Do 23. Jun 2016, 21:59
Leif hatte sich dazu entschlossen zu kommen. Selbst Brunhild und Erik hatten sich bereit erklärt dem Jungen die Freude zu machen, sich den Abend frei zu nehmen und zu erscheinen.
Er wusste, dass auch Karl und Balduin als Teil der Familie eingeladen waren und dort sein würden.
Es war noch früher Abend als die Festlichkeiten beginnen sollten und ein wenig von der zurückgelassenen Helligkeit und Wärme des Tages hing noch an den schindel- oder schiefergedeckten Dächern der Häuser, zwischen den einfachen und prunkvollen Torbögen, flimmerte über die dunkelblauen Kanäle und kämpfte gegen die heranbrechende Nacht.
Am Tor an der kleinen Brücke, die zum Anwesen der van de Burse führte, ließ man Leif und seine Begleitung dieses Mal ohne langen Aufhebens passieren und eine Küchenmagd, die gerade einen Korb Äpfel ins Innere des Hauses trug, deutete nach hinten in Richtung Garten. „Da drauße is‘ s Fest, die Herrschafte‘“
Sie nickte den Hereingetretenen ein Mal zu und verschwand dann durch eine Tür, bei deren Öffnen sofort angenehme Gerüche den Hausgang durchfluteten. Leif roch so etwas wie deftigen Rübeneintopf, würziges, gebratenes Fleisch, etwas, das vielleicht mal Äpfel in Sahnesoße werden sollte, knuspriges Brot und süßen Kuchen.
Der Garten war prächtig geschmückt. Zwischen den Zweigen der hohen Apfelbäume hatte man Lampions aufgehängt, die alles in behagliches orangenes Licht tauchten, an manchen Stellen waren kleine Feuerstellen aufgebaut, auf bunt gedeckten Tischen häuften sich Speisen und Getränke.
Leif konnte überall fremde und flüchtig bekannte Gesichter erkennen. Überwiegend waren es Mitglieder der Familie van de Burse, die beieinanderstanden, aßen, den neuesten Klatsch und Tratsch austauschten, dann und wann doch nicht aus ihrem Element kamen und das Gespräch wieder auf die letzten Handelsrouten und -geschäfte lenkten. Es wurde sich auf die Schultern geklopft und ordentlich dem vor mehreren Wochen angesetzten Kirschwein zugesprochen, wie Leif an den geröteten Gesichtern und dem deftigen Lachen erkennen konnte.
Der Heiler bemerkte Alida, die neben Marlene stand und etwas besprach, Jean, der ein Fass zu einem Tisch umfunktionierte, Lucien, der ihm dabei half und immer wieder sehsüchtige Blicke in Richtung mehrere schäumender Bierhumpen warf, Georg, der ein paar Knechten Anweisungen gab, Balduin, Karl.
Leif erblickte jede Menge Kinder, die miteinander durch die Hecken tollten, Fangen und Verstecken spielten und dabei ausgelassen kreischten. Keines davon war Hendrik, da war er sich sicher. Er entdeckte den Jungen schließlich in hundert Meter Entfernung in der Nähe eines kleinen Kiesweges, der zur Koppel führte. Er saß neben einem jungen, dunkelhaarigen Mann auf einem Zaun, fütterte ein paar Pferde mit Äpfeln und schien an dem ganzen Treiben nicht wirklich teil zu haben. Leif bemerkte sofort, dass der Ältere versuchte den Knaben aufzumuntern und sein Lachen hatte etwas, das zum Einstimmen einlud. Als hätte der Junge Leifs Anwesenheit bemerkt wandte er sich um und sah die Neuankömmlinge an. Er erwiderte noch eine Bemerkung seines Gesprächspartners, dann hüpfte er vom Zaun und kam mit eiligen Schritten auf sie zu. Hendrik blieb vor Leif stehen und strahlte übers ganze Gesicht.
