So 23. Okt 2016, 20:41
Auch wenn sich die Umstände ihres Aufenthaltes geändert haben mochten, so trat sie nicht einfach so in das Zimmer des Hausverwalters, sondern wartete nachdem sie selbst an der Tür geklopft hatte um Einlass. Anders als Michel hatte sie ihren Dolch nicht hervorgeholt oder wie Lucien ihre Krallen ausgefahren. Eines allerdings tat Lilliana: Sie aktivierte ihre geschärften Sinne. Diese Kräfte waren passiv und wirkten nicht aggressiv, gaben aber in manchen Momenten einen entscheidenden Hinweis.
Die altbekannte Stimme des Heimleiters Johannes von Kleist, erklang gedämpft hinter der schweren Holztür. Der Tonfall schien keineswegs überrascht, besorgt oder misstrauisch, sondern eher höflich und wohlwollend. „Seid ihr das Gräfin von Erzhausen?“ Es folgte eine kurze Pause, dann fuhr der Heimleiter fort: „Immer nur herein liebste Gräfin, es ist mir ein Vergnügen euch in meiner bescheidenen Stube willkommen zu heißen.“ Michel nickte seiner Herrin fest entschlossen zu und öffnete dann vorsichtig die Tür; hielt sie seiner Herrin auf um dann sogleich nach ihr den Raum zu betreten, dicht gefolgt vom verbliebenen Soldaten ihrer Wachmannschaften. Das innere des hohen aber nicht gerade weitläufigen Zimmers, war ebenfalls kärglich und nur mit dem notwendigsten ausgestattet. Breite Teppiche spannten sich über kalten Stein und an den Wänden standen hohe Bücherregale mit einer sorgsam gepflegten Auswahl an Lesestoff, sowie einiger Pflanzen in niedrigen Schalen und einem kleinen Tischchen mit zwei Weingläsern und einer schlanken Flasche. Hauptsächlich lagen zusammengerollte Pergamente darin, die mit Kordeln oder Bändern zusammengehalten wurden und einer nicht sofort ersichtlich Ordnung nach katalogisiert und eingeordnet worden waren. Glanzstück des Raumes, war ein ausladender Schreibtisch, der wiederum übersäht war mit unzähligen Dokumenten, Federkiel und Tinte, Siegelwachs und ein, zwei dekorativen Holzstatuetten. An hohen Kerzenständern und an der Decke, waren viele Kerzen entzündet worden und sogar ein kleiner Kamin flackerte gemächlich im Hintergrund. Zwei adrette Stühle waren vor dem Schreibtisch positioniert worden, sodass Gäste sich bei Bedarf setzen konnten. Auf einem weiteren Tisch, gab es eine kleine Waage, Baupläne und Kartenmaterial, einige Goldmünzen die niedrig gestapelt worden waren und alle möglichen Fläschchen, Flakone, Phiolen und Schälchen. Ab und an lag dort sogar ein Kräuterbund und alles in allem roch es ähnlich wie im Brügger Krankenhaus oder Leifs Apothekerschrank. Der Hausleiter selbst, hatte noch nicht zu ihr hochgesehen, als die Tür wieder ins Schloss fiel und schien gerade mit einer Arbeit beschäftigt zu sein, die seine gesamte Aufmerksamkeit erforderte. Mit zusammengekniffenen Augen, durchbohrte er eine etwas mitgenommen Stoffpuppe mit einer Nadel und befestigte einen schwarzen Knopf, der fürderhin als Auge dienen würde daran. Ein kleiner, merkwürdiger Aufbau, hielt dazu ein Vergrößerungsglas an Ort und Stelle, dass ihm diese handwerkliche Tätigkeit erleichterte. Erst als das Auge befestigt worden war, sah er zunächst lächelnd auf und erhob sich zeitgleich von seinem Stuhl. „Verzeiht verehrte Gräfin aber diese Puppen sind gerade den Mädchen sehr ans Herz gewachsen und auch wenn ich es nicht gut kann, versuche ich gelegentlich diese Spielzeuge zu reparieren obwohl Natascha natürlich…“ Dann erst sah er das gezogene Schwert von Michel und des anderen Soldaten, die beide ganz offensichtlich nicht sehr willkommen waren. Mitten im Satz brach er irritiert in ihre Richtung blickend ab und wirkte in erster Linie mehr überrascht als erbost. „Liebste Gräfin ich… Gibt es denn einen Anlass für diesen… Aufmarsch? Ich gab euch doch zu verstehen, dass ich bewaffnete in meinem Domizil nicht sehr schätze. Und auch wenn ich mich sehr freue das Privileg eures Besuches genießen zu dürfen, so muss ich doch fragen, was ihr damit wohl bezwecken mögt? Wolltet ihr nicht den Kindern vorlesen?“
