Di 9. Aug 2016, 09:58
Er zog den rechten Lederhandschuh strammer und spannte das gegerbte Material, sodass es leicht knirschte. Die darunterliegenden Finger, vollführten dabei einen energischen Tanz der auf nur schwer gezügelten Tatendrang hinwies. „Ich kenne mich überhaupt nicht mit magischen oder spirituellen Dingen aus. Einerseits finde ich derlei Dinge in höchstem Maße gefährlich, auf der anderen Seite fehlt mir auch einfach die Geduld und das Interesse mich damit zu befassen. Das dürfen andere gerne übernehmen. Was es mich kostet, diesen unliebsamen Teil von mir zu vernichten, kann ich genauso wenig erahnen wie ihr und noch viel weniger habe ich eine Idee, wie die Essenz dieser Wesenheit ein für alle Mal aus dieser Welt zu verbannen ist.“ Der Hauptmann lächelte grimmig. „Aber es hat körperliche Form angenommen, wie wir bereits festgestellt haben. Und dieses Schwert ist beileibe nicht mehr gewöhnlich… wurde mir gesagt. Vielleicht kann ich es damit vernichten.“ Sein Blick streifte über die düsteren Baumwipfel, die leicht im nächtlich auftischenden Wind tanzten. „Wie finde ich es? Bisher erschien es einfach aus dem sprichwörtlichen Nichts.“
Die Sammlerin nickte. “Ich verstehe euch nur zu gut Hauptmann. Auch ich selbst hege einige Zweifel gegen Blutmagie und alles was damit einhergeht. Man möge meinen wir Kainiten sind schon verflucht genug und sollten uns nicht zusätzlich noch mit anderweltlichen Mächten und Entitäten einlassen, egal wie dunkel oder hell sie scheinen mögen.” Sie schüttelte mit dem Kopf. “Aber manchmal lässt sich das nicht vermeiden.” Sie suchte seinen Blick mit ihren stechend grünen Augen- “Vielleicht reicht eure Entschlossenheit all das zu beenden Lucien Sabatier. Man sagt in ihr liegt eine ganz eigene Form der Kraft aber wie der Kampf ausgehen wird mag ich nicht zu prophezeien. Eine Sache kann ich aber inzwischen sagen. Das Wesen ist zweifellos ein Teil von euch also könnt ihr es wahrscheinlich rufen wenn ihr nur wirklich wollt. Ich vermute ihr hattet vorher noch nie diese Art von Wunsch und deshalb ist er nur aufgetaucht wenn er stark genug war, wahrscheinlich in Situationen in welchen ihr abgelenkt gewesen seid oder gezweifelt habt. Versucht den Spieß doch einfach umzudrehen.”
ucien nickte nachdenklich und begann sich auf der Lichtung zu orientieren; hob den Blick knapp in trügerischer Vorahnung zum farbenprächtigen Lichterspiel am schwarzen Nachthimmel. „Es ist ein Teil von mir und zeigte sich nur in Momenten, da es seine Stunde gekommen war. Doch da es unweigerlich an mir haftet, wie eine langsam dahinschleichende Krankheit, wir es wohl erscheinen müssen, wenn ich es rufe. Noch hat es nicht völlig Besitz von mir ergriffen…“ Er wandte sich an die Sammlerin und deutete eine knappe Verbeugung an. „Es fällt mir nicht leicht jemanden zu danken und dennoch gebührt euch mein ehrlicher Dank Sammlerin. Wenn all dies vorüber ist, habt ihr meine Stimme für euren Verbleib. Vertrauen ist schwierig in diesen Nächten, doch mir scheint was immer euch antreibt, es gerät nicht so schnell in Konflikt mit meinen oder den Interessen der Stadt.“ Er grinste. „Ein Drache mehr oder weniger… zudem seid ihr keine Verbündete der östlichen Lande.“ Mit ein paar Schritten, wandte er sich dem finsteren Dickicht vor sich zu, um seinen Weg fortzusetzen. Es gab nur einen Ort, an dem dies alles Enden konnte. Mochte es pathetisch klingen oder nicht aber der Kampf um seine Seele, würde am Teufelsturm ausgetragen werden. Dort, wo ihm das Wesen zum ersten Mal in all seiner schrecklichen Pracht begegnet war. „Beantwortet mir nur noch eine letzte Frage, nur aus Interesse: Wie haltet ihr es mit den Tremere Sammlerin?“
