Di 17. Mai 2016, 11:34
Kaum hatte der Rabe das Zimmer mit ein paar schnellen Flügelschlägen verlassen, entzifferte der Hauptmann bereits mühevoll die schwierig zu lesende Nachricht. Gerrit verwendete Tauben, weil diese unauffälliger waren aber er war wohl nicht der einzige der tierische Boten auszubilden und einzusetzen wusste. Als er den Sinn der Botschaft verstanden und auch die Unterschrift gelesen hatte, zerknüllte er das Papier in seiner Hand und grunzte verächtlich. Die Sammlerin, was für eine Überraschung. Er hätte ja mit vielem gerechnet aber nicht mit der ominösen Besucherin des Ostens. Lucien selbst hatte noch nie etwas mit ihr zu tun gehabt; wusste aber das Alida sie aufgrund diverser Konflikte mit ihrer Familie und anderen Dingen abgrundtief hasste und fürchtete. Angeblich hatte sie Alyssa unermessliches Leid angetan und an Menschen ‚herumgedoktort‘. Daraufhin hatte die Händlerin sie zu ihrer persönlichen Erzfeindin auserkoren. Mit einem tiefen Seufzen, übergab er das Schreiben dem Kaminfeuer und packte seine Sachen zusammen. Alida mochte sie hassen und verabscheuen; hatte womöglich sehr guten Grund dazu. Der Gangrel selbst war ihr weder begegnet, noch bei ihren Gräueltaten dabei gewesen und zog es vor sich selbst ein Bild von der mysteriösen und zugleich grotesken Wanderin zu machen. Wenn sie ihm Antworten versprach, so war die Sammlerin zumindest einen kurzen Besuch wert. Nur kurze Zeit später hatte er Ajax gesattelt und war bereits auf dem Weg zum Speckfürst, den er nach einem relativ unspektakulären Ritt auch bald erreichte. War es eine gute Idee sich mit der Sammlerin zu treffen? Bisher war er nicht weiter gekommen und er hätte beinahe eine Unschuldige getötet, zumindest aber auf ewig gezeichnet und verunstaltet. Er musste es zumindest versuchen und dem Ganzen eine Chance geben. Misstrauisch band er Ajax bei den Stallungen fest und beäugte vorsichtig die Umgebung.
Das Gasthaus ‘Zum Speckfürst’ war eine beliebte Herberge zwischen Gent und Brügge die es nicht nur durch saubere und bezahlbare Zimmer schaffte einen ununterbrochenen Strom von Kunden anzuziehen, sondern auch durch seine guten Lebensmittel die dem Gasthaus auch zu seinem bezeichnenden Namen verholfen hatten. Ajax kannte die Stallungen und ließ sich ohne großes Aufsehen anbinden, denn ein Stallbursche war gerade nicht zu sehen. Lucien konnte Gelächter und Gespräche aus dem Inneren der Stube hören, während die Butzenfenster in warmem Gelb strahlten und zum Verweilen einluden. Bevor der Hauptmann jedoch eintreten konnte hörte er einen lauten Pfiff aus einem der großen Nadelbäume die das Gebäude zierten. Er drehte sich verwundert um und fixierte den Waldrand, aus dem er die kurzen Pfiffe vernommen hatte. Mit einem schweren Seufzen, setzte er sich langsam in Bewegung; die Hand am Schwergriff. „Die Einladung kam unverhofft und unerwartet. Ich hoffe ihr habt die versprochenen Antworten, die ihr in Aussicht stellt. Wie ihr selbst schon bemerkt habt, ist Brügge gerade kein Ort zum längeren Verweilen.“ Misstrauisch suchte er das Gehölz nach menschlichen Umrissen ab; wagte es aber noch nicht seine Augen einzusetzen.
