Vampire: Die Maskerade


Eine Welt der Dunkelheit
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BeitragVerfasst: Mo 26. Sep 2016, 13:02 
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Ihr getreuer Leibwächter und Ghul nickte bestätigend an ihrer Seite und richtete seinen leicht besorgten Blick für einen Moment lang in Richtung des mittlerweile leicht dahindämmernden Nachthimmels. Bereits als die Gräfin ihre übersinnliche Wahrnehmung tiefer über die sich ihr bietenden Szenerie schweifen ließ, um in der scheinbar völlig unauffälligen Frau und vielmehr noch ihrer für Sterbliche unsichtbaren Aura zu lesen, erschienen die hölzernen und steinernen Umrisse des Gebäudes bereits eine Spur heller als noch wenige Augenblicke zuvor. Lilliane hatte vollkommen recht: Die Bewohner des Waisenhauses taten das, was jeder Haushalt früh morgens zu tun pflegte. Kühe melken, Hühner und Schweine füttern, Frühstück zubereiten. Und dies alles noch vor dem ersten Sonnenstrahl, der wohl nicht mehr allzu lang auf sich warten lassen würde. Die Silhouette der jungen, dunkelhaarigen Frau verschwamm vor den Augen der Toreador und wogte in einem diffusen Farbenspiel unterschiedlicher Eindrücke. Viel war da jedoch nicht zu lesen obgleich die Farbpalette intensiv und klar zu sein schien; hell und ungetrübt. Die Frau war in erster Linie müde und gelangweilt von der repetitiven Arbeit, dazu kam ein guter Schuss Argwohn gepaart mit Ungeduld und leichter Verbitterung. Was immer man sonst noch hätte deuten können, wäre nicht mehr klar genug zu erkennen gewesen, um sich ein gesichertes Urteil zu erlauben. Fest stand, dass sie es ohne Zweifel mit einer sterblichen Frau zu tun hatte, die atmete und einen funktionierenden Herzschlag besaß.

Während die Farben allmählich wieder verblassten, spürte die Toreador eine sanfte Berührung Michels auf ihrer Schulter, der sich verlegen räusperte. „Verzeiht Herrin, aber der Morgen rückt mit raschen Schritten näher. Euch bleibt vielleicht eine gute Stunde, bevor die ersten Strahlen der Frühlingssonne die Mauern der Stadt überwinden.“ Und so wie er das sagte, stellte sie tatsächlich unweigerlich fest das sie allmählich müder und unkonzentrierter wurde. Eine dahinschleichende, bleierne Lethargie, die langsam aber unaufhaltsam durch jede Faser ihres toten Körpers kroch. Lucien und Gerrit wären bereits jetzt wie gewöhnliche Leichen zusammengefallen, kaum fähig sich noch auf den Beinen zu halten. Alida und Leif mochten da schon etwas härter im Nehmen sein aber es gab niemanden, der auch nur annähernd so lange wach bleiben konnte wie Lilliane von Erzhausen. Die Gräfin hörte nicht unweit bereits das erste Zwitschern der Vögel, als eines der Kinder den Eimer beinahe fallen ließ und klagend wimmerte. „Der Eimer ist so schwer, mir tun die Hände so weh!“ Doch die dunkelhaarige Frau kannte offenbar kein Erbarmen. Harsch trieb sie die Kinder weiter an. „Weinen hat noch nie einen Bauch gefüllt. Harte Arbeit, dann Frühstück. Jeder hart arbeiten. Ohne Arbeit, kein Essen…“

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Verfasst: Mo 26. Sep 2016, 13:02 


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BeitragVerfasst: So 2. Okt 2016, 06:21 
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Just in dem Moment als sie sich von dem Geschen vor ihr wegdrehte um ihrem Ghul ein bestätigendes Nicken zu geben, hörte sie die Worte, spürte das Gefühl das von ihnen ausging und ein kurzes Stirnrunzeln ging über ihr Gesicht. Aber nein, heute Morgen konnte sie noch nicht eingreifen und den Leuten erklären, dass Liebe und Mitgefühl in ihren Worten und Taten auf den Flügeln des Windes mitschwingen sollten. Gottes Liebe gilt jedem dieser Geschöpfe und dies hier waren alles kleine Kinder, deren Kraft und Ausdauer noch nicht dem von Erwachsenen glich.
Sie zwang sich komplett umzudrehen. Heute Abend würde sie mehr wissen und außerdem würde sie sich ein erstes Bild vom Inneren des Hauses machen können und wehe demjenigen oder wehe dem etwas, was sich dort aufhielt.
Inzwischen griff die Müdigkeit sie mit jeder Minute stärker an. "Lasst uns aufbrechen."


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BeitragVerfasst: So 2. Okt 2016, 12:12 
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Der Weg zurück zum Ratsanwesen von Gent dauerte glücklicherweise auch keine fünfzehn Minuten mehr, sodass die Toreador mitsamt ihrem Gefolge noch vor dem ersten Sonnenstrahl in die sichere Umarmung der Dunkelheit innerhalb der verstärkten Mauern gleiten konnte. Kaum hatte sie die schwere Eichentür mit den prunkvollen Einlegearbeiten verschlossen und war in die samtig-weichen Laken gefallen, übermannte sie auch schon der unweigerliche Schlaf der Verdammten. Ihre Totenruhe verlief ruhig und plagte sie auch nicht weiter mit Alpträumen oder schrecklichen Visionen; gewährte ihr somit die notwendige Erholung, um für die vor ihr liegenden Ereignisse gerüstet zu sein. Kaum hatte sie sich fertig angekleidet, vernahm sie schon ein höfliches Klopfen sowie eine vertraute Stimme an der Tür, die unverkennbar ihrem Ghul Michel gehörten. Nachdem sie ihn eingelassen hatte, begann dieser auch ohne Umschweife über die Ergebnisse der Überwachung des Waisenhauses zu berichten. Man hatte sich zu festgelegten Zeiten mit der Observation abgewechselt; teilweise Rüstungsteile abgelegt und manchmal sogar auf sichtbare Bewaffnung verzichtet, um nicht allzu sehr aufzufallen. So war man in der Lage gewesen das Gebäude rund um die Uhr zu überwachen.

Gleich zu Beginn war aufgefallen, dass die Kinder keineswegs nur einfach Hausarbeiten im und um das Haus zu verrichten hatten, sondern zudem in kleineren und größeren Grüppchen andere Tätigkeiten außer Haus verrichteten. Die Mädchen würden adrett gekleidet schon früh morgens zu einer Schneiderei gebracht werden, wo sie scheinbar an Webstühlen arbeiteten, nähten oder Garn herstellten. Immerhin gab es zu Mittag dann einen wohlverdienten Eintopf. Begleitet wurden sie dabei von dem Mädchen, das sie schon gestern Abend gesehen hatten. Diese lieferte die Kinder jedoch nur dort ab und beeilte sich mit zwei übriggebliebenen Mädchen den Markt zu besuchen, wo man offenbar Lebensmittel für den täglichen Bedarf, wie Gemüse und Brot einkaufte. Transportiert wurde das alles auf einem großen Handkarren, der mit einigem Gewicht beladen über die Pflastersteine gezogen werden musste. Die Knaben indessen, wurden nur einzeln zu verschiedenen Handwerkern gebracht und es waren auch nicht mehr als drei oder vier davon. Einer wurde bei einem Schmied abgesetzt, der andere musste Kisten in einem Lagerschuppen schleppen und wiederum einer landete beim Gerber. Allen Kindern war gemein, dass sie sich ganz sicher besseres vorstellen konnten als für diverse Kaufleute und Handwerksbetriebe zu arbeiten aber man hörte nur wenige Klagen. Vermutlich weil das ältere Mädchen diese nicht duldete. Rund um das Haus wurde währenddessen geputzt und gekehrt. Die Fenster waren weit offen und Teppiche wurden geklopft, Böden mit harten Bürsten geschrubbt und Tiere gefüttert. Mehrere Knaben mühten sich mit einer großen Spaltaxt ab und hackten Feuerholz, das in großen Stapeln im Stall deponiert wurde. Zu Mittag kam Leben in eine offenbar überdimensional große Küche, wo dampfende Kochtöpfe sich mit brutzelnden Pfannen und dem Klappern von einfachem Geschirr abwechselten. In all dieser Zeit bekam das Waisenhaus offenbar keinen Besuch von außen; war völlig in seine täglichen Arbeiten vertieft. Erst am Nachmittag traf eine dickliche Nonne ein, von der Michel annahm, sie würde vermutlich die christliche Erziehung der Kinder übernehmen und ihnen aus der Bibel vorlesen. Eben zu dieser Zeit kehrten auch die anderen Kinder wieder von ihrer Arbeit in Stadt zurück. Es war offensichtlich, dass man sie noch hätte länger arbeiten lassen aber das Wort des Herrn hatte dann doch irgendwo Vorrang. Am späten Nachmittag verließ die Nonne das Anwesen wieder und jetzt konnte man sogar das erkennen, was Laien sich unter einem prototypischen Waisenhaus vorstellten: Lachende und spielende Kinder. Unter ihnen auch Leonore, die recht unsicher und verloren wirkte, wie sie da in der Nähe des Brunnens mit einer kleinen Stoffpuppe saß. Er hatte sie nicht auf sich aufmerksam machen können oder wollen; dafür schien ihm die Situation unangemessen. Ansonsten wusste ihr persönlicher Leibwächter und treuer Begleiter nicht viel über das Waisenhaus zu berichten. In erster Linie bestand das Leben in diesen vier Wänden wohl nur aus harter, stundenlanger Arbeit die sowohl im als auch außerhalb des Hauses verrichtet werden musste. Und mit Ausnahme der dicklichen Nonne und der gelegentlichen, größeren Wagenfuhre an Nahrungsmitteln und Futter für die Nutztiere kümmerte sich überhaupt niemand um die Bewohner der kirchlichen Institution. Es war auch nicht einmal jemand vom städtischen Magistrat vorbeigekommen, um nach dem Rechten zu sehen. Ebenso vermisste man gelegentliche Besucher, die sich für eine eventuelle Adoption interessierten sowie den Heimleiter selbst. Fremdartiges, Gefährliches oder gar Übernatürliches war weder ihm noch den beiden anderen Soldaten unter seinem Kommando aufgefallen. Schlussendlich hatte man es auch gewagt das Mädchen anzusprechen und das Erscheinen der Gräfin anzukündigen. Ebenso erwähnte man auch ihre Absichten den Kindern wie schon zuvor in Brügge aus ihrem kostbaren Märchenbuch vorzulesen. Michel hatte weiter in den Hof vordringen wollen aber das merkwürdige Mädchen hatte ihm in schlechtem Flandrisch zu verstehen gegeben, dass sie ihn nicht einlassen würde. Alles was das Haus betraf, wäre mit dem Heimleiter zu besprechen, der sich gerade in wichtigen Amtsgeschäften außerhalb der Stadt befände. Abends wäre er wieder verfügbar; man werde ihm vom geplanten Besuch der Gräfin von Erzhausen unterrichten. Mehr hatte ihr Diener nicht in Erfahrung bringen können ohne sich noch zusätzlich zum offensichtlichen Misstrauen des Mädchens verdächtig zu machen.

Nach ein paar Stunden freier Zeit im Innenhof, wurden die Kinder dann wieder ins Haus geholt, wo bereits die Vorbereitungen fürs Abendessen in vollem Gange waren. Das war auch die einzige Zeit, wo sich das ältere Mädchen eine Auszeit von ihrer Rolle als Aufpasserin gönnte und am Brunnen sitzend, heimlich aus einer trüben Flasche trank. Der Ghul vermutete wohl Schnaps darin. Die letzte Entdeckung, war vielleicht gerade mal eine halbe Stunde her, als ein junger Mann im Alter des Mädchens durch das schmiedeeiserne Tor des Waisenhauses gekommen war, um sich dort auf sehr vertraute Art und Weise mit ihr zu unterhalten. Sie schien sehr erfreut über sein Eintreffen, geradezu erleichtert und hatte ihn auch von ihrem abendlichen Fläschchen probieren lassen. Auf dem Rücken hatte er einen dicken Lederranzen getragen aber es hatte keine Hinweise darauf gegeben, was sich wohl darin befinden mochte.

Mehr konnte Michel Liliane in aller Kürze nicht mitteilen. Man hatte sich sehr bemüht jedes Detail und jede noch so kleine, seltsame Begebenheit zu beobachten und nach Hinweisen auf widernatürliche Dinge zu suchen aber was auch immer im Genter Waisenhaus vor sich ging, musste ein sehr sorgfältig gehütetes Geheimnis sein, das sich vor aller Augen im Inneren der Mauern verbarg. Ihre persönliche Leibwache war mittlerweile schon wieder in vollem Rüstzeug und schwerer Bewaffnung auf den Gang zu ihrem Zimmer getreten, während Michel seiner Herrin zuvorkommend die Tür aufhielt. „Manch einer würde behaupten, dass ihr euch vielleicht getäuscht haben könntet Herrin aber ich bin lange genug in euren Diensten, um zu wissen das eure Sinne euch noch nie betrogen haben. Nur weil wir die Schrecken in diesem Haus nicht entdecken konnten, heißt das noch lange nicht das sie sich vor euch verbergen können.“ Demütig verbeugte er sich. „Wir sind bereit wenn ihr es seid Gräfin.“

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BeitragVerfasst: So 2. Okt 2016, 19:26 
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Schweigend hatte die Gräfin von Erzhausen den Ausführungen von Michel zugehört. Ja, es war nicht völlig neu, dass Kinder aus ärmeren Schichten zu denen auch die Kinder des Waisenhauses zählten, nicht nur den ganzen Tag mit Spielen beschäftigt waren.
"In der Bibel steht geschrieben: Siehe Kinder sind eine Gabe des Herren und wer ein Kind aufnimmt in meinem Namen, der nimmt mich auf." Lilliana ging einen Schritt nach vorne, während sie weiterhin ihren Ghul in die Augen blickte. "Doch was für eine Art der Aufnahme geht hier von statten, dass der Leiter erst gegen Abend wieder zu erreichen ist und nur eine Nonne dieses Haus betritt? Ist dies der Preis für die Schnelligkeit mit der der Auftrag für die Errichtung eines Waisenhauses in Gent zu bezahlen ist?" sie hatte sich zunächst unbemerkt sogar etwas in Rage geredet, jedoch endete es abrupt, während sie sich sammelte und dann das Märchenbuch, welches noch verpackt war in die Hand nahm. "Lasst uns aufbrechen. Ich bin mir sicher wir werden Antworten finden."
Sie ließ sich von der Magd den Mantel umlegen, an der Seite ihres Kleides gut versteckt, steckte ein schon älterer Dolch. Ob Lilliana überhaupt noch wusste, dass es ihn gab. Benutzt hatte sie ihn noch nie, seit Lucien ihn einmal mit mürrischen Blick unsanft in die Hand gedrückt hatte.

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BeitragVerfasst: Mo 3. Okt 2016, 18:49 
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Ausgerüstet mit ihrem kostbaren Märchenbuch, sowie dem Dolch den Lucien ihr einst in so altbekannt missfallender und mürrischer Manier in die Hand gedrückt hatte, begab man sich eiligen Schrittes aus dem Hause der Madame Borluut auf die nächtlichen Straßen von Gent, in denen das Leben der gewöhnlichen Bürger und Handwerker langsam in den Hintergrund rückte. Ein fahler Mond erhellte die gepflasterten Gässchen und Wege, als die Gräfin von Erzhausen mit ihrer persönlichen Leibgarde sich zielstrebig dem Waisenhaus näherte. Hie und da sah man Nachtwächter ihre Patrouille abschreiten oder lachende Männer, die gerade auf dem Weg ins Wirtshaus waren um sich ein Feierabendbier zu gönnen. Schlussendlich erreichte man auch schon den runden Torbogen, der in den Innenhof des Waisenhauses führte. Kaum hatte sie den Durchgang passiert, da erblickte sie auch schon drei kleine Jungen sowie drei kleine Mädchen, aufgereiht in zwei Reihen und gekleidet in die vermutlich besten Kleidungsstücke die ein Kind in diesem Anwesen nur bekommen konnte. Das kleine Willkommenskomitee hatte vor der Eingangstür Stellung bezogen und begann sobald die Gräfin im Torbogen erschien aus vollem Halse eine alte flandrische Weise zu singen. Es klang im Verhältnis zu der kurzen Zeit die sie noch zum Üben zur Verfügung gehabt hatten, gar nicht einmal so dermaßen schlecht. Im Hintergrund stand ein Mann mit grauem, mittellangen Haar, feinen Gewändern und einem sorgfältig gestutzten Vollbart, der sich entzückt lächelnd auf einen Stock stützte. Offenbar musste es sich um den Leiter des Hauses handeln, der sich über die einstudierte Darbietung seiner Schützlinge freute. Nur wenige Meter daneben erkannte die Toreador abermals das bekannte Gesicht des Mädchens als auch jenes, des ihr noch unbekannten Jungen im selben Alter. Beide sahen im Gegensatz zum Heimleiter eher reserviert aus, waren aber ebenfalls ein wenig herausgeputzt.

