Mi 22. Mär 2017, 23:18
Das glänzende Stück Metall auf dem robusten Schreibtisch in Alidas Stube, glänzte funkelnd golden und silbrig im Schein des angenehm prasselnden Kaminfeuers und war selbst für einen Laien, auf Anhieb als meisterliche Arbeit zu erkennen. Was der Tzimisce ebenso mit einem Blick klar wurde, war aber auch die Tatsache, dass weder sie selbst noch irgendjemand sonst in ihrem Familienanwesen sich mit derart wertvollem Schmuck kleiden würde. Sie selbst hatte trotz ihres guten Gespürs für Handel und Warenwirtschaft, stets Abstand vom prunkvollen Pomp und der übertriebenen Zurschaustellung von Reichtum genommen, den die dekadenten Adeligen und selbstgefälligen Kaufleute andernorts so gerne zur Schau trugen. Weder Berta noch Georg oder einer der Stallburschen, Wachleute oder Mägde, hätte sich solch ein kostbares Kleinod leisten können. Wenn also nicht plötzlich jemand zu unverhofftem Wohlstand gekommen war oder plötzlich zum Dieb geworden war, machte es wohl allen Anschein, als habe irgendjemand das Amulett mit voller Absicht direkt vor ihrer Eingangstür platziert.
Das Gespräch der beiden, wurde fast zeitgleich da Leif die letzten Worte gesprochen hatte, von harten Schritten auf festen Holzdielen unterbrochen, die sich auf die Schreibstube zubewegten. Begleitet wurde das Ganze von gedämpften Stimmen, die sich schnell und abgehackt miteinander unterhielten. Einen der beiden Sprecher erkannten die beiden sofort: Georg, der wohl in gewohnt misstrauischer Manier etwas erbost über den dreisten Besucher schien. Den anderen Mann, erkannte man fast ebenso mühelos und als nach ein paar kurzen Augenblicken die Tür zu Alidas Schreibstube aufschwang, schien sich das alte Sprichwort zu bewahrheiten: Wenn man vom Teufel spricht, ist er nicht weit. Die breite Tür schwang energisch auf und herein kam Lucien Sabatier, Hauptmann der Nachtwache, Gangrel und baldiger Erschaffer eines hölzernen Wunders, der sich offenbar nicht einmal die Mühe gemacht hatte seine erdverkrusteten Stiefel am Eingang abzutreten. Hinter ihm folgte Georg, der es zwar selbstredend nie gewagt hätte den Wilden abzuweisen oder sich ihm offen in den Weg zu stellen; schließlich war der raubeinige Hauptmann Ratsmitglied und um einiges älter als er selbst, aber dennoch hielt er nicht viel von plötzlichen Überraschungsbesuchen, ohne Alida davon in Kenntnis gesetzt zu haben oder zumindest einen Besucher anzukündigen. Das Gebot zumindest das Gespür für ein Mindestmaß an Respekt untereinander, dass der dunkelhaarige Mann heute ganz besonders vehement in den Wind schlug. „Ihr seid zwar Ratsmitglied aber findet ihr nicht auch, dass ihr euch ein wenig zu viel anmaßt? Wie würdet ihr es finden, wenn ich einfach…“ Weiter kam er nicht mehr, da Lucien die Tür hinter sich ohne großes Zögern schloss und ihm zeitgleich ein: „Das kann nicht warten“, hinterdrein warf. Als er sich zu Alida und Leif umdrehte, war seine Miene finster und ernst. Die zerzausten Haare klebten an seinem Haupt und der ewig unrasierte Dreitagebart wirkte mit der fahlen Haut noch ungepflegter als sonst. Mit einem grimmigen Lächeln, verzog er die schmalen Lippen.
„Schön das ihr beiden euch auf einen guten Schluck Met vors warme Kaminfeuer gesetzt habt um ein wenig zu plaudern.“ Er machte ein paar Schritte auf Alidas Schreibtisch zu und zog nebenbei mit der Rechten ein gefaltetes Stück Papier aus der Innenseite seines ledernen Fuhrmannmantels und klatschte es beinahe etwas zu betont auf das dunkle Holz vor sich. Ein gebrochenes Siegel in dunklem Rot, prangte auf dem offensichtlich amtlichen Schreiben.
