Vampire: Die Maskerade


Eine Welt der Dunkelheit
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 Betreff des Beitrags: Re: Gen Süden bei Nacht
BeitragVerfasst: So 22. Mär 2015, 13:02 
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Belinkov führte ihn in das Zimmer, warf kurz einen Blick in Richtung einer gemütlichen Sitzgruppe dann zum Schreibtisch. Er entschied sich für den Schreibtisch, räumte einige der Papiere zur Seite und lud Lucien mit einer ausladenden Geste ein ihm gegenüber Platz zu nehmen.
„Ihr seid also Lucien Sabatier, Hauptmann der Brügger Stadtwache, wenn ich mich nicht irre. Es freut mich Euch heute als Gast begrüßen zu dürfen. Ihr seid schnell mit dem Schwert und schnell mit der Zunge habe ich gehört.“ Ein wissendes Schmunzeln breitete sich auf seinen Zügen aus. „Doch sagt: Ihr erwähntet gerade, meine Leute hätten euch keinen angenehmen Empfang bereitet. Was genau meint ihr?“ Er sah Lucien fragend an.
Lucien machte ein paar Schritte auf den Schreibtisch zu an dem Belinkov soeben Platz genommen hatte, rückte dort einen Stuhl zurecht und setzte sich ebenfalls hin. Sein Blick glitt über all die Kostbarkeiten und Habseligkeiten, mitunter wohl auch richtiger Plunder den der Russe angehäuft haben musste. Sein Nicken deutete eine gewisse Dankbarkeit an, obwohl ihm die Sache mit der ach so herzlichen Gastfreundschaft nicht wirklich koscher erschien. "Dem ist so ja. Und ihr seid Belinkov, geschickt im Handel aber noch geschickter wenn es darum geht Fleisch wie Ton zu formen...." Lucien grinste. "Hab ich gehört." Bezüglich der Wachen zog er lediglich die Schultern ein Stück an. "Ich wollte zu euch vorgelassen werden, scheinbar haben sprachliche Barrieren aber eine zivilisierte Konversation zunichte gemacht. Ich wurde ausgelacht, auf russisch verspotten und weder die Erwähnung eures Namens oder die von Girland konnten da etwas machen. Als die Schwerter schon blitzten, sah ich mich gezwungen zu handeln, Monsieur, aber keine Angst; eure Wachen leben noch. Ich habe sie nur ein wenig eingeschüchtert und ein paar hungernde Wildhunde rund ums Haus postiert, bevor ich mich zu euch schlich. Entschuldigt mein unangekündigtes Eindringen."
„Sie haben was?“ Ein wütender Zug legte sich auf sein perfektes Gesicht. „Ivan… Immer das gleiche mit diesem Kerl.“ Er erhob sich. „Verzeiht mir, Meister Sabatier, dass man Euch nicht herzlicher in meiner bescheidenen Behausung empfangen hat.“ Seine Lippen verengten sich zu einem Strich. „Der Mann ist leider der jüngste Sohn von einem meiner besten Männer. Das Ansehen, das sein Vater unter meinen Männern genießt macht den Jungen überheblich und nachlässig. Aber eine solche Dummheit ist nicht tolerabel.“ Er trat einige Schritte zur Wand und betätigte einen Mechanismus um sich dann wieder zu Lucien umzuwenden. Lucien war klar, dass es sich um eine Glocke handeln musste. „Er hat damit eindeutig seine Kompetenzen überschritten und mein Vertrauen missbraucht.“
Der Gangrel hob nur erneut die Schultern und machte eine abwehrende Geste; wirkte mehr als versöhnlich. Für ihn war die ganze Angelegenheit nicht weiter schlimm - bestenfalls eine lästige Verzögerung. "Wenn dies das erste Mal gewesen wäre, dass mich jemand verspottet und auslachte, Monsieur. Macht euch keine Sorgen, ich denke euer Ivan hat seine Lektion gelernt und schließlich und endlich bin ich ja nun dennoch hier. Er ist für eure Sicherheit verantwortlich und er kannte mich nicht - Vorsicht kann man ihm wohl kaum zum Vorwurf machen, höchstens seine Möglichkeiten nicht vollends ausgeschöpft zu haben. Aber wie gesagt, ich bin ja nun hier."
Es dauerte knapp eine Minute bis angeklopft wurde und sich die bekannte Gestalt von Girland durch die Tür zwängte. „Ihr habt gerufen?“ Der bärtige Mann trat näher und seine Augen wurden groß als er Lucien am Schreibtisch seines Herrn erkannte. Er öffnete den Mund um etwas zu sagen, schloss ihn dann jedoch wieder und sah Belinkov an.

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„Danke Girland, dass du so rasch gekommen bist. Hol mir Ivan und seine Männer her! Sofort!“ Der Majordomus nickte und schluckte. Er deutete eine kurze Verbeugung an und verließ den Raum.
Belinkov sah wieder zu Lucien und er verschränkte die Finger. „Ivan wird von einem Kainiten angewiesen seinen Herren holen zu lassen und gibt weder Girland noch mir Bescheid? Zum Einen eine unverzeihliche Dummheit und zum Anderen verspottet und bedroht er einen Unbekannten ohne seinen Kopf zu gebrauchen. Für einen niederen Diener möglicherweise ein verzeihliches Benehmen aber das ist er nicht. Ivan wollte den Posten der obersten Wache. Und damit unterliegt ihm die Verantwortung für alle anderen. Von einem solchen Mann erwarte ich etwas mehr Führungsqualitäten, Potential und Gehirn.“ Er sah Lucien fragend an. „Würdet ihr ein solches Verhalten in Brügge bei euren obersten Wachmännern durchgehen lassen?“
Der Hauptmann der Brügger Nachtwache drehte leicht den Kopf als Girland den Raum betrat, schenkte ihm ein wissendes Lächeln: Natürlich war er überrascht. Draußen vor der Tür rotierte das Wachpersonal und der gesuchte Eindringling, von dem noch nicht einmal jemand wusste wer er war, saß hier mit seinem Herrn und unterhielt sich. Obwohl er hier selbstredend keine Befehlsgewalt hatte, nickte er dem Majordomus noch einmal bekräftigend zu, eine kleine Geste die ihm zu verstehen geben würde, dass wirklich alles in Ordnung war und er lediglich Belinkovs Anweisungen folgen sollte. An eben jenen gewandt, führe Lucien etwas überlegend weiter aus. "Wenn ein Kainit an die Tore von Brügge klopfen sollte so würden ihn meine Wachen, bis auf wenige Ausnahmen nicht sofort erkennen. Dennoch sind unsere Sicherheitsmaßnahmen entsprechend hoch und natürlich würde jede kleine, verdächtige Aktivität gemeldet werden bis der Kainit, als solcher erkannt werden würde." Lucien sah den Russen einschätzend an, nickte dann sachte als sein Blick sich etwas verhärtete. "Aber wenn solcherlei Dinge vorfallen dann ist die Befehlskette strikt einzuhalten. Es sind unverzüglich die entsprechenden Stellen zu informieren und laut Protokoll vorzugehen. Gerade Brügge kann sich Fehlgriffe nicht leisten. Von jemanden der die Wache in meiner Abwesenheit anführt oder den nächsthöchsten Posten inne hat, verlange ich nicht mehr als Perfektion… mein Unleben hängt mitunter davon ab."
Belinkov nickte zustimmend. Es dauerte rund fünf Minuten bis Girland mit den Männern erschien. Die Wachleute wirkten unruhig, sahen in alle Richtungen nur nicht zu ihrem Herren und wichen einen Schritt nach hinten als Girland dem arroganten gutaussehenden Mann, den Belinkov als Ivan bezeichnet hatte einen Schub nach vorn gab. Belinkov wechselte einige knappe Worte in der abgehackten Sprache die der Hauptmann nicht verstand mit den Wachleuten. Ivan sah die ganze Zeit zu Boden und war kaum wieder zu erkennen.

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Schließlich trat Belinkov näher an ihn heran, drehte sein Kinn mit einer festen Bewegung in seine Richtung und zwang ihn den Blick seiner eisblauen Pupillen zu erwidern. Ivan begann zu zittern als sein Herr die Wahrheiten, die er ihm verschwiegen hatte, in seinen Gedanken suchte. Dann schlug Belinkov ihn mit einer knappen Handbewegung ins Gesicht und wandte sich wütend Lucien zu. Seine Stimme war laut und voller Zorn. „Er hat euch beleidigt, angespuckt, selbst als ihr euch als Kainit ausgegeben habt nicht adäquat reagiert und hat zusätzlich noch seine Wachmänner bedroht, sollten sie Girland oder mir Bericht erstatten.“ Er fuhr wieder herum. „Auf die Knie!“ Girland knurrte eine kurze Übersetzung für den Mann. Belinkov machte sich nicht die Mühe ins Russische zu wechseln.
„Ivan. Ihr habt mein Vertrauen missbraucht und meine Gunst verspielt. Kehrt zu eurem Vater zurück! Wenn er der Meinung ist, dass er euch genug Anstand, Wissen, Führungsqualitäten und ein wenig Hirn in euren hohlen Schädel geprügelt hat, kann er euch gern wieder der Obhut von Girland überstellen. Bis dahin will ich Euch nicht mehr sehen!“ Er streckte seine Hand aus und berührte den gutaussehenden Mann an der Schläfe. Als der Wachmann das nächste Mal aufschaute hing sein linkes Augenlid träge herab und entriss seinem Gesicht damit die Schönheit, die ihm zuvor inne gewohnt hatte. Die anderen Wachmänner wichen entsetzt zurück. „Er soll sich beeilen, sonst läuft er für den Rest seiner Tage so herum. Sag ihm das, Girland.“ Mit einer knappen Handbewegung gab er den Männern ein Zeichen sich zu entfernen und die Gestalten rannten fast aus dem Zimmer. Girland wartete einen Moment auf weitere Befehle, dann verabschiedete er sich mit einer angedeuteten Verbeugung. Belinkov nahm wieder Gegenüber von Lucien am Schreibtisch Platz. Er seufzte.
Lucien verfolgte die gesamte Szenerie mit unsicherem Schweigen. Er war hier Gast, was so viel bedeutete wie: Über die Art und Weise wie der Hausherr seine Zuflucht und Untergebenen befehligte, war nicht zu urteilen. Man konnte sich seinen Teil denken oder seine Meinung kund tun wenn man gefragt werden würde, doch das hier war die Domäne von Belinkov, es waren seine Männer, sein Gefolge und seine Anweisungen die nicht klar und präzise befolgt worden waren. Noch einen verstohlenen Blick, den beinahe rennenden Gestalten hinterher werfend quittierte er das kurze Seufzen seines Gegenübers mit einem bekräftigenden Nicken. "Es ist nicht immer leicht seinen Untergebenen klar zu machen, was Priorität hat. Ich hatte mal einen Wachmann, der kam ohne Bewaffnung zur Schicht. Wenn er nicht just einen Moment später nützlich gemacht hätte, hätte ich ihm an Ort und Stelle den Kopf abgeschlagen." Es war der vielleicht etwas unbeholfene lucientypische Versuch eine Art Beziehung zum Gastgeber aufzubauen. "Da wir aber gerade von Prioritäten reden, Monsieur. Verzeiht, dass ich so schnell zum Punkt komme aber ich bin kein Freund großer Worte. Ihr könnt euch sicher denken, dass jemand wie ich die Reise nach Genua nicht umsonst auf sich genommen hat. Weiters könnt ihr euch vielleicht schon denken, dass es einen besonderen Grund hat warum ich genau euch aufgesucht habe. In der Tat benötigt Brügge eure Hilfe."
