Vampire: Die Maskerade


Eine Welt der Dunkelheit
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 Betreff des Beitrags: Re: Die Fesseln der Macht
BeitragVerfasst: Di 28. Jun 2016, 16:54 
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Alida presste kurz die Lippen aufeinander. „Hm… Verwechsel‘ Anerkennung nicht mit Mitleid, Jeremiah. Nach allem, was du erlebt und durchgemacht hast, kannst du stolz auf dich sein, dass du dir nach wie vor deine Würde bewahrt hast. Du kämpfst auf deine ganz spezielle Weise für deine Ziele und lässt dich nicht von deinem Weg abbringen und hältst jedem Tsimiske mit Freude und gebleckten Zähnen dein Nosferatugesicht wie einen Spiegel entgegen.“ Abwägend legte sie den Kopf schief. „Das verdient Respekt.“ Sie nahm das Buch wieder entgegen. „Danke.“

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 Betreff des Beitrags:
Verfasst: Di 28. Jun 2016, 16:54 


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 Betreff des Beitrags: Re: Die Fesseln der Macht
BeitragVerfasst: Di 28. Jun 2016, 21:06 
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Jeremiah grinste. „Würde? Welche Würde? Ich hause in einer kleinen Kaschemme mit einem Dutzend rotzfrecher Kinder, anstatt komplexe Weltenwanderer-Matrizen und Kernknotenpunkte zu erforschen. Aber gut, ich gebe offen zu, dass man es noch bei weitem schlimmer erwischen kann. Aus dem was ich kann und bin habe ich bis jetzt immer das Beste gemacht. Diesen Erfolg lass ich mir tatsächlich nicht nehmen. Außerdem muss doch jemand zusehen, dass diese Bälger wenigstens marginal lesen und schreiben können.“ Er wollte schon weitergehen, drehte sich dann aber noch einmal um und meinte knapp. „Nein, ich danke dir.“
„Wenn du mehr Sinn darin sehen würdest Weltenwanderer-Matrizen und Kernknotenpunkte zu erforschen, dann würdest du es sicher tun.“ Sie nickte.
Seine Schultern glitten nach oben. „Sinn? Ach du liebes bisschen, was macht denn schon Sinn in diesen Nächten? Den Sinn müssen wir immer selbst finden in dem was wir tun, da hilft uns keine Magie oder ein am Kreuz gestorbener Gott. Aber das es mich brennend interessieren würde, kann ich nur schwer leugnen. Bedauerlicherweise fehlen mir die… Fertigkeiten um diese Phänomene in allen Details zu erforschen, so etwas muss ich nun leider kleinen Dummköpfen wie dem lieben Helmut überlassen.“ Seine Augen überdrehten sich als er sich den Jungen als fertig ausgebildeten Magus vorstellte
„Wofür bekomme ich denn mein ‚Danke‘? Dafür, dass ich mich durch deine wahrscheinlich todöde Schwarte durchkämpfen werde?“ Sie prustete um nicht laut loszulachen und fuhr dem Buch noch einmal respektvoll über den Einband wie um sich zu entschuldigen.
„Danke, dass du mehr in mir siehst als nur ein hässliches Lächeln, ich spüre das du es ehrlich meinst und das ist eine Menge wert. Deshalb Danke.“ Nach einer leichten Verbeugung, die nicht gekünstelt anmutete, lenkte er seine Schritte weiter die Treppe nach oben.
Alida wusste nicht recht darauf zu antworten. Sie folgte ihm. „Ich habe vor ein paar Jahren einen Jungen kennengelernt und mit in meine Heimatstadt genommen. Konstantin. Er ist mittlerweile 15, aber die Natur des Magus ist in ihm, wenn man ihn sich nur ein Mal genauer anschaut.“
Jeremiah ließ sie zu ihm aufschließen. „Hm, dann sollte der Junge eine anständige Ausbildung erhalten. Wisst ihr, die Magie ist etwas äußerst Seltenes und Komplexes. Nur wenigen ist es vergönnt die Fähigkeit zu besitzen sie sich nutzbar machen zu können. Und noch viel weniger beschäftigen sich in einem so fundierten Ausmaß damit, dass sich völlig sicher darin bewegen und als Teil ihres Selbst und ihrer Umgebung anerkennen. Das sind dann eure Weilerhexen und Quacksalber, die dem Satan angehören und die euer Bischof demnächst verbrennen will. Ein richtiger Magus…“ Er sah sie lächelnd an. „…formt die Welt nach seinem Willen und strebt immer danach, nicht nur sich, sondern auch die Welt in der er lebt zu verbessern. Er sollte unterrichtet werden, sonst wird er irgendwann etwas tun das unliebsame Aufmerksamkeit nach sich zieht. Mehr noch als du es als untote Leiche je könntest.“
Alida nahm die nächste Stufe. „Nun ja, ich kann mich wohl schlecht auf den Marktplatz von Brügge stellen und laut rufen „magisch begabten Lehrjungen zu vergeben“…“
Er nickte bestätigend. „Nein, das kannst du nicht und es wäre auch nicht zielführend. Früher oder später wird nämlich ohnehin jemand auf ihn aufmerksam werden. Noch ist er nämlich nicht erwacht, dämmert ein wenig dahin in seinem halb schlaftrunkenen Zustand, zwischen der magischen und der profanen Welt. Irgendwann wird er mehr in dir sehen als du es je könntest, mehr Linien, Muster und Symbolik erkennen. Es wird wie ein Odem sein, der alles umgibt und erfüllt; ein erhebendes und gleichzeitig beängstigendes Gefühl.“ Der Nosferatu grinste. „Gefühl ist auch ein ganz gutes Stichwort, er wird Angst haben, wenn alles was er bisher zu wissen geglaubt hatte aus den Fugen gerät und sein magischer Funke wird mitschwingen. Dann passieren solche Sachen wie verschwundene Dörfer, Dämonenaufmärsche und Erdrutsche. Du könntest es auch als magische Pubertät bezeichnen. Spätestens von da an braucht er Unterstützung.“ Er erklomm weiter die Treppe. „Ich kann dir anbieten ihn zum letzten Ort zu schicken, von dem ich weiß das es eine Zusammenkunft von Magi gibt. Das ist zwar schon so lange her, dass wahrscheinlich selbst die Großmutter des Jungen noch ein Säugling war aber immerhin. Vielleicht gibt es dort noch etwas, das dem Jungen weiterhelfen kann. Vergiss allerdings nicht, das er dann sicher eine ganze Weile keinen Kontakt mehr zu dir haben wird, zu keinem unserer Art. Wenn du ihn zu den Magiern schickst, wird er ein Magier. Kein Sterblicher, kein Kainit sondern ein Magier. Magier haben ihre ganz eigenen Regeln und Gesetze. Meiner Meinung nach tätest du ihm damit etwas Gutes. Er wäre unter seinesgleichen.“
Alida schwieg nachdenklich. „Konstantin ist eine ausgesprochene Bereicherung. Er hat ein gutes Herz, Mut, ist offen, hat sogar mich, eine Untote, vor vielen Jahren gerettet und ist immer bereit das Wohl der anderen an erste Stelle zu setzen. Das sind seltene Eigenschaften… Er würde mir fehlen. Aber meine Belange sollten hinten anstehen, nicht wahr? Wenn du mir diesen Ort nennst, werde ich ihn dort hin schicken. Er hat genug Größe um sein Schicksal selbst zu formen.“
Er lächelte sie versonnen an. „Ich möchte deine oder meine Künste nicht geringschätzen ,Alida, vor allem da du selbst auch in der Lage bist Körper auf alle möglichen Arten und Weisen zu formen. Aber verzeih, wenn ich so offen bin: Gegen das, was der Junge womöglich eines Tages im Stande wäre zu tun, sind unsere Kräfte nichts. Was ist das Formen von Körpern im Vergleich zum Formen der Realität? Was die Kräfte der Unsichtbarkeit vor dem Geiste anderer, wenn man sich aus dem Hier und Jetzt löschen kann?“ Er hob die Schultern. „Meinetwegen kann ich ihn auch unterrichten. Zwar kann ich ihm nichts mehr demonstrieren und mir fehlen die einen oder anderen Bücher aber ein Grundverständnis kann ich ihm ebenso vermitteln; erste Ansätze zeigen. Damit sollte er eigentlich bis auf weiteres ohnehin genug zu tun haben. Eine tiefergehende Ausbildung, ist aber nur bei den Magi selbst möglich.“ Mit einer Hand, kratzte er sich am Kinn. „Ich könnte nach Flandern gehen und den Jungen unterrichten und wenn er soweit ist, schicken wir in zu den wahren Könnern des Astralen.“
Alida unterdrückte ein Grinsen. „Oh, der Junge wäre ganz nach deinem Geschmack: Waisenjunge durch und durch. Nur das gelegentliche Blutabzapfen; ich glaub, das wär‘ nicht so ganz seins.“ Alida schüttelte den Kopf um sich ins Hier und jetzt zurück zu rufen. Sie waren hier in Ceoris und ob sie hier je wieder heil herauskämen lag nach wie vor in den Sternen. Auch wenn sie sich durch Pläne für die Zukunft von dieser Realität ablenken wollten.
Ein erneutes Schulterzucken. „Oh, das muss in diesem Fall gar nicht sein. Ich bin sicher, dass er nach der entsprechenden Unterweisung um einiges mehr zu bieten hat als lediglich Blut. Bis dahin arbeitet er einfach doppelt so hart.“ Jeremiah lächelte vielsagend. „Waisenkinder haben Potential, das vergessen nur immer alle. Ich habe die dümmsten Könige dieser Welt auf dem Thron sitzen gesehen und die klügsten Köpfe unserer Welt, die in einer Tonne schliefen und den Leuten sagten, sie sollen ihnen gefälligst aus der Sonne gehen. Man kann aus allem das Beste herausholen, wenn man dem Ganzen eine Chance gibt. Manche meiner Kinderchen werden vielleicht gerade einmal Stallbursche aber bei allem was mir heilig ist: Das wird der verdammt nochmal beste Stallbursche von hier bis nach Konstantinopel!“ Und diese Worte hörten sich nach einem Versprechen an. Der Nosferatu war es wohl einfach gewohnt von allen und jeden immer vollen Einsatz zu verlangen; ganz der Herr Lehrer mit seinen Schülern. Vielleicht mochte er hart und unbeugsam, dazu noch abgrundtief hässlich erscheinen aber von seinem Wissen und hohen Erwartungen, konnten gerade Kinder ohne Eltern, verstoßen und ohne wirkliche Zukunftsaussichten noch profitieren. Es klang geradezu grotesk, aber der lachende Mann, war vielleicht das Beste was ihnen hier draußen passieren konnte. „Falls wir das hier Überleben sollten, können wir die Feinheiten dieser Möglichkeit sicher noch im Detail diskutieren.“ Er ließ ihr den Vortritt und gemeinsam erklommen sie die steile, prunkvolle Treppe in der wohl mächtigsten Festung, die nach Alamut je erbaut worden war.

Sie erreichten sie einen scheinbar nie enden wollenden Prunksaal mit meterhohen, dicken Säulen und gigantischen Kronleuchtern, die den Durchmesser eines halben Hauses aufwiesen. Die Kerzen darin leuchteten in einem trügerischem Grün und tauchten die schattenhafte Umgebung in ein groteskes Zerrbild eines verfluchten Könighofes. Sie waren just am Ende des langen Ganges angelangt und konnten eine aufsteigende Plattform erkenne, die zu einem höhergelegenen Art Thron führte. Drei in Stein gehauene, prunkvoll und mit magischen Symbolen überhäufte Sessel waren in der Mitte der Runden Plattform eingelassen und wirkten eines Monarchen würdig. Im Hintergrund waren meterhohe Fenster von überragender Qualität zu erkenne, die das fahle Mondlicht auf den sorgsam gemeißelten Steinboden fallen ließen. Vermutlich konnte die Aussicht mittels irgendeines magischen Tricks sonnendicht gemacht werden. Schließlich brauchten die wohl auch sterblichen Bediensteten und Geringeren der Festung auch ein wenig Sonnenschein. Edle Teppiche mit filigranen Mustern an Wänden und Böden zierten die Halle und ließen sie gespenstisch ehrwürdig wirken. Es mochte gute und gerne dreihunderte Meter gerade ausgehen, von dem Punkt an dem sie sich jetzt befanden. Alles wirkte erhaben und für die Ewigkeit gebaut. Eine Ewigkeit, die den Tremere nicht beschieden sein sollte. Zumindest nicht an diesem Ort. Jeremiah nickte und flüsterte ihr leise zu, da in diesen Hallen noch jedes so leise gemurmelte Wort zu einem gehauchten Echo wurde, das sich zwischen den Säulen ausbreitete. Ganz offensichtlich fühlte er sich nicht besonders wohl im Allerheiligsten der Hexer. „Das muss der Ort sein an dem… nun, Tremere persönlich residiert oder besser gesagt residierte. Sieh es dir gut an, so etwas werden wir vielleicht nie wieder zu sehen bekommen, selbst wenn man die Bluthexer nur als kleine Mutationen des Fluchs bezeichnen will. Das Zentrum der Macht, eines der gefährlichsten Clans dieser Nächte.“

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 Betreff des Beitrags: Re: Die Fesseln der Macht
BeitragVerfasst: Sa 2. Jul 2016, 11:47 
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Alida stand fast ehrfürchtig still. Es musste ein schwerer Schlag für die Tremere sein diesen Ort zurück lassen zu müssen. Solcher Prunk und Pomp war für denkwürdige Momente und wahrhaft unsterbliche Kainiten gemacht worden. Und nun war bald alles in Feindeshand. Auch sie fühlte sich alles andere als wohl. Fragend sah sie zu Jeremiah und sie reckte das Kinn Richtung Thronsaal. „Diesen Weg?“ Ihre Stimme war ein kaum hörbares Flüstern.
Jeremiah nickte langsam. „Ich nehme es an.“ Ganz am Ende des Ganges konnte Alida eine Kreuzung erkennen, die zusammen mit dem Gang wohl T-förmig aufgebaut war. Der lange Gang wurde wiederum von einem ebensolchen gekreuzt und von hohen Säulen flankiert und man hörte bereits das marschieren von Truppen und Kampfeslärm. Ein Beben durchdrang den Raum, aber anders als in den unteren Gewölben, schien diese Konstruktion besonders solide gebaut. Der sich langsam nähernde Lärme schien von der linken Seite des T-Stücks zu kommen, an dessen Ende sich wohl eine Art Durchgang befand. Die Truppen Rustovichs, würden wohl unweigerlich diesen Weg passieren. Ein schwaches Leuchten am Ende des vertikalen Weges an dem sie sich befanden, machte ihr plötzlich deutlich, dass sich dort einige Gestalten bewegten. Der Feind positionierte sich…
Alida hielt ihren Begleiter mit einer raschen Handbewegung zurück, zog ihn zurück in die Schatten und deutete auf das schwache Leuchten. Vorsichtig zog sie Pfeil und Bogen heraus und legte an.
Jeremiah versteckte sich hinter einer der gigantischen Säulen und schielte den langen Gang hinab, an dessen Ende sich wohl einige Leute positioniert hatten. Seine Hand schloss sich fester um das Schwertheft. „Das sind wohl noch ein paar übriggebliebene Wachen, die einen Hinterhalt vorbereiten.“ Er hob das Visier an und kniff die Augen zusammen. „Ich kann nicht genau erkennen wie viele es sind und welche Bewaffnung bei sich tragen aber dieser andere Lärm muss ohne Zweifel Rustochvich sein.“ Der Nosferatu schüttelte den Kopf. „Entweder sie sind verzweifelt oder dumm. Sobald die Truppen auf den Gang treten erkennen sie die Falle doch ohnehin? Und die Drachen haben die zahlenmäßige Überlegenheit. Irgendwas stimmt da nicht.“
„Hier scheint es einige Sterbliche oder auch Kainiten zu geben, die eher sterben als sich zu ergeben. Und das mag vielleicht sogar die klügere Option sein. Vielleicht gehören die zu dieser Gruppe.“ Alida musterte alles für einige Sekunden mit Auspex um Jeremiahs ungutem Gefühl nachzugehen.
Ihre Sinne wurden schärfer, exakter und umfassender als die eines Menschen es jemals vermocht hätten. Mithilfe ihrer Kenntnisse des Auspex sah sie alles klar und deutlich vor sich, als wäre sie nur wenig Meter entfernt. Es erlaubte ihr sogar die Gespräche der Männer mitzuhören. Die kleine Gruppe bestand aus exakt fünf Leuten, die in einfache Lederrüstungen gehüllt waren. Vor sich hatten sie zwei Ballisten aufgebaut, in denen schon die großen schweren Pfeile eingelegt worden waren, die bei richtiger Handhabung schwere Befestigungsanlagen durchbohren konnten. Diese Pfeile aber, das konnte sie sofort erkennen, waren anders. Anstatt großer metallener Spitzen waren runde Kolben mit ölgetränktem Stoff daran befestigt worden und einer der Männer hielt eine leuchtende Fackel in der Hand. Ganz augenscheinlich war dies das Licht, das sie zuvor hatte aufblitzen sehen. Der Kommandant trieb seine Männer zur Eile an. „Schneller, schneller! Sie werden jeden Augenblick hier sein.“ Die Männer richteten die Ballisten auf die Mitte des Ganges aus; schienen ansonsten kein direktes Ziel anzuvisieren. Einer der Leute schüttelte den Kopf. „Sag mir noch mal, warum wir das hier machen? Da kommt eine Armee auf uns zu!“ Der Kommandant versetzte ihn einen Schlag gegen den Hinterkopf. „Möglich Dummkopf, aber die haben nicht mit den Fallen gerechnet. Vertrau mir, die werden uns nicht sehen, dafür sorgt die magische Barriere, die diese Hallen umgibt. Und wenn Rustovich und seine Schergen den richtigen Punkt erreicht haben läufst du da hinten zur Wand und ziehst am Kerzenhalter.“ Der Mann überdrehte die Augen. „Gut sie können uns nicht sehen aber was soll das ganze Fallengetue? Drei Ballisten reichen nicht, selbst wenn sie brennen.“ Der Kommandant grinste. „Das ist ja das Schöne daran, es wird reichen, weil wir damit etwas in Brand setzten, das du auslöst. Die letzte Erfindung von Meister Etrius – ein weißes Pulver, das so heiß und glühend brennt, das es fast Eisen schmelzen lässt.“ Der Mann wurde stutzig, lächelte dann allmählich und zog die Mundwinkel nach oben. „Ah, ich glaube ich verstehe langsam. Die Armee rückt hier an, ich ziehe am Hebel und dann wenn alles schön weiß ist, werden die Ballisten…“ Der Kommandant lächelte finster. „So etwas wirst du nicht vergessen, glaub mir. Ich hab‘ gesehen wie sie es getestet haben. Und jetzt halt dich bereit. Ich entzünde die Spitzen…“
Alida zögerte. Sollte sie sich tatsächlich in diesen Kampf einmischen? Ihre Aufgabe war es die Tore zu öffnen. Nicht mehr und nicht weniger. Das war keine Bitte, die man an sie herangetragen hatte, sondern ein Befehl gewesen. Hier fünf Krieger daran hindern ein Heer Sterbliche und Kainiten des Ostens zu vernichten? Wofür sollte sie sich in einen Kampf stürzen? Den arroganten herrschsüchtigen und selbstgerechten Rustovich? Die Tormentoren von denen sie nicht einmal wusste, ob noch ein Funke Menschlichkeit in den tiefsten Tiefen ihres Wesens verborgen war? Eine Horde Sterbliche, die eh innerhalb der nächsten Stunde dem Tod geweiht war? Sie sah zu Jeremiah und überlegte. Er würde mit Sicherheit keinen Finger rühren
Jeremiah zuckte mit den Schultern; er verstand auf diese Distanz nichts und sah stattdessen Alida an. „Was geht denn vor sich? Ein paar heroische Selbstmörder oder irgendeine neue Teufelei?“ Als Alida noch dabei war nachzudenken und zu erwägen ob sie hier irgendjemanden retten oder warnen sollte, trat in das Blickfeld ihrer verstärkten Sinne jemanden den sie unter tausenden auf Anhieb erkannt hätte – Emilian. Er kam links aus dem Durchgang, begleitet von einer Handvoll Soldaten und einigen Tormentoren. Offenbar führte er die Truppe an. Vorsichtig spähte er die Umgebung aus und blickte direkt auf die wartenden Ballisten mitsamt Wachmannschaften. Keine Frage, er würde sofort das Kommando geben und die Nachhut…

Nichts von all dem passierte. Emilian sah sich nur weiter um und rückte mit gezogenem Schwert weiter durch den Quergang. Auch keiner der Soldaten machte Anstalten anzugreifen, einen Warnruf auszustoßen oder sonst irgendeine Handlung zu setzen. Es war, als wären die Feinde vollkommen unsichtbar für die einfallenden Drachen. Alida dämmerte allmählich, was mit den ‚Toren‘ gemeint gewesen sein könnte. Keine gewöhnlichen Tore mit Türen und Rahmen, Schlössern und magisch verzaubertem Schließwerk, nein. Eine unpassierbare Barriere, an der jeder Angriff abprallte und die zudem noch alle Angreifer dahinter verbarg. Zusammen mit dieser ominösen Brandfalle, einer tückische Kombination, die vermutlich Erfolg haben würde. Sie sah wie Vladimir Rustovich aus dem Torbogen trat; zögerlich und umringt von Tormentoren.

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Er sagte etwas zu seinem Adjutanten und blickte dann über die Schulter zurück. Anscheinend gab es Nachrichten von den verschiedenen Truppenkörpern im Schloss verteilt. Die Unholdin konnte Rustovich leise sagen hören: „Ah, eine Geheimkammer? Gut das der Drache da war, diese dicken Mauern haben dem Monstrum nichts entgegenzusetzen. Schafft ihn hier nach oben, ich habe das Gefühl, das wir bald zum interessanten Teil kommen…“
Die Wachmannschaften machten sich bereit zu feuern; der Kommandant hob die Hand um das Zeichen zu geben, wollte die Hand schon senken aber hielt dann noch inne, als er merkte wie Rustovich stehen blieb. „Ah, doch nur ein paar Schritte… komm schon du alter Bastard“, hörte sie ihn ungeduldig sagen.
Irgendwie hatte sie das Gefühl, dass der ganze Raum, in dem sich auch Emilian befand sogleich lichterloh in Flammen aufgehen würde. Aber wo war dieser Brandbeschleuniger von dem sie sprachen? Der Gang war leer. War es am Ende der Kerzenleuchter, der irgendeinen Mechanismus auslöste?
Alles in Alida schrie danach sich bemerkbar zu machen, zu rufen, zu warnen. Aber sie konnte sich denken, dass nichts von alledem wirklich etwas bewirken würde. „Verdammt. Eine Falle. Sie sehen nichts…“ Sie sammelte sich, versuchte sich zu konzentrieren. Auf dieses eine Gesicht, das sie mittlerweile wohl besser kannte als ihr eigenes und den Geist dahinter. Er war ausgesprochen geübt darin nur mittels der Macht seiner Gedanken die Informationen zu erhalten, die er wollte und sie hatte damals am eigenen Leib erfahren dürfen, wie es sich anfühlte. Aber auch sie konnte sich, auch wenn sie es normalerweise vermied, in seinen Gedanken bewegen. ‚Emilian. Das ist ein Hinterhalt! Ihr seht die Angreifer nicht! Keinen Schritt weiter!‘

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Ihre Warnung schien tatsächlich bis in den Geist ihres Erzeugers vorzudringen, während Jeremiah neben ihr nur verwundert versuchte zu verstehen was genau sie damit meinte. Emilian blieb stehen und hob die rechte Hand zur Faust geballt ohne sich umzudrehen. Auf dieses Signal hin, blieben alle Soldaten angespannt und jederzeit bereit einen Hinterhalt des Feindes zurückzuschlagen, stehen und rührten sich keinen Millimeter mehr.
Ihr Erzeuger drehte sich zu Rustovich um und meinte im Flüsterton: „Halt! Irgendetwas stimmt nicht. Alida muss in der Nähe sein, ich höre sie in meinen Gedanken.“
Der Drache der Drachen in seiner schwarzen Prunkrüstung wandte sich von seinem Adjutanten zu Emilian. Er sah ungeduldig und erzürnt aus. „Das kann nicht sein! Wir sind so kurz vor dem Durchbruch!“
Emilian trat näher an ihn heran. „Mein Fürst. Ich kenne diese Stimme nur zu gut und sie warnt vor einem Hinterhalt.“
Rustovich rang mit sich und die Art wie er die Finger in den eisernen Handschuhen verkrampfte verriet, dass er jederzeit bereit war das Signal zum Weitermarsch zugeben. Dann öffnete er die Fäuste. „Ist dem tatsächlich so? Ich hoffe, du irrst dich nicht. Zuviel hängt davon ab.“ Emilian antwortete mit einem bestimmten Kopfschütteln.

