelte. „Aber ich bezweifle, dass du lange genug im Osten bleiben willst um dir dieses Privileg zu erarbeiten. Dennoch sollten wir keine weitere Zeit verstreichen lassen. Dieses ganze Gerede macht mich durstig nach dem Blut meiner Feinde und davon warten noch eine ganze Menge auf uns.“ Er winkte einen Gardisten heran. „Sattelt die Pferde für Ser Emilian und mich; Kampfgeschirr wohlgemerkt und Ehreneskorte. Ich will, dass sich das Mondlicht wie brennendes Feuer in unseren Rüstungen spiegelt, wenn wir Ceoris niederreißen.“ Dann sprach er den frischgebackenen Ritter des Ostens selbst an. „Ihr werdet mich auf dem Ritt zur Spitze des Berges begleiten, gleich nachdem ihr den Blockadebrecher in Bewegung gesetzt habt.“
Emilian konnte nur noch wie selbstverständlich nicken; wie sollte er dem Drachen diesen Wunsch auch jetzt noch abschlagen können? Dieser wiederum wandte sich an Andrej. „Das Mädchen wird unseren Ersatzplan durchführen, du weißt schon, jener für den eigentlich Lugoj vorgesehen war. Ich verspreche mir mit diesem Weib weitaus mehr davon, als ich jemals bei diesem zitternden Haufen Hasenfüßigkeit gesehen hätte. Du wirst sie instruieren, Bruder, während wir uns vorbereiten. Keine Widerrede! Und damit wir uns hier ausnahmsweise auch alle verstehen: Das ist bereits mein letztes Wort! Wir vertrödeln Zeit während sich der Feind neuformieren kann.“ Offenbar war der Blutdurst des Voivoden gerade wieder geweckt worden. „In dreißig Minuten an den Ställen“, rief er Emilian noch im Gehen zu, während sich ein ganzes Kommando an Tormentoren um ihn scharrte um ihn auf Schritt und Tritt zu begleiten. „Eilt euch“, verkündete der Drache noch bevor er in den dunklen Gängen der Festungsanlage verschwand.

Re: Die Fesseln der Macht

Do 2. Jun 2016, 16:54

Zurück blieben Alida und Emilian, sowie Andrej und der mysteriöse Fremde. Ihr Erzeuger lächelte und stürmte ihr beinahe entgegen; schloss sie fest in seine Arme und küsste sie leidenschaftlich. Mit beiden Händen hielt er ihr Gesicht und strich ihr lächelnd mit beiden Daumen über die Wangen. „Mein Gott, Alida, was machst du nur? Warum bist du mir gefolgt? Ich hatte Girland doch genaue Anweisungen hinterlassen? Du bringst dich in Gefahr, in sehr große Gefahr. Ich könnte es mir doch nicht verzeihen, wenn dir etwas geschehen würde.“ Liebevoll küsste er sie auf die Stirn und betrachtete sie als wäre sie das wertvollste in seinem ganzen Leben. Etwas unsagbar zerbrechliches und Filigranes, das er mit seiner untoten Existenz zu verteidigen wusste.