Bei Luciens Worten huschte ein kurzes Lächeln über das Gesicht seines Gegenübers. „Nein, ihr seid kein Mann langer Begrüßungsfloskeln aber das ganze höfische Getue kann ich genauso wenig leiden. Auch wenn es mitunter erwartet wird…“ Die blauen Augen leuchteten kurz verschwörerisch auf. „Ihr kommt mir also durchaus entgegen.“ Er lehnte sich interessiert in seinem Stuhl zurück und nickte. „Ich gestehe, es hat mich überrascht zu hören, dass sich kurz nach meiner Abreise ein Tross von Brügge auf den Weg nach Genua gemacht hat. Wie anfänglich angekündigt habe ich eigentlich mit Alida van de Burse gerechnet. Ich bin mir sicher, sie hat euch berichtet, dass ich ihr ein Angebot unterbreitet habe, das sie ausgeschlagen hat. Auch wenn ich die Art und Weise wie sie…“ er suchte nach den richtigen Worten. „Geschäfte tätigt, kenne, habe ich doch gehofft, sie hätte es sich noch einmal anders überlegt. Nun denn. Das ist das Thema einer anderen Nacht und soll uns heute nicht weiter beschäftigen.“ Wieder richtete sich der fragende Blick auf Lucien. „So berichtet: Weshalb sucht ihr mich auf?“
Die Erwähnung, dass Belinkov schon bereits kurze Zeit nach seiner eigenen Abreise über die Brügger Reisegesellschaft und ihrem Ziel Genua informiert worden war, ließ Lucien kurz bedächtig inne halten. Wenn die hier im Süden schon Bescheid wussten, dann wüssten es mit hoher Wahrscheinlichkeit auch die anderen Domänen wie Frankreich oder England. Offenkundig konnte man nicht einmal mehr die eigene Stadt ungesehen verlassen. Er machte sich eine geistige Notiz, später noch mit Gerrit über diverse Sicherheitslecks zu diskutieren. Es mochte Vorteile haben der Anführer von Dieben und Halsabschneidern zu sein aber das war auch der größte Nachteil an der Sache. "Alida van de Burse wäre selbst gekommen Meister Belinkov, bedauerlicherweise ist sie aber mit anderen Dingen beschäftig denen sie sich voll und ganz widmen muss. Da ich eure private Unterredung mit ihr aber nicht mitverfolgt habe, kann ich zu irgendwelchen Geschäften oder Angeboten nichts sagen aber deshalb bin ich heute auch gar nicht hier." Der Gangrel suchte den Blick des Unholds. "Mir wurde mitgeteilt, ihr seid der bemerkenswerten Kunst des Fleischformens kundig, mein Herr, und wie ich an eurer Unterredung mit Ivan sehen konnte, scheinen diese Gerüchte zu stimmen. Die Frage ist: Reicht eure Kunst auch für mehr? Sagen wir: Für ein kleines... Wunder?"
Belinkovs blaue Augen verengten sich interessiert und nachdenklich. „Wunder sind wahrlich nicht mein Metier, Meister Sabatier.“
"Dann vielleicht lediglich große Taten, die einem alles abverlangen und das eigene Können auf die Probe stellen?" Lucien setzte absichtlich einen verschwörerischen Blick auf und versuchte diesen mit einem leichten Lächeln zu kompensieren. "Mir liegt es fern euch länger auf die Folter spannen zu wollen und mit um den Brei herum reden ist auch niemandem geholfen. Kurzum: Ihr seid versiert in den Künsten des Fleischformens und Brügge hätte eine dringende Aufgabe für die eure Talente, so wurde mir versichert, genau die richtigen wären. Leicht wird es nicht und vermutlich zeitaufwendig, kompliziert womöglich aber da bin ich kein Experte. Jedenfalls aber ist es wichtig." Der Gangrel ließ einige Sekunden verstreichen bevor er fortfuhr. "Ich bitte euch nicht nur im Namen von Brügge um eure Hilfe sondern auch im Namen von Alida van de Burse." Mit diesen Worten warf er ihm das kleine Stoffsäckchen mit dem Rest Brügger Erde, sowie dem kleinen Stein zu. "Werdet ihr uns helfen Monsieur Belinkov?"
Belinkov zog fragend eine Augenbraue hoch und griff nach dem Beutel. Vorsichtig öffnete er die Schnüre, blickte interessiert in die Schatten des Säckchens und ließ die Erde in seine bleiche Handfläche rieseln. Einzelne weiße Blütenblätter fielen zwischen die Pergamente auf den Schreibtisch. Er schloss die Faust und roch daran. Seine Stimme war nur ein Flüstern das von einem glücklichen Lächeln begleitet wurde. „Der Apfelgarten…“ Der Tzimisce wirkte mit einem Male viel lebendiger und jünger und seine Züge hatten fast etwas Kindliches an sich. Ein sehnsuchtsvoller Ausdruck lag auf seinem Gesicht. „Heimaterde. Ein gutes Geschenk der Frau van de Burse. Aber zugleich so unglaublich bitter.“ Er wurde sich wieder bewusst, dass er nicht allein im Raum war und schüttelte den Kopf als wolle er sich selbst ins Hier und Jetzt zurückholen. Er verstaute den Beutel in seinem Gewand und griff dann nach dem Stein. Er hielt den Jaspis näher an die Augen und musterte ihn lange mit einem wissenden Lächeln und für einen winzigen Sekundenbruchteil legte sich ein warmer rotbrauner Schatten über die kalten Pupillen. Belinkov blinzelte mehrere Male als hätte er etwas in die Augen bekommen und blickte Lucien dann wieder mit seinen eisblauen Iris an. Er legte den Stein zur Seite. „Worum geht es?“
Lucien betrachtete den Mann sehr eingehend, als dieser sich sehr intensiv und fast mit nostalgischer Hingabe dem Inhalt des kleinen Stoffsäckchens widmete. Er hatte sich schon bei seiner Abreise gefragt, wie ein wenig Erde, Blütenblätter aus Alidas Apfelgarten und ein kleiner, nicht besonders wertvoller Edelstein einen russischen Unhold besänftigen bzw. dazu bringen könnten, eine fremde Domäne so ohne weiteres zu unterstützen. Dies aber waren wohl Geheimnisse, die nur zwischen Alida und Belinkov selbst bestanden; möglicherweise eine Art Tzimisce Tradition oder Gepflogenheit, vielleicht aber verband die beiden bei weitem mehr, als die Brügger Kauffrau ihm anzuvertrauen gewillt war. Sei es drum, er würde sie wohl bei seiner Rückkehr danach fragen müssen denn für den Moment, schienen seine Worte und ihr Geschenk Wirkung zu zeigen. "Die Sache ist ein wenig... kompliziert, also nicht nur hinsichtlich dessen worum wir euch bitten, Belinkov. Es gibt einige... gefährliche politische Verwicklungen und Verbindungen, die mit dem worum wir euch bitten in Beziehung stehen. Sterblicher, womöglich aber auch kainitischer Natur. Im Grunde ist es ein Stück Djihad par excellence Monsieur und bevor ich euch mehr erzähle, muss ich euch erstens das Versprechen abringen, niemandem davon zu erzählen und zweitens..." Er pausierte kurz. "Zweitens müsst ihr bei eurer Ehre als Unhold versprechen, dass ihr zumindest versuchen werdet unserem Wunsch so gut wie möglich nachzukommen. Ich weiß es ist viel verlangt, doch viel steht auch auf dem Spiel. Habe ich euer Wort?"
Sein Gegenüber hob fragend eine Augenbraue. „Bei meiner Ehre als Unhold?“ Bei dieser Wortwahl musste er dann doch grinsen. „Ihr habt mein Wort als Tzimisce dass das, was unter uns besprochen wird dieses Zimmer nicht verlässt.“
Lucien nickte und rückte seinen Stuhl etwas näher an den Schreibtisch heran, lehnte sich etwas über die Ablage dabei und dämpfte die Stimme. "Wir sind nicht allein nach Genua gekommen. In meinem Tross befinden sich zwei Personen, dessen weitere Zukunft unmittelbar an eure Hilfe geknüpft ist. Bei dem einen handelt es sich um Balduin, den verstoßenen Sohn des Grafen Balduin von Flandern, der gerade in diesem Moment in den Kreuzzug aufbricht." Er wartete einen Moment bevor er fortfuhr. "Balduin, der Erbe von Flandern, wurde er von einem Feind unserer Domäne entführt und grässlich verunstaltet - allerhöchstwahrscheinlich durch eure Kunst. Währenddessen hat man einen fleischgeformten Doppelgänger von Balduin erstellt, dessen wahrer Name Martin ist. Der Knabe gleicht dem Original bis aufs Haar, Monsieur. Offenbar wollte man das Double benutzen um wie auch immer politischen Einfluss auf die Höfe von Flandern zu nehmen." Lucien grinste. "Dieser Plan konnte aber vereitelt werden und nunmehr haben wir den echten als auch den falschen Balduin in unserer Gewalt. Wir möchten, dass ihr eure Kunst anwendet um anhand von Martin, das Antlitz und die physische Erscheinung von Balduin wiederherstellt und danach Martin soweit verändert, dass er nicht mehr mit ihm verwechselt werden kann. Im Moment, ist der echte Balduin nicht mehr als ein Krüppel und Monster, einem Nosferatu bald würdig." Er setzte sich ein wenig auf und sah Belinkov fest in die Augen. "Es handelt sich also einerseits um eine recht einfache und dann wiederum um eine recht komplexe Aufgabe: Stellt Balduin anhand einer lebenden Vorlage wieder her und dann verändert die Vorlage sodass sie ihm nicht mehr gleicht - das war es im Grunde. Da uns der Prinz eine Aufenthaltsgenehmigung für einen Monat gab, habt ihr auch nur solange Zeit dafür. Könnt ihr das bewerkstelligen Monsieur?"
Belinkov ließ seinen Blick nachdenklich durch den Raum streifen um schließlich aus dem Fenster aufs weite Meer zu schauen. Mit den Fingern knetete er überlegend seine Unterlippe. „Ihr wollt, dass ich das Werk eines meiner Clansmitglieder ungeschehen mache? Ist es euch recht, wenn ich die Jungen herbeiholen lasse? Ich will wissen worum es sich handelt.“
Lucien nickte. "Schickt Girland zur Herberge 'La foresta', dort sind wir untergekommen. Fragt dort nach Frederik, Alidas Diener. Wenn ihr meinen Namen erwähnt sollten sie ihm genügend vertrauen um ihn zu begleiten. Doch seid vorsichtig, die Jungen müssen verborgen werden. Nicht nur weil der eine einem Monster gleicht, sondern weil der andere immer noch fälschlicherweise als Balduin erkannt werden könnte. Dieser Probleme mussten wir uns schon auf unserer Anreise widmen."