Lucien konnte die Gestalt ausmachen die auf einem der unteren Äste saß. Die Frau hatte eine androgyne Gestalt und hellblondes, fast weißes Haar. Mit einer fließenden, fast lautlosen Bewegung ließ sie sich auf dem Boden fallen und landete ohne Geräusche auf ihren nackten Füßen. Sie schien nicht viel zu wiegen, war aber trotzdem groß und konnte ihm ohne Mühe in die Augen sehen. Sie verbeugte sich leicht und sprach ihn dann mit einer tiefen, dunklen Stimme an. "Guten Abend Hauptmann. Ich freue mich das ihr meiner Einladung gefolgt seid, auch wenn die Umstände einmal mehr schwierig zu sein scheinen, wie so oft in dieser, euren Stadt." Die Tzimisce neigte leicht den Kopf und beobachtete den Gangrel aus wachsamen Augen. Plötzlich schoss eine schwarze Gestalt aus dem Unterholz, die sich auf der Schulter der Frau niederließ. Das Tier, der Rabe der ihm die Nachricht überbrachte hatte wie Lucien nun erkennen konnte krächzte kurz und bildete einen intensiven Kontrast auf der bleichen Haut seiner Herrin, den man sogar in der Dunkelheit wahrnehmen konnte. Immer noch misstrauisch, beäugte der Gangrel die fahl weiße Haut der Fremden, die gemeinhin als Sammlerin bekannt war. Eine Unholdin und Tzimisce, allein dieser Fakt machte ihm die merkwürdige Frau keine Spur sympathischer. Wortlos schnaubte er kurz schief lächelnd, als sich die Gestalt des Raben aus dem Unterholz löste um auf ihrer Schulter Platz zu nehmen. „Lasst euch nicht täuschen Sammlerin. Ich selbst kenne euch nicht aber andere tun es. Und was ich bisher von euch gehört habe, mag mir nicht recht gefallen. Ihr seid ein Drache und nur der Teufel allein mag wissen, was euch in die unendlichen Weiten der Wildnis dieses Landes verschlagen hat.“ Er atmete tief ein und Aus. „Allerdings scheint ihr über die Situation, die wir momentan in der Stadt haben Bescheid zu wissen und ich bin in meinen Ermittlungen noch nicht viel weitergekommen. Es scheint also, das ich etwas Hilfe gut gebrauchen könnte, bevor noch Schlimmeres passiert.“ Mit ein paar knappen Schritten, verringerte er den Abstand zu der makabren Gestalt. „Woher wisst ihr, was ihr wisst und warum wollt ihr mir so ganz einfach helfen? Ihr werdet verzeihen, wenn ich nicht so einfach an eure Gutmütigkeit glaube.“
"Was ihr glauben wollt oder nicht kann ich nicht beeinflussen Lucien Sabatier, aber wenigstens seid ihr interessiert an einem Gespräch bevor er beginnt mich aufgrund des Blutes das durch meine Adern fließt aufschlitzen zu wollen." Sie verschränkte die Arme vor der Brust. "Was mich hierher führt wollt ihr wissen? Nun das kann ich euch sagen. Ich habe vor einigen Jahren in Erfahrung bringen können, dass mein alter Freund Valerius nicht mehr Prinz dieser Stadt ist und ich wollte gerne wissen ob es sich dabei um ein Gerücht handelt oder nicht." Sie ging einen Schritt auf ihn zu und senkte die Arme wieder. "Um fair zu sein Hauptmann, ich hatte die Hoffnung meine Clansschwester in dieser Domäne kennen zu lernen, auch wenn dieser Versuch leider alles andere als eine gute Idee war. Offensichtlich entsprechen die Dinge die man sich über Alida van de Burse im Osten erzählt eben doch nicht der Wahrheit und deshalb suche ich einen neuen Zugang zu eurer Domäne, weswegen ich euch auch meine Hilfe anbiete." Sie lächelte zum ersten Mal während der Rabe wie zur Zustimmung einmal krächzte.