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Die Antwort des Fürsten folgte nach kurzem Zögern. „Dann müssen sie es wirklich bis hierher geschafft haben, wer hätte das gedacht? Männer, zurück! Wir warten im Durchgang.“

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Wie auf Kommando drehten die Männer sich um und gingen langsam zurück; Emilian und sein Trupp folgten ihrem Beispiel.
Die Wachmannschaften waren außer sich vor Zorn. „Ah, zum Teufel nochmal. Haben sie die Ritzen in der Decke bemerkt? Oder riechen die das Pulver etwa? Sind die wirklich so gut?“
Einer der Wachleute schüttelte nur bleicher werdend den Kopf. „Entweder jetzt oder nie, Kommandant, eine bessere Chance bekommen wir nicht mehr.“
Der Kommandant nickte. „Lauf und betätige den Mechanismus. Sobald das Pulver fällt, feuert ihr, verstanden?“
Alle bestätigten den Befehl und einer der Leute lief die verhältnismäßig lange Strecke zum Leuchter an der Wand; zog daran. Es waren gerade die letzten Soldaten auf dem Rückzug, da verwandelte sich der Raum vor Alida plötzlich in eine Mehlgrube. Es staubte aus den unzähligen Ritzen an der Decke und ein feines, weißes Pulver umhüllte den ganzen Raum und bedeckte den Boden. Die Wachleute feuerten und hielte sich nur eine Sekunde später die Ohren zu, warfen sich flach auf den Boden.
Alida dämmerte, dass es für sie auch gut wäre jetzt eher kein Auspex mehr zu benutzen. Es gab eine Explosion, die noch um einiges stärker war als diese beim Weltenportal und der ganze Raum war in Flammen. Als wäre die Hölle selbst ausgebrochen brannte der lange Quergang in einem so blitzend weißem Licht, dass es wirklich in den Augen schmerzte. Heißer als jeder Waldbrand fraß sich das Pulver in die Wände und verwüstete den Raum völlig. Nachdem auch noch der letzte Rest des Pulvers verbrannt schien, war der Flur ein brennend heißer und rußgeschwärzter Gang, in den sich dichter und undurchdringlicher Rauch gelegt hatte.
Die Wachleute erhoben sich von den Ballisten. „Das war‘s… fast alles umsonst. Nur ein paar von den letzten Tormentoren. Soweit ich’s mitbekommen habe war Rustovich nicht dabei. Wir sollten zusehen, dass wir hier wegkommen.“
Einer der Leute lachte unangebracht. „Die finden hier zwar niemals rein, aber wir auch nicht raus. Ist das nicht witzig?“ Er bekam einen weiteren Schlag auf den Hinterkopf.
Alida sah zu Jeremiah und griff nach seinem Arm, der in der eisernen Rüstung steckte. „Wir müssen hier weg. Sie werden hier vorbei kommen.“ Gehetzt sah sie sich um. „In den Thronsaal!“ Sie hatte keine Zeit für lange Erklärungen, sondern zog den Nosferatu hinter sich her in den Prunksaal der Tremere.

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 Betreff des Beitrags: Re: Die Fesseln der Macht
BeitragVerfasst: Sa 2. Jul 2016, 17:47 
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Alida sah zu Jeremiah und griff nach seinem Arm, der in der eisernen Rüstung steckte. „Wir müssen hier weg. Sie werden hier vorbei kommen.“ Gehetzt sah sie sich um. „In den Thronsaal!“ Sie hatte keine Zeit für lange Erklärungen, sondern zog den Nosferatu hinter sich her in den Prunksaal der Tremere.
Jeremiah ließ sich ohne großen Widerstand hinter eine der Säulen ziehen; obgleich es ihm in Wahrheit wohl widerstreben mochte. Schließlich war er gerüstet und bewaffnet und malte sich wohl ziemlich gute Erfolgschancen gegen die schlecht gewappneten und sich mittlerweile auch schon auf der Flucht befindenden Wachmannschaften aus. Eisern umschloss er das Heft des Schwertes um sich auf einen Überraschungsangriff vorzubereiten, sah jedoch zunächst abwartend zu Alida. Die Wachleute ließen die Ballisten wo sie waren und gingen hurtig in die Richtung der beiden; hielten wohl auf die Treppe nach unten zu, von der die Kainiten soeben gekommen waren.
Der eine sah noch einmal über die Schulter zurück. „Der Hinterhalt in der Rundhalle wird doch wohl hoffentlich klappen?“
Der Kommandant hob brummelnd die Schultern. „Nicht mehr unser Problem, irgendwer hat sie gewarnt. Jetzt können wir nur noch darauf hoffen, dass sie den Drachenbändiger ausschalten. Wir haun hier ab; zumindest ich werde das tun. Du kannst ja bleiben, Dima.“
Der Mann bekam große Augen, schüttelte den Kopf und schloss zu den anderen auf. Nein, hierbleiben wollte er ganz sicher nicht.
Alida wartete ab bis die kleine Truppe verschwunden war und atmetet tief ein. „Puh. Das war knapp“
Jeremiah ließ die Truppe gewähren und an ihnen vorbeiziehen. Die fünf Männer verließen den Thronsaal just über die Treppe, die sie und der Nosferatu ebenfalls genommen hatten. Höchstwahrscheinlich würden sie sich den geheimen Ein- und Ausgang zunutze machen.
Langsam senkte er sein Schwert und sah Alida fragend an. „Gut, diese Wachleute waren offenbar durch irgendeinen magischen Trick vor den Augen Rustovichs geschützt und diese merkwürdigen Fallen haben auch nicht funktioniert. Eindrucksvoll und vermutlich ziemlich tödlich aber diesmal nutzlos“ Er sah sie immer noch fragend an. „Warum sind sie plötzlich umgekehrt; warst du das? Und warum greifen wir uns diese Bastarde nicht einfach?“
„Ja, ich habe sie gewarnt. Ich hoffe, es hat ihren Hinterhalt vereiteln können.“ Sie sah zu der Treppe zurück. „Ich wüsste nicht, was es bringen würde ein paar Sterbliche abzustechen. Wir haben den Auftrag die großen Tore für das Heer zu öffnen und dem sollten wir so schnell wie möglich nachkommen, denn so wie’s aussieht versucht Rustovich das Gleiche gerade mit seinem Sonderkommando, ist aber bereits entdeckt. Sie haben irgendwas von einem Hinterhalt in der Rundhalle und einem Drachenbändiger gefaselt.“ Alida sah sich zögernd um.
Der Mann in der blitzenden Rüstung neben ihr, hob die Schultern. „Hm… naja. Die werden vermutlich ohnehin nicht weit kommen, so sparen wir unsere Kräfte für die wirklich gefährlichen Bedrohungen.“ Er trat hinter der Säule hervor und sah sich im Raum um. Es war zu weitläufig und hoch, als das er irgendetwas hätte erkennen können, das ihm einen Hinweis auf die ‚Tore‘ oder den dahinterliegenden Mechanismus gegeben hätte. Missmutig schulterte er das Schwert. „Und was sollen wir jetzt machen? Kommen wir durch diese… Illusion hindurch oder behindert uns diese merkwürdige Barriere?“ Er sah in Richtung der Ballisten.
Alida zuckte nur mit den Schultern. „Keine Ahnung. Irgendwie müssen wir in die oberen Räume gelangen um die Kristalle anzuwenden. Oder sind wir schon da?“
Alida bemerkte plötzlich aus den Augenwinkeln eine leichte Vertiefung in der gigantischen Säule, hinter der sie sich im Schatten verborgen hatten. Es hatte den Anschein, als würde dort einer der blau leuchtenden Kristalle Platz finden. Die reichen Verzierungen an den Säulen, hatten es sehr schwierig gemacht in dem marmornen Muster die Aussparung zu finden aber es war ihr doch irgendwie gelungen. Jeremiah sah sich um. „Ich denke wir sollten zu Rustovich aufschließen. Hier geht es nicht weiter fürchte ich. Mal sehen ob diese Barriere nur Geräusche und die Sicht nimmt oder einem auch Zutrittswege verweigert. Die Geschosse der Ballisten, kamen zumindest durch.“ Langsam setzte sich der Nosferatu in Bewegung.
Die mittlerweile braunhaarige Frau schob ihre Kapuze nach hinten und sah sich den Mechanismus näher an. „Jeremiah. Schau dir das mal an.“ Sie griff mit ihren behandschuhten Fingern ins Innere des Säckchens und förderte einen der blauen Kristalle hervor. „Na, ehemaliger Meistermagier. Was denkst du?“
Er kam die paar bereits überwundenen Meter zurück zu Alida und sah sich die Musterung an der Säule besonders kritisch und aufmerksam an; klappte dazu das Visier hoch.

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Schlussendlich musste er die Vertiefung mit den Fingern ‚erfühlen‘ und es sich von ihr sogar noch einmal gesondert zeigen lassen. „Ha, ja. Beinahe hätte ich es übersehen. Die Hexer wissen ihre Geheimnisse gut zu verbergen. Ganz offensichtlich findet hier ein Kristall Platz.“ Er nickte ihr zu. „Dein Auftritt, mal sehen was passiert.“

Alida prustete amüsiert. „Wahrscheinlich, bei unserem Glück, stürzt die Halle ein.“ Sie verzog die Mundwinkel zu einem schiefen Grinsen und fügte den Kristall in die Vertiefung ein.
Kaum war der Kristall in der Aussparung verschwunden, begann er auch gleich intensiv zu leuchten und zu pulsieren. Alida konnte förmlich dabei zusehen, wie die Lücken in der Vertiefung sich auf wundersame Art und Weise mit üppigem Marmor schlossen, sodass am Ende vom leuchtenden Funkeln des Kristalls lediglich eine schlangenförmige Markierung übrig blieb, die sachte glomm und sich dennoch irgendwie in die okkulte Maserung des massiven Gesteins einzufügen schien.

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Es ging ein knappes Brodeln durch die Halle und für einen kurzen Moment schien sich die Befürchtung der Unholdin beinahe zu bewahrheiten, da bemerkte sie feine, leuchtenden Linie, die sich durch die Halle zogen und den Raum wellenartig mit reinster, magischer Energie zu erfüllen schienen. Am Durchgang, wo die Ballisten standen, knisterte es elektrisch und die unsichtbare Barriere schien sich wie ein durchsichtiger Film zwischen den Säulen zu lösen. Zwar befanden sich die Säulen mit dem verkohlten und immer noch von den Dunstschwaden des verbrannten Durchganges durchzogenen Wänden in einiger Entfernung; dennoch sah die Tzimisce schon jetzt ein unheiliges Glühen an eben jenem Durchgang. Es schien der Schlange wohl ähnlich zu sein und als sie es mit Auspex prüfte, bestätigte sich ihr Verdacht: Eine weitere Aussparung, die Platz für einen Kristall bot.
Es wurde ihr mit einem Schlag bewusst, dass die Markierung an den Säulen in einiger Entfernung langsam schwächer und gedämpfter wurde. Offenbar verhielt es sich so, dass mit jedem Kristall, der verwendet wurde um die Barrieren zu öffnen und die Zugänge im Schloss zu entriegeln, eine magischen Entladung einherging, die dem Anwender für einen begrenzten Zeitraum die nächste Aussparung offenbarte. Natürlich war dies brandgefährlich, konnte doch so auch ein unbekannter die Fallen und Hinterhalte der Bluthexer enttarnen und zunichtemachen, doch scheinbar ließ sich die Reaktion der Aussparungen nicht verhindern; war in höchstem Maße affin zu dieser Form der Magie. Wenn sie nacheinander die Schranken von Ceoris brechen wollte, müsste sie sich ziemlich anstrengen um die nächste Markierung zu erkennen bevor sie erlosch, denn dann würde es deutlich schwieriger. Jeremiah neben ihr, schien ebenfalls schon in diese Richtung zu denken. „Die Barriere scheint ausgeschalten. Was für ein fantastischer Mechanismus und dabei noch so selbstglorifizierend. Eine leuchtende Schlange pfff.. viel selbstverliebter kann man sein eigenes Wappen wohl nicht hochleben lassen. Wir sollten uns beeilen um die anderen Kristalle zeitnah zu positionieren.“
Alida schüttelte den Kopf und ging in die entsprechende Richtung. „Das ist anstregend. Wie sollen wir das schaffen? Der Mechanismus ist perfekt, da nur ein Eingeweihter immer den nächsten ‚Schalter‘ kennt und jeder andere zunächst mühsam suchen muss und dabei die Zeit verrinnt.“ Sie griff nach zwei Kristallen, platzierte sie in einem getrennten Beutel und drückte sie dem Nosferatu in die Kettenfäustlinge. „Wer weiß, was uns erwartet. Besser ist, wenn auch du die Möglichkeit hast, die Tür zu öffnen, wenn ich dazu nicht in der Lage sein sollte.“ Alida zwang sich dazu die Bilder zu verbannen, die bei diesen Worten in ihrem Kopf aufkamen.
Jeremiah nahm den Beutel an sich. „Das klingt vernünftig, wobei ich nicht hoffe, dass es notwendig werden wird; ich vertraue da ganz auf deine übersinnliche Wahrnehmung. Zugegeben wird dieser Mechanismus nicht leicht zu überwinden sein, aber was haben wir uns hier drin auch ernsthaft anderes erwartet? Wir können nur das tun, was in unserer Macht steht. Solange wir uns wenigstens merken, wo ein Kristall in die Fassung passt, sollten wir nicht scheitern.“

Nachdem Alida einen weiteren Kristall in der Aussparung der Säule platziert hatte, schien sich das Spiel der magischen Energiewelle, des leuchtenden Schlangenmusters und dem Brodeln im kalten Gestein von Ceoris zu wiederholen. Irgendwo hörte sie Kratzen und Schaben, irgendwo hatte sich in der Wand wohl ein Durchgang geöffnet. Und auch aus anderen Richtungen über ihr, hörte sie mechanisches Klicken und Rattern. Je mehr Kristalle sie platzierte, desto mehr geheime Räume, Türen, Treppen, Durchgänge und Kammern wurden zugänglich und sicher passierbar. Nach dem Einlegen des siebten Kristalles, sollte nach Helmuts Aussage zu urteilen ganz Ceoris frei zugänglich und bar jeder blutmagischen Fallen sein.
Der verkohlte Gang war rußgeschwärzt und Alida fühlte die Wärme vom angebrannten Stein aufsteigen, dann aber hörte sie ein noch viel eindringlicheres Geräusch: Kampflärm und es kam just aus der Richtung, in der sich Rustovich und Emilian zurückgezogen hatten. Möglicherweise hatte der von den Wachmännern angesprochene Hinterhalt gerade Früchte getragen. Die brodelnde Energiewelle des Kristalls breitete sich weiter aus.
Alida sah Jeremiah an und ihre Augen weiteten sich angsterfüllt. „Verdammt! Was machen wir? Da drüben kämpfen unsere Leute. Und da hinten ist vielleicht in dem Geheimgang, der sich gerade geöffnet hat, das nächste Siegel.“ Sie deutete Richtung Thronsaal. „Wenn wir die Siegel zerstören, verhindern wir, dass sie in weitere Fallen tappen. Wenn wir ihnen nicht zu Hilfe eilen, ist vielleicht bald niemand mehr da, der noch in einen Hinterhalt geraten könnte.“ Wieder sah sie in die Richtung des Kampflärms. Mit deutlich leiserer Stimme fügte sie hinzu. „Der Freund, von dem ich erzählt habe, befindet sich auch darunter.“
Beide hielten sie den Atem an, da der beißende Rauch des merkwürdigen, explosiven und glühend heiß brennenden Pulvers ätzend in ihren Lungen kratzte. Es war wirklich ein Segen, das sie nicht mehr atmen mussten und sich recht zügig obgleich mit einer leichten Sichtbehinderung durch den schwarzen Gang kämpfen konnten. Die Energiewelle des Kristalls zog sich in den feinen Ritzen des Raumes fort und mündete schlussendlich in einem leichten Leuchten an einer Statue, die unlängst des Rundbogendurchganges stand. Die Statue hielt ein Gefäß in der Hand, und sehr versteckt unter dem Gefäß war eine Aussparung. Man müsste den Kristall also von unten in die Vertiefung schieben. Ohne ihre übernatürliche Wahrnehmung hätte die Brüggerin dieses Versteck ganz sicher nicht entdecken können. Ein Mensch wäre ohnehin an dieser Aufgabe gescheitert.
Der Nosferatu an ihrer Seite hielt sich die Hand vor den Mund; der Kampfeslärm wurde lauter und eindringlicher. Man hörte spitze Schreie, das Klirren von Metall und angestrengtes Ächzen. „Großartige Arbeit“, meinte er durch die Kettenfäustlinge. „Das hätte ich wohl erst in ein paar Minuten gefunden.“ Das Leuchten an der Statue pulsierte, wurde dann immer schwächer.
Jeremiah umfasste sein Schwert fester und nickte in die Richtung des Lärms. „Solange wir wissen, wo der nächste Kristall zu positionieren ist und wir es uns merken, können wir die Spur der Energieabsonderungen auch später weiterverfolgen. Das mit dem Hinterhalt hört sich nicht so an, als ob sie da nur ein paar dumme Bauern mit Heugabeln zur Begrüßung geschickt haben. Ich würde das Risiko weiterer Fallen in diesem Fall fast schon eingehen, zumal wir jetzt sicher schon einige deaktiviert haben sollten.“ Er sah sie durch das blankepolierte Visier an. „Und wir ihr schon sagt…. euer Freund befindet sich möglicherweise ebenfalls in Gefahr.“ Sein Panzerhandschuh zeigte auf die Statue. „Das hier merken wir uns und kehren anschließend zurück, einverstanden?“
Sie nickte. „Uns bleibt wohl keine Wahl.“ Sie spürte, wie das Blut in ihr pulsierte. Menschen spürten Angst, Erregung, Panik und ihr erging es nicht viel anders. Aber schlimmer als die Angst vor diesem Kampf war Vorstellung, dass sie vielleicht zu spät käme. Dass Emilian… Am liebsten hätte sie gleich die einzige Form angenommen, die ihr einen Kampf in diesen verhexten Mauern wirklich ermöglichte, aber sie zögerte noch. Alida war keine Kämpferin und die gelegentlichen Übungsstunden mit Lucien konnten in einem wahren Krieg nur schlecht darüber hinwegtäuschen. Sie sog die Kraft ihres Blutes an die Stellen, an denen sie es benötigen würde. Dann wandte sie sich endgültig dem Torbogen zu und zog ihr Schwert.





Gemeinsam liefen Alida und ihr Begleiter durch den hohen Durchgang und folgten der feinen Wahrnehmung der Brüggerin, die sie immer weiter in Richtung des Schlachtengetümmels zog. Schlussendlich musste man aber kein großer Könner in der Kunst des Auspex sein, um das Hauen und Stechen, Grunzen, Stöhnen, Schreien und Aufeinandertreffen von blankem Stahl zu vernehmen. Als sie um eine Ecke bogen, betraten sie einen langen Korridor der gesäumt war von vielen Rundbögen. An manchen Stellen, konnte man breite Durchgänge entdecken; offenbar Geheimtüren die unverkennbar einem Hinterhalt dienten.

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Rustovich und seine Leute, genau wie Emilian selbst, mussten im Grunde eingekreist worden sein und das erste was Alida bemerkte, waren die Gegner mit denen es die Heerscharen der Drachen zu tun hatten. Keine Ritter oder Hexer persönlich, sondern untote Skelette in alten, rostigen Rüstungen stellten sich den Eroberern entgegen. Manche trugen europäische Rüstungen, andere waren gewandet in russische Panzerplatten; hie und da entdeckte sie französische, englische und sogar osmanische Krieger. Es war ein buntes, bleiches Sammelsurium aus kämpfenden, klappernden Knochen. Und der Tzimisce wurde mit einem Mal klar, dass man die Toten nicht so einfach besiegen konnte. Wunden konnte man ihnen keine zufügen, Schmerzen oder Furcht kannten die unheiligen Geschöpfe nicht und ein Sieg konnte wohl nur durch Feuer oder unglaublichen Gewaltaufwand erwirkt werden. Ersteres war aus offensichtlichen Gründen nicht durchführbar und letzteres gestaltete sich als schwieriger als erwartet. Die Russen kämpften und zertrümmerten Knochen und Schädel, hieben auf Schilde und mühten sich redlich ab.

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Rustovich war umgeben von seiner Leibgarde aus Tormentoren und zertrat gerade einen beinernen Kopf auf dem Steinboden. „Ja, so ist gut, ihr Maden! Schickt nur eure Handlanger; ihr seid dennoch dem Untergang geweiht. Denkt ihr, das hält mich auf?“

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Kaum hatten die beiden den Schauplatz betreten, da kam von rechts schon der erste Hieb gegen Jeremiah, den er gekonnt parierte. „Teufel auch noch!“, fluchte er als er sich in Kampfstellung begab.
Alida ließ den Blick über das Getümmel gleiten und zwischen verrosteten Schilden und Drachenemblem erkannte sie in der Nähe eines geheimen Durchgangs Emilian, der gegen zwei Skelette kämpfte. Das erste der beiden verlor gerade aufgrund eines mächtigen Hiebes des Unholds sein Bein und stürzte klappernd zu Boden, versucht aber immer noch unbeholfen Emilian zu treffen. Im Gegensatz zu Rustovich war dieser aber weit weniger gute Dinger und wirkte eher ernst und gefasst. Dann sah sie es: Emilians Augen wurden starr und blieben weit aufgerissen und mit einem Mal stürzte er zu Boden. Ein dickes Stück Holz stak in seinem Rücken und musste gar das Schulterblatt durchbohrt haben. Der Schuss musste aus dem Durchgang gekommen sein und keine Sekunde später sah man ein muskulöses Ungetüm daraus hervortreten und den gepflockten Emilian schultern. Mit einem Schlag seiner mächtigen Faust, beförderte es einen russischen Soldaten zu Boden, der dem Ritter des Ostens zu Hilfe eilen wollte und lief zurück in den Durchgang.

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Was geschah da vorne? Ungläubig sah sie noch immer in die Richtung in die das Ungetüm mit Emilian verschwunden war.
Sie musste zu ihm.
Alida spürte das Blut, das durch ihre Adern rann und sie genoss das berauschende Gefühl von Stärke und Macht, das es mit sich brachte. Ihr Körper veränderte sich innerhalb weniger Sekunden. Sie wuchs um mehrere Köpfe, spürte die Knochen, die wie von selbst die Form von Dornen und Widerhaken annahmen, um zu schützen und zu verwunden, ihre Reißzähne, und das seltsam raue Äußere ihrer schuppigen Haut, die fast so gut wie ein Kettenhemd Verletzungen abzuhalten vermochte. Das Schwert in ihrer Hand verlieh ihr zusätzliche Sicherheit.
Noch während sie sich ihren Weg durch das Schlachtengetümmel suchte, hieb sie nach dem Skelett, dass Jeremiah bedrängte.
Wie als ob sie damit ein geheimes Kommando gegeben hätte, sah man im Getümmel plötzlich nacheinander ähnlich groteske Wesen von hohem Wuchs, schorfiger dunkler Haut, mächtigen Zähnen und kräftigen Pranken über die Köpfe ihrer Feinde wachsen. Es hatte beinahe etwas fremdartig Erlösendes für die Unholde sich endlich ihrer monströsen Kampfform, der furchteinflößenden Zulo-Gestalt hinzugeben. Mehrere der Monster hieben, bissen, schlugen und traten nach den stummen Angreifern. Und was Alida noch bemerken konnte, ehe das zu unheiligem Leben erweckte Gebilde vor Jeremiah in tausende, kleine Stücke zersprang als ihre geschmeidige Klinge den Schädel traf, war, dass sich das Blatt soeben zu wenden schien.
Die sterblichen Soldaten bildeten eine Schildphalanx, die Zulos hieben von oben auf ihre Gegner herab, während die Tormentoren die Flanken im Auge behielten. Der Voivode brüllte Befehle und es sah mit einem Mal um einiges besser aus für die Eroberer.
Jeremiah klappte das Visier hoch; es war unglaublich laut und man verstand beinahe sein eigenes Wort nicht. „Das war…“ Er besah sich die groteske Form der flandrischen Frau, „…eindeutig keinen Moment zu früh, danke“, brüllte er durch den metallenen Lärm. Der Nosferatu wollte noch etwas erwidern, aber dann kam es so, wie es in allen Kämpfen kam: Es wurde unübersichtlich, er bekam einen Schlag gegen die Brustplatte; drehte sich und erwiderte den Schlag, wurde von der Menge an Kriegern und schwingenden Schwertarmen mitgerissen.

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Der Weg zum Ziel beginnt an dem Tag, an dem du die hundertprozentige Verantwortung für dein Tun übernimms.
Dante Alighieri


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 Betreff des Beitrags: Re: Die Fesseln der Macht
BeitragVerfasst: Mo 4. Jul 2016, 17:43 
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Alida arbeitet sich kontinuierlich weiter durch die Flut an Kämpfern und bahnte sich ihren Weg vorbei an Soldaten und Skeletten zu dem Durchgang. Ihr massiger Körper passte gerade noch so durch die Öffnung und sie eilte einen dunklen Gang entlang, der wohl nur spartanisch aus dem Felsen geschlagen worden war. Dann plötzlich hörte der Weg abrupt auf und sie befand sich auf einer steinernen Plattform, inmitten einer großen, unterirdischen Kaverne. Es ging steil hinauf und steil bergab; offensichtlich ein natürliches, großes Höhlensystem. Vor ihr tat sich eine aus Seilen und dunklen Holz konstruierte Hängebrücke auf, die zu einer weiteren felsigen ‚Insel‘ führte. Unter ihr ging es in einen bodenlosen Abgrund und die Tiefe konnte man nicht einmal mehr erahnen. Licht gab es jedoch und zwar in der Gestalt von schwebenden Leuchtfeuern, die in verschiedensten Farben glommen und wie in der Luft befestigt, vor sich hin leuchteten. Der dicke Ochse mit den sehnigen Muskeln hatte gerade die zweite Felsformation erreicht.
Alida schluckte und der seltsame metallische Geschmack, der sich in ihrem Mund ausbreitet hatte, wurde kurzzeitig erträglich. Sie überlegte wie sie hinter dem Koloss herrennen konnte ohne gesehen zu werden. Vielleicht hatte sie Glück und war noch nicht bemerkt worden. Sie konnte sich gut und gerne vorstellen, was passieren würde, wenn sie die direkte Verfolgung aufnehmen würde. Sollte sich das Ungetüm bedroht fühlen, hätte es jederzeit die Möglichkeit Emilian als Ablenkung in die Tiefe zu werfen und sie wäre in diesem Moment machtlos.
Gerade noch rechtzeitig hörte sie ein verräterisches Knacken zu ihrer rechten und sprang zur Seite. Da sauste schon ein gezackter Speer an ihrer Seite vorbei und hätte sie wohl tatsächlich aufgespießt, wenn sie nicht so geistesgegenwärtig gehandelt hätte. Dann erkannte sie eine zweite Gestalt, die sich aus den Schatten einer kleineren Steinformation löste und einen ähnlich gefertigten Speer in den Händen hielt. Zwei Tremere Akolyten, so ließen zumindest die dunkelgrauen Roben an ihrem Leib vermuten. Sie sahen sich kurz unsicher an, fassten dann aber erneut neuen Mut und gingen vorsichtig in Richtung Alida, das spitze Ende ihrer Waffen voraus.