Belinkov nickte, rief erneut seinen Majordomus Girland herbei und gab ihm die Order die beiden Knaben herbeibringen zu lassen. Dann legte er die Handflächen übereinander und sah Lucien an. Eine lange Zeit schien zu vergehen. „Meister Sabatier. Da Frau van de Burse den Vorschlag, den ich ihr unterbreitet habe nicht in Betracht gezogen hat sind die meisten meiner Clansbrüder- und –schwestern nicht unbedingt hoch erfreut über diesen Umstand. Auch wenn nicht direkt offene Feindschaft entstehen wird, hätten sich die meisten doch über ein direktes Bündnis und nennen wir es „gegenseitige Unterstützung“ gefreut. Immerhin herrscht Krieg im Osten, wie ihr vielleicht wisst.“ Seine Stimme wurde leiser. „Und wie ihr bekanntlich wisst gibt es einige wenige Mitglieder der Tzimisce, die sich offen dazu entschlossen haben Lady Draga in ihrem Bestreben zu unterstützen ihr Voivodat auszubauen. Sollte ihr das gelingen ist es nur eine Frage der Zeit bis Brügge in die Hände dieser soeben erwähnten Tzimisce fällt.“ Er seufzte und fuhr sich mit der Hand über das Kinn. „Aber wie ich schon zu Beginn unseres Gesprächs erwähnte, das soll an diesem Abend nicht das Gesprächsthema sein…nur ist es nun einmal so, dass ich mich nicht unbedingt beliebt in den Reihen der Unholde machen würde, wenn ich eine Domäne unterstütze, die erst vor wenigen Wochen offen auf die Freundschaft der Tzimisce verzichtet hat.“ Wieder verstrich die Zeit und er fixierte Luciens graue Augen. „Lucien. Beantwortet mir bitte eine Frage… : In welcher Beziehung steht ihr zu Alida?“
Abermals nickte Lucien leicht, beobachtete Belinkov, wie er scheinbar mehrere Möglichkeiten, Optionen und allerhöchstwahrscheinlich auch seine eigenen Beziehungen in den östlichen Landen, gedanklich durchspielte. Alida hatte ihm vom Angebot des Tzimisce erzählt und er war nicht gerade begeistert davon gewesen. Für ihn waren alle freundlich gemeinten Angebote und Ratschläge in diese Richtung, nur ein typischer Versuch der hohen Clans sich den Geldbeutel Europas unter den Nagel zu reißen. Hohe Politik, Intrigen und Schmeicheleien - niemand wusste was der andere in Wahrheit vorhatte, welche Bündnisse, Gefallen und Vereinbarungen getroffen wurden. Was Brügge betraf, vertraute er Belinkov ungefähr genauso viel wie Draga Nevedof. Er schüttelte leicht den Kopf, lehnte sich etwas zurück und verfolgte die Schritte des Unholds während sie auf die Rückkehr von Girland warteten. "Ohne jetzt groß in Sachen Politik versiert zu sein Meister Belinkov aber ich glaube nicht das die Jungen und damit meine ich keinen von beiden, uns gerade in diesem Konflikt irgendeine große Hilfe sein könnten. Die beiden sind mehr eine Rückversicherung - lebendig nützen sie uns mehr als tot, mehr ist es auch nicht. Insofern unterstützt ihr uns schon, nur nicht auf die Art und Weise wie ihr fürchtet, dass man euch im Osten vorwerfen könnte." Seine Züge wurden misstrauisch als die Sprache auf Alida kam und er war sich unsicher was er antworten sollte. Das war in etwa als würde ihn Brunhild nach Leif fragen. "Nun, ich kenne Alida seit wir gemeinsam mit dem Rat die Führung der Stadt übernommen haben. Sie war bei allen wichtigen Entscheidungen und Herausforderungen dabei und ist geborene Brüggerin. Sie sieht die Stadt als ihre ureigene Domäne und wie immer sich die Dinge entwickeln werden, ich weiß das sie die letzte ist, die Brügge verlässt." Er kratzte sich am Kinn. "Ich würde sagen wir sind uns ein Stück näher gekommen. Wir hatten zu Beginn einige Differenzen was die.... Feinheiten des Unlebens betrifft aber mittlerweile ist sie jemand auf den ich zählen kann. Ich achte Alida van de Burse in ihren Fähigkeiten und Talenten. Sie hat sich den Platz im Rat mehr als verdient. Ohne sie wären selbst die Sterblichen nicht dort wo sie nunmehr sind." Lucien hielt den Blick etwas gesenkt. "Ich sage ihr das nie aber im Grunde zehren wir von dem was sie in Brügge bewerkstelligt. Ein großer Teil des wirtschaftlichen Aufschwungs ginge ohne sie unwiederbringlich verloren."
Belinkov legte die Stirn in Falten, lehnte sich in seinem Stuhl zurück und lauschte Lucien nachdenklich. Dann huschte ein schiefes Lächeln über seine Züge. „Ich werde euch ein kleines Angebot unterbreiten, Meister Sabatier, bei dem ich euch bitte es nicht zu hinterfragen. Solltet ihr einwilligen bin ich bereit, die Aufgaben, die ihr an mich gestellt habt nach bestem Wissen und Gewissen auszuführen. Ihr seid des Schreibens mächtig?“
Lucien versteifte sich etwas auf seinem Stuhl. Für einen Moment hatte er doch tatsächlich angenommen, Belinkov würde ihnen aus irgendeinem mysteriösen, im gänzlich unbekannten Grund doch noch ohne Gegenleistung helfen. Eine törichte Annahme und mitunter auch gefährlich - so wurde dieses Spiel nicht gespielt, das wusste er. Langsam nickte er. "Natürlich nahmen wir nicht an, dass ihr uns diese Gefälligkeit erweisen würdet ohne im Gegenzug etwas von uns zu verlangen. Ich bin des Schreibens mächtig, mittlerweile sogar recht passabel. Was also wollt ihr von mir?" Abwartend sah er ihn an.
Wieder erschien das schiefe Lächeln, das nicht die Augen erreichte. „Nur einen kleinen Gefallen… Ich möchte, dass ihr mir über meine Clansschwester berichtet ohne dass sie davon erfährt. Was immer euch beliebt sofern es der Wahrheit entspricht. Ich erwarte keine Geheimnisse über Brügge in jeglicher Art. Das würde euren eigenen Interessen in eurer Domäne selbstverständlich zu wieder laufen. Berichtet mir einmal im Monat über das Treiben der Alida van de Burse, was sie tut, mit wem sie handelt, wie sie ihre Zeit verbringt, den Namen ihres LIeblingsghuls… Eine kleine Gefälligkeit für den Erben von Flandern als Gegenleistung. Was haltet ihr davon?“ Das Lächeln war aus seinem Gesicht gewichen.
Der Gangrel sah ihn unverhohlen misstrauisch an und ließ den Kopf hin und er hergleiten, überlegend, abschätzen, abwägend. Das Lächeln, das nie die Augen erreicht hatte, hatte seinen Tiefpunkt erreicht und so 'herzlich' die Nacht begonnen hatte, so abrupt war sie an den Punkt angelangt, an dem alle kainitischen Unterredungen irgendwann angelangen mussten. Gefälligkeiten, Informationen, Intrigen und... Spionage. Er seufzte kurz. "Was erhofft ihr euch dadurch in Erfahrung zu bringen? Wollt ihr Alida wirtschaftlich in die Knie zwingen und somit den Weg für den Osten ebnen? Unterstützt ihr gar eine dritte Partei von der wir noch gar nichts oder viel zu viel wissen? Frankreich oder England? Vielleicht Deutschland? Oder geht es um eine alte Fehde die noch nicht bereinigt wurde? Warum sollte ich Alida für euch ausspionieren?"
„Ich habe euch gebeten meinen Vorschlag nicht zu hinterfragen und wie schon gesagt, worüber ihr berichtet, sei euch überlassen. Denkt ihr es wäre mir nicht möglich sie auch ohne eure Berichte wirtschaftlich in die Knie zu zwingen, wenn ich es tatsächlich darauf anlegen wollte? Sagt an: Seid ihr bereit es zu tun?“ Sein Gesicht zeigte keinerlei Regung und wirkte wie eine Maske.
Lucien schien überfragt. Das waren Entscheidungen, die er mit niemanden so schnell besprechen konnte und ihm war klar, das Alida davon wohl nichts wissen sollte. Der Rat war weit entfernt, ebenso jeder, der ihm in dieser Sache noch echte Unterstützung hätte leisten können. Im Grunde waren in diesem Moment nur zwei Kainiten anwesend, die ein Geschäft besiegelten. Es gab, zumindest auf den ersten Blick, keine Fürstentümer, Reiche oder Gruppierungen die im Hintergrund agierten. Es war die banalste, kainitische Sache der Welt - eine Hand wäscht die andere. Gefallen gegen Gefallen. Die Frage war nur: War Balduin das wert? Immerhin würde er selbst bestimmen können, was er dem Russen über Alida schrieb und wenn es sich nur um Nichtigkeiten handelte. Der Hauptmann hatte kein gutes Gefühl dabei, ganz und gar nicht und irgendwo hatte er den leisen Verdacht, dass diese nächtliche Unterredung zu keinem positivem Ausgang gelangen würde. War Balduin das wert? Nein, war er nicht. Er hatte es eigentlich schon zu Anbeginn der Reise gesagt: Wenn man mit Balduin noch etwas gewinnen konnte, war es gut. Wenn nicht, dann eben nicht. Tzimisce war Tzimisce, egal wie Belinkov mit Alida verbunden sein mochte. Es tat ihm Leid um den Jungen aber sie hatten erst kürzlich einen Verräter in ihren Reihen verloren, jemandem von dem sie nie geglaubt hätten, dass er dazu fähig gewesen wäre. Selbst wenn es nur lächerliche Kleinigkeiten gewesen wären, die Lucien an Belinkov schrieb, die Sache war zu heiß. "Nein", sagte Lucien schließlich. Allerdings klang es nicht sehr überzeugend. "Nein", wiederholte er dann entschiedener. "Es tut mir leid, Meister Belinkov, aber selbst wenn es Dinge sind die euch auch nicht einmal im Entferntesten nützlich sind. Ich lasse mich nicht instrumentalisieren. Nicht gegen Alida. Ich habe Politik in der Art immer verabscheut und solche Arbeit mache ich nicht. Entweder euch fällt eine andere Gefälligkeit in angemessenem Rahmen ein oder unser kleiner Handel ist bedauerlicherweise gescheitert."