„Ihr seid wirklich da?“ Kurz kaute er auf seiner Unterlippe. „Marlene hat gesagt, dass Ihr vielleicht nicht kommen könnt. Weil ihr wichtige Leute seid und viel zu tun habt.“
Leif ließ die Szenerie auf sich wirken und konnte sich ein kleines Lächeln nicht verkneifen als er Hendrik, den Mittelpunkt des Geschehens erkannte, der sich dem ganzen Trubel entziehen zu schien. Das war in der Tat Hendrik, wie er ihn kennen gelernt hatte, und noch bevor er sich einen der anderen Anwesenden begrüßte ging er in die Richtung der Hauptperson des Abends.
“Hallo Hendrik.” Leif lächelte dem Jungen breit zu und ging ihm entgegen. “Ich wünsche dir alles Gute zum Namenstag. Wenn ich es nicht besser wüsste, dann würde ich denken, dass dies schon dein zwölfter Sommer ist und nicht erst dein achter.” Er schüttelte ihm die Hand und legte ihm einen Arm auf die Schulter. Leif mochte Kinder, insbesondere, wenn sie Geduld und Interesse zeigte, so wie Hendrik und noch vor kurzer Zeit hätte er jedem, der ihm gesagt hätte, er würde freiwillig das Anwesen der Familie van de Burse für einen Kindergeburtstag besuchen, eine schwere Geistesstörung attestiert. Nun es kommt immer anders als man denkt, dachte sich der Salubri. Schließlich ging er auf die Aussage des Jungen ein. “Weißt du Hendrik, ich würde mir deinen Namenstag doch nicht entgehen lassen, wenn ich es irgendwie verhindern kann. So wichtig kann man gar nicht sein.” Leif lachte kurz. ”Ich hoffe dir gefällt die Feier. Aber kommen wir zum wichtigen Teil. Willst du dein Geschenk haben?”
Das Strahlen des Jungen wurde noch breiter als Leif verkündete, dass es ihm wichtig gewesen war, persönlich zu kommen. Die Worte schienen dem Knaben wirklich etwas zu bedeuten. Etwas ruhiger fügte er ein leises „Danke“ hinzu und begrüßte dann auch Brunhild und Erik. Karl hatte die beiden offensichtlich ebenfalls erspäht, kam mit breiten Schritten auf alle zu und führte den blonden Mann und seine Ziehmutter nachdem ein paar freundliche Begrüßungsfloskeln ausgetauscht worden waren, zu einem der Tische an dem er zuvor bereits Platz genommen hatte. Offensichtlich war es ihm wichtig, dass sie einen entfernten Verwandten, ebenfalls Schmied, kennen lernen konnten, der nur noch kurz verweilen konnte. Für weitere Gespräche würde später noch Zeit sein.
Leif war mit Hendrik allein. „Vielen Dank, dass ihr mir ein Geschenk mitgebracht habt.“ Mit der für das Alter typischen Neugierig schielte der Junge auf den Mantel des Heilers.
Inzwischen hatten auch Brunhild und Erik zu den beiden aufgeschlossen und gratulierten Hendrik ebenso zu seinem Ehrentag. Die Nordfrau hatte die langen blonden Haare zu einer kunstvollen Frisur geflochten und trug einen blutroten Mantel mit Fellbesatz, der noch immer in einer kräftigen Farbe strahlte, auch wenn offensichtlich war, dass er schon bessere Tage gesehen hatte.
Erik wirkte dagegen wie ein direkter Gegenpol mit dem braunen Lederwams, sowie seinen kurzen Haaren und das obwohl sich die beiden so ähnlich waren.
“Danke für die Einladung”, sagte Erik mit seiner melodischen Stimme und dem nordischen Akzent, der noch immer sein Flandrisch begleitete. “Ich freue mich dich wieder zu sehen, Hendrik.” Brunhild überreichte dem Jungen ein kleines Paket, Erik ihm ein sehr viel Größeres und dann verschwanden beide auch schon wieder mit Karl. Brunhilds Gesicht verriet, dass andere Schmiede ihr in letzter Zeit nicht die liebste Gesellschaft waren, setzte aber trotzdem offensichtlich um Karl einen Gefallen zu tun, eine freundliche und interessierte Miene auf. Leif sah schließlich die Blicke des Jungen als sie alleine waren und zog einen langen Holzzylinder unter seinem Mantel hervor und grinste breit. “Also Hendrik, welches Geschenk willst du zuerst aufmachen?”