Der Schattenwolf lachte belustigt und schüttelte den Kopf. Es war kein verhöhnendes Lachen, das sie abwertend oder geringschätzen wollte; allein ihre Worte trafen etwas in ihm das ihn zutiefst erheiterte. „Aufschlitzen? Nein, ich habe es mit den Clans immer so gehalten, dass ich jedem eine Chance gebe, wenn er sie verdient hat. Das ist sogar im Falle der Tremere so, für die der Brügger Rat ja nicht allzu viel Liebe übrig hat.“ Er schmunzelte. „Allerdings lassen sich Vorurteile nur schwer ablegen.“ Seine Hand glitt langsam von seinem Schwertknauf und er schien sich ein Stück weit zu entspannen. Was immer sie gedachte zu tun, für den Moment schien es ihr dabei nicht um eine blutige Auseinandersetzung zu gehen. „Alida van de Burse ist… speziell was ihren Clan angeht, soviel kann ich euch verraten. Sie wählte einen anderen Weg ihre Existenz zu beschreiten und gibt sich nicht dem tyrannischen Herrschaftsgebaren des Ostens hin. Wodurch ihr sie so verärgert haben könntet, das sie euch abgrundtief hasst, müsst ihr wohl selbst am beste wissen; ich war nicht zugegen.“ Seine scharfen Blicke musterten sie erneut von Kopf bis Fuß und er sog schwer die Luft in seine toten Lungen. „Valerius ist tatsächlich schon lange nicht mehr Prinz dieser Domäne, selbst vor meiner Zeit, war er schon nicht mehr anwesend. Über sein Schicksal, kann ich euch leider gar nichts berichten und was eure Hilfe angeht….“ Er zögerte. „Mir mag sie wohl recht sein aber nur weil ihr mir in dieser schwierigen Lage helfen wollt, heißt das noch nicht dass euch der Rat mit offenen Armen empfängt. Mag sein das ihr euch mit dieser Tat ein Stück meines Wohlwollens holt oder zumindest meine Meinung über euch beeinflusst aber ich kann und werde euch keinerlei Zugeständnisse machen, das muss euch klar sein Sammlerin“
"Das ist mir bereits genug Schattenwolf. Ich erwarte keine Versprechen und glaube auch nicht an solche wenn sie unter Zwang gegeben werden. Dann sind sie nämlich meistens nichts wert." Er sah ihr Gesicht nicht, denn sie ging einen Schritt weg vom Speckfürst und in Richtung Wald um in die unendlichen, dunkelgrünen Weiten zu schauebn. "Täuscht euch nicht was eure Freundin Alida angeht. Tyrannisches Herrschaftsgebaren kommt in vielen Formen aber ein paar Dinge sind immer gleich. Sie ist bis zur Torheit von dem überzeugt was sie für die Wahrheit hält, scheint erst angreifen zu wollen bevor sie mit Fremden in dem redet was sie für ihre Domäne hält und hat eine ungesund-obsessive Beziehung zu ihrer Disziplin des Fleischformens. Sie ist genau..." Das letzte Wort betonte sie mit gesonderter Intensität, in welchem man fast so etwas wie Bedauern hören konnte. "...Wie all die anderen Tzimisce im Osten, die macht euch darüber nur keine Illusionen. Es wird nur schlimmer und nicht besser. Ich wollte sie kennen lernen weil sie anders ist, so wie man im Osten sagt. Ihr könnt euch meine Enttäuschung sicherlich vorstellen, als ich erfahren musste das alles nichts als leeres Gewäsch war." Sie drehte sich um und lächelte wieder. "Bevor wir über euer ganz spezielles Problem reden schlage ich einen Ortswechsel vor Hauptmann. Habe ich die Erlaubnis in euren Wald einzutreten? Die Zivilisation ist kein guter Ort für euch im Moment. Die Wildnis ist besser."