So bedrohlich Michel und der Wachmann wirkten, umso friedlicher gab sich Lilliana nach außen. Ihre Mimik war zwar entschlossen, aber nicht kriegerisch, während ihre Worte einen altbekannten belehrenden Klang annahmen. „Mir ist bewusst, welche Wirkung es hat Männer mit gezogenen Schwertern zu sehen. Und wäre hier ein Ort beherrscht von Liebe und erfüllt von Gottes Gnade, würde meine Wache noch immer vor den Toren stehen und dafür Sorge tragen, dass keine Dämonen dieses Haus und seinen Bewohnern Schaden zufügten.“ Sie trat einen Schritt nach vorne hin zu ihm. „Meine Person ist jedoch nicht blind und ihr als Heimleiter und damit als Verantwortlicher dieses Hauses schuldet mir eine Erklärung.“ Ihre Worte waren unbeabsichtigt weicher geworden, als sie sollten, so erklangen sie mehr wie ein schmeicheln. „Ohne Zweifel ist der Erwerb dieses Hauses hier in Gent schneller und wie soll man es sagen, mit einer Portion Glück ausgestattet gewesen.“ Sie verharrte in ihrer Position und schaute ihn dann scharf an. „Wer ist der Besitzer dieses Hauses, der einzelnen Kindern Besuche abstattet ohne das die älteren Betreuer oder sie anwesend sind?“
Je länger Lilliane sich den grauhaarigen, mittlerweile auch schon etwas in die Jahre gekommenen Heimleiter besah, desto merkwürdiger wirkte das Bild. Und als ihre scharfen, schier übernatürlichen Sinne, die sie bereits vor der Eingangstür aus reiner Vorsicht aktiviert hatte, durch die letzten Schleier des Truges und der Lüge schnitten, verformten sich die grauen Haare des Mannes zu fettigen, einzelnen Strähnen, die dem Mann wie schimmlige Algen vom Kopf hingen. Die Lippen um den leicht faltigen Mund, dehnten sich in eine buchstäblich ungeheuerliche Breite; ein rasiermesserscharfes Lächeln das tatsächlich von Ohr zu Ohr zu wanderte und faulige, schiefe Zähne offenbarte. Der gähnende Abgrund dieses Mauls war groß genug um einem der Kinder im Zweifelsfall den ganzen Kopf abzubeißen. Und wenn man gerade von Ohren sprach, links hatte er keines mehr, sondern lediglich eine schorfige Geschwulst, das recht war dafür spitz und leicht gebogen. Kränkliche Augen aus tiefen Augenhöhlen starrten sie wie kleine Punkte an und waren geprägt von blutunterlaufenen Lidern, die kein einziges Mal blinzelten. Dürr war die Gestalt und hochgewachsen, mit einer ledrigen, ungesund gräulichen Hautfarbe und dürren Händen mit noch spindeldürreren Spinnenfingern, die tatschlich dreimal so lang waren, wie gewöhnliche Finger.
Der Toreador wurde bewusst, das augenblicklich nur sie in der Lage war die Wahrheit über Johannes von Kleist zu erfassen, ihre Leibwächter hingegen würden wohl nach wie vor den alten Heimleiter vor sich stehen sehen. Allein ihre Worte jedoch würden genügen, um das Lügenbildnis vor aller Augen fallen zu lassen, sollte sie sich dazu entschließen. Das Monster blieb zu ihrer Überraschung ungewöhnlich ruhig, sah sie lediglich kopfschüttelnd und irritiert an; verstand ganz offensichtlich nicht was genau die Brügger Adelsdame mit dieser Ansprache beabsichtigte oder worauf sie hinauswollte. „Ich verstehe eure Frage nicht ganz verehrte Gräfin“, schnarrte das Ungetüm vor ihr in einer Stimmlage, die dem Reiben von blanken Knochen aneinander nicht unähnlich war. „Gewiss könnte man noch mehr für die christliche Erziehung der Kinder tun doch glaube ich nicht das sie hier völlig Gottlos aufwachsen. Und was die Gefahren von außen angeht, so kann ich euch versichern das ich jeglichen Schaden von unserem Hause abzuwehren weiß.“ Die Scheußlichkeit räusperte sich leicht und deutet auf den Stuhl vor sich. „Wollt ihr euch nicht setzen und mir erklären, was euch so in Rage versetzt hat und wo genau der Grund für eure Beanstandung liegt? Ich bin überzeugt davon, wir werden etwaige Mängel schnell beheben können sollten sie tatsächlich gravierende Ausmaße annehmen. Bitte..“ Er deutete nochmals auf den freien Platz vor sich und nahm dann ebenfalls wieder Platz. Noch immer schien der ‚Heimleiter‘ nicht zu verstehen wovon Lilliane sprach. „Aber tut mir doch einen Gefallen und schickt eure Männer nach draußen. Ich wiederhole mich zwar ungern aber wie gesagt mag ich es nicht, wenn man mit Waffen vor mir herumfuchtelt. Ich glaube kaum das derlei Dinge notwendig sind wenn es sich lediglich um ein organisatorisches Problem handelt. Beim Besitzer dieses Hauses, handelt es sich selbstredend um meine Wenigkeit.“ Er begann damit ein wenig den Schreibtisch aufzuräumen und schob das halb fertige Modell eines Buddelschiffs zur Seite. Offenbar hatten diese dürren, langen Finger auch durchaus seine Vorteile.
