Vampire: Die Maskerade


Eine Welt der Dunkelheit
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 Betreff des Beitrags: Re: Tempus fugit 1228 (Luisa)
BeitragVerfasst: Sa 16. Feb 2019, 14:20 
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In einfacher bürgerlicher Aufmachung fühlte sie sich ausreichend sicher und betrat die fremde Stadt. Dennoch war Louisa auf der Hut – zu viele Eindrücke verwirrten die Sinne und ließen mögliche Gefahren erst spät erkennen. Auf ihre Weise war die Stadt ähnlich risikoreich wie die Wildnis, wenn man sich nachts in Gassen und Straßen bewegte, noch zudem als junge Frau, allein wie sie. Und obwohl ihr vor Sterblichen nicht bange war, so steckte ihr die Furcht vor der wütenden Raserei noch in den Knochen, die sie angesichts eines doch recht banalen Ärgernisses gepackt hatte. Sie beschloss Konflikten aus dem Wege zu gehen, soweit es ihr möglich war, auf dass sie die Welt niemals wieder in dem düsteren Blutrot sehen würde, das alles in einer Flutwelle purer Zerstörungswut mit sich fortschwemmte. Dunkel kamen ihr die Worte ihrs Meisters in den Sinn, der sie davor gewarnt hatte. Das einzige Mal, dass sie etwas Ähnliches wie Angst an dem uralten, mächtigen Kainiten erahnt hatte, tief in den finsteren Seen seiner Augen verborgen. Dort, wo auch der Feind saß, den selbst all seine unirdischen Kräfte nicht bezwingen konnten...

Nachdem sie sich zunächst in Brügge umgesehen und zumindest einige der breiteren Hauptstraßen und größeren Plätze einzuprägen versucht hatte, machte sie sich schließlich auf die Suche nach dem Hause van Hauten. Als sie feststellte, dass sie sich dennoch verlaufen hatte, blieb sie ratlos stehen und sah sich auf dem leeren, totenstillen Platz um. Dann schob sie entschlossen das Kinn nach vorn und setzte sich wieder in Bewegung. Ihre Augen wanderten auf der Suche nach einem Schild umher, das ihr den Weg in ein Wirtshaus weisen würde. Sollte ihre zufällig ergriffene Kleidung dem nicht ohnehin schon entsprechen, würde sie versuchen, sich ein oder zwei weitere Stücke zu stibitzen, mit denen sie vorgeben konnte, Magd in einem reichen Bürgershaus zu sein: eine Schürze, eine einfache Haube. So ausstaffiert wollte sie sich nach dem Haus der van Hautens erkundigen, mit der simplen Behauptung, sie sei neu in der Stadt, erst kürzlich vom Lande als Dienstmagd zu einem reichen Herrn geholt worden, und habe nun den Auftrag, von diesem eine eilige Nachricht zu besagtem Haus zu bringen, sich aber leider dabei verirrt. Zur Not würde sie die den Tränen nahe Unschuld spielen, der Prügel von ihrem ungeduldigen Herrn drohten, und an das Mitleid der Zuhörer appellieren.

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 Betreff des Beitrags:
Verfasst: Sa 16. Feb 2019, 14:20 


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 Betreff des Beitrags: Re: Tempus fugit 1228 (Luisa)
BeitragVerfasst: So 24. Feb 2019, 12:30 
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Louisa benötigte keine Schilder: Bereits an der nächsten Straßenecke wies der Geruch von gebratenem Hammel, fettigem Bohneneintopf, dünnem Bier und verschwitzen Körpern den Weg zu einem windschiefen Stadthaus. Das Gebäude sah aus als würde ein einzelner Stoß an einen der Pfosten ausreichen um es jeden Moment zum Einstürzen zu bringen.

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Drinnen herrschte rege Betriebsamkeit. Gesellen spielten nach der Arbeit Karten und gerieten innerhalb weniger Trümpfe lautstark aneinander, das dünne Bier floß in Strömen, jemand beschwerte sich, dass das Gesöff kein ‚Aldurbräu‘ sondern „Pferdepisse“ sei, aber das schien sonst keinne in dem Schuppen zu kümmern. Zwei leicht bekleidete Mädchen, die sich an zwei Männer schmiegten, die mehr als reich bekleidet schienen, beäugten die blonde Frau mit äußerstem Misstrauen und Missfallen als sie herein trat. Erst als sich Louisa als einfache Magd auf der Suche nach dem Haus der Van Hautens ausgab, und nicht als Konkurentin, wiech die Abneigung aus ihren Mienen und sie widmeten sich wieder den beiden männlichen Gästen. Der Wirt, den sie ansprach, schien sich für ihre Geschichte wenig zu interessieren und hörte auch nicht weiter zu als sie etwas von den ‚Van Hautens‘ murmelte. Damit schied sie als Kundin aus…
Er rief nach einem jungen, wohl vierzehn jährigen Mädchen, das, da es ihm wie aus dem Gesicht geschnitten war, wohl seine Tochter sein musste. „Erklär ihr den Weg und dann mach dich wieder an den Abwasch. Demnächst ist Wachwechsel bei der Stadtwache und ein paar von den Jungs lassen sicher ein paar Silbergroschen bei uns, wenn wir sie rasch bewirten.“
Die Antwort des Mädchens kam prompt und gehorsam, wie es sich für eine Tochter geziemte: „Gewiss, Vater.“
Sie erklärte der blonden Frau aus Deutschland den durchaus nicht ganz einfachen Weg. Sie musste einer Straße nach Süden folgen und dann nach Westen abbiegen, vorbei an einem Schmiedeviertel und mehreren Tuchmachereien.

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Louisa verließ das Haus wieder und machte sich auf den Weg. Sie bemerkte, dass sie sich wieder verlaufen hatte, als sie an einem ausladenden Garten herauskam, an dessen Mauern die Insignien prangten, die ihr bereits an dem Siegelring, den man ihr in Würzburg gegeben hatte, aufgefallen waren. Ganz offensichtlich war sie an der Rückseite des Gebäudes, zu dem sie eigentlich musste.

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Sie umrundete den weit ausladenden Gebäudekomplex. Ganz offensichtlich handelte es sich um das reiche Anwesen einer gut betuchten Handelsfamilie. Die Fenster waren mit teurem Glas verziert und in diesen brannte Licht. Bedachte man die Preise für Kerzen, mussten die Bewohner sehr reich sein. Das Dach war mit teurem Schiefer gedeckt, die Wände sauber verputzt. Als sie sich auf die Zehenspitzen stellte gelang ihr ein Blick nach drinnen. In dem mit bequemen und edlen Möbeln eingerichtetem Zimmer ließen Diener hin und her, mehrere Männer debattierten heftig über ein paar Papiere gebeugt.
Über dem großen Eingangsportal war erneut das Wappen der Familie eingelassen. Sie hatte ihr Ziel erreicht.

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Der Weg zum Ziel beginnt an dem Tag, an dem du die hundertprozentige Verantwortung für dein Tun übernimms.
Dante Alighieri


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 Betreff des Beitrags: Re: Tempus fugit 1228 (Luisa)
BeitragVerfasst: Mo 25. Feb 2019, 20:09 
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Die Blicke der zwei leichtbekleideten Mädchen nicht mit böse funkelnden Augen zu erwidern, kostete die Brujah einige Mühe. Sie unterdrückte jedoch den Reflex und konzentrierte sich auf ihre Geschichte. Mochte auch der Wirt ihr kaum zuhören, so wusste man doch nie, welche unsichtbaren Augen und Ohren ihren Auftritt mitverfolgten und womöglich misstrauisch werden würden, falls sie aus der Rolle fiele. Die Zeit im Schatten alter Kainiten hatte sie gelehrt, dass ein gewisses Maß an Paranoia lebenserhaltend sein konnte. Auf tausend verborgenen Pfaden kamen die Informationen zu den Alten, die in ihrer Domäne oftmals selbst den Weg einer einzelnen Maus nachverfolgen konnten, wenn sie es wirklich darauf anlegten. Hier, neu und fremd in Brügge, würde sie kein unnötiges Risiko eingehen! Und so verzichtete sie darauf, den beiden dummen Gänsen aus purem Übermut ihre Freier auszuspannen, nur weil sie es gekonnt hätte. Nur einen schnippischen Hüftschwung beim Abwenden von der Szene trauter Intimität konnte sie sich nicht verbeißen. Alberne Dirnen..!