Sie wich seinem Blick aus, sah auf ihre Hände, die sich ineinander verkrampften und sie versuchte irgendwie Andrej und vor allem den anderen, nach wie vor unbekannten Fremden wenigstens für diesen Moment aus ihrem Bewusstsein zu verbannen. Vergebens. Ihre Stimme war kaum hörbar. „Dann sag du mir doch bitte, Emilian… Wie soll ich mir verzeihen, wie weiter machen, wenn dir etwas geschehen würde? Ich hatte die Kunde, dass es Pläne gab, die deine Vernichtung bedeutet hätten…“ Alida stockte, schüttelte den Kopf, noch immer unfähig ihn anzusehen. Sie biss sich auf die Unterlippe, unfähig das auszusprechen, was sie wirklich in dem Moment hätte sagen wollen. „Es tut mir leid. Ich habe mich wie ein panisches, nicht klar denkendes Weibsbild verhalten, bin dir ohne lange Überlegungen, ohne Berücksichtigung der Konsequenzen meines Tuns in den Osten hinterhergereist, hatte Angst um dich, dachte, du würdest meine Hilfe brauchen. Aber wie ich sehe, war dem nicht so. Du bist sehr gut ohne mich klar gekommen, hast deine Feinde vernichtet und getan, was getan werden musste. Ich habe dich dabei blamiert. Verzeih!“ Sie senkte anerkennend den Kopf. „Dies scheint deine Stunde zu sein, diejenige, die über alles entschieden hat und es ist dir gelungen sie zu nutzen. Das hier ist dein Moment, den du dir verdient hast.“ Sie nickte. „Ich gratuliere dir zu deinem Sieg.“
Emilian sah sie fragend an und bemerkte dann erst, worum es Alida wohl in diesem Augenblick zu gehen schien. Dieses unterwürfige und selbst scheltende Verhalten war ganz und gar nicht die Frau, in die er sich vor so unzähligen Nächten verliebt hatte aber es war wohl das, was die Flämin glaubte in Anwesenheit von Andrej und der anderen Unholde darstellen zu müssen. Sachte nickte er und fuhr ihr mit einer Hand lächelnd durch das blonde Haar. Er wollte schon einige Worte an Andrej richten, doch dieser kam ihm bereits mit erhobener Hand zuvor.
„Mir ist natürlich bewusst, dass es viel zu besprechen gibt, aber sowohl ihr als auch euer Kind werdet an verschiedenen Orten gebraucht. Vladimir will euch mit eurer Kreatur am Haupttor und hat Alida für eine Sondermission vorgesehen. Ihr habt nur wenig Zeit und solltet ihn nicht verärgern, denn wie ihr ja bereits wisst, kann er sehr wankelmütig sein.“ Der Erzunhold und offenbarte dritte Bruder der Familie Rustovich, verneigte sich knapp und sprach Alida an.
„Trefft mich in meinen Gemächern, die Wache wird euch führen.“ Damit verließ er die Räumlichkeiten des Rates mit eiligen Schritten. Jetzt gab es nur noch ein paar verstreute Wachen und die merkwürdige Gestalt des Fremden, die sich allmählich in Richtung des Fensters im Raum aufmachte, wo der Schneesturm sich mittlerweile gelegt hatte.
Emilian bedeutete Alida einen kurzen Moment zu warten und sprach den Fremden dann an. „Eure Rolle ist mir noch nicht ganz klar. Ich weiß das Lambros seine Informationen von den Tremere bezog, aber warum wisst ihr es? Und warum habt ihr euch für mich eingesetzt?“
Die Gestalt hob den behelmten Kopf an und blickte über die Schulter in Emilians Richtung. „Weil es Vladimir Rustovich bestimmt ist dieses Land zu befrieden. Und damit dies geschehen kann, muss er sich selbst darüber im Klaren sein, wer für ihn oder gegen ihn ist. Mir liegt nichts an euch, eurem Kind oder euren anderen Belangen, aber dieser Mann und sollte er noch so verbohrt und starrköpfig sein, muss das Land befreien. Das ist alles, was ich möchte. Sollte er versagen, haben wir alle versagt.“
Emilian nickte nur. „Ich verstehe, dann danke ich euch von ganzem Herzen auch wenn es euch dabei nicht um mich ging. Verzeiht wenn es unhöflich klingt aber… wie lautet euer Name?“
Die Gestalt wandte sich ein letztes Mal um bevor sie die Säulen der hohen Fenster erreichte. „Yorak“, klang es dunkel zwischen den kühlen Felsen und als Alida den Blick kurz abwandte und wieder in Richtung der Gestalt wandte, war sie auch schon verschwunden.
Emilian schüttelte nur den Kopf und seufzte. Es gab Dinge im Osten, die würde wohl nicht einmal er jemals verstehen können. Vielleicht lag das aber auch nur in der merkwürdigen und uralten Gesellschaft, in der sie sich beide befanden.

