Mo 31. Jul 2017, 10:18
Die Hexe von Gerhardsbergen nickte knapp in die Richtung der blonden Händlerin und wirkte dabei kurzweilig wie um Jahre gealtert. Die bisherigen Begebnisse, die sich bis zu jenem schicksalshaften Moment ihrer Flucht aus der Stadt ereignet hatten, zehrten mittlerweile nicht mehr nur allein an den Kräften von Siegrid. Doch noch war dieser nicht enden wollenden Alptraum nicht vollends ausgestanden im Gegenteil: Jetzt erst begann der wirklich schwierige Part ihrer finsteren Odyssee, sowohl für die magisch begabte Frau selbst als auch die Brügger Kainiten.
„Mitnichten Nachtwandler. Ich bin es die euch danken muss. Auch wenn unsere Art sich für gewöhnlich nicht miteinander abgibt so muss ich doch zugeben, dass euer unverhofftes Erscheinen und eure Unterstützung mehr als willkommen ist. Es tut gut zu wissen, dass ihr etwas von dem Leben zurückgeben wollt, welches euer Dasein verschlungen hat.“ Mit einem hoffnungsvollen Blick in den schwarzen Nachthimmel fügte sie hinzu: „Zudem verlangen die Mächte des Kosmos stets nach Gleichgewicht und die Sterne stehen günstig in dieser Nacht.“ Auf Güldenglanz angesprochen, senkte sich ihre Stimme ein wenig und ihre Blicke wurden ausweichend.
„Güldenglanz handelt, wie ich euch bereits zu verstehen gab mit außerweltlichen Dingen. Dinge, die man für gewöhnlich kaum mit Gold und Silber erwerben kann und genauso einzigartig ist der Preis den er fordert. Manches Mal wird er sich mit ein paar Truhen Gold zufriedengeben, ein anderes Mal wiegt er seine Waren in Seelen auf. Dann wieder verzehrt er sich nach einem ganz besonderen Kleinod oder einer höchst gefährlichen oder mühseligen Dienstleistung. Er hat besonderes Vergnügen daran, den Preis seiner Waren anhand dessen zu bemessen, wie ungern seine Kunden dazu bereit sind diese zu entrichten. Stellt euch auf einen Geschäftspartner ein, der nichts zu verlieren hat und der sich nur schwer umstimmen lässt. Es mag euch dienlich sein zu wissen, dass er es gelegentlich genießt hofiert zu bekommen und sei es nur um die Erniedrigung seiner Kunden miterleben zu dürfen. Güldenglanz hat wie alles an dem Ort zu dem ihr aufbrechen werdet, eine faszinierende und zugleich höchst grausame Seite.“ Beschwichtigend hob die Hexe ihre Hand, als Alida ihr den Namen ihres Ansprechpartners vor Ort, des Brügger Sheriffs und Mündels von Caminus, Jan van Hauten nannte. Offenbar war ihr augenblicklich nicht sonderlich daran gelegen, sich auf eine längere Diskussion bezüglich der geistigen Schonung der jungen Siegrid einzulassen. Dafür, so konnte man sich entsinnen, würde die Zeit wohl nicht mehr ausreichen, da die Kerkerwachen der Stadt wohl demnächst Alarm schlagen würden und eine brutale Hetzjagd beginnen würde.