Das junge Mädchen dagegen bedachte sie mit einem dankbaren Lächeln, ehe sie sich verabschiedete und versuchte, den Hinweisen zu folgen, die es ihr geduldig erklärt hatte. Vorbei an den Tuchmachereien, von denen sie schon hatte reden hören, wanderte sie durch die Gassen und war schon recht ungeduldig geworden, als sie endlich doch noch ans Ziel gelangte – wenn auch von einer falschen Seite her. Leise verwünschte sie die verwinkelten Gassen und ihr mangelndes Orientierungsvermögen, während sie das Grundstück umrundete, gelegentlich einen misstrauischen Blick in die Runde sendend. Selbst eine einzelne Ratte, die mit leisem Pfeifen davonhuschte, erregte Louisas Argwohn. Kronen, der Vollstrecker des Prinzen, hatte sich in Würzburg vieler tierischer Spione bedient. Das war ein offenes Geheimnis gewesen und hatte sehr zum Klima der Unsicherheit unter den jüngeren Kainiten beigetragen. Man konnte sich niemals sicher sein, wovon der Nosferatu erfuhr und was ihm verborgen blieb...

Sie holte tief Luft und legte den Kopf in den Nacken, um an der Fassade des Hauses hinauf zu blicken. Nun galt es, Jan van Hauten zu sprechen und ihn davon zu überzeugen, dass er ihr helfen musste. Die Untote trat vor das Portal, strich noch einmal ihre Kleider glatt und schob einige vorwitzige Locken unter die Haube zurück – angesichts des offenkundigen Reichtums im Hause van Hauten kam sie sich in ihrer bürgerlichen Tracht doch recht ärmlich vor. Dann fischte sie den Siegelring aus ihrem Ausschnitt. Sie barg das kleine Schmuckstück samt Kettchen in ihrer hohlen Hand, um es bei Bedarf vorzeigen zu können, ohne dass es gleich jedem Diener zu Gesicht kommen musste. Entschlossen hob sie die Hand und pochte gegen die schwere Eingangstür. Nun würde sich ja gleich zeigen, was die Empfehlung an Jan van Hauten wert war!

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 Betreff des Beitrags: Re: Tempus fugit 1228 (Luisa)
BeitragVerfasst: Mi 27. Feb 2019, 23:26 
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Dumpf hallte ihre Hand auf dem schweren Eichenholz wider. Erst einmal, dann ein zweites und sogar ein drittes Mal. Nichts regte sich. Eine Weile wartete sie so gefangen in der Ungewissheit, ob ihre bürgerliche Kleidung für diese wohlhabende Familie aus Kaufleuten überhaupt vertretbar wäre oder ob man sie ohnehin bereits aus einem kleinen Fenstergiebel aus beobachtet und für unwürdig befunden hätte. Gerade als sie schon mit dem Gedanken spielte, vielleicht habe sie am Ende doch noch das falsche Haus erwischt, wurde von innen ein schwerer Riegel zurückgeschoben und mit einem schweren Knarren und Rucken, die Eingangspforte aufgezogen. Aus dem in Kerzenschein getauchten Spalt zwischen Straße und Haus, überflogen die kritischen Augen einer mürrisch dreinblickenden Frau mittleren Alters die Erscheinung Louisas. Sie trug ein recht züchtiges Häubchen und wirkte aus irgendeinem Grunde sehr geschäftig; mehr bei ganz anderen Gedanken und Problemen als dem plötzlichen Gast an der Pforte. „Wer begehrt Einlass zu so später Stunde?“, fragte sie in misstrauischem Tonfall. Ihre Augen wanderten erneut über Louisa. „Ich glaube nicht, dass ich euch schon einmal gesehen habe Fräulein.“ Dem Schnitt, den Farben und der Machart ihrer Kleidung zu urteilen, handelte es sich um eine offensichtliche Dienerin des Hauses van Hauten. Ob ihres Alters, konnte man annehmen, das sie wohl auch schon etwas länger in den Diensten der Familie stand.

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Ihre Ungeduld war schwer zu bezähmen, doch Louisa wusste, dass sie gar keine andere Möglichkeit hatte. Also wartete sie in wachsender Unruhe, sich immer wieder umsehend. Sie hatte das ungute Gefühl, jeder Moment länger auf der Straße würde die Gefahr erhöhen, dass ein hiesiger Kainit ihrer gewahr wurde und sie zur Rede stellte, vielleicht gar angriff. Entsprechend erleichtert fiel ihr Seufzer aus, als endlich Geräusche hinter der Tür zu hören waren. Sie musterte die Frau ihrerseits, schätzte deren Äußeres und die Art ein, wie sie sich gab. Da es ihr weder geraten schien, Aufsehen zu erregen, noch, van Hauten zu brüskieren, beschloss sie sich zu benehmen, machte einen kleinen Knicks vor der Fremden und schenkte ihr ein gewinnendes Lächeln. "Bitte entschuldigt die Störung zu solcher Stunde, mijn dame! Ich habe eine dringende Botschaft an Herrn Jan van Hauten zu überbringen und bitt' Euch schön, ihn zu fragen, ob er so gnädig ist, mich anzuhören. Mir wurde aufgetragen, sie ihm persönlich zu sagen, bitte um Entschuldigung, mijvrouw." Ihre Stimme war leise, bescheiden, wie gegenüber einer Höhergestellten, und sie vergaß auch nicht, die Augen züchtig niederzuschlagen, nachdem sie höflich um Einlass gebeten hatte. Noch blieb der Ring verborgen, hoffte sie mit ihrem Charme das erste Hindernis zu nehmen.
Das züchtige Benehmen der blonden Frau schien die Dienerin milde zu stimmen. Nichtsdestotrotz schnalzte sie maßregelnd mit der Zunge. „Tse, tse, tse, Kind… Habt ihr auf die Kirchturmuhr geschaut? Es ist bereits elfe vorbei.“ Sie schüttelte den Kopf. „Kommt morgen früh wieder.“
Die Brujah war sich nicht zu schade, ein wenig zu schauspielern. "Ach, bitte, könnt Ihr nicht fragen, ob es doch möglich wäre? Die Botschaft ist dringend – ich weiß ja, es ist sehr spät, doch ich darf nicht zögern, wenn mein Herr es doch befohlen hat! Mijvrouw... auf Euch wird der gnädige Herr doch gewiss hören" schmeichelte sie und gab sich zugleich den Anschein, furchtsam zu sein. "Ich werde bestraft, wenn ich ihm nicht ausrichte, was mir aufgetragen wurde. Habt doch Mitleid!" Sie faltete sogar bittend die Hände. Gleichzeitig ließ sie unsichtbare Kräfte auf die Bedienstete einwirken. Kräfte, die aus ihrem dunklen Erbe entsprangen und von denen sie selbst kaum wusste, wie sie wirkten. Es geschah halb unterbewusst, als sie versuchte, mit ihrem flehenden Blick das Herz der Frau zu erweichen. Sie aktivierte Präsenz.
„Ach, Kindchen…“ Der misstrauische Ausdruck verschwand von ihren Zügen und freundliches Wohlwollen nahmen deren Platz ein. Die Dienerin kam einen Schritt auf Louisa zu und legte ihr mütterlich den Arm um die Schulter. „Es muss ja wirklich eine wichtige Nachricht sein, dass man euch so mitten in der Nacht durch die Stadt jagt. Und dann noch ganz allein, so ein junges Mädchen, wie ihr es seid… Kommt doch herein.“ Sie zog Louisa ins warme Innere des Anwesens und schloss leise die Tür hinter sich. „Die Herrschaften befinden sich gerade in einer wichtigen Besprechung. Ich werde den jungen Herrn sogleich fragen, ob er euch im Anschluss empfangen kann. Ich bin mir sicher, ich kann ein gutes Wort für euch einlegen, Kindchen. Folgt mir doch.“
Louisa unterdrückte ein zufriedenes Grinsen, während sie sich beeilte, hineinzuschlüpfen. Vielmehr ließ sie noch einen Knicks folgen und versicherte: "Habt, vielen, vielen Dank, mijvrouw! Ich werd' auch gewiss nicht stören und will warten, wo Ihr es mir sagt." Den Ring verbarg sie, indem sie die Hände in einer sittsamen Geste halb unter ihre Schürze gleiten ließ. Der Dienerin wurde ein strahlendes Lächeln zuteil. Wer konnte schon wissen, wozu man ihre Gunst womöglich noch einmal brauchen würde?
Louisa wurde in einen schmalen, spärlich eingerichteten Vorraum geführt und geheißen auf einer harten Holzbank Platz zu nehmen. Die Dienerin verschwand einen Moment hinter dicken Eichentüren, die den nächsten Raum abtrennten, und kam einige Atemzüge später wieder heraus. Sie wirkte blass und versuchte ihre wahrscheinlich stets vorhandene Beherrschung weiterhin aufrecht zu halten.
„Wartet bis die Besprechung beendet ist. Dann mögt ihr eintreten, lässt der Herr van Hauten ausrichten.“ Sie nestelte an den Rüschen ihrer Haube, wandte sich dann wieder Louisa zu. „Ich wünsche euch einen guten Abend, mein Kind. Wenn euch später noch nach einem Glas warmer Milch mit Honig ist, dann sucht mich in der Küche auf. Es ist auch noch was vom abendlichen Braten übrig… “ Sie nickte mit einem wohlwollenden Lächeln und kehrte dann zurück in einen anderen Teil des Gebäudes um dort zu beaufsichtigen, anzuordnen und weiterhin die Kontrolle über die Belange des Haushaltes zu behalten.
Louisa konnte von drinnen erhitzte Stimmen hören, die miteinander disputierten. Die Türen waren so dick, dass das Gehör von normalen Sterblichen nicht in der Lage wäre, auch nur einen Satz zu vernehmen. Ihre geschärften Sinne jedoch ermöglichten vieles…
Folgsam, wie man es von einer einfachen Magd erwarten durfte, setzte sie sich auf die Bank und lispelte noch ein leises Dankeschön. Sie sah der Frau neugierig nach und versuchte zu lauschen, sah aber bei ihrer Rückkehr wieder bescheiden zu Boden und gab vor, nichts von der Blässe der anderen zu bemerken. "Das werde ich. Habt nochmals Dank, mijvrouw" nickte sie. Auch das Angebot erwiderte sie mit einem dankbaren Lächeln, als sei sie geschmeichelt – auch wenn ihr natürlich weder nach Milch noch nach einem Braten der Sinn stand. Kaum war die Dienerin aber verschwunden, spitzte sie die Ohren und lauschte sehr angestrengt. Sie runzelte die Stirn und beugte sich im Sitzen immer weiter vor, doch sie konnte nichts unterscheiden. Ärgerlich biss sie sich auf die Lippen.
Die große Tür aus dunklem Eichenholz wurde nach wohl 15 Minuten geöffnet und drei stämmige Männer mittleren Alters schritten hindurch. Sie schienen über irgendetwas aufgebracht… vielleicht eine Meinungsverschiedenheit mit demjenigen, der sich noch im Inneren des Zimmers befand? Einer beäugte die vermeintliche Magd, die still wartete, misstrauisch, reckte das Kinn dann jedoch ein wenig höher und holte erneut zu den anderen beiden auf. Zwei ältere Männer sowie eine Frau von wohl 30 Jahren folgten. Auch sie warfen der blonden Frau nur ein paar kurze Blicke zu. Was immer die ‚Magd‘ eines fremden Arbeitgebers hier zu suchen hatte, es gehörte definitiv nicht zu ihrem Belang sich darum zu kümmern.
Das feine Gehör Louisas konnte das leise Flüstern des einen Alten hören: „Jan mag vielleicht recht haben, aber es ist ein ordentlicher Batzen Geld, der uns damit entgeht. Ein Jammer. Und die Van de Burse haben wahrlich genug davon.“
Die Frau erwiderte ebenso leise um ‚fremden Ohren‘ zu entgehen. „Großvater Willem, Gott hab ihn selig, hat immer gesagt: Mach bei tags nur Geschäfte, bei denen du nachts ruhig schlafen kannst. Damit sind wir doch immer recht gut gefahren…“
Die Personen verließen den Raum und Stille kehrte ein.
Louisa vernahm das Geräusch der Dienerschaft, die, wahrscheinlich in der Küche, alles für das morgige Frühmahl zubereitete. Geschirr klapperte irgendwo. Das feine Tippen von Pfoten verriet die Mäuse, die über ihr auch in diesem Haus ein und aus gingen. Vom Raum nebenan war das Kratzen von Feder auf Tinte zu hören.