“Ich nehme euren Dank an Hauptmann und ich hoffe das ihr diese Nacht übersteht. Ich bin in der Tat keine Verbündete des Ostens wie ihr bereits herausgefunden habt. Der alte Rustovich und seine Schlächter könnnen mir getrost gestohlen bleiben, denn für meinen Geschmack genießen sie den Krieg der im Osten gefochten wird ein wenig zu sehr.” Sie zuckte mit den Schultern. “Aber ich bin einfach davon überzeugt, dass Ressourcen im Frieden besser genutzt werden können als im Krieg.” Sie lächelte, beinahe wie eine Katze. “Der Osten ist ein alter Flecken Erde Hauptmann, einer in dem alte Kräfte und dunkle Mächte miteinander Ringen wie wilde Hunde um ein Stück Fleisch. Die Tremere haben ihre Wurzeln ebenso dort wie die meisten Tzimisce, weshalb sich unsere beiden Clans enger verbunden sind als irgend jemand zugeben, oder auch nur wahrhaben möchte.” Sie schien lange über ihre nächsten Worte nachzudenken. “Ich bilde meine Meinung über Individuen und nicht über ganze Clans, denn ich bin selbst anders als die meisten meiner Brüder und Schwestern. Trotzdem ist mir bis jetzt noch kein Tremere untergekommen, der vertrauswürdig wäre und dessen Kopf sich nicht besser auf einem Pfahl als auf seinen Schultern gemacht hätte.”
Langsam und bedächtig nickte der Gangrel; versuchte nicht zu viel seiner innersten Gedanken vor der Sammlerin preiszugeben. Dennoch konnte er nicht umhin ihr sein berüchtigtes, schiefes Lächeln auf ihre Worte hin zu schenken. „Es ist so einfach jemanden einfach nur anhand seiner Blutlinie und Abstammung zu beurteilen. Ich gebe zu, dass mir eine offene Meinungsbildung über jemanden auch nicht immer gelingt. Zuviel tun gewisse Mitglieder, gewisser Clans dafür, um das allgemeine Bild aufrecht zu erhalten. Und im Falle der Tremere, zeichnet sich ein eher intrigantes und verlogenes Bild. Aber trotzdem war Brügge nicht zuletzt ein Ort, an dem gerade jene Unterschlupf und Zuflucht fanden, die dem erwarteten Bild ihrer Brüder und Schwester nicht entsprochen haben. Vielleicht werde ich eure Fähigkeiten früher in Anspruch nehmen müssen als uns beiden lieb ist und möglicherweise, dürfte sich unser Vertrauen dadurch noch zusätzlich verbessern. Wie immer werden die Zeit und unsere Entscheidungen zeigen, womit wir uns in den kommenden Nächten befassen werden. Ich hoffe ihr stellt euch als Bereicherung heraus.“ Er schritt durch das Dickicht; brach dabei einige Äste ab und wirbelte das Laub auf. Vor sich selbst konnte er sich nicht verstecken; kein Grund also besonders leise oder vorsichtig zu sein. Um diese Zeit sollte sich niemand am Teufelsturm herumtreiben und das Wesen war ohnehin immer ein ‚treuer‘ Begleiter des Gangrel gewesen. Wo es ihn hintrug, da würde auch der Schatten sein. „Über euren Verbleib wird demnächst entschieden werden. Sobald wieder etwas Frieden eingekehrt ist, trage ich eure Bitte dem Rat vor und berufe eine Versammlung ein. Wünscht mir Glück, auf das eure Stimme heute Nacht nicht den endgültigen Tod erleidet.“ Lucien grinste sie an und machte sich dann auf in Richtung Teufelsturm beziehungsweise den Ruinen dessen was einst Dragas Feste gewesen war.