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Nachdem die Melodie verklungen war, kam ein Mädchen aus der vorderen Reihe auf Lilliane zu und überreichte ihr scheu lächelnd einen kleinen Strauß roter Wildrosen. Zaghaft fügte sie verschluckt hinzu: „Wir freuen uns auf deinen Besuch Gräfin von Erzhausen.“ Im Hintergrund applaudierten die anderen Kinder einstudiert und auch der Heimleiter klatschte. Nur wenige Augenblicke später, trat selbiger mit offenen Armen nach vor und verbeugte sich tief vor ihr, um einen dezenten Handkuss anzudeuten. „Willkommen, willkommen! Mein Name ist Johannes Kant. Willkommen im Waisenhaus von Gent verehrteste Gräfin Aurora von Erzhausen! Ich bin ja mindestens so überrascht wie verzückt über euren unerwarteten Besuch. Es ist uns eine ganz besondere Ehre euch in unserem bescheidenen Haus empfangen zu dürfen; tretet doch nur ein.“ Mit einem Fingerschnippen dirigierten das ältere Mädchen und der Junge die Waisenkinder zurück ins Haus, während der Leiter in Amt und Würden selbst die Gäste hereinbat. Eine kleine Spur Argwohn lag in seinem Blick, als er die bewaffneten und gerüsteten Leibwächter der Gräfin erblickte. Räuspernd fragte er vorsichtig: „Verehrteste, würde es euch etwas ausmachen eure kriegerische Dienerschaft vor der Tür zu lassen? Ich weiß in euren erlauchten Kreisen kann eine angesehene Dame gar nicht vorsichtig genug sein aber hier bei uns müsst ihr euch keine Gedanken um eure Sicherheit machen. Die Herren können es sich hier bisweilen gemütlich machen und Natascha wird ihnen einen kleinen Umtrunk einschenken, wenn es recht ist?“ Das Lächeln blieb weiterhin aufrecht, als die kleinen Kinderfüße hinter ihm ins Haus trippelten.

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Leonore, das hatte die Gräfin schon in Sekundenbruchteilen bemerkt, war nicht darunter gewesen. Michel sah vielsagend in Richtung seiner Herrin.

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BeitragVerfasst: So 16. Okt 2016, 08:01 
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Das Mädchen welches ihr die Wildblumen überreichte, erlebte eine Frau, die sachte und fast zärtlich den Strauß in Empfang nahm, während sie dem Kind ein warmes Lächeln schenkte. Irgendwie schlich sich danach aber Wehmut in ihren Blick, als die Kinder sofort wieder wegdirigiert wurden. Der ältere Mann vor ihr, sah keine Regung im Gesicht, als er seine Bitte geendet hatte, stattdessen hatte sie auch für ihn ein warmes Lächeln, indess in ihren Augen sich dies nicht vollständig wiederfand. „Die Wachen zu meinem Schutz und für meine Ehre werden bleiben, solange es notwendig ist. Sie sind voll guter Ehr und Taten und hegen keine Aggressivität gegen jene, die der Kirche nahe stehen und für die das Wohl der Kinder Gottes an oberster Stelle steht.“ Im Gegensatz zu ihrem Lächeln wählte Lilliana bewusst einen Tonfall, der keine Einwände zuließ und der in adligen Kreisen weit verbreitet war. Dennoch schmerzte es sie diesen Weg zu wählen, dementsprechend erklangen die nächsten Töne etwas versönlicher: „Meine Person möchte gerne das so schnell eingerichtete neue Gebäude kennenlernen, das dank der Erlaubnis des ehrwürdigen Bischofs Martin hier in Gent nun die Herberge von Gottes kleinen Engeln darstellt.“

Das kleine Mädchen schenkte ihr einen schamhaften und leicht ängstlichen Blick; erfüllte die ihr zugedachte Aufgabe aber doch sichtbar zufriedenstellend für Johannes Kleist, dem Leiter des Genter Waisenhauses. Nachdem es sich mit trippelnden Schritten zu den anderen gesellt hatte und der ältere Junge, als auch das Mädchen nacheinander die Kinderschar zurück durch die Tür dirigierte, trat eben letztgenannter sich leicht verbeugend näher an die Gräfin heran, um ihre Hände zu ergreifen und zu einem knappen Kuss anzusetzen. Ein Ausdruck seiner guten Erziehung und dem Wohlwollen, das er ihr selbst noch zu jener Stunde entgegenbrachte. Ein sachtes Lächeln trat in sein Gesicht und im Gegensatz zu dem ihren, erreichte es sehr wohl die unzähligen kleinen Fältchen um seine Augen. Räuspernd nickte der Heimleiter. „Selbstverständlich Gräfin von Erzhausen, es ist uns ein besonders Privileg jemanden eures Standes und eurer Reputation bei uns begrüßen zu dürfen. Ich habe ja schon so viel von euch und eurer Mildtätigkeit gehört. Dennoch…“, fuhr er dann mit leicht bedauerndem Tonfall fort, „… kann ich bewaffnete Männer nicht in diesem Hause dulden meine Teuerste. Das hat gewiss nichts mit ihren Absichten zu tun, bei denen ich von keinen anderen, als den besten ausgehe und auch nicht mit ihrem frommen Glauben und ihrer bedingungslosen Loyalität und Ergebenheit euch gegenüber.“ Johannes Kleist lächelte erneut. „Waffen und Rüstungen sind in dieser Stätte ein Tabu, das ich selbst für jemanden wie euch nicht brechen kann edle Dame, doch sind eure Recken gerne dazu eingeladen sich rund ums Haus zu postieren und unser aller Leib und Leben zu beschützen.“ Im Gegensatz zu ihr war sein Tonfall immer noch freundlich und offen; schien auch nicht sonderlich irritiert oder beeindruckt von ihrer adeligen Art ihrem Ansinnen Nachdruck zu verleihen. Ein Mann wie Kleist hatte wohl nur allzu oft mit irgendwelchen Würdenträgern zu tun. Ohne weiter auf die Wachen einzugehen, denn er glaubte in dieser Sache seinen Standpunkt wohl klargemacht zu haben, vollführte er eine einladende Geste. „Bitte bitte, hier entlang. Erlaubt mir euch in meiner Schreibstube zu einem Gläschen Wein zu verführen, bevor wir einen kleinen Rundgang machen Gräfin. Ich bin davon überzeugt ihr werdet Gefallen an dieser Einrichtung finden.“ Michel machte einen vielsagenden Seitenblick in Richtung seiner Herrin.

Wäre sie nur halb so wild geworden wie ihre Nachfahrin Marie, dann würde dies hier anders beginnen und anders enden, aber Lilliana war nicht am Krieg sondern dem Frieden interessiert. Sie drehte sich also kurz zu ihrem Ghul um und bedeutete ihn mit einer Geste bei ihr zu bleiben, jedoch die beiden anderen Wachen aus dem Blickfeld des Heimleiters zu positionieren. Dann erst richtete sie ihren Blick wieder auf den Leiter und ein sachtes Kopfschütteln war deutlich zu erkennen. „Ich habe bereits gespeist, aber danke für euer Entgegenkommen. Ich möchte die Kinder nicht zu lange warten lassen. Einige haben sich in Brügge schon immer sehr für die Märchenstunde interessiert mit den ehrbarsten Rittern von denen sie danach auch träumen mochten.“ Sie begann, während sie sich weiter fortbewegte, auffälliger umzusehen, gleichzeitig wollte Lilliana, dass er dies mitbekam. „Welcher Kirchenorden hat der ehrwürdige Bischof mit der religiösen Erziehung der Kinder beauftragt?“ ihre Ohren konzentrierten sich auf die Kinderstimmen, so nah oder fern sie auch sein mochten. Ihre Augen begutachteten für außenstehende das wenige das sich ihr offenbarte, innerlich aber versuchte Lilliana bereits eine Karte des Hauses zu zeichnen. Was war vorhanden, was nicht? Wo befand sie sich? Wo die Kinder?

Michel blieb an ihrer Seite und hätte vielleicht aufs Schärfste protestiert oder wäre sogar noch um einiges weitergegangen, wenn von Kleist es tatsächlich in Erwägung gezogen hätte seine Herrin allein in diesem unbekannten Haus zu empfangen. Waisenhaus oder nicht, Visionen oder nicht, er war ihr Leibwächter und er würde gewiss einen Teufel tun und seine Pflicht vernachlässigen. Als er näher an sie herantrat, funkelte er den Heimleiter leicht herausfordernd an, blieb aber ansonsten schweigsam und hielt sich höflich zurück. Zumindest für den Augenblick. Johannes von Kleist nahm es gelassen hin, sah er doch mit ruhigem Blick wie Michel mit einigen knappen Worten, die beiden anderen Wachen rund ums Haus postieren ließ. Offenbar war er mit diesem stillschweigenden Kompromiss einverstanden; quittierte die Entwicklung der Situation lediglich mit einem schon fast verschmitzten Lächeln. Er führte die Gräfin und ihren bewaffneten Begleiter durch einen breiten, hohen Flur hin in ein großes und vor allem ungewöhnlich hohes Vorzimmer mit doppelseitiger Treppe nach oben, in welchem man Durchgänge in alle weiteren Räumlichkeiten erahnen konnte. Manche führten zu Gängen und Abzweigungen, andere waren mit schweren Türen verschlossen. Generell wirkte alles insgesamt wenig verspielt oder besonders behaglich, sondern eher kühl und zweckmäßig. In Öllampen brannte dämmriges Licht, das schwammige Schatten auf die mit teilweise dunklem Holz vertäfelten Mauern warf. Der Hausherr ließ sich gebührend Zeit, damit sie sich auch in aller Ruhe sorgsam und aufmerksam umsehen konnte. Stets hielt er dabei sein Lächeln aufrecht und manch einer mochte darin sogar so etwas wie verhaltenen Stolz vermuten. „Märchen?“ Er wirkte für einen Moment irritiert, dann aber schien er zu begreifen. „Oh natürlich, die Märchen. Ich hörte schon davon. Viele Adelige lassen uns gelegentlich eine mildtätige Spende zukommen aber es gibt da eine besondere Dame, die lässt es sich nicht nehmen unsere Kinder zusätzlich mit ihrer persönlichen Anwesenheit zu erfreuen.“ Jetzt grinste er schon ein wenig. „Und mit ihren fantastischen Märchen.“ Er nickte kurz und wirkte für einen Moment lang in sich gekehrt. „Nun, ich denke hier in Gent haben wir keinen wirklichen Bedarf für dieses großzügige Angebot eurerseits. Nicht das ich euer Angebot nicht über alle Maßen schätzen würde aber ich lese den Kindern selbst gerne hin und wieder etwas vor. Natürlich nur wenn die Hausarbeiten allesamt ordentlich erledigt wurden. Schließlich will eine Belohnung wohlüberlegt eingesetzt werden.“ Während er so sprach, konnte sie im hinteren Teil des Gebäudes das Klirren von Geschirr und Plätschern von Wasser vernehmen. Offenbar waren gerade einige Kinder mit dem Abwasch beschäftigt. Ansonsten hörte sie in ihrer direkten Nähe nichts weiter, das auf die kleinen Bewohner hingedeutet hätte. Vermutlich war das Gebäude tatsächlich größer als sie erwartet hatte und die Kinder auf verschiedene Zimmer aufgeteilt, die sich nicht direkt in der Nähe des Hauptsaales befanden. Eingerichtet waren die Gänge und Zimmer ebenfalls zweckmäßig; keine Spur von Schmuck oder unnötiger Dekoration. Raue Teppiche schluckten feste Schritte, dicke Türen sperrten neugierige Augen aus und alles weiter schien sich quer verteilt im Haus abzuspielen. Es gab auch offenbar nichts, das irgendwie von größerem Wert zu sein schien. Als sie den Speisesaal betraten; ein langgezogenes Zimmer mit mehreren aneinandergereihten Tischen und Bänken, begann der Hausherr ein wenig zu schwadronieren. „Oh Schwester Trude besucht die Kinder einmal am Tag und hilft ihnen bei den Gebeten und dem Verständnis der Bibel und den Geboten. Es soll ja alles seine Ordnung haben nicht wahr?“ Er lächelte. „Soweit ich weiß hat sie der ansässige Pfarrer zu uns geschickt, es gibt da ein kleines Kloster zwischen Gent und Brüssel; nicht gerade beeindruckend.“ Er machte eine ausladende Geste. „Da ist es schon viel beeindruckender, was wir aus diesem Haus gemacht haben. Früher gehörte es einem feisten Handwerker, der sich dem Suff ergeben hat und den die Gicht plagte. Er war reich und hat am Ende alles verloren der gute Mann. Danach kam eine ambitionierte Bierbrauerfamilie und hat hier ihren eigenen Tropfen vergoren.“ Johannes Kleist lachte amüsiert. „Aber leider war ihr Bier schlichtweg ungenießbar woraufhin das Geschäft innerhalb weniger Monate einbrach und zum Erliegen kam. Noch immer gibt es hier ausgedehnte Lagerräume und Keller, die stark nach Alkohol und derartigem Riechen. Da muss man sich erst einmal daran gewöhnen. Auf der anderen Seite haben wir somit sehr viel Platz. Womöglich bauen wir noch aus.“ Und wenn sie das Gespräch nicht in eine direkte Richtung lenken würde so schien es, würde er noch weiter damit machen die Vorzüge des Hauses aufzuzählen und möglicherweise doch noch einen kleinen Rundgang starten. Wobei er im Grunde gerade dabei war damit anzufangen.

Sie ließ sich von ihm führen und nahm seine Worte auf, darauf bedacht sich an das was sie gesehen hatte zu erinnern, sollte es von Nöten sein. Die Geschichte des Hauses schien interessant aber eher als ein Glücksfall für das Waisenhaus zu gelten und so ging Lilliana darauf nicht ein.
„Als eine fromme Frau Gottes sieht es meine Person mehr als nur meine Pflicht an, mildtätige Gaben den kleinen Engeln zukommen zu lassen. Vielleicht gerade weil diese Kinder viel mehr Liebe und Güte benötigen bin ich hier. Und ihr als bekennender frommer und gebildeter Mann der heiligen Kirche werdet gewiss verstehen, wenn ich diese Güte den Kindern heute Abend angedeihen möchte. Natürlich mit Gottes Segen und dem der Mutter Oberin. Viele dieser Kinder haben Brügge und ihre bisher sonst vertraute Umgebung verlassen müssen. Ein Umstand, der sich nicht vermeiden ließ. Ein Gesicht, dass sie kennen, wird sie daher aufmuntern und ihnen helfen sich an dieses neue Gebäude zu gewöhnen.“
Die Sätze, die am Ende eine Rede wurden, hatten keinerlei belehrenden Charakter, sondern erklangen mit aller Herzenswärme. Sie machte eine Pause, ehe sie fortfuhr. „Nach dieser Zeit mit den Kindern, wäre ich sehr gerne geneigt mir anzuhören was ihr als Leiter dieser neuen Anstalt für Begehren besitzt, die den Kindern helfen könnten. Außerdem würde es mich sehr erfreuen auch die neuen Erzieher der Kinder Gottes kennen zu lernen. Sie mochten für ihre Alter noch sehr jung aussehen, aber ich bin sicher, sie sind wohlerzogen und gut ausgebildet für ihre Aufgabe und man sagte mir sie bringen den Kindern allerhand Fertigkeiten bei.“