Sie sah den Unbekannten unauffällig nach. Dann wanderte ihr Blick zu der Tür. Forschend musterte sie die Schwelle. Dann stand sie auf, dachte nach einem kurzen Moment daran, sich weiterhin den Anschein der bescheidenen Dienerin zu geben – man mochte sie ja noch immer beobachten – und ging dann, wie sie geheißen worden war. Immer auf das Kratzen der Feder horchend, näherte sie sich, bis sie im Durchgang stand. Leise räusperte sie sich. "Mijnheer van Hauten..?" Sie entsprach ihrer Rolle nach wie vor: leise, zögerlich klangen ihre Worte. Den forschenden, schnellen und vorsichtigen Rundumblick verbarg sie unter ihren langen Wimpern und indem sie wiederum rasch zu Boden schaute.
Bei dem Raum handelte es sich um ein großes, edel eingerichtetes Besprechungszimmer. An dessen anderem Ende loderte ein Feuer in einem großen Kamin, das das Zimmer in warmes, gelbes Licht tauchte. Kerzen brannten in zwei großen Kronleuchtern und beleuchteten eine lange Tafel und die teuren dazugehörigen, mit Leder bezogenen Lehnstühle. Gobelins und weiche Teppiche dämpften das Geräusch ihrer Schritte leicht.

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Auf einem der Stühle saß eine vornübergebeugte Gestalt und ließ die Feder mit raschem Schwung über ein Dokument sausen. Sie sah nicht auf, warf dann Schreibsand über das Pergament, schob es zur Seite und erhob sich.
Der jung aussehende Mann war von imposanter, hünenhafter Statur und überragte Louisa sicherlich um fast zwei Haupteslängen. Er war breitschultrig, trug ein einfaches braunes Gewand und erinnerte in diesem Moment eher an einen kräftig zupackenden Schmied als an einen bürgerlichen Kaufmann aus einem Patrizierhaushalt. Der kurze Bart und das Haar waren ordentlich gestutzt. Er musterte sie einen Moment, zunächst skeptisch, dann interessiert und verbeugte sich schließlich vor ihr. Die Stimme des Mannes war so tief wie man es bei seiner Statur erwartete. „Ihr habt darum gebeten mich zu sprechen? Was kann ich für euch tun?“

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Vor dem Feuer, so angenehm das Licht war, schreckte die Kainitin zunächst zurück. Auch als sie sich wieder unter Kontrolle über sich erlangt hatte, hielt sie einen respektvollen Abstand von den züngelnden Flammen, die untotes Fleisch so leicht versengen konnten. Den Mann musterte sie ihrerseits mit Interesse und, ihre Rolle vergessend, recht keck für eine "Magd". Seine Statur gefiel ihr offenkundig, wie ihr Blick über die wuchtigen Formen wanderte. Doch nach einigen Atemzügen löste sie sich von dem Anblick und erwiderte seinen Blick. "Ich komme von weit her, Mijnheer" begann sie vorsichtig. "Und ich brauche wirklich Eure Hilfe, denn ich bin fremd hier." Ihr Blick huschte kurz zur Tür. Dann fuhr sie fort: "Ein Mann nahm sich meiner an, als ich in Not war. Er empfahl mir, mich an Euch zu wenden und um Eure Hilfe zu bitten. Er gab mir dies hier..." Sie holte die Hand unter der Schürze hervor und hielt den Ring ins Licht.
Die Augenbrauen des Mannes verengten sich fragend und er trat ein paar Schritte näher an sie heran. Mit einem Blick, der um Erlaubnis zu bitten schien, nahm er ihr das Kleinod aus der Hand und hielt es gegen das Licht um es näher zu betrachten. Sie konnte einen Ring von ebensolcher Machart an seiner linken Hand ausmachen. „Das ist der Ring meines… von Arjen van Hauten. Woher habt ihr ihn?“ Die Frage, das konnte Louisa am Klang der Stimme erkennen, war eher rhetorischer Natur.
"Aus seiner eigenen Hand." Sie wirkte nun selbstbewusster, nachdem sie aus ihrer angenommenen Rolle gefallen war. Oder eher: kecker. Herausfordernd beinahe. Eine Mischung aus Nervosität und trotziger Selbstbehauptung in einer Welt, in der sie schon oft hatte lernen müssen, wie wenig eine junge Frau vielen galt. Es kostete sie sichtlich einige Überwindung, zuzugeben: "Ich käme nicht zu Euch, wenn ich andere Möglichkeiten hätte, Freunde oder Verwandte. Aber die habe ich nicht. Ich weiß nicht, wohin, kann aber auch nicht zurück dahin, wo ich herkomme." Ihre schlanken Finger gruben sich in ihre Röcke, zerrten an dem Stoff, ehe sie sich auch noch abrang: "Ich kann Euch auch wenig bieten, um mich erkenntlich zu zeigen. Also... bitte ich Euch: Nehmt Euch meiner an, Mijnheer van Hauten."
Er ließ den Rin mehrmals abwägend in seiner Hand hin- und herwandern. Schließlich schloß er sie etwas zu heftig als hätte ihn etwas erzürnt und schob das Schmuckstück in seine Tasche. „Ihr mögt mir bitte gestatten den Ring zu behalten. Ein Van Hauten legt diesen Ring nicht ab. Das ist ein Gebot in dieser Familie. Ich werde ihn daran erinnern, wenn ich ihn das nächste Mal sehe, wenn ihr erlaubt.“ Er knirschte mit den Zähnen, trat dann mit mehreren großen Schritten zu der Eichentür, die noch immer geöffnet stand und verschloß sie nach einem aufmerksamen Blick nach rechts und links mit weit ausgebreiteten Armen. Dann kam er erneut auf sie zu. „Mein Name ist Jan van Hauten. Arjen van Hauten hat mir vor einigen Monaten geschrieben. Er berichtete mir von jemandem, der Unterstützung, eine Zuflucht, benötigen würde. Er beendete seinen Brief mit der Bemerkung, dass er nicht wüsste, ob die Dame tatsächlich die Hilfe anzunehmen gedenke, weil er sie nicht mehr angetroffen hätte.“ Er sah sie genau an, schien sie zu mustern. „Nun denn. Ihr seid hier. Das ist es, worauf es ankommt.“ Er deutete zu einer Sitzgruppe, die in einer Ecke stand. „Nehmt doch Platz, wenn es euch beliebt.“ Er selbst ließ sich in eines der Polster fallen. Das Gewicht des hünenhaften Mannes ließ das Holz knarren.

