Mi 16. Nov 2016, 22:55
Die Stadt war groß und verwinkelt, was Leif zwar erwartet hatte, ihn aber nichtsdestotrotz auf die falsche Fährte geführt hatte. Er suchte sein Ziel in den verschneiten Straßen Nürnbergs und fand schließlich ein Haus, welches der Beschreibung zumindest grundlegend entsprach. Leif klopfte und nach der dem mehr oder weniger freundlichen Willkommen antwortete er. Der Nordmann bewahrte sich ein Lächeln auf den Lippen. Vielleicht dachte der Mann er könnte Leif mit einer exotischen Sprache abwimmeln, aber so einfach wurde man den Salubri nicht los. Er antworte in derselben Mundart seines Gesprächspartners. “Guter Mann, lasst mich bitte ein. Es ist eisig kalt und wenig einladend draußen.” Leif versuchte so locker wie möglich zu klingen. “Und doch bringe ich ein Artefakt welches der Hausherr bestimmt gerne in seinem Besitz sehen würde. Also lasst ihr mich ein?”
„Artefakt? Pah, das ich nicht laut lache! Könnt ja jeder behaupten! Wer seid ihr, dass ihr um ein Uhr nachts hier anklopft? Kommt wohl grad aus der Schänke und findet den Weg nach Hause nicht mehr, was? Hier drin gibt’s nix zu holen und auch keinen Schlafplatz für Obdachlose. Versucht’s bei der Kirche, wenn man euch da rein lässt!“ Die Stimme war noch immer genauso mürrisch.
“Wie ich sehe sprechen in dieser Stadt eine ganze Menge Obdachlose den altfränkischen Dialekt.” Leif ließ sich seine Laune noch immer nicht verderben. “Ich hoffe für jene gebildete Obdachlose von Herzen, dass die Mönche und Priester hier sich besser in der Linguistik verstehen als in anderen Städten.” Leif nahm das Schmuckstück aus seiner Tasche und schaute sich den Adler an. “Welch Schande es doch wäre wenn der Imperiale Adler, der das Banner mit der Aufschrift S.P.Q.R in seinen Klauen hält sein Ende in einer einfachen Silberschmiede findet, die das gute Stück für seinen Materialwert einschmelzen.” Leif pausierte bevor er weitersprach. “Euer Herr könnte immer noch ablehnen, was ich anzubieten habe, wenn es ihm nicht gefällt, denn ich habe nicht den Wunsch ihm etwas aufschwatzen zu wollen. Leider ist es meine letzte Nacht in der dieser Stadt…” Der Salubri sagte nichts mehr und begann ganz langsam damit Sleipnirs Zügel zu ziehen, so als wollte er sich von dem ausladenden Portal abwenden.
Ein lautes theatralisches Seufzen folgte. Ganz offensichtlich behagte es ihm nicht, sich ins Erdgeschoss zu begeben, aber dennoch hatte Leif seine Aufmerksamkeit für einen kurzen Moment erlangt.
„Wartet einen Moment, wer auch immer ihr seid, Störenfried.“
Der Fensterladen wurde wieder zugezogen und ein leises Poltern war auf der Treppe zu vernehmen als jemand hinunter stapfte. Dann öffnete sich die Tür einen winzigen Spalt. Leif erkannte, dass sie mit mehreren Ketten gesichert war. Ganz offensichtlich war der Hausherr ein Mann, der um seine Sicherheit fürchtete.
Ein Gesicht war zu erkennen, das ihn mehrere Sekunden musterte und einzuschätzen suchte.
„So? Wer seid ihr also? Wen soll der Hausherr kennen lernen?“
Ein Fuß hatte er zumindest in der Tür und Leif durfte es jetzt nicht verderben. “Leif Thorson wünscht euren Meister zu sprechen. Ich komme aus Brügge und bin ein entfernter Verwandter, der gehört hat, der Hausherr interessiert sich für alte römische Artefakte.” Er verbeugte sich leicht bevor er fortfuhr. “Ein solches habe ich anzubieten, ein Erbstück sozusagen.”