Johannes von Kleist führte die Gräfin weiter durch verschiedene Gänge und Korridore, spazierte an der Küche vorbei, in der einige Kinder tatsächlich mit dem Abtrocknen von Tellern und Bechern beschäftigt waren und stumm aber nicht minder neugierig zu der Besucherin aufsahen. Der Großteil der anwesenden Kinder erkannte ihre Märchenerzählerin wieder und auch sie erkannte nur allzu bekannte Gesichter; dennoch waren sie bemüht schweigsam und konzentriert in ihre Arbeit vertieft. Im Hintergrund sah man das älter Mädchen, das zusammen mit zwei Kindern den Boden schrubbte und Lilliane misstrauisch anfunkelte. Der Hausherr nickte verständnisvoll. „Aber ist es denn nicht so liebste Gräfin, dass der Adel viel zu vielen Verpflichtungen nachzukommen hat, als dass er sich so gottesfürchtig um die ärmsten der Armen kümmern könnte? Sind denn nicht gerade die christlichen Brüder und Schwestern der Klöster und Abteien diejenigen, denen diese Aufgabe dadurch zukommt?“ Offenkundig wollte er diese Frage gar nicht recht beantwortet wissen; eher einfach nur seine Überlegungen mitteilen. „Doch wenn es euch so viel bedeutet, dann kann ich ein paar der Kinder kommen lassen, denen ihr vorlesen mögt. Natürlich nur diejenigen, die ihre Arbeit angemessen verrichtet haben. Verzeiht, wenn ich das sage aber das Privileg des Wohlstandes gilt hier nicht. Hier muss jeder arbeiten für seine Mahlzeiten und sein Bett, denn wie wollen wir die Kinder anders auf das Leben vorbereiten? Müßiggang ist der Untergang der Zukunft und eben das sind diese Kinder. Die Zukunft von Gent.“ Mit einem Fingerzeig gab er dem älteren Mädchen ein knappes Zeichen. „Ein paar der Kinder dürfen sich über eine Geschichte freuen, wenn sie mit der Arbeit in der Küche fertig sind Natascha. Wähle einige aus, die dir heute fleißig zur Hand gegangen sind und Akim soll ebenfalls ein paar erwählen; nicht mehr als fünf. Danach dürfen sie sich in der Schreibstube neben dem Kellerabgang versammeln. Die Gräfin wird heute eines ihrer vielgeliebten Märchen vortragen.“ Das Mädchen nickte und sah Lilliane missmutig an; tat aber wohl wie ihr geheißen. Ein wenig würde es noch dauern, bis der Küchenboden ordentlich geschrubbt war. Dann drehte sich der Leiter wieder zu ihr um und lächelte freundlich und irgendwie geradewegs hochgradig interessiert an ihrer Frage. „Oh ich habe vor diesen Kindern mehr zu geben als nur Essen und Betten. Selbst der Heiland vermag in seiner Größe aus einem Bettler keinen lebensfähigen Mann zu machen, dass macht nur die Unterweisung und Bildung. Wissen ist Macht teuerste Gräfin, wie wir alle wissen und diese Kleinen hier, werden nach dem Aufenthalt bei uns elendig erfrieren und verhungern, denn niemand wird sich um sie kümmern. Ich finde man sollte es ganz anders angehen aber das besprechen wir dann vielleicht in meiner Stube.“ Er nickte dem älteren Mädchen noch einmal zu. „Die Gräfin wünscht sowohl dich als auch Akim kennenzulernen. Beantworte ihre Fragen so gut du kannst und führe sie herum, wenn es ihr beliebt. Und vergiss nicht die Schreibstube für sie herzurichten.“ Erneut schenkte er Lilliane ein breites Lächeln. „Natascha und Akim mögen noch sehr jung erscheinen aber sie haben ein hartes Leben voller Entbehrungen hinter sich und wissen, was nötig ist um nicht in der Gosse zu landen. Sie sind vertrauenswürdig, loyal und fleißig, ich könnte mir niemand besseren wünschen. Zudem ist die Alterskluft nicht so hoch und die beiden haben ein gutes Gespür für unsere Kleinen.“ Mit einem Schmunzeln verbeugte er sich vor ihr. „Ich werde euch dann mit Natascha alleine lassen, damit ihr im Anschluss eure Märchen vortragen könnte. Solltet ihr irgendetwas benötigen, zögert nicht es ihr mitzuteilen. Ich selbst werde noch einige Schreibarbeiten erledigen, die keinen Aufschub mehr dulden.“ Von Kleist beugte sich herab um ihr die Hand zu küssen und dann höflich rückwärts zu entfernen. „Meine Verehrung. Sucht mich in meinem Turmzimmer auf, wenn ihr den Kindern begegnet seid liebste Gräfin.“ Michel beobachtete das Schauspiel als auch die Szenerie in der Küche mit demselben missmutigen Blick, den Natascha seiner Gräfin zugeworfen hatte. Irgendwas war doch an all dem faul. Musste es einfach sein.

Das ihr dargebotene Bild, wie die kleinen Kinder brav in der Küche knieten um den Boden zu schrubben…Lilliana musste sich selbst beherrschen um in ihrer Rolle zu bleiben. Zu gerne hätte sie diese Tat beendet. Es sind die kleinsten, die jüngsten, die die den meisten Schutz benötigten.
Sie nickte dem Leiter zu und ließ ihn fortgehen, während sie zum ersten Mal das ältere Mädchen nicht nur aus der Ferne betrachtete. Doch während sie sich beim Heimleiter sicher war, dass seine Gefühlsregungen und die Berichte über ihn zu stimmen schienen, so irritierte sie das offenkundige Misstrauen des älteren Mädchens und zusammen mit dem was sie bereits in den Morgenstunden gesehen hatte, öffnete sie ihre feinen Sinne und konzentrierte sich darauf die Aurafarben des Mädchens wahr zu nehmen. Ein klatschendes von einem nassen Schwamm auf dem kalten Boden verursachtes Geräusch störte jedoch ihre Konzentration und so musste sie sich begnügen eine nächste Gelegenheit zu erwischen (Auspex 2: Fehlschlag).
Sie wartete stattdessen die Reaktion des Mädchens auf die Anweisungen des Leiters ab, während sie dem Mädchen einen warmherzigen Gesichtsausdruck schenkte.

Natascha, so hatte er sie genannt, erhob sich vom kalten Steinboden und warf die grobe Bürste in einen Eimer mit lauwarmer Seifenlauge. Sich die Hände an der Kittelschürze abwischend, sah sie die Gräfin aus dunklen Augen an ohne sich zu verbeugen, einen Knicks zu machen oder ihr sonst irgendwie gesondert Respekt zu zollen. Im Gegensatz zu Johannes von Kleist, schien sie nicht ein einziges Mal in ihrem Leben an Adelige oder Würdenträger geraten zu sein, sodass sich höfische Sitten und Etikette erübrigt hatten. Möglicherweise wollte sie aber auch einfach nur nicht und ihr damit ihre mutmaßliche Antipathie ausdrücken. Sie deutete auf sich und sagte mit starkem Akzent: „Mich... Natascha. Du wollen Geschichten lesen ja?“ Knapp sah sie du den Kindern, die hinter ihr den Boden schrubbten und die schnell die Köpfe wieder senkten als sie sich beim Beobachten erwischt fühlten. „Ich werde herrichten Schreibstube für dich und Kinder, du mir folgen. Du und dein…“ Sie überlegte kurz. „.. Myasnik“, endete sie dann Michel etwas schief taxierend. An ihr vorbeigehend, nahm sie keine Rücksicht darauf ob die Toreador ihr folgen würde oder nicht.

Sie war zwar dem Stande nach vom Adel, aber zum Glück für das Mädchen kein Mitglied des Adels, das sich sogleich beschwert und die Kündigung des Mädchens veranlasst hätte durch diese eher beleidigend, wirkende Geste. Sie ließ Natasha vorgehen, teils weil das Mädchen den Weg kannte, teils weil Lilliana nicht wollte, dass sie etwas hörte und ein kleiner Teil, der sie unterweisen wollte. „Ich denke, es fehlte bisher die Zeit sie in der Etikette zu unterrichten. Aber dies wird eine Aufgabe des Heimleiters sein, wenn er nicht will, dass sich andere adlige Damen bei ihren Besuchen über sie echauffieren. Hast du ihren Akzent erkannt oder das fremde Wort? Myasnik?“ sie redete leise und nur in seine Richtung. Dann schaute sie unvermittelt nochmal mit einem Blick in die Küche auf der Suche nach Leonore. Aber gewiss hätte sie das Mädchen schon gesehen, weswegen es bei einem letzten liebevoll gemeinten Blick für die Kinder blieb, ehe dann auch Lilliana ihre Schritte langsam in die Richtung setzte in der Natasha verschwunden ward. „Eine Nonne für wenige Stunden, ein Heimleiter und zwei eher ältere Kinder als Erzieher? Ich bin mir nicht sicher, dass das in dieser Form so von den Nonnen in Brügge gedacht war. Hier fehlt es eindeutig an Liebe und Wärme, dafür aber sind die Wände kalt, der Boden gedämpft. Was meinst du dazu? Ich sehe dir an, dass du etwas dazu sagen möchtest und ich schätze deine Meinung.“ sie gab Michel zu erkennen, dass sie geendet hatte und er wenn er möchte antworten konnte. Ihre Blicke waren zuvor wieder an den Wänden entlanggegangen und es war ihr als suchte sie trotz der Kälte etwas. Zum Beispiel ein gemaltes Bild. Ob gekauft oder selbst gemacht, nur etwas Wärme.

Ihr getreuer Ghul und Leibwächter schritt zunächst schweigend an ihrer Seite, während seine Augen die Umgebung absuchten und offensichtlich auch darauf absahen, sich den Aufbau des Hauses einzuprägen. Sollte es zu irgendwelchen Konfrontationen oder Auseinandersetzungen kommen, so war er lieber vorbereitet und wusste seine Umgebung zu seinem Vorteil zu nutzen. Leonore hatte Lilliane bei den emsig den Boden schrubbenden Kindern nicht gesehen, doch das mochte sicher nicht daran liegen, dass das zierliche Mädchen für so eine schwere und ermüdende Arbeit noch zu jung gewesen wäre. So wie sie den Hausleiter und seine Auffassung zu einem geordneten Leben innerhalb der vier Wände dieser Institution verstanden hatte, gab es für niemanden Schonung. Eine recht sachliche und kühle, manche mochten gar hinter vorgehaltener Hand ‚herzlose‘ Ansicht murmeln. Michel wandte sich im Gehen an seine Herrin und ließ dabei die vorangehende Natascha nicht aus den Augen. „Mit Verlaub Herrin, ich mag mich irren aber ich glaube diese Magd oder wer immer sie ist, weiß sehr wohl wie sie sich zu benehmen hat. Der Unterstand zwischen den Ständen ist ihr gewiss vertraut, denn egal woher sie kommt und selbst wenn sie nicht viel Umgang mit den wohlhabenderen, mächtigen Leuten ihrer Umgebung gehabt zu haben scheint, so mag Schweigen tolerabel sein; vielleicht sogar erwünscht.“ Er hob kaum merklich die Schultern. „Aber das hier ist offene Feindschaft und blankes Misstrauen Herrin und selbst wenn sie Adelige nicht zu mögen scheint, dürfte sie klug genug sein das nicht zu zeigen.“ Seine Mundwinkel hoben sich ein Stück. „Genauso wie unser Hausherr ganz besonders bemüht um euch scheint. Die Diener verachten euch und der Hausherr gibt sich besonders untertänig? Und warum will er keine Wächter in seinem Haus? Er selbst scheint ja ohnehin keine zu haben?“ Nochmals schüttelte er den Kopf. „Ein Waisenhaus birgt nicht viel Wertvolles, ich habe hier zumindest noch nichts dergleichen gesehen und doch ist die einzige Sicherheit für die Waisen ein junges Mädchen und ein Junge, sowie eine alte Schwester die gelegentlich vorbeikommt. Von Kleist scheint ja viel mit allem Anderen beschäftigt zu sein. Ein wahrer Wohltäter.“ Verächtlich schnaubte er. „Verzeiht, das war nicht angebracht und doch habe ich das unwillkürliche Gefühl, das dieses Haus gänzlich anders ist als in Brügge. In unserer Stadt, ist das Waisenhaus viel mehr eingebunden in die täglichen Abläufe. Es ist lebendiger und wirkt nicht deplatziert. Hier habe ich das Gefühl als ob wir uns in einer isolierten Anstalt befinden, in der sich im Schatten alle möglichen Gefahren sammeln.“ Natascha war indessen weitergangen und kam zu einer breiten Treppe nach unten, die wohl in den ausgedehnten Keller führen mochte. Es roch penetrant nach Wein, Schnaps und Bier und das zu allem Überfluss noch so als wäre es miteinander vermischt worden und dann für einige Wochen stehen gelassen worden. Neben dem Abgang gab es eine schwere Holztür, diese öffnete das Mädchen und deutete den Gästen einzutreten. Vor ihren Augen tat sich ein für die Verhältnisse des Hauses fast schon heimeliger Anblick dar. Ein großer Tisch, an dem vielleicht sieben bis acht Leute Platz hatten, daneben ein kleines Regal und eine Tafel mit Kreide an der Wand. Es gab auch Stick- und Nähzeug, Nadel- und Faden sowie einige Pflanzen in runden Schalen, einen Abakus und jede Menge Pergament. Auf einem kleinen Beistelltisch standen mehrere Tintenfässer mit Federn. „Wir da…“, verkündete Natascha. „Du wollen Kamin?“, sie zeigte auf einen kleinen Kamin im hinteren Bereich des Zimmers. „Wahrscheinlich nicht…“, beantwortete sie ihre Frage dann selbst und schickte sich an den Raum mit den Worten: „Ich holen Kinder, du warten“, zu verlassen. Die Gräfin würde sie noch aufhalten können, sollte sie noch etwas fragen wollen. Michel indessen meinte ans Ohr der Toreador geneigt. „Ich weiß nicht woher sie kommt aber diesen Akzent dürftet ihr auch kennen Herrin. Es ist etwas verwaschen und undeutlich aber… ich glaube sie kommt aus Russland oder zumindest dort irgendwo im Osten. Manchmal sind die Belinkov Wareneinkäufer bei den van de Burse zugange. Das klingt sehr ähnlich, rau und fast derb. Keine Melodie.“

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BeitragVerfasst: Sa 22. Okt 2016, 19:46 
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„Warte!“ Ein Wort von ihr hinüber zu dem Mädchen. Die von Lilliana untermalende Geste in welche sie mit offener Hand zu dem Kamin zeigte deutete schon an, was sie noch zu sagen hatte, während sie dies tat, versuchte sie wieder Natasha näher in Augenschein zu nehmen. (Auspex 2 gg8: 1 Erfolg) Dieses Mal hatte sie das Gefühl, als öffnete sich ihr langsam der Schleier, doch noch immer nicht so vollständig, wie sie es von früheren Einsätzen ihrer Disziplin gewohnt war. „Jeder Mensch möchte es warm haben und erst Recht die kleinen Kinder. Schüre das Feuer wie du es gelernt hast, so magst auch du nachher die Wärme das von ihm ausgeht spüren können. Dann hole die Kinder.“ Die Worte hatten keinen befehlstonenden Charakter, sondern dienten der Belehrung wie auch der Aufforderung zum Handeln.

Der Raum, so schön zurechtgemacht wie er war, erschien er ihr unheimlich, was wohl an seiner Lage im Haus zu liegen vermochte. Teppiche, Pergament und ein Kamin im Keller? Sie schien alarmiert. Michels Worte drangen dabei gleichzeitig an ihr inneres Ohr und sie musste kurzzeitig die Stirn runzeln, als sie an die letzte Begegnung mit einem Mitglied aus der Familie der Kainskinder aus dem Osten gedachte. Man hatte einige Tage gebraucht alle Leichen, die André im See versenkt oder im Umkreis davon liegen gelassen hatte zu bergen und die vielen Tränen der Verwandten, welche die Nachricht vom Tode ihrer vermissten Brüder, Schwestern, Müttern, Vätern, Söhne, Töchtern, erhielten waren noch tagelang spürbar zu hören gewesen. Ob eine Horde Barbaren oder eine andere Lüge zur Erklärung benutzt wurden, es war Lilliana gleich, denn sie würde tief in sich behalten wer diese Taten begangen hatte und wie gleichgültig dies für ihn gewesen war, seine Taten zuzugeben.

Kaum hatte die Gräfin ihre knappe belehrende Ansprache gehalten, da hatte die junge, argwöhnische Frau nach einem äußerst kurzen Nicken auch schon wieder auf dem Absatz kehrtgemacht, ohne die Toreador noch eines weiteren Blickes zu würdigen. Für einen kurzen Augenblick war sie zwischen Pergamentrollen, Abakus, Stickutensilien und dunkel gemaserten Holzmöbeln allein mit ihrem persönlichen Leibwächter. Doch der dämmrige Friede währte nicht lange, als Natascha mit dem etwa gleichaltrigen Akim zurückkam, der einen schweren, gepolsterten Sessel hinter sich her schleifte und dabei gelegentlich ächzte. Sie selbst begann damit einige Kerzenleuchter und Öllampen rings im Raum anzuzünden, um für noch mehr Licht zu sorgen. Immerhin würde hier demnächst vorgelesen werden und vermutlich verlangte der Hausherr bei seinen Schreibarbeiten auch nach angemessener Beleuchtung. Anschließend entfachte sie den Kamin, ganz so wie der hohe Besuch es offenbar für angemessen hielt. Knisternd zuckten nach einigen Minuten die ersten Flammenzungen durch die kühle Luft. Für Michel wurde einer der Stühle am Tisch herangezogen und neben dem bequemen Sessel positioniert. Zwei Hocker am Kamin sahen geradewegs so aus, als würden sie nur auf die beiden Älteren warten. Höchstwahrscheinlich würden diese auch tatsächlich bei Lillianes Märchenstunde zugegen sein. Als Aufpasser mochte man meinen, wobei offenblieb auf wen sie denn nun eigentlich aufpassen wollten. Ihre Schutzbefohlenen oder doch eher den nächtlichen Besuch? Ein paar Worte in der merkwürdigen Sprache wechselnd, formte Akim in ungefähr zwei Meter Abstand aus den restlichen Stühlen an den Tischen, einen kleinen Halbkreis rund um die Gräfin. Der Boden war verhältnismäßig hart und im Gegenteil zu Brügge, lag hier kein ausladendes, weiches Bärenfell. Die bevorstehende Märchenstunde bekam dadurch eher mehr den Anschein eines abzuarbeitenden Tagesordnungspunktes anstatt einer ungezwungenen Begegnung mit den Waisen. Ihre übermenschlichen Sinne teilten ein weiteres Mal den unsichtbaren Vorhang zwischen dem offensichtlichen und dem was gewöhnlichen Augen verborgen blieb, während bereits die ersten Kinder langsam den nach wie vor kühlen Raum betraten. Die Toreador konnte nun zumindest eindeutig erkennen, dass Natascha vollkommen sterblich war. Michel wartete darauf, dass seine Herrin Platz nahm um sich im Anschluss selbst zu setzen und unterdrückte ein ernüchterndes Seufzen. Wohin er blickte waren zwar lächelnde aber durchwegs nur müde Gesichter. Die Kinder hatten den ganzen Tag gearbeitet, gebetet und gelernt; waren dazu bereits früh am Morgen aufgestanden. Und morgen wäre es nicht anders, zudem jetzt ja auch die älteren Kinder, die ja in Brügge verweilten, gänzlich fehlten. So waren mitunter Arbeiten zu verrichten, die einem kleinen Kind doch schon eine Menge an Kraft und Ausdauer abverlangte. Dafür konnte man nun mehr Waisen in jedem Haus unterbringen. Offenbar gab es keinen Vorteil ohne Nachteil. Langsam und müde kletterten die teilweise für sie doch sehr bekannten Gesichter auf ihre harten Stühle und lächelten der Gräfin zu. Akim lehnte am Kamin und warf ein Holzscheit nach, während Natascha noch immer misstrauisch wirkte. Eins der Kinder gähnte knapp. „Ich bin so froh das du hier bist…“, meinte der Junge und nickte beinahe ein. Leonore war noch immer nicht auszumachen.

