So 21. Aug 2016, 19:43
Die Magd wirkte für einen kurzen Moment lang überrascht an; sorgte sie sich doch sichtlich noch immer um das Wohlergehen ihrer Herrin. Doch der feste und entschlossene Gesichtsausdruck Lillianas, ließ das Mädchen schlussendlich etwas verwundert innehalten und bekräftigend Nicken. „Aber natürlich, ganz wie ihr wünscht Herrin.“
Als ihre Gräfin aus dem Bett stieg um sich anzukleiden, war die Dienerin bereits schon zur Tür hinaus verschwunden und hatte ihre Wünsche weitergegeben. Von unten hörte sie schon Metall auf Metall schaben und das Geräusch mehrerer Stiefel, die sich zu den, dem Gebäude angeschlossenen Stallungen begaben. Kein Zweifel: Michel ließ die Pferde satteln und bereitete sich und seinen Mannen auf den bevorstehenden Ausritt vor. Als Lilliana ihre Garderobe für den heutigen Abend gewählt hatte und sich nun ihrerseits auf zu den Stallungen machte, waren die berittenen Boten bereits mit eiligem Hufgetrappel ausgeritten. Michel und zwei seiner fähigsten Soldaten, verneigten sich respektvoll vor ihrer Herrin und führten ihr treues Pferd Tarbas am Zügel. Die Anordnung, die Herrin gedachte heute noch auszureiten und das Aussenden von mehreren Boten, ließen gerade ihren getreuen Leibwächter und Kommandant ihrer Wachen, etwas beunruhigt wirken. Für gewöhnlich hießen solche plötzlichen Ausritte nichts Gutes. „Herrin, die Boten sind bereist entsandt worden und meine Männer und ich stehen bereit euch mit ihrem Leben zu verteidigen. Doch verzeiht mir die Frage: Welcher Art von Bedrohung sehen wir uns gegenüber? Geht es in den Kampf? Man ließ mir ausrichten, wir reiten Richtung Waisenhaus. Erwartet ihr einen… Angriff?“
Sie betrachtete mit großem Wohlwollen, wie ihren Anweisungen Folge geleistet wurden. Sicher waren sie verwundert, aber dennoch folgten sie. Auf die Frage ihres Getreuen Hauptmannes ihrer Leibgarde und gleichzeitigen Ghules nickte sie einmal leicht den Kopf, ehe sie aufsattelte. „Es kann uns alles erwarten oder auch nichts, doch möchte ich nicht unvorbereitet mir etwas genauer ansehen.“ Sie betonte das Wort „genauer“ um eine Nuance deutlicher als die Wörter zuvor und richtete dabei wieder ihren Blick auf Michel während sie mit beiden Händen in die Zügel von Tarbas griff um den Hengst hinaus zu lenken. Sie entschied sich dabei eine Kraft zu wirken, die sie in normalen Fällen nicht benutzte. Sie wusste, dass sie mit dieser Kraft in die Gedanken eines Menschen eindringen konnte um diese zu lesen, allerdings konnte man mit dieser Kraft auch Gedanken von einem selbst einem anderen übermitteln und genau das hatte sie mit Michel vor. Lilliana wusste, dass dies bei ihrem Ghul kein bzw. weit weniger ein Problem darstellte als bei anderen, denn Michel vertraute ihr und so gelangte sie mühelos in den Geist ihres Ghules und hob sachte die Stimme und übermittelte ihm die Bilder der Nacht. Angefangen beim Kinderreim hin zu Leonores Bild und ihrem Hilferuf und zuletzt dem Satz aus der Finsternis. Dann zog sie sich wieder daraus zurück und richtete ihren Blick auf das vor sich liegende „Das Waisenhaus genießt meinen Schutz mit all den Kindern und Ordensschwestern darin. Ich möchte sichergehen, dass dies von jedem anerkannt und akzeptiert wird. Vorwärts!“
Ihr Ghul wirkte für einen knappen Moment entsetzt; offensichtlich weniger über die Tatsache, dass seine Herrin ihn an ihren Gedanken teilhaben ließ; das hatte sie mittlerweile schon zu anderen Gelegenheiten getan, sondern vielmehr ob der Intensität und Eindrücklichkeit der gezeigten Bilder und Empfindungen. Seine einzige Antwort an die Gräfin von Erzhausen war ein bekräftigendes und verstehendes Nicken, das von purer Entschlossenheit zeugte. „Ich verstehe Herrin. Es sollte allgemein bekannt sein, dass die Kinder euren uneingeschränkten Schutz und euer Wohlwollen genießen. Was immer dort vor sich geht, wir stehen an eurer Seite und werden eure… Ansprüche zu verdeutlichen wissen.“ Mit grimmigen Blick, nickte er den beiden Soldaten an seiner Seite zu, die damit unweigerlich feststellten, dass dieses Aufgebot an Bewaffnung offenkundig notwendig war und ihr Können in dieser Nacht unweigerlich auf die Probe gestellt werden würde. Die Wachabteilung der Gräfin schien mehr als bereit dazu, als sie Lilliana in ihren blitzenden Rüstungen und gewachsten Stiefeln durch die Nacht folgten.