Er bot Alida seinen Arm an und schritt mit ihr aus der Ratshalle; führte sie durch die Gänge. Hier waren sie wieder allein mit sich selbst und ihren Gedanken und dann endlich in einer schlecht einsehbaren Abzweigung, konnte er sich nicht mehr halten und presste seine Lippen auf Alidas; verzehrend, verlangend. „Mein Gott, ich weiß nicht, was ich sagen soll, Alida. Ich bin entsetzt, dass du hier bist und andererseits auch unsagbar glücklich.“

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Sie presste ihn an sich und war froh nicht mehr atmen zu müssen, da ihr sonst wohl die Luft weggeblieben wäre. Sie vergrub ihr Gesicht an seinem Hals, sog den Duft seines Haares ein als wäre es lebensnotweniger Sauerstoff. Ihre Stimme war zärtlich als sie den Kopf schüttelte und ihm ins Ohr flüsterte: „Verdammt, Emilian. Du bist so ein Idiot…“ Dann vergrub sie ihre Fänge in seiner Haut und nahm sich sein Blut, das sie nach so langer Zeit mehr als alles andere begehrte. Erst durch diese selbstgewählte Droge hatte sie das Gefühl wieder ganz sie selbst sein zu können. Sie hatte Mühe sich beim Trinken zu beherrschen.
Er ließ sie gewähren, wie konnte er auch anders? Seine Hand fuhr über ihre Wange, er legte den Kopf in den Nacken und stöhnte mit jedem tiefen Zug den sie aus seinen toten Adern nahm. Aufbäumend riss er sich von ihr los und setzte nun reflexartig seine Fänge an ihrem Hals an, um auch von ihr trinken zu können. Sie teilten ihr Blut und ihre Leidenschaft und in diesem kurzen Moment, zwischen all den kahlen Felswänden der Festung Vardenfell, verglomm jeder Zweifel und alle Furcht in einer abgründigen Sehnsucht aus Fleisch und Blut. Alida drückte sich an ihn, genoss seinen Kuss und bedauerte, auch wenn sie wusste, dass es notwendig war, dass er von ihr abließ. Nach all der Zeit war es für sie unerträglich sich nicht einfach in diesem Rausch verlieren zu dürfen und sie spürte wie ihr Tier mehr verlangte.
Mit glühend rot benetzten Lippen, küsste er sie drängend und fuhr ihr dabei mit beiden Händen durchs Haar. „Ja, ich war ein Idiot, das muss sogar ich zugeben aber Andrej hatte mich überrumpelt. Er erzählte mir von Viktor und Vladimir, vom Omenkrieg und dass er hinter meine wahre Identität gekommen wäre. Er stellte mir in Aussicht, meinen Namen zu rehabilitieren, wenn ich Rustovich bei einer wichtigen Sache helfen würde. Natürlich klang es wie eine Falle, aber ich wusste, selbst wenn er sich bei meiner Identität nicht ganz sicher wäre, von nun an wäre ich im Osten nie mehr sicher. Auf kurz oder lang hätte es irgendwo doch eine Entscheidung gegeben, nur wäre diese vielleicht nicht so begünstigend für mich ausgefallen. Deshalb ging ich auf sein Angebot ein.“ Er sah ihr liebevoll lächelnd in die Augen. „Aber was machst du hier? Girland hatte den Auftragt niemanden einzuweihen; er war auch der einzige, der darüber Bescheid wusste. Wie hast du von meinem Aufbruch erfahren?“
„Brügge und Gent sind nur wenige Stunden voneinander entfernt. Ich verstehe, dass du fort musstest, aber wie kannst du in den Osten gehen ohne dich zu verabschieden? Sag mir, wie soll ich meine Nächte ertragen, wenn ich nicht wenigstens ein letztes Mal Abschied von dir genommen hätte?“ Sie presste die Lippen aufeinander, so dass sie weiß wurden, denn diese Aussicht schmeckte unsagbar bitter und wer wusste, was in dieser Nacht noch folgen würde, ob ihnen nicht das gleiche Schicksal bevorstand?