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Alida stieß nur ein drohendes Fauchen aus. Sie wusste, diese beiden Gestalten waren eine Bedrohung, die sie nicht einschätzen konnte, da sie nichts von Thaumaturgie verstand. Aber ihr blieb nichts destotrotz keine Wahl. Sie musste die beiden Akolyten ausschalten. Sie ließ noch mehr Blut in ihre Glieder fahren und suchte nach den Kräften, die Lilliana sie gelehrt hatte. Ihre Bewegungen waren von ungewöhnlicher Schnelligkeit als sie sich auf den Angriff und die Verteidigung konzentrierte.
Alida war zu geschwind für die beiden Akolythen, die ohne Frage einen Hinterhalt für eventuelle Verfolger gelegt hatten. Der Plan ging offensichtlich nicht auf und selbst in ihrer monströsen Zulo-Gestalt, hatte die blonde Händlerin die Gefahr rechtzeitig entdeckt. Mit einem scharfen Brüllen fuhr ein Hieb gegen den männlichen Akolythen und fügte ihm einen dünnen Schnitt an der Schulter zu. Die Zähne zusammenbeißend, jaulte er auf als die Frau an seiner Seite mit dem langen Speer nach Alida hieb – vergeblich. Das schnelle und stets sorgsam gepflegte Schwert ihres Großerzeugers ließ die gezackte Spitze der Waffe einfach an der Parierstange abrutschen. Die Antwort kam prompt und brutal über die Frau herein, als die russische Tzimisce-Klinge über ihre Brust glitt und tiefe Furchen im eisenverstärkten Leder hinterließ. Beide Akolythen hatten die Augen weit aufgerissen und schienen sichtlich einiges an Respekt vor ihrem Gegner zu haben.
Die tiefen Furchen in der Rüstung der Frau waren lediglich ein Vorgeschmack der bestialischen Stärke, die noch folgen sollte. Der zweite Hiebe Alidas spießte die Frau wie ein Stück Fleisch auf der gezackten Klinge auf und noch durch die Wucht des Angriffs wurde die Akolythin aus ihrem Stand in die Luft gehoben und in den Abgrund befördert. Sie war totenbleich im Gesicht und bevor auch noch der Schmerz oder die Erkenntnis einsetzte, das ihr Leben verwirkt war, stürzte sie in die Schwärze des Abgrunds. Der Mann neben ihr zitterte am ganzen Leib, hatte den Speer drohend in die Luft erhoben obgleich die gezackte Spitze in grenzenloser Furcht wackelte. Einem solchen Gegner hatten die Tremere wohl noch nicht allzu oft gegenübergestanden.
Alida sah das Zögern in den Augen des Mannes doch es war ihr egal. Sie ließ das Schwert fallen und stürzte sich mit ihren klauenbewehrten Händen auf ihn. Er riss die Lanze hoch, doch kam der Angriff zu spät. Sie spürte wie er versuchte sich aus ihrer Umklammerung zu kämpfen, aber die Stärke, die ihr die Zulogestalt verlieh war zu groß für den Akolythen. Sie stieß ihre Zähne in das weiche Fleisch seines Halses und saugte gierig das warme Blut auf, das aus seinen Adern in ihren Rachen pochte. Die kurzzeitige Ekstase, die das Trinken mit sich brachte umnebelte ihren Geist. Sie hob den Ghul noch ein letztes Mal nach oben, sah ihm kurz in die ungläubigen Augen, dann warf sie ihn hinter seiner Kampfgefährtin her in den Abgrund.
Mit einem harschen Kopfschütteln versuchte sie sich ins Hier und Jetzt zurück zu holen. Das Ungetüm hatte Emilian nach oben gebracht. Sie musste hinterher. Alida bückte sich, griff nach der blutigen Klinge und rannte den Stufen entgegen.
In ihrem Kopf hörte sie erneut die Stimme, des Wachmannes, der den Hinterhalt geplant hatte, der davon geredet hatte, dass man den Drachenbändiger ausschalten musste. Erst in diesem Moment begriff sie und am liebsten hätte sie sich selbst dafür geohrfeigt. Sie war so auf diese verfluchten Kristalle fixiert gewesen, dass sie das Wesentliche nicht mitbekommen hatte. Verdammt! Drachenbändiger… Darunter verstanden die Tremere Emilian. Ihn wollte man ausschalten. Oder, das war ihr genauso bewusst, manipulieren. Tremere waren Meister der Beherrschung. Warum nicht das grausame Spiel einfach nach den eigenen Regeln spielen und mithilfe eines ‚beherrschten‘ Drachenformers die Bestie gegen die Heere des Ostens antreten lassen? Sie beschleunigte ihre Schritte.
Eiligen Schrittes lief Alida über die Hängebrücke; unsicher ob das Konstrukt die schwere Muskelmasse ihres sehnigen Körpers überhaupt tragen könnte. Das entstellte Monstrum vor ihr war allerdings auch über die Brücke gelangt und so konnte die Tzimisce nur hoffen, dass ihr zusätzliches Gewicht die Seile nicht reißen würde lassen. Zu ihrem Glück hielt die Brücke und ließ sie ihre massigen Füße auf den knirschenden Felsen aufsetzen. Es war ungewöhnlich warm in dieser Höhle; ungewöhnlich, wenn man die Höhe des Gebirges und die Tiefe im Geröll mit einberechnete. Scheinbar hatte man irgendwie dafür gesorgt, dass den sterblichen Dienern hier unten nicht kalt wurde. Rasch passierte sie einen weiteren Höhlendurchgang und sah eine besonders breite, mit mehrere dicken Seilen gespannte Hängebrücke, die zu einem Stück massivem Felsen führten, der sich nach unten hin verjüngte. Rund um die steinerne Plattform war nur gähnender Abgrund und selbst die merkwürdigen Lichter, die an dem Felsen in regelmäßigen Abständen verstreut angebracht worden waren, vermochten die Schwärze nicht zu durchdringen. Mehrere kleine Brücken führten zentral zu diesem Knotenpunkt und ein merkwürdig metallener Aufbau, der an der Spitze der mit Steintreppen behauenen Aufgängen versehen war, deutete unweigerlich daraufhin das sie an den richtigen Ort gekommen war.

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Alida blieb einen Moment verwundert stehen. Was war das für ein Ort? Alles hier schrie nach Gefahr und Hinterhalt. Sie sah sich alles noch einmal genau an, aktivierte kurzzeitig Auspex um die Situation so gut sie konnte einschätzen zu können.
Hinter ihr knackte es plötzlich, und als sie sich umdrehte, saßen in einiger Entfernung auf den spitzen Steinen einer Felsformation mehrere kleine Gestalten, die humanoid wirkten. Ihre Größe mochte allerdings nur ungefähr einen Schritt betragen; sie reichten ihr vielleicht bis ans Knie. Die großen, spitzen Ohren bewegten sich gelegentlich und die leuchtenden Augen betrachteten sie interessiert. Waffen schienen sie keine zu haben aber kleine, spitze Krallen an den kindergroßen Händen. Die merkwürdigen ‚Dinger‘ bewegten sich kaum, verrenkten sich nur die Hälse um Alida anzusehen wie ein Schwarm neugieriger Vögel.

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Sie kaute kurz nervös auf ihrer Unterlippe. Ein seltsames Unterfangen in der unvertrauten Gestalt und sie hielt schlagartig inne. Sie konnte sich denken, dass diese Viecher sie angreifen würden und allein der Anblick der Klauen reichte um sie respektvoll inne halten zu lassen.
Sie horchte in sich und suchte die Fähigkeiten, die ihren Clan mit den Tieren verband und fauchte in die Richtung der Kreaturen. Ihre Klauen und Reißzähne waren genauso wie ihre Körperhaltung eine einzige Drohung. Sie kannte die Einschüchterung des Tieres und wandte sie an.
Wie feine Fäden gruben sich ihre Gedanken und ihr Willen in den einfachen Geist der merkwürdigen kleinen Biester, die da noch immer hochgradig interessiert und stumm auf den zerklüfteten Felsen saßen. Alida hatte ihre Kräfte der Tierhaftigkeit nicht oft eingesetzt; im besten Falle noch bei Cato oder einigen anderen Haustieren. Wilde Tiere hingegen hatte sie nur gelegentlich beeinflusst aber dahingehend auch schon genug Erfahrung sammeln können, dass ihr mit einem Mal klar wurde, dass es sich bei diesen Dingern keinesfalls um gewöhnliche, vielleicht missgestaltete Tiere handelte. Der Geist ihrer Beobachter war ähnlich einfach, aber doch von einer anderen, fremdartigen Qualität, die sie kaum zuordnen konnte. Als ihr drohendes Fauchen und Knurren von den nackten Wänden widerhallten erschraken die Gestalten, legten die spitzen Ohren an und hüpften eilig davon um sich wohl vor dem noch größeren Raubtier zu verstecken. Ein raues Dröhnen ging durch die Hallen und Gestein bröckelte von der Decke. Möglicherweise der Drache, der sich weiter in seinem unablässigen Blutdurst erging.
Alida wandte sich in der wahrscheinlich trügerischen Hoffnung, die seltsamen Kreaturen endgültig vertrieben zu haben, erneut der seltsamen Plattform zu. Wieder konzentrierte sie sich um die wesentlichen Details auszumachen und aktivierte Auspex.
Ihre Sinne wurden schärfer als ein scharfkantiges Stück Glas und während Sterbliche lediglich taub und blind durch die dämmrige Finsternis vor ihnen gewandelt wären, erkannte Alida plötzlich präzise Formen, Bruchkanten und Auswüchse im Fels; nahm ihre Umgebung perfekt war. Sie hätte jede Temperaturunterschiede in der Höhle augenblicklich gemerkt; hinter sich hörte sie das leichte Schaben von kleinen Krallen am Felsen, das womöglich von den kleinen Gnomen stammen musste. Das Knistern der Fackeln an der unteren Gesteinsformation rauschte in ihren Ohren aber sie konzentrierte sich auf die Plattform, wo sie das Rasseln von schweren Ketten vernahm und tiefes Stöhnen. Dann ertönte eine dunkle Frauenstimme. „Gebt euch keine Mühe und versucht erst nicht euch in eure Kampfgestalt zu verwandeln, Bändiger. Die Schellen sind mit Klingen versehen, die sich sofort in euer Fleisch bohren, wenn eure Muskeln wachsen. Unter eurem zusätzlichen Gewicht, reißt ihr euch selbst die Hände ab und dann geht es nur noch abwärts für euch.“ Sie hörte Emilian erneut stöhnen und dann ein verhaltenes Grunzen, wie von einem Tier. „Wir haben nicht viel Zeit Bändiger, eure Leute werden sich nur kurz von den Knochenmännern aufhalten lassen. Ihr werdet mir ein paar kurze ‚Augenblicke‘ schenken, ob ihr wollt oder nicht. Seht ihr das? Ich weiß damit umzugehen und wie effektiv es wohl wird, wenn wir es erhitzen? Wehrt euch nicht länger und eure Qual ist vorbei.“
Alida riss sich zusammen. In ihr schrie alles danach wieder die Kontrolle an das Tier in ihrem Innersten zu übergeben. Das Monster, das besser als alles andere zerstören und vernichten konnte. So wie zuvor… Und zuvor, das war ihr genauso bewusst, hätte sie beinahe den echten Emilian mit all ihrer Wut in seine Einzelteile zerlegt und vernichtet. Nur dieser Gedanken hinderte sie daran, in Raserei zu verfallen.
Mühsam kämpfte sie sich von den Felsen los, in deren Schatten sie ausgeharrte hatte. Ihr blieb nichts übrig. Sie musste über die Brücke. Mehr als eine Stimme hatte sie nicht vernommen. Vielleicht war diese Person so beschäftigt, dass sie unbemerkt auf die Plattform gelangen konnte. Ansonsten…“ Alida zwang sich die weiteren Gedanken zu verbannen.
Trotz ihres monströsen Äußeren, der mächtigen Zähne und der sehnigen Muskelberge an ihrem Körper schaffte sie es so leise wie nur irgend möglich über die breite Hängebrücke zu gelangen. Schritt für Schritt testete sie die wackelige Konstruktion aber nach einigen Momenten schien sie vollends davon überzeugt zu sein, das ihr Gewicht auch diesmal getragen wurde. Zwar knarzten die Seile hin und wieder aber die Verlagerung des Drucks war gewieft mit einigen Seil- und Flaschenzügen übersetzt worden. Vermutlich konnten hier problemlos mehrere Hexer nebeneinander gehen obgleich der Blick nach unten einen heftigen schlucken ließ. Sie war ungefähr auf der Hälfte der Brück angelangt ohne ihre Präsenz für irgendjemanden verraten zu haben, dann begann die Konstruktion irgendwie ganz leicht zu wackeln. Wie als ob die Seile minimal nachzugeben schienen. Als sie den Kopf nach hinten wandte, erblickte sie wieder die kleine Gnome, die mit spitzen Zähnen an den Seilen bissen. Ganze fünf Stück hatten sich in die Konstruktion verbissen und würden sie demnächst ihrem dunklen Schicksal nach unten entgegen befördern.
Verdammt. Diese Mistviecher… Alida hastete so schnell sie konnte weiter und griff nach den Seilen, die für die Hände bestimmt waren.
Sie stolperte über die Trittbretter und hielt sich mit Mühe fest. Hinter sich hörte sie das leise Beißen von winzigen Zähnen. Sie musste es schaffen. Mit allen, ihr verbliebenen Kräften rannte sie weiter, und erreichte im letzten Moment den festen Felsen. Dann brach das Holzkonstrukt unter ihr zusammen.
Die Überreste der Brücke fielen nach unten, aber die Seile der noch intakten Seite schienen zu halten. Die Trittbretter krachten gegen den Felsen der Plattform; einige lösten sich sogar aber der Großteil der Brücke war nach wie vor intakt und hing nun lediglich an einer Seite in den Abgrund hinab. Die kleinen Gestalten am anderen Ende sahen Alida nach wie vor hochinteressiert an und wirkten gerade so, als hätten sie soeben erst festgestellt was sie mit ihrem Beißen, Nagen und Knabbern bewirkt hätten. Unschlüssig was sie noch tun könnten, zogen sie wieder davon und verschwanden hinter den Felsen in der Finsternis. Kleine, gerissene Kerlchen voller Boshaftigkeit. Nichtsdestotrotz, schien die Unholdin es geschafft zu haben – sie war auf der Plattform auf der Emilian scheinbar gerade dazu gebracht werden sollte Unaussprechliches zu tun; wenn nötig sogar unter Androhung von Folter. Den Hexern war genauso wie den Drachen zuzutrauen, das sie von allem Gebrauch machten um ihre Interessen zu verteidigen. Sie hörte einen gellenden Schrei über ihr und es zerriss ihr beinahe das Trommelfell als ihr Auspex die Geräusche verstärkte. Es roch intensiv nach verbranntem Fleisch.
Sie ging in Deckung und verharrte einen Augenblick zögernd. Hatte man sie entdeckt oder hatten die Schreie das im entscheidenden Moment verhindert? Es zerriss ihr schier ihr Innerstes, denn sie wusste genau von wem die Schreie stammen mussten. Wieder schloss sie einen Augenblick die Lider, fuhr sich selbst mit den Klauen in die schuppige Haut um durch den Schmerz die Raserei zu verhindern, die in ihre aufkommen wollte.
Vorsichtig spähte sie um den Felsvorsprung und beobachtete. Dann zog sie ihren Bogen vom Rücken und legte fast lautlos einen Pfeil an.
Offenbar hatte sie noch immer niemand bemerkt und so konnte Alida auch die breite, zerklüftete Steintreppe nach oben schleichen und sich im Schatten einer großen Felsformation verbergen. Aufgrund ihrer Größe war es ihr aber nicht möglich ihren Abstand noch weiterhin ungesehen zu verringern; das vermochte sie wenn überhaupt nur in ihrer gewöhnlichen Gestalt. Ihre Kampfeskraft war in dieser Form wirklich enorm, wie schon zuvor die anderen Tzimisce auch als auch ihre Auseinandersetzung gegen die Akolythen gezeigt hatte. Die Rüstung war, wie sie nun feststellte, immer noch an ihrem Körper und bot soweit zusätzlichen Schutz. Clevere Waffenkonstrukteure der Unholde, hatten das Kriegswerkzeug der ihren wohl an die besonderen Bedürfnisse eines erhabenen Drachen angepasst. Auch der Bogen hing noch immer über ihrem Rücken, der Beinköcher beinhaltete mehrere Pfeile. Sie stellte allerdings fest, dass ihr Finger und Motorik für derartig filigrane Feinarbeit nicht mehr völlig geeignet waren. Es war nicht so, dass sie Bögen und Armbrüste überhaupt nicht mehr bedienen konnte, es kostete sie nur einiges mehr an Übung und Konzentration.
Die Plattform, war tatsächlich wie der Name andeutete eine solche und an der Spitze flach. Mehrere kleine Felsformationen erwuchsen aus dem ansonsten ebenen Gebilde, aber boten nur kleinen Wesenheiten Schutz. Mittig waren mehrere, merkwürdige Steingebilde auszumachen.

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Verschiedene Tropfsteine und Felsen, die spitz zuliefen wie Klauen einer Hand oder Reißzähne und einen halb offenen Kreis umschlossen, an deren äußersten Ende schwere Tische mit allen möglichen alchemistischen und magischen, als auch profanen Werkzeugen aufgestellt waren. Ein Tisch war voll mit Folterwerkzeugen und Ketten und inmitten dieses halbrunden Höllentores klaffte ein tiefschwarzer, kreisrunder Abgrund der allen Anschein nach in die lichtlose Leere unter ihnen führte. Darüber war, an zwei eisernen Ketten von links und rechts der Felsenklauen und in Handschellen gefesselt, Emilian. Den Bolzen der Armbrust hatte man entfernt und ihm auch die Rüstung abgenommen. Lediglich mit seinem Unterkleid und den Stiefeln am Leib hing er schmerzverzerrt über der Grube das Gesicht von Alida abgewandt. Ein dünnes Rinnsal Blut verschmierte die Handgelenke, dort wo rasiermesserscharfe Klingen in die Rundungen der Ketten geschmiedet worden waren.
Halb verdeckt von dem dicken, widerlich buckligen Ungetüm, das man mittlerweile in seine dicke Rüstung gepackt hatte und das gerade dabei war einen schweren, übergroßen Streitkolben von der Werkbank aufzuheben, stand eine sehr zierliche, feminine Gestalt, die in schwarze Roben mit allerlei Verzierungen und raffinierten Schnitten gehüllt war.

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Ihre Kapuze bestand aus mehreren Lagen Stoff und setzte sich bis auf den Rücken fort. In der Hand hielt sie einen aus dunklem Metall gefertigten Stab, der sie sogar noch überragte und an dessen Spitze ein ovaler Rubin eingelassen war, der im Fackelschein leuchtete. Aus tief schwarz umrandeten Augen sah sie Emilian an und hielt in der rechten eine lange, dornengespickte Peitsche deren Zacken noch immer rötlich glühten. „Ein letztes Mal, Unhold… wie wird der Drache gelenkt?“
Emilian presste die Zähne zusammen und spuckte vor ihr auf den Boden. „Haha, gar nicht, Hexe, das ist ja der Witz daran. Das habe ich Rustovich auch schon erzählt; so etwas ist nicht zu lenken, Blutmagierin! Er wird euch nie zu Diensten sein, das übersteigt eure Fähigkeiten bei weitem!“
Die Hexe lächelte süffisant. „Ich dachte, es würde mir gelingen Euch zu beherrschen. Und es verwundert mich, dass ich auch mittels Auspeß in eurem Kopf nicht die Informationen bekomme, die ich will... Aber...Wenn man ihn nicht kontrollieren kann und ihr ihn nicht für uns einsetzen wollt, dann dürfte es wohl egal sein, wenn ich euch töte, nicht wahr? Wir haben ohnehin verloren aber vielleicht machen wir daraus noch einen Pyrrhussieg, Drache. Meine Geduld neigt sich dem Ende zu, ein allerletztes Mal: Wie bändigst du den Drachen?“
Alida ging in Gedanken ihre Möglichkeiten durch. Sie konnte Emilian nicht aus den Ketten befreien ohne dass er in den Abgrund stürzen würde. Die Kette der anderen Seite würde ihn zwar halten, aber ein einziger Handgriff von ihren Gegnern und er wäre für alle Zeit in den Tiefen des Schlundes verschwunden.
Der missgestaltete, bucklige Koloss schwang den Streitkolben über seine Schulter und trottete langsam auf Alida zu; besser gesagt in ihre Richtung denn dort befand sich ja nach wie vor der Aufgang zur Plattform. Höchstwahrscheinlich wollte er sich den verbliebenen Feinden entgegenstellen, selbst wenn es seinen wohl unweigerlichen Tod bedeuten würde. Die Hexe sah ihm desinteressiert hinterher. „Nimm so viele mit wie du kannst und lass nichts als Asche zurück. Keiner darf hierher gelangen bevor ich nicht fertig bin.“ Der Bucklige grunzte dümmlich und animalisch und wankte davon; schlurfte ohne Alida zu sehen an ihr vorbei und betrat die Treppe nach unten. Ungelenken Schrittes nahm er die steinernen Stufen zur Hängebrücke.
Alida schlich dem wenig intelligent wirkenden Monstrum mit seinem Streitkolben hinterher und schloss immer dichter zu ihm auf. Das tumbe Ding wankte zielgerade auf die zerstörte Hängebrücke zu und als es mit allmählich entsetztem Erkennen feststellen musste, dass dort gar keine Brücke mehr war, war es auch schon zu spät. Die Tzimisce hatte zu dem Ungetüm aufgeschlossen und das scharfe Schwert mit beiden Händen fest umschlossen. Ein brutaler und unnachgiebiger Stich erfolgte, der die Klinge von hinten durch den Hals und vorne wieder aus dem Kehlkopf trieb. Gurgelnd spritze und peitsche das frische Blut des Dieners durch die klaffende Wunde aber jeglicher Laut des Schmerzes oder Erstaunens wurde in einem scharlachroten Schwall erstickt, der sich in Strömen auf den Felsen und den Körper des Missgestalteten ergoss. Auch Alida bekam den einen oder andere Blutspritzer ab, als sie die Klinge drehte und mit beiden Händen durchzog. Es knackte einmal als ob jemand einen besonders, widerspenstigen, dicken Ast überm Knie durchbrechen wollte und dann löste sich der deformierte Kopf von den Schultern; knallte auf den Felsen und rollte über den Abhang in die Tiefe. Der blutgurgelnde Körper klappte auf die Knie und fiel kraftlos nach vorne; zuckte noch einige Male während sich das Blut in einer Pfütze vor dem Enthaupteten sammelte. Es war in beinahe völliger Stille geschehen; so still es eben nur sein konnte, wenn man jemanden gerade den Kopf von Schultern geschlagen hatte.
Alida konnte kaum selbst glauben, was vor ihren Augen geschah. Ja, sie hatte den Hieb präzise und mit aller ihr zur Verfügung stehenden Kraft von hinten gesetzt, aber dennoch…
Leise schlich Alida zurück an den Platz an der Treppe an dem sie ihren Bogen zurück gelassen hatte und griff erneut nach der Waffe und dem danebenliegenden Pfeil. Sie hielt nach der Tremere Ausschau, dann zielte sie.
Die Tremere schien vom plötzlichen Dahinscheiden ihres dummen, aber wohl verhältnismäßig starken Dieners nichts mitbekommen zu haben; widmete sich stattdessen wohl weiterhin ihrem Gefangenen. Die Peitsche hatte sie mittlerweile zornig und achtlos in eine Ecke geworfen. Dort wo sich die glühenden Dornen in die Haut und das Fleisch ihres Erzeugers gebohrt hatten hinterließen sie tiefe Striemen, die nicht so einfach zu heilen wären. Emilian brüllte vor Schmerz und biss dann die Zähne erneut zusammen.
„Zwecklos“, konstatierte sie ernüchtert. „Du wirst mir nichts erzählen und ich verschwende meine Zeit schon viel zu lange mit dir und deinesgleichen. Dein Tod mag nur ein Tropfen auf dem glühenden Stein meiner ewigen Rache sein, aber immerhin dürftet ihr es ohne dich um einiges schwerer haben, Bändiger. Erfreut euch an Ceoris, ihr Unholde, es ist völlig bedeutungslos. Wir haben Verbündete in den Reihen eurer Feinde gefunden. Den Salubri weint niemand eine Träne nach und den Drachen wird es ähnlich ergehen. Es wird Zeit sich zu verabschieden... ‚Drachenmeister‘… “ Mit diesen Worten, ging die Frau in den schwarzen Roben an die gezahnte Kurbel der linken Seite und hielt die Spitze ihres Stabes nur wenige Zentimeter davon entfernt hin. Ein triumphales Grinsen legte sich auf die roten Lippen in diesem fahlen Gesicht.
Alida zögerte keine Sekunde. Sie schoss und hörte das vertraute Sirren des Pfeils, der sich von der gespannten Sehne löste. Dann griff sie zu ihrem Schwert um die letzten Meter zurück zu legen.