Der Ritt dauerte nicht lange, wurde aber durch eine recht kurze Begegnung mit dem ausgesandten Boten des Krankenhauses unterbrochen. Der ausgesandte Mann, war unverzüglich losgeritten und hatte wie ihm geheißen worden war, nach Will gefragt. Zu seinem Bedauern musste er Lilliana jedoch mitteilen, dass dieser sich offenbar nicht in der Stadt befand, sondern nach Seebrügge zu einem besonders schwierigen Fall entsandt worden war. Der Zustand des Patienten, machte einen Transport unmöglich und ihr Geliebter hatte sich sogleich zu einem Hausbesuch aufgemacht. Nach wie vor war er nicht nur ein schelmischer Dieb und Trickser, sondern auch ein ganz passabler Heiler. So wie man ihm vor Ort vermittelt hatte, würde Will die ganze Nacht mit seinem Besuch zubringen; war also nicht verfügbar. Gerne erklärte sich der Bote aber dazu bereit, nach Seebrügge zu reiten um ihren Geliebten zu informieren. Es würde nur ein Wort aus ihrem Munde genügen. Wie immer sie sich entscheiden sollte, fürs erste war sie mit ihrem Ghul Michel und einer Abordnung ihrer getreuen Soldaten auf sich gestellt und müsste vorerst allein weiter zum Waisenhaus reiten. Der Ritt war ob der Distanz natürlich verhältnismäßig kurz und schon nach wenigen Augenblicken, konnte Lilliana an die altbekannte Pforte des Waisenhauses klopfen, wo ihr eine misstrauische Nonne, vorsichtig und ein wenig verängstigt öffnete. „Gräfin von Erzhausen?“ Sie senkte ehrfürchtig das Haupt. „Ihr seid gewiss hier um den Kindern vorzulesen nehme ich an? Warum… die bewaffnete Begleitung? Habt ihr Grund um euer Leben zu fürchten? Hat man euch bedroht Herrin?“
Lilliana hieß den Boten mit einem Kopfschütteln an, dass sein Angebot nach Seebrücke zu reiten gut gemeint war, sie dies jedoch ablehnte. „Hab Dank für euer schnelles Kommen, aber ruht euch nun aus. Der Patient hat Vorrang.“ Damit entließ sie ihn. Angekommen beim Waisenhaus schenkte sie der Nonne des Hauses einen sanften Blick, während sie ihre Kräfte der geschärften Sinne aktivierte. Ihre Stimme erklang aber ungewohnt ernst und Maß den Worten mehr Bedeutung zu. „Nein, meine liebe Schwester, ich wurde nicht überfallen oder bedroht. Doch würdet ihr mich und meine Begleiter hineinlassen, ehe ich euch weiter berichte? Ich versichere euch, dass dies ehrbare Männer sind.“
Die Nonne wirkte ein wenig beunruhigt und brauchte gar einen kurzen Moment, um sich die Gesichter und Bewaffnung der Soldaten genauer anzusehen. Schlussendlich nickte sie aber und ließ die Gräfin mitsamt Entourage, etwas zögerlich eintreten. Die geschärften Sinne der Toreador, vernahmen die sehr deutlichen Geräusche von Gelächter das eindeutig von Kindern stammte, während ihr der deftige Geruch eines herzhaften Eintopfes, in dem eindeutig eine Menge Zwiebel verwendet worden war, um die Nase zog. Die Nonne vor ihr roch eindeutig nach Kernseife und Lavendelöl und auf dem Fußboden vor ihr, hatte jemand wohl versucht einen Fleck zu entfernen, der mit freiem Auge nicht einmal mehr sichtbar gewesen wäre. Die junge Nonne war etwas bleich im Gesicht, als sie die späten Besucher bat zu warten und davoneilte, um die Mutter Oberin zu informieren. Es dauerte auch nicht lange und Schwester Agnes erschien, eindeutig ein wenig ungehalten über die uniformierten, schwer gerüsteten Männer. Es war ihr anzusehen, das sie sich ob der Anwesenheit Lillianas sehr um Zurückhaltung bemühte. „Gräfin von Erzhausen, es ist mir wie immer eine besondere Freude euch bei uns begrüßen zu dürfen. Ich sehe euer Vertrauter Michel, weicht euch wie üblich nicht von der Seite aber verzeiht mir, wenn ich etwas verwundert über… die anderen Herrschaften bin.