„Ich erhielt Kunde davon, dass jemand beabsichtigen würde, dich im Osten vernichten zu wollen sobald deine Aufgabe erfüllt wäre… Girland hat dir einen deiner Wiedergänger hinterhergeschickt, aber ich wollte sichergehen und bin selbst aufgebrochen… Wir fanden den Mann einige Tagesreisen von hier mit einem Dolch im Rücken.“ Alida seufzte bei der Erinnerung. Dann wandte sie sich ihm zu und sah ihn eindringlich an. „Du weißt ganz genau, dass ich nie wieder zulassen werde, dass du ohne ein Wort zu sagen gehst. Ich habe das ein Mal getan und es über hundert Jahre lang fast jede Nacht bereut. Wenn du im Osten bist, dich in Gefahr begibst, auch nur der Hauch einer Chance besteht, dass du mich vielleicht gebrauchen kannst, dann bin ich an deiner Seite.“
Er zog sie erneut in seine Arme legte seine Stirn an ihre; drängte das verlangende Gefühl sich in ihren Hals und noch ganz andere Körperteile zu verbeißen eisern von sich, obwohl es ihm sichtlich Mühe bereitete. Am liebsten hätten sie sich wohl beide auf der Stelle geliebt aber noch war ihre gemeinsame Odyssee im Osten nicht ganz ausgestanden. Rustovich mochte Emilian vergeben haben auch wenn dies vielleicht nur aus dem einfachen Grund geschah, dass er gerade in diesem Moment seine Hilfe dringend benötigte und Lambros sich als unfähig und illoyal erwiesen hatte. Sollten seine Künste nicht den hohen Erwartungen des Voivoden der Voivoden entsprechen, wäre klar, wen die grenzenlose Wut des Feldherrn zuerst treffen würde. „Ich konnte dich nicht mitnehmen Alida, ich hätte es mir nie verziehen, wenn ich uns beide dadurch in Gefahr gebracht hätte. Mein eigenes Leben zu riskieren mag eine Sache sein, aber dich gleich mit in den Abgrund reißen; völlig undenkbar. Zumal mir Andrej ein schnelles Ultimatum stellte: Sein Angebot galt nur für eine Nacht; ich musste unverzüglich abreisen. Verzeih mir…“ Seine Lippen kosteten erneut die ihren und er sog genussvoll ihren Duft in sich auf, den er so lange hatte missen müssen. „Die Meuchelmörder müssen von Lambros stammen. Er wollte mich wohl schon auf der Reise in den Osten ausschalten, nicht erst in Vardenfell. Glücklicherweise ritt Andrej in meinem Tross, sodass sich allzu direkte Handlungen seinerseits als schwierig erwiesen haben mochten. Dafür hast du dann alles abbekommen.“ Er seufzte bedauernd und presste sie ganz nah an sich, vergrub sein Gesicht in ihren Haaren und liebkoste es wie von Sinnen. „Ich verspreche dir, ich werde dich nie wieder ohne Nachricht alleine lassen und in die Ferne reiten. Dieses eine Mal war etwas, das ich tun musste; egal wie es ausgegangen wäre. Ich hatte es satt mich zu verstecken aber glücklicherweise, wird dies nun ein Ende haben…“ Emilian löste sich wieder ein wenig von ihr und lächelte ihr entgegen. „Das heißt, wenn der Drache der Drachen Gefallen an meiner Arbeit findet…“ Etwas unsicherer und beinahe ein Stück verzweifelt fügte er hinzu: „Und du erfolgreich bist, in dem was sie von dir verlangen. Es…. Schmerzt mich dich jetzt schon wieder ziehen lassen zu müssen, aber der Voivode kennt keine Gnade. Er wittert seine Chance und alle, die für ihn sind müssen zu deren Gelingen beitragen. Alle anderen sind ab jetzt nur noch gegen ihn; ich habe ihn erlebt. Niemand sollte sich jetzt ein falsches Wort erlauben, gerade wir nicht. Ich… kann dir nicht sagen, was sie von dir wollen, aber es gefällt mir jetzt schon nicht.“
Sie schüttelte fast etwas traurig den Kopf. „Ich weiß…“ Alida fuhr mit den Fingern durch sein braunes Haar. „Er ist ein seltsamer Mann, …dein Onkel. Er kämpft so verbissen für eine Sache, dass er zu vergessen scheint wofür er überhaupt kämpft. Und in diesem Strudel aus rasender Leidenschaft scheint alles zu verbrennen, was ihm zu nahe kommt.“ Sie küsste ihn auf die Augenlider. „Du hast die Möglichkeit du zu sein, mit Stolz deinen Namen zu nennen, so wie du es immer wolltest. Emilian Victorovich. Ich denke, dein Vater wäre stolz auf dich.“