Lilliana lachte leise auf, während sie sogar etwas beschämt in die müden Kinderaugen sah. Natürlich waren sie frühzeitig aufgebrochen, aber dies hier waren die kleinsten Kinder, deren Schlafenszeit nun schon gekommen war. Sie besah dann auch noch knapp die Arbeit von Natasha, nickte nur knapp und ließ offenkundig den Blick über die Kinderschar schweifen, suchend, so dass Natasha und Akim es leicht erkennen mochten. „Aber wo ist denn Leonore?“ fragte Lilliana in die Kinderrunde und sah dabei direkt in die Augen von Kindern, die sie noch aus Brügge kannte. Dann schwenkte sie leicht den Kopf in Richtung Michel und sprach weiter „Ich kann mir nicht vorstellen, dass sie ihren Lieblingsplatz an der Seite ihres Ritters nicht einnehmen möchte.“ Sie unterstrich diese Bemerkung mit einem abschließenden Lächeln, sah dabei wie zufällig zu Natasha und Akim ob diese etwas dazu beitragen wollten und bat Michel dann ihr das Märchenbuch zu reichen. „Ich glaube wir waren bei der Artus-Sage angelangt.“

Nein die beiden Älteren schienen sich auch bei dieser nur allzu auffälligen Geste der Gräfin nicht wirklich etwas anmerken lassen zu wollen. Eines der Kinder wollte schon zu einer Antwort ansetzen, als Natascha recht eindrücklich dazwischenfuhr. Eine zarte Mädchenstimme ertönte: „Leonore bekommt heute…“, weiter kam das braunhaarige, dürre Mädchen nicht mehr. „Schon im Bett“, schnarrte Natascha etwas ungehalten. „Kleines Mädchen bekommt heute von wem anders vorgelesen… ist schon im Bett.“ Der scharfe Blick, der daraufhin folgte, machte deutlich das solche ungefragten Auskünfte nicht wirklich gebilligt wurden. „Du lesen Geschichte, Leonore ein anderes Mal hier“, meinte das vermeintlich russische Mädchen abschließend und nickte der Gräfin auffordernd zu. „Au ja, Geschichte!“, kam es unisono mit schwachen Stimmchen, die eigentlich viel schwungvoller und begeisterter hätten klingen sollen. Einer der Jungen schlief gerade im Sitzen ein. Er hatte noch vor wenigen Minuten den Küchenboden geschrubbt.

Lilliana musste nicht atmen. Nein diese Form des Lebens war schon viel zu lange völlig unnötig. Aber im Gegensatz zu manch anderen tat Lilliana auch atmen wenn sie es nicht um der Maskerade willen musste. Das Atmen half ihrem Geist und dem was Lucien gerne Ungeheuer nannte, sich zu beruhigen und weiterhin die Ruhe und den Frieden auszustrahlen. Mit einer betont langsamen Geste stand sie von ihrem Sitzplatz auf, lächelte die Kinder an, blieb aber im Folgenden stehen. „Die Artus-Sage. Wie wir wissen war Artus…“ Lilliana eröffnete die Rede ohne das Märchenbuch und trug eine kurze Version der Vergangenheit von König Artus vor „…und Artus wurde unterwiesen von weisen Männern und in seinem Glauben zu Gott bestärkt. Genau wie ihr lernte er die 10 Gebote Gottes und betete das Vater unser.“ Lilliana machte eine kurze Pause und ließ ihren Blick in Richtung der beiden älteren Betreuer schweifen. Sagt mir Kinder, die ihr im wahren Glauben unterrichtet werdet, wie lautet das 8. Gebot unseres Herrn?“ Die drauf folgende Pause war zu kurz, als das eines der Kinder antworten konnte oder mochte. Selbst wenn die Kinder es gewusst hätten und die Frage dann doch für ihre Ohren bestimmt gewesen wäre, hätten sie der Gräfin nicht mehr antworten können. Denn auch wenn ihre kurz und prägnant gehaltene Geschichte, nur ein zusammenfassender Abriss der bewegenden Vergangenheit von Arthus gewesen sein mochte, reichte die langsame und beruhigende Melodie ihrer Stimme bereits aus, um die ohnehin völlig erschöpften und müden Kinder langsam von einem Dämmerzustand, in einen tiefen Schlaf verfallen zu lassen. Und das lag ganz sicher nicht daran, dass sie der Gräfin, ihrer Märchenerzählerin aus Brügge nicht hätten zuhören wollen. Immer wieder nickten sie ein, erwachten und legten sich dann eines nach dem anderen auf den Boden, um schließlich dort in tiefen Schlummer zu verfallen. Zu dieser Uhrzeit und in diesem Alter, nach einem harten Arbeitstag war auch nicht mehr viel Anderes möglich; da mochte Arthus noch so spannend sein.

Stattdessen richtete sich der Blick Lillianas auf Natasha und Akim und wo vorher viel Mitgefühl und Liebe vorhanden war, fanden sie Ernsthaftigkeit vor. „Und der Herr sprach, Du sollst kein falsches Zeugnis von dir geben wider deinem nächsten.“ Wieder passierte eine Pause während dessen sich Lilliana so wie sie vorher stand komplett zu den beiden umdrehte. „Meine Person erwartet in einem Haus in dem Gottes Kinder Zuflucht finden, dass nicht nur die Kinder nach christlichen Werten erzogen werden.“ Sie machte einen Schritt auf die beiden zu. „Dazu erwarte ich das nötige Mitgefühl für seine Bewohner und die notwendige Liebe. Wer dies nicht aufzubringen vermag, dem vermag man zu helfen an anderer Stelle seinen Platz in der Gesellschaft zu finden.“ Lilliana machte einen weiteren Schritt auf die beiden zu. „Wenn ich also eine Frage stelle, erwarte ich, dass die Vorbilder der Kinder in diesem Heim es ihren Schützlingen gleich tun und mir die Wahrheit offenbaren.“ Sie ließ dieses Mal eine größere Pause entstehen, wohl damit die zwei Personen vor ihr zu begreifen vermochten, was sie gerade gesagt hatte. Lilliana behielt sie die ganze Zeit im Auge und suchte nach Empfindungen in beiden Gesichtern. In ihrem Gesicht wiederum bildete sich eine Form der Belehrbarkeit. „Wo befindet sich Leonore?“

. Als die beiden jugendlichen Betreuer direkt angesprochen wurden, erhob sich auch Michel neben seiner Herrin aus dem Sessel und untermauerte die Worte der Gräfin mit einer eindrücklich entschlossenen Haltung, die jedem klarmachte das er jederzeit bereit wäre für zusätzliche ‚Argumente‘ zu sorgen, sollte sie dies wünschen. Die Hand am Schwertknauf, trat er neben Lilliane und behielt die beiden ebenfalls genau im Auge. Natascha erhob sich und zur Überraschung aller, war es nunmehr Akim der offensichtlich in fremden Zungen auf sie einredete; sie womöglich davon abhalten wollte etwas Dummes zu tun oder zu sagen. Eine kurze Weile warf man sich gegenseitig abgehackte Worthülsen zu, dann schnaubte Natascha und drehte sich kühl und keineswegs von irgendwelchen christlichen oder sozialen Normen, Werten und Regeln beeindruckt, zu der abwartenden Toreador um. „Das mit Geschichte keine gute Idee. Kinder nix Kinder von reichen Edelleute… das Arbeiterkinder. Früh aufstehen, früh zu Bett, so das sein muss. Leonore viel zu jung um…“ Weiter kam sie dann aber auch schon nicht mehr, denn zwischen dem leicht säuselnden Atmen der schlafenden oder halb schlafenden Kinder, erklang nun ein schweres Quietschen an der soliden Holztür, als diese unvermittelt geöffnet wurde. Ein kleiner Wirbelwind kam auf Lilliane zugerast und große blaue Augen, die rötlich waren vom vielen Weinen starrten sie überglücklich an. Leonore presste sich an ihre Beine und umschlang diese, als hinge ihr Leben davon ab. Genau wie die anderen Mädchen, trug sie funktionale aber nicht sonderlich hübsche Kleider. Halb weinend, halb lachend rief sie laut und seelig: „Lilliane Lilliane!!! Du bist wirklich hier! Bitte bitte nimm mich mit und bring mich weg von hier! Bitte Bitte! Hier ist alles so dunkel und kalt und wir müssen alle so viel arbeiten! Und nachts…“ Sie schluckte einmal, dann ein zweites Mal und setzte erneut an, als ihre Worte in schluchzenden Tränen erstickt wurden. „… nachts… ist da ein Monster, ein scheußliches Monster!!! Ich fürcht mich so Lilliane!“, brachte sie dann wimmernd hervor. Michel an der Seite der Gräfin sah nun beinahe bedrohlich zu den beiden Betreuern, denen er ganz eindeutig nichts allzu Gutes wünschte. Akim machte ein schwer einzuschätzendes Gesicht; irgendwie geradewegs so, als würde er diese ganze Situation bedauern. Natascha rollte fast schon impertinent mit den Augen, als wäre ihr das alles fast schon lästig und würde sie von irgendetwas dringenderem abhalten.

Man sagte sich normalerweise über den Adel andere Dinge nach als dass er sich für die kleinen Kinder eines anderen Standes interessierte. Wie gut, dass Lilliana in verschiedenen Zeitabschnitten mit anderen Namen sowie einige Mitglieder ihrer Familie sich einen anderen Ruf aufgebaut hatten. Mit einer Kraft bei der man merkte, dass sie nicht täglich schwere Lasten trug, hob sie fürsorglich das Mädchen auf und ließ zu, dass sich Leonore ohne Probleme an ihrer Schulter oder ihrem Hals festhalten vermochte. Michel war der mit dem Schwert, sollte es benötigt werden. Sie hatte das Kind an sich und mit beruhigenden Streicheln durch das Haar und ein wenig auf und ab wippen, versuchte Lilliana Leonore zu beruhigen und ihr das Gefühl von Sicherheit zu geben. Dabei suchte sie unauffällig wie möglich nach Spuren von Misshandlung aber einer Ahnung folgend auch nach Spuren von Blutverlust bei dem Mädchen.

Mit einem flüchtigen Blick auf die anderen Kinder, welche bereits friedlich oder erschöpft auf dem Boden schliefen, fasste sie die beiden wieder vor sich ins Auge, während sie abwog, was sie tun würde. „Die ganze Wahrheit, denn die Kinder wissen längst Bescheid. Von wem bekam Leonore heute Abend Besuch?“ Während der erste Satz noch ziemlich nüchtern klang, hatte die Frage nach der Person einen warnenden Charakter. Hier war sie an einem Punkt an dem Lilliana für das Eintrat für was sie selbst stand. Hilfe für die schwächsten und hier gab es keine Kompromisse.

Das Lilliana dabei sehr genau darauf achtete ob derjenige der sprach auch die Wahrheit sagte oder etwas weiter verschwieg verstand sich dabei von selbst. Noch war sie nicht bereit dazu sich mit den Bildern und Gedanken der beiden vor ihr zu beschäftigen.

Das kleine verweinte und verängstigte Mädchen, ließ sich ohne Widerstand zu Lilliane auf den Arm nehmen; presste den Kopf gegen ihre Schulter und schmiegte sich schon beinahe verzweifelt an die ihr Trost spendende Gräfin. Das Gefühl ihrer Nähe, schien sie zunehmend zu beruhigen und ihr Geborgenheit zu spenden; etwas das sie an diesem Ort offenbar bitterlich notwendig hatte. Durch ihr sachtes Streicheln und das zärtliche Wippen, schniefte Leonore nach einigen Augenblicken nur mehr gelegentlich; klammerte sich aber immer noch fest an den Oberkörper der Toreador. Spuren einer körperlichen Misshandlung oder damit einhergehende Wunden oder Kratzer, konnte sie keine an dem Mädchen feststellen. Aber die wirklich bösen Wunden, lagen zumeist ohnehin in der Seele eines Menschen verborgen. Michel hielt beide Jugendlich eisern in seinem Blick. Was immer hier vorging, es musste schier entsetzlich sein und genau wie seine Herrin, hatte bereits auch er eine dunkle Vorahnung. Akim und Natascha unterhielten sich erneut, diesmal weniger aufgeregt und auf eine fast schon seltsame Art und Weise gelassen. Dann wirkte die sonst so selbstbewusste und kühle Natascha sogar für einen Augenblick unsicher, als sie Lilliane erneut von Kopf bis Fuß einschätzend betrachtete. „Sie bekommt Besuch von demjenigen, dem gehört das Haus. Das doch ganz klar oder nix?“ Ihre Schultern hoben sich und sie lächelte schief. „Und ja, natürlich alle Kinder wissen Bescheid, ist ja auch schon immer so gewesen. Kinder nix reden, weil haben gut bei uns. Außerdem niemand Kindern Märchen glauben. Ich glaube du sollen gehen zu Kleist. Kleist dir alles erklären.“ Sie drängte sich an der Toreador vorbei und weckte langsam die eingeschlafenen Kinder auf; hieß sie sich zu Bett zu begeben. Mit einem Kopfschütteln sah sie die Gräfin unsicher an. „Ich dachte für dich alles klar hier? Er hat gesagt, du alles wissen?“ Erneutes Schulterzucken. „Du gehen Kleist“, meinte sie erneut bekräftigend. Akim sah zunächst zu Michel, dann zu Lilliane aber schlussendlich hatte auch er das Gefühl das dieses Gespräch soeben beendet war; immerhin kam Natascha wieder ihren Pflichten nach. Es war wohl naheliegend, dass er kein einziges Wort Flandrisch und vermutlich auch kein Latein verstand. Ihr getreuer Leibwächter Michel wirkte irritiert, sah dann aber verwundert zu seiner Herrin. „Kleist?“, fragte er verblüfft, als ob sie ihm Antwort darauf geben könnte.

Lilliana schüttelte nur den Kopf auf die eben gestellte Frage Michels. „Es scheint, als gebe es einiges zu erklären.“ Lilliana sah zu Natasha und Akim, während diese wieder begannen ihren Tätigkeiten nachzugehen. „Eines bleibt aber für euch bestehen. Dieses Haus wie seine Bewohner stehen unter meinem Schutz. Jeder der absichtlich seinen Bewohner, seinen Schützlingen oder seinen Vorbildern Schaden zufügen möchte, wird sich am Tag seines Todes vor Gott und seinem Sohn verantworten müssen.“ Sie sprach es nicht aus, aber das derjenige es dann auch mit ihr zu tun bekommt schwang als Warnung mit. Leonore immer weiter beruhigend, verließ sie mit Michel zusammen den Raum. Während sie wieder aus dem Keller hochstiegen flüsterte sie leise „Hol die Wachen Michel. Ich warte solange bis alle vollständig angetreten sind. Dann treten wir gemeinsam hoch zu Kleist. Allerdings sollen die Wachen verdeckt im Hintergrund vor dem Turmzimmer bleiben.“

Sie würde gemäß ihrer eigenen Anweisung auch tatsächlich warten und weiter auf Leonore beruhigend einsprechen, vielleicht sie dazu bewegen in ihren Armen einzuschlafen. Erst wenn Michel mit den beiden Wachleuten wiederkam würden alle gemeinsam nach oben zum Turmzimmer steigen und so viel schuldete es die Höflichkeit, anklopfen bevor Lilliana, Leonore und Michel eintraten.