Der Pfeil sauste durch die Luft und traf sein Ziel unvermittelt in der Nähe des Halses. Die lange, gefiederte Pfeilspitze war deutlich durch die umhüllten Roben zu erkennen. Die Tremere schrie auf, obgleich wohl mehr aufgrund der Überraschung als vor Schmerz. Wütend zog sie sich den Pfeil aus der mäßig blutenden Wunde zu bleckte die scharfen Zähne; grollte dunkel. „Wie es scheint haben wir hier ja doch noch einen kleinen Eindringling. Ich habe keine Ahnung wie du es an meinen Wächtern vorbeigeschafft hast, aber hier ist dein Weg zu Ende, Drache!“ Mit der Bewegung ihres Stabes, hob sich die Kurbel aus der Verankerung, woraufhin sich die Verankerung der Kette löste und Emilians Körper nachgab; in die Tiefe stürzte. Mit einem gepressten Schmerzenslaut kam er ungefähr zwei Meter in der Grube an einer Hand hängend und zuvor gegen die Felswand prallend zu Stehen. Glücklicherweise fiel die Kurbel mitsamt Kette der anderen Seite nicht auch noch mit in die Tiefe, sodass er dieses Gewicht auch noch tragen musste. Mit der Linken griff er mit schwächer werdender Kraft nach der Kette und hielt sich mit beiden Händen fest um nicht an einer Hand hängen zu müssen. Sein tiefes Ächzen zeigte an, wie mühsam es für ihn war.
Sie hätte ihre grausamen Worte gerne auf genau die gleiche Art beantwortet, aber dazu blieb keine Zeit. Es waren gute 20 Meter bis zu der Tremere und ihrem Opfer. Alida suchte das Blut in ihrem Inneren um ihre Geschwindigkeit zu steigern und sprintete los.
Alida raste ihrer Gegnerin entgegen, spürte die Vitae durch ihre toten Adern pulsieren um sie damit zu neuen Höchstleistungen antreiben. Die Hexe führte die Hand durch die Luft und riss auf magische Art und Weise ein Stück des Felsen ins der Umgebung ab, dass spitz zulaufend war und ungefähr die Dicke und Länge eines Oberkörpers hatte. Mit einem hasserfüllten Schrei schleuderte sie Alida das Geschoss entgegen; diese aber rollte sich noch im vollen Lauf ab, sodass der Felsen in eine andere Formation hinter ihr krachte und donnernd in hunderte kleine Splitter zerbarst. Sie rollte sich ab und hechtete weiter, das Schwert drohend erhoben und führte einen schnellen Schlag über die rechte Schulter der Tremere. Dicke Lagen aus schwarzem Stoff teilten sich und darunter kam eine stattlich geschwärte Rüstung zum Vorschein, die leicht aber doch widerstandsfähig anmutete. Die Hexe hob drohend ihren Stab.
Der Kampf nahe an der teuflischen Grube, an der noch immer Emilian hing setzte sich unerbittlich fort. Alidas gewaltige Arme ließen die blitzende Klinge ihres Großerzeugers wieder und wieder gegen die Tremere fahren. Funken sprühten auf als Metall auf Metall traf und reflexives Ächzen und Stöhnen war von beiden Kämpferinnen zu hören. Die Hexe hob immer wieder drohend die rechte Hand, in der sich eine glühend rote Feuerkugel zu formen schien, die vermuten ließ sie könne Metall schmelzen. Doch jeder Schuss des magischen Geschosses ging in die Leere, da Alida den arkanen Künsten geschickt auszuweichen wusste und sie ihrerseits mit gut platzierten Hieben immer näher an die Kante der Plattform drängte. Es zischte als Feuerkugel auf Feuerkugel an der Unholdin vorbeiflog und in die rückwärtige Wand einschlug um dort schwelende Krater zu hinterlassen, schlussendlich rammte Alida ihr Schwert mit voller Wucht in den Bauch der Tremere, die sich wimmernd verkrampfte. Kaum war das Schwert wieder aus dem toten Fleisch gezogen worden traf ein weiterer Schlag die Hexe an just der Hand, die zuvor noch die glühenden Todesboten verschossen hatte. Ein Tritt ließ sie rückwärtig von der Plattform stürzen, wo sie zunächst regungslos liegen blieb. Alida in der kolossalen Form des Zulos zögerte nicht lange und sprang eine Etage tiefer auf den kalten Felsen; begab sich auf Höhe der verbliebenen Hängebrücken. Die Blutmagierin drehte sich ächzend auf den Rücken und hob beide Hände an um eine heiße Kugel puren Feuers vorzubereiten, und als Alida ihr vergeblich versuchte zwei weitere, tödliche Hiebe zu versetzen krachte das zischend Geschoss auf die Höhe ihrer linken Schulter und verbrannte das schwarze Leder und die tote Haut. Ein widerlicher Gestank von kochenden Fleisch machte sich breit und die blonde Händlerin brüllte schmerzverzerrt auf. Ihr Oberarm und Teile des Unterarms waren schwarz wie Kohle und auch Teile der Rüstung auf gleicher Höhe, waren nichts mehr als angebrannte Fetzen. Den Moment ihrer Qual machte sich die Hexe zunutze und richtete sich eilig auf; stürmte in heilloser Panik davon in Richtung einer der verbliebenen Hängebrücken. Alida hechtete ihr hinterher und hieb nach ihr, doch die unheilig geschwärzte Rüstung, die sie unter den dicken Lagen Stoff trug, hielt stand. Mit zwei wohlplatzierten Hieben kappte die Tzimisce die Seile der Brücke und ließ ihre Gegnerin in die Tiefe stürzen. Doch der Teufel achtete wohl ganz besonders auf die seinen und die Peinigerin ihres Erzeugers schaffte es sich mit beiden Händen an den Seilen festzuhalten und den Aufprall abzufedern. Kreischend vor Angst und Furcht, Schmerz und Schmach war es nun an ihr die Zähne zusammenzubeißen, als sie Meter für Meter der kaputten Brücke erklomm und sich ohne auch nur noch ein weiteres Mal umzudrehen, durch den nächsten Felsdurchgang verschwand. Ihren prunkvollen Magierstab hatte sie just in dem Moment fallen gelassen als die Brücke unter ihren Füßen nachgab. Die Entscheidung für einen finsteren Tod oder den Verlust ihres persönlichen Machtinstruments war ihr zumindest in diesem Moment leichtgefallen. Hatten sie die finsteren Mächte dieses verfluchten Ortes geschützt? War die Rüstung gar verzaubert gewesen oder hatte sie zuvor dunkle Opfergaben an unaussprechliche Monster dargebracht, um in ihrer Macht zu wachsen?
Alida wusste es nicht aber eines war klar: Die unmittelbare Bedrohung für den Eroberungsfeldzug und was noch viel wichtiger war, ihren Erzeuger Emilian, war besiegt und in die Flucht geschlagen worden. Niemand hätte wohl auch nur im Ansatz erfahren was Emilian Viktorovich alias Sergej Belinkov in den Untiefen von Ceoris widerfuhr. Eben jener, klammerte sich noch mit schmerzverzerrtem Gesicht an die kalte Eisenkette, als Alida zu der Grube zurückkehrte.
Alida rannte zurück zu dem Abgrund in der Mitte der Plattform. Sie sank auf die Knie und sah in die Tiefe. Emilian hing mit der Hand in der einzelnen übrig gebliebenen eisernen Kette in wohl fünf Metern Tiefe und versuchte mit der ihm verbliebenen Kraft Halt an der glatten Wand zu gewinnen. Es gelang ihm für wenige Sekunden, dann glitten seine Finger erneut an einem der runden Steine ab und mit einem Ruck stürzte er erneut einen Meter tiefer. Er stöhnte vor Schmerzen auf.
Alida sog tief und dankbar die Luft ein. Er war nach wie vor da. Existierte… Sie wollte ihm etwas zurufen, hatte aber selbst zu viel Angst vor dem Klang ihrer veränderten rauen Stimme, dass sie sich dagegen entschied. Stattdessen ging sie zu den Ketten, die ihn noch immer in der Tiefe hielten und begann diese nach oben zu ziehen bis es ihr gelang ihn bei dem letzten verbleibenden Meter durch einen Zug nach oben zu unterstützen und über den Rand zu ziehen.
Er erkannte sofort, um wen es sich bei seinem Retter handelte. Er hätte sie unter tausenden wiedererkannt, selbst wenn sie ihr Gesicht verändert hatte oder so wie in diesem Augenblick die Gestalt eines Zulos angenommen hatte. Ihr Erzeuger wäre wohl gerne zu dem Werkzeugtisch gegangen um sich dort von den Schellen zu befreien, die tiefe, böse Schnitte in sein Fleisch verursacht hatten, aber das Abstützen und Halten seines eigenen Gewichts an den hängenden Ketten hatte ihn zu viel seiner Kraft und seine Blutes gekostet. Emilian blieb vorerst mit dem Rücken auf dem Felsen liegen und sah lächelnd zu Alida. „D… Danke… das war… wirklich knapp. Wenn du nicht gekommen wärst…“
Alida hatte keine Verwendung mehr für die gigantische Kriegergestalt und schrumpfte so rasch in sich zusammen wie sie zuvor den gigantischen Körper willkommen geheißen hatte. Zurück blieb nur eine zierliche Frau, die sich auf den verwundeten Mann stürzte und ihn an sich drückte. Ihr Haar färbte sich dabei vom Braun der Dienerinnengestalt zum hellen Blond Alidas. „Ich bin so froh… Ich…“ Sie schwieg und spürte einfach nur, dass er noch da war und das genügte ihr.

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Er drückte sie an sich und hielt sie fest, die Ketten an seinen Armen rasselten. Eine ganze Weile hielt er sie fest umschlungen; wollte nur ihre Nähe und Anwesenheit spüren, die er beinahe auf ewig verloren hätte. Dann löste er sich ein wenig von ihr und küsste sie lange und leidenschaftlich. In seinem Kuss lagen der Schmerz und die Verzweiflung eines beinahe frühzeitigen Endes, das sie beide hier in Ceoris gefunden hätten. Seine Stimme war ein erleichtertes Flüstern. „Ich habe dich gehört… deine Stimme. Du hast uns vor der Flammenfalle gewarnt. Wenn Rustovich einfach weitermarschiert wäre… nicht auszudenken. Vermutlich wären wir allesamt verbrannt. Diese Festung ist auch ohne Tremere gefährlich genug.“ Sein Blick glitt angewidert zu der Grube. „Und mit Tremere ist sie es noch umso mehr.“

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 Betreff des Beitrags: Re: Die Fesseln der Macht
BeitragVerfasst: Di 5. Jul 2016, 17:01 
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Sie fuhr ihm mit den Fingerspitzen über die selbstgeschaffenen ebenmäßigen Züge bis ihr Blick an den stets gleichbleibenden rot-braunen Augen hängen blieb. Ungläubig schüttelte sie den Kopf. „Was um alles in der Welt macht ihr hier in Ceoris? Ich dachte, ihr greift von außen an während mein Lieblingsnosferatu und ich die Tore von innen öffnen. Solltest du nicht draußen vor den Toren sein und wie die Hexerin bereits verkündet hat ‚einen Drachen bändigen‘? Nie hätte ich erwartet, dich oder deinen Onkel Vladimir hier in diesen Mauern anzutreffen.“
Emilian schüttelte sachte den Kopf und versuchte sich an einem schiefen Lächeln. „Nun, normalerweise hätte es auch so passieren müssen, nur leider fand mein lieber Onkel einen nur allzu leicht bewachten Haupteingang vor. Du kannst dir vorstellen, dass er selbst auf die Gefahr eines Hinterhaltes hin nicht widerstehen konnte unverzüglich einzumarschieren. Einen Teil der Truppen ließ er den Eingang sichern, damit man uns nicht in den Rücken fallen könnte, den Drachen und seine Leibgarde unterstellte er der Hauptmacht. So kämpften wir uns schlussendlich durch alle Räume, die uns so ohne weiteres zugänglich waren.“
Sein Blick verdunkelte sich, als er die rußgeschwärzte Haut Alidas bemerkte. Überhaupt wurde ihm erst jetzt mit einem Mal vollkommen bewusst, dass sie sich beim Kampf mit der Tremere um einiges schwerer verletzt hatte als er selbst. Kritisch begutachtete er die Brandwunden. „Wir hatten eine Armee, ihr seid nur zu zweit gewesen. Deine Wunden sehen… ernst aus. Sind die Schmerzen sehr stark?“
Erst in diesem Moment bemerkte Alida wirklich die Schmerzen, die ihr die Flammenkugel beschert hatte. Sie lachte tonlos auf. „Ich war so abgelenkt und besorgt… Ich habe es kaum bemerkt. Es geht…“ Sie wollte seine Aufmerksamkeit nicht auf ihr Befinden lenken. Sie war viel zu glücklich, dass sie es geschafft hatten und es war beiden klar, dass man solche Wunden nicht innerhalb einer Nacht heilen konnte. „Wie kann Rustovich den Drachen einem Kommandanten unterstellen. Ich dachte diese Bestie wäre so gut wie überhaupt nicht kontrollierbar? Und ohne dich…?“
Emilian erhob sich aus seiner sitzenden Position und wandte sich dem Alchemie Tisch zu, der nach wie vor mit allerlei möglichen Ingredienzien und Werkzeugen beladen war. Mit flinken Fingern fischte er einige Flaschen und Gläser heraus; füllte einige Kräuter in einen Mörser und begann die Pflanzen und Öle zu einer dicken Paste zu zermahlen. „Es wird dir keine leichtere Heilung bescheren, das ist in unserem Zustand nicht mehr möglich, aber es sollte ein wenig kühlen. Ich habe auch Bandagen gesehen…“ Kurze Zeit später kam ihr Erzeuger mit der angefertigten Heil- und Wundsalbe mitsamt Wundverbänden zu ihr und deutete auf die angebrannte Rüstung. „Ich bin kein Leif Thorson oder Hippocrates aber es sollte zumindest ein wenig helfen.“ Er wartete darauf, dass sie sich entkleidete, während er weitersprach. „Der Drache war immer in Rufreichweite. Weiter als vielleicht fünfzig Schritt hat er sich nie von mir entfernt; das wäre auch gar nicht anders möglich gewesen, sonst wäre er völlig außer Kontrolle geraten.“ Mit einem leichten Nicken deutete er in die hintere Ecke einer Felsformation, wo man seine Waffen und Rüstung achtlos zu Boden geworfen hatte. „Ich habe eine Knochenpfeife angefertigt. Der Ton ist widerlich und einzigartig zugleich; es ruft den Drachen und gibt ihm gleichzeitig zu verstehen, wessen Befehl er gehorcht. Und das tut er auch nur, weil er mein Blut in sich trägt. Eine ziemliche Menge um genau zu sein.“ Er tauchte die Finger in die dicke Paste, die sich dunkelbraun färbten. „Und wir dürfen nicht viel Zeit verlieren, lange kann man ihn nicht unbeaufsichtigt lassen. Vladimir und Velya sind die einzigen die ihn ansonsten noch wenigstens kurz zur Räson rufen können aber… wie lange das funktionieren mag? Schwer zu sagen. Etwas Derartiges wurde noch nie erschaffen.“
Sie zuckte qualvoll zusammen als Emilian die Paste auf der verkohlten Haut verstrich. „Ich wusste gar nicht, dass du unter die Heiler gegangen bist. Suchst du nach einer neuen Profession? Wird dir der Handel und die Fleischformerei doch zu eintönig.“ Sie versuchte ein Lachen, das aufgrund der Schmerzen nicht recht gelang. Bei seinen letzten Worten seufzte sie. „Ich hoffe es reicht lang genug… Hast du eine Idee wie man ihn stoppen kann, wenn er seinen Soll erfüllt hat?“
Er verzog die Lippen ebenfalls zu einem leichten Lächeln; versuchte die dicke Paste zügig und ohne großes Aufheben auf den verbrannten Stellen ihres Körpers zu verteilen. Seine Finger verstrichen das Ergebnis seiner Heilkünste wie eine zweite Haut über den Brandwunden, und auch wenn es zunächst noch schrecklich brannte und innerlich zu kochen schien begann mit dem Anlegen der Verbände eine langsam einsetzende Kühle. Die rußigen Stellen an ihrer Brust und an ihrem Arm, die über die Schulter führten, waren gut in dicke Verbände gehüllt, die Salbe kühlte und linderte somit den Schmerz. Alles in allem gar nicht so übel.
Das schien auch Emilian zu denken, als er ihr wieder in ihr Rüstzeug half. Ihr Erzeuger schmunzelte. „Als ich jünger war, damals in Brügge, war ich oft im Hospital unterwegs, falls du dich erinnerst, und ich hab einiges aufgeschnappt. Besser bekomme ich es nicht hin. Ich habe das Rezept Girland mitgeteilt und er hat es immer wieder bei seinen Kindern verwendet. Bis du wieder völlig hergestellt sein wirst, wird es ohnehin noch einige Zeit und Vitae dauern.“ Ein schweres Seufzen durchfuhr den jungen Mann mit den tief braun-roten Augen, die beinahe wie Blut wirkten. „Ich hatte eigentlich gehofft, wir hätten diese Festung viel schneller eingenommen oder mein Onkel würde bald feststellen, dass es vermessen wäre ein solches Ungetüm in den Kampf zu schicken. Aber er besteht auf sein Siegeszeichen.“ Hurtig kleidete Emilian sich selbst wieder an und legte den Waffengürtel um. „Ich gebe zu, der Drache ist ein machtvolles Instrument aber ein Schwert, das man nicht kontrollieren kann, richtet sich immer gegen seinen Träger. Im Zweifelsfall müssen wir das einzige tun, was uns übrigbleibt: wir töten ihn. Und wie… nun… Es gibt einen Ton auf dieser Knochenpfeife, den er ganz besonders hasst. Das stoppt ihn kurzzeitig. Ob das viel helfen wird, vermag ich nicht zu sagen.“
Alida half ihm in die Rüstung hinein und verschnürte die Lederbänder. Dann griff sie nach seinen Schultern und drängte ihn sie anzusehen. „Ich möchte, dass du etwas weißt, Emilian. Das wird jetzt komisch und aufgesetzt klingen, aber dennoch will ich, dass es ausgesprochen ist, denn ich weiß nicht ob du und ich in der nächsten Nacht wieder erwachen werden, oder…“ Sie schwieg kurz, dann blickte sie ihn wieder fest an. „Ich bin unsagbar stolz auf dich. Du hast in all den Jahren so viele Steine in den Weg geworfen bekommen, gegen so viele Widrigkeiten angekämpft, du hast in dieser Welt hundert mal mehr Feinde als Freunde gehabt, die deinen Weg gekreuzt haben. Du hast deine Ziele verfolgt und dich dabei nie abbringen lassen. Du warst bereit dich selbst zu verändern…“ Sie zeigte auf seinen Körper, ließ den Zeigefinger von seiner Stirn bis zur Nasenspitze gleiten und berührte dann mit der Handfläche die Haut wo einst sein Herz geschlagen haben musste. „…und bist dir dabei dennoch treu geblieben.“ Sie schloss die Lippen und schwieg. „Egal, was in dieser Nacht noch passiert. Vergiss das nicht, ja?“

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Er sah sie lange und eindringlich an; sein Blick fixierte den ihren und er wirkte ernst und gefasst. Emilian Victorovich aka Sergej Belinkov schien abgelenkt zu sein; abschweifend mit seinen Gedanken in eine düstere Vergangenheit, in der tatsächlich jeder ihm den Tod wünschte und die sich just in den blauen Augen dieser Frau widerspiegelte. Ein kleiner Junge, vielleicht acht Jahre alt, der einer blonden Brügger Händlerin gerade einmal an die Hüfte reichte. Selbst sein eigener Vater war von Vladimir Rustovich, seinem Onkel, mit Todeswünschen bedacht worden.
Mit beiden Händen ergriff er ihre Hand und drückte sie. „Du hast mich nicht aufgegeben, Alida. Wo immer mich meine Reisen auch hingeführt haben, wo immer ich mich versteckt habe oder formte, wo immer Belinkov feilschte und Handel trieb; ich wusste, dass ich eines Tages nur an einen Ort zurückkehren wollte. Damals bin ich als Kind den verschneiten Brügger Feldweg in die Fremde gegangen ohne mich noch einmal umzusehen. Jetzt kehre ich als Mann zurück zu dir um zu bleiben. Frei von den Lasten unserer Familienbande und Geschichte, frei von irgendwelchen Verpflichtungen und Schuld.“ Seine Hand berührte sachte ihre Wange, er lächelte sie verschmitzt an, dann küsste er sie liebevoll. „… etwas für Erwachsene“, flüsterte er.
„Das hast du damals zu mir gesagt, als du gegangen bist. Du wolltest, dass ich verstehe, dass du mehr vom Unleben wolltest als die Existenz eines kleinen Kindes.“
Er schmunzelte bei der Erinnerung. „Ja… Nachdem du mir einige Tage zuvor eröffnet hast, dass ein Kuss etwas für Erwachsene ist, die sich lieben, also nichts für Leute wie dich und mich wäre.“ Dann ergriff er ihre Hand, bedachte diese ebenso mit einem flüchtigen Kuss und nachfolgenden Schmunzeln und sah über die Plattform in die Tiefe. „Denselben Weg werden wir nicht nehmen können. Bleiben noch zwei weitere Brücken und der Durchgang hinter uns. Welchen Weg schlägst du vor?“
Sie nickte. „Da wir beide leider nicht über Flügel verfügen, müssen wir uns wohl etwas Anderes überlegen.“ Grübelnd sah sie auf die andere Seite. „Ich werde da drüben gebraucht. Es gibt noch ein paar Kristalle, die ihren Weg finden müssen.“ Sie klopfte auf den Beutel mit den blauen Steinen an ihrer Seite.
Emilian nickte und betrachtete kurz den Beutel ohne ihr groß weitere Fragen zu stellen. „Dann waren du und Jeremiah wohl erfolgreicher als der Voivode angenommen hatte. Du kannst dir gar nicht vorstellen wie er zwischenzeitlich geflucht hat, was für eine Verschwendung es sei euch beide alleine in die Festung gehen zu lassen. Noch dazu irgendeinen ominösen Geheimgang entlang. Andrej konnte ihn halbwegs beruhigen, schließlich war es ja auch seine Idee gewesen. Wenn er erfährt, dass du ihm im Grunde das Unleben gerettet hast, dürfte er seine Einstellung zu Frontalangriffen in Tremere Festungen wohl noch einmal überdenken.“ Seine Lippen verzogen sich zu einem breiten Grinsen. „Auch ich werde gebraucht, bedauerlicherweise nicht um geheime Zugänge zu entriegeln oder Tore zu öffnen.“ Er seufzte. „Lass uns den Durchgang wählen, die Brücken sehen nicht gerade einladend aus.“ Sie wusste, dass auch er keine wirkliche Ahnung hatte wohin die jeweiligen Wege führten und einfach nur seinem Gefühl folgte.
Als ihr Erzeuger sie an der Hand nahm, um sie in Richtung Durchgang zu führen bemerkte Alida plötzlich, dass die Tremere auch in dieser Felsenhöhle einige dekorative Elemente angebracht hatten. Und eines dieser Dinge, nämlich ein Wasserspeier, der die Form einer geflügelten Wildkatze hatte, thronte stillschweigend über dem Alchemie Tischchen. Sie hätte es gar nicht gesehen, wenn nicht zuvor Emilian eine Kerze bei der Herstellung der Paste umgestellt hätte, aber je genauer sie hinsah, desto sicherer wurde sie sich: Es gab eine Vertiefung in der steinernen Statue.

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Staunend quittierte sie den Anblick mit einem Kopfschütteln. „Sieh mal einer an…“ Sie deutete auf die Vertiefung und hielt ihren Erzeuger am Ärmel zurück. Dann zog sie einen der Kristalle hervor und legte ihn ein.
Es geschah, was geschehen musste und unweigerlich flammte erneut das Zeichen der Schlange auf dem Stein vor ihr auf; durchdrang mit seiner magischen Energie den Felsen und verdichtete sich zu einer Welle astralen Leuchtfeuers, das brodelnd über die Halle fegte. Mit einem Mal bröckelten hunderte kleine Felsstücken von der finsteren Höhlendecke über ihnen, als der ganze düstere Komplex wie bei einem Erdbeben vibrierte. Emilian zog Alida reflexartig an sich und hielt sich an einem Stein fest. Der Boden unter ihren Füßen wankte und schwankte und dann, war es ihr so als würde die gesamte Plattform plötzlich in die Luft gehoben, mehrere Etagen nach oben geschoben, während der Abgrund über der Kante immer tiefer wurde. In einiger Entfernung erkannte sie noch die beiden Hängebrücken. Dann gab es ein dumpfes Knacken, als die gesamte Formation mitsamt den beiden Kainiten in luftigen Höhen anhielt und den Blick auf ein sehr breites, sehr kunstvoll gearbeitetes Tor freigab. Die Flügel standen weit offen und erst viele Jahrhunderten später, würde man diese merkwürdige Konstruktion als Aufzug im Wörterbuch wiederfinden. Emilian sah sie erstaunt an, blickte sich vorsichtig um als ob er gleich eine weitere magische Teufelei erwarten würde. „Passiert das… öfter, wenn man mit deinen Kristallen arbeitet?“ Er versuchte sich einen kleinen Scherz zu erlauben und dabei zu lächeln, aber es wollte ihm nicht so ganz gelingen. Diese Festung war ihm immer noch nicht geheuer.
„Wahnsinn.“ Die Frau aus dem Westen konnte nicht glauben, was sie soeben erlebt hatte. Nur mit Mühe ließ sie die Hand ihres Erzeugers los. „Vielleicht gehören wir tatsächlich irgendwie dem falschen Clan an, hm? Solche Hexerei wäre etwas ausgesprochen praktisches… Diese Steine öffnen definitiv Tore. Das hab‘ ich bereits gelernt.“ Sie sah sich nach dem Leuchten um, das das nächste Siegel aufzeigen würde.
Sie bemerkte wie die Energiewelle sich noch immer fortzusetzen schien und über den Boden vor den Flügeltüren in den nächsten Raum kroch und wenn sie durch die prunkvollen Türen sah, erblickte sie eine fürstliche Halle, die eines Monarchen würdig gewesen wäre. Lilliane wäre erstarrt vor so viel erhabener Handwerkskunst.