Sie musste wirklich schlucken, besann sich aber darauf, dass Gareth wie auch Kobald oder Josef sich ihre äußerliche Gestalt nicht ausgesucht hatten. Gleichzeitig war sie froh, dass Leonore nicht in ihren Armen lag. Sie war sich sicher, dass die Kleine, wäre sie wieder erwacht das „Monster“ erkannt hätte. Lilliana änderte ihren Gesichtsausdruck in keinster Weise ihre nachfolgenden Wörter hatten zum ersten Mal einen sehr befehlenden Charakter. „Michel lass die Wache ein paar Meter direkt vor der Türe passieren, sodass kein Wort an sein Ohr dringen vermag, schließ die Türe von innen und steck dein Schwert wieder in seine Scheide, behalte jedoch die Hand am Knauf. Dass was ich gleich zu sagen habe, soll diesen Raum nicht verlassen.“
Michel zögerte für einen Moment, nickte dann aber einsichtig und offenbar allmählich verstehend. Er befahl der letzten Wache die Tür nach draußen zu sichern und sich zu diesem Zwecke ein paar Meter davor auf dem Treppenaufgang zu platzieren; bewaffnet natürlich. Als der Ghul sich vergewissert hatte, dass der etwas unsicher dreinblickende Mann auch nichts von dem Gespräch hinter verschlossenen Türen mitbekommen konnte, betrat er erneut den Raum und schloss hinter sich ab, sein Schwert dabei wieder in der Scheide platzierend. Misstrauisch wechselten seine Blicke zwischen seiner Herrin und dem Heimleiter, der zunehmend irritierter die Szenerie beobachtete. „Es tut mir wirklich außerordentlich leid Gräfin, wenn ich euch auf irgendeine Art und Weise verärgert haben sollte aber wärt ihr so freundlich mir zu erklären, was das alles zu bedeuten hat?“, setzte das hässliche Monster erneut an.
Während der Zeit, in der Michel ihren Anweisungen Folge leistete richtete Lilliana nicht einen Blick auf ihren Ghul, sondern schaute von Kleist weiter an, allerdings vermied sie den direkten Augenkontakt. Erst als die Tür ins Schloss fiel, entspannte sie sich um eine Nuance, straffte sich noch einmal, atmete ein und aus und verfiel dann in eine leichte Referrenz, aus der sie sich wieder aufrichtete. Erst danach erhob sich ihre Stimme zu einer nun neutralen Melodie. „Lilliana von Erzhausen, Ancilla der Toreador und Ratsmitglied von Brügge.“ Sie machte eine Pause, während dessen sie ihn nun gefasst ansah. „Dürfte ich nun euren wahren Namen erfahren?“
Das Monster am Schreibtisch beobachtete sie schweigend und ratlos, als ob was immer sie da auch gerade machte, keinerlei Sinn für ihn ergab. „Meine liebe Gräfin von Erzhausen, ich weiß doch bereist wer ihr seid und wir haben uns doch bereits miteinander bekannt gemacht oder etwa nicht?“ Ungläubig schüttelte das Ungeheuer den Kopf mit dem breiten, widerlich grinsenden Lächeln, das man wohl einfach nicht so ohne Weiteres ignorieren konnte. „Doch wenn es euch beliebt, so dürft ihr mich auch gerne einfach Jeremiah nennen. Mich würde man wohl Ahn schimpfen, wenn man Wert auf diese Titel legt. Nun… warum schickt ihr nicht euren kleinen Pfiffikus vor die Tür und setzt euch zu mir, damit ihr mir endlich verraten könnt, was das hier alles zu bedeuten hat? Wo mangelt es denn an christlichen Werten in unserem Haus?“ Erneut lud er sie ein sich zu setzen, während Michel sich redlich bemühte keine angewiderte Grimasse zu schneiden. Immerhin war er gerade ein wenig geschmäht worden.