Er lächelte großmütig und vollführte eine gespielt einladende Geste. Wer Lucien kannte, wusste dass er es mit der Etikette nicht besonders genau nahm. Madame Borlut, Caminus und noch zahlreiche andere würden das ohne Zweifel mit Freuden und gegebenenfalls missmutigen Gesichtern, nur allzu gern bestätigen. „Die Zivilisation ist nie ein besonders guter Ort um darin zu verweilen. Ich behaupte nicht, das wir Backsteinhäuser und Sitzungsräte verdammen sollten aber diese entzückenden, kleinen Städte ziehen Unheil an wie Kuhfladen die Fliegen. Hier draußen ist die Welt noch in Ordnung.“ Der Gangrel schloss zu ihr auf und ging Seite an Seite mit der fahlen Tzimisce in das dichte Dickicht seines Waldes. Sich ein grunzendes Lachen verkneifend, nickte er zustimmend. „Alida ist… merkwürdig auf ihre Art. Ihr Hang sterbliche Familienmitglieder wahllos in die Nacht zu holen und über diesen komischen Familienverband zu wachen wie eine Glucke, war mir schon immer suspekt. Aber wer bin ich, dass ich ihr da hineinreden würde? Solange sie dafür Sorge trägt, das unsere Domäne sicher ist und floriert, damit unsere Beute wohlgenährt für uns bleibt, soll es mir recht sein. Vielleicht wird sie eines Tages, zu dem wovon meine Verwandten im Osten nur im Flüsterton sprechen, vielleicht ist sie sogar wie ihr sagt auf dem besten Wege dahin. Derzeit scheint der kleine Drache in ihr aber noch zu schlafen und das finde ich… “ Der Hauptmann dachte einen Moment lang nach. „Beruhigend. Immerhin gab es da schon ganz andere, vermeintliche Freunde die sich in typischer Unhold-Manier gegen uns stellten. Wollt ihr mir nicht schildern, was aus eurer Sicht so falsch gelaufen ist bei eurem ersten Treffen? Alida tut nichts ohne einen guten Grund und wenn sie euch unverzüglich angegriffen hat, dann müsst ihr etwas getan haben das entweder ihrer Familie oder der Stadt schadet und das sie hütet wie ihren Augapfel.“
Zum ersten Mal schien Lucien die volle Aufmerksamkeit der Sammlerin zu haben, denn sie hörte ihm gespannt zu und schien jedes Wort von ihm mit Interesse aufzusaugen. "Ich verstehe." Mehr antwortete sie anfangs nicht, dann fuhr sie jedoch fort und schien ihre Worte sehr sorgfältig zu wählen sobald wollte sie sich an jedes einzelne Detail erinnern. "Was schief gelaufen ist? Nun meine verehrte Clansschwester lag bewusstlos neben ihrem wimmernden Ghul, der sich gerade vor Verzweiflung und Scham von einem verlassenen Wachturm stürzen wollte. Alida schien, wie ihr bereits gesagt habt sehr an jenem Mitglied ihrer Wiedergängerfamilie, zu hängen so wie all die anderen Drachen die sich diesem Hobby hingeben und ich beschloss ihr einen Gefallen zu tun. Ich konnte den Schmerz von besagtem Ghul meilenweit spüren, was mich zu Beginn auch angezogen hatte. Ich habe ihr die verseuchten Erinnerungen an die Tatsache das sie wahrscheinlich das Kind ihres Bruders zur Welt gebracht hat aus ihrem Kopf geholt wie Gift aus einer Wunde. Daraufhin hat Alida mich angegriffen, nachdem sie aus ihrer kurzzeitigen Starre erwacht war." Die bleiche Frau zuckte nur mit den Schultern. "Ich kann nicht sagen ob euer Drachen schläft oder wach ist, aber das ist auch nicht mehr mein Problem, denn wenn ich angegriffen werde dann verteidige ich mich wie jeder andere unserer Art." Sie lächelte wieder und leckte sich über die Lippen, was nichts an deren Bleichheit änderte. "Ich muss euch in einer Sache leider widersprechen." Sie schien diesen Umstand weniger zu bedauern, als als eine Art von Herausforderung zu sehen. "Wenn ihr mich fragt ist Wildnis oder Zivilisation nicht die eigentliche Frage. Beides ist natürlich für den Menschen und damit zu einem gewissen Grad auch für uns. Es geht mehr um Gleichgewicht und eures ist gestört unabhängig davon wo ihr euch aufhaltet, auch wenn eure Emotionen in der Wildnis weniger unruhig zu sein scheinen als in Brügge selbst."