“Viel Glück Hauptmann.” Mehr sagte die Sammerlin nicht. Zwischen ihnen war im Moment alles gesagt. Dann machte sich der Gangrel auf den Weg. Nach einiger Zeit im Unterholz und über mondbeschienene Wege erreichte er schließlich sein Ziel. Oder besser gesagt das was nach dem Schleifen von ihm übrig war. Die Überreste der Drachenfeste, die im Volksmund auch Teufelsturm genannt wurden. Es war erschreckend wie viel Einfluss Draga noch auf das Leben in Brügge nehmen konnte, trotz der Tatsache das sie schon so lange tot war. Blätter knisterten unter den schweren Stiefeln des Hauptmanns und er spürte die Anwesenheit des anderen Mannes bevor er ihn sah. Es war der graue Wanderer. “So so jetzt rufst du also mich. Bist du endlich bereit für die Wahrheit Lucien Sabatier?” Die Gestalt stand mit verschränkten Armen vor ihm und grimmig lächelte.
Lucien hielt inne, ließ den Blick in unbeschwerter Ruhe über die Überreste der Drachenfeste gleiten. Viel hatte der Zorn der flandrischen Bevölkerung, die Gier der Plünderer und Schatzjäger als auch der Zahn der Zeit nicht davon übriggelassen. Was noch nicht eingestürzt oder begraben worden war, hatte der Rat vor gar nicht allzu langer Zeit in Schutt und Asche gelegt. Selbst die Inquisition hatte sich des Ablebens der Teufel des Ostens in einem persönlichen Aufgebot rückversichert. Jetzt gab es in dieser Nacht nur noch ihn und den grauen Wanderer, den Schatten, das Wesen aus dem Abgrund. Zunächst überraschte es ihn, dass sein Schatten so schnell erschienen war dann aber lächelte er nur mitleidig. Natürlich war er bereits da, weil er nie woanders gewesen war. Vor seinem eigenen Schatten, konnte man nicht davonlaufen. Er hatte alles gehört und gesehen. Mit der rechten zog er das Schwert aus dem Heft und drehte sich langsam in die Richtung des Wanderers. „Die Wahrheit? Und was soll das sein? Ich habe dich seit meinem unfreiwilligen Aufenthalt in dieser endlosen Finsternis des lichtlosen Abgrundes bei mir. Gelegentlich flüsterst du mir zu, gelegentlich hinterfragst du meine Entscheidungen und seit neuestem erscheinst du auch in körperlicher Form und mordest dich durch meine Stadt; meine Domäne. Dann sag mir doch Wanderer… was ist die Wahrheit, die ich scheinbar nicht kenne?“
“Du hast es immer noch nicht richtig verstanden oder Lucien Sabatier? Ich bin du. Oder besser gesagt der Teil den du unterdrückst und verstecken willst. Zwei Seiten einer Medaille, eine plank poliert und glänzend die den Leuten zeigt was sie sehen wollen und eine dunkel und schwarz wie die Nacht in die du gehörst.” Der Schatten lief nun um Lucien herum. “Die Männer die wir ermordet haben, sind nicht von mir gewählt sondern von dir. Abschaum und Ekel der Bevölkerung die nichts besseres verdient hatten. Mörder und Schänder die dem Gesetz entkommen weil ihre Frauen zu ängstlich sind ihre Stimme zu erheben oder ein Beutel Gold alle Beweise verschwinden lässt. Leute die du wieder besseren Wissens freilassen musstest damit sie weiter wie eiternde Wunden die Gesellschaft zersetzen.” Er spuckte auf den Boden. Mehr figürlich als sprichwörtlich und sprach dann weiter. “Du hast sie ausgesucht und du hast es genossen das Gesetz in deine eigenen Hände zu nehmen, sie zu Jagen bis ihr Herz beinahe vor Angst versagt hat, sie sich bepisst haben und am Ende ihre gerechte Strafe erhalten haben. Leugne es nicht Sabatier. Du bist ein wildes Tier tief im Inneren. Eine Bestie mit Überzeugungen die das tut was getan werden muss, egal welche Maske du dir versuchst aufzusetzen oder welche Rolle du krampfhaft zu erfüllen gedenkst.” Er lächelte wieder. “Wenn du aufhören würdest gegen dich selbst zu kämpfen, dann könntest du wahrhaft mächtig sein, kannst den Platz einnehmen der dir zusteht.”