Belinkov erhob sich aus seinem Stuhl und sah nach draußen aufs Meer. „Begleitet mich bitte ein Stück, Meister Sabatier.“ Er trat in den großen Raum der sich dem kleinen gemütlich eingerichteten Zimmer anschloss und ging zu einem der zerbrochenen Fenster. Er hob es aus den Angeln und verließ mit einem großen Schritt durch das offene Fenster die Halle und betrat die große zerfallene Terrasse, die zum Meer hinaus führte. Der Wind hatte sich ein wenig gelegt und blies nun die Wellen gegen den Strand. Die Brandung war laut und Belinkov erhob ein wenig die Stimme um von Lucien dennoch vernommen zu werden. Der Mond spiegelte sich in der Ferne am Horizont und die weißen Kronen der Wellen blitzen im hellen Licht auf.

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Er ging zum Strand hinunter und blieb einige Meter vom Wasserspiegel entfernt an einer marmornen Balustrade stehen, die vor langem wahrscheinlich ein Bootsanlegesteg gewesen war. Er wandte sein Gesicht zu Lucien um und wieder legte sich das fast kindlich wirkende Lächeln darüber. „Es freut mich, dass Alida tatsächlich jemanden gefunden hat, der auf ihrer Seite kämpft, auf den sie sich verlassen kann.“ Er sah aufs Meer hinaus. „Sie neigt dazu allzu leicht zu vertrauen, den Mitgliedern ihrer Familie, Freunden… Ich habe ihr schon mehr als ein Mal geraten ihre Existenz nicht so leicht aufs Spiel zu setzen. Aber vielleicht hat sie auch recht wenn sie die Meinung vertritt unser Unleben wäre es nicht wert gelebt zu werden wenn wir unsere Nächte zerfressen von Zweifel und stetem Misstrauen verbringen.“ Er lachte kurz auf. „Wie ich vorhin schon sagte: Freunde kommen und gehen… aber vielleicht geht es um die, die bleiben. Es ehrt euch sehr, dass ihr mein Angebot abgelehnt habt.“
Er schwieg eine scheinbare Ewigkeit. „Ich werde euch so gut ich es vermag helfen. Seid euch dessen gewiss. Nichtsdestotrotz muss ich zumindest zum Schein einen Gefallen einfordern. Ich möchte, dass ihr versucht mir bei einer Kleinigkeit zur Hand zu gehen. Ich fordere nicht, dass es euch gelingt, aber es würde mich freuen, wenn ihr es versuchen würdet.“ Er deutete mit einer Handbewegung auf die Umgebung und das ferne Genua. „Diese Stadt ist eine wahre Perle hier am Mittelmeer, alt, mächtig, geführt von einer sehr potenten Frau, der Baronsessa. Genua herrscht über das westliche Mittelmeer und ihr könnt euch mit Sicherheit ausmalen was das für Möglichkeiten für einen Händler bietet.“ Er schmunzelte Lucien verschmitzt zu. „Ich treibe schon seit einigen Jahrzehnten hier in Genua Handel, bin auch bei der Baronessa ein gern gesehener Gast, aber leider ist es so, dass die Fürstin einen Groll gegen Tzimisce hegt. Sie hat vor langer Zeit ein Dekret erlassen, dass verhindert, dass sich Mitglieder vom Clan der Unholde hier niederlassen dürfen. Ich liege ihr schon seit langem in den Ohren damit dieses Dekret zu ändern aber ich vermute, sie liebt es mich zu necken und mich hinzuhalten.“ Wieder grinste er. „Sie weiß, dass ich ihr immer wieder erlesene Geschenke mitbringe um sie umzustimmen. Wahrscheinlich will sie nicht darauf verzichten. Vielleicht gelingt es euch bei eurer Audienz ein gutes Wort einzulegen. Ihr könntet mit den Handelsbeziehungen Alidas argumentieren…“ Ein fragender Blick ging in die Richtung Luciens.
Lucien folgte ihm langsam und etwas schwerfällig. Er war für einen Moment in einen wirklichen Gewissenskonflikt geraten ob der Tragweite der Entscheidungen, die er alleine an diesem Abend hatte fällen müssen. Beinahe wäre er bereit dazu gewesen auf Belinkovs Angebot einzugehen. Die Augen hatte er stets nur auf das Ziel der Reise gerichtet gehabt: Die Widerherstellung Balduins. Nur deshalb hatte er Vito mit ins Boot geholt, nur deshalb hatte er den weiten Weg und all die lästigen und teilweise gefährlichen Begebnisse auf sich genommen. Nur deshalb war er heute hierhergekommen ohne auch nur zu ahnen, was ihm ein einzelnes Menschenleben, dessen Wert für ihn oder die Stadt noch in den Sternen stand, tatsächlich wert wäre. Er hätte es getan... beinahe hätte er es getan und er hasste sich selber dafür. Nicht weil er es getan hätte, das wäre ein guter Schachzug gewesen, den niemand erwartet hätte. Beinahe hätte Lucien Sabatier Alida 'verraten' weil er seine Hoffnungen auf noch unvorhersehbare Wendungen legte. Der Gangrel musste sich besinnen. Balduin war ein Mensch, ein Krüppel, verstoßen und politisch vermutlich nicht mehr wert als jeder x-beliebige Bastard sonst. Er war es nicht wert, entschieden nicht wert, dass man dafür Briefe an den Osten schrieb über jemanden den Lucien mittlerweile zu einem innersten Vertrauenszirkel zählte. Als er mit Emilian durch das Fenster, die verfallenen Stufen hinab ans Meer schritt, lauschte er dessen Worten und wirkte plötzlich seinerseits äußerst kalt. "Ich hätte sie beinahe verraten, Belinkov, täuscht euch nicht. Mein Fokus lag auf der Aufgabe die mir anvertraut wurde, die mir nebenbei bemerkt ganz besonders von Alida selbst ans Herz gelegt wurde. Für den Bruchteil einer Sekunde war ich schwach und habe die Konsequenzen meiner Taten nicht bedacht. Ich hätte annehmen können und mir einreden können, das Alida den Jungen um jeden Preis haben wollte. Die Schuld dafür auf sie abladen… aber das wäre falsch. Ich bin hier, ich trage die Verantwortung. Das, mein Freund, ist die menschliche Schwäche... die werden wir auch im Untod nicht los."
Belinkov legte die Stirn kraus und er verstand für einen kurzen Moment den Gewissenskonflikt in den er den Hauptmann gestürzt hatte. Für eine Sekunde klopfte er ihm kurz aufmunternd auf die Schulter. „... Aber ihr habt sie nicht verraten. Ihr steht für das ein, was euch wichtig ist. In Versuchung geführt werden wir Kainiten in jeder einzelnen Nacht. Mehr als jeder einzelne Sterbliche durch die Macht die uns inne liegt." Er seufzte. "Ihr wisst auf welcher Seite ihr steht, Lucien. Seid stolz darauf das zu wissen."

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Als ihm der Russe zu verstehen gab, dass er ihnen dennoch helfen würde, hellte sich seine Miene ein Stück weit auf. Ein knappes "Danke", begleitet von einem knappen Nicken kam als Erwiderung. Es hatte dennoch einen bitteren Beigeschmack, weil Lucien getestet worden war und den harten Konflikt mit der nächtlichen, politischen Realität beinahe verloren hätte. Das schwächste Glied... was die Politik der Nacht anging, war er das angreifbarste, schwächste Glied der Brügger Kette. Der Hauptmann schwor sich von nun an jeder politischen Aktivität fern zu bleiben. Das war wahrlich nicht sein Parkett. Mit einer einladenden Geste deutete er Belinkov an fortzufahren und nickte ab und an bestätigend als dieser ihm über Genua berichtete. Schließlich nickte er wohlwollend. "Ich selbst werde nicht mit der Baronessa sprechen. Wie ihr bereits festgestellt habt, bin ich für solcherlei Dinge gänzlich ungeeignet aber ich habe einen Mann vor Ort, der wie geschaffen für Audienzen und höfisches Auftreten scheint. Ein Mann, dem ich dahingehend volles Vertrauen gegenüber bringe." Lucien deutete eine knappe Verbeugung an. "Ich werde ihm nahe legen, bei der Baronessa ein gutes Wort für die Unholde der Stadt einzulegen, gerade auch mit dem Verweis auf Brügge, versprochen."
Wieder wanderte der Blick des künstlich wirkenden Mannes über den Ozean und er wirkte ein wenig gedankenverloren. „Ich halte große Stücke auf euch, Lucien. Ihr ward ein Junge von 12 Jahren, so habe ich vernommen, als ihr euren ersten Mord begangen habt. Wie hieß der Mönch den ihr in der dunklen Schreibstube abgestochen habt? Bruder Gregor? Ihr habt euch für das Leben als gejagter, ewig verfolgter Mörder und Gesetzloser entschieden um zu verhindern, dass er sich noch ein weiteres Mal an einem eurer Freunde vergehen konnte oder es bei euch versuchen konnte… Ich hätte genauso gehandelt. Wobei ich ihn wahrscheinlich bei lebendigem Leib in seine Einzelteile zerlegt hätte…“ Das Lächeln, das sich nun auf seinen Lippen ausbreitete hatte etwas Boshaftes.

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Verfasst: So 22. Mär 2015, 13:02 


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 Betreff des Beitrags: Re: Gen Süden bei Nacht
BeitragVerfasst: So 22. Mär 2015, 15:59 
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Luciens Blick blieb starr auf den nächtlichen Ozean gerichtet, dessen schäumende Wellen durch den auffrischenden Wind, gegen die letzten Überreste des bröckelnden Mauerwerks der Villenterrasse gespült wurden. Langsam dreht er den Kopf in Richtung Belinkov und fixierte diesen als wollte er ihn mit seinen Augen aufspießen. "Diese Geschichte ist niemandem bekannt. Alle die darüber berichten könnten, sind nunmehr tot. Verfault und verrottet zu nicht mehr als Staub in der Erde. Und alle die noch existieren und die darüber Bescheid wissen könnten, würden euch und verzeiht wenn ich das so sagen: Gerade euch ganz sicher nicht darüber berichten. Woher wisst ihr das?" Er machte keinen Hehl daraus, dass Belinkovs Informationen korrekt waren. Es war ein anderes Leben, ein anderer Lucien Sabatier gewesen. Ein Kind, das sich in den Strudeln der Zeit verloren hatte, ein Mann der zu etwas anderem geworden war. "Mein sterbliches Leben liegt nun schon so lange zurück, dass ich alle Einzelheiten nicht mehr mit Gewissheit in Erinnerung habe aber ja.... ich habe Bruder Gregor den fetten Wanst aufgeschlitzt, ebenso die Kehle und seinen massigen Leib, die Klostermauer hinabgestoßen." Lucien wartete kurz an, dann nickte er als würde er die Gedanken des anderen zu ergründen versuchen. "Und ich würde es jederzeit wieder tun."