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Mit Zorn kannte sie sich bestens aus, oh ja! Er schummerte immer und ewig in ihrem Blut. Darum machte sie auch eine rasche Handbewegung und sagte: "Wenn es für Euch etwas bedeutet, dann möchte ich für ihn bitten: Er hat mir nur helfen wollen!" es lag ein wenig mehr Heftigkeit in den letzten Worten, als sie wohl beabsichtigt hatte. Daher hielt sie kurz inne, verfluchte innerlich die Schwäche ihrer Blutlinie und senkte den Blick. "Er hat Euch einen Brief geschrieben?!" Das schien sie dann doch zu überraschen. Dennoch setzte sie sich auf seine Worte hin, wenn sie auch in einer vorsichtigen Pose wie ein misstrauisches Tier auf der Kante des Stuhls sitzen blieb. Sie sah sich um, die vielfachen Anzeichen von Reichtum mit einer Mischung aus Neid und Bedauern in sich aufnehmend. Schließlich meinte sie, an ihre eigenen Worte anschließend: "Ich bin sicher, er hätte mir den Ring nicht gegeben, wenn er eine andere Möglichkeit gehabt hätte, sicherzugehen, dass ich mich vor Euch ausweisen könnte." Ihr Blick hatte einen fragenden Ausdruck. Sein... was hatte van Hauten sagen wollen? Sein Zögling? Sein Kind? Sie konnte nicht ganz verbergen, dass sie ein ungutes Gefühl bei dem Gedanken hatte, es mit einem jener Alten zu tun zu haben, vor denen sie geflohen war.
Der Mann, der sich als Jan van Hauten vorgestellt hatte, schüttelte bei ihren Worten den Kopf. „Es ehrt euch, dass ihr für ihn sprecht. Aber ich bin mir sicher, er hätte euch den Ring auch dann gegeben. Das ist seine Art, wenn man so will.“ Er unterdrückte offensichtlich ein Seufzen. Wieder musterte er sie. „Euer Name ist Louisa, wenn ich mich recht entsinne? Aus der Familie der Gelehrten?“
Sie öffnete den Mund, um zu widersprechen, ließ es aber dann doch sein. Weniger aus Angst denn aus der Einsicht heraus, dass der Mann vermutlich sogar recht hatte. Arjen van Hauten hatte nicht den Eindruck gemacht, als sei er ein vernünftiger Mann, wenn es um Leidenschaften ging. Und genau das hatte sie anziehend gefunden: den Gegensatz zu ihrem Meister, der stets und unermüdlich die Vernunft predigte, dem Intellekt huldigte, dem Wissen und der Selbstbeherrschung. "Ja, so heiße ich: Lousia Vandevoort. Und der mir den Kuss gab, gehört diesem Clan an." Sie hielt inne, neugierig, ob er auf die deutliche Distanzierung reagierte. Denn sie wollte nicht gelehrt sein, nicht den Geist vor das Fleisch stellen, nicht vernünftig handeln! Sie wollte genießen, erleben, erfahren! Aber ob ein Alter das verstand..? "Ich will ehrlich sein: Vielleicht ist es nicht ungefährlich, mir zu helfen. Ich... bin ohne sein Einverständnis gegangen." Sie zögerte nochmals, dann brach es aus ihr hervor: "Ich wollte frei sein! Frei, versteht Ihr? Ich will niemandem im Wege sein, nur tun dürfen, was mir gefällt!"
Jan van Hauten ließ einige Sekunden verstrichen. „Jede Nacht birgt für uns die ein oder andere Gefahr, oder? Einige Kainiten in dieser Stadt halten sich hier auf, weil es woanders für sie zu gefährlich sein mag. Wie wohl viele andere Kainskinder in anderen Städten.“ Er nickte. „Und Freiheit, da würde euch mein Erzeuger, ein Kind der Könige“, fügte er mit einem winzigen Schmunzeln hinzu, „sicher recht geben, ist mit der Fähigkeit für sein Tun Verantwortung zu übernehmen, die wichtigsten Werte, die einem Mann oder einer Frau zu eigen sein sollten. Sofern ich ihn recht zitiere…“
Sie war merklich überrascht von seiner freundlichen Antwort, sah ihn unsicher an. Dann nickte sie. "Ja... ja, da habt Ihr wohl recht. Ihr wollt mir also helfen?" Mit einem schiefen Lächeln wies sie auf ihre einfachen Kleider. "Ich habe nicht einmal großen Besitz, um mich zu bedanken. Nichts, das ich Euch geben könnte." Ihr schien ein plötzlicher Gedanke zu kommen, und obwohl sie ihre Chancen damit verringern mochte, fügte sie scharf hinzu: "Auch mich selbst nicht! Selbst wenn ich..." Hier stockte sie. Wusste ihr Gegenüber mehr über sie, als sie ahnen konnte? Hatte man ihm schon berichtet, dass er einer Frau Einlass gewährt hatte, die lange nicht viel mehr als eine gewöhnliche Straßendirne gewesen war?

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"Alea iacta est." oder "Die Würfel sind gefallen." - Lateinisches Sprichwort


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 Betreff des Beitrags: Re: Tempus fugit 1228 (Luisa)
BeitragVerfasst: Do 28. Feb 2019, 10:32 
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Wieder ruhte der Blick der braunen Augen einen Moment zu lange auf ihr, abwägend und, das spürte sie auch ohne kainitische Kräfte: beurteilend. Er lehnte sich in den bequemen Polstern, in denen er wahrscheinlich jede Nacht saß, zurück. „Macht euch keine Gedanken. Eure Tugend bleibt völlig unberührt. Sofern das eure Absicht ist.“ Sein Tonfall hatte sich nicht geändert. Wie viel er vielleicht auch über sie wissen mochte, er schien es jedenfalls nicht in das Gespräch einfließen lassen zu wollen. „Wenn ihr Brügge zu eurer Zuflucht wählt, dann werdet ihr keinem Kainiten hier einen Gefallen schuldig sein. Aber es geht euch wie jedem Kainiten, der Brügge ‚seine Domäne‘ nennen will: Ihr schuldet gegebenenfalls der Stadt einen Gefallen. Und vielleicht den zwei Räten der Stadt. Das wird sich zeigen.“ Louisa besah sich den Mann ihr gegenüber genauer. Sie hatte in Würzburg Arjen van Hauten kennengelernt und nun diesen Kainiten, Jan van Hauten, der den gleichen Familiennamen trug. Die beiden konnten unterschiedlicher wohl nicht sein. Sprühte der eine vor Lebenslust, Freiheitsdurst und Leidenschaft, so war dieser hier diszipliniert, zurückhaltend und überlegt. Der breitschultrige Mann setzte erneut an weiterzusprechen. „Ich habe in dieser Stadt das Amt des Truchsess inne, das man in anderen, vor allem den englischen Domänen auch als ‚Sheriff‘ kennt. Als ich den Brief von Arjen erhielt, brachte ich euer Anliegen bei den Räten der Stadt vor und es wurde beschlossen, dass ihr das Aufenthaltsrecht in Brügge erhalten sollt. Diese Stadt ist nun auch die eure, wenn ihr denn wünscht.“ Er schenkte ihr ein aufmunterndes Nicken. „Gehe ich recht in der Annahme, dass ihr noch keine Unterkunft gefunden habt? Wenn ihr möchtet, führe ich euch ins Elysium, das euch vorerst als Bleibe dienen kann. Auf dem Weg dorthin werde ich euch die wichtigsten Dinge über diese Domäne berichten. Danach vermögt ihr wahrscheinlich zu entschieden, ob ihr in Brügge zu bleiben wünscht.“ Jan sah zu ihr herunter und sie fragend an.