„Das oder die Fähigkeiten des Herrn van Hauten werden den Geist des Mädchens unweigerlich in den bodenlosen Abgrund des Wahnsinns stürzen. Es ist nicht gut, wenn die Kräfte des Todes und des Lebens aufeinandertreffen, da sie generell gesprochen nicht miteinander kompatibel sind. Ich werde eurem Verbündeten vor Ort die Wahl überlassen. Doch solltet ihr auf die Anwendung eurer Fähigkeiten bestehen, so darf mein Trank nicht zum Einsatz kommen. Es wäre Siegrids unweigerliches Verderben soweit ich das zum derzeitigen Stand meines Wissens beurteilen kann. Ziel ist es, sie möglichst unbeschadet hinter dem Vorhang des Übernatürlichen hervor und wieder ins Licht der unschuldigen Unwissenheit zu bringen. Wie wir das bewerkstelligen, bleibt euch überlassen. Bedenkt dabei nur: Mein Trank bewirkt keine Wunder, genauso wie eure Fähigkeiten nicht über alle Mächte dieser Erde erhaben sind. Wir alle hier, sind am Ende nur ein verschwindend geringer Teil einer unermesslich größeren Welt der Dunkelheit.“
Mit bedächtigem Blick, beobachtete die Hexe wie Leif seinen offiziellen Siegelring des Brügger Rates vom Finger streifte und diesen im spiegelnden Mondlicht an sie überreichte. Interessiert begutachtete sie das funkelnde Stück Handwerkskunst, und sah dann gefasst in Richtung des Salubri. „Die Symbolik von Zeichen und Siegeln ist nicht nur in der Sprach des Weltlichen und Irdischen ein machtvolles Instrument, sondern birgt darüber hinaus auch in der Welt des schwer Greifbaren eine besondere Kraft. Die Schlange ist ein listiger Räuber und Jäger, weise und vorausschauend. Ich sehe in euch beides Nachtwandler: Das langsam-quälende Gift gepeinigter Seelen, welches jedes Leben auszulöschen vermag sowie das Wissen darum, jeglichen Makel und jegliches Leid ungeschehen werden zu lassen. Beides werdet ihr brauchen. Ich werde es eurem Verbündeten als Zeichen meiner Aufrichtigkeit überreichen und einstweilen gut darauf Acht geben. Solcherlei Dinge, sollten nie lange von ihrem Träger entfernt bleiben.“
Mit diesen letzten Worten, drehte sich die dunkelhaarige Frau in Richtung Siegrid um und ließ sich von dieser einen alten, knorrigen Wanderstab reichen, während sie die Kapuze ihres Mantels tiefer ins Gesicht zog. „Die Mächte des Kosmos seien mit euch. Viel Glück und möge Gaya euch beschützen.“ Dann verschwand sie zusammen mit Siegrid und ihrer wenigen verbliebenen Habe im verschlungenen Unterholz des Gerhardsbergener Waldes um sich in Richtung Brügge aufzumachen. In der Ferne hörte man bereits das wilde Kläffen mehrerer Hunde.
Eilig machten sich Alida und Leif auf den von der Hexe beschriebenen Weg, der sie zu den verlassenen Ruinen des alten Turms und den dahinterliegenden, verwilderten Gärten führen sollte. Immer noch war in der Ferne das langsam anschwellende Bellen und Kläffen der ausschwärmenden Jagdhunde zu hören, die sich wohl zusammen mit den mittlerweile wohl über die Flucht der teuflischen Hexe und ihrer Schülerin informierten Soldaten des Fürsten, an ihre Fersen geheftet hatten. Der örtliche Priester als auch die Wachmannschaften mochten derzeit zwar bei weitem gewichtigere Probleme als zwei entflohene Häftlinge haben, aber der Überzeugung des christlichen Predigers nach zu urteilen, wäre das Übel welches Gerhardsbergen in diesen Tagen befallen hatte wohl lediglich mit der unverzüglichen Hinrichtung der beiden Frauen abzuwenden. Umso wichtiger war es also der beiden Anhängerinnen Satans rasch wieder habhaft zu werden. Unerschütterlicher Glaube nahm gelegentlich wahrlich widerwärtige Ausmaße an. Für einen kurzen Moment ihrer weiteren Flucht, nahm das bedrohliche Jaulen ihrer tierischen Verfolger ein derartiges Ausmaß an, dass die beiden Kainiten bereits dachten jeden Moment einer hungrigen Meute entgegentreten zu müssen, doch dann wurde der Lärm ihrer Verfolger mit jedem Schritt kontinuierlich leiser bis er sich schlussendlich vollends im dunklen Blätterdach verlor. Tiere mieden die Untoten für gewöhnlich und mangels eines klar identifizierbaren Körpergeruchs, mussten die Hunde die beiden Brügger Ratsmitglieder wohl tatsächlich irgendwo in den Wirren dieser schwarzen Nacht verloren haben. Es blieb nur zu hoffen, dass Siegrid und der Hexe, möglicherweise sogar unter Zuhilfenahme der magischen Fähigkeiten letzterer, ebenso viel Glück beschieden wäre.