Ein wissendes Lächeln breitete sich auf den Zügen seines Gegenübers aus. „Ich weiß. Und das rechne ich euch an. Ihr ergebt euch nicht sondern kämpft. Auch wenn es euch einiges kostet.“
Der Gangrel schnaubte einmal kurz verächtlich, so als ob er den Worten Belinkovs keine große Bedeutung beimessen würde. "Ihr idealisiert mich ein wenig zu sehr, Monsieur Belinkov. Den Mönch tötete ich, weil er sich an den Kindern verging und auch sonst ein ziemlicher Bastard und Leuteschinder war. Mit dem Geld, das ich anschließend aus der Klosterkasse stehlen konnte, waren zumindest meine Weitereise und ein paar Wochen Essen und Unterkunft gesichert. Ich hatte nie wirklich einen Beruf erlernt oder den Rückhalt einer beschaulichen Familie genossen." Er schenkte ihm ein schiefes Grinsen. "Wenn man so will war mein Weg als Mörder und Gesetzloser schon vorherbestimmt gewesen, wie so viele vor mir und auch nach mir, hatte ich nie eine Chance - so war das Leben damals. Und wenn damals die Räuberbande, der ich mich anschloss nicht gewesen wäre, hätte man meinen stinkenden Kadaver wohl auch einfach in ein namenloses Massengrab geworfen denn ein Waisenhaus oder eine Zöglingsanstalt hätten mich niemals halten können. Es hat mich nichts gekostet denn ich hatte niemals besonders viel. Ich war vor eine Wahl gestellt und wählte das Leben." Er drehte den Kopf leicht und warf Belinkov eine halb fragenden, halb feststellenden Blick zu. "Und ihr würdet dasselbe tun, davon bin ich überzeugt. In dieser Hinsicht, ähneln wir uns."
"Was nicht erklärt, warum ihr so gut über mich und wohl auch über die anderen Ratsmitglieder und Brügge informiert zu sein scheint? Gibt es im Osten keine anderen Zeitvertreibe denen man sich widmen kann? Tremere zerstampfen? Monster erschaffen oder ein wenig zeitgenössische Politik? Eine kleine Intrige hier und da?" Lucien schüttelte den Kopf. "Es geht mich ja überhaupt nichts an Monsieur aber euer Interesse ist besorgniserregend, das dürfte euch klar sein."
Der Kainit neben ihm, der mehr an ein Gemälde als an einen Mann aus Fleisch und Blut erinnerte, lachte laut auf und diese Geste verlieh ihm etwas seltsam Lebendiges. „Das gleiche hat Alida auch schon gesagt. Sie hat mir gestanden sich überlegt zu haben mir einen Tross Räuber hinterher zu schicken, die sich auf das Ausrauben von Handelskarawanen bei Tag spezialisiert haben.“ Er grinste. „Wahrscheinlich hat sie dabei an euch gedacht, Lucien.“
Er atmete tief ein. „Für gewöhnlich nenne ich meine Quellen nicht. Jeder Nosferatu weiß über den Wert von Wissen. Es mag in unseren ewigen Nächten über Leben und Tod entscheiden. Und es schafft Respekt und ein gewisses Maß an Sicherheit wenn das Gegenüber vermutet man wüsste alles über es. Nun denn. Ich werde eine Ausnahme machen und meine Regel für diese Nacht außer Acht lassen. Es stimmt. Ich habe Nachforschungen anstellen lassen. Dabei bin ich auf dieses Kloster in Frankreich gestoßen. Es gab dort einen uralten ehemaligen Abt, der selbst einst als Ghul einer Kainitin namens Helene la Juste in dem Kloster für Recht und Ordnung gesorgt hat. Sein Name war Bruder Domenicus aber bevor er die Gelübde ablegte hieß er Dominik. Es muss sich um einen eurer jungen Freunde gehandelt haben, denn von ihm habe ich meine Informationen. Stellt euch die Antwort zufrieden?“ Er beobachtete die Reaktion des Gangrel.
Lucien blickte zurück hinaus aufs Meer und ein leicht schiefes Grinsen legte sich auf seine Züge, als er gedankenverloren nickte. Auf die Raubüberfälle bei Tage, ging er gar nicht weiter ein; stimmte ihm also stillschweigend zu. Dominik war einer der Jungen gewesen, die zusammen mit ihm für das Dormitorium zuständig gewesen waren. Die Mönche waren zwar angehalten gewesen, ihre Betten selbst zu machen doch die Böden und Wände schrubbten und putzten sich nicht von alleine. Dass eben jener Ort später auch dieser werden sollte, an dem er Bruder Gregorius bei seinem unsittlichen Treiben erwischte und dieser ihn beinahe totschlug, wusste er damals noch nicht. Dominik also, oder Dominicus. Es war schon merkwürdig, wie tief die Klauen der Untoten sich in jeden Winkel der menschlichen Gesellschaft gruben. Dominik war als jüngster Sohn einer adeligen Familie ins Kloster gekommen um dort dem Herren gar wohlgefällig zu dienen und in stiller Eintracht, gottgefällig Einkehr zu halten. Die Jungen hatten sich ihre 'gottgefälligen' Dienste, jedoch bei weitem anders vorgestellt. Abermals nickte Lucien ohne dass sein Gesicht eine emotionale Rührung verraten hätte. "Es ist schon bemerkenswert wie sich das Leben und Unleben mit der Zeit verändert. Geschichten die längst tot sein sollten, bleiben erhalten weil die Nacht ihre Finger nach allem ausstreckt, was ihr nutzbringend erscheint. Ich hoffe Dominicus hatte ein erträgliches Leben in diesem Höllenloch und musste sich seinen Posten als Ghul und Abt, nicht mit Folter und Qualen erarbeiten." Er pausierte kurz, dann fügte er hinzu. "Aber lieber der geguhlte Abt von Helene la Juste als Kammern fegen unter Gregorius. Ihr habt euch gut informiert, Belinkov. Ich wusste nicht, dass ich eure Aufmerksamkeit in diesem Umfang genieße, doch frage ich mich ob ich das überhaupt will?" Er drehte sich um und lehnte sich an die brüchige Ballustrade. "Ohne euch drohen zu wollen aber was bezweckt ihr mit all dem? Sind Brügge und der Rat euer Steckenpferd? Warum?"
Belinkov kaute nachdenklich an seiner Unterlippe, schien zu überlegen, was er antworten sollte. „Lucien. Es ist einfach nützlich gut informiert zu sein, findet ihr nicht?“ Er zog den kleinen rot braunen Jaspis aus seiner Tasche und betrachtete ihn eingehend. Dann reichte er ihn Lucien.

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„Passt gut darauf auf und übergebt den Stein wieder an Alida. Sagt ihr…“ Er schien nach den richtigen Worten zu suchen. „… damit sie sich erinnert.“ Er sah zu dem dunkelhaarigen Franzosen. „Dieser Stein hat Alidas Erzeuger gehört. Sie und ich, wir beide, haben den Jungen gekannt. Der Kleine hatte Augen von exakt dieser Farbe. Er ging vor vielen Jahrhunderten in den Osten und wurde nie wieder gesehen. Er hat ihr den Stein damals überlassen.“ Wieder überlegte er. „Ich brauche keine Steine um mich zu erinnern. Ich hab die Erinnerung an den Jungen noch immer hier drin.“ Mit einem Finger deutete er auf seine Stirn und ließ seinen Blick noch einmal über die Brandung streifen.
Der Gangrel nahm den Stein an sich und betrachtete ihn, befühlte die Oberfläche und die feine Maserung an der Oberfläche. Ein Halbedelstein der zwar einigermaßen schön war aber weder die feinen Damen und Herren der Kunst, noch den Talismankrämer am Stadtrand beeindruckt hätte. Der Wert dieses Steins musste, dass konnte er augenscheinlich an Belinkov und dessen Reaktion beim Betrachten desselben erkennen, ideeller Natur sein. Bestätigend nickte er und ließ den Stein in der Innenseite seines Wams verschwinden. "Sie hat mir nie viel über sich oder ihren Kuss berichtet, dementsprechend auch nicht gerade viel über ihren Erzeuger obgleich es schon merkwürdig ist, eine Tzimisce in diesen Breiten anzutreffen. Und jetzt wo ihr meint, ihr Erzeuger wäre ein Junge, also ein Kind gewesen, zumindest rein äußerlich, kann ich mir denken, dass ihre ganze Geschichte auch nicht gerade an einem Abend erzählt ist." Er folgte dem Blick des Russen. "Aber es erklärt warum sie mich schickt um mit euch zu sprechen. Scheinbar kennt ihr euch über ihren Erzeuger und sie hält große Stücke auf euch; genauso wie sie gebührenden Abstand und Vorsicht walten lässt." Seine Mundwinkel glitten leicht nach oben. "Man erinnert sich an die Dinge, die einem wichtig sind, so verhält es sich zumindest bei mir, Monsieur Belinkov." Und für einen Moment, versuchte sich Lucien diese lebendige Bild, diese Statue eines Kainiten als kleinen Jungen vorzustellen. Nein, unmöglich. Und doch, war er ein Fleischformer. "Alida wird euch sicher sehr dankbar sein für diese kleine Gefälligkeit, ich bin überzeugt davon sie hat euch auch nicht vergessen. An das Umfeld und die Personen der ersten Nächte, in der direkten Nähe des Erzeugers, erinnert man sich besonders gut."
Belinkov hob den Kopf als hätte er etwas gehört und wieder einmal war Lucien ein wenig überrascht über die seltsame Gabe des Auspex, die manche Kainiten Dinge spüren ließ, die sonst niemand vernehmen konnte. Der Tzimisce Händler wandte sich zu den Ruinen des verfallenen Palastes und nun konnte auch Lucien dort oben den obersten Ghul erkennen, der still in einiger Entfernung wartete.
Belinkov nickte Lucien zu. „Anscheinend ist Girland mit euren Jungen zurück. Wir sollten zurück zum Haus gehen.“ Er stieg zurück zum Anwesen hinauf und wandte sich an den Ghul, der ihn ansah. „Danke, dass du die Jungen hergeholt hast, Girland.“ Der bärtige Mann schüttelte den Kopf. „Es hat sich doch etwas anders gefügt, als wir angenommen haben, Belinkov. Aber seht selbst.“ Der junge Mann nutzte statt dem ausgehobenen Fenster diesmal die Tür eines Nebenraums, die Girland ihm und dem Gangrel aufhielt und betrat gefolgt von Lucien von außen das große hallenartige Zimmer. Im Licht einiger Kerzen konnte der Hauptmann zwei Gestalten erkennen. Eine dick in einen Mantel gehüllt, die Kapuze tief in die Stirn gezogen, bei der es sich wohl um Balduin handeln musste und die andere war Jean, der beim Anblick seines Meisters aufsah und ein erleichtertes Aufblitzen war in den grauen Augen des Jungen zu erkennen. Die Sache erschien ihm wohl gänzlich suspekt.