Emilian lächelte sachte. „Du weißt das mir am Namen Rustovich nichts liegt. Es mag einst ein Haus Rustovich gegeben haben, das ganz besonders edle und berühmte Tzimisce hervorgebracht hat aber schlussendlich wird und sollte man sich am besten nur an einen erinnern: An meinen Onkel. Mir ging es nie darum einen hohen Namen zu tragen oder das Wappen des Voivoden der Voivoden in meine eigenen Insignien einzubinden. Diese politischen und gesellschaftlichen Spiele überlasse ich anderen. Alles was ich wollte war die Freiheit, der sein zu dürfen, der ich bin.“
Alida nickte und lächelte. „Ja, das ist es, was ich auch glaube. Und darauf wäre dein Vater stolz. Er hat sich für dich und gegen Ruhm, Ehre und Sieg entscheiden. Damit du weiterleben und du selbst sein kannst.“
Er bot ihr seinen Arm an. „Das habe ich erreicht, zumindest fast. Es war viel Glück dabei und auch viel Zufall und noch fühle ich mich offen gestanden nicht ganz sicher.“ Seine Schultern hoben sich ein Stück weit. „Aber falls wir Erfolg haben, wir beide, dann wirst du sehen, dass seine Leidenschaft auch durchaus in eine positive Richtung gehen mag. Als er Vardenfell genommen hat, so sagt man, ließ er die Köpfe aller sterblichen Diener der Hexer am Dorfbrunnen zu einem großen Haufen aufstapeln und badete in ihrem Blut. Anschließend gab es ein recht ausschweifendes und ausgelassenes Gelage. Bei dem Aufgebot an großen Namen, kannst du dir vorstellen wie es aussieht wenn mein Onkel einen Sieg feiert. So wie er inbrünstig hassen kann und sich in Sachen bis zum letzten verrennt, so scheint er auch Zeit für sich und seine Untergebenen zu finden. Seine Laune ist wie die Wogen eines unruhigen Meeres.“
Alidas Antwort kam prompt. „Bei dem Aufgebot an Leichen würde ich nicht erscheinen. Selbst wenn er mich persönlich einlüde…“ Sie sah ihn skeptisch an, kannte ihn gut genug um Angst zu verspüren, als sie ihn fragte. „Was hast du für ihn geformt?“
Ihr Erzeuger führte sie weiter durch die dunklen Hallen, in denen ihnen gelegentlich ein paar Wachen entgegenkamen, die zwar nicht ehrfürchtig den Blick vor den beiden senkten aber doch ein respektables Nicken nicht missen ließen. „Vladimir Rustovich kann die oberen Bereiche mit reiner Stärke und Waffengewalt nehmen, aber in die geheimen Kammern und versteckten Anlagen, kommt er nicht so ohne Weiteres. Die Kraft, die dazu notwendig ist, kann nur etwas von immenser Größe anrichten, etwas so bösartiges und beinahe Unkontrollierbares, dass ich selbst an Lambros Verstand zweifelte, als er mir die Schwierigkeiten des Projekts offenbarte.“ Er blieb stehen und sah Alida eindringlich an. „Lambros war der Sohn einer Fürstenfamilie, die über mehrere große und kleine Dörfer herrschte, nichts Besonderes, möchte man meinen und dennoch lebte eine nicht zu unterschätzende Anzahl Menschen darin.“ Seine Stimme wurde bedrohlich leise. „Diese Dörfer existieren nicht mehr, sind lediglich leerstehend Gebäude und verlassene Gehöfte. Die hat nicht der Krieg getötet, zumindest nicht direkt.“
Alida schluckte. „Das kann ich mir denken…“ Sie fixierte ihn, wartete auf seine Antwort.
Emilian sah sie lange an, zögerte mit seiner Antwort, schließlich seufzte er erneut und nickte, als ob er sich gerade erst selbst hätte entschließen müssen ob er ihr überhaupt antworten wollte. "Einen Drachen."
Die blonde Frau blieb stehen, sah ihn an und sog tief die Luft ein. Sie schluckte das ungute Gefühl hinunter bevor sie weiter sprach. „Ich bin mir sicher, dass der Voivode der Voivode begeistert sein wird. Ein Drache, der das Ende Ceoris einläuten wird. Welch wunderbare Ironie für jeden wahren Tsimiske…“ Sie sah ihn fragend an. Alida wusste, Emilian liebte das Formen. Er veränderte Tote und Lebende, Menschen, Tiere, Untergebene, belohnte und bestrafte damit, veränderte sich selbst. Aber er war kein Folterer, der sich am Leid und an der Qual anderer ergötzte. Einen gigantischen drachenförmigen Voyz aus den Bewohnern ganzer Dörfer zu schaffen würde auch seinem Gemüt zusetzten.