Sie hüllte sich in einen Moment des Schweigens, dann drehte sie sich langsam und betont zu Michel um und gab ihm durch ein nicken und ein entschuldigendes Lächeln zu verstehen, dass er den Anweisungen des anderen Mannes im Raum in Ruhe und ohne Aufsehen Folge zu leisten hatte. Erst nachdem Michel gegangen und die Tür verschlossen hatte, würde sie sich endlich gemäß der Einladung setzen. „Ich denke darin liegt das größte Missverständnis Jeremiah. Sowohl ihr als auch euer Personal Glauben das meine Person über alles bereits ins Bild gesetzt wurde. Das dies nicht so ist, beweisen meine Taten.“ Sie machte eine Pause und ein kurzes Lächeln huschte über ihr Gesicht, als sie seine Worte sich durch den Kopf gehen ließ. „Der Ruf eurer Ankunft in diesem Land und der sofortigen Übernahme des neuen Waisenhauses scheinen vor den Toren Brügges Halt gemacht zu haben.“ Sie machte erneut eine Pause und wurde wieder Ernst. „Darf meine Person dann auch wissen von welchem Clan ihr abstammt, da uns beiden egal ist, welche Titel wir tragen?“
Ihr Leibwächter hatte offenbar ein wenig mit den Wünschen seiner Herrin zu kämpfen, war für die Toreador auch deutlich spürbar war, obgleich es dennoch eines geschulten Auges bedurfte, um diesen inneren Konflikt zu bemerken. Von außen wirkte Michel nur eine winzige Spur zögerlicher, als er der Aufforderung schlussendlich ohne großes Aufheben oder Widerworte nachkam. Er wusste wie er sich zu verhalten und zu benehmen hatte und er würde sich davor hüten seine Herrin in Anwesenheit anderer Kainiten zu beschämen. Jeremiah verfolgte sowohl seinen Abgang, als auch die Bewegungen der Toreador mit wachsendem Interesse und gelassener Ruhe. „Offensichtlich handelt es sich dann tatsächlich um ein Missverständnis, ich glaubte ihr wäret bereits über alles unterrichtet worden. Schließlich bin ich es gewohnt, dass selbst die lächerlichsten Gerüchte sich wie ein Lauffeuer verbreiten, da sollte so eine Kunde doch wohl noch um einiges schneller die Runde machen.“ Es ertönte ein heiseres Lachen, das wahrhaftig belustigt klang. „Aber offensichtlich habe ich die Gesprächigkeit und den Tratsch der hohen Herrschaften wieder einmal überschätzt, dabei wäre es einmal tatsächlich nützlich gewesen. Ich bin ein hässlicher Nosferatu, das werdet ihr mit euren scharfen Blicken wohl schon festgestellt haben und ich hoffe der Anblick ist nicht zu erschreckend für euch. Sollte er besser nicht sein, wenn man euer Alter und euren mutmaßlichen Erfahrungsreichtum bedenkt.“ Jeremiah kicherte. „Hat mich Alida denn nicht einmal erwähnt? Wirklich nicht? Sie hat mir doch so viel über Brügge erzählt und auch über euch. Ich muss mich schon über unseren Drachen wundern.“ Er hob spielerisch tadelnd den überdimensional langen Zeigefinger.
Lillianas Blick wurde eine Spur düsterer, ehe ein Ruck durch ihren Körper ging und sie sich in eine entspannte Position brachte. Ihr Lächeln, das sie nun auch in ihr Gesicht zauberte, bewirkte gleich eine Veränderung der Aura die sie nach außen strahlte. „Ich hatte noch nicht die Gelegenheit gehabt mit Alida van de Burse persönlich über ihre Eindrücke von ihrer Reise zu reden. Bei den Ratsbesprechungen sind diese Themen keine Tagesordnungspunkte. Aber damit sei das Thema des Missverständnisses auch abgeschlossen. Anscheinend war ich der Zeit etwas vorraus.“ Sie würde zur Bestätigung dazu nochmal nicken „Oh, was eure Maske angeht, so sehe ich es mehr als ein Zeichen des Vertrauens an, wenn sie fällt, doch wenn ihr euer Gesicht so haben wollt, werde ich es euch nicht nachteilig auslegen.“ Lilliana senkte kurz den Kopf und schloss kurz die Lider, ehe sie wieder Jeremiah in die Augen blickte. „Der Clan der Nosferatu hat gerade hier in Gent nicht den besten Stand. Zu viel ist in jüngster Zeit durch euren Clan geschehen. Doch vermag durch eure Anwesenheit wieder mehr Weisheit und Ruhe hierher zu kommen.“ Sie brach den Augenkontakt und betrachtete die Puppe, die er vorhin begonnen hatte zu reparieren. „Ich möchte gerne wissen, was ihr glaubt über mich zu wissen, vielleicht fügt sich für euch dann das Bild über mich besser zusammen und ich kann euch erklären, was mein weiteres Anliegen an euch ist.“