Die beruhigende und fürsorgliche Umarmung der Gräfin, wirkte tatsächlich Wunder und es dauerte tatsächlich nicht mehr allzu lange und die kleine Leonore war in ihren Armen eingeschlafen. Vielleicht war es das erste Mal seit Tagen, dass das Mädchen in dieser völlig fremden Umgebung überhaupt die Augen zubekommen hatte; wo doch angeblich Monster hinter jeder Ecke lauerten. Man kannte das ja von kleinen Kindern, wenn sie sich erst einmal anständig ausgetobt und viel geweint und geschrien hatten, kam schlussendlich eine bleierne Müdigkeit über das kindliche Gemüt. Zusammen mit dem Gefühl der Geborgenheit und nicht zuletzt auch Sicherheit, spürte die Toreador Leonores warmen, regelmäßigen Atem an ihrer Schulter. Die Worte, welche an die jugendlichen Aufsichtspersonen gerichtet waren und einen drohenden Unterton mitschwingen ließen, verstand wohl lediglich Natascha. Akim indessen hatte begonnen die Stühle wieder sorgfältig zu verstauen und das Licht zu löschen. Mit funkelnden Augen, sah das Mädchen die Gräfin an. „Du nicht verstehen Frau, du gehen Kleist. Mir nix drohen, weil ich machen Arbeit für Kinder… die Kinder, die du beschützen wollen. Von morgens bis abends und noch in der Nacht.“ Während die noch immer zum Umfallen müden Kinder nacheinander ins Bett gingen, wobei das eine oder andere noch ein paar gemurmelte Worte des Dankes an Lilliane richtete, machte sich der Hauptmann und Befehlshaber ihrer Leibgarde unverzüglich auf nach draußen, wo er den Rest ihrer gepanzerten und gegürteten Beschützer rückbeordern wollte. Mit der schlafenden Leonore im Arm, wartete die Gräfin in der Nähe des Treppenaufganges, als nochmals Natascha an ihr vorbeiging und ein Mädchen vor sich her ins Bett scheuchte. „Du bringen Leonore ins Bett, sie sehr müde.“ Dann hörte man plötzlich leichtes Scheppern als Michel mit den beiden anderen Soldaten im dunkel getäfelten Raum erschien; bereit ihrer Herrin bis zum Turmzimmer von Kleist zu folgen. Natascha verzog das Gesicht und machte eine abwehrende Handbewegung. „Nix Soldaten, Meister hat gesagt nix Soldaten, nur der eine da!“ Akim stellte sich den Leibwächtern sogar in den Weg und fluchte grob in seiner ihr unbekannten Sprache. Für ihn musste es regelrecht wie ein Überfall wirken. „Du lassen Soldaten hier, er nix mögen Soldaten in seinem Haus“, versuchte es Natascha noch einmal.

„Erledige deine Aufgaben und dann geht beide zu Bett und erholt euch.“ Anders als vorhin schwang eine Welle von mütterlicher Wärme in ihren Worten mit, während sie mit einer Handbewegung keinerlei Widerspruch mehr duldete. Nichts Weiteres mehr entkam ihrem Munde, sollten sie sich dennoch in den Weg stellen, so überließ Lilliana Michel das Feld. Ihr stand der Sinn nach Antworten und zwar ohne Blut vergießen. So würde sie ihren Gang nach oben zum Turmzimmer fortsetzen.

Natascha schwieg, als die Gräfin sich erneut so unmissverständlich an sie wandte. Als Akim noch weiter protestierte und fluchte, während Michel bereits etwas genervt versuchte den Jungen zur Seite zu drängen, sprach diesen das Mädchen in ihrer gemeinsamen Sprache an. Ruhig klang es und gefasst, fast schon als würde sie ihn förmlich darum bitten sich den Eindringlingen nicht weiter in den Weg zu stellen. Schlussendlich zeigten ihre Worte auch Wirkung und der Junge ließ die zu Fäusten geballten Hände sinken, während er zähneknirschend zur Seite trat. Michel bedeutete seinen Soldaten ihm zu folgen und schloss zu seiner Herrin auf, die Waffen bereits blankgezogen. Er wirkte fest entschlossen das ‚Monster‘, was immer es sei seiner gerechten Strafe zuzuführen und er hatte keine Bedenken, das seine Gebieterin da anders denken würde. Der Blick des russischen Mädchens wurde fest und nüchtern, als sie Abstand von der Gräfin nahm. „Du tun, was du tun müssen“, meinte sie lediglich kühl. Und es war gerade in diesem Moment, da Lilliane eines unumstößlich klar wurde: Es waren nicht ihre liebevollen, mütterlichen und besorgt belehrenden Worte oder ihre Geste, die den beiden Einhalt Gebot und sie auf ihren Platz verwies, sie dazu zwang die Wünsche der Gräfin gewähren zu lassen. Es waren drei hochgerüstete, die Schwerter bereist im Arm haltende Soldaten, die so wirkten als wären sie jederzeit bereit ein paar Gliedmaßen abzutrennen, die den Ausschlag gegeben hatten. Und irgendetwas im Blick des Mädchens, als auch des Jungen sagte Lilliane, das beide das schon von irgendwoher kannten. Michel verneigte sich knapp vor seiner Herrin und machte eine Geste in Richtung seiner Untergebenen. „Wir sind bereit Herrin, was immer wir dort oben vorfinden mögen.“ Er räusperte sich kurz. „Aber wollt ihr das Mädchen denn nicht vielleicht doch lieber hierlassen? Wer weiß was dort oben für Gefahren lauern? Manfredo hier war der persönliche Leibwächter der Töchter des Dogen von Venedig, er wird sie mit seinem Leben verteidigen, während wir den Turm erklimmen.“ Michel deutete auf einen seiner Leute, der tatsächlich so wirkte, als wäre er mehr als kompetent.

Ein Moment des Schweigens. Es war nicht wegen dem Vorschlag von Michel, es war der Blick der beiden älteren Kinder gewesen. Natürlich fragte sich Lilliana was dort im Osten vor sich ging, aber dies konnte ihr vielleicht Alida oder Leif oder Gareth erklären. Auf ihren Reisen war sie zwar auch schon in Konstantinopel gewesen, aber das war nur eine Stadt, nur ein Land und ansonsten hatte es sie eher in andere Länder des Westens gezogen.
Sich besinnend wo sie stand, nickte sie schließlich zu dem Vorschlag Michels und übergab ganz sorgsam dem Angesprochenen das kleine Mädchen. „Schlaf weiter kleiner Engel, schlaf weiter in Frieden!“ wisperte sie leise. Ob Leonore das hören würde war fraglich, aber darum war es Lilliana nicht gegangen. Dann sah sie kurz Manfredo in die Augen und nickte ihm leicht bestätigend zu. Dann erklomm Lilliana die Stufen hinauf…

Der italienischstämmige Leibwächter nahm das Kind in seine Arme und allein an der Art wie er sie hielt, konnte Lilliane eindeutig erkennen das der Mann, der sowohl grimmig als auch stets braungebrannt von der südländischen Sonne wirkte, nicht zum ersten Mal einem kleinen Mädchen seinen persönlichen Schutz angedeihen ließ. Der Blick zeigte wilde Entschlossenheit und so konnte die Toreador die kleine Leonore mit gutem Gewissen zurücklassen, während sie dicht gefolgt von Michel und dem verbliebenen Soldaten die Treppe in den ersten Stock erklomm. Über viele Abzweigungen und Korridore, fanden sie schließlich nach einiger Zeit den einzigen Zugang zum Turmzimmer. Es handelte sich um eine zweifach gedrehte Wendeltreppe aus solidem Stein, die sich ein paar Meter nach oben reckte um dort an einer schweren Holztür zu enden. Unterwegs war ihr wie beiläufig aufgefallen, dass es im restlichen Haus nicht viel anders aussah als im Erdgeschoss: Nüchtern und schlicht, funktionell und wenig kostspielig war die Einrichtung und Ausstattung. Das setzte sich scheinbar selbst bei den Schlafsälen und Waschräumen, den Kojen und Aborten fort. Ja selbst die privaten Räumlichkeiten des Hausleiters waren von einer beinahe spartanischen, kühlen Schlichtheit die nur alle paar Meter von einer Öllampe erhellt wurde. Die Gräfin stand an der schweren Tür; neben ihr stand Michel mit seinem blitzenden Schwert und atmete ruhig und kontrolliert. Es war ihm anzusehen das all seine Sinne bis zum Zerreißen gespannt waren.

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BeitragVerfasst: So 23. Okt 2016, 20:41 
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Auch wenn sich die Umstände ihres Aufenthaltes geändert haben mochten, so trat sie nicht einfach so in das Zimmer des Hausverwalters, sondern wartete nachdem sie selbst an der Tür geklopft hatte um Einlass. Anders als Michel hatte sie ihren Dolch nicht hervorgeholt oder wie Lucien ihre Krallen ausgefahren. Eines allerdings tat Lilliana: Sie aktivierte ihre geschärften Sinne. Diese Kräfte waren passiv und wirkten nicht aggressiv, gaben aber in manchen Momenten einen entscheidenden Hinweis.

Die altbekannte Stimme des Heimleiters Johannes von Kleist, erklang gedämpft hinter der schweren Holztür. Der Tonfall schien keineswegs überrascht, besorgt oder misstrauisch, sondern eher höflich und wohlwollend. „Seid ihr das Gräfin von Erzhausen?“ Es folgte eine kurze Pause, dann fuhr der Heimleiter fort: „Immer nur herein liebste Gräfin, es ist mir ein Vergnügen euch in meiner bescheidenen Stube willkommen zu heißen.“ Michel nickte seiner Herrin fest entschlossen zu und öffnete dann vorsichtig die Tür; hielt sie seiner Herrin auf um dann sogleich nach ihr den Raum zu betreten, dicht gefolgt vom verbliebenen Soldaten ihrer Wachmannschaften. Das innere des hohen aber nicht gerade weitläufigen Zimmers, war ebenfalls kärglich und nur mit dem notwendigsten ausgestattet. Breite Teppiche spannten sich über kalten Stein und an den Wänden standen hohe Bücherregale mit einer sorgsam gepflegten Auswahl an Lesestoff, sowie einiger Pflanzen in niedrigen Schalen und einem kleinen Tischchen mit zwei Weingläsern und einer schlanken Flasche. Hauptsächlich lagen zusammengerollte Pergamente darin, die mit Kordeln oder Bändern zusammengehalten wurden und einer nicht sofort ersichtlich Ordnung nach katalogisiert und eingeordnet worden waren. Glanzstück des Raumes, war ein ausladender Schreibtisch, der wiederum übersäht war mit unzähligen Dokumenten, Federkiel und Tinte, Siegelwachs und ein, zwei dekorativen Holzstatuetten. An hohen Kerzenständern und an der Decke, waren viele Kerzen entzündet worden und sogar ein kleiner Kamin flackerte gemächlich im Hintergrund. Zwei adrette Stühle waren vor dem Schreibtisch positioniert worden, sodass Gäste sich bei Bedarf setzen konnten. Auf einem weiteren Tisch, gab es eine kleine Waage, Baupläne und Kartenmaterial, einige Goldmünzen die niedrig gestapelt worden waren und alle möglichen Fläschchen, Flakone, Phiolen und Schälchen. Ab und an lag dort sogar ein Kräuterbund und alles in allem roch es ähnlich wie im Brügger Krankenhaus oder Leifs Apothekerschrank. Der Hausleiter selbst, hatte noch nicht zu ihr hochgesehen, als die Tür wieder ins Schloss fiel und schien gerade mit einer Arbeit beschäftigt zu sein, die seine gesamte Aufmerksamkeit erforderte. Mit zusammengekniffenen Augen, durchbohrte er eine etwas mitgenommen Stoffpuppe mit einer Nadel und befestigte einen schwarzen Knopf, der fürderhin als Auge dienen würde daran. Ein kleiner, merkwürdiger Aufbau, hielt dazu ein Vergrößerungsglas an Ort und Stelle, dass ihm diese handwerkliche Tätigkeit erleichterte. Erst als das Auge befestigt worden war, sah er zunächst lächelnd auf und erhob sich zeitgleich von seinem Stuhl. „Verzeiht verehrte Gräfin aber diese Puppen sind gerade den Mädchen sehr ans Herz gewachsen und auch wenn ich es nicht gut kann, versuche ich gelegentlich diese Spielzeuge zu reparieren obwohl Natascha natürlich…“ Dann erst sah er das gezogene Schwert von Michel und des anderen Soldaten, die beide ganz offensichtlich nicht sehr willkommen waren. Mitten im Satz brach er irritiert in ihre Richtung blickend ab und wirkte in erster Linie mehr überrascht als erbost. „Liebste Gräfin ich… Gibt es denn einen Anlass für diesen… Aufmarsch? Ich gab euch doch zu verstehen, dass ich bewaffnete in meinem Domizil nicht sehr schätze. Und auch wenn ich mich sehr freue das Privileg eures Besuches genießen zu dürfen, so muss ich doch fragen, was ihr damit wohl bezwecken mögt? Wolltet ihr nicht den Kindern vorlesen?“


So bedrohlich Michel und der Wachmann wirkten, umso friedlicher gab sich Lilliana nach außen. Ihre Mimik war zwar entschlossen, aber nicht kriegerisch, während ihre Worte einen altbekannten belehrenden Klang annahmen. „Mir ist bewusst, welche Wirkung es hat Männer mit gezogenen Schwertern zu sehen. Und wäre hier ein Ort beherrscht von Liebe und erfüllt von Gottes Gnade, würde meine Wache noch immer vor den Toren stehen und dafür Sorge tragen, dass keine Dämonen dieses Haus und seinen Bewohnern Schaden zufügten.“ Sie trat einen Schritt nach vorne hin zu ihm. „Meine Person ist jedoch nicht blind und ihr als Heimleiter und damit als Verantwortlicher dieses Hauses schuldet mir eine Erklärung.“ Ihre Worte waren unbeabsichtigt weicher geworden, als sie sollten, so erklangen sie mehr wie ein schmeicheln. „Ohne Zweifel ist der Erwerb dieses Hauses hier in Gent schneller und wie soll man es sagen, mit einer Portion Glück ausgestattet gewesen.“ Sie verharrte in ihrer Position und schaute ihn dann scharf an. „Wer ist der Besitzer dieses Hauses, der einzelnen Kindern Besuche abstattet ohne das die älteren Betreuer oder sie anwesend sind?“

Je länger Lilliane sich den grauhaarigen, mittlerweile auch schon etwas in die Jahre gekommenen Heimleiter besah, desto merkwürdiger wirkte das Bild. Und als ihre scharfen, schier übernatürlichen Sinne, die sie bereits vor der Eingangstür aus reiner Vorsicht aktiviert hatte, durch die letzten Schleier des Truges und der Lüge schnitten, verformten sich die grauen Haare des Mannes zu fettigen, einzelnen Strähnen, die dem Mann wie schimmlige Algen vom Kopf hingen. Die Lippen um den leicht faltigen Mund, dehnten sich in eine buchstäblich ungeheuerliche Breite; ein rasiermesserscharfes Lächeln das tatsächlich von Ohr zu Ohr zu wanderte und faulige, schiefe Zähne offenbarte. Der gähnende Abgrund dieses Mauls war groß genug um einem der Kinder im Zweifelsfall den ganzen Kopf abzubeißen. Und wenn man gerade von Ohren sprach, links hatte er keines mehr, sondern lediglich eine schorfige Geschwulst, das recht war dafür spitz und leicht gebogen. Kränkliche Augen aus tiefen Augenhöhlen starrten sie wie kleine Punkte an und waren geprägt von blutunterlaufenen Lidern, die kein einziges Mal blinzelten. Dürr war die Gestalt und hochgewachsen, mit einer ledrigen, ungesund gräulichen Hautfarbe und dürren Händen mit noch spindeldürreren Spinnenfingern, die tatschlich dreimal so lang waren, wie gewöhnliche Finger.