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Filigrane Einlegearbeiten und goldüberzogene Fresken mit Bildern und Porträts, Landschaften und reicher Symbolik zierten die runden, hohen Decken. Üppige Marmorsäulen, mit Edelsteinen besetzt, umrahmten den langen, gefliesten Weg, der mit breiten, roten Teppichen ausgelegt war. Hohe Kronleuchter mit hunderten von Kerzen warfen ein dumpfes Licht auf die unzähligen Spiegel zu beiden Seiten, die so hoch waren wie drei erwachsene Menschen und so breit wie ein halbes Scheunentor. Das glosende Leuchten der Magie setzte sich über den Boden fort und leuchtete ganz schwach am Ende der Halle. Wie in weiter Ferne, als eine Art Nachhall an freudigere Tage, hörte Alida die sachten Klänge einer fröhlichen Weise, die so unwirklich wirkte, dass es ihr fast schon unheimlich war



Emilian klappte der Mund nach unten und er nickte ehrfürchtig. „Es wird immer besser. Diese Kristalle scheinen tatsächlich… Dinge in Gang zu setzen. Was hat es für eine Bewandtnis mit ihnen und woher weißt du, wie du sie verwenden musst? Hat Andrej so viele Geheimnisse aus den Untiefen des feindlichen Lagers zutage gefördert?“

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 Betreff des Beitrags: Re: Die Fesseln der Macht
BeitragVerfasst: Fr 8. Jul 2016, 21:27 
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„Hörst du das auch?“ Alida sah sich nach der Quelle der seltsamen Musik um und musterte den wunderbar seltsamen Raum. Auf seine letzte Frage schüttelte sie den Kopf. „Diese Kristalle verschieben Wände, öffnen Türen und entschärfen die Fallen, die in diesen Mauern lauern. Ich habe mich unterwegs mit einem jungen Magier unterhalten, der uns ein wenig darüber mitgeteilt hat.“

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Emilian nickte und versuchte ebenfalls die Quelle der eigentümlichen Musik auszumachen; scheiterte aber genauso wie Alida an der einfachen Tatsache, dass die gedämpfte Notenfolge keine bestimmte Richtung zu haben schien, sondern eher in weiter Ferne um sie herum spielte. Und obgleich die Melodie eine fröhliche Weise anstimmte, die möglicherweise sogar gut auf dem einen oder anderen Fest tanzbar gewesen wäre, wirkte es gerade in diesem unwirklichen Spiegelsaal beinahe bedrohlich und einengend. Als wäre all der Prunk und all der Teppichglanz nur da um sie zu verspotten. „Die Tremere haben schon eigentümliche Möglichkeiten erdacht sich selbst und ihre Geheimnisse zu schützen.“ Er lächelte schwach. „Was jedoch nichts daran ändert, dass ihre Magie beeindruckende Dinge bewirken kann, wie ich mir offen eingestehen muss. Ihr habt einen jungen Magier getroffen, der euch einfach so ohne weiteres die Geheimnisse der Festung offenbar hat?“, fragte er halb erstaunt, halb amüsiert. Natürlich wäre ihm klar, dass niemand so einfach den Generalschlüssel überreicht bekommen würde.
Alida trat einen Schritt näher auf die Halle zu. Sie aktivierte Auspex um ein Gespür dafür zu bekommen, ob diese wunderschönen Wände real oder nur ein magisches Konstrukt waren. Dann sah sie wieder zu dem Mann an ihrer Seite. „Hm… Durch unglückliche Umstände war sein Lehrmeister der Meinung sich einen Kampf mit uns liefern zu müssen, den er leider verlor… Er wurde unter Wissen begraben… Nennen wir es: ein Bücherregal. Seinem Schüler ging es so ähnlich wie uns: Er wollte einfach nur raus aus dieser Festung. Wir haben ihm einen Fluchtweg eröffnet und ihn gehen gelassen. Dafür hat er sein Wissen mit uns geteilt. Ich hoffe, dass der Junge es geschafft hat. Er hat es nicht verdient in diesen Krieg mithinein gezogen zu werden und dabei das Leben auszuhauchen.“
Emilian nickte und schüttelte beinahe ungläubig den Kopf. „Wer hätte gedacht, was ihr noch so alles in diesen Hallen finden würdet? Alte Magiermeister und deren Schüler, die den Hexern aus irgendwelchen Gründen zur Seite stehen, selbst wenn Ceoris längst verloren scheint?“ Mit einem weiteren Kopfschütteln setzte er den Weg über weitläufige, kostspielige Teppiche fort. „Ich bin froh, dass euch nichts passiert ist. Die Magi sollte man nicht unterschätzen, genauso wenig wie die Wolflinge. So vieles treibt sich da draußen herum und wir sind nicht das einzige, dass den Sterblichen oftmals schlaflose Nächte bereitet.“
Während sie sich langsam weiter durch die eigentümliche Spiegelhalle nach vor bewegten; immer dem grünen Licht entgegen, das in der Ferne schon langsam wieder verblasste, versuchte Alida mit Hilfe ihrer übernatürlichen Sinne eine mögliche Täuschung in dieser seltsamen Szenerie zu entdecken. Es war schwierig mehr als das Offensichtliche wahrzunehmen... und auch wenn sie vielleicht nicht gleich einen magischen Trick zu erkennen glaubte, vernahm sie doch ein kaum wahrnehmbares Geräusch hinter sich. Ohne ihr verlässliches Auspex hätte sie es wohl nie bemerkt: Ein Schlurfen am Teppich. Emilian vor ihr schien soeben noch eine der Fresken kritisch zu beäugen und hatte offenbar nichts bemerkt.
Sie griff fest nach seiner Hand und erstarrte. Ihre Rechte ging zum Griff des Schwertes. Dann drehte sie sich rasch um.

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Sie erkannte ein bekanntes Gesicht neben einem der Spiegel.
Ein unmerkliches, schiefes Lächeln erschien auf den Zügen der blonden Händlerin. Ihre Stimme war nur ein Flüstern, das sie mehr an sich selbst gerichtet hatte. „Lucien?- Vergiss es! Darauf fall ich nicht mehr rein!“ Alida ließ ihren Blick über die Spiegel und Säulen wandern. Sie wusste genug, um irgendwo den wahren Urheber der Vision ihres alten Freundes zu vermuten. Sie verstärkte ihren Griff um Emilians Finger und sprach leise. „Wen siehst du denn hier in dieser Halle? Lucien Sabatier, so wie ich? Oder hast du Girland oder irgendjemand anderen vor Augen, der dir seine Aufwartung machen will?“ Sie zog die Klinge.
Emilian zog ebenfalls sein Schwert und richtete die Spitze bereits in Richtung des vermeintlichen Gangrel. Vor einer guten Weile hatte er bereits mit dem Hauptmann zu tun gehabt; kannte daher das Gesicht und die Erscheinung des kaltschnäuzigen Wilden. Ihr Erzeuger drückte ihre Hand erneut, ließ sie dann los um das Heft mit beiden Händen zu umfassen und drehte sich suchend und kampfbereit in der prunkvollen Halle umher. „Eine Illusion oder Täuschung also?“, fragte er ohne eine wirkliche Antwort darauf erhalten zu wollen; dafür war es zu offensichtlich, dass Lucien Sabatier ganz sicher nicht so einfach aufs geradewohl nach Ceoris geritten war. „Diese Tremere sind besser als ich dachte.“ Aus ihren Augenwinkeln konnte sie eine weitere Bewegung wahrnehmen, als einem der Spiegel eine ebenfalls bekannte Gestalt entstieg. Ganz so als wäre der Spiegel nichts mehr als eine Tür oder ein Vorhang, den man nur lüften müsse um in den hoch dekorierten Saal voller Gold und Geschmeide zu gelangen.
Mit einer kurzen weiteren Bewegung, wiederholte sich das Schauspiel zwei weitere Male, als noch zwei weitere Gestalten sich aus der spiegelnden Oberfläche lösten: Lilliane und Gerrit.
Emilian drehte sich nacheinander, das Schwert in Richtung der vermeintlichen Feinde haltend, zu den jeweiligen Spiegeln und in seinem Gesicht lag eine angewiderte Kälte. Dieser Saal war kein gewöhnlicher Saal, soviel stand wohl mittlerweile ohne Zweifel fest. Dann vernahm man ein nahezu erheitertes Lachen und als ob es sich bei ihr um ein völlig ordinäres Spiegelbild handeln mochte, sah die blonde Händlerin mit einem Mal die Gestalt der geflohenen Tremere in einer der polierten Oberflächen auf der gegenüberliegenden Wand. Triumphierend kicherte sie und hielt sich dabei dezent die Hand vor den Mund. „Wie entzückend. Zwei Drachen im Spiegelkabinett ihrer eigenen Gedanken. Es ist wirklich jammerschade, dass mir nicht mehr ausreichend Zeit bleibt um diesen Spaß mit eigenen Augen mitzuerleben.“
Alida schüttelte nur ungläubig den Kopf. Verdammt! Sie sah zu Emilian und baute sich so auf, dass sie ihm den Rücken decken konnte. Panisch versuchte sie eine Möglichkeit zu finden, den Spuk beenden zu können. Denn nur, weil diese Visionen aus ihren eigenen Gedanken entstanden waren, bedeutete das nicht, dass sie nicht wirklich verletzten konnten.
Die Gestalten, die offenbar, wie sie bereits ohne groß darüber nachzudenken als Projektionen ihrer eigenen Gedanken identifizieren konnte, zogen nacheinander die Klingen und wenn sie einen kurzen Moment darauf verschwenden würde, ihre Gegner genauer zu beobachten, so würde sie unweigerlich feststellen, dass alles an ihnen stimmte. Mit einer Ausnahme: Alles an Lucien, Liliane, Leif und Gerrit war spiegelverkehrt. Eben wie sich das nun einmal verhielt mit den Abbildern seiner selbst oder anderen. Und die Vermutung lag tatsächlich nahe, dass diese Abbilder scharfe Klingen besaßen: wie die Scherben eines Spiegels. Da war es egal, ob ‚Lucien‘ das Schwert nun in der linken oder in der rechten Hand führte.
Emilian stellte sich Rücken an Rücken zu ihr und ließ die Brügger Belegschaft nicht aus den Augen, während Alida sich fieberhaft nach einer Lösung umsah. Sie kramte in ihrem Gedächtnis nach allem was sie bisher über Illusionen, Magie, die Kristalle und nicht zuletzt über Ceoris wusste oder in Erfahrung hatte bringen können und kam zu dem Urteil, dass zwar das Einsetzen des Kristalls höchstwahrscheinlich auch die magischen Flüsse in diesem Raum zum Erliegen bringen würde, aber der Weg bis dahin gesäumt war von dutzenden anderen Spiegeln. Möglich das demnächst Girland und Ivan durch die Spiegel traten und sich ihnen in den Weg stellten. Die beste Chance, die sie wohl hatten, war, die Spiegel zu zerstören aus denen die Gedankenabbilder entstanden waren. Wer oder was immer sie auch gerufen hatte, brauchte eine Projektionsfläche, über die er ein geistiges Abbild ihrer Gedanken legen konnte. Dazu musste sie sich aber zumindest wohl soweit freikämpfen, dass sie einen wohlplatzierten Schlag auf den Ursprungsspiegel setzen konnte.
Sie presste ihren Rücken an den von Emilian um zu spüren, dass er hinter ihr stand. „Du? Ich hab keine Ahnung, wie die Hexe das macht, aber ich vermute, es hat mit den Spiegeln zu tun. Ich glaube, wir können diese Visionen nicht endgültig vernichten… Wir sollten versuchen, die Spiegel zu zerstören!“ Sie versuchte die Entfernung zum nächsten der Ursprungsspiegel abzuschätzen. Konnte sie an den ihr so bekannten Gestalten vorbei kommen?
Emilian nickte und umfasste das Heft mit einem festen Quietschen des rauen Leders seiner Handschuhe fester; nickte beiläufig und bestätigend ohne die näher kommenden Gestalten dabei aus den Augen zu lassen. Sie waren beide verwundet; Alida womöglich noch mehr als er. Vielleicht waren diese Wesen anders als tatsächliche Kainiten, vielleicht bekamen sie aber genau jene Macht der Abbilder, die Alida ihnen in ihren Gedanken zugestand. Mit anderen Worten: Gerrit verfügte über unglaubliche Kräfte, Lucien war kaum zu verwunden und Liliane war schnell wie der Blitz und in diesem Fall sogar mehr als bereit dazu jemanden zu töten.
Ihr Erzeuger nickte und blickte knapp über die Schulter. „Du nimmst Lucien und euren Heiler, wenn ich mich nicht irre? Ich habe das Fräulein und ein Monster vor mir. Wir müssen versuchen uns durch sie hindurch zu kämpfen und dann einen schnellen Schlag landen. Sollte deine Vermutung stimmen, dann dürfen wir uns gar nicht lange damit aufhalten die Wesen an sich zu verletzen.“ Er sah sie ein letztes Mal auffordernd an. „Auf dein Zeichen…“

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Alida holte ein letztes Mal Luft. Sie spürte die Schmerzen in der Schulter als ihre Muskeln sich anspannten. „Los!“ Dann sprintete sie auf den Hauptmann der Nachtwache, den Schattenwolf von Brügge zu und versuchte ihm auszuweichen.
Emilian stürzte im gleichen Atemzug, da Alida ihr Kommando gebrüllt hatte, nach vor und hob verteidigend die Klinge. Sie hörte hinter sich das harte Metall von Äxten, Schwertern und Dolchen aufeinandertreffen. Doch auch die Unholdin selbst hatte mit den Abbildern von Lucien und Leif ausreichend zu tun, zumal ihr die heiser kichernde Tremere eine äußerst schwer heilende, schmerzende Brandwunde zugefügt hatte. In einem Moment der Unachtsamkeit, dachte sie Leif näher zu wissen als es eigentlich der Fall war und riss das Schwert um Luciens Hieb zu paradieren ein Stück zu früh nach oben. Sie bekam einen blutigen Schnitt in die noch unverletzte Seite, der ihre ohnehin schon ordentlich malträtierte Rüstung nur weiter in Mitleidenschaft zog.
Durch die Wucht des schweren Bastardschwerts wurde sie vornüber in den Spiegel geschleudert, der in tausende Scherben zerbrach und ihr auf die blonden, blutverschmierten und teilweise angebrannten Haare regnete. Das Schwert ihres Großerzeugers fiel ihr klirrend aus der Hand und rutschte ein paar Meter über den Teppich, bevor sie böse getroffen die Augen vor dem glitzernden Splitterregen abschirmte. Im selben Moment riss das Abbild von Lucien den Mund weit auf und starrte stumm zur Decke des Raumes, begann zu flackern und zu pulsieren, wie das Spiegelbild auf einer Wasseroberfläche; dann zerbarst auch er in tausende kleine Spiegelscherben, die sich noch im Flug zu feinem Sand auflösten. Nur Bruchteile Sekunde später, schien das gleiche mit dem Abbild Lilianes zu passieren, als Emilian mit aller Kraft gegen den Spiegel schlug, ehe ihn der dumpfe Aufprall von Gerrits Axt aus dem Gleichgewicht brachte und in weitem Bogen gegen eine der Säulen schmetterte.

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Wie leblos blieb er liegen und Alida schrie vor Panik auf als sie darauf wartete, dass sich sein Körper in Asche auflösen würde.

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Dann sah er mit entsetzten Augen zu ihr. „Alida! Nein!“. Mühsam richtete er sich wieder auf.
Von irgendwoher hörte man das böse Gelächter der Tremere, die sich hämisch über die Situation freute. Vielleicht hatte sie zwei der Abbilder als Kämpfer verloren, aber Alida war unbewaffnet und stand Leif Thorson gegenüber.
Alida hatte keine Chance. Sie wusste genau, dass sie einem Schlag von Leif nicht viel entgegen setzen konnte. Sie lag zusammengesunken am Boden und wich nach hinten aus. Sie suchte in der einzigen Möglichkeit Rettung, die ihr Körper ihr instinktiv aufdrängte. Sie ließ erneut zu, wie sich ihr Körper veränderte und in die Lage versetzt wurde, dem was kommen sollte vielleicht entgegen zu stehen.
Alida riss geistesgegenwärtig den Kopf vom Spiegel weg und kümmerte sich nicht um das zerbrochene Glas, den sich allmählich auflösenden Lucien oder den näherkommenden Leif. Sie war unbewaffnet, verletzt und lag am Boden. Eine unglücklichere Ausgangssituation konnte sie sich nicht vorstellen und selbst wenn die Spiegelbilder des Brügger Rates scheinbar nicht über das volle Ausmaß der Kräfte ihrer Originale verfügten, so reichte doch ihre bisherige Verwundung mehr als aus um sie in ernsthafte Bedrängnis zu bringen. Mit einem tiefen Brummen, das ihrer Kehle entfuhr, rollte sie sich vom Spiegel weg und hechtete in Richtung des metallenen Erbstückes von Victor, das nur wenige Meter von ihr entfernt auf dem Boden lag. Sie bekam das Heft zu fassen und ließ die kostbare Vitae durch ihre Adern fließen und ihren geschundenen Körper erneut mit der Macht der Drachen anschwellen. Der knappe Seitenhieb von Leif vermochte sie nicht mehr zu verletzen.
Es hieß wohl alles oder nichts, denn Emilian hatte offenbar große Mühe seinen Zorn und seinen Hass auf dieses Abbild Leifs im Zaum zu halten. Alida war in höchster Gefahr und doch sollte er sich auf seinen Teil des Plans konzentrieren.
Es kostete Emilian nur wenige Sekunden um seine Gestalt in die Höhe wachsen zu lassen, Muskeln entstehen zu lassen, wo sie gebraucht wurden und die Hände zu tödlichen Klauen zu verändern, aber diese kurzweilige Ablenkung genügte für Sir Aldur völlig, um Emilian die scharfe Axt tief in die Seite zu rammen. Mit letzter Kraft und mit einem markerschütternden Schrei aus Schmerz, Wut und Angst um die blonde Händlerin ließ der Unhold das Schwert gegen den Spiegel fahren. Der Spiegel zerbarst und auch ‚Gerrit‘ verabschiedete sich in einer flackernden, explodierenden Säule aus Splittern und Sandregen. Der Tzimisce biss die Zähne mit den ausgefahrenen Fängen zusammen und starrte hasserfüllt in Richtung des letzten verbliebenen Gegners, während er eine Hand auf den gezackten Schnitt an seiner Seite presste. Obwohl die Axtschärfe glatt gewesen war, war die verursachte Wunde gezackt – wie eine Scherbe.

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Das Lachen der Tremere war kurzeitig verstummt, als sie erkannte, dass sie noch nicht ganz am Ziel ihrer tückischen Pläne angekommen war. „Töte Sie!“, rief sie wutentbrannt. „Töte Sie alle beide!“
Alida fletschte die Zähne und warf sich herum, rappelte sich auf. Ihr blieben nur wenige Sekunden bis ein weiterer Angriff folgen würde. Sie versuchte mit einem letzten Ansturm Leif auszuweichen und hielt auf den Spiegel zu aus dem die letzte Vision gekommen war.
Aufgrund ihrer physischen Verfassung war ihr die Kontrolle über ihren Körper durch zahlreiche sehnige Muskeln und die kräftige Statur nicht mehr ohne weiteres möglich.
Der letzte Hieb des Salubri Imitats durchdrang erneut die russische Drachenrüstung und schnitt eine gezackte Scherbenwunde in ihren Unterleib. Das Schwert ihres Großerzeugers ging krachend auf den Spiegel nieder, der unwiderruflich in tausend Teile zersprang und somit das Heiler Abbild vernichtete.
Der rote Teppich war über und über mit feinem Sand und Glassplittern übersäht und im Hintergrund zog die Tremere ein Gesicht, als eine Schlacht verloren wäre.
Emilian eilte zu seiner Geliebten und beugte sich zu der an den Spiegel gelehnten Brüggerin. Wutentbrannt sah er die Hexe in ihrem Spiegel an und in seinen Augen gefror das Feuer der Hölle zu Eis. „Das werde ich dir niemals verzeihen, Hexe! Hörst du? Niemals! Dafür wirst du bluten, das verspreche ich dir!“
Die Tremere wirkte mit einem Mal gar nicht mehr so von sich überzeugt und knirschte nur mit den Zähnen. „Für heute habt ihr gewonnen, aber andere Nächte werden folgen. Ich werde persönlich dafür sorgen, dass ….“
Weiter kam sie nicht, denn Emilian hatte das Schwert nach dem Spiegel geworfen, der bei dem Aufprall ebenfalls zersprang und mit einem unerträglichen Schaben wie verzerrtes Kratzen über eine blanke Tafel zu Sand zerfiel. Es dauerte nicht lange und nacheinander zersprangen auch alle restlichen Spiegel im Saal; lösten sich in kleine unscheinbare Häufen aus Sand aus. Es klirrte und schepperte, krachte und kratze bis wieder eisernes Schweigen und Totenstille im Raum einkehrte. Auch die Musik war verklungen.
Der Unhold beugte sich zu Alida, zog sie zu sich heran und betrachtete sie mit höchster Sorge. Seine Stimme in der Zulogestalt war befremdlich tief und rau. „Mein Gott Alida! Ist alles in Ordnung? Sag was… bitte…“ Er wirkte fast ungewohnt panisch und unbeherrscht, so als ob die Sorge um sie alle eigenen Wunden vergessen machte.
Alida sah ihn kurz an, dann schloss sie erschöpft die Augen, legte den Kopf auf den dicken Teppich und atmete tief ein. Was für ein Kampf. Und entgegen ihrer Erwartung existierten sie weiter. Sie war zu entkräftet um zu antworten, spürte den Schmerz in der Schulter, dem Unterbauch, dem rechten Bein… Alles an ihr war durch Schnittwunden zerstört.
Voller Qual versuchte sie sich stöhnend aufzusetzen. Sie wusste, dass sie ihre Wunden heilen musste, wenn sie hier wieder heraus kommen wollte. Ihr Körper nahm wie von selbst wieder die ursprüngliche Form an als sie versuchte ihre Verwundungen zu heilen und sie spürte den Hunger, der an ihr riss und das Tier, dass sich begehrlich an die Oberfläche zu kämpfen begann. Sie ballte die Fäuste und drängte es tief in ihr Inneres zurück, aber sie wusste, dass es lauerte und geduldig wartete.
Alida lächelte als sie Emilian wieder ansah. Sie griff nach seinen Fingern und führte sie für einen kurzen Kuss an die Lippen. „Du bist noch da… Wir sind noch da. Das ist doch was, oder?“
Nur kurz darauf legte Emilian seine eigenen Lippen an ihre trotz der Strapazen völlig kühle Stirn und küsste diese; strich sachte eine ihrer Haarsträhnen nach hinten. Liebevoll sah er sie aufmunternd an. „Das ist sogar eine ganze Menge, denn manche können nicht einmal das von sich behaupten.“ Er hielt ihre Hand und spürte förmlich den Aufwand an Kraft und Vitae, den sie aufbringen musste um das grollende Tier wieder in die Untiefen ihres Bewusstseins zu verbannen.
Er sah kurz zu dem kaum noch glühenden Licht und kniff die Augen zusammen. „Ich denke, ich sollte mich auch nützlich machen. Du ruhst dich kurz etwas aus und lässt den Fluch für dich arbeiten. Währenddessen werde ich einen weiteren ‚Schlüssel‘ aktivieren oder ein Siegel brechen.“ Er schmunzelte. „Oder wie immer man das gerne nennt.“ Der Unhold führte nun seinerseits ihre Hand an ihren Mund, küsste sie dabei immer noch schmunzelnd und wollte schon nach ihrem Beutel mit den Kristallen greifen.
Alida versuchte schwach zu protestieren. „Ich sollte mitkommen und mit dir nach dem nächsten Siegel Ausschau halten. Vier Augen sehen mehr als zwei und die Zeitspanne bis der Weg zu diesem Schlüssel zu erkennen sein kann, ist kurz.“ Sie rappelte sich langsam nach oben und versuchte sich gerade zu halten.
Er schüttelte nur den Kopf. „Ich verstehe, dass es dir wichtig ist und möglicherweise hast du sogar recht, aber du bist derzeit nicht in der Verfassung dich groß zu bewegen. Lass uns eine Weile warten, bis sich deine gröbsten Wunden wieder geschlossen haben. Ich werde auch die Siegelmarkierung weiter im Auge behalten.“ Und wie als müsse er ihr beweisen, dass auch er dazu in der Lage war schier übernatürliche Sinne zu entwickeln, warf er erneut einen Blick zum Ende des Saales, in dem sich nach wie vor Spiegelscherben und Sand quer verstreut miteinander abwechselten. Als sie sich wankend aufrichtete, war er an ihrer Seite um sie zu stützen und ihr Halt zu geben. „Möchtest du dich nicht vielleicht noch ein Weilchen hinsetzen?“ Er klang besorgt aber es machte soweit den Eindruck, als könne man sich eine kurze Verschnaufpause leisten. Die Tremere und die magischen Spiegelgestalten waren besiegt; soweit schien man in Sicherheit.
Sie nickte schließlich und sah zu dem Zulo auf. Sie lehnte sich mit dem Rücken an eine der Säulen und wartete einen Moment. Es war tatsächlich sehr anstrengend und schmerzvoll für sie, als sich totes Gewebe und gebrochene, geborstene und verrenkte Knochen wieder in ihre ursprüngliche Form begaben; Fettschichten darüber schlossen und geplatzte, zerschnittene Haut wieder über ihren toten Körper legte. Sie fühlte die Macht der Vitae durch ihre Adern streifen, aber ihre Reserven reichten nicht aus ihre Wunden vollends zu schließen; überließen sie nur weiterhin den stechenden und gelegentlich brennenden Schmerzen in ihrem Fleisch.
Wenigstens die Verbrennungen waren durch die kühlenden Verbände Emilians einigermaßen erträglich. Ihr Erzeuger sah sie sich vorsichtig an; beugte sich mit seinem massigen Körper über sie. „Das sieht nicht wirklich gut aus, Alida." Er streckte ihr seinen dicken, muskulösen Arm hin, der in dieser Form über schier übermenschliche Kräfte verfügte und das Genick eines Menschen mit einer einzigen Drehung zu brechen vermochte. "Du brauchst dringend Blut und da wir keine andere Blutquelle zur Verfügung haben, zumindest noch nicht... Trink. Es ist wichtig, dass du bei Kräften bleibst. Wir sind noch nicht ganz über den Berg."
Alida schluckte und konzentrierte sich auf seine rot-braunen Augen, das einzige, das noch an ihren Erzeuger erinnerte. „Bist du dir sicher? Wenn du mir von deinem Blut gibst, schwächst du dich dabei selbst und wer weiß, was uns hier drin noch erwartet? Außerdem… es wird mir mit dem Hunger, den ich habe, schwer fallen aufzuhören. Bekommst du das hin?“ Sie erwartete eine ehrliche Antwort von ihm. Ihrer beide Existenz hing davon ab.
Emilian nickte langsam mit seinem monströsen, schorfigen Schädel, an dessen Schläfen die Ohren spitz zuliefen. Er entgegnete ihren Blick mit diesen eigentümlichen und doch so selbstverständlich blutroten Augen, die niemand sonst auf dieser Welt besaß. „Es ist uns nicht geholfen, wenn du kaum laufen kannst, geschweige denn aufrecht stehen. Ich zähle darauf, dass wir zu zweit mit ein wenig Blut als Reserve besser durch den Rest dieser Festung kommen werden, als ich alleine mit ein wenig mehr und du kaum in der Lage bist deine Füße zu bewegen.“ Mit runzeligen, langen Fingern strich er ihr über die Wange. „Außerdem lasse ich dich sicher nicht leiden, damit ist nämlich ebenfalls niemandem geholfen. Wir schaffen es schon und du wirst einfach versuchen dich so gut wie möglich beim Trinken zu beherrschen. Ich passe auf uns auf…“ Aufmunternd mit einer Reihe spitzer, fast stacheliger Zähne lächelnd, hielt er ihr erneut den Arm hin.
Sie verzog den Mund zu einem schiefen Lächeln. Welch grotesker Anblick. Als sie ihn zum ersten Mal in Zulo Gestalt gesehen hatte, war sie fast aus dem Zimmer geflohen… Nun legte sie dem riesenhaften Kriegerunhold die Finger in den Nacken und zog ihn zu sich. Ihre Lippen berührten sich und sie fuhr ihre scharfen Fänge in sein weiches Fleisch. Der vertraute Geschmack seines Blutes war wie immer Erlösung und brennende Sehnsucht zugleich. Sie wollte mehr von ihm, saugte voll Inbrunst und spürte, wie der Hunger, der ihren Körper zu zerreißen schien langsam abklang.
Das Monstrum, das nach wie vor ihr Erzeuger war, grollte beinahe zufrieden, als sich die scharfen Fänge der Händlerin in sein wulstiges Fleisch bohrten. Als sie Zug um Zug von ihm trank, ächzte und stöhnte Emilian gelegentlich schwer unter dem bittersüßen Bann des kainitischen Trinkens, das jeden mit seinem unheiligen Zauber gefangen hielt.
Sie spürte das Verlangen nach der kanitischen Vita, das um so vieles stärker war als es der Geschmack von sterblichem Blut je sein konnte. In anderen Nächten war es ein seltsames Geben und Nehmen, wenn sie aneinander hingen und sich das vom anderen nahmen, was sie brauchten. Ein wunderbares, gefährliches Spiel, das seinen, für die meisten Kainiten unvorstellbar teuren, Preis kostete: das Blutsband.
Jetzt trank sie allein von ihm und ihr Körper gierte nach mehr davon Sie versuchte sich zusammen zu reißen und es fiel ihr mehr als schwer. Mühsam kämpfte sie sich von ihm los, verschloss die Lippen um wenige Sekunden später die Fänge erneut in seinen Hals zu graben und dort weiter zu saugen und sich der vollkommenen Erfüllung hinzugeben. Verdammt, was tat sie hier?