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Emilian nickte. „Es war nicht meine Idee, sondern die von Lambros. Er wollte seinen Herren damit maßgeblich beeindrucken, mich ausstechen und schlussendlich bloßstellen. Hätte er es geschafft, so wäre ihm der Titel als bester Former in den Reihen des großen Drachen gewiss sicher gewesen.“ Ein Kopfschütteln ihres Erzeugers aber bedeutete ihr, dass es wohl ganz offensichtlich ohnehin nie so weit gekommen wäre. „Der widerliche Teufel hätte es zwar nie zugegeben, aber er brauchte meine Hilfe dringend, da er keine Ahnung hatte wie er…. Das Skelett so stabilisieren sollte, damit die Kreatur nicht unter ihrem eigenen Gewicht…“ Er sah Alida an und brach mitten im Satz ab. Das sollte sie nicht in aller Ausführlichkeit hören, hatte er wohl gerade befunden. „Das Material war schon da, ich habe nicht einmal Hand angelegt an irgendeinen armseligen Bauern, das hat er tatsächlich allein gemacht. Er hat seinen ganzen Familienbesitz abgeschlachtet für diesen einen Sieg; für diese eine Nacht, die er nie mehr erleben sollte. Er war wirklich wahnsinnig und seine Kreatur ist es ebenfalls.“ Er wandte den Kopf in ihre Richtung. „Der Drache ist… ein zweischneidiges Schwert. Er ist gebunden an mein Blut und meinen Willen, aber es sind so viele Gedanken, Erinnerungen, Leid, Schmerz, Hoffnung, Liebe in ihm, so viele Menschen…. dass er auf kurz oder lang nur dem Pfad seines eigentlichen Meisters folgen kann und völlig degeneriert. Er muss gleich nach der Schlacht umgehend vernichtet werden! Unbedingt! Ich habe keine Ahnung, wie lange man ein Monstrum dieser Größe kontrollieren kann. Es wird alles vernichten, was ihm unter die Augen tritt und wenn kein Feind mehr da ist, wird er das nächstbeste zerschmettern, das er finden wird: Uns!“
Alida griff nach seinen kalten Fingern, schluckte und sah ihn fest an. „Was auch immer du tust, du musst Rustovich darüber informieren, damit er seine Schlacht entsprechend planen kann. Ein Sieg über Ceoris, der gleichzeitig das Ende der östlichen Tsimiske bedeuten würde, ist nicht in seinem Sinne.“ Sie atmete tief ein und legte ihre Stirn an die ihres Erzeugers. „Pass gut auf dich auf, mein Emilian. Versprich mir das.“ Die kurzzeitige Erleichterung ihn wieder gefunden zu haben wich der bitteren Erkenntnis, dass dieser gemeinsame Moment vielleicht der letzte ihrer untoten Existenz wäre. Emilian war vieles: intelligent, vorausschauend, überlegt, konsequent, ein meisterlicher Former, aber eines war er definitiv nicht: ein Kämpfer. Er vermochte in Zulogestalt einen ernstzunehmenden Gegner darstellen, aber das letzte Mal, dass er ein Schwert geführt hatte, mochte wohl ein halbes Jahrhundert her sein. Sie fröstelte nicht nur wegen der Kälte.