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Der Toreador wurde bewusst, das augenblicklich nur sie in der Lage war die Wahrheit über Johannes von Kleist zu erfassen, ihre Leibwächter hingegen würden wohl nach wie vor den alten Heimleiter vor sich stehen sehen. Allein ihre Worte jedoch würden genügen, um das Lügenbildnis vor aller Augen fallen zu lassen, sollte sie sich dazu entschließen. Das Monster blieb zu ihrer Überraschung ungewöhnlich ruhig, sah sie lediglich kopfschüttelnd und irritiert an; verstand ganz offensichtlich nicht was genau die Brügger Adelsdame mit dieser Ansprache beabsichtigte oder worauf sie hinauswollte. „Ich verstehe eure Frage nicht ganz verehrte Gräfin“, schnarrte das Ungetüm vor ihr in einer Stimmlage, die dem Reiben von blanken Knochen aneinander nicht unähnlich war. „Gewiss könnte man noch mehr für die christliche Erziehung der Kinder tun doch glaube ich nicht das sie hier völlig Gottlos aufwachsen. Und was die Gefahren von außen angeht, so kann ich euch versichern das ich jeglichen Schaden von unserem Hause abzuwehren weiß.“ Die Scheußlichkeit räusperte sich leicht und deutet auf den Stuhl vor sich. „Wollt ihr euch nicht setzen und mir erklären, was euch so in Rage versetzt hat und wo genau der Grund für eure Beanstandung liegt? Ich bin überzeugt davon, wir werden etwaige Mängel schnell beheben können sollten sie tatsächlich gravierende Ausmaße annehmen. Bitte..“ Er deutete nochmals auf den freien Platz vor sich und nahm dann ebenfalls wieder Platz. Noch immer schien der ‚Heimleiter‘ nicht zu verstehen wovon Lilliane sprach. „Aber tut mir doch einen Gefallen und schickt eure Männer nach draußen. Ich wiederhole mich zwar ungern aber wie gesagt mag ich es nicht, wenn man mit Waffen vor mir herumfuchtelt. Ich glaube kaum das derlei Dinge notwendig sind wenn es sich lediglich um ein organisatorisches Problem handelt. Beim Besitzer dieses Hauses, handelt es sich selbstredend um meine Wenigkeit.“ Er begann damit ein wenig den Schreibtisch aufzuräumen und schob das halb fertige Modell eines Buddelschiffs zur Seite. Offenbar hatten diese dürren, langen Finger auch durchaus seine Vorteile.

Sie musste wirklich schlucken, besann sich aber darauf, dass Gareth wie auch Kobald oder Josef sich ihre äußerliche Gestalt nicht ausgesucht hatten. Gleichzeitig war sie froh, dass Leonore nicht in ihren Armen lag. Sie war sich sicher, dass die Kleine, wäre sie wieder erwacht das „Monster“ erkannt hätte. Lilliana änderte ihren Gesichtsausdruck in keinster Weise ihre nachfolgenden Wörter hatten zum ersten Mal einen sehr befehlenden Charakter. „Michel lass die Wache ein paar Meter direkt vor der Türe passieren, sodass kein Wort an sein Ohr dringen vermag, schließ die Türe von innen und steck dein Schwert wieder in seine Scheide, behalte jedoch die Hand am Knauf. Dass was ich gleich zu sagen habe, soll diesen Raum nicht verlassen.“

Michel zögerte für einen Moment, nickte dann aber einsichtig und offenbar allmählich verstehend. Er befahl der letzten Wache die Tür nach draußen zu sichern und sich zu diesem Zwecke ein paar Meter davor auf dem Treppenaufgang zu platzieren; bewaffnet natürlich. Als der Ghul sich vergewissert hatte, dass der etwas unsicher dreinblickende Mann auch nichts von dem Gespräch hinter verschlossenen Türen mitbekommen konnte, betrat er erneut den Raum und schloss hinter sich ab, sein Schwert dabei wieder in der Scheide platzierend. Misstrauisch wechselten seine Blicke zwischen seiner Herrin und dem Heimleiter, der zunehmend irritierter die Szenerie beobachtete. „Es tut mir wirklich außerordentlich leid Gräfin, wenn ich euch auf irgendeine Art und Weise verärgert haben sollte aber wärt ihr so freundlich mir zu erklären, was das alles zu bedeuten hat?“, setzte das hässliche Monster erneut an.

Während der Zeit, in der Michel ihren Anweisungen Folge leistete richtete Lilliana nicht einen Blick auf ihren Ghul, sondern schaute von Kleist weiter an, allerdings vermied sie den direkten Augenkontakt. Erst als die Tür ins Schloss fiel, entspannte sie sich um eine Nuance, straffte sich noch einmal, atmete ein und aus und verfiel dann in eine leichte Referrenz, aus der sie sich wieder aufrichtete. Erst danach erhob sich ihre Stimme zu einer nun neutralen Melodie. „Lilliana von Erzhausen, Ancilla der Toreador und Ratsmitglied von Brügge.“ Sie machte eine Pause, während dessen sie ihn nun gefasst ansah. „Dürfte ich nun euren wahren Namen erfahren?“

Das Monster am Schreibtisch beobachtete sie schweigend und ratlos, als ob was immer sie da auch gerade machte, keinerlei Sinn für ihn ergab. „Meine liebe Gräfin von Erzhausen, ich weiß doch bereist wer ihr seid und wir haben uns doch bereits miteinander bekannt gemacht oder etwa nicht?“ Ungläubig schüttelte das Ungeheuer den Kopf mit dem breiten, widerlich grinsenden Lächeln, das man wohl einfach nicht so ohne Weiteres ignorieren konnte. „Doch wenn es euch beliebt, so dürft ihr mich auch gerne einfach Jeremiah nennen. Mich würde man wohl Ahn schimpfen, wenn man Wert auf diese Titel legt. Nun… warum schickt ihr nicht euren kleinen Pfiffikus vor die Tür und setzt euch zu mir, damit ihr mir endlich verraten könnt, was das hier alles zu bedeuten hat? Wo mangelt es denn an christlichen Werten in unserem Haus?“ Erneut lud er sie ein sich zu setzen, während Michel sich redlich bemühte keine angewiderte Grimasse zu schneiden. Immerhin war er gerade ein wenig geschmäht worden.

Sie hüllte sich in einen Moment des Schweigens, dann drehte sie sich langsam und betont zu Michel um und gab ihm durch ein nicken und ein entschuldigendes Lächeln zu verstehen, dass er den Anweisungen des anderen Mannes im Raum in Ruhe und ohne Aufsehen Folge zu leisten hatte. Erst nachdem Michel gegangen und die Tür verschlossen hatte, würde sie sich endlich gemäß der Einladung setzen. „Ich denke darin liegt das größte Missverständnis Jeremiah. Sowohl ihr als auch euer Personal Glauben das meine Person über alles bereits ins Bild gesetzt wurde. Das dies nicht so ist, beweisen meine Taten.“ Sie machte eine Pause und ein kurzes Lächeln huschte über ihr Gesicht, als sie seine Worte sich durch den Kopf gehen ließ. „Der Ruf eurer Ankunft in diesem Land und der sofortigen Übernahme des neuen Waisenhauses scheinen vor den Toren Brügges Halt gemacht zu haben.“ Sie machte erneut eine Pause und wurde wieder Ernst. „Darf meine Person dann auch wissen von welchem Clan ihr abstammt, da uns beiden egal ist, welche Titel wir tragen?“

Ihr Leibwächter hatte offenbar ein wenig mit den Wünschen seiner Herrin zu kämpfen, war für die Toreador auch deutlich spürbar war, obgleich es dennoch eines geschulten Auges bedurfte, um diesen inneren Konflikt zu bemerken. Von außen wirkte Michel nur eine winzige Spur zögerlicher, als er der Aufforderung schlussendlich ohne großes Aufheben oder Widerworte nachkam. Er wusste wie er sich zu verhalten und zu benehmen hatte und er würde sich davor hüten seine Herrin in Anwesenheit anderer Kainiten zu beschämen. Jeremiah verfolgte sowohl seinen Abgang, als auch die Bewegungen der Toreador mit wachsendem Interesse und gelassener Ruhe. „Offensichtlich handelt es sich dann tatsächlich um ein Missverständnis, ich glaubte ihr wäret bereits über alles unterrichtet worden. Schließlich bin ich es gewohnt, dass selbst die lächerlichsten Gerüchte sich wie ein Lauffeuer verbreiten, da sollte so eine Kunde doch wohl noch um einiges schneller die Runde machen.“ Es ertönte ein heiseres Lachen, das wahrhaftig belustigt klang. „Aber offensichtlich habe ich die Gesprächigkeit und den Tratsch der hohen Herrschaften wieder einmal überschätzt, dabei wäre es einmal tatsächlich nützlich gewesen. Ich bin ein hässlicher Nosferatu, das werdet ihr mit euren scharfen Blicken wohl schon festgestellt haben und ich hoffe der Anblick ist nicht zu erschreckend für euch. Sollte er besser nicht sein, wenn man euer Alter und euren mutmaßlichen Erfahrungsreichtum bedenkt.“ Jeremiah kicherte. „Hat mich Alida denn nicht einmal erwähnt? Wirklich nicht? Sie hat mir doch so viel über Brügge erzählt und auch über euch. Ich muss mich schon über unseren Drachen wundern.“ Er hob spielerisch tadelnd den überdimensional langen Zeigefinger.

Lillianas Blick wurde eine Spur düsterer, ehe ein Ruck durch ihren Körper ging und sie sich in eine entspannte Position brachte. Ihr Lächeln, das sie nun auch in ihr Gesicht zauberte, bewirkte gleich eine Veränderung der Aura die sie nach außen strahlte. „Ich hatte noch nicht die Gelegenheit gehabt mit Alida van de Burse persönlich über ihre Eindrücke von ihrer Reise zu reden. Bei den Ratsbesprechungen sind diese Themen keine Tagesordnungspunkte. Aber damit sei das Thema des Missverständnisses auch abgeschlossen. Anscheinend war ich der Zeit etwas vorraus.“ Sie würde zur Bestätigung dazu nochmal nicken „Oh, was eure Maske angeht, so sehe ich es mehr als ein Zeichen des Vertrauens an, wenn sie fällt, doch wenn ihr euer Gesicht so haben wollt, werde ich es euch nicht nachteilig auslegen.“ Lilliana senkte kurz den Kopf und schloss kurz die Lider, ehe sie wieder Jeremiah in die Augen blickte. „Der Clan der Nosferatu hat gerade hier in Gent nicht den besten Stand. Zu viel ist in jüngster Zeit durch euren Clan geschehen. Doch vermag durch eure Anwesenheit wieder mehr Weisheit und Ruhe hierher zu kommen.“ Sie brach den Augenkontakt und betrachtete die Puppe, die er vorhin begonnen hatte zu reparieren. „Ich möchte gerne wissen, was ihr glaubt über mich zu wissen, vielleicht fügt sich für euch dann das Bild über mich besser zusammen und ich kann euch erklären, was mein weiteres Anliegen an euch ist.“

Das Monster alias Jeremiah oder Johannes von Kleist, lächelte. Zu viel mehr war dieser breite, faulige Abgrund von einem Maul auch gar nicht in der Lage. „Ach Alida hat noch gar nichts von ihren kleinen Abenteuern erzählt?“ Die spinnenartigen Finger wanderten hoch an sein Kinn und strichen überlegend über das ledrig-graue Konstrukt aus kränklichem Knochen und Gewebe. „Naja es ist ja auch eher privater Natur und ich muss um der Fairness Genüge zu tun festhalten, dass sie auch für eine etwas längere Zeit Grund hatte anzunehmen ich wäre bereits vorzeitig verschieden. Wie der Teufel es so will bin ich es aber offensichtlich nicht und darüber hinaus ist es mir ziemlich einerlei ob jemand meine sterbliche Maske oder mein wahres Äußeres bevorzugt. Zumindest im Rahmen der Stille des Blutes, sind alle hier in diesem Haus sich darüber im Klaren wer und was ich bin; da lasse ich niemanden im Unklaren.“ Langsam lehnte er sich nach vor und verschränkte die Finger ineinander. Es sah fast so aus als würden zwei riesige Spinnen übereinander herfallen. „Und das mein Clan hier ein wenig in Ungnade gefallen ist, musste ich bei meiner Ankunft ebenfalls feststellen, deshalb habe ich mich auch sofort als Sprachrohr für den verbliebenen Rest zur Verfügung gestellt. Irgendjemand musste in diesem bedauernswerten Saustall ja mal aufräumen. Darüber hinaus scheint man so zufrieden mit meiner Arbeit, das ich sogar dem örtlichen Rat beitreten durfte.“ Jeremiah hob einen Zeigefinger leicht an. „Versteht mich nicht falsch, ich bin kein Freund von schleimiger Politik aber, wenn ich diese Missstände hier sehen muss und dann daran denke, dass ich eigentlich vorhatte hier länger zu verweilen… nein, da kann man nicht zusehen. Selbst wenn ich momentan eher Ohrfeigen und Tritte verteile als samtene Weisheit und Ruhe. Wenigstens hat es Vorteile bei meinen geschäftlichen Aktivitäten mit den Van de Burse und anderen aussichtsreichen Partnern.“ Der Nosferatu hob die knochigen Schultern, die sich kantig unter den Stoffen seiner Kleidung abzeichneten. „Was ich über euch weiß? Das Übliche. Ihr seid adelig oder schein-adelig, kleidet euch fein und geht nicht ohne gemachte Haare außer Hause. Euer Geld habt ihr von irgendwelchen Färbemitteln, die sich offenbar gut verkaufen. Ihr beschäftigt ein paar Leibwächter um euer kleines Anwesen in Brügge zu schützen und habt eine wirklich seltsame Beziehung zu den Waisenkindern in euer Stadt. Ihr versorgt die Kirche mit finanziellen Mitteln, damit diese ihre Auffangstationen für die Kinder betreiben können und schaut gelegentlich selbst mal vorbei um…“ Er pausierte kurz. „Da waren die Informationen nicht konsistent. Was tut ihr eigentlich mit den Kindern? Ihr lest ihnen Geschichten vor, soweit sind wir schon aber was sonst noch? Trinkt ihr von ihnen? Das macht wenigstens Sinn.“ Jeremiah räusperte. „Ansonsten gibt es nicht viel über euch zu sagen, das meiste ist jedem in diesen Landen bekannt. Ihr seid Mitglied im Rat und Gründungsmitglied, habt den alten Besitzer von Brügge hinausgeworfen und regiert nun genau wie ich in einem merkwürdig pseudo-demokratischen System das unglaublich langsam und schwerfällig ist. Ihr verbratet ein wenig euer Ressourcen in Kunst aber wirklich Interesse scheint ihr nicht zu haben. Ein paar Leute munkeln ihr hättet so etwas wie eine kleine Liebelei mit irgendeinem… Kerl.“ Sein Kopf legte sich schief. „Aber jetzt da wir das geklärt haben und mich euer Besuch als offizielle Abgesandte des Brügger Rates natürlich sehr ehrt… was wollt ihr hier in meiner Domäne? Mit welchem Anliegen seid ihr heute hier? Immer frei heraus damit Gräfin von Erzhausen.“

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Je mehr Jeremiah sprach, desto mehr war sich Lilliana sicher, dass die Nosferatu mehr als nur ihre Schwäche der Entstellung verband. Ihre Einstellung bezüglich der Politik war sich ähnlich, wenn man einen Blick dahinter warf. Zu seinen weiteren Ausführen nickte sie weder oder schüttelte den Kopf. Es waren Fakten, teilweise auch Vermutungen, teilweise auch gute Beobachtungen…sie zuckte zusammen, als die Sprache auf das Trinken von Kindern zu sprechen kam. Dagegen konnte, dagegen wollte sie sich vielleicht auch nicht wehren oder wie manche Toreador oder Ventrue ihre Gefühle hinter einer Statue aus Stein und Marmor verbergen. Es war ein Teil ihres Charakters.
„Nein, das ihr die Kinder nicht im Unklaren darüber lasst wer sie besucht, das war mir klar. Dass ihr den Kindern ein Bett gebt, Essen und einmal am Tag für wenige Stunden eine Nonne, dies habe ich auch beobachten können.“ Wieder atmete Lilliana ein und aus, ehe eine Melodie aus Bitte und Ernsthaftigkeit erklang.
„Ihr wollt es frei heraus? Nennt mir die Bedingung, dass dieses Waisenhaus und seine Bewohner von Mönchen oder Nonnen und nicht von euch geleitet werden. Dass die kleinen Kinder dieses Hauses niemals mehr von einem „Monster“ Lilliana machte Anführungszeichen „besucht und Teile ihres Blutes genommen werden. Auch wenn sie körperlich nur wenige Schäden davontragen so riefen mich ihre geschundenen Seelen hierher. Es gibt Wunden Jeremiah, die man nicht von außen sehen kann.“ Sie ließ ihm kurz Zeit, ehe sie weiter fortfuhr, dieses Mal im nüchternen Tonfall.
„Ihr sagtet es selbst, ich kümmere mich um das Waisenhaus in Brügge, dies hier sollte eine Zweigstelle sein für die kleinen Kinder, während die größeren in Brügge aufwachsen können. Darum fühle, darum steht es in meiner Verantwortung. Ich möchte ihnen ein warmes Zuhause bieten an denen sie aufwachsen und lernen können. Voller Liebe und Wärme, gepaart mit der christlichen Erziehung.“