Nach ungefähr einer Stunde rascher Wanderung durch die finstere Nacht, vorbei an knorrigen Bäumen, kleinen Bächlein und üppigen Sträuchern und Farnen, gelangten Alida und Leif an den Fuß eines kleinen Tales, welches von sanften, mondlichtbeschienen Hügeln eingeschlossen war. Und so plötzlich wie sich ihnen der Blick auf eben jenes Tal mit einem Mal dargeboten hatte, so plötzlich waren auch die bedrohlich aufgerichteten Umrisse eines hohen, verfallenen Turms in einigen hundert Metern Entfernung auszumachen gewesen. Stoisch und ewig wie der Tod, ragte die bröcklige Fassade in den Nachthimmel, durchzogen von schmalen und breiten Rissen, überwuchert von rankenden Reben und merkwürdigen Gräsern. Das Mauerwerk war schmutzig und machte den Anschein, als ob es in all den Jahren genüsslich all die Schrecken des Landes in sich aufgenommen und träge verdaut hätte, nur um Dunkelheit seiner abgründigen Geheimnisse in der kalten Fassade widerzuspiegeln. Es wirkte auf den ersten Blick fast wie eine zerklüftete Kathedrale der Christen, dann mit seinen gewundenen Treppenabsätzen und Türmchen wiederum wie das Prunkschloss eines längst besiegten Königreiches und ließ bei allen Schnörkeln dennoch keinerlei Zweifel darüber aufkommen, dass es sich sehr gut als Trutzburg eignen würde. Die nähere Umgebung des Turms war überraschenderweise frei von jeglichem Bewuchs durch Pflanzen oder Bäume - ganz so, als würde sich die ansonsten üppige Natur partout weigern dem steinernen Gebilde zu nahe kommen zu wollen. Vielmehr bildeten lediglich einige karge Sträucher und Büsche eine sporadisch sprießende Umrandung die einer natürlichen Grenze glich. Den Blick entlang der Außenfassade nach hinten schweifen lassend, konnte man bereits einen kleinen, holprigen Steinweg erkennen, der wohl zu den erwähnten Gärten führen mochte.
Es war merkwürdig kühl in der Nähe des Turms und der dunkle Stein schien alle umliegenden Geräusche förmlich zu schlucken, sodass kaum nur auch das Zirpen der Insekten oder anderer nachtaktiver Waldbewohner zu hören war. Wie die Bevölkerung der umliegenden Städte, insbesondere vor allem Gerhardsbergen dieses riesige Ungetüm so vehement ignorieren oder ‚verleugnen‘ konnte, war nur schwerlich vorstellbar. Ganz zweifelsfrei hätte man irgendwann etwas darüber auch in den anderen flandrischen Städten gehört, auch wenn es sich nur um Gerüchte handeln mochte. Doch wenn es etwas gab, das die beiden Kainiten mittlerweile über Magie und dunkle Vorzeichen wussten, dann das die Wege der Bosheit unergründlich waren und sich gerade solche Dinge ganz besonders hervorragend vor den neugierigen Blicken der Menschen zu verstecken wussten. Womöglich hatte sich auch die Nachkommenschaft der Magier redlich darum bemüht, dieses uralte Relikt aus den Köpfen der Welt zu entfernen auf das es das bliebe, was es all die Zeit gewesen sein musste: Ein großer Steinhaufen denn man einfach ‚übersah‘ wenn man noch bei klaren, sterblichen Verstandes war. Alida und Leif war diese selige Unwissenheit jedoch offensichtlich nicht gegönnt.
(Theme: )