Der Junge wirkte überrumpelt über so viele Gaben, die man ihm anscheinend vermachen wollte. Er sah zu dem Heiler hinauf. „Welches soll ich denn eurer Meinung nach zuerst aufmachen?“
Leif lachte. "Das ist ganz egal." Der Salubri schloss demonstrativ die Augen und griff in den kleinen Haufen, nur um aller Wahrscheinlichkeit zum Trotz das kleinste Päckchen zu greifen, welches in ein einfaches, ungefärbtes Stück Leinen gewickelt war. Zum Vorschein kam schließlich ein kleiner Anhänger.
Leif erklärte schließlich dessen Bedeutung zu dem Jungen. “Das Hendrik, ist ein Glückssymbol aus Brunhilds, Eriks und meiner Heimat. Es ist das Abbild von Mjölnir, der Hammer des Gottes Thor. Eine mächtige Waffe.” Leif schmunzelte kurz. “Aber wenn dich irgendjemand fragt, dann kannst du auch immer behaupten, dass es sich um ein ganz normales Kreuz handelt´, welches nur ein wenig aus der Form geraten. Dann weißt nämlich nur du und ein paar wenige Andere, was es wirklich bedeutet.” Leif griff schließlich zu dem größten Paket, das in den identischen Stoff gehüllt war und nachdem Hendrik die Umhüllung öffnete kam eine kleine Harfe aus Holz zum Vorschein.
“Die ist von Erik. Er sagt immer, dass Musik eines der schönsten Dinge ist, die uns Menschen geschenkt wurden und er meinte da du ja so viel Interesse an Musik gezeigt hast, ist dies eine perfekte Gabe für dich.” Das Instrument war einfach und weit davon entfernt etwas Außergewöhnliches zu sein, aber es war in jedem Falle perfekt um ein paar Grundlagen zu erlernen. Beide wussten, dass Erik es war, der die kleine illegale Taverne mit der irischen Harfenspielerin zuerst entdeckt hatte und sie gingen dort gelegentlich zusammen hin, wenn Zeit und Umstände es erlaubten. Das letzte Geschenk, aus dem Holzzylinder befreit, war eine große Pergamentrolle auf der Landmassen, Meere, Flüsse und Städte eingezeichnet waren. “Das, mein lieber Hendrik, ist mein Geschenk. Ich weiß ja, wie sehr dich die Welt interessiert, aber es wird sicherlich auch noch eine Weile dauern bis du sie selber bereisen kannst. Deshalb dachte ich, wenn du nicht in die Welt kannst, dann bringe ich die Welt einfach zu dir.” Leif öffnete die Karte ganz und beschwerte die Enden jeweils mit leeren Tonkrügen. “Ein arabischer Gelehrter hat diese Karte gefertigt als er am Hofe eines französischen Königs gedient hat und ich dachte, wenn dich mal wieder die ewige Neugier packt dann kannst du sie hiermit ein wenig stillen.”
Hendrik war der Mund offen stehen geblieben angesichts dieser Geschenke. Fast andächtig, als handle es sich um heilige Reliquien fuhr er mit den Fingerspitzen über den kleinen Hammer, das gleichmäßige, fein polierte Holz und die feinen, sofort sanft schwingenden Saiten der Harfe. Er lauschte dem kaum hörbaren Klang, betrachtete den Anhänger noch einen Moment, nickte dann fast wie zu sich selbst und hängte sich das Kleinod um den Hals. Dann berührte er das dritte Geschenk und seine Augen wanderten über die blauen Meere, die rundlichen Seen, Städte und Länder.