Re: Die Fesseln der Macht

Sa 4. Jun 2016, 21:38

Er ergriff ihre Hand fester, drehte sie zu sich herum und küsste sie leidenschaftlich. In seinem Kuss lag eine merkwürdige Mischung aus Freude und nagender Unsicherheit, die den Beginn eines Neuanfangs für beide Kainiten oder eben deren Untergang verheißen mochte. Rustovich hatte ihm vergeben aber vermutlich nicht allein deshalb, weil die vernünftigen Worte Andrejs oder Yoraks ihn dazu bewogen haben mochten, sondern weil Emilian ihm ein machtvolles, wenn auch schwer zu kontrollierendes Werkzeug verschafft hatte, um seinen Sieg über die Tremere nicht nur zu besiegeln, sondern auch in einer nie dagewesenen Machtdemonstration zu zelebrieren. Ein fleischgeformter Drache, aus den Gebeinen und dem blutigen Fleisch dutzender unschuldiger Bürger errichtet, würde der Untergang der Tremere werden. Die Symbolik war vollkommen offensichtlich, auch wenn der Heerführer die möglichen Gefahren dieser Unternehmung bisher noch nicht recht wahrgenommen hatte. Emilian nickte kurz, als er sich wieder langsam von ihr löste. „Er wird es natürlich erfahren, daran führt kein Weg vorbei. Obgleich der Drache nicht unbesiegbar ist und wohl trotz aller Kraft und Wut bezwungen werden kann. Sollte er sich uns tatsächlich widersetzen, so werden dabei gewiss nicht alle Unholde des Ostens fallen aber die schiere Masse an Soldaten und Kriegern, die Rustovich aufwenden müsste um seiner Herr zu werden, könnte das Triumphgefühl doch beträchtlich schmälern. Hoffen wir das es nicht soweit kommt.“ Erneut drückte er sie an sich und hielt sie fest in seinen Armen. Selbst er wusste nicht, welche Aufgabe man ihr angedacht hatte und welche Gefahren und Hindernisse sie auf diesem Weg zu überwinden hätte. Bevor sie diesen unheiligen Schrecken des Ostens und die Erbschuld ihrer Erzeuger gänzlich überwinden konnten, galt es eine letzte potentiell tödliche Feuerprobe zu bestehen: Ceoris. Eine Festung, über die nicht einmal die besten Spione der Tzimisce etwas herausfinden hatten können. Zu gut waren die magischen Künste der Bluthexer gewesen, zu mächtig die arkanen Sprüche und blasphemischen Rituale.

„Ich verspreche dir, das ich auf mich Acht geben werde so gut es mir gelingen mag. Das gleiche möchte ich aber auch von dir Alida. Wir haben zu viel riskiert und auf uns genommen, um jetzt noch an dieser letzten Hürde zu scheitern. Lass uns diese Sache zu Ende bringen und dann wieder nach Hause gehen. Nach Hause nach Flandern oder in den Süden, nach Genua. Denn dann…“ Er lächelte sie mit strahlenden Augen an. „Können wir wirklich alle Furcht endgültig hinter uns lassen. Kein Verstecken mehr, keine falschen Namen oder Identitäten. Wir dürfen sein wer wir sind, ohne einen blutigen Tod fürchten zu müssen und wir können dieses Glück miteinander teilen. Endlich!“

Alida nickte und doch lag Zweifel in ihrem Blick. Sie spürte das nagende Gefühl der Unsicherheit. Sie sah sich im Gang um und fügte dann mit kaum hörbarer Stimme hinzu. "Kannst du mir einen Gefallen tun? Zeig mir deine wahre Gestalt! Ich will sicher gehen, dass nicht doch Langosh vor mir steht."
Zuletzt geändert von Lucien am Mo 6. Jun 2016, 16:59, insgesamt 1-mal geändert.

Re: Die Fesseln der Macht

So 5. Jun 2016, 11:11

Alida nickte. „Ich verspreche dir, ich werde aufpassen und versuchen aus dieser Hölle heil herauszukommen.“ Sie fuhr mit den Fingern über ihre Wangen und das Kinn, suchte die Linien, die am gestrigen Tag ihr Gesicht gebildet hatten und ließ sie erneut entstehen. Die Gestalt der braunhaarigen Dienerin würde deutlich weniger Aufmerksamkeit mit sich bringen. Sie grinste den etwas überrascht dreinblickenden Unhold an. „Wir wollen doch nicht, dass Alida van de Burse bei den Hexern mehr Aufmerksamkeit auf sich zieht als unbedingt nötig.“
Etwas schien Alida noch zu beschäftigen. „In den Bruthöhlen… Ich habe das Gesicht von Lambros gesehen… und jemanden, der so aussah wie Sergej Belinkov. Welcher warst du?“ Emilian sah die zögernde Furcht in ihren Augen. Wie nah war sie daran gewesen ihren eigenen Erzeuger mit den eigenen Klauen zu zerfleischen?
Alida schluckte, umfasste seinen Nacken und zog ihn näher zu sich heran. Dann schloss sie die Augen und spürte seine Stirn an ihrer. Wie hätte sie sich selbst je vergeben können, wenn sie es gewesen wäre, die ihn getötet hätte?

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