“ Ungehalten begutachtete sie die beiden Soldaten, die in schweren, lederverstärkten Rüstungen im Flur standen und die Hände auf der Schwertscheide hielten. „Es ist natürlich unabdingbar, dass ihr für eure eigene Sicherheit sorgt werte Gräfin aber findet ihr dieses Aufgebot an Bewaffneten, in einem Waisenhaus zu dieser Stunde nicht etwas…“ Sie suchte nach den richtigen Worten. „… unpassend?“
Lilliana glitt beim Eintritt der Nonne in eine leichte Referenz und blickte danach in einer Mischung aus Entschuldigung aber auch Entschlossenheit Schwester Agnes an, während sie sich wieder zur vollen Größe aufrichtete. „Es ist mir ebenso eine Freude euch wiederzusehen Schwester Agnes. Ich weiß, dass das Erscheinen von zwei weiteren schwer gerüsteten Männern euren Unmut hervorruft.“ Lilliana machte eine kurze Pause, während sie einen Schritt näher an die Ordensschwester herantrat. „Mir wurde zugetragen, dass in diesem Haus eine oder mehrere Personen sind, die den Frieden dieses Gemäuers nachhaltig stören möchten. Die Anwesenheit der Männer dient dem Schutz und damit euch. Ich möchte sichergehen, dass mein Wort gilt, dass der Frieden und die Liebe Gottes hier herrschen möge.“ Sie ging einige wenige Schritte, während sie versuchte in die Aura der Oberschwester zu blicken. „Sagt mir Oberin. Gab es etwas, das eure Augen, die Gott mit Weisheit und Schärfe gesegnet hat, euch missfielen?“
Die Mutter Oberin wirkte für einen Moment lang noch immer ungehalten, dann wurden ihre Gesichtszüge aber kontinuierlich unsicherer und besorgter. „Ich bin dem Herrn sehr dankbar dafür, dass eine so liebreizende und tugendhafte Dame wie ihr es seid über unser aller Leib und Leben wacht. Es gibt nicht viele Menschen, die sich so sehr der Nächstenliebe und Großmut verschrieben haben wie ihr Gräfin von Erzhausen.“ Ihre Lippen umspielte ein nachsichtiges und verzeihendes Lächeln, als sie die Hände Lillianas umschloss. „Aber ich kann euch versichern, dass sich derzeit niemand in unserem Hause aufhält, der den Frieden unserer Gott wohlgefälligen Gemeinschaft stören wollte oder dies bereits getan hätte. Nun, bis auf unsere kleinen Satansbraten natürlich.“ Schwester Agnes lachte kurz auf und schüttelte dann langsam den Kopf. „Aber um sachlich zu bleiben, da ihr ja tatsächlich um unser aller Wohl so besorgt zu sein scheint: Nein, es gibt keine unmittelbare Gefahr vor der wir uns fürchten müssten liebste Gräfin; im Gegenteil. Es wird euch freuen zu hören das der Bischof zusammen mit dem Stadtrat von Gent darüber eingekommen ist, ein weiteres Waisenhaus zur Verfügung zu stellen. Somit können wir eurem Wunsche, weitere arme Kinderseelen zu retten und in christlicher Nächstenliebe zu unterrichten entgegenkommen. Tatsächlich ist das neue Haus bereits in Betrieb und versorgt nun die jüngsten unserer Kinder. In Brügge können wir somit alle Waisen beherbergen und verköstigen, die ein Lebensalter von ganzen sechzehn Jahren noch nicht überschritten haben. Der Bischof ist ein wahrhaft frommer Mann und ich glaube es war auch nicht zuletzt euer Name, der ihn dazu bewogen hat unsere heilige Mutter Kirche erneut in die Pflicht zu nehmen. Wir haben nun Platz für alle Kinder ab zwölf bis sechzehn und damit auch mehr Betten zur Verfügung.“ Die Mutter Oberin strahlte über das ganze Gesicht.