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 Betreff des Beitrags: Re: Tempus fugit 1228 (Luisa)
BeitragVerfasst: Sa 2. Mär 2019, 14:41 
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Registriert: Sa 20. Okt 2018, 12:43
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Ihre Befürchtung so offen ausgesprochen zu hören, hätte sie erröten lasen, wäre sie noch lebendig gewesen. So senkte sie nur den Blick, um dem seinen auszuweichen. Sie war wohl zu sehr daran gewöhnt, dass alle Mannsleute sie begehrten. Doch van Hauten schien ihrem Meister nicht nur äußerlich zu gleichen: Der Hidalgo war ein Mann des Geistes, dem das Fleisch nichts galt. Das ewig lockende Weib – bei ihm war es machtlos, ebenso wie die Gier nach Gold, nach Vergnügen und ähnlichen Verlockungen. Er wäre ein vorbildlicher Mönch gewesen, hätte er auf Gott und die Kirche auch nur das Geringste gegeben... sie sah wieder auf, überdachte die Worte ihres Gegenübers und zuckte kaum merklich zusammen. 'Sofern das Eure Absicht ist' hatte er gesagt..? Entweder wusste er mehr über sie, als ihr angenehm war, oder ihr interessierter Blick für seinen Körper war ihm nicht verborgen geblieben. Jedenfalls traf seine Bemerkung ihren Stolz, und sie biss sich auf die Lippen. Als sei sie eine Heuchlerin, die nur vorgab... Andererseits war es wirklich ein Jammer.

Dass aber auch ausgerechnet so attraktive Männer bevorzugt den Weg des Asketen zu beschreiten schienen? Welche Dummheit, wenn Mann und Weib doch füreinander geschaffen waren! Und wenn man sich denjenigen aussuchen konnte, in dessen Armen man eine Nacht verbrachte... Sie wurde durch van Hautens tiefe Stimme wieder aus ihren unzüchtigen Gedanken gerissen. "Einen Gefallen. Ich verstehe" murmelte Louisa mit einem unterdrückten Seufzer Immerhin in diesem Punkt schien hier alles wie von Würzburg gewohnt: Gefallen warn die gängige Währung unter den Kindern der Nacht. Und stets waren es die Jungen, die den Alten Gefallen schuldeten. Ob es nun einzelne waren oder die Herren der Stadt als Ganzes. Doch was blieb ihr anderes übrig? "Ja, ich verstehe, und ich wünsche hier zu bleiben" verkündete sie mit halbwegs fester Stimme, auch wenn ihr nicht ganz wohl dabei zumute war. Hinter dem Gefallen mochte sich wer weiß was verbergen... "Ich wäre Euch sehr dankbar" erwiderte sie auf sein Angebot, wusste sie doch wirklich nicht, wohin. "Wie werdet Ihr angesprochen? Mit Eurem Titel?" erkundigte sie sich, während sie langsam aufstand. Der Prinz Würzburgs konnte recht unangenehm werden, wenn man ihm den geforderten Respekt nicht zollte, jedenfalls in der vampirischen Öffentlichkeit.

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 Betreff des Beitrags: Re: Tempus fugit 1228 (Luisa)
BeitragVerfasst: So 3. Mär 2019, 11:23 
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Jan van Hauten schien ihr Unwohlsein nicht zu bemerken, oder überging es geflissentlich. Über ihre Frage nach der Art wie man ihn anzusprechen habe, schien er ein wenig verwundert. „Die meisten in der Stadt nennen mich ‚van Hauten‘. Ihr mögt gerne ebenso verfahren.“ Er beugte sich nach vorne, legte die Ellbogen auf die Knie und verschränkte die prankenhaften Hände ineinander. „Wir halten uns in dieser Stadt an die Traditionen. Die zweite Tradition, die der Domäne, wird allerdings bei uns nicht so ausgiebig geachtet, da keine Domänen an einzelne verteilt werden: Jeder mag dort jagen, wo es ihm gefällt, jeder schuldet dem anderen Respekt, egal wo in Brügge er sich aufhält.“ Er erhob sich. „Begleitet mich doch ein Stück zum Elysium.“ Jan van Hauten reichte ihr die Hand um ihr aus dem Sessel zu helfen. „Bei uns in Brügge ist einiges ähnlich wie in anderen Domänen, manches jedoch ganz anders. Es mag euch vielleicht irritieren, aber den niederen Clans wird hier ebenso viel Respekt erwiesen wie den hohen. Ähnlich verhält es sich bei uns mit alten und jungen Kainiten. Wir haben zwar einige, die durchaus den Status Ancilla oder Ahn ihr eigen nennen könnten, aber sie verlangen nicht den Respekt, der ihnen in anderen Städten vielleicht zustünde.“
Er wartete auf sie und verließ den Raum um dem Ausgang zuzuschreiten. Er griff nach einem langen, dünnen Mantel, den er sich um die Schultern legte und einem glänzend polierten, markanten Breitschwert, das er am Gürtel verstaute.

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Sie verließen das Anwesen und wanderten über die kopfsteingepflasterten Straßen. Jan van Hauten wählte schließlich einen Weg, der wenig benutzt wurde. Die Bewohner der Gassen schliefen in ihren Betten und niemand ließ sich weit und breit blicken. Ein im Dunkeln schlaftrunken von Laterne zu Laterne stolpernder Nachtwächter schien der einzige Bewohner der ganzen Stadt zu sein. Sie gingen in der Mitte der Straße und Louisa konnte sicher sein, dass ihr leises Gespräch von keinen Ohren außer den ihren gehört werden konnte.
„Es gab Zeiten“, fuhr der breitschultrige Hüne fort, „in denen es in Brügge anders war. Eine Lasombra, die Marionette eines Tremere namens Orlando Oriundus, war Prinz der Stadt und regierte mit eiserner Hand. Der Tremere, so fanden einige Kainitenvor rund zwanzig Jahren schließlich heraus, war dabei die Stadt zu seinem eigenen Bollwerk auszubauen. Gargylen durchstreiften in seinem Namen die Stadt, Häuser wurden zu seinen magischen Bollwerken. Als die Kainiten ihn anklagten, ließ der Tremere die Blutjagd auf sie ausrufen und damit begann zwischen ihnen ein Kampf um die nackte Existenz, den Oriundus schließlich verlor. Mein Erzeuger, der damals das Amt des Truchsesses inne hatte, stellte sich auf die Seite der anderen Kainiten, und ich mich, als gerade gezeugtes Kainit, mit ihm. Nach der Vernichtung des Tremere übernahmen die Kainiten, die gegen ihn gekämpft hatten, die Stadt. Es gab hitzige Diskussionen darüber, wie dir Stadt in Zukunft zu führen sei: sollte einer zum Prinz ausgerufen werden, sollte das Amt wechseln? Schließlich entschied man sich mit einem Blick auf das Ratssystem, das in vielen flandrischen Städten regiert, dazu einen Großen Rat zu gründen, der gemeinsam über die Belange der Stadt entscheidet. Als nach einigen Jahren weitere Kainiten um ein Bleiberecht in Brügge baten, gründete man zudem einen Kleinen Rat. Heutzutage befasst sich der Kleine Rat mit den Anliegen der Stadt, der Große, der ein Vetorecht bei Entscheidungen besitzt, eher mit den Belangen auf ‚außenpolitischer‘ Ebene. Wenn ihr euch entscheidet zu bleiben, steht euch ebenfalls ein Platz im Kleinen Rat zu.“ Er sah zu ihr herunter und schien erkunden zu wollen, ob diese Tatsache ihr zu gefallen oder sie eher zu irritieren schien. Er zuckte mit den Schultern. „Etwas unkonventionell, aber bisher funktioniert es.“

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 Betreff des Beitrags: Re: Tempus fugit 1228 (Luisa)
BeitragVerfasst: Mi 6. Mär 2019, 20:24 
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Louisa nickte. "Ich verstehe. Dann werde ich es so halten wie alle." Sie wirkte ihrerseits verwundert über van Hautens galante Geste, streckte ihm aber nach kurzem Zögern mit einem leisen Lächeln die Hand elegant entgegen, um sich aufhelfen zu lassen – offenbar war ihr beigebracht worden, sich wie eine Dame zu benehmen. "Sehr interessante Regeln habt Ihr in Eurer Stadt, und sehr angenehme" bemerkte sie zufrieden. Es würde eine ungemeine Erleichterung sein, sich in ihren allnächtlichen Aktivitäten halbwegs frei bewegen zu können, ohne die ständige bange Frage, welchen Alten sie womöglich mit einem unvorsichtigen Schritt gegen sich aufbringen mochte. Ja, vielleicht würde der Neuanfang in dieser Stadt ein guter werden... immerhin ließ er sich bis jetzt gut an! Sie sah dem Kainiten zu, wie er sein Schwert gürtete, und strich sich dabei geistesabwesend die Röcke glatt. An der Tür angelangt, senkte sie in einer demutsvollen Haltung den Kopf und hielt sich zwei Schritte hinter ihm. Würde er sie fragend anschauen, so würde sie ihm fröhlich zuzwinkern und flüstern: "Um den Anschein vor Eurer Dienerin zu wahren – Ihr könnt Euch doch kaum mit einer simplen Magd an Eurer Seite zeigen, oder?" Worauf sie ihm folgte, als sei sie vor Ehrfurcht halb erstarrt und heilfroh, von einem so hohen Herrn empfangen worden zu sein. Lediglich wenn er unter den Sichtschutz spähte, den ihr die Haube mit ihrem gerüschten Saum bei gesenktem Haupt bot, würde er das verräterische Schmunzeln sehen, das um ihre Lippen spielte. Die junge Brujah schien das Schauspielern regelrecht zu genießen.