„Wir haben ein Problem…“, fügte er dunkel hinzu, auch wenn die Art seines plötzlichen Besuches und sein gesamtes Gebaren dies ohnehin längst hätte vermuten lassen. Ohne auf eine Antwort oder Reaktion der beiden zu warten, fuhr er nahtlos fort. „Das ist ein mehr oder weniger offizielles, wenngleich auch geheim entsandtes Schreiben von Balduin. In erster Linie ist es an mich gerichtet; Anweisungen an die Stadtwache. Aber es betrifft genauso euch wie den ganzen Rest der Stadt. Die Sache ist womöglich ernst, sehr ernst sogar.“ Der Gangrel räusperte sich kurz und fing dann fast wie völlig selbstverständlich damit an, im Zimmer auf und ab zu gehen. Er schien gleichzeitig zu überlegen und berichten zu wollen; hob nur gelegentlich den Blick Richtung der beiden anderen Untoten, um sich ihrer Aufmerksamkeit sicher sein zu können.
„Es scheint ganz so als ob in der Stadt Gerhardsbergen im Süden, unserem Hauptlieferanten für feinstes flandrisches Tuch, eine ominöse Krankheit ausgebrochen ist. Zuerst waren es wohl nur einige wenige die davon betroffen waren und die Menschen zeigten anfangs auch nur leicht Symptome. Jetzt aber hat sich die Sache verschlimmert. Die Krankheit ist binnen weniger Stunden zu einer regelrechten Seuche geworden, die an Schwere und Tödlichkeit kontinuierlich zunimmt. Mittlerweile sind bereits einzelne Viertel und Straßenabschnitte gesperrt und unter Quarantäne gestellt aber die örtlichen Heilkundigen werden der Sache einfach nicht Herr.“ Lucien atmete einmal tief ein und aus, während er kurz in seiner Bewegung innehielt und die beiden Ratsmitglieder fixierte. „Ihr könnt euch vorstellen, dass die Stadtwache dort völlig überfordert ist und sich eine regelrechte Panik nur schwer vermeiden lässt. Deshalb hat man Balduin um Hilfe gebeten, der mit einem beachtlichen Aufgebot an Truppen angerückt ist. Natürlich wird sich die Geschichte herumsprechen und anderen Städten, droht womöglich nicht nur eine ähnliche Epidemie, sondern zudem auch eine handfeste Todesfurcht, die jeden Bürger vor Angst lähmen wird. Und wir wissen ja was Menschen tun, wenn sie um ihr Leben fürchten.“ Der Blick seiner grauen Augen, gewann an gemahnender Intensität.
„Balduin hat bereits an das Krankenhaus geschrieben und die werden wohl zaghaft ein paar durchaus fähige Leute schicken aber das wird kaum reichen. Deshalb bittet er dich Leif, dir die Sache einmal anzusehen. Wenn es jemanden gibt, der überhaupt eine Chance hat diese Katastrophe abzuwenden, dann nur noch ein Mann deiner Fähigkeiten und Kenntnisse.“ Der Hauptmann nickte ihm bekräftigend zu. „Ach und eh ich es vergesse: Natürlich ist Balduin nicht dort um tatsächlich eine Panik zu verhindern, da macht ihm die Seuche einen Strich durch die Rechnung. Er und seine Truppen ‚belagern‘ wenn man so will die Stadt und kümmern sich darum, dass niemand aus Gerhardsbergen hinein- oder hinausgeht. Gott helfe uns, wenn die Seuche weiterwandert; falls sie das nicht ohnehin schon getan hat.“ Gerade die letzten Worte, sprach Lucien mit einem unüberhörbar bitteren Unterton. Ganz so als offenbarten sie etwas noch Unausgesprochenes, das beständig an ihm zu nagen schien. „Deshalb…“, Lucien biss die Zähne knirschend aufeinander. „Deshalb hat mir Balduin auch aufgetragen, Brügge vorerst abzuriegeln und niemanden hinein oder heraus zu lassen – zur Sicherheit. Damit kommt aber auch der Handel zum Erliegen; keine Schiffe legen mehr an und keine Reisenden durchqueren unsere Domäne.