Es schien als ob Lilliana zu Beginn der langen Rede der Oberin tatsächlich entspannter wurde, umso alarmierter blickte sie auf, als die Sprache auf das neue Waisenhaus zu sprechen kamen. Doch der Moment verging und sie bemühte sich um einen neutralen Gesichtsausdruck und ein leichtes Nicken um keinen großen Verdacht zu erregen. Da sie aber seitlich zu ihrem Ghul stand, würde er die Zeichen zu deuten wissen. „Verzeiht meine Vorsicht Oberin Agnes, ich sehe, dass es hier keine Veranlassung gibt, eure großzügige Toleranz weiter herauszufordern.“ Sie drückte die Hände der Oberin und lächelte sie an. „Ich werde Gott um Vergebung bitten in euch Unmut geweckt zu haben. Außerdem muss ich den jüngeren Kindern noch einen Antrittsbesuch angedeihen lassen, um mich über ihre Lage zu erkundigen. Ich bin sicher die kleinen Kinder sind verwundert, dass sie nicht mehr hier in Brügge weilen und vielleicht mag ich mit einer Geschichte sie aufheitern, dass sie wissen, dass ich für sie natürlich nur mit eurer und der Erlaubnis des Bischofs da sein kann. Wie kam es zu der Entscheidung die jüngeren dorthin zu schicken und die älteren hier zu lassen?“
Michel ihr Ghul, der bereits seit einer Ewigkeit in Blut und Dienste seiner Gräfin stand, musste nicht lange darüber nachdenken, was dieser knappe Seitenblick seiner Herrin zu bedeuten hatte. Obendrein hatte sie ihre Vision mit ihm geteilt und so war es ein leichtes, sich die einzelnen Hinweise und Informationen aus den Worten der Mutter Oberin zusammenzureimen. Die jüngeren Kinder, das schloss die kleine Leonore mit ein, hatten nun ein Zuhause im neu gegründeten Waisenhaus von Gent gefunden. Und genau jene war es gewesen, die Lilliana flehentlich und voller Angst darum gebeten hatte sie zu retten. Offenkundig war das Üble, das die Toreador in Brügge vermutete, in Wahrheit in Gent beheimatet. Die Soldaten warteten nur noch auf das Signal zum Aufbruch. Indessen schüttelte die Mutter Oberin nur sachte und verzeihend den Kopf. „Mein liebes Kind, es gibt nichts wofür ihr euch entschuldigen müsstet. Ihr seid auf einen Hinweis hier in unser Haus gekommen, um uns vor Ungemach zu bewahren. Und auch wenn sich dies als Irrtum erwiesen hat, so danke ich doch dem Herrn für eure Anteilnahme und euer Wohlwollen. Es beweist mir erneut, wie klar und rein euer Herz ist und wie stark die Flamme eures Glaubens lodert.“ Mit einem leichten Nicken, hieß sie die Gedanken der Gräfin gut. „Eine wunderbare Idee meine Kind. Es war sicher für manche nicht einfach, eine so vertraute Umgebung zu verlassen aber neue Umstände lassen sich oft nicht vermeiden. Auch diese Prüfung legt der Herr uns auf. Dafür wird es das letzte Mal sein; von nun an werden wir die älteste und Gent die jüngsten in unsere sicheren Arme schließen. Geht nur und stattet dem Haus einen Besuch ab wenn es euch danach verlangt; ihr werdet gewiss mit der Örtlichkeit zufrieden sein. Der Leiter ist ein frommer und gebildeter Mann und die Damen bringen den Mädchen und Jungen allerlei nützliche Fertigkeiten bei ließ man mir ausrichten. Die Entscheidung der Unterbringung, traf jedoch der Bischof; warum kann ich euch nicht sagen. Und um seinen oder meinen Segen, müsst ihr gar nicht lange bitten, jeder weiß welch aufrichtige und ehrbare Christin ihr seid. Ich sehe ihr könnt es kaum erwarten.“ Die Mutter Oberin wirkte wieder um einiges beruhigter und sogar ein klein wenig stolz, schließlich war es Lilliana gewesen, der es ein besonderes Anliegen gewesen war weitere Kinder und vor allem auch ältere Kinder im Waisenhaus aufzunehmen.