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Er spürte ihr unsterbliches Verlangen; ihre unweigerliche Gier nach Blut. Seinem Blut, das sie immer heftiger saugend aus seinen toten Adern trank. Emilian knurrte, sich nach ihr und ihrem Trinken verzehrend und merkte selbst kaum, dass sie dabei immer näher an eine Grenze kamen, die niemand von ihnen beiden je überwunden hatte oder überwinden hatte wollte. Wie in einem alles verzehrenden Strudel aus Verlangen, Notwendigkeit, Gier und ekstatischer Lust blieb er eine quälend lange Zeit in ihrem Biss gefangen und gerade noch rechtzeitig, begannen sie als auch er selbst sich gegen den drohenden Abgrund, den Verlust jeglicher Beherrschung und der so schmählich vernachlässigten Vernunft, zu wehren.
Alida stoppte und knurrte wie ein Raubtier, das kurz davor stand die saftigsten Stücke ihrer Beute zu reißen und der monströse Unhold vor ihr ließ es ohne zu Zögern zu, auch wenn ihn eine kleine Stimme in seinem Inneren mehrfach davor warnte.

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Sie riss sich von ihm, taumelte gegen die Wand und er sank reflexartig keuchend auf die Knie, schüttelte den massigen Kopf wie um einen bösen Gedanken zu vertreiben oder wieder zu Sinnen zu kommen. Ja, sie waren drohend am Abgrund vorbeigeschlittert…
„Du… hast… widerstanden… auch wenn es nicht einfach war. Niemand weiß besser als ich, was es heißt sich diesem Verlangen entgegenzustellen und ihm nicht nachzugeben.“
Es entstand eine knappe Pause in der Emilian seine Kräfte sammelte und die letzten Überreste dieses nahezu göttlichen Gefühls ihrer Fänge in seinem toten Fleisch abschüttelte. „Ich bin stolz auf dich…“, fügte er mit einem schwachen Lächeln hinzu.

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Der Weg zum Ziel beginnt an dem Tag, an dem du die hundertprozentige Verantwortung für dein Tun übernimms.
Dante Alighieri


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 Betreff des Beitrags: Re: Die Fesseln der Macht
BeitragVerfasst: Mo 11. Jul 2016, 21:41 
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Alida sah ihr bestürzt an. „Das ist leider nichts, worauf es sich lohnt stolz zu sein.“ Sie schüttelte vehement den Kopf. „Ich hätte… Es hat nicht viel gefehlt…“ Sie schloss den Mund und schwieg, schaute ihn nur zögernd an. „In all den Jahren meiner Existenz war ich mit Ausnahme der Nacht in der ich von dir den Kuss erhielt, noch nie so nah am Abgrund wie heute. Nie hat ein Kampf bei mir solche Wunden hinterlassen und ich habe noch niemals so viel Vitae verzehren müssen… Der Hunger, der dabei entsteht ist schier unvorstellbar. Es macht mir Angst, wenn ich dich dadurch, dass ich nicht in der Lage bin die Kontrolle zu behalten, in Gefahr bringe. Wenn ich dich…“ Sie sprach nicht weiter. Ihr Kontrollverlust hätte ihn in Gefahr bringen können und das war etwas, das sie sich selbst vorwarf, egal wie groß der Hunger gewesen sein mochte. Sie hätte sich nie vergeben.
Emilian sah die Furcht in ihrem Blick und erhob sich langsam und trat auf sie zu. Vor ihr ging er ernuet in die Knie um sie auf Augenhöhe ansehen zu können. Seine Klauen umschlossen ihre Schultern und er sah sie fest an. „Alida? Du hättest mich nicht vernichten können. Ich hab genua wie du aufgepasst. Un dselbst wenn du mir den allerletzten Blutstropfen aus dem Leib gesaugt hättest, wäre ich nicht vernichtet. Ich wäre in Starre.“ Er nickte um seine Wort ezu bekräftigen. Danach erst beginnt die eigentliche Vernichtung, der Amaranth, und das ist ein Kampf, der so unvorstellbar hart und grausam ist… Den würdest du niemals unbewusst kämpfen. Glaub mir, ich weiß, wovon ich rede.“ Er schloß sie in die monströsen Arme. „
„Ja, ich weiß aus eigener Erfahrung ganz genau, wie sehr es entsetzt, wenn man die Kontrolle verliert, wenn man rast oder den letzten Blutstropfen aus jemandem saugt, den man geachtet und geschätzt hat.“ Er wandte den Blick ab und half ihr beim Aufstehen. „Das einizeg, das uns bleibt ist, dass wir nie vergessen dürfen, dass dieser Hunger stets in uns ist; begierig darauf wartet die Kontrolle zu übernehmen, um uns zur wilden, ungezähmten Bestie verkommen zu lassen. Das sind die Fesseln der Macht. Keine Krankheit kann uns dahinraffen, kein einfacher Schwerthieb verletzen. Der Sturz von einem Hausdach kostet uns nur ein Lächeln und wir gebieten über übermenschliche Kräfte und Fähigkeiten.“ Emilian zog sie näher an sich und küsste sie erneut auf die Stirn. „Es werden immer wieder solche Momente kommen, das ist unumgänglich mit diesem Leben verknüpft. Manchmal gewinnen wir, manchmal verlieren wir.“
Seine Lippen legten scharfe, lange Reihen von Zähne frei, als er versuchte ihr aufmunternd zuzulächeln. „Fühlst du dich soweit gestärkt unseren Weg fortzusetzen?“
Sie nickte langsam. Dann sah sie sich an, was von ihrer Rüstung und dem Schwert, das man ihr gegeben hatte, noch übrig geblieben war.
Ihre Rüstung war im Grunde unbrauchbar geworden. Die solide Lederkombination mit beschlagenem Eisen und verstärkten Kettenelementen war von den Flammen der Hexe und den darauffolgenden Hieben und Stichen der Spiegelkrieger stark in Mitleidenschaft gezogen worden. Zwar würde sie an manchen Stellen noch ein wenig Schutz gegen einen schnellen Glückstreffer oder den hin und wieder vorkommenden Passierschlag bieten, aber ihrer eigentlichen Aufgabe kam sie nicht mehr in vollem Ausmaß nach. Das Schwert hingegen schien nahezu unzerstörbar; war so scharf und ausbalanciert wie eh und je. Ein guter Schliff mit dem Stein nach der Schlacht, ein wenig Nelkenöl und schon wäre dieses Erbstück ihrer Familie wieder voll einsatzfähig. Wer immer es geschmiedet hatte, hatte große Sorgfalt walten lassen.
Alida ließ das Schwert zurück in die Scheide fahren und sah zu dem monströsen Unhold an ihrer Seite. Sie nickte. „Bringen wir’s hinter uns!“ Sie versuchte sich an einem schiefen Grinsen. „Und wie sieht’s jetzt mit dir aus? Ausgeruht genug?“
Ihr Erzeuger grinste mit spitzen Zähnen und nickte. „Einigermaßen. Bringen wir es hinter uns.“

Gemeinsam bewegten sie sich langsam und weiterhin vorsichtig durch die Festung der Bluthexer. Überraschungen konnte man nun wirklich keine mehr gebrauchen, denn beide hatten sie beträchtliche Wunden einstecken und wieder heilen müssen. Zusammen mit der immer drohenden Möglichkeit einer Schmerz- oder Hungerraserei konnte es ihnen nur recht sein, dass der Spiegelsaal beschaulich ruhig und unauffällig blieb. Die Gefahr hier drin schien gebannt und als sie am Ende des Saales ankamen erblickten sie eine massive Eisenplatte von der Stärke eines halben Fingers, die in der Wand eingelassen war. Die Platte war über und über mit filigranen und kunstvollen Gravuren übersäht, obgleich man deren Bedeutung oder Symbolik nicht näher nachvollziehen konnte. Es war eine meisterliche Arbeit und offensichtlich ein Vermögen wert.

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Emilian betastete das gute Stück und drehte leicht den Kopf. „Hier irgendwo… “, murmelte er nachdenklich. Dann fand er wonach er gesucht hatte. Einige Elemente der Gravur waren gar keine Kanten, Ecken und Vertiefungen, sondern ließen sich wie die Teile eines Puzzles aus dem Rahmen lösen. Es brauchte ein wenig Fingergeschick und einige Versuche, da die Konstruktion so angelegt war, dass man die Teile nur in einer bestimmten Reihenfolge lösen konnte. Schlussendlich blieb aber die Einkerbung in Form eines Kristalls übrig, in die ein ebensolcher platziert wurde. Wieder sprang die magische Energie auf den Raum über und teilte sich in eine wogende Welle, die über die Wände jagte. Links und rechts von ihnen hörten sie es knirschen und mahlen, als die Wände sich mühsam zur Seite bewegten und Treppenaufgänge links, sowie Treppenabgänge rechts zum Vorschein brachten.
Alida hatte ein ungefähres Gefühl für die Höhe der Tremere-Festung, und da dieser Levitationszauber in der Höhle sie bereits in wohl weit erhöhte Stockwerke getragen hatte, konnte sie ungefähr abschätzen, dass der nächste Aufgang in die Turmzimmer führte: Die letzten paar Räumlichkeiten der Festung. Der Abgang würde sie wohl über kurz oder lang auch wieder in die so gut versteckte Haupthalle führen. Vollkommen sicher konnte man sich bei den Tremere natürlich dennoch nicht sein.
Emilian hob die Schultern. „Das nimmt ja gar kein Ende. Meinst du wir sollten nach oben oder nach unten? Ich denke ja, in unserer Verfassung und mit dem Drachen im Hinterkopf, sollten wir es mit ‚unten‘ probieren.“
Sie sah ein feines, leuchtendes Pulsieren, das sich wie kleine Adern im Mauerwerk entlang zog und langsam zu verblassen begann. Die Linien liefen in den unteren Teil des Gebäudes. Sie deutete auf den kaum sichtbaren Glanz. „Schau mal. Ich wär‘ für unten.“
Sie berührte den Tsimiske aufmunternd am Arm, da es ihr nicht gelang, seine Schulter zu erreichen.
Mit zusammengekniffenen Augen folgte er ihrem Blick und nickte dann bestätigend. Offenbar gab das pulsierende, sich verzweigende Leuchten seinem Vorschlag recht.

Sie begaben sich in Richtung nach unten, was bedeutete eine sehr breite Treppe zu betreten, die genau wie von der Bibliothek in die Haupthalle, mit schier unaufhörlichen Metern roten Teppichs ausgelegt waren. Es machte einige Bögen als man sich immer weiter nach unten bewegte; mal waren die Wege schmal und eng und glichen beinahe Röhren, dann wieder prunkvolle Palasttreppen. Alida war sich fast sicher, dass Ceoris mit dem Einsetzen des letzten Kristalles noch einige Geheimkammern, Wege und Abkürzungen freigeben würde. Die Festung schien tatsächlich irgendwie auch eine Art Eigenleben zu besitzen. In einem kleinen Zwischenstock, war ein dekorativer Wandbrunnen mit Löwenkopf angebracht, aus dem unaufhörlich Wasser plätscherte, das besonders klar zu sein schien.

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Es sammelte sich in dem kleinen Bassin und sah mit den merkwürdigen Pflanzen innerhalb der Felsenmauern fast aus wie aus einem Märchen. Emilian schmunzelte und ließ den Blick über die wuchernden Ranken gleiten. „Ist es nicht merkwürdig, dass man hier Pflanzen wachsen lässt? Oder der Brunnen – allein die Leitungen durch die Wände zu verlegen dürfte ein immenser Aufwand gewesen sein.“
Sie trat näher heran und erkannte ein seltsames grünes Leuchten am Grund des Beckens. Ihre Stimme war nur ein leises Murmeln. „Irgendetwas stimmt damit nicht…“ Sie sah es sich näher an. Vielleicht war hier irgendwo eine Möglichkeit den nächsten Kristall zu deponieren.
Es war schwierig unter dem beständigen Plätschern des Wassers und den Wellen, die dadurch verursacht wurden, Genaueres zu erkennen, aber offenbar steckte eine Art dicker Korken im Abfluss des Beckens, das sich kontinuierlich füllte und am breiten Überlauf wieder davonsickerte. Ganz offenkundig hatte der Stöpsel ungefähr die Breite eines Kristalles. Womöglich würde er sogar exakt passen. Eine andere Vertiefung oder versteckte Einkerbung, in der man einen der magischen Steine hätte platzieren können, fiel ihr soweit nicht auf.
Emilian trat näher, kniff die Augen zusammen. „Da ist ein schwaches Leuchten, demnach lässt sich wohl ein Kristall dort platzieren?“ Seine immer noch massigen Schultern im dicken Ledergeschirr hoben sich. „Ich spüre gar nichts dergleichen? Bist du dir sicher?“ Seine Blicke untersuchten das Bassin, den Löwenkopf und die Pflanzen; fanden aber nichts Auffälliges. „Soll ich es mal versuchen?“ Er griff in Richtung Becken und wollte wohl schon die Hand eintauchen.
Sie griff nach seinen klauenartigen Fingern und riss sie zurück. „Ich hab keine Ahnung, was genau das ist, aber wir sollten es auf keinen Fall probieren. Helmut, der junge Magus, hat mich sogar davor gewarnt die Kristalle mit der bloßen Hand zu berühren… Warte einen Augenblick.“
Emilian sah das Becken weiterhin kritisch an und verharrte mit seiner monströsen Hand an Ort und Stelle, als Alida ihn zur Vorsicht gemahnte. „Meinst du, dass…“ Er vollendete den Satz nicht, schien aber mehr und mehr zu dem gleichen Urteil zu kommen wie sein Kind; hier stimmte irgendetwas überhaupt nicht.
Alida sah sich in dem Flur um und entdeckte in einigen Metern Entfernung eine Besenkammer, deren Tür offenstand. Umgekipptes Reinigungsgerät lag auf dem Boden verteilt, ebenso wie alte Lappen, Seile und ein umgeworfener Eimer mit Kohle. Die schwarzen Stücke waren über den roten Teppich gerollt. Sie trat näher und entdeckte schließlich eine Kohlezange. Erfreut hielt sie das Werkzeug in die Höhe und kehrte zu Emilian zurück. „Probieren wir’s mal hiermit.“

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Die Kohlezange fand leicht ihren Weg in ihre Hand und war mehr als lang genug um an den Korken zu gelangen. Als sie das rußige Stück Eisen in das Bassin tauchte, zischte und brodelte es und ein beißender Gestank drang in ihre Nase, der brannte und schmerzte. Sie hielt die Luft an; Emilian tat es ihr gleich. Die Zange begann sich allmählich zu zersetzen, was reichlich schnell vonstatten ging, wie sie bemerken musste. Dennoch reichte die Zeit um den Stöpsel zu erwischen und herauszuziehen. Als sie ihn mit der Zange aus dem Bassin fischte, blubberte und zischte es fröhlich weiter und die Spitze der Zange fiel mitsamt Korken neben dem Brunnen zu Boden, wo sie sich in einem rauchenden Haufen verflüssigte. Das ‚Wasser‘, das offenbar in Wahrheit eine sehr aggressive Säure war, floss langsam durch den Abfluss ab; beschädigte scheinbar weder das Becken an sich, noch den Korken. Von oben plätscherte aus dem Löwenkopf in seelenruhiger Gemütlichkeit wohl neue Säure nach. Nicht auszudenken, wenn sich jemand schnell darunter gebeugt hätte um einen Schluck zur Erfrischung zu sich zu nehmen.
Emilian nickte und stieß die angehaltene Luft aus seinen Lungen. „Allerhand. Sie sind nach wie vor einfallsreich. Einfallsreich und haben keine Skrupel.“ Er ließ sich von Alida einen Kristall reichen, den er gemäß ihrer Aufforderung nur mit Handschuhen anfasste. „Moment… Wird der Kristall nicht ebenfalls in der Säure vernichtet werden?“, fragte er kurz innehaltend.
Alida zuckte nur mit den Schultern. „Keine Ahnung.“ Sie sah sich den ‚Wasserhahn‘ näher an. „Wenn du den Hahn umbiegen könntest, würde vielleicht die Säure nicht nachlaufen. Dann sind wir auf Nummer sicher…“
Er tat was sie vorschlug und umfasste den Löwenkopf mit beiden, kräftigen Händen, vorsichtig darauf achtend nichts von der geruchslosen Säure abzubekommen. Nach einigen Versuchen nickte er zuversichtlich. „Ich glaube der Löwenkopf ist Teil des Hahns beziehungsweise der ganzen ‚Wasserleitung‘. Er lässt sich leicht bewegen und es fühlt sich an wie ein Metallrohr; sollte also funktionieren.“ Ob seiner schier übermenschlichen Kraft dauerte es nicht lange und der Löwenkopf bog sich um 180 Grad. Es quietsche gelegentlich metallisch aber schlussendlich floss keine Säure mehr nach.
Emilian ergriff mit spitzen, behandschuhten Fingern einen weiteren Kristall von Alida und steckte diesen in die Öffnung des Abflusses. Er passte wie angegossen und schickte eine weitere Welle reiner Energie durch die steinernen Treppen Auf- und Abgänge. Über ihnen hörten die beiden Tzimisce wieder dunkles Grollen, Knarzen, Schaben und Mahlen. Wenn sie sich nicht verzählt hatte, blieben nur mehr 2 Siegel übrig, von dem eines sich in der verhüllten Statue nahe der Haupthalle befand. Es galt demnach wohl nur mehr ein einziges Siegel zu finden, dann wäre Ceoris für jeden Unhold völlig bedenkenlos zugänglich; wie eine Mausefalle, die man entschärft hatte oder eine Giftschlange, der man die Zähne gezogen hatte.
Ihr Erzeuger lächelte leicht. „Das war eine Menge Hintergrundgeräusch; sicher sind einige Türen, doppelte Böden und Zugangswege nunmehr völlig frei passierbar. Nicht mehr lange und die Festung gehört wahrhaftig uns.“
Sie griff nach seiner Hand und blickte zögernd zu ihm auf. „Danke, dass du hier bist. Aber wirst du nicht draußen benötigt? Ich weiß, dass du dir Sorgen um mich machst, aber wenn der Drachen da draußen Amok läuft, Rustovichs Truppen den Gar aus macht und du hier drin deiner kleinen flämischen Geliebten zur Seite stehst, macht dein geliebter Onkel dich zu guter Letzt doch noch einen Kopf kürzer und da haben wir beide nichts von. Ich mag deinen Kopf lieber auf deinen Schultern. Auch wenn er sonst um einiges ansehnlicher ist.“ Sie grinste.
Er führte ihre Hand an seinen Mund und küsste ihre fahle Haut. „Mein Onkel wird sich einfach noch ein Weilchen gedulden müssen. Wir sind doch schließlich gerade dabei uns einen Weg zurück zu unserem Heerführer und den Truppen zu bahnen oder etwa nicht? Das wir uns hier nicht auskennen, kann man uns kaum zum Vorwurf machen; dir ganz besonders nicht. Wenn du nicht gewesen wärst, hätte Vladimir Rustovich noch nicht einmal einen Drachenbändiger mehr, der auch nur versuchen könnte die Bestie unter Kontrolle zu halten. Insofern darf er sich glücklich schätzen, dass du als vorhin bemerkt hast, worauf dieser Hinterhalt abzielte.“

Mit einem Mal vernahmen die beiden Unholde ein wenig weit entferntere Stimmen, die ihnen ohne Zweifel bekannt vorkamen. Mehrere Personen schienen sich angeregt zu unterhalten;
Das kurze Aufflammen einer wutentbrannten Stimme machte deutlich, wem sie gleich wieder begegnen würden. „Was soll das heißen, der Abgrund ist zu breit? Dann müsst ihr eben herausfinden, welche anderen Wege über das Höhlensystem führen! Ihr sagt doch, es gibt noch andere Brücken? Dann findet gefälligst den Weg.“ Es entstand eine kurze Pause. „Und du… du warst doch mit ‚ihr‘ gemeinsam unterwegs, warum hast du uns nicht gewarnt?“
Sie vernahm eine bekannte und raue Stimme. „Euer Gnaden werden sicher Verständnis dafür haben, dass ein halbes Dutzend wiederbelebter Knochen eine formidable Bremsklotztaktik abgeben. Dieser Angriff war gewiss von langer Hand geplant.“
Die Brüggerin hörte die seltene Stimme von Velya. „Ich stimme ihm zu.“

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Rustovich schnaubte verächtlich aber einsichtig.
Der Pfad über die Treppe führte die beiden Unholde weiter nach unten, und am Ende der Treppe sahen sie schon einen Ausgang, der just wieder in den Thronsaal führte. Von weitem konnten sie schon die Befehlshaber der russischen Armee erkennen und als sie durch den Torbogen traten, reichte ein kurzer Blick über die Schulter aus um zu erkennen, wo sie sich befanden. Es war genau jener Geheimgang, der sich als allererstes geöffnet hatte.
Auf dem Podest bei den drei Thronaufbauten stand Vladimir Rustovich mit verschränkten Armen, flankiert von zwei Tormentoren.

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In einiger Entfernung studierte Velya die Zeichen an den Säulen und Jeremiah klappte das Visier zwei Finger breit nach oben. „Hol mich der Teufel… sie sind wieder da.“
Alles blickte in die Richtung der beiden und Rustovich fuchtelte energisch mit einer Hand; während Emilian sich ehrfürchtig verbeugte.
Ein Lächeln erschien beim Klang der rauen, vertrauten Stimme auf ihren Zügen, das jedoch aufgrund ihrer augenblicklichen Verbeugung kaum jemand zu sehen bekam. Sie war nur wenige Sekundenbruchteile langsamer als ihr Erzeuger in Zulogestalt neben ihr.
Die Mauern von Ceoris bargen tatsächlich einiges an Geheinissen. Sie verharrte in der Verbeugung.
„Die… Tsimiske aus Flandern? Dann müsst ihr der frisch geschlagene Ritter des Ostens sein, auch wenn man euch derzeit nur an der Rüstung erkennt. Wo kommt ihr her? Wie habt ihr es hierher geschafft? Wir dachten, wir hätten euch verloren? Da suchen wir euch in diesem riesigen Steinhaufen und ihr kommt einfach um die Ecke! Erklärt euch!“
Emilians Körper sank in sich zusammen und nahm die vertrauten erwachsenen Züge an.