„Das ist wunderschön.“ Er sah zu Leif hoch und strahlte. „Da ist London… und das da unten muss Genua sein.“ Begeistert zeigte er auf eine kleine Stadt. „Hier sind wir! Brügge!“ Er lachte leise. „Leif? Wo ist der Osten?“ Seine Augen suchten grübelnd die Karte ab.
Leif freute sich ehrlich, dass Hendrik die Geschenke so gut gefielen. "Das kommt ganz darauf an, welchen Osten du meinst." Leif fuhr über einen Teil der Karte, der offensichtlich noch auf dem europäischen Kontinent lag. “Wenn wir normalerweise über den Osten sprechen, dann meinen wir dieses Gebiet hier.” Er kreiste eine kleine Fläche ein. “Alles was zwischen den Karpaten, dem Schwarzen Meer aber immer noch nördlich vom Land der Griechen liegt.” Dann fuhren seine bleichen Finger aber weiter über die Karte. “Aber da hört der Osten noch nicht auf. Denn wenn du weiter gehen willst, kommst du in das Heilige Land mit der legendären Stadt Jerusalem und von dort erreichst du die arabischen Halbinsel, wo das sagenhafte Babylon liegt. Und danach, wenn du noch nicht müde bist, kannst du der Seidenstraße folgen. Ein ewig langer Handelsweg, der erst nach Indien, einem Land mit tausend Göttern und tausend Königen führt und von dort weiter nach China, einem großen wundervollen Reich in dem Wissenschaft, Glaube und Handel Hand in Hand gehen und durch diese Zusammenarbeit ständig neue Wunder geboren werden.” Schließlich hatte Leif seine Hände bis dahin bewegt wo die Karte aufhörte. “Du siehst also Hendrik die Welt ist groß und du hast auch später noch eine Menge zu entdecken.”
Hendrik folgte Leif während er seine imaginäre Reise unternahm mit den Augen und schien sich all die Orte von denen der Nordmann sprach vorzustellen. „Die Reise nach Genua hat damals so viele Tage und Nächte gedauert. Wie viele Jahre muss es dauern bis man da angekommen ist…?“ Sein Zeigefinger wanderte zum östlichsten Teil der Karte. Wieder folgte ein nachdenkliches Nicken. „Die Welt ist sooo groß.“ Schließlich verweilte sein Blick wieder einige Zeit auf dem Gebiet, das Leif als ‚Osten‘ beschrieben hatte.
Er sah zu Leif auf. „Ich finde es toll, dass ihr auch hier seid. Hier sind so heute viele Leute und einige kenne ich nicht mal.“
"Die Welt ist in der Tat groß, Hendrik. Aber lass mich dir ein Geheimnis verraten." Leif kam ein wenig näher. "Ich würde es gar nicht anders haben wollen, denn dann würde es doch nur langweilig werden." Leif zwinkerte dem Gastgeber zu und erhob sich. "Es ist dein Geburtstag Hendrik. Wenn hier jemand ist, den du nicht kennst, könntest du dich selber vorstellen. Immerhin bist du der Gastgeber und niemand würde Anstoß daran nehmen. Aber darf ich dir eine Frage stellen? Wenn du die Leute nicht kennst, warum hast du die denn dann eingeladen?" Leif wartete die Antwort des Jungen ab und fuhr dann fort. "Gibt es etwas das du heute noch machen willst? Immerhin ist es dein Namenstag. Oder hast du schon alles was du heute willst?" Leif lächelte Hendrik ermutigend zu.
Die Antwort war schnell gegeben. „Ich habe alle Leute, die mir wichtig sind selbst eingeladen. Mein Freund Konstantin hat die Einladungen für mich geschrieben. Er ist schneller beim Schreiben. Die anderen Leute sind alle Teil der Familie. Die kommen quasi von selbst. Das gehört sich anscheinend so. Alida hat gesagt, Familie kann man sich nicht aussuchen. Sie meint Familie ist wie ein Baum. Alle wachsen wie Zweige in unterschiedliche Richtungen, aber die Wurzeln halten zusammen.“ Der Junge sah zu Marlene, Jean, Lucien, Georg, dann zu den spielenden Kindern. „Viele von den Kindern mag ich nicht wirklich leiden. Marlene und auch Alida haben aber gemeint, dass nicht alle gemein sind und ich sie mal kennen lernen sollte. Keine Ahnung.“ Der Junge schien zu misstrauisch und zu skeptisch um diese Option wirklich ernsthaft in Betracht zu ziehen.