Misstrauisch hielt Lucien die Sammlerin in seinem Blick fixiert. Hatte er ihr am Ende zu viel erzählt? Nicht das er Alida irgendwelche Unannehmlichkeiten bereiten wollte aber die Auseinandersetzung hatte er beileibe nicht miterlebt. Nun, grundsätzlich waren dies keine Dinge, welche die Unholdin nicht ohnehin mit ein paar Erkundungen und Nachforschungen selbst herausgefunden hätte. Das Alida sehr an ihrer Familie hing und die Stadt bis zum letzten Mann verteidigte, war gängiges Wissen. Er nickte etwas unsicher. „Hm…“, kommentierte er zunächst nur knapp. „Also wollte sich einer ihrer Ghule aufgrund einer Inzest-Schwangerschaft in den Tod stürzen und ihr wolltet ihr diese Erinnerung nehmen? Alida hat so etwas Ähnliches erwähnt aber da ging es um Schädelöffnungen und andere groteske Operationen, die ihr angeblich vorgenommen habt. Vielleicht ist das aber auch nur eure bevorzugte Methode, was verstehe ich schon davon?“ Er schmunzelte. „Es war ganz sicher nett von euch gemeint, wie immer ihr der Ratsherrin auch zur Hand gehen wolltet aber… das nächste Mal würde ich sie einfach vorher fragen. Wenn schon nichts anderes, so war selbst dieser todessehnsüchtige Ghul ihr Eigentum, das ihr… beschädigt habt. Ob sich da je wieder etwas positives entwickeln wird, kann ich euch nicht sagen; nicht einmal ob sie euch jemals neutral gegenüber stehen könnte, auf mich wirkt ihr außerweltlich und merkwürdig aber das haben viele Tzimisce an sich. Gebt euch einen Ruck und versucht es mit einem offiziellen Entschuldigungsschreiben, das ihr wenn gewünscht, nachträglich mit einer persönlichen Vorstellung untermauern könntet. Mehr kann ich euch dazu aktuell nicht raten.“ Der Hauptmann hielt abrupt inne und sah die Sammlerin beinahe feindselig von der Seite an. „Mag sein das eine gesunde Balance der richtige Weg ist, einer unserer Ratsherren versucht dies schon seit Jahrzehnten mit gemischtem Erfolg aber was hat das mit mir zu tun? Was hat das mit den aktuellen Zuständen in der Stadt zu tun? Morde geschehen und ich verletzte Unschuldige, weil diese merkwürdigen Nordlichter am Himmel mir irgendwelche Fantasiegebilde vorgaukeln. Sprecht schnell: Was habt ihr mit all dem zu schaffen?“ Vorsichtig wanderten seine Finger an Brunhilds Dolch, der ja angeblich die Wahrheit enthüllte. Mittlerweile war er sich nicht mehr sicher, was Realität war und was nur ein abgründiger Alptraum seines Geistes.