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Er hob beschwichtigend die Hände und erhob sich. „Verzeiht, mein Fürst. Der Angriff der Knochenkrieger war tatsächlich nur eine geschickte, letzte Finte der Hexer. Es diente einzig undwohl dem Zwecke mich in dem Trubel auszuschalten; was ihnen auch gelang. Alida konnte meine Entführer durch ein Höhlensystem verfolgen. Dort stellte sie sich einer Tremere, die von mir das Geheimnis des Drachens in Erfahrung bringen wollte, wurde dabei schwer verwundet. Leider entkam die Hexe und wir mussten über andere Wege aus den Höhlen flüchten; fanden uns schlussendlich in einem Spiegelsaal wieder, in dem uns die Hexer ein weiteres Mal auflauerte. Wir bekämpften ihre Schergen und brachen nacheinander die magischen Siegel dieses Ortes. Mit jedem Siegel werden mehr und mehr Fallen entschärft, werden mehr und mehr Bereiche frei und gefahrlos zugänglich. Schlussendlich landeten wir wieder hier.“
Rustovich nickte langsam und betont kritisch. „Die magische Barriere, ja…, davon berichtete uns schon dieser Mann hier.“ Er deutete auf den fleischgeformten Jeremiah. „Sie verbarg diese Katapulte dort drüben und hätte uns beinahe das Unleben gekostet.“
Jeremiah trat näher und grinste über beide Ohren. „Ich sagte euch doch, euer Gnaden, sie ist eine ganz besondere Unholdin.“
Der Voivode der Voivoden sah zu Alida und nickte einschätzend. „So hast du offenbar deine Aufgabe erfüllt, mein Kind; gute Arbeit.“ Der Drache trat schlug ihr mit Impulsität kameradschaftlich auf die Schulter, bevor er den Blick von Velya bemerkte, der sich etwas räusperte. Alida biss die Zähne zusammen um die Schmerzen zu verbergen, die sie durch die Verbrennungen verspürte.
Rustovich räusperte sich. „Oh, eure Verwundungen, ich vergaß nun... wir werden dafür sorgen, dass euch genug Vitae zur Verfügung steht um wieder vollständig zu genesen. Ihr habt tatsächlich eine Tremere bezwungen?“ Etwas in seiner Frage klang danach als wolle der Feldherr der flandrischen Händlerin nicht so ganz glauben.
Alida erhob sich erst in dem Moment in dem es auch ihr Erzeuger tat. Sie schüttelte leicht den Kopf. „Nicht ganz. Ich habe ihr hart zugesetzt, aber ihr gelang die Flucht. Sie hat uns mit ihren Hexenkunststückchen in diesem Labyrinth das Leben mehr als schwer gemacht. Aber gemeinsam konnten wir zumindest ihr Tun vereiteln und einen Großteil der Fallen entschärfen.“
Rustovich nickte anerkennend und fuhr sich durch den dunklen Bart. „Ein Labyrinth ist es allerdings, da gebe ich euch recht und ein verdammt weitläufiges noch dazu. Immerhin scheint ihr Fortschritte mit den Siegeln zu machen und der Meister des Drachens wurde ebenfalls aus den Händen des Feindes gerettet. Es fehlt wohl nicht mehr viel und wir können auch noch den letzten Winkel dieses Rattenlochs einnehmen. Oh, was wird das nur für eine Genugtuung werden, selbst, wenn die Hexenhure euch entwischt sein mag.“
Jeremiah trat ein wenig näher und nickte Alida in Gegenwart von Rustovich und den anderen hohen Unholde respektvoll zu. „Alle Achtung, du hast nicht nur deinen Erzeuger befreit, sondern auch noch eine Tremere vertrieben. Verzeih mir, aber ich habe noch während des Scharmützels mit den Knochenkriegern das Siegel bei der verhüllten Statue aktiviert. Ich dachte es würde die Türen wieder verschließen und den Strom an Gegnern zum Erliegen bringen. Das war leider ein Irrtum.“
Velya wirkte noch immer durch die Symbolik an den Säulen abgelenkt; unterbrach Jeremiah jedoch dennoch. „Trotzdem konnten wir die Schergen schlagen, mit unseren gut ausgebildeten Kriegern und der Erhabenheit der Zulos war es nur eine Frage der Zeit.“
Jeremiah nickte. „Ja, geschlagen haben wir sie. Sag mal… wie viele weitere Siegel hast du gebrochen? Haben wir diesen Fallenunsinn bald hinter uns?“
Sie ging in Gedanken die Siegel erneut durch. „Drei haben wir geöffnet. Es muss wirklich schwierig gewesen sein, diesen toten Knochenkriegern Herr zu werden. Immerhin hatten sie die Tendenz immer wieder aufzustehen.“
Mit nachdenklichem Blick musterte sie das von ihr geformte Gesicht Jeremiahs und versuchte in seinen Zügen etwas zu lesen, das er nur zu gut verbarg. Ihr Verbündeter hatte es geschafft und stand nun seinem alten Feind Velya gegenüber. Verdunkelt wäre er ihm als Nosferatu sofort aufgefallen, aber in dieser täuschend echten Hülle aus Muskeln und Haut verbarg er sich besser als in allen anderen Nächten.
Was immer dem fleischgeformten Nosferatu durch den Kopf gehen mochte; er verbarg es außergewöhnlich gut. Keine Gestik oder Mimik ließ auch nur den geringsten Zweifel darüber aufkommen, dass er lediglich hier war um dem Drachen der Drachen zum Siege zu verhelfen. Gelassen nickte er, nach wie vor in seine dicken Panzerplatten gehüllt. Selbst den Helm hatte er noch immer nicht abgenommen; dafür gab es seines Erachtens nach wohl auch treffende Gründe. „Ein Siegel demnach noch. Dann ist dieser Alptraum ja fast zu Ende…“ Jeremiah schielte etwas verstohlen in Richtung Velya, der nach wie vor die Runen studierte.
Rustovich indessen drehte sich zur Haupthalle hin, in der sich ein wenig verstreut der größte Teil der Armee nach und nach einzufinden schien. Die Soldaten sprachen leise und verstohlen miteinander, sahen sich unentwegt um und hatten die Waffen stetig bereit in der Hand. Im Grunde wartete man nur auf die nächsten Befehle des Voivoden.

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Rustovichs Stimme klang wie immer befehlsgewohnt. „Wir müssen uns unverzüglich dem Drachen widmen. Meine Tormentoren leisten gute Arbeit, aber nur euch und eurem Blut scheint er wirklich zu gehorchen. Bevor sich der Drache unserem Zugriff entzieht, müssen wir unbedingt...“
Weiter kam er nicht mehr, dann da hörte man schon ein dumpfes und schweres Dröhnen, das in regelmäßigen Abständen näherzukommen schien. Einige der riesigen Kronleuchter wackelten mit jedem dieser eindringlichen Vibrationen. Plötzlich wurde Alida klar: Das waren Schritte. Schritte von etwas sehr großem und sehr Schwerem.



Dann erklang ein ohrenbetäubendes Brüllen, das ihr beinahe das Trommelfell zerriss. Niemand im Raum wagte es zu Atmen. Die Soldaten sahen sich angsterfüllt um und einige wurden so unruhig, dass man das Klappern der Schilde und Kettenrüstungen hören konnte.
Emilian schloss für einen Moment die Augen. Dann sah er Rustovich eindringlich an und flüsterte mit starrem Blick. „Ich fürchte, dafür ist es bereits zu spät.“

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Der Weg zum Ziel beginnt an dem Tag, an dem du die hundertprozentige Verantwortung für dein Tun übernimms.
Dante Alighieri


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 Betreff des Beitrags: Re: Die Fesseln der Macht
BeitragVerfasst: Fr 15. Jul 2016, 22:56 
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Was um alles in der Welt ging da draußen vor? Auf der anderen Seite war sie sich absolut sicher, dass sie das gar nicht wissen wollte. Sie sah zu Jeremiah, dann trat sie näher an die beiden Drachen heran und fixierte Emilian. Sie hatte keine Ahnung, wie man in einer solchen Reaktion am besten reagieren sollte. Vernünftigerweise wäre sie am liebsten weggerannt.



Die Männer in der Halle drängten sich dicht aneinander, man hörte das Rasseln von Kettenhemden, das Schaben von Metall an den ledernen Gürteln und das Klappern von wackelnden Helmen, die auf Köpfen saßen die sich in Richtung des regelmäßigen Dröhnens drehten. Alida konnte die Angst beinahe riechen, dieses kitzelnde Vibrieren in der Umgebung, das sich auf die Brust legte und einem die Luft zum Atmen nahm. Sie roch den zarten Schweißgeruch, der sich allmählich intensivierte und die erschrockenen, panischen Blicke, die hin und wieder in Richtung der Heerführer gelenkt wurden. Pieken wurden nach vorne geschoben und Schwerknäufe fester umschlossen.

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Die Unteroffiziere des Heeres warteten auf einen Befehl ihres Voivoden. Zweifelsfrei wussten sie, mit was sie es hier zu tun hatten.
Emilian neben Alida zog ebenfalls sein Schwert und starrte wie gelähmt die langgezogene Halle hinab. Rustovich und Jeremiah taten es ihm gleich. Lediglich Velya schien gänzlich unbewaffnet; ließ jedoch ebenfalls langsam und beinahe vorsichtig die Hände sinken. In aller Augen lag unsichere Anspannung. Dann sah sie etwas sehr großes, sehniges seinen Kopf durch den Durchgang stecken, durch den sie gerade eben noch den Truppen des Voivoden gegen die Skelette zu Hilfe geeilt war. Dem knochigen, geschwärzten Schädel mit mehreren Hornauswüschen und einem Maul, in das ein ganzer Mensch gepasst hätte, folgte ein sehniger und ebenfalls von dicken Knochenplatten übersäter Körper, der schier unverwundbar wirkte. Welcher Speer und welcher Pfeil sollten ein solches Ungetüm durchbohren? Welches Schwert das Fleisch zerteilen? Riesige, schwarze Klauen saßen an den fingerartigen Auswüchsen zu seinen Füßen, die sich langsam weiter in den Raum schoben. Als krönender Abschluss folgte ein langer und sich wie eine dicke Schlange windender Schwanz. Der Drache hatte sogar ein paar ledrige und Chitin verstärkte Schwingen. Konnte dieses Ding am Ende sogar noch fliegen?

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Die Bestie kaute auf etwas und man hörte das widerliche Geräusch von brechenden Knochen und zerplatzenden Organen. Zwischen gallertartigem Geifer rannen ihm ganze Sturzbäche von Blut das Maul hinab. Der Drache legte den Kopf in den Nacken und schlang das restliche Stück Fleisch mit einem Bissen hinunter; einzig ein Arm hing aus einem Mundwinkel; löste sich vom Kadaver und fiel wie weggeworfen zu Boden. Der Rüstung nach zu urteilen, hatte es sich um einen russischen Infanteristen gehandelt. Die fleischgeformte Bestie hatte ihn einfach mitsamt Rüstzeug verspeist.
Rustovich sah zu Emilian. „Er frisst die Soldaten mitsamt Rüstung und Bewaffnung, verdammt. Bei Kain, wie gebieten wir ihm Einhalt?“
Alidas Erzeuger fasste, ohne den Voivoden anzusehen, in die Innenseite seines Wamses und entzog diesem die Knochenflöte, mit der er den Drachen zumindest zeitweise zur Folgsamkeit zwingen konnte. „Ich weiß es nicht aber wir müssen ihn aufhalten! Ich kann nur versuchen ihn wieder zu unterwerfen.“ Damit machte er bereits ein paar Schritte auf die Bestie zu; hielt in der einen das Schwert, in der anderen die Flöte.
Velya machte im Gegenzug dazu einige Schritte rückwärts. „Ich muss mich vorbereiten…“, murmelte er mit entsetztem Gesichtsausdruck.

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Der Voivode der Voivoden biss die Zähne zusammen und brüllte zu seinen Truppen: „Verteidigungspositionen.“ Seine Schritte überholten noch die von Emilian.
Dieser wollte den Drachen der Drachen noch aufhalten aber es war zu spät. Sein knappes: „Nein, ihr dürft ihn nicht…“, konnte nicht einmal vollendet werden, da brüllte das riesige Untier seinen ganzen Hass und seinen ganzen Zorn durch die Halle, dass die Säulen und Wände bebten. Allein der Nachhall in dem Gemäuer sorgte dafür, dass die Soldaten wie kleine Kinder die Köpfe einzogen.
Dann stapfte das Monstrum einfach auf die Soldaten zu; in seinen Augen glänzte die pure, wahnsinnige Mordlust. Zu etwas Anderem war er nicht geschaffen worden.
Emilian rannte und auch Rustovich rannte nun; die Pikeniere rissen die Waffen hoch und die Armbrustschützen feuerten einen Bolzen nach dem anderen.
Sie hörte Jeremia neben sich finster lachen: „Was für eine Ironie.“ Im Lauf wandte sich ihr Erzeuger noch einmal zu ihr um; blieb dabei kaum stehen. „Du bleibst hier, Alida, es ist zu gefährlich und du bist zu geschwächt.“ Dann rannte er weiter. „Beschütz sie…“ Das ging wohl an Jeremiah.
Alida stand da wie angewurzelt, nicht in der Lage sic zu rühren. Ungläubig schüttelte sie den Kopf und betrachtete das so unwirklich scheinende Schauspiel. Ihre Hand zuckte und wollte zu ihrem Schwert greifen, aber das war Wahnsinn. Weder Mann, noch Frau, weder Kainit noch Sterblicher hatten hier in diesem Kampf eine Chance. Mit zwei Schritte war sie neben Jeremiah. „Wie um alles in der Welt ist das Vieh hier rein gekommen?“ Sie sah sich den Raum genau an. „Mir ist nach wegrennen… Verdammt. Wie können wir den Drachen aufhalten?“ Sie besah sich die Architektur des Gebäudes. Wenn schon kein Mensch in der Lage war, ihm Einhalt zu gebieten, vielleicht konnten die Mauern von Ceoris etwas bewirken?
Der Nosferatu hob die Schultern und sah sich fieberhaft im Raum um. „Wirklich witzig. Woher soll ich das wissen, Fräulein Unhold? Ich dachte das Ding begleitet schön brav den Voivoden und unseren Ritter des Ostens. Möglicherweise haben wir mit dem Brechen der Siegel, noch ganz andere Zugänge und Wege geöffnet, die sich der Drache jetzt zunutze gemacht hat.“
Aus den Augenwinkeln nahm Alida den ansonsten eher schweigsamen Velya wahr, der sich inbrünstig und in sich gekehrt auf etwas zu konzentrieren schien; dabei die Augen geschlossen hielt.
Jeremiah fluchte laut: „Ah, drauf geschissen, hier gibt es überhaupt nichts, was wir tun können! Wir müssen nach vorne und… weiß der Teufel was! Improvisieren!“ In seiner Stimmung klang Verzweiflung und Ratlosigkeit, als er sich mit einem Satz den Truppen in der Halle vor ihm anschloss. Eigentlich hätte er ja auf Alida achtgeben sollen, so wie Emilian ihn geheißen hatte, aber im Befolgen von ‚Befehlen‘ war er scheinbar nie wirklich gut gewesen. Vor ihr tobte bereits ein ungleicher und fast völlig aussichtsloser Kampf. Die Hälfte der Soldaten kamen ihr, als Jeremiah nach vorne rannte, schon wieder entgegen; die Augen weit aufgerissen, schreiend und panisch. Sie waren Veteranen vieler Schlachten, hatten unzählige Tote, Mord und Verstümmelung gesehen. Es kümmerte sie nicht vom Feind abgestochen zu werden, noch kümmerten sie die Monstren ihrer tyrannischen Herren. Aber das hier, war ein Kampf, der nicht zu gewinnen war; ein Scheusal, das selbst der härteste unter ihnen noch nie gesehen hatte, fuhr wie eine Sense durch den Weizen. Bolzen schlugen auf harte Schuppen, prallten daran ab und fielen zu Boden, Speere wurden geschleudert, verfehlten ihr Ziel oder trafen scheinbar ohne irgendeine Wirkung zu erzielen. Der Drache biss einem weiteren Soldaten den Kopf ab; so einfach wie ein Kind herzhaft in einen überreifen Pfirsich biss. Blut spritze und die Schreie der Verwundeten und Sterbenden füllte den Raum. Ein Tormentor war unter der linken Klaue begraben, während seine Gedärme sich auf dem Fußboden verteilten.

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Vladimir Rustovich war in seiner Zulos-Gestalt und wirkte selbst in dieser Form größer, erhabener und imposanter als alle anderen Unholde. Er schwang seinen brachialen Zweihänder als wäre er ein Küchenmesser und fügte dem Drachen tiefe Wunden zu. Es braucht wohl offensichtlich allein übermenschliche Kraft um ihn überhaupt verwunden zu können. Der dicke Schwanz versuchte immer wieder nach dem Kainiten und seiner Leibwache zu schlagen; verfehlte aber. Pieken wurden in den Boden gerammt und mit dem eigenen Gewicht spießte der Drache sich beim nach vorne schnappen auf; brüllte seinen Schmerz den Angreifern ins Gesicht. Jeremiah war bei den Verteidigern angelangt; griff nach einer fallengelassenen Armbrust und hob sie an, zielte und schoss. Der Pfeil sauste heran und spickte dem Drachen die Schnauze. Vermutlich hatte er auf die empfindlichen Augen gezielt. Irgendwo in der Menge konnte sie auch Emilian sehen, der auf der Flöte zu spielen begann. In diesem Tumult hätte man sein Spiel nicht einmal im Ansatz hören können, aber offenbar gelang ihm das Unfassbare: Der Drache bäumte sich kreischen und grollend auf, schüttelte den Schädel und wich ein kleines Stück zurück. Die Verteidiger setzten nach.
Alida schüttelte verzweifelt mit dem Kopf. Das alles war so vergeblich. Dieser Kampf war aussichtslos, wenn nicht ein Wunder geschehen würde. Die Tremere wären begeistert über das Schauspiel. Panisch versuchte sie sich zu sammeln. Irgendwo waren die Katapulte mit denen die Wachmänner der Tremere ihren Angriff hatten beginnen wollen.
Sie rannte in den aussichtslosen Kampf, die Truppen zu unterstützen, wo keine Hoffnung mehr war. „Dieser Kampf ist noch nicht verloren. Fasst eure Schwerter und folgt mir. Da vorne sind Katapulte. Los!“ Die flüchtenden Soldaten beachteten ihre ersten Versuche wieder Ordnung und Disziplin in die Formation zu brüllen nicht weiter. Unablässig stoben sie an ihr vorbei, selbst wenn diese Feigheit vor dem Feind ohnehin später von Rustovich persönlich geahndet werden würde. Das heißt, falls überhaupt irgendjemand diese Nacht überleben würde.
Sie riss sich zu sammeln, suchte nach dem Blut von Emilian, das ihre Adern durchströmte und ließ es in ihre Muskeln fahren um sich auf den Kampf vorzubereiten. Erneut veränderte sie ihren Körper und nahm noch im Laufen die monströse Form des Zulo an, die ihr bei ihrem Kampf im Osten bereits mehrfach gute Dienste geleistet hatte. Der zweite Versuch die Männer zum Kampf zu motivieren, war da schon etwas eindringlicher. Sie baute sich in voller Größe vor den Deserteuren auf und den ersten, der an ihr vorbeistoben wollte, packte sie am Rüstgeschirr und schüttelte ihn knurrend. Mit der Fratze eines regelrechten Monsters brüllte sie die nachfolgenden Kameraden an, die erschrocken stehen blieben und sich nicht rührten. Sie stieß den Mann am Geschirr zurück und fauchte eindringlich: "An die Geschütze dort drüben, sonst reiß ich euch die Köpfe ab und benutz sie als Geschoss!“
Die Soldaten sahen einander an und nickten dann wie in Trance. Offenbar hatte Alida das einzig richtige gemacht: Sie hatte ihnen einen einfachen, auszuführenden Befehl gegeben, der selbst unter diesen, wenig rosigen Aussichten den militärischen Drill reaktivierte. Befehlsketten und Drill waren in solchen Zeiten wirklich zu etwas nütze. Geschütze bedienen schien gerade eine fantastische Idee, wenn die andere Option die seltsame weibliche Tsimiske in Zulogestalt beinhaltete.
Die Soldaten wandten sich um und stürzten zu den Ballisten, die man vorzeitig aus dem Weg geräumt, aber noch nicht zerstört hatte. Routiniert begannen sie gemeinsam die schweren Kriegsgeräte ein wenig weiter in den Raum zu schleifen und auszurichten. Es dauerte nicht lange und die ersten Waffenmannschaften hatten einen Bolzen geladen. Einer anderen fielen die Bolzen beim Einlegen fast zu Boden, so sehr zitterten die Hände. Einige fluchten laut aber für Diskussionen blieb keine Zeit. Sie erwarteten den Feuerbefehl, während weiter vorne einer der Tormentoren sein Leben aufgespießt auf dem Schwanz des Drachen aushauchte.
Rustovich brüllte über die Masse: „Sieg oder Tod! Es gibt keine Alternative! Bringt ihn zu Fall!“

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Emilian veränderte offenbar geschickt die Tonfolge der Beinflöte, die dem Drachen immer neue Schmerzensschauer abverlangte. Bedauerlicherweise hielt ihn das zwar immer wieder ein bisschen davon ab, allzu gut mit Klauen und dem gewaltigen Maul zu zielen, es machte ihn allerdings auch verzweifelt rasend. Alle wussten das, niemand hatte einen besseren Vorschlag. Der Mann an der Balliste wartete auf ein Zeichen seines Leutnants und dieser Leutnant, war in diesem Augenblick eine über zwei Meter große Bestie, mit Namen Alida van de Burse; der Drache des Westens.
Alida sah mit Erleichterung, dass die Soldaten im Gegensatz zu ihr in der Lage waren die Katapulte zu bedienen. Sie wirkten routiniert und jede Hand saß. Ein letztes Mal überprüfte sie die ungefähre Zielposition der Geschütze, dann gab sie den Befehl. „Feuer!“
Solche Geschütze wie Ballisten und Katapulte zu bedienen und schlussendlich damit auch zu treffen, erforderte nicht nur einiges an Erfahrung, sondern dazu noch eine besonders gründliche Ausbildung. Beides hatte Alida nicht vorzuweisen und dennoch konnte man sich hier nicht einfach nur auf Richtschützen verlassen. Jeder Bolzen, der sein Ziel verfehlte, konnte der letzte sein, den diese Männer in ihrem Leben abfeuern würden. Es musste sitzen.
So verließ sie sich auf ihre Künste im Bogenschießen, erfasste geistesgegenwärtig die Distanz, Winkel und das ungefähre Gewicht der Projektile und ließ entsprechend nachjustieren. Die Katapulte feuerten und zwei der schweren Bolzen schlugen auch tatsächlich in der breiten Brust des Drachens ein. Es knackte laut, als ob irgendwo ein alter Baum mitsamt Wurzeln ausgerissen werden würde und das Ungeheuer hatte zwei dicke Lanzen in seinem geformten Wanst stecken. Brüllend und tobend kreischte es ob der Schmerzen und der Pein, den die Flöte verursachte und fegte mit seinem Schwanz über das Heer. Mehrere wurden getroffen, einige konnten sich mit einem Sprung retten. Von den Getroffenen erhoben sich manche mit schmerzverzerrten Gesichtern, wieder andere blieben sich krümmend liegen. Unter anderem ihr Erzeuger, der die volle Wucht des Schlages abbekam. Wie eine Puppe wurde Emilian durch die Luft geschleudert und gegen die Wand geworfen, an der er hart aufprallte und daran zu Boden glitt.
Rustovich brüllte und die Tormentoren ergriffen die am Boden liegenden Pieken der Gefallenen, rammten sie dem Ungetüm in den zuckenden Schwanz. In dem Tumult konnte sie auch Jeremiah ausmachen, der gerade zu ihrem Erzeuger eilte und diesen mit einem raschen Ruck schulterte. Als Alida in die Richtung der beiden blickte, sah sie zwischen Schreien, dem allgegenwärtigen Geruch von Blut und dem langsamen Sterben der Soldaten eine Handkurbel mit einer dicken Kette. Dann erkannte sie die Mechanik hinter der Gerätschaft. Über ihr, das merkte sie erst jetzt, war ein gigantischer Kronleuchter von hochgradig überdimensionierten Ausmaßen. Spitze angeschliffene Kristalle waren fest in dem Konstrukt vorbaut, welches aktuell aber kein Licht spendete. Ein wohl platzierter Schlag müsste die Kette zerschlagen und würde den Leuchter nach unten rasen lassen. Ein weiterer Blick verriet ihr, dass der Drache sich genau in diesem Moment darunter befand. Es gäbe nur diesen einen Versuch. Und jetzt, da die Flöte ihn zu wahnsinnigem Zorn angepeitscht hatte ohne ihn noch schmerzen zu können, kämpfte die Bestie nur umso verbissener.

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Alida wusste gegen wen sich der Drache zu allererst wenden musste, jetzt, da das Flötenspiel, das ihn so gepeinigt hatte, beendet war. Sie konnte das nicht zulassen. Sie schrie die Männer an. „Nachladen und Feuern!“, dann sprintete sie los.
Die Soldaten an ihrer Seite rissen die Bolzen hoch, luden die Geschosse ein und kurbelten als gäbe es kein Morgen. Und wenn sie versagen würden, entspräche dies sogar der traurigen Wahrheit. Alida ließ die Macht ihrer Vitae durch den ohnehin kolossalen Körper laufen und fühlte die unbändige Kraft der übermenschlichen Geschwindigkeit durch ihre Adern rasen. Wie ein Pfeil schoss sie auf das Schlachtengetümmel zu, vorbei an den Sterbenden, Gedärmen, Brüllen, Dröhnen und Fauchen.
Rustovich hielt das Biest noch zurück aber auch ihn verließen langsam die Kräfte und viel Auswahl an der direkten Front hatte der Drache nicht mehr; irgendwann wäre der Voivode der Voivoden das einzige direkt angreifbare Ziel. Sollte der Feind nicht, wie von Alida in höchstem Maße angenommen, ohnehin Rache an seinem Peiniger suchen: Emilian. Emilian, der ohnehin schwer verletzt war.
Der Drache brüllte als weitere Bolzen in ihn einschlugen und die gepanzerten Platten durchschlugen; war gespickt mit unzähligen kleinen Pfeilen, die wie Nadeln wirkten und Ballistengeschosse, die wie Speere aussahen.