Das war wirklich der Hendrik den Leif kannte. Er lachte noch immer. "Deine Tante Alida hat sehr recht mit dem was sie sagt und du solltest nie vergessen, dass sie auch immer nur das Beste für dich will." Leif schaute zu der Tzimisce. "Aber darf ich dir noch ein Geheimnis verraten? Du musst auch nicht jeden mögen. Ich mag ganz sicher nicht jeden." Leif zwinkerte ihm wieder zu. "Aber du solltest zumindest jedem eine Chance geben. Ich meine, wie kannst du sonst herausfinden, ob du den anderen magst oder ob er wenigstens etwas Interessantes zu erzählen hat?"
Hendrik biss nachdenklich die Lippen aufeinander und nickte dann.
„Guten Abend, Leif.“ Die Stimme, die er zu seiner Linken vernehmen konnte, war ihm mehr als bekannt: Alida. Die Frau war fast unbemerkt herangetreten und stand nun in direkter Nähe.
Sie lächelte den dunkelblonden Jungen an. „Hendrik? Kannst du uns einen Gefallen tun? Florine ist verschwunden und Marlene muss sie suchen gehen. Hilfst du ein bisschen? Du weißt eher wo hier im Garten sie am liebsten spielt, oder?“
Hendrik sah entschuldigend zu Leif, nickte dann eifrig in die Richtung seiner ‚Tante‘. „Ich denk, ich weiß wo sie ist. Beim Pferd…“
"Wir sehen uns später, Hendrik. Hilf Florine zu suchen. Das ist im Moment wichtiger." Er nickte dem Jungen ernst und ermutigend zu. Sobald er mit Alida alleine war begrüßte er die Kainitin. "Guten Abend Alida. Danke für die Einladung. Es ist eine wirklich schöne Feier." Leif verhielt sich neutral und vorsichtig. Er hatte keine Ahnung wie überrascht Alida wahrscheinlich war ihn hier zu sehen, aber er würde es sicherlich gleich herausfinden.
Sie lachte kurz auf. „Die Einladung kam von Hendrik ganz persönlich. Er hat es sich in den Kopf gesetzt die wirklich wichtigen selbst einzuladen und dazu einen Freund angeheuert. Ich glaub zwei Nächte haben sie gebraucht bis das Pergament sauber geschabt war, sie alles verfasst und dann bei den jeweiligen Leuten abgegeben hatten.“ Sie sah dem Jungen hinterher, der durch die Reihen der Besucher hastete ohne irgendwo anzurempeln. „Gehst du ein paar Schritte mit mir?“
Sie wartete kurz, damit Leif ihr folgen konnte und ging dann über einen der Kieswege in die Nähe eines kleinen Brunnens. Auf einem Tisch war ein Fass deponiert, dessen Öffnung auf den ersten Blick kaputt und fest verschlossen war. Alida betätigte ein paar spezielle Mechanismen, ein schnappendes Geräusch war zu vernehmen und goss dann die dunkelrote Flüssigkeit in zwei tönerne Krüge. Einen davon reichte sie an Leif weiter. „Abfüllung aus den frühen Morgenstunden. Ein Lehrling, der zu faul zum Arbeiten war und krank gespielt hat… Sein Meister hat ihn ins Hospital geschickt, wo Balduin ihn zur Ader ließ. Danach durfte der Junge nach Hause und sich auskurieren.“ Sie grinste breit und nahm einen Schluck.