Das Monster alias Jeremiah oder Johannes von Kleist, lächelte. Zu viel mehr war dieser breite, faulige Abgrund von einem Maul auch gar nicht in der Lage. „Ach Alida hat noch gar nichts von ihren kleinen Abenteuern erzählt?“ Die spinnenartigen Finger wanderten hoch an sein Kinn und strichen überlegend über das ledrig-graue Konstrukt aus kränklichem Knochen und Gewebe. „Naja es ist ja auch eher privater Natur und ich muss um der Fairness Genüge zu tun festhalten, dass sie auch für eine etwas längere Zeit Grund hatte anzunehmen ich wäre bereits vorzeitig verschieden. Wie der Teufel es so will bin ich es aber offensichtlich nicht und darüber hinaus ist es mir ziemlich einerlei ob jemand meine sterbliche Maske oder mein wahres Äußeres bevorzugt. Zumindest im Rahmen der Stille des Blutes, sind alle hier in diesem Haus sich darüber im Klaren wer und was ich bin; da lasse ich niemanden im Unklaren.“ Langsam lehnte er sich nach vor und verschränkte die Finger ineinander. Es sah fast so aus als würden zwei riesige Spinnen übereinander herfallen. „Und das mein Clan hier ein wenig in Ungnade gefallen ist, musste ich bei meiner Ankunft ebenfalls feststellen, deshalb habe ich mich auch sofort als Sprachrohr für den verbliebenen Rest zur Verfügung gestellt. Irgendjemand musste in diesem bedauernswerten Saustall ja mal aufräumen. Darüber hinaus scheint man so zufrieden mit meiner Arbeit, das ich sogar dem örtlichen Rat beitreten durfte.“ Jeremiah hob einen Zeigefinger leicht an. „Versteht mich nicht falsch, ich bin kein Freund von schleimiger Politik aber, wenn ich diese Missstände hier sehen muss und dann daran denke, dass ich eigentlich vorhatte hier länger zu verweilen… nein, da kann man nicht zusehen. Selbst wenn ich momentan eher Ohrfeigen und Tritte verteile als samtene Weisheit und Ruhe. Wenigstens hat es Vorteile bei meinen geschäftlichen Aktivitäten mit den Van de Burse und anderen aussichtsreichen Partnern.“ Der Nosferatu hob die knochigen Schultern, die sich kantig unter den Stoffen seiner Kleidung abzeichneten. „Was ich über euch weiß? Das Übliche. Ihr seid adelig oder schein-adelig, kleidet euch fein und geht nicht ohne gemachte Haare außer Hause. Euer Geld habt ihr von irgendwelchen Färbemitteln, die sich offenbar gut verkaufen. Ihr beschäftigt ein paar Leibwächter um euer kleines Anwesen in Brügge zu schützen und habt eine wirklich seltsame Beziehung zu den Waisenkindern in euer Stadt. Ihr versorgt die Kirche mit finanziellen Mitteln, damit diese ihre Auffangstationen für die Kinder betreiben können und schaut gelegentlich selbst mal vorbei um…“ Er pausierte kurz. „Da waren die Informationen nicht konsistent. Was tut ihr eigentlich mit den Kindern? Ihr lest ihnen Geschichten vor, soweit sind wir schon aber was sonst noch? Trinkt ihr von ihnen? Das macht wenigstens Sinn.“ Jeremiah räusperte. „Ansonsten gibt es nicht viel über euch zu sagen, das meiste ist jedem in diesen Landen bekannt. Ihr seid Mitglied im Rat und Gründungsmitglied, habt den alten Besitzer von Brügge hinausgeworfen und regiert nun genau wie ich in einem merkwürdig pseudo-demokratischen System das unglaublich langsam und schwerfällig ist. Ihr verbratet ein wenig euer Ressourcen in Kunst aber wirklich Interesse scheint ihr nicht zu haben. Ein paar Leute munkeln ihr hättet so etwas wie eine kleine Liebelei mit irgendeinem… Kerl.“ Sein Kopf legte sich schief. „Aber jetzt da wir das geklärt haben und mich euer Besuch als offizielle Abgesandte des Brügger Rates natürlich sehr ehrt… was wollt ihr hier in meiner Domäne? Mit welchem Anliegen seid ihr heute hier? Immer frei heraus damit Gräfin von Erzhausen.“
Je mehr Jeremiah sprach, desto mehr war sich Lilliana sicher, dass die Nosferatu mehr als nur ihre Schwäche der Entstellung verband. Ihre Einstellung bezüglich der Politik war sich ähnlich, wenn man einen Blick dahinter warf. Zu seinen weiteren Ausführen nickte sie weder oder schüttelte den Kopf. Es waren Fakten, teilweise auch Vermutungen, teilweise auch gute Beobachtungen…sie zuckte zusammen, als die Sprache auf das Trinken von Kindern zu sprechen kam. Dagegen konnte, dagegen wollte sie sich vielleicht auch nicht wehren oder wie manche Toreador oder Ventrue ihre Gefühle hinter einer Statue aus Stein und Marmor verbergen. Es war ein Teil ihres Charakters.
„Nein, das ihr die Kinder nicht im Unklaren darüber lasst wer sie besucht, das war mir klar. Dass ihr den Kindern ein Bett gebt, Essen und einmal am Tag für wenige Stunden eine Nonne, dies habe ich auch beobachten können.“ Wieder atmete Lilliana ein und aus, ehe eine Melodie aus Bitte und Ernsthaftigkeit erklang.
„Ihr wollt es frei heraus? Nennt mir die Bedingung, dass dieses Waisenhaus und seine Bewohner von Mönchen oder Nonnen und nicht von euch geleitet werden. Dass die kleinen Kinder dieses Hauses niemals mehr von einem „Monster“ Lilliana machte Anführungszeichen „besucht und Teile ihres Blutes genommen werden. Auch wenn sie körperlich nur wenige Schäden davontragen so riefen mich ihre geschundenen Seelen hierher. Es gibt Wunden Jeremiah, die man nicht von außen sehen kann.“ Sie ließ ihm kurz Zeit, ehe sie weiter fortfuhr, dieses Mal im nüchternen Tonfall.