Der Nosferatu sah sie mit großen kränklichen und ausdruckslosen Augen eine ganze Weile lang an. Fast konnte man schon meinen, er wäre in dieser Haltung eingefroren als sich dann doch einer der Mundwinkel um das kräftige Maul bewegten. „Dann wird es euch freuen, dass den Kindern dies alles hier zu Teil wird, was ihr euch für sie wünscht. Mir scheint ihr habt die Vorstellung ich würde mich einfach nur hemmungslos an den kleinen Sterblichen satt essen wie eine aufgeblähte, selbstgefällige Zecke. Nichts könnte weiter entfernt von der Wahrheit sein, liebste Gräfin von Erzhausen.“ Jeremiah erhob sich und verschränkte die Hände hinter dem Körper, während er anfing leicht auf und ab zu gehen. „Und kein Geld der Welt wird mich dazu bringen diese Kinder den Pfaffen und scheinheiligen Nonnen zu überlassen, denn das ist ihr sicherer Untergang. Alle diese Kinder werden uns eines Tages verlassen und wenn es nach der lieben Kirche geht, ist ihnen völlig egal was eure lieben Kinder hier lernen. Wichtig ist nur, dass sie einsehen das es wichtig ist zu einer gekreuzigten Ikone zu beten und um Vergebung zu bitten, dafür, dass man Arm ist und einen die Eltern einen allein gelassen haben. Keines dieser Kinder hat nach dem Waisenhaus in Brügge eine Zukunft meine Verehrteste. Und niemanden schert es, dass die Mädchen die Huren und die Knaben die Diebe und Einbrecher von morgen sind und schlussendlich am Galgen landen.“ Er deutete auf sich und machte eine leichte Verbeugung in ihre Richtung. „Während meine Wenigkeit die Spendengelder sinnvoll verwaltet, so sinnvoll das wir hier mit Arbeit und Fleiß gute dreißig Kinder versorgen können und das jeden Tag und jede Nacht, anstatt sie in Messwein umzusetzen und für den Bischof zu sparen.“ Seine Finger glitten leicht über die Buchrücken der Werke, die sich in seinem Bücherschrank aufreihten. „Ich sagte euch doch das Wissen Macht ist; in diesem Fall ist es die Macht sein Leben selbstbestimmt leben zu dürfen. Die Kinder lernen hier bei mir hart zu arbeiten und durchzuhalten, sich ihren Unterhalt zu verdienen, etwas das später auch von ihnen verlangt werden wird. Sie arbeiten am Hafen, in den Nähstuben und bei Handwerkern und wenn sie Glück haben, werden sie nach ihrer Zeit bei uns dort aufgenommen. Bestimmte Kinder werden sogar von mir persönlich unterrichtet, wenn es sich möglicherweise lohnen könnte. Dann lesen sie lesen und Schreiben.“ Er drehte sich zu ihr um. „Sagt mir Frau Gräfin von Erzhausen… wie viele Waisenkinder haben einen Privatlehrer und können Lesen und Schreiben? Ich will es euch verraten: Keines.“ Er umrundete den Schreibtisch und gelangte an den Tisch mit den Bauplänen und der Waage; hob dort die Münzen auf und betrachtete sie, als wären sie nebensächlich. „Selbstverständlich gibt es eine gute Provision für denjenigen, der die Arbeitskräfte vermittelt. Eure Freundin Alida zum Beispiel braucht immer wieder fleißige Burschen die am Hafen Kisten schleppen und Ladungen löschen. Ich vermittle ihr ein paar kräftige Kinder und bekomme dafür ein kleines Salär. Das wiederum wird zur Hälfte ins Waisenhaus investiert und so muss kein Kind verhungern oder später im Winter auf der Straße mit dem Samen eines Freiers zwischen den Beinen erfrieren. Dafür habe ich ein gemütliches und sicheres Heim, ein gutes Auskommen und eine sinnvolle Beschäftigung. Ich war einmal Lehrer müsst ihr wissen.“ Mit leichten Schritten, kroch die Gestalt auf den kleinen Beistelltisch zu und holte die beiden Gläser die dort abgestellt waren; positionierte eines davon vor Lilliane und eines an seinem eigenen Platz, bevor er großzügig aus der Flasche einschenkte. Die Toreador wusste nicht nur an der Farbe schon instinktiv zu erkennen, worum es sich offensichtlich handelte. „Und gelegentlich; da habt ihr recht, gibt es Blut für mich. Niemals zu viel und das Kind, welches mir sein Blut schenkt, ist den nächsten Tag freigestellt. Am Anfang haben sie noch Angst und fürchten sich aber das legt sich mit der Zeit, wenn sie lernen es zu genießen. Sie bekommen auch vorgelesen und schlafen danach wunderbar tief und fest ein. Das ‚Monster‘ ist ein merkwürdiger aber fast schon ‚normaler‘ Bestandteil ihres Lebens geworden. Alles was ich ihnen biete…“ Jeremiah setzte sich und hob das Glas an um mit Lilliane anzustoßen, „… kann Brügge ihnen nicht geben, weil sie dort nichts lernen und nur durchgefüttert werden wie die Schweine, bevor sie rausgeworfen werden und erst wieder dort landen, wo wir sie nicht sehen wollen. Einen Trinkspruch auf eure liebe Kirche, die sich nur selbst in die Tasche wirtschaftet. Sowas wollt ihr nicht, glaubt mir.“ Er stieß mit ihr an und leerte das Glas, wie könnte es anders sein, in einem Zug. Eigentlich goss er den Inhalt einfach in sein Maul, wo er in dunkel-feuchter Schwärze verschwand.

Sprachlos, sie war einfach nur sprachlos über das was er erzählte und schloss die Augen. Dann nachdem er geendet hatte, erhob sie die Stimme und sprach mit gefassten und betonten Worten, während sich ihre Miene ein wenig zu verdüstern schien „Diese Kinder gehören nicht euch, sie gehören nicht mir. Sie gehören Gott, genau wie unser Schicksal in seinen Händen liegt.“

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Lilliana schaute ihm in die Augen. „Das ihr den Kindern Bildung angedeihen lasst ist etwas was euch auszeichnet. Das ihr einen Plan verfolgt, wie ihr das Waisenhaus mitfinanzieren könnt, das mag euch auch ehren. Das ihr nichts von der Kirche haltet, das mag eure Meinung sein.“ Sie musste aufstehen, das hier konnte sie nicht sitzend, aber sie schritt nicht zu ihm hin, sondern einen Schritt zurück, während sie erneut ihre Stimme erhob, dieses Mal eine Spur fester. „Aber dass ihr denkt, dass die Kinder es für normal halten, dass ihr von ihnen trinkt, das ist ein Trugschluss. Dass ihr denkt, dass diese Kinder am Galgen baumeln werden, das ist ein Fehler. Aber der größte Fehler ist, dass ihr nicht erkennt wie klein diese Seelen hier sind und wie wenig Kraft noch in ihnen steckt. Sie schlafen nicht um des Friedens willens, sondern um der Erschöpfung. Geht in die Schlafsäle und seht selbst nach.“ Sie unterstrich das Ganze mit einer Armbewegung in Richtung der Tür, fuhr dann aber fort.“ Das ihr sie jetzt schon arbeiten lasst, anstatt ihnen Schutz, Liebe, Wärme und Geborgenheit zu geben, ist nicht Weitsicht sondern Kälte. So wie euer Gebäude. Eure beiden Betreuer kennen diese Liebe ebenso wenig, stattdessen nur die Schwerter und den Krieg verbunden mit der Angst davor. Auch ihre Seelen sind verwundet und schreien nach Geborgenheit und einer Familie. Was ist geschehen, dass ihr davor eure Augen verschließt, anstatt sie zu öffnen? Hier herrschen keine Hungersnöte, hier herrscht kein Krieg!“

Jeremiah stellte das Glas vor sich ab und sah sie noch eingehender und überraschter an als bereits zuvor. Zaghaft räusperte er sich. „Meine teuerste Gräfin von Erzhausen, ich glaube wir müssen einen wichtigen Unterschied machen zwischen dem Idealzustand der Welt, wie ihn sich die christliche Kirche vorstellt oder predigt und wie er in der Realität ist. Es gibt sozusagen eine Wahrheit fernab der romantischen Vorstellung emsiger Märtyrer und eifriger Phrasendrescher, die bei weitem weniger rührselig und verklärt daherkommt als das, was ihr gerade artig auswendig gelernt von euch gebt. Ich muss es wissen, ich habe eine leichte Schwäche für romantische Poesie. Mir ist klar das ihr für die Außenwelt eine formvollendete Variante von euch präsentieren müsst, wem geht das nicht so aber bitte bleiben wir auf dem Boden der Tatsachen meine Liebe: Da draußen leiden nicht nur dutzende Kinder und Erwachsene Sterbliche Hunger, nein sie sterben auch jeden Tag und jede Nacht daran. Und das ist nur, wenn ihr so wollt die Spitze des Eisbergs. Neben weitaus spektakuläreren Toden wie dem Erhängen oder Enthaupten, gibt es auch noch Totschlag, Raub, Vergewaltigung und Diebstahl. Es gibt weitaus mehr Möglichkeiten für diese Kinder da draußen elendig zu krepieren, als glücklich zu leben. Und wenn ich mir die sorgfältig geführten Geschichtsbücher von Flandern einmal genauer zu Gemüte führe, glaube werde ich feststellen, dass es hier nicht anders ist als überall sonst auch: Krieg ist allgegenwärtig.“ Er schenkte sich nach und hob erneut das Glas an; wirkte sogar ein wenig enttäuscht darüber, dass sie seinen Umtrunk so verschmähte. Offenbar hatte er sich bis jetzt große Mühe gegeben sie vorbildlich zu bewirten.

„Und ich habe nie behauptet, das harte Arbeit nicht ermüdend wäre. Fragt den Bauern auf dem Feld, der das Gemüse anbaut um es zu verkaufen, damit eure Schwertgnome in Saft und Kraft gehalten werden. Fragt den Handwerker, der die Stiefel eurer Magd repariert. Es sind nicht alle in Adel und Wohlstand geboren Frau Gräfin und der Großteil dieser Welt, muss lange, hart und unter zahlreichen Entbehrungen arbeiten. Nur selten gibt es Leute, die ihren Reichtum so wie ihr der Kirche in den Rachen werfen, um sich dann von ein paar alten Mönchen und Nonnen in einem Waisenhaus für ihre Nächstenliebe huldigen zu lassen. Die meisten müssen hart arbeiten und alles andere was ich den Kindern erzählen oder vorleben würde, wäre eine fatale Lüge für sie und das wisst ihr. Ihr habt genug Reichtum, um euch diese Lüge jede Nacht zu erhalten. Wir können uns diesen Luxus hier bedauerlicherweise nicht leisten. Wenn niemand hier arbeiten würde, dann hätten wir bald alle Kinder der Stadt hier, weil sämtliche überforderte oder besonders kinderreiche Mütter ihre Bälger bei uns deponieren würden. Wo sonst gäbe es kostenloses Essen und den ganzen Tag Spiel und Spaß sowie eine geförderte Ausbildung? In den Büchern mag sich das wie ein wundervolles Ideal anhören aber wir müssen uns leider mit der Realität auseinandersetzen.“ Wieder verschwand die Vitae in seinem schwarzen, weit aufklaffenden Rachen. „Und gewiss bin ich nicht ‚normal‘ und das Trinken ist es für sterbliche Kinder auch nicht aber ihr habt selbst Untergebene, die ihr mit eurem Blut füttert wie eine dunkle Mutter.“ Sein Grinsen verbreiterte sich etwas. „Und ihr wisst, dass sie sich sehr schnell daran gewöhnen; es sogar als schön und angenehm empfinden. Mittlerweile bitten einige sogar schon darum, doch ich bin stets gerecht, umsichtig und behandle jedes Kind mit der gleichen ausgesuchten Höflichkeit und Zuwendung, die ich bisher auch euch entgegengebracht habe. Die Kinder mögen mich und haben sich an ihr Monster gewöhnt. Fragt Natascha und Akim, die waren bereits in Russland Teil meiner kleinen Ersatzfamilie. Ich bin ein stets besorgter Vater und strenger Lehrer… was uns zum Thema Geborgenheit und Liebe führt.“ Er deutete auf ihr Glas. „Trinkt aus Teuerste. Ihr würdet mich fast schon beleidigen, würdet ihr meine kleine Aufmerksamkeit ablehnen und wir wollen doch dem Protokoll Genüge tun.“ Das faulige Lächeln war ungebrochen.

Mit seinen langen Fingern, hielt er die Stoffpuppe hoch und deutet auf sein Auge. „Auf dem rechten bin ich fast blind, ein Überbleibsel aus meinem Übergang in die Welt der Untoten. Dennoch lasse ich es mir nicht nehmen, den Puppen meiner Mädchen die Augen wieder anzunähen. Ich bin äußerst schlecht darin und Natascha könnte es viel besser aber es ist mir ein Bedürfnis. Das mag nicht viel sein und es mag in euren Augen weniger wert sein als eine überschwänglich-kitschige Umarmung oder schwülstige Worte der geheuchelten Zuneigung… aber es ist ehrlich. Vielleicht sollte ihr einmal selbst in den Spiegel sehen und euch fragen, wem ihr mit all diesen Pomp und diesen lächerlichen Geldspenden tatsächlich helft? Der Bischof hat gewiss etwas davon, bei seinem nächsten Gelage. Auch die Nonnen freuen sich und ihr könnt jeden Tag mit der beruhigenden Vorstellung einschlafen, eine vorzeigbare und großmütige Dame zu sein, damit ihr euer selbstgerechtes Herumstolzieren vor der Welt mit Großzügigkeit und Nächstenliebe rechtfertigt, weil ihr euch sonst zu sehr eurer Selbst schämen müsstet. Meine Kinder werden nicht mit Küssen überschüttet und in verlogener Zuneigung gebadet, vielleicht habt ihr sogar recht und wir sind ein wenig unterkühlt. Aber eines könnt ihr mir glauben: Wenn es darum geht wer hier tatsächlich etwas für die Kinder tut, dann gewinne ich noch vor euch verehrte Gräfin. Dass was ich tue, wird den Kindern auch nach dem Waisenhaus ein Leben ermöglichen. Bei euch haben sie viel nutzlose Wärme und danach nichts, also hört auf mich zu verurteilen verehrtes Ratsmitglied.“ Lange sah er sie an, dann schüttelte er den Kopf. „Die Bedingung das ich gehe ist, dass ihr hier meinen Platz einnehmt und genau dort weitermacht, wo ich aufgehört habe. Spendet euer beträchtliches Vermögen diesem Haus hier und werdet die Leiterin vor Ort und dann rettet die Kinder, anstatt sie nur gelegentlich für euer eignes Seelenheil zu besuchen und andere arbeiten zu lassen.“

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Through action, a Man becomes a Hero.
Through death, a Hero becomes a Legend.
Through time, a Legend becomes a Myth.
By learning from Myth, a Man takes action.
~Corazon~


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BeitragVerfasst: Mi 9. Nov 2016, 22:16 
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Lilliana stand weiterhin an der Stelle, während er begann seine kleine Rede zu halten. Weder bewegte sie sich hin zu dem angebotenen Glas Blut noch bewegte sie sich von ihm weg. Sie blinzelte ein zwei Mal mit den Augenlidern, aber ließ ihn nicht aus den Augen. Stattdessen ließ sie bewusst Zeit vergehen, als denke sie tatsächlich über seine Bedingung nach.

Ein Schnalzen ihrer Zunge beendete die doch langsam unangenehme Stille und sie erhob ihre Worte und sah ihn dabei mit voller Entschlossenheit an.
„Eure Bedingung und eure Meinung mir gegenüber vermag so wenig durchdacht sein, wie der, dass ihr Gott keine Bedeutung beimesst. Wäret ihr nicht der, der ihr seid, würde ich vermuten Bischof Martin zeigt uns indirekt, was er von uns hält nach all den Jahren den gegenseitigen Einverständnisses.“
Lilliana schritt zwei kleine Schritte auf ihn zu. Noch immer blieben ihre Stimme und ihr Blick im Einklang, wenn auch ein warnender Unterton mitschwang. „Die Nosferatu von Gent benötigen in diesen Zeiten einen weisen Anführer, der ihnen die Gesetze der Stadt, die Gesetze unserer Gesellschaft beibringt und sie von dem Makel der Vergangenheit befreit. Sie benötigen jedoch keinen Anführer, der ihnen einen neuen negativen Makel anhaften wird.“

Sie ging wieder rückwärts und glitt in die leichte Verbeugung aus der sie sich nach kurzer Zeit erhob. Es war Zeit das hier zu beenden und ihre Haltung zeigte ihm an, dass sie sein Turmzimmer bald verlassen würde. Die Stimme, die sich erhob, erklang nun wieder liebenswürdig, ja ein wenig fürsorglich. „Die Aufgabe der Nonnen ist es die ungewollten zu beschützen und ihnen den Glauben an Gott und die Gewissheit an ihre Zukunft zu geben. Meine von Gott gegebene Aufgabe ist dies auch für eine ferne Zukunft sicherzustellen.
Diese Situation hier ist ein Missverständnis und das Ergebnis einer übervorschnellen Entscheidung, die ohne mein Wissen getroffen wurde und an deren Ende wir hier beide stehen. Ich werde dahingehend die Ordensschwestern informieren. So mag euch die Last der Beherbergung und Ausbildung der Waisenkinder abgenommen werden, so dass ihr wieder Ruhe finden mögt. Wir danken euch in Gottes Namen für die Zeit, die ihr mit den Kleinen verbracht habt."