Erst im Freien angelangt schritt sie wieder selbstbewusster aus, hielt sich aber dennoch stets einen halben Schritt hinter ihm – genug, um zufällige Betrachter nicht mit dem unstimmigen Bild eines wohlhabenden Manens und einer einfach gekleideten Dienerin zum Nachdenken zu bringen, die wie Gleichrangige oder gar Vertraute miteinander dahinspazierten. Diese Tarnung befriedigte ihr Bedürfnis nach Sicherheit, aber sie war ihr auch nicht im Wege, als sie ihrem Führer durch Brügges Gassen zuhörte. "Es scheint überall dasselbe zu sein" murmelte sie halb zu sich selbst. "Immer hat irgendjemand die Macht in der Hand und hält sie in eisernem Griff, und stets sind alle irgendjemandes Marionetten." Die junge Frau klang bitter: Sie schnaubte unwillig. Doch sie schien sich rasch wieder zu fangen. Zu wichtig und zu erstaunlich waren van Hautens Schilderungen für sie. "Ein Platz in einem Rat der Stadt?" erkundigte sie sich verwundert und beglückwünschte sich innerlich zu ihrem unvermuteten Aufstieg: Ratsfrau... das hatte einen guten Klang, auch wenn abzuwarten blieb, welche praktischen Auswirkungen dieses Amt haben würde, das offenbar ein jeder in der nächtlichen Gemeinde innehatte. Louisa versuchte jedoch Ernst und Würde auszustrahlen, als sie erwiderte: "Wenn es so Sitte in Brügge ist, folge ich ihr natürlich." Darauf schloss sie noch ein wenig zu van Hauten auf und musterte ihn von der Seite. "Sagt, mich interessiert noch etwas... gibt es andere Angehörige meiner Blutlinie hier?" Sollte er ein guter Menschenkenner sein, würde er nicht umhin können, eine gewisse Anspannung in ihrer Stimme zu registrieren.