Lucien senkte den Blick und nickte bedächtig, die Augen geschlossen haltend. „So verhält es sich also demnach. Die Mörder, Schänder, Vergewaltiger und Betrüger; all dieser Abschaum der dem Gesetz entkommen ist und den Lucien Sabatier als Hauptmann der Nachtwache nicht der Gerichtsbarkeit überantworten konnte, wurden von dir… von mir…“ Er grinste spöttisch. „.. von ‚uns‘ umgebracht. Eine saubere und einfache Lösung scheint es.“ Er sah den Wanderer nun direkt an und funkelte ihn argwöhnisch an. „Diese Existenz ist vielschichtig, wahrscheinlich mehr als mir in Wahrheit lieb ist. Einst dachte ich, es wäre so einfach. Als wäre alles eine Wildnis und überall wo wir stehen und wandeln, gelte allein das Recht des Überlebens. Nichts bereitet mir mehr Vergnügen als eine Jagd, umso mehr noch, wenn es sich um clevere und verschlagene Beute handelt, die den ‚menschlichen‘ Werten von Moral und Recht Zuwider handelt. Nein, ich glaube dir, wenn du sagst ich hätte es genossen und mich in an ihren Todeszuckungen gelabt. Sie hatten es verdient, so wie ihre Opfer Frieden oder Gerechtigkeit verdient hatten. Und doch vergisst du den wesentlichen Aspekt meines Weges… unseres Weges. Die einfachen und dummen, folgen dem Weg ohne Ziel oder ohne zu verstehen was er in seinem Kern bedeutet. Wir sind frei, völlig frei von Herren und Königen, Herrschern und den Fesseln der Menschlichkeit, denn wir sind keine Menschen. Freiheit bezieht sich aber auch auf die Freiheit, seine Entscheidungen frei treffen zu können und das bleibt einem mit dem Tier verwehrt.“ Er grinste. „Mein Tier, das du so vorzüglich und mit abstoßender Freude reitest und lenkst, verführst und umgarnst. Ich bin eine Bestie und ich bin der sprichwörtliche Wolf im Schafspelz, doch meine Instinkte, mein Verlangen, meine Triebe und wie ich damit umzugehen gedenke, entscheide nur ich; ich allein Wanderer. Der Weg des Tieres heißt nicht allen Forderungen des Tieres Folge zu leisten und ihm dienstbar zu sein, es heißt sich selbst verstehen und diese Wünsche anzunehmen und als Teil seiner selbst anzuerkennen. Gib dem Tier, was es verlangt, denn Tiere sind wir… doch nicht um den Preis der Kontrolle über sich selbst. Ich meistere das Tier, nicht umgekehrt.“
Er schritt ebenfalls ein wenig um den Wanderer herum; das Schwert blank gezogen in der rechten. Es sah beinahe aus wie ein kleiner Tanz, den sie da vor den Überresten des Turms vollführten. „Vielleicht hätte ich diesen Abschaum allesamt getötet und gehäutet, vielleicht hätte ich ihn aufgehängt oder gevierteilt… möglich. Aber das hatte ich nicht zu entscheiden, denn das hast du, allein du im Einvernehmen mit meinem Tier entschieden und das ist nichts, was auch nur annähernd meinen Vorstellungen entspricht. Weder als Lucien Sabatier, noch dem Schattenwolf oder als Anhänger auf dem Weg des Tieres. Dieser Körper wird schon besessen von mir und dem Fluch den man mir mit der Vitae meiner Erzeugerin eingeflößt hat und das wird so bleiben, bis ich nicht mehr bin und vergehe.