Lilliana bedankte sich ohne gesprochene Worte, sondern glitt nur wieder über in die leichte Referenz, welche sie der Mutter Oberin auch schon bei deren Eintritt erwiesen hatte. Dann ging sie zunächst einige Schritte rückwärts, nur um sich dann langsam umzudrehen, um den Weg den sie hineingekommen war, wieder hinaus zu gehen. Sie sagte bis sie endgültig draußen war kein Wort zu Michel oder gar den beiden Soldaten, sondern hielt die Stille. Erst beim Aufsatteln auf Tarbas atmete Lilliana kurz ein und aus. Ihre Stimme erklang wieder gewohnt fest und betont „Wir werden es diese Nacht erst spät schaffen nach Gent zu reißen, so wäre es womöglich angebracht ins Anwesen zurückzukehren und Vorbereitungen zu treffen und Boten auszuschicken. Vielleicht können wir zwar diese Nacht noch Aufbrechen, aber ich denke mehr als bis nach Gent und sich in ein Gasthaus einquartieren, werden wir nicht schaffen. Was meint ihr Hauptmann?" Lilliana blickte zu ihrem Ghul, während sie Tarbas Zügel aufnahm. Der Hengst wieherte sachte. Es heißt das Tiere ein feines Gespür haben, was die Gefühle eines Menschen/eines Kainiten angeht und so sehr Lilliana es auch zu verbergen versuchte spiegelte Tarbas ihre Gefühlswelt wieder und begann nervös zu tänzeln.
Der Hauptmann ihrer Leibgarde, ließ die Männer aufsitzen und begab sich selbst auf sein gut trainiertes Reitpferd, aus edler flandrischer Zucht. „Es ist uns ein leichtes bis nach Gent zu kommen Herrin allerdings habt ihr selbstredend recht was eure Bedenken bezüglich der Uhrzeit angeht. Vor Mitternacht können wir unmöglich dort ankommen selbst, wenn wir unverzüglich nach eurer… erholsamen Ruhephase aufbrechen sollten. Aber ob wir morgen dorthin aufbrechen oder heute und uns vorerst in einem Gasthof einquartieren, es wird immer ‚zu spät‘ sein für einen offiziellen Besuch im Waisenhaus. Ihr trefft die Entscheidung Herrin aber wenn es nach mir ginge, so würde ich heute noch dorthin reisen und mich für den Tag in einer Gaststube zurückziehen. Ich und meine Männer werden euch zu schützen wissen und auch der Rat von Gent, wird gewiss auf einen besonders geschätzten Gast wie ihr es seid, achtgeben. Nachdem ihr euch erholt habt, könntet ihr zu einer halbwegs angemessenen Zeit im Waisenhaus erscheinen. Sagen wir zu einer Zeit, in der ein Besuch noch… im Bereich des plausiblen scheint und wo ihr darauf hoffen könnt, noch eingelassen zu werden ohne neugierige Fragen beantworten zu müssen. Nach wie vor trefft aber ihr die Entscheidung Gräfin. Wir folgen eurem Urteil wie immer es ausfallen mag.“
Lilliana nickte ihrem Ghul zu und lächelte etwas still in sich hinein. „Lasst uns zunächst zum Anwesen zurückreiten einige wenige Vorräte und Packsachen mitnehmen, Boten verschicken und dann Geschwind in Richtung Gent reiten. Dort mögen wir uns zur Erholung in ein Gasthaus einquartieren und bereits einen Blick von außen auf das Waisenhaus werfen. Sollte nichts für unsere Augen Erkennendes sich zu sehen ergeben, so ruhen wir uns am Tage aus, um morgen Abend gestärkt das Haus zu betreten.“ Sie ließ Tarbas in einen Trab fallen und gab dem Hengst etwas Freiraum. „Außerdem fehlt noch das Märchenbuch für unsere Reise.“ Ein Grinsen seitens Lillianas an Michel beendete augenscheinlich die Konversation. Während sie wieder nach vorne blickte, verschwand aber das Lächeln in ihrem Gesicht und ein jeder der sie von vorne sah würde eine Gräfin voll von Sorge erblicken, wie diese weiter in ruhigem Trab und manchmal nur im Schritt wieder den Weg zurück zum Anwesen nahm um dort die entsprechenden Personen anzuweisen ihren Plan in die Tat umzusetzen. Lilliana ließ Tarbas nicht absatteln, aber von einem Stallburschen abreiben, während ein anderer das Packpferd sattelte. Eine Magd war losgeschickt worden das Märchenbuch zu holen und vorsichtig zu verstauen, während der Schreiber des Hauses weitere Boten aussendete nachdem Lilliana ihm mehrere Briefe diktiert hatte. Ein Bote ging zu Will nach Seebrücke, ein anderer an die Brujah von Gent in der ihr Aufenthalt angekündigt und gebeten wurde sie für 2 Tage aufzunehmen. Ein dritter und letzter überbrachte eine Nachricht an Gareth in die Kanalisation in der Lilliana ihn über die neueste Entwicklung im Fall des Bischofs von Brüssel informierte. Dann war es auch schon wieder soweit.