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 Betreff des Beitrags: Re: Tempus fugit 1228 (Luisa)
BeitragVerfasst: Mo 11. Mär 2019, 13:45 
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Der hochgewachsene Mann schüttelte das Haupt. „Nein, in den letzten Jahrzehnten hat kein Brujah Brügge zu seiner dauerhaften Bleibe gewählt. Ich hoffe, das betrübt euch nicht?“ Er spähte zu ihr herab und wartete einen Moment um sie besser in Augenschein nehmen zu können. „Vielleicht mag es euch erfreuen zu hören, dass Gent, die Hauptstadt Flanderns und Teil eines Städtebundes, dem wir mit Brügge auch angehören, derzeit von einer Brujah geleitet wird: Margarete Borluut.“ Er sah sie an, versuchte vermutlich an ihrem Gesicht abzulesen, ob ihr der Name etwas sagte.
"Nein, das tut es nicht" versicherte sie eine Spur zu schnell und zu sicher, als dass man ihr nicht eine gewisse Erleichterung angemerkt hätte. Dabei spähte sie zu ihm hoch, so dass sie sich direkt in die Augen sehen konnten. Das jugendliche, hübsche Gesicht, von der Haube und einigen vorwitzigen Locken umrahmt, wirkte offen und ehrlich. Sie sah nicht aus, als lüge sie ihn an – oder sie war wirklich eine brillante Schauspielerin. Bei einer Kainitin allerdings auch nicht undenkbar... Der Name der Genter Herrscherin wiederum schien ihr nichts zu sagen. Zumindest beunruhigte er sie nicht. Eher im Gegenteil: "Eine Frau? Eine Frau, die über eine Stadt herrscht?" erkundigte sie sich freudig-überrascht und sichtlich auch interessiert. Das schien ganz Gedankengänge in ihrem Kopf in Gang zu bringen.
Sein Gesicht zeigte keine Regung, schien ihre Gedanken nur nachvollziehen zu wollen. „In Gent wählen sie alle zehn Jahre das Amt des Prinzen, aber Madame Borluut schaffte es bereits vier Mal die meisten Stimmen auf ihre Seite ziehen zu können. Es gibt Kainiten, die munkeln, in Gent wären alle zu faul um sich für das Amt zu interessieren.“ Er verzog die Lippen zum Hauch eines Lächelns, beschwichtigte jedoch im gleichen Moment seinen Scherz wieder. „Das ist natürlich Unsinn.“ Er sah sie wieder an. „Es hat nichts sonderbares an sich, dass eine Frau die Geschicke einer Stadt zu lenken versucht. Wir Kainiten haben unsagbar viel Zeit und die Möglichkeit aus den Rollen, die die Welt uns auflegt, herauszuwachsen. Die Höfe der Liebe in Frankreich, beispielsweise, werden von einer Frau angeführt. Fast jeder fähige Kainit hat Ratgeber beiderlei Geschlechts. Und eines darf man dabei nie vergessen: beide, egal ob Mann oder Frau, vermögen auf ihre Art gleich gefährlich zu sein.“
Während Louisa neben ihm her ging, senkte sie wieder den Blick. Sie machte einen nachdenklichen Ausdruck. Ihre Augen ruhten auf den Spitzen ihrer Schuhe, die jedes Mal hervorblitzten, wenn sie mit langsamen, aber irgendwie lebhaft wirkenden Schritten ihre Röcke ein Stück hochwarf. Dabei zupfte sie hier und da an ihrer Haube herum, ringelte eine lange Haarsträhne um den Zeigefinger, kaute an ihrer Unterlippe – kurz sie sah aus, als ob sie zunehmenden Gefallen an ihren Gedanken und an den Worten ihres Begleiters fände. Schließlich sah sie wieder zu ihm hinauf, lächelte – diesmal eher unternehmungslustig als verschmitzt – und meinte: "Oh, wenn es wahr wäre, was Ihr sagt..! Ich muss mich erst noch daran gewöhnen. Mein Meis... man hat mir viel von der Politik allgemein erzählt, auch unter unseresgleichen, aber ich war stets davon ausgegangen, es sei wie bei den Sterbliche." Sie raffte ihren Überrock leicht mit einer Hand, besah sich den Saum des Unterrocks, als sei im Muster der einfachen Spitze irgendein Geheimnis verborgen, und murmelte: "Ihr könnt nicht wissen, wie das ist, wenn man als Mädchen geboren wird: Man weiß, dass man niemals etwas zu sagen haben wird, dass man all die Möglichkeiten nicht hat, die ein unternehmender Mann, ein mutiger und geschickter Mann hat, selbst wenn man alles das auch vorweisen könnte! Und nun sagt Ihr mir, dass es unter den Nachtkindern ganz anders ist. Das ist..." Sie schüttelte den Kopf. Ihr fiel gar kein Wort dafür ein. Aber etwas regte sich in ihr, das konnte man unschwer erkennen. Unsicher noch und zögerlich.
Er lauschte ihren Worten, er schien jedoch nicht recht zu wissen, was er weiter sagen sollte und schwieg statt dessen. Schließlich fügte er doch eine weitere Frage an. „Seit wie vielen Jahren seid ihr in den Kreisen der Kainiten aufgenommen worden?“
Sie ließ den Stoff los, und im Handumdrehen waren ihre Füße wieder seinen und ihren Blicken entzogen. "Es... sind noch nicht viele Jahre" erwiderte sie leise und mit abgewendetem Blick, als sei es ihr peinlich, das zuzugeben – oder, für einen unbedarften Beobachter, als sei der junge Frau die Frivolität ihrer Gesten gerade zu Bewusstsein gekommen. Dabei würde er kaum den Eindruck gewinnen, dass sie Scham darüber empfand, die Reize ihres Körpers zu inszenieren. Vielmehr schwangen Unsicherheit und ein gewisses Maß an Trotz mit, als sie fortfuhr: "Aber ich habe schon genug erfahren, um zu wissen, dass nicht alle so denken wie Ihr. Viele von den alten Männern" – aus ihrem Mund klang das wie eine Beleidigung – " in den Elysien glauben, dass die Frau nicht den nötigen Weitblick hat, um Entscheidungen zu treffen. Sie haben es im Leben geglaubt und glauben es im Tod! Aber Ihr..." Sie spähte zu ihm hoch. "...Ihr seht es doch anders, ja?"
Er prustete los und unterdrückte nur mit Mühe das laute Geräusch. „Ihr habt durchaus Recht, aber bedenkt folgendes: Manche Alten halten alles und jeden für unwürdig und unfähig. Da spielt das Geschlecht keine Rolle. Der Junge ist ihm zu naiv, das Weib vom Teufel besessen, der Mann aus dem fremden Land unwissend, der Alte zu gefährlich. Und da schließt sich der Kreis. Es gibt niemanden mehr, dem sie vertrauen, niemandem den sie an ihrer Seite dulden könnten. Und das ist die Gefahr, die zu ihrem Untergang führen kann.“ Er schien zu überlegen. „Habt ihr Fragen Brügge betreffend?“
Für einen Moment schien sie unsicher, ob er über sie lachte – zwar musste sie zu ihm aufsehen, doch ihre Augen blitzten wütend, als sie die Hände in die Hüften stemmte und ihr Kinn kampflustig reckte. Da er jedoch sofort wieder ernst wurde, hatte ihr Zorn keine rechte Zeit mehr, auszubrechen, ehe der Anlass wieder vorüber war. Sie wusste plötzlich nicht wohin mit ihren Händen, schob sie halb verlegen unter die Schürze und wippte einige Male auf den Füßen, ehe sie sagte: "Vielleicht habt Ihr recht. So habe ich es noch nie betrachtet..." Wieder wirkte sie nachdenklich. Irgendetwas oder irgendjemand ging ihr wohl im Kopf herum. Seine Frage riss sie aber sehr schnell wieder in das Hier und Jetzt zurück. "Oh ja, einige. Welche von unserer Art muss ich hier kennen?" Das war ihr dann doch die wichtigste, und so musterte sie ihn äußerst gespannt.
Er überlegte einen kurzen Augenblick. „Vielleicht solltet ihr die älteren Kainiten in Brügge kennen? Es gibt einen Heiler aus dem Clan der Kappadozianer, Leif Thorson, eine Toreador aus adeligen Kreisen, Lilliana von Erzhausen, einen Nosferatu, den Hauptmann der Nachtwache, einen Gangrel namens Lucien Sabatier…“ er zögerte einen Moment, sprach es dann jedoch in raschem Tempo aus, so als wolle er es hinter sich bringen. „… und eine Tzimiske, namens Alida van de Burse. Des weiteren eine Anzahl Kainiten, die in den letzten Jahren hier ihre Domäne gefunden haben. Fühlt euch frei alle Fragen auszusprechen, die ihr habt. Ich werde sie euch so gut ich kann beantworten.“
Sie nickte einige Male vor sich hin, während sie versuchte, die Lektionen des Hidalgos zur Geschichte der Clans in ihr Gedächtnis zu rufen. Louisas Meister war, das musste sie bei allem Groll zugeben, ein wahrer Gelehrter, dessen Wissen den gesamten Erdkreis zu umfassen schien. Jedenfalls hatte die junge Frau in all den langen Nächten keine Fragen gefunden, auf die er nicht hätte antworten können. Und sie hatte von ihm viel gelernt... "Sind nicht die Tzimisce" sie sprach das Wort mit einem hörbaren Zungenschlag aus "mit den Nosferatu und den Gangrel verfeindet?" Dabei versuchte sie leichthin zu klingen, doch sie lauschte sehr aufmerksam auf seine Antwort. Es wäre sicherlich gut, von Rivalitäten, unterdrücktem Groll, Feindschaften gar der hiesigen Kainiten zu wissen. Und van Hautens Zögern und Widerwillen waren deutlich genug hörbar gewesen. Überhaupt... "Ist denn nicht das Stammland des Tzimisce..." Sie überlegte, stellte aber zu ihrer Verärgerung fest, dass sie den Lektionen des Hidalgo nicht immer mit aller Aufmerksamkeit gefolgt war. Zu verlockend waren ihre neuen Kräfte, waren all die Abenteuer und hübschen jungen Männer gewesen, die in den Nächten auf sie gewartet hatten. "...weit von hier im Osten?" wagte sie sich mit ihrem Halbwissen vor.
Er knirschte mit den Zähnen. „Ihr seid gut informiert… Sehr gut. Dann wisst ihr sicher auch, dass bis vor wenigen Jahren ein gewaltiger Krieg zwischen dem Lehen des schwarzen Kreuzes, Deutschland, genauer gesagt, dem obersten Ventrue Hardestadt und dem Osten unter dem Drachen Rustovich stattgefunden hat. Derzeit ist ein Waffenstillstand geschlossen, aber wer weiß, wie lange der noch dauern wird?“ Er seufzte. „Die Tzimiske, die in Brügge lebt, ist ein eher untypischer Schlag, aber es steht mir nicht zu, diesbezüglich zu urteilen. Wir werden bald im Elysium ankommen. Der Kainit, der es verwaltet, ein Toreador namens Frederik van de Burse, wird euch mehr berichten können. Anhand des gleichen Familiennamens könnt ihr euch sicher bereits denken, dass beide weitläufig miteinander verwandt sind.“
Als sie bemerkte, dass sie einen wunden Punkt berührt zu haben schien, biss sich Louisa auf die Lippen. Mit van Hauten wollte sie es sich nicht gleich verderben – und offenbar war ihm dieses Thema sehr unangenehm. Darum beeilte sie sich, leichthin zu sagen: "Ja, ich hörte davon, habe mich aber, wohl dummerweise, nicht sehr dafür interessiert. Vom Kriegswesen verstehe ich zu wenig, von dem der Sterblichen wie auch von den heimlichen Kriegen unter den Clans. Ich bringe so wenig Geduld auf für all die Feinheiten, die Winkelzüge von Feldherren und Intriganten." Seine weiteren Erläuterungen nahm sie ebenfalls gespannt auf, doch sie sann gleichzeitig darauf, wie sie den peinlichen Schwenk des Gesprächs wieder überspielen könnte. Und verfiel auf eine Idee, mit der sie bislang meist gute Erfolge erzielt hatte: Dem männlichen Ego van Hautens zu schmeicheln. "Ich bin schon sehr gespannt, es kennen zu lernen und-" In diesem Moment trat sie sich scheinbar unabsichtlich auf den Rocksaum, stieß einen leisen, erschrockenen Ruf aus und stolperte. Allerdings derart, dass er nur seine Arme zu öffnen brauchte, damit sie ihm direkt in dieselben fiel und mit einem dankbar-beschämten Lächeln sagen konnte: "Habt Dank, ich war unaufmerksam. Und Ihr sehr schnell und galant." Dass es nicht unangenehm war in seinen Armen, das musste sie nicht einmal vortäuschen.
Er war eindeutig überrumpelt, als die unbekannte Dame ihm in die Arme geflogen kam. Ihre Ablenkungstaktik ging geschickt auf. Sorgsam, als könnte sie jeden Moment erneut fallen, schob er sie von seiner Brust fort, half ihr wieder auf die Füße und musterte sie genau und skeptisch, ob nicht ein erneuter Umstand es nötig machen könnte, dass sie wieder ins Straucheln käme. „Ich werde euch einen Schneider ins Elysium schicken, der euch bei der mit eurer Gewandung behilflich sein wird, wenn ihr so freundlich seid, diese kleine Geste anzunehmen.“ Er trat rasch einen Schritt zur Seite und deutete in die Dunkelheit. „Dort vorne ist bereits das Elysium. Wir sind bald da.“ Er wirkte fast ein wenig erleichtert. Er mied ihren Blick und schritt erneut aus. Aus den Schatten der Nacht schälte sich ein Gebäude, das in warmes Kerzenlicht, das durch die Butzeglasscheiben brach, getaucht schien. Auf einem silbern blinkenden Schild, das über der Tür der Herberge hing, war eine Jungfrau mit Schwert in blutigem weißen Kleid zu sehen.
Der kleine Trick begann ihr auch Spaß zu machen. Nicht nur, weil er gelungen schien, sondern weil ihr das Spiel mit dem Feuer namens Mann stets schon Vergnügen bereitet hatte. Da sie zudem relativ mittellos in Brügge angekommen war, erwiderte sie umso aufrichtiger: "Ihr seid ein Edelmann – ich danke Euch und nehme Euer Angebot gern an!" Ja, an ihrer Kleidung missfiel ihr so manches... " Sehr bereitwillig würde sie sich bei ihm unterhaken, wenn er ihr die Gelegenheit dazu gäbe, ihre Rolle als einfache Magd ganz vergessend und sich vielmehr dem erhebenden Gefühl hingebend, von einem ansehnlichen, sichtlich vermögenden Mann wie van Hauten geführt zu werden, als sei sie eine Edelfrau. Würde sie allerdings spüren, dass ihn ihre Nähe in Verlegenheit brächte, so würde sie, mit einem lautlosen Seufzer, auf eben jenen Genuss verzichten. Einerlei, ob an seinem Arm oder nur an seiner Seite, betrachtete sie interessiert das Schild und das Gebäude, das ein Elysium gänzlich anderer Art als das in Würzburg schien.
Noch bevor sie einen Versuch machen konnte sich bei ihm einzuhaken, drehte er sich zu ihr, so dass nun nur seine Brust und nicht mehr der Arm in Reichweite waren, und machte eine etwas übertrieben ausladende Handbewegung, die fast ein wenig abwehrend wirkte. „Die Herberge zur blutigen Jungfrau.“ Er schritt schneller aus. „Es gibt natürlich einen Haupteingang, aber wir nächtlichen Wanderer bevorzugen einen kleinen Seiteneingang. Folgt mir doch!“ Sein Ziel war eine kleine, aber schön gearbeitete Pforte, die sich am Absatz einer kleinen Treppe ausmachen ließ. Er ging darauf zu und klopfte an der Tür an. Diese wurde wenige Augenblicke später aufgezogen und dann von einem Diener, als er Jan van Hauten erkannte, ganz geöffnet. „Herr van Hauten! Kommt doch herein!“ Er erblickte Louisa. „Und die Begleitung selbstverständlich auch.“ Er öffnete die Tür noch weiter und verbeugte sich tief.
"Zur blutigen Jungfrau? Kein sehr vertrauenerweckender Name" war alles, was ihr als Kommentar einfiel. Zu verblüfft war die junge Brujah von der plötzlichen Geste van Hautens. Es wollte ihrem Ego auch für einen Moment einen Stich versetzen, dass er ihre unterschwellige Annäherung so ignorierte, oder besser gesagt fast schon aktiv abwehrte, wenn auch galant. Aber dann stahl sich ein leises Lächeln auf ihre Lippen. Ein zurückhaltender Mann... dass er ihrem Charme nicht so einfach und sofort erlag, machte ihn eigentlich noch interessanter! In einer koketten Geste schürzte sie mit einer Hand ihre Röcke, ehe er sich von ihr abwenden konnte. Scheinbar, um sich auf das Erklimmen der Stufen vorzubereiten, ohne erneut zu stolpern. Aber doch so geschickt, dass die milchig-weiße Haut ihrer schlanken Fesseln für Momente unter den Säumen hervorlugte. Hierauf folgte sie ihm, innerlich entschlossen, die Festung bei Gelegenheit wieder mit weiblichen Waffen zu berennen – und sehr gespannt darauf, wie viel Erfolg sie damit haben würde. Dem Diener nickte sie leicht zu, dann wartete sie ab, ob van Hauten zuerst eintreten oder sie voran bitten würde. Hier richtete sie sich lieber nach den Sitten der Stadt. Sobald sie die Treppe erklomm, nutzte sie die Gelegenheit halb unterbewusst, das mit leicht wiegenden Hüften zu tun. Ein weiterer kleiner Happen für das männliche Auge, und ein kleiner Spielzug in einem ihrer Lieblingsspiele, das mit dem Tod seinen Reiz für sie nicht verloren hatte, ganz im Gegenteil. Die Sünde lag ihr doch nunmehr wahrlich im Blut!