„Ihr sagtet es selbst, ich kümmere mich um das Waisenhaus in Brügge, dies hier sollte eine Zweigstelle sein für die kleinen Kinder, während die größeren in Brügge aufwachsen können. Darum fühle, darum steht es in meiner Verantwortung. Ich möchte ihnen ein warmes Zuhause bieten an denen sie aufwachsen und lernen können. Voller Liebe und Wärme, gepaart mit der christlichen Erziehung.“
Der Nosferatu sah sie mit großen kränklichen und ausdruckslosen Augen eine ganze Weile lang an. Fast konnte man schon meinen, er wäre in dieser Haltung eingefroren als sich dann doch einer der Mundwinkel um das kräftige Maul bewegten. „Dann wird es euch freuen, dass den Kindern dies alles hier zu Teil wird, was ihr euch für sie wünscht. Mir scheint ihr habt die Vorstellung ich würde mich einfach nur hemmungslos an den kleinen Sterblichen satt essen wie eine aufgeblähte, selbstgefällige Zecke. Nichts könnte weiter entfernt von der Wahrheit sein, liebste Gräfin von Erzhausen.“ Jeremiah erhob sich und verschränkte die Hände hinter dem Körper, während er anfing leicht auf und ab zu gehen. „Und kein Geld der Welt wird mich dazu bringen diese Kinder den Pfaffen und scheinheiligen Nonnen zu überlassen, denn das ist ihr sicherer Untergang. Alle diese Kinder werden uns eines Tages verlassen und wenn es nach der lieben Kirche geht, ist ihnen völlig egal was eure lieben Kinder hier lernen. Wichtig ist nur, dass sie einsehen das es wichtig ist zu einer gekreuzigten Ikone zu beten und um Vergebung zu bitten, dafür, dass man Arm ist und einen die Eltern einen allein gelassen haben. Keines dieser Kinder hat nach dem Waisenhaus in Brügge eine Zukunft meine Verehrteste. Und niemanden schert es, dass die Mädchen die Huren und die Knaben die Diebe und Einbrecher von morgen sind und schlussendlich am Galgen landen.“ Er deutete auf sich und machte eine leichte Verbeugung in ihre Richtung. „Während meine Wenigkeit die Spendengelder sinnvoll verwaltet, so sinnvoll das wir hier mit Arbeit und Fleiß gute dreißig Kinder versorgen können und das jeden Tag und jede Nacht, anstatt sie in Messwein umzusetzen und für den Bischof zu sparen.“ Seine Finger glitten leicht über die Buchrücken der Werke, die sich in seinem Bücherschrank aufreihten. „Ich sagte euch doch das Wissen Macht ist; in diesem Fall ist es die Macht sein Leben selbstbestimmt leben zu dürfen. Die Kinder lernen hier bei mir hart zu arbeiten und durchzuhalten, sich ihren Unterhalt zu verdienen, etwas das später auch von ihnen verlangt werden wird. Sie arbeiten am Hafen, in den Nähstuben und bei Handwerkern und wenn sie Glück haben, werden sie nach ihrer Zeit bei uns dort aufgenommen. Bestimmte Kinder werden sogar von mir persönlich unterrichtet, wenn es sich möglicherweise lohnen könnte. Dann lesen sie lesen und Schreiben.“ Er drehte sich zu ihr um. „Sagt mir Frau Gräfin von Erzhausen… wie viele Waisenkinder haben einen Privatlehrer und können Lesen und Schreiben? Ich will es euch verraten: Keines.“ Er umrundete den Schreibtisch und gelangte an den Tisch mit den Bauplänen und der Waage; hob dort die Münzen auf und betrachtete sie, als wären sie nebensächlich. „Selbstverständlich gibt es eine gute Provision für denjenigen, der die Arbeitskräfte vermittelt. Eure Freundin Alida zum Beispiel braucht immer wieder fleißige Burschen die am Hafen Kisten schleppen und Ladungen löschen. Ich vermittle ihr ein paar kräftige Kinder und bekomme dafür ein kleines Salär. Das wiederum wird zur Hälfte ins Waisenhaus investiert und so muss kein Kind verhungern oder später im Winter auf der Straße mit dem Samen eines Freiers zwischen den Beinen erfrieren. Dafür habe ich ein gemütliches und sicheres Heim, ein gutes Auskommen und eine sinnvolle Beschäftigung. Ich war einmal Lehrer müsst ihr wissen.“ Mit leichten Schritten, kroch die Gestalt auf den kleinen Beistelltisch zu und holte die beiden Gläser die dort abgestellt waren; positionierte eines davon vor Lilliane und eines an seinem eigenen Platz, bevor er großzügig aus der Flasche einschenkte. Die Toreador wusste nicht nur an der Farbe schon instinktiv zu erkennen, worum es sich offensichtlich handelte. „Und gelegentlich; da habt ihr recht, gibt es Blut für mich. Niemals zu viel und das Kind, welches mir sein Blut schenkt, ist den nächsten Tag freigestellt. Am Anfang haben sie noch Angst und fürchten sich aber das legt sich mit der Zeit, wenn sie lernen es zu genießen. Sie bekommen auch vorgelesen und schlafen danach wunderbar tief und fest ein. Das ‚Monster‘ ist ein merkwürdiger aber fast schon ‚normaler‘ Bestandteil ihres Lebens geworden. Alles was ich ihnen biete…“ Jeremiah setzte sich und hob das Glas an um mit Lilliane anzustoßen, „… kann Brügge ihnen nicht geben, weil sie dort nichts lernen und nur durchgefüttert werden wie die Schweine, bevor sie rausgeworfen werden und erst wieder dort landen, wo wir sie nicht sehen wollen. Einen Trinkspruch auf eure liebe Kirche, die sich nur selbst in die Tasche wirtschaftet. Sowas wollt ihr nicht, glaubt mir.“ Er stieß mit ihr an und leerte das Glas, wie könnte es anders sein, in einem Zug. Eigentlich goss er den Inhalt einfach in sein Maul, wo er in dunkel-feuchter Schwärze verschwand.