Die Sammlerin begab sich in eine Fluchtposition von dem Moment an als Lucien seine Finger an den Dolch legte. Das konnte er daran erkennen wie sie ihr Gewicht verlagerte und ihre Beine subtil in Richtung Wald drehte. Die Tzimisce schien auf alles vorbereitet zu sein und das leichte Lächeln verschwand wieder aus ihrer Mimik. "Ich habe ihren Ghul geheilt und dafür musste ich ihren Schädel öffnen. Leider konnte ich ihre Herrin nicht fragen, da sie sich in einer Halbstarre befand. Als Dank würde ich ohne Provokation angegriffen und konnte den Ghul nicht wieder zusammensetzten. Sie hätte keinen Schaden davongetragen. Haltet mich für stur aber ich krieche vor keinem ungehobelten, jungen Tzimisce im Staub für einen Gefallen dem ich ihm erwiesen habe. Ich habe genug Tzimisce im Osten die sich bei jedem Wort und Blinzeln in ihrem Stolz und ihren Rechten gekränkt fühlen. Das muss und werde ich mir hier nicht auch noch antun." Sie richtete sich zu voller Größe auf und schien Lucien sogar um ein paar Zentimeter zu überragen. "Ich habe Informationen für den Rat von Brügge bezüglich alter und neuer Feinde aus dem Osten und werde in Zukunft um ein Aufenthaltsrecht im Gegenzug für dieses Wissen bitten. Entweder wird es mir gewährt oder nicht, aber das ist was ich als Handel anzubieten habe und der Rat von Brügge soll entscheiden ob er es annimmt oder nicht." Die Sammlerin schien noch immer mit allem zu rechnen und Lucien konnte durch seine jahrelange Erfahrung spüren, dass sich ihre Vorsicht nur noch steigerte als sie die nächsten Worte sprach. "Ich habe mit all dem nichts zu schaffen, ich beobachte nur. Im Gegenteil ihr solltet mit euren Anschuldigungen nicht so um euch werfen, da ihr es seid der diese Morde begangen hat." Sie lächelte wieder, fast entschuldigend. "Ich spüre nun das ihr das offenbar gar nicht so sehr wolltet auch wenn ihr über Wochen Menschen in der Stadt getötet habt. Eine Sache habt ihr aber schon erkannt. Die Nordlichter haben in der Tat einen Einfluss auf euch, einen Einfluss der euch aus dem Gleichgewicht bringt und ich vermute auch das das der Grund ist wieso ihr so verwirrt über die vergangenen Ereignisse seid." Sie ließ den Gangrel nicht aus den Augen, so als fürchtete sie das er sie jeden Moment aufgrund eines falschen Wortes oder einer falschen Bewegung anspringen würde.
Lucien seufzte und seine Augen verschmälerten sich zu kleinen, einschätzenden Schlitzen als er die Sammlerin äußerst misstrauisch beäugte. Ja in der Tat, sie hatte gut daran getan seinen Griff an den Dolch durchaus als Mahnmal dessen zu sehen, wozu er jederzeit bereit war. Nun war es nicht so, dass er sich dies in irgendeiner Form wünschte oder herbeisehnte aber die Erzählungen von Alida, als auch die Andersartigkeit der Fremden, ließen ihn vorsichtig werden. Vielleicht zu vorsichtig aber konnte man es damit je wirklich übertreiben? Abwartend musterte er sie erneut von Kopf bis Fuß, um dann einen quälend langen Moment später langsam zu nicken. „Gut, das kann ich nachvollziehen und akzeptieren, seid euch nur der Tatsache gewahr, das euer Stolz vielleicht die letzte Hürde sein wird, die ihr nicht zu überwinden vermögt, wenn ihr tatsächlich um eine Aufnahme in der Stadt bemüht seid. Niemand erwartet, dass ihr vor unseren Füßen dahinkriecht, verfügt ihr doch sicher über zahlreiche, nützliche Fähigkeiten, Kenntnisse und Informationen. Es ist auch müßig darüber zu diskutieren, wer sich bei wem entschuldigen sollte: Ich gebe euch bezüglich Alida van de Burse nur die Fakten wider. Wollt ihr euch jemals wieder gut mit ihr stellen, so wäre zumindest eine Entschuldigung ein erster Schritt. Nehmt es oder lasst es, ich kenne unser Unholdin da recht gut.