“ Langsam hob er das Schwert an. „Aber du mein Freund, hast in diesem ewigen Kampf zwischen Versöhnung, Anziehung, Abstoßung, Bewunderung und Verachtung nichts verloren. Du bist weder Lucien Sabatier, noch dessen Tier… du bist lediglich ein Parasit, der sich auf mich gelegt hat und mich dem beraubt, was meinem Clan am wichtigsten ist: Meiner Freiheit. Ich fordere dich heute also zum ersten und letzten Male auf, dorthin zu verschwinden wo du hergekommen bist Wanderer, ansonsten jage ich dich persönlich wieder dorthin und eines kannst du mir glauben: Keine Jagd werde ich mehr genießen.“
Das Gesicht des grauen Wanderers verwandelte sich erst in ein hönisches Lachen und dann beinahe in eine Fratze. “Oh ja ich bin mit dir aus dem Abgrund aufgestiegen, aber nur um dich daran zu erinnern was du bist. Du hättest dort unten nicht als der überlebt der du jetzt bist, nein nicht so lange. Du warst wild, stark und kompromisslos. Ich bin was von dieser Stärke übrig ist und ich könnte dich noch stärker machen, aber du willst nicht hören.” Auch der Wanderer zückte plötzlich sein Schwert und begab sich in Position. “Du hast keine Ahnung was noch kommen wird, was noch auf euch und diese Stadt wartet. Ich alleine kann dich beschützen, aber ich sehe ich muss dich zu deinem Glück zwingen.” Er grinste beinahe ein wenig wahnsinnig. “Ich gehe nicht wieder zurück, denn was wäre denn der Schattenwolf ohne seinen Schatten?” Zum ersten Mal veränderte sich die Gestalt des Wanderers. Dunkle Schatten begannen sich zu bewegen und seine Haut brach aus der sich ebenso Schatten ergossen, wie Würmer aus der Erde.
„Du hast da etwas verwechselt ‚Wanderer‘. Nicht du warst der Schlüssel zu dem vielbesungenen Glück, das du mir so vollmundig verheißt sondern ich war dein Glück. Ohne mich, wärst du immer noch in dieser Hölle des Nichts, zusammen mit all den anderen Kreaturen und Dingen, die nicht grundlos dort unten sind und auch besser ganz genau dort bleiben. Heute Nacht, kehrst du dorthin zurück Freund Schatten.“ Er hob die Klinge an und verzog das Gesicht zu einer entschlossenen Grimmasse; ignorierte die schattenhaften Würmer die sich über den Körper des Mannes ergossen. Er oder besser es, war noch nie auch nur annähernd menschlich gewesen.
"Wer nicht hören will muss fühlen Wolf!" Er leckte sich über die Lippen und die Schatten um ihn herum begannen sich zu verformen. Die aus Damaszenerstahl gefertigte Klinge blitzte im Lichte der sich kräuselnden Lichter am Himmel vor dem Wanderer auf und fuhr ihm entgegen. Ein Schlag an dessen Seite, der verfehlte und lediglich die Luft teilte; das zweite Mal jedoch fand das Schwert des Hauptmanns sein Ziel.