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Belinkov blieb beim Anblick des jungen Ebenbilds von Lucien stehen öffnete kurz den Mund um ihn dann mit Mühe wieder zu schließen. Er trat näher an Jean heran, musterte den Jungen und sah dann vergleichend zu Lucien hinüber. „Das nenne ich ein echtes Meisterwerk! Lucien? Wer hat dieses Abbild von euch geschaffen? Ich habe selten eine solch perfekte Arbeit gesehen. Der Knabe ist eine junge Kopie eurer selbst. Wahrlich… Nennt mir den Namen des Meisters!“ Er lachte und war fast in Versuchung die Hand nach Jean auszustrecken. Jean trat erschrocken einen Schritt nach hinten und schlug nach der Hand. „Lasst mich in Ruhe! Ich bin keine Kopie. Ich bin Jean Sabatier, Neffe des Hauptmanns und niemand hat mich geschaffen.“ Die Stimme des Jungen klang wütend und verunsichert. Belinkov wandte den Blick Richtung Lucien. „Ich wette 500 Silberthaler, (=500 Euro) dass er geschaffen wurde. Haltet ihr die Wette, Lucien?“ Jean tat einen Schritt auf den Tzimisce zu und funkelte ihn an. „Was kann ich dafür, dass wir uns so ähnlich sehen? Ich habe mir nicht ausgesucht wie ich aussehe. Ihr etwa?“ Wieder lachte der Tzimisce. Man sah ihm an, dass er anderen Umgang mit Sterblichen gewohnt war und ihn Jeans Verhalten an etwas längst Vergessenes erinnerte. „Verzeih mir, junger Jean Sabatier. Wir Mitglieder meines Clans gehen natürlich immer zuerst vom Naheliegensten aus. Selbst vom Charakter ähnelst du Lucien. Ein geborener Rebell. Ich könnte wetten im Haus der van de Burse und im gesamten Brügge bist du gern gesehen. Dort schätzt man Freidenker, Rebellen und Kämpfer.“ Er lächelte ihm aufmunternd zu und blickte dann interessiert zu Lucien.
Lucien war ihm ohne zu Zögern, zurück ins Haus gefolgt wo Girland bereits auf die beiden wartete. Allerdings zeigte sich dem Gangrel ein Bild, dass er zunächst nicht recht verstand und im selben Moment mehr als verwunderlich fand. Die Anweisungen lauteten Balduin und Martin ins Haus von Belinkov zu geleiten. Warum jetzt Jean statt Martin mitgekommen war, blieb ein fraglicher Umstand. Ein Umstand den der Hauptmann so schnell wie mögliche geklärt haben wollte. Auf die bemerkenswerte Tatsache, dass Jean aussah wie eine jüngere Version seiner selbst, schüttelte Lucien nur abweisend den Kopf auch wenn der Fleischformer, naturgemäß großen Gefallen an derlei Dingen zu finden schien. "Das haben wir uns auch lange gefragt, Belinkov, aber intensive Gespräche und das Rekonstruieren der wahrhaftigen Geschichte des Jungen, förderten zutage was Jean euch bereits sagte: Die Ähnlichkeit ist naturgegeben, so unglaublich es klingen mag. Wir wissen nicht genau in welchem sterblichen Verwandtschaftsverhältnis er zu mir steht aber die Ähnlichkeit legt ein solches mehr als nahe, deshalb ist er nunmehr als mein Neffe in Brügge. Jegliche Wette die ihr eingehen wollt, würdet ihr demnach verlieren, also hebt euch eure finanziellen Mittel wohl besser für etwas Gewinnbringenderes auf." Zu der ganzen Anmerkung mit den Freidenkern und Rebellen, welche Brügge bevölkern sollten, machte er keinerlei Aussage mehr. Viel wichtiger war die Tatsache, dass Martin nicht hier war; stattdessen aber Jean. An eben jenen gewandt, sprach er zunächst in ruhigem Ton. "Jean, was machst du hier? Girland hier...", er deutete mit einem knappen in Richtung des Majordomus, "hatte den Auftrag Balduin und Martin zu Monsieur Belinkov zu bringen. Ich weiß er ist dein Freund und ihr seid nur schwer voneinander zu trennen. Auch will ich deine Sorge und deine Vorsicht anerkennen aber wir brauchen Martin. Wo ist er? Warum ist er nicht hier? Die Widerherstellung kann nicht beginnen ohne unsere Vorlage. Wo um alles in der Welt ist der die kleine Plage?" Gerade die letzten Worte, klangen beinahe schon etwas ärgerlich, da der Hauptmann fürchtete, schon wieder Kindermädchen spielen zu müssen.
Jean ließ den Blick sinken. „Martin ist weg. Joachim hatte die Aufgabe ihn auf den Abort zu begleiten und hat ihn… nun ja…“ er sah zu Belinkov und suchte nach Worten, die er auch in Anwesenheit eines Fremden benutzten konnte ohne vulgär zu wirken. „… kurz alleine sich erleichtern lassen. Das hat er genutzt. Er ist fort. Frederik und Vito sind bereits auf der Suche. Weit kann er nicht gekommen sein…“ Belinkov blickte von Jean zu Lucien und schien erst zu diesem Zeitpunkt die verhüllte Gestalt zu bemerken. Er sah kurz Richtung Girland und ein bloßes langsames Schließen der Lider reichte aus um sich dem Diener verständlich zu machen. Dieser nickte und schloss die Tür hinter sich. Der Tzimisce trat näher an Balduin heran.
Nur mit Mühe verbarg Lucien den Zorn der sich gerade seiner Gestik und Mimik bemächtigte. Man konnte förmlich dabei zusehen wie sich die Knochen und Sehnen unter seiner Rüstung anspannten. Die Augen verdrehten sich angenervt und der Kiefer mahlte krachend. Dementsprechend laut war auch seine Stimme als er begann stampfend im Zimmer Auf und Ab zu gehen. "Der aufmüpfige Martin, die einzige Vorlage die wir haben um Balduin wieder in seinen ursprünglichen Zustand zu versetzen geht aufs Scheißhaus und alles was Joachim dabei zu tun hatte war, ihn nicht aus den Augen zu verlieren. Aber scheinbar ist er sogar dafür zu dumm." Lucien schritt an den Schreibtisch und presste die Handflächen fest auf die Oberfläche, senkte dabei den Kopf und schloss die Augen. Allen würde klar sein, dass die Rage in ihm wütete und er sich nur mit Mühe zurückhalten konnte. "Es ist eine Sache dieses Gör kurz nach Brügge in Flandern zu verlieren aber eine gänzlich andere, ihn in Genua suchen zu müssen. Er könnte sonst wo sein und wir haben keine Zeit für lächerliche Versteckspiele." Nach einigen Sekunden Pause drehte er sich entschlossen zu den anderen um. "Belinkov, seid so gut und seht euch unseren Balduin einmal an, nur um eine erste Einschätzung vornehmen zu können." Sein Blick glitt zu Jean. "Du bleibst hier und kümmerst dich um deinen Freund, sieh zu das er in Sicherheit ist und bleibt." Dann machte der Gangrel einige schwere und schnelle Schritte Richtung Terrassentür, drehte den Kopf noch einmal in Richtung der Anwesenden. "Girland und eure Männer wissen nicht wonach sie suchen müssen. Vito, Frederik und ich schon. Dementsprechend werde ich den kleinen Scheißer durch die Nacht jagen und hierher bringen, Monsieur Belinkov. Viel Hoffnung mache ich mir ja nicht gerade aber solange die Spur noch frisch ist, haben wir noch eine verschwindend geringe Chance... bevor jemand anderes sein Gesicht sieht und es zuordnen kann." Damit trat er auf die Terrasse und hob den Blick in die finstere Nacht, konzentrierte sich auf die ihm innewohnende Kräfte. Es dauerte nicht lange und langsam fing die Gestalt Luciens an, sich zu verformen, krümmend zu dehnen und gänzlich andere Formen anzunehmen, bis ein übelgelaunter Bartgeier, sich in den Nachthimmel erhob.

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Belinkov sah dem Vogel hinterher, wartete eine Weile und verschränkte die Arme vor der Brust. Als sich die entstellte Gestalt im Mantel auch nach einigen Minuten nicht rührte zog er mit einer raschen Bewegung den Umhang zur Seite.
Balduin krümmte sich zusammen und wandte, als hätte man ihn geschlagen, den Blick ab.

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Jean trat an seine Seite als müsste er seinen alten Freund verteidigen. Der künstlich wirkende Mann betrachtete lange die verkrüppelte, sich windende Gestalt als betrachte er ein Kunstwerk. Er massierte seine Unterlippe und sah zu Jean.
„Eine absolut abscheuliche Arbeit. Der Fleischformer hat sich keinerlei Mühe gegeben. Es ging ihm nur darum auf möglichst grauenhafte Art zu zerstören und zu quälen. Und die Art wie er arbeitet und schafft ist verachtenswert. Ich möchte nicht wissen, bei wem er seine Kunst gelernt hat.“ Der verkrüppelte Junge krümmte sich bei der Erinnerung an die Qualen, die er erlitten hatte noch stärker zusammen und begann vor sich hin zu schluchzen. Wieder legte sich Emilians Stirn in Falten und er kniete sich neben den Jungen. Seine Stimme nahm einen beruhigenden Ton. „Hey, Balduin? Du bist doch der Erstgeborene des flandrischen Fürsten. Aus einem stolzen Adelsgeschlecht, oder?“ Er versuchte ein Lächeln und rot braune Augen funkelten den ehemaligen Thronerben an. „Sei also tapfer. Ein Fürstensohn sollte nicht in Anwesenheit von einfachem Volk wie uns weinen. Nicht wahr, Jean Sabatier?“ Verschwörerisch blickte er zu dem Ebenbild von Lucien. „Und wie du gerade sehen konntest ist euer Hauptmann schon auf dem Weg.“ Er klopfte ihm kurz aufmunternd auf die entstellte Schulter.

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 Betreff des Beitrags: Re: Gen Süden bei Nacht
BeitragVerfasst: Mo 23. Mär 2015, 20:17 
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Vito ging auf den Jungen zu. Und blieb in kurzem Abstand vor ihm stehen. Schließlich richtete er das Wort an die wimmernde Gestalt. "Martin?" Seine Stimme klang vorsichtig und er machte sich innerlich bereit falls der Junge irgendetwas unvorhergesehenes versuchen sollte...
Der Junge schrak auf als hätte man ihn angegriffen und machte einen so hastigen Sprung von Vito fort tiefer in die Schatten der Ruinen. Vito sah, dass der Junge einen Schrei unterdrückte und die Panik in seinen Augen war unverkennbar. In einer Hand blitze ein schartiges Küchenmesser auf.
„Also findet ihr mich auch hier? Selbst wenn ich mich in der Hölle verstecken würde, in der Hoffnung, dass ihr dort nie hinkämt weil ihr ja unsterblich seid wäret ihr schon dort wenn ich ankäme, oder?“ Ein bedrohliches Funkeln war in den klaren blauen Augen zu erkennen und seine Stimme hoch vor Angst.