„Aha, na dann…“ Leif konnte hören, wie die Ketten langsam gelöst wurden. „… ein entfernter Verwandter also…?“ Mit einem heftigen Ruck wurde die Tür aufgerissen. Leif konnte sofort erkennen, dass etwas nicht stimmte. Eine blitzschnelle Bewegung kam auf ihn zu und es war abzusehen, dass mit rasender Geschwindigkeit weitere folgen würden.
Leif hatte keine Ahnung was genau um ihn geschah. Klar war, dass gerade etwas mächtig falsch lief und alles was er noch tun konnte war die Arme vor sein Gesicht zu ziehen. Die Reaktion war der simple Reflex eines Sterblichen, weniger etwas das ihm gegen einen alten, ausgewachsenen Brujah würde helfen können.
Innerhalb eines Wimpernschlages hatte der Mann mit einer duckenden Bewegung hinter Leif Stellung bezogen. Der Salubri spürte die scharfe Klinge eines Dolches auf der Haut seines Rückens, exakt im Bereich des Herzens, wo sie pausierte. Die raue Stimme des Angreifers erzeugte einen gut spürbaren Luftzug an dessen Ohr als er flüsterte. „So, du Klugscheißer. Wer bist du wirklich und was willst du? Verwandte hab ich nämlich ganz sicher nicht! Auch keine entfernten!“ Es sah ganz so aus als hätte Leif den Kainiten, der sich Hermann nannte, gefunden.
Könnte Leif schwitzen, würde er es tun, trotzdem versuchte er mit dem offensichtlich mehr als nur paranoiden Kainiten zu reden, bevor er eine andere Taktik versuchen würde. “Ihr habt eine eigenartige Art, eure Gäste zu begrüßen Armenius, aber sei es drum!” Leif bewegte sich keinen Millimeter, dann nach einer Zeit von vielleicht ein oder zwei Herzschlägen sprach er weiter. “Teilen wir nicht alle den gleichen Vater, wenn wir ein paar Generationen zurückgehen?” Noch während er sprach, konzentrierte er sich und konzentrierte sich auf sein Auge. Er hatte kein Interesse daran sich hier und jetzt zu verraten, aber heute nacht zu sterben war auch nicht Teil des Plans. Mit aller Kraft seines Willens aktivierte er eine der alten Kräfte seiner Linie, ohne sein drittes Auge zu öffnen und erschuf einen unsichtbaren Schild um sich, welcher nur mit dem stärksten Willen gebrochen werden konnte. Der Salubri musste zwar nicht mehr atmen, als der Brujah von ihm weggeschoben wurde und doch traute er sich nicht zu atmen. Leif erhob einmal mehr die Stimme als die akute Gefahr vorüber war. “Ich bin weder euer Feind, noch im Auftrag eines solchen unterwegs, Armeninus. Besinnt euch!”
Das unsichtbare Schild tat seine Wirkung, drängte den Kainiten von Leif weg in Richtung Straße. „Was?“ kam der überraschte Ausruf. Obwohl er sich dagegen stemmte, gelang es ihm nicht gegen die Kraft anzukommen. Mit dem Messer in der Hand verharrte er schließlich barfuss im Schnee und verzog die Augenbrauen zu zwei schrägen, skeptischen Linien. Er sah genauestens zu Leifs Stirn. Dann blickte er sich nach links und rechts schauend in der Gasse um. Ein schicksalsergebenes Seufzen folgte. „In Ordnung. Kommt rein!“
Der Nordmann musste aufpassen um nicht erleichtert zu seufzen. Er war noch immer skeptisch und hielt den Schild aufrecht, auch wenn er trotzdem ins Innere des Hauses ging. Ohne ein weiteres Wort holte er das Schmuckstück aus seiner Tasche hervor und zeigte es dem paranoiden Kainiten mit ausgestrecktem Arm. Er seufzte schließlich doch. “Jetzt können wir unsere anfänglichen Schwierigkeiten vielleicht hinter uns lassen.” Er senkte den Arm, hielt ihn aber so, dass der Brujah noch immer die Brosche erkennen konnte. “Ich bin nur hier um etwas zu verkaufen, danach werde ich wieder meines Weges gehen Hermann, oder wenn euch das lieber ist Armenius.”