Sprachlos, sie war einfach nur sprachlos über das was er erzählte und schloss die Augen. Dann nachdem er geendet hatte, erhob sie die Stimme und sprach mit gefassten und betonten Worten, während sich ihre Miene ein wenig zu verdüstern schien „Diese Kinder gehören nicht euch, sie gehören nicht mir. Sie gehören Gott, genau wie unser Schicksal in seinen Händen liegt.“
Lilliana schaute ihm in die Augen. „Das ihr den Kindern Bildung angedeihen lasst ist etwas was euch auszeichnet. Das ihr einen Plan verfolgt, wie ihr das Waisenhaus mitfinanzieren könnt, das mag euch auch ehren. Das ihr nichts von der Kirche haltet, das mag eure Meinung sein.“ Sie musste aufstehen, das hier konnte sie nicht sitzend, aber sie schritt nicht zu ihm hin, sondern einen Schritt zurück, während sie erneut ihre Stimme erhob, dieses Mal eine Spur fester. „Aber dass ihr denkt, dass die Kinder es für normal halten, dass ihr von ihnen trinkt, das ist ein Trugschluss. Dass ihr denkt, dass diese Kinder am Galgen baumeln werden, das ist ein Fehler. Aber der größte Fehler ist, dass ihr nicht erkennt wie klein diese Seelen hier sind und wie wenig Kraft noch in ihnen steckt. Sie schlafen nicht um des Friedens willens, sondern um der Erschöpfung. Geht in die Schlafsäle und seht selbst nach.“ Sie unterstrich das Ganze mit einer Armbewegung in Richtung der Tür, fuhr dann aber fort.“ Das ihr sie jetzt schon arbeiten lasst, anstatt ihnen Schutz, Liebe, Wärme und Geborgenheit zu geben, ist nicht Weitsicht sondern Kälte. So wie euer Gebäude. Eure beiden Betreuer kennen diese Liebe ebenso wenig, stattdessen nur die Schwerter und den Krieg verbunden mit der Angst davor. Auch ihre Seelen sind verwundet und schreien nach Geborgenheit und einer Familie. Was ist geschehen, dass ihr davor eure Augen verschließt, anstatt sie zu öffnen? Hier herrschen keine Hungersnöte, hier herrscht kein Krieg!“
Jeremiah stellte das Glas vor sich ab und sah sie noch eingehender und überraschter an als bereits zuvor. Zaghaft räusperte er sich. „Meine teuerste Gräfin von Erzhausen, ich glaube wir müssen einen wichtigen Unterschied machen zwischen dem Idealzustand der Welt, wie ihn sich die christliche Kirche vorstellt oder predigt und wie er in der Realität ist. Es gibt sozusagen eine Wahrheit fernab der romantischen Vorstellung emsiger Märtyrer und eifriger Phrasendrescher, die bei weitem weniger rührselig und verklärt daherkommt als das, was ihr gerade artig auswendig gelernt von euch gebt. Ich muss es wissen, ich habe eine leichte Schwäche für romantische Poesie. Mir ist klar das ihr für die Außenwelt eine formvollendete Variante von euch präsentieren müsst, wem geht das nicht so aber bitte bleiben wir auf dem Boden der Tatsachen meine Liebe: Da draußen leiden nicht nur dutzende Kinder und Erwachsene Sterbliche Hunger, nein sie sterben auch jeden Tag und jede Nacht daran. Und das ist nur, wenn ihr so wollt die Spitze des Eisbergs. Neben weitaus spektakuläreren Toden wie dem Erhängen oder Enthaupten, gibt es auch noch Totschlag, Raub, Vergewaltigung und Diebstahl. Es gibt weitaus mehr Möglichkeiten für diese Kinder da draußen elendig zu krepieren, als glücklich zu leben. Und wenn ich mir die sorgfältig geführten Geschichtsbücher von Flandern einmal genauer zu Gemüte führe, glaube werde ich feststellen, dass es hier nicht anders ist als überall sonst auch: Krieg ist allgegenwärtig.“ Er schenkte sich nach und hob erneut das Glas an; wirkte sogar ein wenig enttäuscht darüber, dass sie seinen Umtrunk so verschmähte. Offenbar hatte er sich bis jetzt große Mühe gegeben sie vorbildlich zu bewirten.