Der Kappadoziane betrachtete das schartige Küchenmesser und schüttelte keicht den Kopf. Mit diesem Ding würde er nicht weit kommen. Vito bewegte sich langsam auf den Jungen zu ,mit beiden Armen nach oben um zu zeigen, dass er in Frieden kam. "Martin bevor wir über Himmel und Hölle sprechen - lass uns doch hier in der Gegenwart bleiben. Erzähl mir Martin - warum willst du eigentlich weglaufen? Was hast du davon? Es kann sein das du vom Regen in die Traufe kommst..." Vito blieb in Gebührendem Abstand stehen, legte aber alle Sanftheit in seine Stimme die er aufbringen konnte.

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„Ich werde nicht mehr mit euch mitkommen. Ich bin nicht so dumm wie euer Wachmann Joachim, der immer noch glaubt, ihr verkriecht euch in den Holzkisten weil ihr so pflichtbewusst und zuverlässig seid und unbedingt nachts die Wache übernehmen wollt. Ich hätt’ ihn zu gerne mal überredet tagsüber bei euch nach dem Rechten zu sehen, aber die zwei Jungen haben gedroht mich zusammenzuschlagen wenn ich nur den Mund aufmache. Ich weiß nicht, was genau ihr mit mir vorhabt, wofür ihr mich noch braucht, aber ich weiß genau, was ihr mit mir tun werdet, wenn ihr mit mir fertig seid. Wenn ihr mich nicht mehr braucht…Da kann ich es genauso gut auch selbst hinter mich bringen. Dann bin ich wenigstens nicht mehr euer Werkzeug.“ Er sah in Vitos Richtung und kam einer Erwiderung des Kappadozianers zuvor. „Kein einziger von eurer Art hat je sein Wort gehalten. Ich habe mich mit euch Teufeln eingelassen und jetzt komme ich nicht mehr raus. Wisst ihr womit man mich für den Plan gewonnen hat? Ich wollte nichts anderes als ein Mal am Tag eine warme Mahlzeit und einen Platz zum Schlafen wo ich nicht ständig den Schlägen der Köche der Draga Nefedov (oder wie war noch mal der Name) ausgesetzt war. Nur weil ich diesem Balduin ähnlich gesehen habe. Und das Wort eurer Händlerin gilt genauso wenig. Sie hat versprochen mich wegzubringen und sobald sie erfahren hatte was man dem Fürstensohn angetan hat war ihr Wort Schall und Rauch. Ihre komische Geschichte, ich wäre verflucht und würde genauso enden wie Balduin ist doch auch nur erfunden…
Überall wo ihr auftaucht verbreitet ihr Leid und Qual. Jeden, der mit euch zu tun hat stürzt ihr ins Unglück. Die Familie von Balduin ist zerstört, der Junge ein Krüppel, der mich hast weil ich sein Gesicht trage: sein Gesicht!!! Ist euch klar, was das heißt?! Nein natürlich nicht…“ Seine Stimme wurde leiser. „Wisst ihr wie man erkannt hat, dass ich nicht der echte Balduin war? Ich habe alles gewusst, mir alles gemerkt. Wir hätten eine kleine glückliche Familie sein können… Nein! Es war das Lachen von Balduin das gefehlt hat. Der Untote, der mich geschaffen hat hatte keine Ahnung wie der Fürstensohn lächelt, denn alles, was er ihm entlocken konnte waren Tränen, Schreie, Qualen und das Flehen nach Erlösung. Ich mache nicht mehr mit bei eurem Spiel!“
Vito schaute den Jungen lange an und nickte irgendwann einfach nur leicht. "Eine traurige und ebenso erschütternde Geschichte. Wir alle träumen nur von einem besseren Leben nicht wahr? Egal ob wir verflucht sind oder nicht." Die Tonart des Kappadozianers machte klar das er keine Antwort auf diese Frage erwartete. "Dein Schicksal ist nicht Einzigartig in dieser Welt und es gibt viele denen es noch schlimmer geht als das. Und doch bewundere ich deine Entschlossenheit. Ich schulde deinen Peinigern oder Rettern was auch immer sie sein mögen keine Treue und ich habe mich hier und jetzt entschlossen euch nicht weiter zu verfolgen, Martin. Magst du dein Glück finden doch seit gewarnt. Lucien wird dich suchen und wahrscheinlich auch finden. Wenn das der Fall sein sollte werde ich leugnen, dass wir je dieses Gespräch hatten und du darfst keine weitere Hilfe von mir erwarten." Vito griff in seine Tasche und legte den Siegelring den er gerade erworben hatte auf den weißen Stein, ebenso den einfachen Dolch den er immer mit sich führte und ein Kreuz aus Silber, dass er um seinen Hals trug. "Hier Martin - es ist nicht viel, aber vielleicht hilft es dir für einen Start ins neue Leben. Sei gewarnt jeder Händler wird denken, du hättest den Ring gestohlen und man wird versuchen dir weit weniger Geld für den Ring zu geben als er wert ist. Bedenke das. Der Dolch ist nicht viel wert aber besser als dieses Küchenmesser. Und das Kreuz ist aus Silber gemacht - du solltest es einschmelzen sobald du kannst, dann kannst du mit dem Silber bezahlen und niemand wird denken du hast einen reisenden Bischof überfallen."
Der Kappadozianer wandte sich noch nicht ab sondern richtete noch einmal das Wort an den Jungen. "Viel Glück du wirst es brauchen Martin. Mögest du den Klauen des Hauptmanns entkommen und wenn nicht dann möge Gott deiner Seele gnädig sein." Vito wandte sich um und verließ den alten Tempel, nicht ohne noch einmal die Schönheit dieses ruhigen Ortes in sich aufzunehmen und wertzuschätzen.
Die Augen des Jungen waren groß und weit geöffnet. Ungläubig starrte er auf die Gegenstände, die Vito ihm so freiwillig gab wie eine Spende in der Kirche. Er öffnete den Mund um etwas zu sagen, schloss ihn dann aber. Seine Augen verengten sich kurz. War das eine Falle? Waren die Gegenstände verzaubert und würden die Untoten immer wieder aufs Neue auf seine Fährte locken? Er sah dem Geistlichen in seiner braunen Kutte hinterher.
Vito würde die Lichtung verlassen - es gab nichts was er noch tun konnte oder auch tun wollte, denn es lag nun an ihm was er mit den ihm gegebenen Karten tun würde. Vito ging zurück zur Herberge "La Foresta" um nach den anderen zu schauen. Er machte sich allerdings keine Illusionen - Lucien war ein perfekter Jäger, das war was er gehört und bereits gesehen hatte - er würde den Jungen sicher finden wenn er sich nicht extrem clever anstellte.
Aber das war dann seine Entscheidung - Vito selbst hatte hier nach seinem Gewissen gehandelt und würde es wieder so machen.

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 Betreff des Beitrags: Re: Gen Süden bei Nacht
BeitragVerfasst: Fr 27. Mär 2015, 22:29 
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Lucien hatte bis kurz vorm Sonnenaufgang als Vogel und als dunkler Wolf die Nacht durchstreift. Seine roten Augen waren scharf und die tierische Nase verfolgte die Spuren des jungen Küchengehilfen durch die Gassen bis sie sich irgendwann in den Wassern der stinkenden Kanalisation verloren. Dreckig, nass und so unangenehm stinkend, dass ihm beinahe der Zutritt ins Gasthaus verwehrt wurde kam er schließlich wieder bei ihrer Unterkunft an. In dem vormals dicht belebten Zimmer waren nur noch Frederik und Vito anzutreffen. Joachim hatte sich unten in der Wirtsstube dem Vollrausch ergeben und seinen Frust in unbekanntem Alkohol ertränkt.
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Vito verbrachte noch etwas Zeit in der Gaststube. Weniger weil er es wollte sondern mehr weil es von ihm erwartet wurde. "Lucien - ist der Schaden groß den die Flucht des jungen angerichtet hat? Im Grund können wir fast überrascht sein, dass wir ihn bis nach Genua bekommen haben...immerhin war es ja fast abzusehen, dass er es noch einmal versuchen würde."
Lucien hatte sich seiner dreckigen Kleidung entledigt, die er mit Sack und Pack in einen großen Wasserbottich mit Seife getaucht und anschließend zum Trocknen aufgehängt hatte. Nicht das ihn der Dreck sonderlich kümmerte aber der Gestank war wirklich abartig. Jetzt trug er ein weites Hemd und einfache Hosen, die noch immer tropfnassen Haare hingen ihm ins Gesicht und sein Blick viel für einen Moment auf Joachim der sich am Tisch gegenüber betrank. Sein Ausdruck verriet, dass er heute Abend nicht wirklich gut gelaunt war. "Ich habe seine verdammte Spur quer durch die Stadt gejagt aber das kleine Schweinchen hat sich ein wenig im Dreck gesuhlt, sodass ich die Fährte verloren habe." Wütend auf sich selbst schüttelte er etwas in sich gekehrt den Kopf. "Ob der Schaden groß ist? Ha.." Er grinste. "Der eigentliche Grund warum wir hier sind ist nun obsolet. Wenn ich ihn nicht finde, dann findet ihn niemand. Martin ist weg und somit die einzige Möglichkeit, Balduins Gesicht zu rekonstruieren." Er seufzte. "Zumindest ein normalsterbliches Gesicht, wird unser Kontaktmann ihm aber zaubern können - dann aber wiederum ist er für uns nicht wirklich weiter von wert und wir haben immer noch das Problem, dass dort draußen ein Balduin rumläuft, der auch so aussieht." Er trat gegen einen Schemel auf dem Joachim saß und sich ins Delirium trank, sodass er beinahe stürzte. "Aber wie immer scheint sich die alte Weisheit zu bewahrheiten: Was du willst dass man richtig macht, dass machst du selber." Ein Knurren drang aus seiner Kehle.
Vito antwortete leise. "Der Junge ist clever. Irgendwie hat er sich auch verdient zu entkommen - ich meine was wäre mit ihm passiert wenn ihr mit ihm fertig gewesen währet...? Aber egal - ich werde mich nun schlafen begeben. Der Tag war lang und ich will für die Audienz morgen gut vorbereitet sein. Gute Nacht Hauptmann"
Lucien warf ihm einen vielsagenden, mürrischen Blick zu. "Der junge ist ein Heuchler durch und durch. Was er tat, das tat er um des Überlebens Willen, weil er nicht weiter in der Gosse leben wollte. Das allein ist kein Verbrechen oder eine Schandtat. Doch er ist wie du sagst clever. Clever um sich darüber im Klaren zu sein, mit wem er sich einließ. Clever genug um zu wissen, dass die Sache auch nach hinten los gehen könnte." Er schnaubte. "Unter anderen Umständen wäre er schon tot aber wir hätten ihn umgestaltet und ziehen lassen - stell dir das mal vor!" Er schnaubte. "Um sein eigenes Leid zu lindern, hat er das Leid anderer vergrößert. Denk an Balduin, Vito. Er ist ein Krüppel und ein Monster, er hat seine gesamte Familie an einem Abend verloren und der Vater wird im Kreuzzug verrecken. Der kleine, arme Martin ist um keinen Deut besser als wir, er ist ein genauso großes Monster wie jeder andere, auch wir Kainiten. Jemand der nicht einmal bereit ist für das was er tut gerade zu stehen und Verantwortung zu tragen, sondern lieber feige zu flüchten. Mag er sich auch in der Opferrolle sehen, er trägt für das Ganze eine genauso große Mitschuld aber hat sich aus der Affäre gezogen. Sag mir Kappadozianer, ist das ein armes sterbliches Opfer kainitischer Machenschaften?" Lucien nickte nur knapp und lehnte sich zurück. "Gute Nacht. Und morgen viel Erfolg. Ich zähle auf euch. Hoffentlich läuft das wenigstens gut ab." Ein Seitenblick zu Joachim und Frederick folgte.