Der Brujah leckte sich über die trockenen Lippen. „Ich hab nicht gern Gäste zu Besuch. Und solche, die Leif Thorson heißen und altes Fränkisch sprechen, erscheinen mir auf Anhieb suspekt.“ Seine Stirn legte sich in Falten als er die Brosche ansah und ein interessiertes Funkeln in seinen Augen aufblitzte. „Was seid ihr? Ein Einhorn, oder? Auch wenn man’s euch nicht auf den ersten Blick ansieht. Ich hab schon so oft Seite an Seite mit euresgleichen gekämpft und kenn so einige eurer Kräfte“
Armenius sah ihn fragend an wartete aber seine Antwort nicht ab.
Er drehte Leif den Rücken zu und ging ein paar Schritte durch einen der Flure. „Folgt mir. Ihr wolltet doch ins Warme.“ Er schwieg einen Moment bevor er fortfuhr. „Keine Ahnung, was ihr seid, aber ich brauch’s auch nicht weiter zu wissen. Was ich nicht weiß, kann ich auch nicht weiter erzählen, nicht wahr? Nun denn…“
Manchmal war es erheblich törichter und auch schwieriger, zu dementieren oder zu lügen, weshalb Leif bei dem Begriff Einhorn einfach nur schwieg. Armenius hatte eh schon seine Schlüsse gezogen. Es dauerte noch einen Moment, aber schließlich ließ er den Schild sinken und begann dem Mann vor sich folgen. Vorsichtig erhob Leif seine Stimme. “Ich will keinen Ärger mit euch, es geht nur um ein Geschäft...” Der Salubri umklammerte die Brosche bis sich das Silber beinahe in sein Fleisch schnitt. “...und ich habe den Hinweis von einem Freund bekommen, dass ihr euch vielleicht für meine Ware interessieren würdet.” Leif schaute zum ersten Mal direkt in die Richtung des Brujah. “Allein deshalb habe ich euch aufgesucht.”
Der Brujah grummelte unverständlich in seinen nicht vorhandenen Bart. „Ihr braucht wohl Geld, schätz ich mal.“ Der Mann behielt ihn noch immer misstrauisch im Augenwinkel während er die Flure abschritt und öffnete schließlich eine kleine, unscheinbare Tür. Er machte eine bedeutungsschwere Pause, dann ließ er Leif eintreten
„Sooo… Mein Arbeitszimmer.“
Insgesamt erinnerte alles in ausgesprochenem Maße an die Einrichtung im geheimen Keller von Trajan. Das Kastenmuster fand sich immer wieder als Schmuckelement an den Wänden, dicke Teppiche mit ungewöhnlichen Mustern waren am Boden ausgelegt und die Einrichtung erinnerte trotz ihres ausgezeichneten Zustandes mehr an die Zeichnungen in uralten Büchern, die zufälligerweise mal hatte in der Hand halten dürfen, als an Möbelstücke. Tatsächlich konnte Leif vor einem Kamin, in dem die letzten Holzreste eines heruntergebrannten Feuers sanft in Orange glühten, mehrere Mosaike ausmachen.
Armenius deutete auf einen stoffbespannten Schemel vor einem Schreibtisch. „So, dann zeigt das Stück, das ihr bei euch tragt mal her! Ich möchte alles erfahren, was ihr darüber wisst. Und damit euch eines gleich klar ist: Ich handle nicht mit Hehlerware!“ Ein grimmiger Blick wurde in Leifs Richtung geworfen, der allein den Gedanken daran zu einer sehr ungesunden Angelegenheit erklärte.