Die Klinge blitze im Mondlicht und fand schließlich ihr Ziel. Zuerst grinste der Wanderer noch süffisant doch als Luciens Schwert sich in seine Brust bohrte, verging ihm das Grinsen sofort. Anstelle von Blut schossen Schatten aus den Wunden, ein ganzer Strom davon aus Mund und Wunde die wogten und sich zu Tentakeln formten. Es waren erst wenige und schließlich aber immer mehr. Dutzende bereits nach ein paar Herzschlägen. Zwei davon griffen nach Lucien, der Rest umhüllte den grauen Wanderer. “Du Narr. Du kannst mich nicht besiegen. Die Schatten sind mit mir!”
Luciens Augen weiteten sich, als der Schatten just genau zu dem wurde, was er eigentlich schon immer gewesen war. Eine große, finstere und ganz und gar bösartige Wolke aus schwarzem Nichts, die waberte und wogte und ihre Tentakel nach ihm ausstreckte. Sein Schwert hieb wieder auf den Wanderer ein; traf ihn dort, wo man den Bauch vermutet hätte doch die schattenhaften Arme griffen nach ihm, umschlangen ihn und hielten ihn fest. Er fühlte die eisige Kälte und bittere Umarmung des Nichts, die ihn schlagartig an die lichtlose Zeit im Abgrund erinnerte. Es war widerlich und verstörend zugleich.
Irgendwann hatte der Gangrel sich aus dem Griff befreit. Er zeriss die Tentakel wie dünnes Papier mit purer Körperkraft. Die Schatten wuchsen wie außer Kontrolle geratene Ranken dort wo er sie niedermähte, wurden aber immer wieder von neuen Exemplaren ersetzt. Überall wo sie ihn berührten spürte Lucien Kälte, so wie eine eisige Flamme. Der Gangrel hatte zwar insgesamt die Oberhand, aber es gab einfach zu viele der Arme. Er wusste nicht wie oft er auswich und sein Schwert auf das Gewaber niederfahren ließ, er hatte aufgehört zu zählen. Sie konnten ihn zwar nicht überkommen, aber Lucien fand auch keinen Angriffspunkt. Dann hörte er wieder etwas, die vertraute Melodie von zuvor und ein silbernes Licht ergoss sich über die Lichtung. Die Schatten zogen sich zurück, schienen in der überirdischen Helligkeit zu vergehen. Es war der Geist von Florine, oder zumindest was er für einen Geist hielt. Zu seinen Füßen lag der graue Wanderer der sich seine Bauchwunde hielt, aus der inzwischen keine Schatten mehr sondern rotes Blut sickerte. Er begann verzweifelt zu klingen während an den Rändern des silbrigen Kreises noch immer die Tentakel wüteten, offensichtlich aber nicht eindringen konnten. “Du weißt nicht was du tust! Dieser Weg wird dich nicht beschützen vor dem was aus der Dunkelheit geboren wurde um euch zu verschlingen! Beende es! Töte sie!” Er schrie fast vor Aufregung und Schmerz auch der Geist sprach Lucien mit seiner lieblichen Stimme an. “Ja Lucien beende es. Befreie dich. Jetzt oder nie.” Sie blickte auf den sich am Boden windenden Wanderer.
Es war ein verzweifelter und aussichtsloser Kampf, den er da führte. Möglich das er der bessere Schwertkämpfer war, möglich, dass er treffsicherer, mutiger und einfallsreicher war. Das nützte nur nichts gegen die schwarzen Arme aus eisiger Kälte, die unablässig aus dem wabernden Konstrukt des Körpers der Wesenheit emporschossen um ihn zu umschlingen und zu zerdrücken. Als er im Moment höchster Ratlosigkeit und beginnender Zweifel, ob es eine so gute Idee gewesen war den Wanderer ganz alleine herauszufordern, über eine brennende Fackel oder dergleichen nachdachte, kam die Antwort auf all seine Überlegungen in Form des Geistes. Jenes Geistes, der nach wie vor die hell leuchtende Gestalt von Florine angenommen hatte. Das Licht tat sein Übriges und vertrieb die Finsternis; gebot ihr auf geradezu magische Art und Weise Einhalt. Die beigefügten Wunden begannen zu bluten; das Wesen lag besiegt und gebrochen vor ihm und spie ihm noch immer hasserfüllt seine Abscheu und seinen Wahnsinn entgegen. Der Gangrel hob die leuchtende Klinge an, in der sich das Licht des Geistes spiegelte und stieß sie dem Alptraum des Abgrunds mit aller Kraft mitten ins vermeintliche Herz. „Was immer noch für Schrecken und Bestien auf uns warten, du wirst keine mehr davon sein! Fahr in deine eigene Hölle und kehre nie wieder zurück!“, schrie er dem Wesen entgegen und bleckte grollend die Fangzähne.