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BeitragVerfasst: Do 10. Nov 2016, 15:57 
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Das Monster, denn anders konnten man den dürren, eingefallenen Mann in seinem weich gepolsterten Sessel nicht bezeichnen, betrachtete die Toreador mit einem freudigen, schiefe Zähne fletschendem Lächeln, während es die Fingerkuppen aneinanderlegte und gelegentlich abwartend aneinander trommeln ließ. Jeremiah alias Johannes von Kleist sah just so aus wie das Insekt, an das seine spitzen, überdimensional langen Finger erinnerten: wie eine schmale, gräulich-schwarze Spinne die mit leicht geneigtem Kopf die Fliege beobachte. Er ließ ihr Zeit, genoss möglicherweise sogar diese Konfrontation mit ihr, was aufgrund seines erzwungen dauerhaften, grotesken Lächelns nur schwer festzustellen war. Möglicherweise fand er auch einfach alles an ihr und ihren Worten amüsant oder anregend. Schließlich nickte der furchige Schädel und der Nosferatu schien zu einer Entscheidung gelangt zu sein. „Ich verstehe…“, sagte er in kratzigem Tonfall, während er sich etwas schwerfällig aus seinem Selle erhob und mit leicht wankendem Schritt an eines der hohen Bücherregale trat, wo seine dürren Finger nach einer Rolle Pergament griffen. Das Knacken und Reiben der Gelenke und Wirbel hörte sich dabei an, als würden dürre Äste brechen.

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„Meine Bedingung, da gebe ich euch recht teuerste Gräfin, mag etwas konstruiert wirken, denn in Wahrheit genieße ich meine Stellung als auch mein neues Heim. Es ist eine Aufgabe, die ich gerne übernehme und bereits schon in ähnlicher Weise im Osten praktiziert habe. So schwer ihr das auch glauben mögt aber in diesem Arrangement profitieren nicht nur ich, sondern auch eure geliebten Kinder, als auch die Sterblichen und die Unsterblichen dieser Stadt.“ Langsam kam er zurück zu seinem ausladenden Schreibtisch und rollte die Pergamentrolle vor sich aus, als sein missgestalteter Körper sich wieder in den Sessel fallen ließ. „Ich möchte euch meine Aufgabe als Heimleiter in Gent nicht abtreten, noch bin ich an eurem Geld interessiert; mir war lediglich daran gelegen, dass ihr etwas für euch selbst lernt Gräfin. Ich betonte doch bereits mehrfach, dass ich einst Lehrer war.“

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„Und wo wir gerade von Gott oder göttlichen Eingebungen sprechen; meine Bitte an euch war der Versuch euch etwas aufzuzeigen.“ Jeremiah räusperte sich und griff mit dürren Fingen nach einer Schreibfeder, die er in ein Tintenfass tauchte. Mit der linken hielt er sich das Vergrößerungsglas vor das Gesicht. Wie er da so dasaß und konzentriert versuchte eine ansprechende Handschrift zu Papier zu bringen, sah er unendlich alt aus. „Gott sprach zu Abraham: Nimm Isaak, deinen einzigen Sohn, den du liebhast, und gehe hin in das Land Morija und opfere ihn daselbst zum Brandopfer auf einem Berge, den ich dir sagen werde.“ Die Schreibfeder kratze hurtig über das dicke Stück Pergament und ließ dort feine, dunkle Linien entstehen, während der Nosferatu fortsetzte. “Und als sie kamen an die Stätte, die ihm Gott gesagt hatte, baute Abraham daselbst einen Altar und legte das Holz darauf und band seinen Sohn Isaak, legte ihn auf den Altar oben auf das Holz und reckte seine Hand aus und fasste das Messer, dass er seinen Sohn schlachtete.“ Kurz sah er zur Gräfin nach oben, bevor er die Feder erneut ins Fass tauchte. „Da rief ihm der Engel des Herrn vom Himmel und sprach: Abraham! Abraham! Er antwortete: Hier bin ich. Er sprach: Lege deine Hand nicht an den Knaben und tue ihm nichts; denn nun weiß ich, dass du Gott fürchtest und hast deines einzigen Sohnes nicht verschont um meinetwillen.“

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Das Papier war in unendlicher Geduld schon bis zur Hälfte beschrieben worden, da hoben sich die kränklichen Augen zu der Toreador empor und fixierten diese erneut prüfend. „Euer Isaac, der euch lieb und teuer ist, ist euer Stand und euer Geld, euer Ansehen und die Bewunderung und Anerkennung, die man euch für eure Nächstenliebe, Barmherzigkeit und Großzügigkeit entgegenbringt Gräfin von Erzhausen. Meine Intention war es, euch zu prüfen so wie euer Gott Abraham prüfte. Entsprechen eure Worte und Taten tatsächlich der Großmut in eurem Herzen? Seid ihr wirklich so gut und fromm, wie ihr wollt das andere euch wahrnehmen? Anderen überlegen und in eurem Glauben gefestigt?“ Jeremiah schüttelte den kränklichen wirkenden Kopf und beeilte sich sein Schriftstück zu vollenden. „Hättet ihr mir euer Geld und alle euren Besitz heute Nacht überschrieben, so hätte ich gewusst woran ich an euch bin und wie es um eure Liebe zu den Kindern bestellt ist. Natürlich hätte ich es niemals angenommen; stattdessen meine Sachen gepackt und wäre aus dem Waisenhaus, unter der Berücksichtigung der Stille des Blutes und sämtlicher anderer Auflagen, die diese Existenz mit sich bringen verschwunden. Das zu eurem Vertrauen in Gott und eurer Aufopferungsbereitschaft. Mehr werde ich zu eurer Gottesfurcht und Liebe nicht sagen.“ Etwas angestrengt wühlend, kramte er aus einer Schublade ein zweites Stück Pergament hervor, das er ebenfalls vor sich ausbreitete und erneut begann ein geschwungenes Schreiben aufzusetzen. Offenbar bemühte er sich sehr, dem Ganzen einen äußerst offiziellen Anschein zu geben, auch wenn sie nach wie vor nicht erahnen konnte, was genau er da verfasste.

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„Bischof Martin ist, soweit ich weiß kein Freund von Gent und der umliegenden Städte. Er weiß offenbar über die Welt der Dunkelheit Bescheid und genießt in stillschweigender Selbstbestätigung seine Überlegenheit uns gegenüber. Vermutlich wartet er aber insgeheim nur auf einen Grund, seine Inquisitionstruppen zu entsenden um uns alle in einem hochoffiziellen Streich zu vernichten. Ich würde euch also bitten, Vergleiche mit diesem Sterblichen und meiner Wenigkeit zu unterlassen, da sie wie ihr selbst zugeben müsst, völlig aus der Luft gegriffen sind.“ Die Feder flog weiterhin über das Stück Pergament, während das zweite, bereits vollendete, ein kleines Stück davon entfernt zum Trocknen abgelegt worden war. Gelegentlich hauchte der Nosferatu in dessen Richtung; zum Pusten fehlten ihm schlicht und ergreifend die Lippen. „Außerdem würde ich euer Gnaden bitten keine Urteile über eine Ansammlung von Nosferatu abzugeben, die sie nie persönlich getroffen hat. Ich kenne meine Kompetenzen, meine Schwächen und meine Stärken Fräulein von Erzhausen. Ich allein habe mich dazu entschlossen, aus dieser Senkgrube von einer Brut wieder etwas Anständiges zu machen, etwas das den Gesetzen, Regeln und Anforderung sowohl ihrer, als auch meiner und ebenso der Existenz aller anderen Untoten in dieser Stadt gerecht wird.“ Kurzzeitig legte er die Feder zur Seite und sah sie für einen erstaunten Moment, überrascht und verwundert an. Mit leicht geneigtem Kopf prüfte er die Ernsthaftigkeit ihrer Worte, obgleich sie ihm offensichtlich eher etwas unüberlegt erschienen. „Ein Makel also? Soso“, murmelte er andächtig. „Meine Erscheinung mag ein Makel sein, da gebe ich euch recht aber es ist ein Makel, mit dem ich meine Ewigkeit verbringen muss nicht ihr meine Teuerste. Abseits davon kann ich euch ohne zu viele Interna preiszugeben, durchaus erfreut mitteilen, dass die ortsansässige Brut ganz hervorragend funktioniert. Sobald ich diesen Kindern etwas Anstand und Würde eingetrichtert habe und ihnen das Wesen ihrer Existenz dargelegt hatte, taten sich ganz neue Möglichkeiten auf, die ohne Blutvergießen und hierarchische Schäden auskommen. Ich meine Liebe und da kann ich die Hand aufs Herz legen, bin an Stabilität interessiert. Zudem ist das Halten einer Herde und der Obsorge und Pflege dieser kein Makel oder gar etwas Verwerfliches in unseren Kreisen.“ Sie hatte das Gefühl das sein Lächeln für einen kurzen Moment sogar noch etwas breiter wurde, als er ruhig und besonnen hinzufügte. „Ihr seht also es ist gar nicht notwendig, das ihr in schierer Hilflosigkeit und Verzweiflung versucht irgendwelche unterschwelligen Drohungen auszusprechen. Ich führe ein ordentliches Haus, sowohl hier als auch unter der Stadt. Es gibt rein gar nichts Gräfin von Erzhausen, mit dem ihr mich vor meinen geschätzten Kollegen im Rat dieser Stadt denunzieren oder belasten könntet. Madame Borluut ist im Gegenteil sehr erfreut, dass ich mich meiner Schützlinge annehme. Sowohl der sterblichen, als auch der toten. Denn anders als ihr vielleicht denkt oder erhofft, profitieren alle von meiner Anleitung. Die Kinder bekommen eine Ausbildung, sofern es möglich ist und erlernen einen anständigen Beruf, anstatt als Huren und Diebe zu enden. Das bringt Wirtschaftswachstum und Arbeitskräfte, gewährleistet Stabilität und für unsere Art nicht zuletzt einen bequemen und verfügbaren Vorrat an Vitae. Und die Kleinen selbst, haben ein halbwegs erfülltes, wenn auch eher kurzes sterbliches Leben hier auf Erden, anstatt da draußen vor die Hunde zu gehen denn mit Verlaub: den Schwestern in Brügge ist das nicht besonders wichtig. Die üben sich eher in der Inszenierung ihrer Frömmigkeit, anstatt ihren Worten, Taten folgen zu lassen.“

Mittlerweile war auch das zweite Schreiben beendet worden und mit einem weiteren, heiseren Hauchen versuchte der Nosferatu die Tinte zu trocknen. Beide Schreiben, legte er vor sich auf den Tisch sodass sie von ihr bei Bedarf gelesen werden konnten. Das Monster selbst, erhob sich ein weiteres Mal von seinem Tisch, umrundete diesen und kam an der Kopfseite, unlängst der beiden Schriftstücke zu Stehen. Mit seinen langen, dürren Fingern trommelte er nachdenklich auf der dunklen Tischplatte und gönnte sich einen weiteren Moment, sie aus seinen kränklichen Augen förmlich anzustarren. Eine lange Pause folgte. „Meine Ernennung zum Leiter dieses Anwesens, war mitnichten ein Missverständnis oder eine überschnelle Entscheidung Gräfin. Meine Ernennung hier ist das Ergebnis von Kompetenz, Beziehungen, gemeinsamer Interessen und nicht zuletzt delikater Informationen, die ich mir verschafft habe. Ihr könnt getrost davon ausgehen, dass ich nicht mehr oder weniger auf meinen Vorteil bedacht bin und mir im Fall des Falles zu helfen weiß, als jeder andere unserer Art. Und ein gut gemeinter Rat an dieser Stelle: Ihr solltet euren Einfluss und eure Entscheidungsgewalt hinsichtlich der Waisenhäuser noch einmal überdenken. Ihr könnt Vorschläge machen und Andeutungen machen, euer Geld und euer Ansehen spielen lassen und dennoch ist euch niemand vollends zu Willen meine Teuerste. Die absolute Befehlsgewalt, hat jemand den wir beide gleichsam fürchten und verabscheuen sollten und so jemanden zu kontrollieren, liegt außerhalb unserer Macht. Überschätzt das Gewicht eurer Worte also nicht.“ Es folgte eine weitere, überlegte Pause bevor sich Jeremiah abermals kratzend räusperte. „Nun wie dem auch sei, ich habe hier zwei Schreiben aufgesetzt, die ihr mit zu den Schwestern nehmen könnt, wenn ihr wollt. Es sind offizielle Gesuche, die mit meiner Unterschrift versehen sind und euch in diesem Augenblick zwei Möglichkeiten offenlassen.“ Mit seinem langen Zeigefinger, tippte er auf das linke Schreiben.

„In diesem Gesuch, gebe ich meinen Rücktritt als Heimleiter des Waisenhauses von Gent bekannt, da mir der örtliche Heiler eine schwere, unheilbare Krankheit diagnostiziert hat, die mich in wenigen Jahren dahinraffen wird und an meinen Kräften zehrt. Da ich mich somit außer Stande sehe meine Position mit den dazugehörigen Pflichten und Aufgaben im Vollbesitz meiner geistigen und körperlichen Kräfte zum Wohle der Kinder auszuüben, trete ich offiziell zurück. Des Weiteren wird erwähnt, das euer Umgang mit den Kindern geradezu beispielhaft war und euer Einschätzungsvermögen bei der Suche eines neuen Kandidaten beträchtliches Gewicht verdient hätte. Mit eurer Unterschrift bestätigt ihr, dass ihr euch vor Ort von der Schwere meiner Krankheit überzeugen konntet und es im Anbetracht eurer jahrelangen Verbindung eurer Familie zu den Institutionen, das Beste wäre mich ziehen zu lassen. Johannes von Kleist verlässt von Krankheit befallen die Stadt und zieht sich in seine Heimat Deutschland zurück, wo er die ihm zur Verfügung stehende, restliche Zeit in Behaglichkeit und der vertrauten Umgebung seiner Liebsten verbringen wird. Oder aber…“

Er deutete auf das zweite Schreiben, auf der rechten Seite der Tischplatte.

„Ihr nehmt dieses offizielle Schreiben an euch, das ebenfalls ein Gesuch darstellt. Darin wird dargelegt, dass verschiedene infrastrukturelle Probleme und Erschwernisse in Gent, von Kleidung, Ausbildung und diverser Schwierigkeiten bei der Unterbringung, dazu geführt haben, dass ich bereits in meiner kurzen Amtszeit hier in Gent zu der Erkenntnis gelangt bin, dass eine gottgefällige und effiziente Versorgung der jüngeren Waisenkinder nur in Brügge stattfinden kann. Somit ergibt sich im Sinne des Wohles der Kinder eine geradezu obligate Entscheidung und zwar, den Standort der Altersgruppen der beiden Häuser zu tauschen. Die jüngeren Kinder werden in Brügge untergebracht, während die älteren hier in Gent verweilen. Nach wie vor, bleibe ich der Leiter der Institution vor Ort und leiste meinen Beitrag das Leben der armen Waisenkinder weiterhin auf dem rechten Pfad wandeln zu lassen. Mit eurer Unterschrift, bestätigt ihr, dass ihr euch selbst vor Ort von den Problemen und der misslichen Lage des Hauses, genauso wie von meiner vorbildlichen Arbeit hier überzeugen konntet und dass ihr meiner Empfehlung und meinem Gesuch, nur aus tiefstem Herzen zustimmen könnt.“

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Der nach wie vor beständig grinsende Nosferatu, umrundete abermals mit knackenden Wirbeln und deformierten Knochen den Tisch und ließ sich mit einem angestrengten Ächzen in den Sessel fallen. Fast schon zärtlich, schob er ein gefülltes Tintenfass zwischen die beiden Schreiben auf dem Tisch; platzierte eine neue, unbenutzte Gänsekielfeder daneben. Dann sah er sie erneut abschätzend und interessiert an. „Lasst euch Zeit mit eurer Entscheidung und bedenkt alle bisher gesprochenen Worte. Geht tief in euch und trefft eine Entscheidung, die getragen ist von Ehrlichkeit euch selbst gegenüber, Offenheit und eurem nach wie vor bestehendem Wunsch, den Kindern hier wahrhaftig zu helfen. Und wie immer sie auch schlussendlich ausfallen mag; ich werde mich danach richten, darauf gebe ich euch mein Wort, so wahr man mich den lachenden Mann nennt.“

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Nettes Detail: Da rief ihm der Engel des herrn vom Himmel und sprach: Abraham! Abraham!
Er antwortete: Hier bin ich. 12 Er sprach: Lege deine Hand nicht an den Knaben und tue ihm nichts;
denn nun weiß ich, daß du Gott fürchtest und hast deines einzigen Sohnes nicht verschont um meinetwillen.
(Jeremia 7.31) (Römer 8.32)


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