“ Er schmunzelte. „Kauf ihr euch gerade meine Stimme? Ich muss noch einmal betonen, dass dies hier keinen Einfluss auf euren Verbleib in Brügge hat, zumal ich mich dennoch freu die berüchtigte Sammlerin nun selbst kennenzulernen. Bitte um eure Aufnahme in die Stadt, mehr als darüber beratschlagen, können wir nicht tun.“ Dann wurde der Schattenwolf sehr aufmerksam, als sie ihm das offenbarte wovon er zwar selbst schon heimlich überzeugt gewesen war, was er aber tunlichst in die tiefsten Abgründe seiner Gedanken verschoben hatte; etwas das er nicht wahrhaben wollte. Der Mörder war niemand geringerer als er selbst. Schweigend sah er durch das Blätterdach in den Nachthimmel, schloss dabei die Augen und nickte beinahe betroffen. „Ich ahnte es bereits. Die Brutalität der Angriffe und die Art der Wunden, schlussendlich der Angriff auf meine Späherin und die Trugbilder der Schmiedin, ließen mich diesen Verdacht in Erwägung ziehen und dennoch…“ Er sah sie wieder an. „Dennoch verstehe ich nicht wie so etwas möglich ist? Warum habe ich mich nicht unter Kontrolle? Warum töte ich scheinbar wahllos und warum kann ich mich an nichts erinnern? Da muss doch mehr im Spiel sein, als simples Licht am Nachthimmel. Ist es Magie? Wie kann ich dem ein Ende setzen?“
"Vielleicht liege ich falsch was euren Drachen angeht Hauptmann und ich danke euch für eure Einschätzung, aber ich habe es mehr als satt mich mit größenwahnsinnigen Tzimisce rumzuschlagen. Man kann seine Zeit wahrhaft besser nutzen. Vielleicht könnt ihr dieses Gefühl nachvollziehen aber es spielt im Moment auch keine Rolle." Die Sammlerin drehte sich eine wenig um und Lucien konnte einmal mehr das androgyne, bleiche Profil sehen. Zum ersten Mal sah er ihre leuchtend grünen Augen. "Dies ist vielleicht Gesprächsstoff für die Zukunft wenn wir über wirkliche Geschäfte sprechen. Seht unser Zusammentreffen hier also nicht als Bestechung sondern als Hilfestellung an, denn im Gegensatz zu dem was eure Freundin von mir denkt habe ich andere Prioritäten als Verstümmelung, Mord und Intrige." Sie lachte wieder, beinahe schelmisch auch wenn ihr geschlechtsloses Gesicht schwer zu lesen war. "Aber ich werfe ihr das nicht vor, immerhin haben wir kaum ein Wort miteinander gewechselt. Wie sollte sie das auch wissen?" Die Sammlerin schaute Lucien inzwischen intensiv an, schien ihn zu mustern als würde sie etwas suchen. Dann nahm sie den Raben von ihrer Schulter und streichelte ihm über den Kopf. "Das hier ist Corvus Hauptmann." Sie streichelte den Vogel weiter. "Er kann euch vielleicht helfen antworten auf seine Fragen zu finden." Plötzlich und mit einer schnellen Bewegung öffnete sie den Schädel des Tieres und im schwachen Mondlicht konnte Lucien das kleine, pochende Gehirn des Raben sehen. Sie bewegte ihre Hände und nach kurzer Zeit erschien ein pulsierender, roter Faden der die Umgebung in einem gespenstischen Scharlach erhellte. Während der ganzen Prozedur bewegte sich der Vogel keinen Millimeter. Offensichtlich war er an den Vorgang gewöhnt und beobachtete den Hauptmann weiterhin mit seinen schwarzen Augen, die wie Kohle glitzerten. Mit einer weiteren Geste befördere sie die 'Substanz' oder was immer es war in ein kleines Fläschchen das sie von irgendwo hergezaubert hatte und reichte es schließlich in Richtung Lucien. "Das hier Hauptmann ist eine Sammlung Erinnerungen. Corvus Erinnerungen um genau zu sein. Es mag euch helfen die Antworten zu finden die Ihr sucht. Falls ihr euch fürchtet vor dem was in der Flasche ist kann ich euch beruhigen. Dies ist lediglich eine Erinnerung der ich physische Form gegeben habe damit ihr sie erleben könnt und keine Vitae. Es verursacht also kein Blutsband wenn ihr den Inhalt in euch aufnehmt." Sie hielt ihm das seltsam leuchtende Glasbehältnis mit einem selbst zufrieden Lächeln hin, ganz so als wäre sie bis zum Zerreißen auf seine nächste Reaktion gespannt.