Der nächste Schwertstreich traf sein Ziel und ließ den grauen Wanderer verstummen. Dieses Mal für immer. Lucien sah noch den Ausdruck von Entsetzten in seinem Blick, bevor er in eine schwarze, ölige Substanz zerfloss die im Boden versickerte und keinerlei Rückstände übrig ließ, ebenso wie die restlichen Schattententakel die am Rand des Lichtkreises in sich zusammen fielen. Der Geist suchte Luciens Blick “Du hast es geschafft.” Sie nickte. “Auch ich werde jetzt gehen. Du brauchst mich nicht mehr.” Sie begann langsam sich in silbernem Dunst aufzulösen der wie Morgennebel langsam verschwand.
Er sah zunächst zu dem schattenhaften Wesen, das langsam verging und in der öligen Flüssigkeit im Boden versickerte; dann jedoch gleich zu Florine oder dem Geist… oder beidem? War sie tatsächlich seine Geliebte aus sterblichen Tagen oder nur eine weitere Wesenheit, die mit den Ängsten, Hoffnungen und Sehnsüchten der Menschen und Untoten um sich herumspielte? Der Hauptmann musste zumindest dies noch in Erfahrung bringen. „Ich danke dir…“, brachte er nur mühsam hervor. „Wer immer du bist…. Du bist nicht der Geist meiner Florine… oder etwa doch?“ Hoffnungsvoll sah er den Geist sich langsam im Nichts verlieren. Diese Antwort, musste sie oder es ihm doch zumindest noch geben. Er streckte die freie Hand nach ihr aus.
Der Geist schüttelte beinahe traurig den Kopf lachte dann aber doch noch. "Nein ich bin nicht Florine. Auch ich bin du Lucien Sabatier. Zwei Seiten der gleichen Medaille. Eine dunkel wie die Nacht in die du nun durchstreifst und eine hell wie der Tag aus dem du verbannt wurdest." Sie streckte eine Hand zu ihm aus. "Das Gleichgewicht ist wieder hergestellt und jetzt kanns du einfach nur wieder Lucien sein. Deshalb muss ich gehen." Dann zerstob sie in tausende kleiner, glitzernder Silberkugeln die in der Dunkelheit verschwanden wie eine erloschene Kerze. Lucien war wieder allein, aber er war auch zum ersten Mal seit langer Zeit wieder wieder wirklich frei.
Er nickte langsam und bedächtig; ließ die Hand sinken und sah verwundert und doch fasziniert zu, wie sich der Geist vor ihm auflöste, bis nur noch schwarze Nacht ihn umgab. Er hatte seine Seele, sein Selbst wieder in Einklang gebracht, den finsteren Alptraum aus seinem Inneren wieder genau dorthin verbannt woher er ihn unfreiwillig mitgebracht hatte. Ja, Lucien Sabatier war nun einfach wieder wer er war, ohne lieb gesäuselte Stimmen und Einflüsterungen, dunkler Versprechen und anklagender Worte. Der Schattenwolf von Brügge, war jetzt nur noch der Wolf und das war hinsichtlich der damit einhergehenden, wiedergewonnen Freiheit des Gangrel, mehr wert als alle Titel und schönen Namen.