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Für einen Drachen ist im Grunde alles nur lästig, aber allmählich schien es sogar tatsächlich weh zu tun. Seine roten Augen erkannte eine viel zu schnelle Bewegung, die seine Aufmerksamkeit fing, denn offenbar war er ohnehin just genau in die Richtung unterwegs, die Alida prophezeit hatte. Die Aufmerksamkeit richtete sich auf Jeremiah, der den bewusstlosen Emilian auf dem Rücken trug.
Durch das Schreien und metallene Klirren hörte man den Nosferatu noch fluchen: „Scheiße, scheiße, scheiße…“. Er nahm die Beine in die Hand. Gleich hatte sie die Seilwinde mit der Kette erreicht, da schoss der Schwanz durch den Pulk aus Soldaten, schrammte bei einigen vorbei, die stöhnten und ächzten und versuchte akkurat sie zu treffen. Einfach, weil sie in seinem Blickfeld war. Und weil sie sich von der Menge aus kleinen Ameisen abhob.
Alida erreichte die Seilwinde; sprang flink zur Seite als der massige Schwanz neben ihr in die Mauer einschlug und dicke Felsbrocken aus ihr riss, die polternd neben ihr aufschlugen. Einer der Brocken war so massiv, dass er ihr bei einem Treffer wohl den Schädel zertrümmert hätte. Das Untier schrie seinen unbändigen Hass hinter ihr hinaus während es sich allmählich aufrichtete um zu einem Sprung anzusetzen. Das Schwert ihres Großerzeugers fuhr auf die massive Eisenkette hernieder und Funken stoben mit der Wucht des Schlages. Ungläubig sah sie, dass zwar eine dicke Kerbe im Metall zu finden war und der Leuchter bedrohlich schwankte, aber noch reichte es nicht aus das Kettenglied völlig zu zerstören. Als ob sie es hätte kommen sehen, duckte sie sich auf den Boden um gerade noch rechtzeitig dem nächsten Schwanzschlag auszuweichen, der wie ein Schwert die volle Länge der Mauer entlangschrammte und mächtige Furchen ins Gestein zog. Ihre Sicht war getrübt vom aufsteigenden Schutt und Rauch aber mit dem nächsten Schlag durchtrennte sie die Kette vollständig. Das unermessliche Gewicht des Leuchters riss das Metall entzwei, und mit einem bösartigen Rasseln ging der Kristallluster, der beinahe so breit war wie die halbe Halle hernieder und prallte mit einigen Tonnen Gewicht, genau mit den spitzen Zacken voraus, auf den Schädel des Drachen. Es ging alles sehr schnell; der Leuchter bohrte sich mit den Kristallen direkt durch den Panzer des Monsters, drang in umgeformtes Fleisch vor und drückte ihn durch das Gewicht und die Geschwindigkeit nach unten. Im Grunde hatte sie den Feind gerade mit unzähligen, todbringenden Speeren aufgespießt und buchstäblich am Boden festgenagelt. Er brüllte wie von Sinnen, war aber schon in der nächsten Sekunde totenstill. Der Schädel wollte sich noch heben; die Klauen kratzten über den steinernen Boden und hinterließen ackerfurchengroße Löcher in den verlegten Platten. Ein letztes Ächzen, dann kippte das Untier ein wenig zur Seite und rührte sich nicht mehr. Aus unzähligen kleinen und größeren Wunden floss das Blut und sammelte sich in roten Pfützen unter dem Konstrukt. Vor allem der Schädel war ein einziges Stück blutenden Fleisches und Panzerchitin.
Einige Sekunden vergingen ehe die Verteidiger überhaupt bemerkten was genau geschehen war, aber dann brach ein Jubelrufen und Geschrei aus, dem man die Erleichterung und Freude mehr als deutlich anmerkte. „Er ist tot, der Drache ist tot!“, schrie ein Soldat. „Der Kronleuchter hat ihn erschlagen!“ Rustovich, immer noch in seiner Zulo-Gestalt sagte nichts; stützte sich auf sein bulliges Schwert und schloss zunächst für einen Moment die Augen. Die Männer weinten Siegestränen des Glücks, umarmten sich gegenseitig und waren kaum zu bändigen. Sie hatten überlebt.
Jeremiah schüttelte nur den Kopf und hatte Emilian im Schoss liegen. „Hol mich doch der Teufel, sie hat’s tatsächlich geschafft…“, murmelte er und hatte Mühe überhaupt zu sprechen.
Völlig erschöpft atmete Alida, einem lange vergangenen Reflex folgend, tief ein. Sie sah die rote Fleisch- Blutmasse, die bis vor wenigen Augenblicken ein totbringendes Ungetüm in Drachengestalt gewesen war und die jubelnden Soldaten und spürte eine gewaltige Last von ihren Schultern fallen. Der Drache war anscheinend besiegt. Ohne einen weiteren Blick in diese Richtung zu wenden, hastete sie zu Jeremiah und ging neben dem Nosferatu in Rittergestalt und ihrem bewusstlosen Erzeuger in die Knie. Sie schluckte und schob Emilian vorsichtig das blutverklebte Haar aus der Stirn.
Ihr Erzeuger bewegte sich leicht als sie ihn schlussendlich erreichte und schlug unsagbar langsam die Augen auf, als er ihre Hand an seiner Stirn spürte. „Entweder ich bin endgültig tot oder wir haben gewonnen“, lachte er sie aus blutverklebtem Gesicht an und hustete sogleich.
Der Nosferatu an seiner Seite stützte ihn ein wenig und erwiderte das Lächeln mit einem breiten Grinsen. „Alle Rippen gebrochen aber die Vitae wird euch gleich wieder aufrichten, Herr Rustovich.“
Emilian hob die Hand an Alidas Wange und strich vorsichtig darüber. „Victorovich, zum Rustovich eigne ich mich nicht besonders; da gibt es andere.“ Sein Blick glitt zu dem toten Kadaver des Drachens, der von unzähligen Kristallgirlanden aufgespießt seinen unheiligen Lebensatem ausgehaucht hatte. Mehrere Soldaten piekten vorsichtig mit Speeren nach ihm; einige versuchten sich um die Verletzten zu kümmern, von denen es zahlreiche gab.

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Überall hörte man jammern, stöhnen und schreien. Es war im Gegensatz zu dem bösartigen Donnergrollen und Brüllen von vorhin geradezu ‚ruhig‘, wenn man die Sterbenden ausblendete. Eine blutige, schmerzliche Ruhe, für die man einen hohen Preis gezahlt hatte.
„Wie…?“, fragte ihr Erzeuger Alida mit einem leichten Ächzen, als der Nosferatu den Unhold an Alida lehnte und sich erhob. Jeremiah wollte die beiden offenbar alleine lassen.
Alida nickte Jeremiah dankbar zu, dann schüttelte sie, an Emilian gewandt, leicht den Kopf. Am liebsten wäre sie dem Tsimiske um den Hals gefallen, aber sie hielt sich angesichts der Menschen, die jubelnd ihre Erleichterung kund taten, zurück. „Ist doch egal. Ich würd‘ sagen: Mit vereinten Kräften. Der Drache rührt sich nicht mehr. Das ist es, was zählt.“ Sie beugte sich zu ihm und küsste ihn mit den rissigen, blutleeren Lippen auf die Stirn.
Seine kalten Lippen berührten die ihren und küssten sie innig. In ihrer Umarmung konnte die Tzimisce förmlich spüren, wie die Vitae in seinem toten Körper arbeitete und sich langsam daran machte Rippe für Rippe, Knochen für Knochen wieder ineinander zu fügen und offene Wunden zu schließen. Als er seine eigenen Arme wieder bewegen konnte, ergriff er ihre Hände und erhob sich schwerfällig und etwas wackelig. „Der Kronleuchter… eine wirklich gute Idee“, stellte er dann überrascht fest. „Aber bei so einem Kampf, hat man meistens nicht viel Zeit sich einen fundierten Schlachtplan zu überlegen. Wir hatten Glück, das hätte auch anders ausgehen können.“

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Einige Soldaten befreiten den Gang von den Verletzten und stapelten die Toten, sodass niemand den Durchgang blockieren würde, der ohnehin vom gigantischen Drachenkadaver halb versperrt wurde.
Alida ging zu einem der Toten, riss den Kadaver zu sich heran und saugte in tiefen Zügen das letzte Blut aus dessen Adern. Sie spürte die ängstlichen Blicke einiger Soldaten im Rücken und dachte sich, was für ein ungewöhnliches Gefühl es war offen als Kainit agieren zu können ohne sofort die Traditionen gebrochen zu haben. Es machte manches um so viel einfacher und sie verstand nur zu gut warum ihre Clansmitglieder im Osten auf dieses Privileg nicht verzichten wollten. Sie ließ ihren Körper zurück in ihre eigentliche Gestalt schrumpfen und fuhr sich mit einem Stück ihres Mantels über Gesicht und Arme um sich das restliche Blut notdürftig abzuwischen. Ihr Anblick hätte wohl fast jeden Brügger Bürger entweder in Angst und Panik schreiend in die Flucht getrieben oder dazu geführt, dass man erneut zeitnah die Inquisition eingeladen hätte.
Rustovich, mittlerweile wieder in seiner altbekannten Gestalt, stand bei Velya in der Nähe der Throne und gab Anweisungen an seine Soldaten, die sich zunächst schon einem Freudentaumel hingeben wollten, den der Voivode der Voivode mit einer raschen Handbewegung unterbunden hatte. Noch war Ceoris nicht völlig gesichert und Vladimir Rustovich somit nicht ganz zufrieden.
Emilian küsste Alidas Hand und lächelte, während sie sich den beiden langsam näherten. Er war immer noch etwas wackelig; allein schon die pure Gewalt mit der ihn der Schwanz des Ungetüms getroffen hatte, hatte seine Wirkung nicht verfehlt, selbst wenn der Körper des Unholds schneller heilte als ein Mensch es jemals vermochte. Zum Glück stützte sie ihn.
Die altbekannte Stimme in der schwarzen Rüstung, beinahe am Höhepunkt seiner Macht angelangt und den süßen Duft des Sieges schon riechend, bellte Befehle an die umliegenden Soldaten. „… und sag Andrej, dass er die Hälfte der Nachhut herbeordern soll. Wir brauchen Verbandsmaterial, Medizin und heilkundige Männer. Für die Toten, lasst einen großen Karren vorspannen, aber sammelt vorher die Rüstungen und Waffen ein.“ Der Drache der Drachen, gönnte den Männern offenbar keine Verschnaufpause. Sich selbst genauso wenig. Als er Alida aus den Augenwinkeln wahrnahm, drehte er sich in ihre Richtung und nickte anerkennend. „Das war gute Arbeit, Alida van de Burse. Gemeinsam konnten wir die Bestie vernichten, wo andere vielleicht keinen Ausweg mehr zu finden dachten. Ihr habt eine rasche Auffassungsgabe und kennt keine Furcht.“ Auf seine fahlen Lippen legte sich ein leichtes Schmunzeln. „Möglicherweise habe ich mich mehr in euch getäuscht als ich dachte. Ihr habt tatsächlich etwas von einem Drachen.“
Alida schüttelte leicht den Kopf. „Ihr irrt, wenn ihr das vermutet. Ich würde in solchen Momenten vor Angst am liebsten auf und davon rennen. Aber das ist keine Lösung. Auch wenn einem die Furcht Hand und Verstand lähmen will, muss man tun, was in einem solchen Moment getan werden muss. Ihr habt würdig und tapfer gekämpft, Voivode der Voivoden.“ Sie senkte den Blick udn strich sich das Haar nach hinten.

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Rustovich lachte laut und klopfte Alida fast schon väterlich auf die Schulter. „Und ihr tut gut daran Furcht zu zeigen. Nur ein Narr hätte keine Angst, denn diese ist es, die wir schlussendlich überwinden müssen um daran zu wachsen. Ich spreche nur selten Komplimente aus, Alida van de Burse, also nehmt das meine an. Euer Einsatz kam genau richtig. Emilian hier hat den Drachen abgelenkt, ich habe ihn zurückgehalten und ihr habt ihm den Todesstoß versetzt. Ausgezeichnet!“ Der dunkelhaarige Mann wirkte tatsächlich zufrieden; hob aber eine Augenbraue, als er Emilians kritischen Blick bemerkte.

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„Oh, ich weiß, was ihr mir sagen wollt, Ritter. Man hätte auch ohne den Drachen den Sieg davongetragen, dann wäre vielen unsagbares Leid oder der Tod erspart geblieben. Aber ich frage euch: Wie wären wir dann an den steinernen Wächtern vorbeigekommen? Wer hätte die Elementare abgehalten? Nein, ohne die Bestie hätten wir es niemals soweit geschafft. Die Belagerung hätte noch Monate angedauert; Zeit, die den Tremere zugutegekommen wäre.“
Ihr Erzeuger seufzte leicht und nickte resignierend. „Ich will nicht leugnen, dass die Wächter in der Festung eine schwierige Herausforderung gewesen wären, wenn wir keinen Dra….“
Rustovich unterbrach ihn. „Es wäre aussichtslos gewesen und die Verluste, die ich heute hier hinnehmen musste, sind verschmerzbar. In der Schlacht am Klausenberg haben wir dreimal so viele verloren. Das war eine Schlachtbank, verglichen hiermit.“
Offenbar musste es einige ganz besonders gefährliche Wächter am Haupttor gegeben haben und nur ungern, erinnerte sich Alida an die kleinen, lebendigen Flämmchen zurück, die sie um ein Haar gebraten hätten. Sollte es davon größere und mächtigere Exemplare geben, wäre ein Ungetüm wie der Drache tatsächlich eine angemessene Antwort. Aber Taktik hin oder her, heute und hier hatte man gewonnen…

Wenn sie da nicht, nachdem ihr Blick bei der Ansprache Rustovichs leicht über die Schulter gewandert wäre, um schnell nach Jeremiah Ausschau zu halten, eine Bewegung erkannt hatte, von der sie sogleich annehmen musste, sie habe sie sich eingebildet. Der Drache… bewegte sich kaum merklich. Das Ende des monströsen Schwanzes zuckte leicht.

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Der Weg zum Ziel beginnt an dem Tag, an dem du die hundertprozentige Verantwortung für dein Tun übernimms.
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 Betreff des Beitrags: Re: Die Fesseln der Macht
BeitragVerfasst: Do 21. Jul 2016, 15:30 
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Sie zog die Klinge von Emilians Vater fast reflexartig aus der Scheide und ging in eine automatische Verteidigungshaltung, die Lucien ihr in monatelangem Training beigebracht hatte. ‚Alida! Stand auf beiden Füßen gleichmäßig austarieren‘ hatte sie seine Worte noch in den Ohren. Sie tat einen Schritt nach vorn um zur Not einen erneuten Angriff abwehren zu können.
Dann geschah das, was niemand für möglich gehalten hatte oder auch nur in Erwägung gezogen hatte. Der Drache war tot, aufgespießt von unzähligen Kristallen und zerfetzt von Speeren, Geschossen, Pfeilen und Schwerthieben. Und dennoch riss das Monstrum mit einem Mal die leblosen, kalten Augen auf und starrte direkt auf die kleine Versammlung aus Unholden. Der Kampf war immer stückweise nach vorne in Richtung der Throne getragen worden, da der Drache natürlich immer weiter nach vorne gedrängt hatte. Es trennten die Tzimisce vielleicht gute fünfzig Meter von dem wiedererwachten Kadaver. Dieser klappte das von Blut triefende Maul auf und drückte den muskulösen Körper vom Boden ab; drei Wachleute mit Speeren starrten schreiend zu ihm hoch. Der Rest der Truppen hatte es noch gar nicht wirklich realisiert, da hatte der Drache sich auch schon in Bewegung gesetzt.
„Er lebt noch! Der Himmel steh uns bei er lebt!“, schrie einer der Männer, der in einer Fontäne aus Blut und Knoche verschwand, als der Drache einfach über ihn trampelte und zerquetschte. Fauchen und brüllend raste er weiter auf die Gruppe zu; die Überreste des Kronleuchters zerfetzten ihm die Hälfte des Schädels und schnitten ihm den rechten, mehrfach gebrochenen Flügel ab. Alles, was irgendwie noch in der Lage war dem brüllenden Tod auszuweichen, sprang zur Seite.
Rustovich riss das Schwert hoch und sah mit energischen Blick zu seinem Gegner. „Bei Kain! Wie oft müssen wir dich denn noch zerfleischen, du Monster?“, schrie er mehr erbost als angsterfüllt auf. Doch sie alle wussten, jetzt gab es nichts mehr das sich noch zwischen sie und den Drachen stellen könnte; keine Kronleuchter, keine Armee und auch keine Zulos. Allein der Zusammenprall würde sie buchstäblich in der Luft zerfetzen und das Ding machte nicht den Anschein, als ob es noch viel auf sein eigenes Leben geben würde. Donnernd zerstörten die Klauen mit jedem Schritt den Fußboden und ließen die Halle dröhnen.

Dann geschah etwas, womit niemand gerechnet hatte. Velya trat vor und hob beide Arme nach vorne. „Zu den Seiten mit euch. Eilt euch!“ Und es klang nicht, als ob er irgendjemanden danach fragen würde; es war eine Anordnung in einem Moment, da alle Hoffnung endgültig verloren schien.

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Rustovich schien perplex, wollte dem Drachen schon entgegenstürmen, aber trat dann zur Seite, in die Nähe der geöffneten Geheimtür. Emilian sah Alida an, ergriff ihre Hand und riss sie zur Seite. Was immer der Koldune vorhatte, musste wahrscheinlich große magische Kräfte bündeln.
Alida ließ sich ohne Zögern zur Seite reißen. In ihrer Vorstellung gab es kaum etwas, das in der Lage war, sich dem Monstrum aus Fleisch, Hass und Blut entgegen zu stellen. Sie drückte die Hand ihres Erzeugers so fest, dass sie ihm fast die Nägel ins Fleisch schnitt, hielt die Klinge nach wie vor in der verkrampften Rechten.
Dann plötzlich geschah es. Velya starrte mit weit aufgerissenen Augen auf den anstürmenden Drachen, die Hände noch immer erhoben. Die hohen Fenster hinter ihm zerbarsten in einem plötzlichen Wirbel aus unterarmgroßen Glasscherben, die von einem orkanartigen Wind nach vorne geschleudert wurden. Die eiskalte Luft des Hochgebirges zog wie ein Sturmwind gleich durch die zerstören Fenster und riss an der Kleidung. Immer stärker und heftiger blies der Wind und anstatt sich einzupendeln wurde er immer mächtiger und lauter. Man verstand sein eigenes Wort kaum mehr und Alidas Haare wehten wie wild im Wind. Emilian riss sie zu sich an eine der Säulen und sank dort mit ihr auf die Knie. Wenn sie noch weiter im direkten Luftstrom gestanden hätten, hätte es sie einfach hinfort geweht. Felsteile und Steinbrocken erhoben sich in die Luft und flogen dem Drachen entgegen. Auch Rustovich klammerte sich an eine der Säulen und hatte die Fänge ausgefahren; grollte mit leuchtenden Augen in Richtung des Drachen. Eine solche Macht hatte die Brüggerin bisher noch niemals zuvor gesehen. Und es zeigte Wirkung: Der Ansturm des brüllenden Drachen, dessen unmenschliche Schreie sich mit dem tobenden Orkan vermischten, wurde langsamer und langsamer, bis er schließlich keine zehn Meter vor Velya stehen blieb, die Klauen in den Felsen grub und drohte fortgerissen zu werden. Kristalle, die noch in seinem Schädel steckten, wurden herausgerissen und wie Papier durch die Halle geschleudert; Glasscherben schnitten ihm in Hals und Schnauze. Blut spritze wie Fontänen und färbte den Boden rot. Die Soldaten, die nicht rechtzeitig Schutz gesucht hatten oder etwas hatten, an dem sie sich festklammern konnten wurden ebenso mitgerissen. Mehrere Leichen wurden wie Blätter an die unterste Mauer geworfen.

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Aus zusammengekniffenen Augen, sah sie einerseits Emilian dicht an ihrer Seite den Mund bewegen; verstand aber kein einziges Wort. Mit einem Blick zu Velya, der als einzige von dem Sturm verschont zu bleiben schien, erkannte sie aber noch etwas Anderes oder besser gesagt: jemand anderen. Eine Gestalt in einer schmucken Rüstung, die wie frisch aufpoliert wirkte, hatte sie hinter dem höchsten Thron gesetzt um nicht fortgeweht zu werden. In einer Hand, hielt sie ein breites Schwert.

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Sie wischte sich die tanzenden Haarsträhnen aus dem Gesicht; konnte aber dennoch nicht alles sehen. Der Mann stürmte plötzlich aus seiner schützenden Deckung, schlitterte und flog beinahe dicht über den Boden direkt auf den Rücken des Koldunen zu. Mit einem beinahe lautlosen Krachen, durchdrang die Klinge das linke Schulterblatt und die Augen Velyas weiteten sich; seine Arme sanken ein Stück und der Sturm wurde weniger. Der Gerüstete riss das Schwert mit unmenschlicher Kraft herum und zerschnitt dem Unhold den halben Oberkörper, blieb aber an einer Rippe hängen. Velya gurgelte und zitterte als der Sturm mit einem Mal erstarb. Der Drache, der sich noch immer mit allerletzter, übermenschlicher Kraft nach vorne gekämpft hatte; hatte plötzlich keinerlei Widerstand mehr und schnellte wie ein Pfeil nach vorne, unmöglich noch anzuhalten oder die Richtung zu dirigieren. Fast schon stolpernd, schnappte er nach den beiden Gestalten am Thron und die mahlenden, blutenden Kiefer schlossen sich krachen, während der massige Körper ins Trudeln geriet, über den Stein stolperte und gegen die Fensterfront krachte. Es krachte wie als ob ein Haus in sich zusammenfallen würde als der Drache die Mauer durchbrache und mitsamt den übrigen Teilen der Fenster und unzähligen, größeren und kleineren Gesteinsbrocken in die bodenlose Tiefe stürzte. Er schrie wie von Sinnen dabei.
Sie hatte geahnt, dass der Nosferatu sich einen Moment für den Versuch seiner Rache aussuchen würde, aber sie hätte nie damit gerechnet, dass es genau dieser sein würde. Sie riss sich von ihrem Erzeuger los und stürmte entsetzt die wenigen Schritte zu der ehemaligen Fensterfront. Sie beugte sich nach vorne um in die Tiefe zu blicken.
Was sie zurück anstarrte ließ sie beinahe wieder erschrocken zurücktaumeln. Der Drache hatte sich mit der letzten verbliebenen Kraft an den brüchigen Felsauswüchsen unterhalb der Festung festgekrallt. Ein Auge war völlig zerstört und die Hälfte der geifernden Schnauze zerrissen; der Schädel nur noch eine wabernde Masse aus Gewebe.

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Trotzdem arbeitete er sich nach und nach wieder nach oben; stützte sich immer wieder am Geröll abrutschend mit dem Schwanz ab. Hinter sich hörte sie das Klappern einer schweren Rüstung, und kurz darauf war da schon eine gepanzerte Hand, die sie eilig zur Seite zog. Vladimir Rustovich, Voivode der Voivoden, Drache der Drachen war festen Schrittes auf die zerbrochene Öffnung in der Mauer und den tödlichen Abgrund zugegangen. Das schwächelnde Ungetüm streckte gerade den massigen Schädel über die Kante, da riss Rustovich seine archaische, geschwärzte Klinge hoch.
„In diesen Landen, ist nur Platz für einen von uns!“, brüllte er dem Untier entgegen, bevor sein Schwert mit einem schauderhaften Krachen und widerlichen Schmatzen tief zwischen die Augen vordrang. Die Bestie schnappte hilflos und würgte erstickt, bevor ihre letzte Lebenskraft zitternd erstarb. Der Körper sackte von der einen auf die andere Sekunde zusammen und die Klauen verloren den Halt, als sein Gewicht ihn nach unten in die Tiefe zog. Er stürzte endgültig in das schwarze Nichts der Karpaten, auf denen sich in dieser mondbeschienenen Nacht nur der Schnee weißlich erkennen ließ. Der massige Körper durchbrach eine Nebelbank und verschwand.
Der Voivode der Voivoden sah ernst zu Alida und nickte. „Viel mag so ein Scheusal überleben, aber diesen Sturz gewiss nicht. Das Gebirge ist hoch, zerklüftet und schroff. Selbst wenn er jetzt noch einige bösartige Atemzüge tun sollte, wird er nach und nach an jeder Klippe und jedem Felsen buchstäblich zerreißen, bis er am Boden zerschellen wird.“ Seine Augen funkelten. „Das blüht allerdings auch Velya und diesem… wir war noch gleich sein Name? Hat er uns gerettet oder gerade versucht den besten Koldunen in unseren Reihen zu töten? Pure Absicht oder ein missglücktes Manöver mit ungewolltem Ausgang? Falls wir dazu noch in der Lage sind, werde ich das sehr schnell herausfinden. Verräter, leben nicht lange.“ Damit steckte er das Schwert in die Scheide und drehte sich zu seiner Armee um und brüllte: „Jetzt, ist der vermaledeite Drache tot! Ihr könnt aufatmen, Männer. Disziplin und Ordnung, noch haben wir eine Festung einzunehmen. Ich brauche zudem ein paar Mann, die unverzüglich einen Suchtrupp in die Blaskowitzer Felswand schicken. Stellt fest, ob der Drache wirklich tot ist und falls der Teufel seine Hand wirklich im Spiel hat, tötet ihn ein für alle Mal.“ Der Voivode atmete tief ein und aus. „Und findet mir Velya und diesen…. diesen…. Mörder!“
Alida biss fest die Lippen aufeinander und schwieg. Nur zu gern hätte sie ein paar Worte über Jeremiah verloren, die diesen mehr als berechtigten Verdacht entkräftet hätten, aber sie kannte den Drachen der Drachen, der gerade seinen Standpunkt klar gemacht hatte zumindest in der Hinsicht gut genug um zu wissen, dass er keine Widerworte hören wollte, wenn er sich einmal eine Meinung gebildet hatte. Einen Moment überlegte sie, ob sie sich für diesen Suchtrupp melden sollte. Im Gegensatz zu all den Sterblichen war es ihr nur allzu leicht möglich jede noch so steile Felswand hinauf oder hinunter zu kommen und wenn Jeremiah tatsächlich diesen Sturz überlebt haben sollte, lag er vielleicht in Starre und brauchte Hilfe bevor die Sonne durch die dichten Wolkenfetzen brach. Wieder beugte sie sich über die Mauerreste.

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