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 Betreff des Beitrags: Re: Tempus fugit 1228 (Luisa)
BeitragVerfasst: Mo 11. Mär 2019, 21:25 
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„Danke, Per“, wandte sich Van Hauten an den Diener. Er sah zurück zu Louisa, die, nicht mit den Reizen einer Frau geizend, die Treppe emporging. Er schluckte und trat dann einen Schritt zur Seite um ihr Platz zu machen. „Nach euch!“

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Nachdem sie den Diener passiert hatten, dem Van Hauten nur kurz zugenickt hatte, und einen kleinen Vorraum durchwandert hatten, betraten sie das, was man wohl in einem gewöhnlichen Wirtshaus als Schankstube bezeichnet hätte.
Die nackten steinernen Wände wurden an mehreren in Kunstwerke aus Stoff gehüllt, welche mit Stickereien überzogen waren. Die Farben wirkten sehr harmonisch miteinander, so das man fast das Gefühl hatte dieser Ort würde nun Ruhe ausstrahlen, und die manchmal doch so erregten Gemüter zur Beruhigung zwingen.
An einigen freien Stellen erstrahlten Holzschnitzereien am Türrahmen und an den Balken. Überall wo das Auge hinschaute wurde einem bewusst das hier die Schönheit eingezogen war. Die Schönheit die im Detail der Kleinigkeiten lag. Nicht mehr nackte Steine hielten die Decke und die Wände des Elysiums. Wo diese einst waren zogen sich jetzt von steinernen Ranken umwundene Stämme entlang. Die Wände wurden von kleinen Rosenranken erklommen welche sich an den Rändern der Panelle entlangzogen.
In unregelmäßigen zeitlichen Abständen schien sich das Dekor leicht zu verändern, wurden dann die Tücher doch anders gelegt und verhüllten andere Bereiche um wieder andere hervorzuheben. Auf den Bildern waren ineinander übergehende Szenen aus dunklen Wäldern zu erkennen welche von kaum wahrnehmbaren Waldgeistern bevölkert wurden. Selten nur fand sich in den Stichen eine menschliche Gestalt, öfter schon waren hier und da die Tiere des Waldes festgehalten.
Keiner der Stiche hatte feste Grenzen, sondern schien flüssig in ein anders Bildnis überzugehen. Genau erkennen konnte man es nie da die Tücher gekonnt verhinderten dass die einzelnen Bilder ganz zu überblicken waren.
Es schien als habe sich jemand sehr viel Zeit genommen diesem Ort ein neues Kleid anzupassen. All das rustikale, bäuerliche wurde ersetzt durch einen Hauch von Geheimnis und Schönheit, die in der Verhüllung ihre Blüten trug. Man konnte sich nun etwas zurückziehen, sich in eine Ecke setzen, sich auf weiche Kissen fallen lassen, und durch Vorhänge einige neugierige Blicke fernhalten.
So kam es oft vor, dass wenn man in das Elysium eintrat, nicht auf den ersten Blick immer genau wusste, wer am heutigen Abend alles anwesend war.
Louisa konnte jedoch mit ihren scharfen Sinnen ausmachen, dass es an diesem Abend nicht allzu viele Besucher waren: die Geräuschkulisse war eher leise, obwohl aus einem anderen Teil des Gebäudes, in dem sich wohl der offizielle Teil des Wirtshauses für die Sterblichen befand, fröhliche Musik und eindringliches Gelächter zu hören waren. Die Gerüche unaufdringlich und schwach
Jan van Hauten schien sich nicht erst näher umschauen zu müssen. Er ging direkt auf den hinteren Teil des Raumes zu und trat an einen Tisch, an dem ein, im Vergleich zu dem Hünen eher schmächtig wirkender Mann saß und etwas in ein Buch kritzelte. Er hatte glattes, kurz geschnittenes, braunes Haar und eindrückliche blaue Augen.

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Bei ihrer Ankunft blickte er auf, legte die Schreibfeder zur Seite und sah beide an. Er schmunzelte beim Anblick von Hauten. „Du siehst ziemlich fertig aus, alter Freund. Was ist dir denn über die Leber gelaufen?“
Der breitschultrige Mann blieb vor dem Tisch stehen, legte die Pranken auf eine Stuhllehne und grummelte nur „Familienangelegenheiten“ in seinen Bart. Er sah zu Louisa hin und machte eine einladende Geste näher zu treten. „Erinnerst du dich an den Brief meines Bruders, Arjen, von dem ich vor ein paar Monaten erzählt habe? Es ging darin um eine juneg Kainitin, die eventuell in Brügge das Aufenthaltsrecht anfordern würde.“
Der braunhaarige Mann nickte interessiert.
Der Ventrue fuhr fort. „Das hier ist sie.“ Er nickte ihr aufmunternd zu. „Darf ich euch Frederik van de Burse vorstellen, werte Dame? Den Hüter des Elysiums.“

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