“ Er seufzte. „Blenheim ist auch schon informiert und in Bereitschaft versetzt worden. Unser Fürst glaubt, dass die Seuche möglicherweise aus dem Süden eingeschleppt wurde, denn Gerhardsbergen, ist der derzeitige Umschlagplatz unseres Marmors und Basalts für die italienischen Handwerker und Tagelöhner. Gerade in diesem Moment, lasse ich vorsorglich alle italienischen Arbeiter in Brügge verhaften und unter Quarantäne stellen aber es wird nicht lange dauern und die Bürger der Stadt werden anfangen Fragen zu stellen. Gerüchte werden auftauchen und Sorgen werden zu handfesten Anschuldigungen. Ähnliches passiert auch in Gerhardsbergen; da faseln sie schon abgründige Geschichten von der Rache des Teufels und seiner gehörnten Vasallen. Euch ist natürlich bewusst, wem das vorzüglich in die Hände spielt und wem es am Meisten schadet. Also müssen wir dieses Problem schnell angehen, am besten noch in dieser Nacht, ansonsten…“ Der Gangrel beendete den Satz nicht, sondern legte eine kurze Pause ein, in der er den Anwesenden die zugegeben recht knappe Gelegenheit gab, diese hoffnungslos schlechte Kunde erst einmal in sich aufnehmen zu können.
„Ich werde nicht gehen können, denn ich habe bald alle Hände voll mit dieser Ausnahmesituation zu tun. Gerrit und den Rest der Truppe, brauche ich als meine Augen und Ohren - so bleibt also nur mehr ihr beiden übrig. Unsere Toreador befindet sich ja wie ihr wisst, derzeit wieder einmal in England.“ Der Hauptmann kaute etwas auf den nachfolgenden Worten in seinem Mund herum, als ob sie ihm nicht recht gefallen wollten oder er sich schwer damit tat, sie überhaupt auszusprechen. „Zwei Dinge noch die wichtig sind: Frederik ist in Gerhardsbergen. Dein lieber Verwandter, hat von dort aus den Transport als auch die Verhandlungen mit den Italienern geführt und sitzt jetzt dort in einer dahinsterbenden, fieberwahnhaften und zutiefst verstörten Ansammlung aus todgeweihten Sterblichen fest, die allesamt verzweifelt einen selbstredend gottlosen Schuldigen suchen und…“ Lucien ballte die Hand zu einer Faust und schluckte schwer.
„… und die Überbringerin dieser Nachricht von Balduin, war Carla. Ich habe sie als zusätzlichen Schwertarm für unsere kostspieligen Warentransporte im Süden abgestellt; sie mochte es ohnehin schon immer durch die Wildnis zu ziehen und von Ort zu Ort zu reisen. Jetzt ist sie in meiner Waldhütte, fern vom Rest der sterblichen Bevölkerung, denn sie ist todkrank.“ Er blickte kurz vom einen zum anderen dann nickte er bedrückt. „Sie hat hohes Fieber, erbricht sich und spuckt ab und an sogar Blut. Vielleicht, wollt ihr einmal einen Blick auf sie werfen bevor ihr aufbrecht, damit ihr eine Vorstellung von dem bekommt, womit wir es zu tun haben.“ Für einen kurzen Augenblick, konnte der aufmerksame Beobachter, der den grimmigen Gangrel bereits etwas näher und auch länger kannte, beinahe so etwas wie den leichten Anflug von Angst in den grauen Augen erkennen.
„Es sind in etwa drei Stunden bis zur Tuchmacherstadt Gerhardsbergen. Balduin hat sein Truppenlager in einem alten Gutshof etwa eine halbe Meile vor den Toren der Stadt aufgeschlagen. Ihr wisst, dass ihm die Hände gebunden sind. Eine landesweite Seuche ist nicht denkbar; lieber lässt er Gerhardsbergen alleine dem Tode entgegen sehen, als das ganz Flandern durch die buchstäbliche Hölle geht." Resignierend merkte er leiser an: Selbst wenn er dafür in Zukunft jede Nacht von den gequälten Seelen der Toten heimgesucht werden mag. Der Fürst hat keine Wahl."
[Reihenfolge wie gehabt: A-L-S. Und als Info: ]