Alle Vorbereitungen für die Reise waren getroffen worden. Ein wenig Proviant und Verpflegung, genug Pechfackeln und Sturmlaternen mit Zunder und einige eilige Briefe, die von zuverlässigen Boten einmal nach Seebrügge, dann nach Gent und schlussendlich in die Kanalisation entsandt wurden. Nachdem die Pferde noch ein letztes Mal gestriegelt und getränkt worden waren, brach man in zügigem Trap Richtung Gent auf; eine nächtliche Reise die sie schon oft unternommen hatte, wenn auch nicht immer unter so beängstigenden Vorzeichen. Ungefähr fünf Stunden mochte der Ritt dauern, doch die Straßen und Wege nach Gent waren viel bereist und in gutem Zustand, sorgten dafür doch nicht zuletzt alle Handelsstädte gemeinsam. Das dunkle Land mit seinen Äckern und gelegentlichen Wölbungen flog an ihnen vorbei und selbst das Wetter war den Reisenden gewogen und brachte keinen frühlingshaften Wind oder peitschenden Regen.
Deutlich kühl mochte es des Nachts noch sein aber gegen die Kälte war die Leibgarde der Gräfin bestens gerüstet und hatte sich in dicke Wollmäntel gehüllt. Die Toredor selbst, hatte zur Tarnung natürlich auch entsprechende Kleidungsstücke, sowie ihr kostbares Märchenbuch mitgenommen; benötigte aber gerade ersteres in Wahrheit natürlich nicht. Dennoch galt es so wenig wie möglich aufzufallen, vor allem da man sich an einen Ort begab, der potentiell gefährlich war und von dem man bisher nichts Näheres hatte in Erfahrung bringen können. Schlussendlich erreichten sie wohlbehalten und ohne größere Verzögerung die Stadt Gent, über der ein klarer Sternenhimmel prangte und die noch um diese Zeit, von vielen Kerzen und patrouillierenden Nachtwächtern erhellt wurde. An einem der vier Tore, wurden sie ohne viel Aufhebens eingelassen und nur kurz darauf, durch einen Abgesandten des Genter Rats persönlich begrüßt und in Empfang genommen. Der Eilbote war wie der Wind geritten und hatte die Kainiten der Stadt noch rechtzeitig von der Ankunft Lillianas in Kenntnis setzen können. Man geleitete die Brügger Gäste zum Anwesen der Residenz des Rates und abermals betrat die Gräfin von Erzhausen, die mittlerweile gut bekannten Hallen in denen sich Madame Borlut zuweilen aufzuhalten pflegte.
Es wurde ihr eines der prachtvollsten und bestausgestatten Zimmer zur Verfügung gestellt und ihre Wächter durften in einem beinahe ebenso komfortablen Raum ihr gegenüber Quartier beziehen. Der Bedienstete des Rates, informierte Lilliana darüber das Madame Borlut, sich noch in einer dringlichen Ratssitzung befände aber im Anschluss daran gerne für sie Zeit hätte. Sie würde es sich gewiss nicht nehmen lassen, Lilliana persönlich zu begrüßen, auch wenn ihr Besuch etwas überraschend käme. Durch ihr breites, gläsernes Fenster, konnte die Toredor die Stadt unter sich erkennen und gelegentlich leise Musik aus den Wirtsstuben vernehmen.