"Ein interessantes System." Leif nickte anerkennend und nahm einen tiefen Schluck von der dunkelroten Flüssigkeit. "Aber trotzdem der alte Trick. Man könnte meinen, wir haben das Hospital nur dafür gegründet." Der Salubri nahm einen weiteren Schluck. "Also Alida wie kann ich dir helfen? Du lädst mich doch nicht nur auf ein so nettes Getränk ein um die Aussicht zu genießen." Er schaute Alida interessiert zu während er weiter mit offensichtlichen Wohlwollen an seinem Krug nippte.
„Wie? Kein netter gemütlicher Plausch im Garten unter alten Freunden? Ein Gläschen Rotwein… äh… oder ähnliches… warmer Sommerabend, Grillfeuer… Familie und Freunde versammelt… Was wäre so schlecht daran diese Aussicht zu genießen und dabei zu verkünden, dass das Hospital und der Aderlass eine durchwegs gute Erfindung waren?“ Wieder folgte ein Schmunzeln.
"In der Tat." Leif lachte. "Dann lass uns doch einfach die Aussicht genießen." Er schaute über den ausladenden Garten. "Es ist wirklich schön hier."
„Ist es das? Ich hatte immer den Eindruck, dass es dir hier etwas überbevölkert ist. Zu viel Familienmitglieder…“ Sie ließ den Blick über die Menge schweifen und nickte dann bestätigend zu ihren eigenen Worten. „Heute sind es wirklich etwas viele…“
"Leute und Landschaft haben selten etwas miteinander zu tun." Er ließ den Blick weiter schweifen. "Aber solange Hendrik Spaß hat, ist es ja auch egal was seine Gäste denken."
Sie sah ihn schräg von der Seite an. Beide wussten sie ganz genau, dass Hendrik bisher an diesem Abend nur wenig Spaß gehabt hatte. Alida nahm einen weiteren Schluck und entschied sich dazu das Gespräch über Belanglosigkeiten zu beenden. Sie schienen beide nur mäßig dafür geeignet. „Hendrik hat mir erzählt, dass du ihm vor ein paar Monaten, in der Zeit, als ihr die Verwandte von Brunhild hier gepflegt habt viele Geschichten erzählt hast. Du gehst mit ihm in abgelegene Hafenkneipen und es ist mehr als offensichtlich, dass der Junge einen Narren an die gefressen hat.“ Sie schwieg eine ganze Weile. „Warum, Leif?“
Ohne besondere Befriedigung erkannte Leif an, dass sie den eigentlichen Grund des Gesprächs erreicht hatten. "Wenn du eine ehrliche Antwort haben willst, und das ist das was ich denke ... Dann habe ich das getan, weil ich Hendrik mag. Er ist ein intelligenter Junge mit einer ganzen Menge von Fragen, Einfällen und Meinungen und das obwohl er so jung ist." Leif stellte seinen Becher beiseite. "Ich hatte das Gefühl, dass ich ihm zumindest auf ein paar dieser Fragen antworten konnte. Am Anfang habe ich es aus Langeweile getan, inzwischen tue ich es aus Zuneigung." Leif schaue Alida das erste Mal an diesem Abend direkt an. Gespannt, ob der die Dinge die noch kommen mochten.
Sie sah skeptisch in seine Richtung und der Blick ähnelte dem von Hendrik beim Gespräch über die anderen Kinder. „Du, Leif Thorson, hast Freude daran einem achtjährigen Jungen ‚die Welt zu erklären‘?“
"Ich mochte Kinder immer, Alida. Ob du mir das glauben willst oder nicht." Leif schien über etwas nachzudenken. "Kinder sind etwas Wunderbares und etwas das einem jedes Mal wieder eine ganz neue Perspektive auf die Welt gibt . Sie geben dir etwa zurück, wenn du ihnen die Welt erklärst - und sei es nur das sie dir zuhören. Das tun alle anderen nicht." Leif seufzte. "Aber genug davon. Ich denke, du hast etwas dazu zu sagen. Ich vermute ich soll Hendrik in Zukunft meiden?"