„Und ich habe nie behauptet, das harte Arbeit nicht ermüdend wäre. Fragt den Bauern auf dem Feld, der das Gemüse anbaut um es zu verkaufen, damit eure Schwertgnome in Saft und Kraft gehalten werden. Fragt den Handwerker, der die Stiefel eurer Magd repariert. Es sind nicht alle in Adel und Wohlstand geboren Frau Gräfin und der Großteil dieser Welt, muss lange, hart und unter zahlreichen Entbehrungen arbeiten. Nur selten gibt es Leute, die ihren Reichtum so wie ihr der Kirche in den Rachen werfen, um sich dann von ein paar alten Mönchen und Nonnen in einem Waisenhaus für ihre Nächstenliebe huldigen zu lassen. Die meisten müssen hart arbeiten und alles andere was ich den Kindern erzählen oder vorleben würde, wäre eine fatale Lüge für sie und das wisst ihr. Ihr habt genug Reichtum, um euch diese Lüge jede Nacht zu erhalten. Wir können uns diesen Luxus hier bedauerlicherweise nicht leisten. Wenn niemand hier arbeiten würde, dann hätten wir bald alle Kinder der Stadt hier, weil sämtliche überforderte oder besonders kinderreiche Mütter ihre Bälger bei uns deponieren würden. Wo sonst gäbe es kostenloses Essen und den ganzen Tag Spiel und Spaß sowie eine geförderte Ausbildung? In den Büchern mag sich das wie ein wundervolles Ideal anhören aber wir müssen uns leider mit der Realität auseinandersetzen.“ Wieder verschwand die Vitae in seinem schwarzen, weit aufklaffenden Rachen. „Und gewiss bin ich nicht ‚normal‘ und das Trinken ist es für sterbliche Kinder auch nicht aber ihr habt selbst Untergebene, die ihr mit eurem Blut füttert wie eine dunkle Mutter.“ Sein Grinsen verbreiterte sich etwas. „Und ihr wisst, dass sie sich sehr schnell daran gewöhnen; es sogar als schön und angenehm empfinden. Mittlerweile bitten einige sogar schon darum, doch ich bin stets gerecht, umsichtig und behandle jedes Kind mit der gleichen ausgesuchten Höflichkeit und Zuwendung, die ich bisher auch euch entgegengebracht habe. Die Kinder mögen mich und haben sich an ihr Monster gewöhnt. Fragt Natascha und Akim, die waren bereits in Russland Teil meiner kleinen Ersatzfamilie. Ich bin ein stets besorgter Vater und strenger Lehrer… was uns zum Thema Geborgenheit und Liebe führt.“ Er deutete auf ihr Glas. „Trinkt aus Teuerste. Ihr würdet mich fast schon beleidigen, würdet ihr meine kleine Aufmerksamkeit ablehnen und wir wollen doch dem Protokoll Genüge tun.“ Das faulige Lächeln war ungebrochen.
Mit seinen langen Fingern, hielt er die Stoffpuppe hoch und deutet auf sein Auge. „Auf dem rechten bin ich fast blind, ein Überbleibsel aus meinem Übergang in die Welt der Untoten. Dennoch lasse ich es mir nicht nehmen, den Puppen meiner Mädchen die Augen wieder anzunähen. Ich bin äußerst schlecht darin und Natascha könnte es viel besser aber es ist mir ein Bedürfnis. Das mag nicht viel sein und es mag in euren Augen weniger wert sein als eine überschwänglich-kitschige Umarmung oder schwülstige Worte der geheuchelten Zuneigung… aber es ist ehrlich. Vielleicht sollte ihr einmal selbst in den Spiegel sehen und euch fragen, wem ihr mit all diesen Pomp und diesen lächerlichen Geldspenden tatsächlich helft? Der Bischof hat gewiss etwas davon, bei seinem nächsten Gelage. Auch die Nonnen freuen sich und ihr könnt jeden Tag mit der beruhigenden Vorstellung einschlafen, eine vorzeigbare und großmütige Dame zu sein, damit ihr euer selbstgerechtes Herumstolzieren vor der Welt mit Großzügigkeit und Nächstenliebe rechtfertigt, weil ihr euch sonst zu sehr eurer Selbst schämen müsstet. Meine Kinder werden nicht mit Küssen überschüttet und in verlogener Zuneigung gebadet, vielleicht habt ihr sogar recht und wir sind ein wenig unterkühlt. Aber eines könnt ihr mir glauben: Wenn es darum geht wer hier tatsächlich etwas für die Kinder tut, dann gewinne ich noch vor euch verehrte Gräfin. Dass was ich tue, wird den Kindern auch nach dem Waisenhaus ein Leben ermöglichen. Bei euch haben sie viel nutzlose Wärme und danach nichts, also hört auf mich zu verurteilen verehrtes Ratsmitglied.“ Lange sah er sie an, dann schüttelte er den Kopf. „Die Bedingung das ich gehe ist, dass ihr hier meinen Platz einnehmt und genau dort weitermacht, wo ich aufgehört habe. Spendet euer beträchtliches Vermögen diesem Haus hier und werdet die Leiterin vor Ort und dann rettet die Kinder, anstatt sie nur gelegentlich für euer eignes Seelenheil zu besuchen und andere arbeiten zu lassen.“