Frederik sah die beiden Männer an, enthielt sich jedoch jeden Kommentars. Auch er war müde, hatte er doch genauso die Nacht mit Suchen verbracht. Er hievte Joachim nach oben und bugsierte ihn in eines der Betten. Dann legte er sich selbst auf eine der Matratzen und schloss die Augen. "Gute Nacht."
Der nächste Abend brach an. Die Hitze des Tages hing noch in den Straßen der Stadt und drückte auf die Schultern der schwitzenden Menschen. Man machte sich bereit für die Audienz bei der Baronessa. Frederik stieß Joachim an, der noch immer schnarchte. ER stellte ihm vorsorglich einen Eimer hin. "ich wird mich noch einmal auf die Suche nach dem Jungen machen. Wie sieht’s mit euch aus, Hauptmann?"
Lucien lehnte an einer Hausmauer vor der Herberge und hob die Schultern. "Von mir aus... aber ich würde mir da keinen allzu großen Hoffnungen machen. Er hat einen ganzen Tag Vorsprung, wo immer er hin ist und wenn er es geschickt anstellt, ist er gar nicht mehr in Italien. Vielleicht finden wir noch ein paar Brotkrumen aber mehr wird nicht drin sein." Sein Blick glitt zu Vito, der sich abmarschbereit gemacht hatte. "Bist du soweit? Alles drum; alles dran? Fertig für den großen Auftritt der Brügger Delegation?" Sein Grinsen war raubtierhaft typisch.
Vito legte ein anderes, sauberes Gewand an. Es war die Kleidung eines Abtes, geschneidert aus einem schwarzen teuren Stoff. Davon abgesehen gab es aber keinerlei Verzierungen an der Kleidung. Vitos Stimmung war schon besser gewesen, denn auch ihm hing die gestrige Nacht noch in den Knochen. Er wusste nicht ob er gestern die richtige Entscheidung getroffen hatte, gerade auch nach den letzten Worten des Gangrels. Die Tat war aber getan und im Grunde stand der Kappadozianer noch immer hinter seiner Entscheidung. Nun heute ging es aber um die Baronessa. Diese Audienz würde sicherlich schwierig werden, aber Vito war bereit. Er schaute zum Gangrel. "Ich bin bereit. Dann also los - je ehr wir die Audienz hinter uns haben desto besser."
Der Gangrel nickte. "Ich zähle auf euch Vito. Niemand kann das heute und hier tun außer euch. Wie du bereits festgestellt hast besteht dieser Tross nicht gerade aus den hellsten Leuchten. Böse Zungen würden ja behaupten: Er tauge nicht einmal dazu auf ein Kind aufzupassen." Sein Seitenblick ging eindeutig erneut an die beiden Sterblichen. "Mit deiner Erfahrung in solchen Dingen, werden wir das schon schaukeln. Danke nochmal, dass du dich um das Geschenk bemüht hast und vergiss den Gefallen nicht den wir dem Kontaktmann schulden: Leg einfach ein gutes Wort ein für seine Handelsbemühungen und die Sache ist geritzt."
Vito ging durch enge Straßen und schließlich über weite Prachtalleen und über üppig geschmückte Plätze. Die Gegend, in der der Palast stand, dessen Adresse man ihm genannt hatte war edel und gehörte zu den reichsten Vierteln der Mittelmeerstadt. Schließlich erblickte er den Palast. Als er seinen Namen nannte und sein Begehr ließ man ihn eintreten und schickte ihn zum Hauptportal.
Der Palast war prächtig und direkt an und in das Wasser eines Flusses gebaut, der wenige hundert Meter weiter ins Meer mündete.
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Am Hauptportal erkannte er ein bekanntes Gesicht dessen blasses, scharf geschnittenes Gesicht vom Mond beschienen wurde. Ein gewinnendes Lächeln huschte über die Züge von Cato, dem Haushofmeister der Baronessa.
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Vito ging durch die Stadt und genoss die Wärme auf seiner Haut die die Stadt auch noch nach Sonnenuntergang im Griff hielt. Das Dasein als wandelnde Leiche hatte auch seine Vorteile, zum Beispiel den das man nicht mehr schwitze was bei diesen Temperaturen immer von Vorteil ist. Vito hatte sich gestern Nacht noch den Kopf darüber zerbrochen was er wegen dem Geschenk machen würde, da er den Siegelring ja in seinem Moment der Menschlichkeit an Martin weitergegeben hatte. Leider hatte er weder Geld noch Zeit sich um etwas anderes zu kümmern aber immerhin fiel ihm dann noch eine Lösung ein. Er beherrschte ein Ritual der Nekromantie welches ein Leichentuch so verzauberte, dass Leichen die man darunter bettete für immer vor Verwesung geschützt waren - Ein makabres Geschenk durchaus, dafür aber einzigartig und kostenneutral - darüber hinaus besser als mit nichts aufzutauchen. Er hatte gestern noch ein solches verzaubert. Jetzt war er bereit die Baronessa zu besuchen und Cato wartete schon auf ihn. "Guten Abend Signori Tutti" sagte er in melodischem Italienisch. "Ich bin bereit"
„Vito Giovani. Es ist mir eine Freude euch heute Abend in den Hallen meiner Herrin der Baronessa begrüßen zu dürfen. Ihr seid pünktlich. Wenn ihr mir bitte folgen mögt. Meister Belinkov, ich vermute, ihr seid euch noch nicht begegnet wird heute Abend ebenfalls zu Gast sein. Er wartet in der großen Eingangshalle. Mögt ihr mir bitte folgen?“
Der Kappadozianer folgte dem Haushofmeister, leise Höflichkeiten austauschend um ein wenig warm zu werden. Belinkov - interessant - nun denn auf die Baronessa war er bereits gespannt.
Cato führte ihn durch das prächtige Gebäude. Die Räume waren exquisit eingerichtet und kündeten vom Wohlstand und der Macht ihrer Besitzer. Schließlich betraten die beiden Männer einen großen Raum, der offensichtlich dafür eingerichtet war, die Wartezeit vor einer Audienz so angenehm wie möglich zu machen. Weiche Sitzmöbel standen an der rechten Seite. Blumen waren arrangiert. An einem Fenster, hinaus in die Nacht blickend stand ein in die relativ einfachen Gewänder eines Bürgers gekleideter Mann. Er blickte sich um und begrüßte die Ankommenden mit einem Nicken.
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Cato machte die beiden Männer mit einer ausholenden Handbewegung miteinander bekannt. „Herr Belinkov, Händler aus dem Osten.“ Dann deutete er auf Vito. „Vito Giovani. Bedeutender Kardinal aus Brügge. Entschuldigt mich bitte. Ich berichte der Baronessa von eurer Ankunft.“ Dann verschwand er hinter einer Seitentür.
Belinkov deutete eine Verbeugung an. „Es freut mich eure Bekanntschaft zu machen, Vito Giovani.“ Ein Lächeln huschte über seine Züge. „Und heute Abend euren Erfahrungen aus dem nassen, kalten Brügge zu lauschen. Der Winter soll hart gewesen sein, habe ich vernommen?“
Vito betrachtete mit Wohlwollen den schönen Raum ließ sich aber nicht lange davon ablenken und wandte sich dann an den Händler, nickte diesem ebenfalls zu und begann den Smalltalk zu erwidern auch wenn er nicht vor hatte viel über Brügge zu sprechen - das würde er sicherlich noch mit der Baronessa machen. "Nun die Winter sind wie man sie im Norden erwartet. Kalt, dunkel und mit viel viel Schnee gespickt. Allerdings haben die Nordleute sich sehr gut an die extreme Jahreszeit angepasst. Und euch - was verschlägt euch in diese wunderschöne Stadt? Fragen des Handels nehme ich an?"
Sein Gegenüber hatte ungefähr die gleiche Größe wie Vito und er lachte bei den Worten des Kardinals. „Selbstredend. Wie meistens sind es die Geschäfte, die meinen Weg lenken.“ Er atmete tief ein und das Gesicht wirkte in diesem Moment zu perfekt um wirklich zu sein. „Wenn ich euch einen Tipp geben darf, Meister Giovani? Haltet euch am Saum meines Mantels fest wenn wir zur Baronessa vorgelassen werden. Es könnte sonst ein wenig…“ In diesem Moment öffnete sich eine Tür und das gutaussehende Gesicht von Cato erschien. Er nickte. „Ihr seid eingelassen.“ Belinkov griff zu zwei in blauen Stoff eingeschlagenen Paketen, die er wohl bei seiner Ankunft auf einem kleinen Tisch abgestellt hatte. Das eine war groß und flach, das andere hatte in etwas die Form eines Vogelkäfigs. Er sah Vito mit den hellblauen kalten Augen eindringlich an.
Vito zuckte innerlich nur mit den Schultern und nickte dem Fremden äußerlich zu. Er mochte seine eigenen Motive haben, aber es schien gut zu sein in den ersten Stich machen zu lassen um wenigstens zu sehen welches Spiel hier gespielt wurde. Dann ging er hinter Belinkov her in Richtung des Saals in dem die Baronessa residierte.
Während sie Richtung Hauptportal gingen flüsterte Belinkov noch. „Verbeugt euch wenn ich mich räuspere.“ Dann öffnete Cato die Hauptpforte und ließ die beiden Männer eintreten.
Pechschwarze Nacht umfing die beiden Männer. Vito vernahm das Knistern von Fackeln doch nirgendwo war auch nur ein einzelner Lichtstrahl zu erkennen. Er hörte die Schritte des Händlers, der vor ihm her ging. Ansonsten war er von einer Sekunde auf die nächste absolut blind.
Ach das hatte Belinkov gemeint. Nun seine kryptische Beschreibung hatte sich bereits als richtig erwiesen. Nun denn er Räsupern und der Saum des Mantels...Er schien zu wissen worauf er siche inließ. Dieses ganze Spiel mit den Schatten und der Machtdemonstration war irgendwie pathetisch aber auch ein absoluter Beweis das die Baronessa wohl sehr eigen sein würde. Der Kappadozianer würde zusätzlich noch seine Sinne über Auspex schärfen, soetwas konnte ja nicht schaden.
Auch mit Auspex gelang es ihm nicht die Finsternis zu durchbrechen. Das dumpfe Hallen der Schritte des Händlers verriet ihm wie weit und ausladend der Raum sein musste. Der Boden fühlte sich wie Marmor an. Schließlich bemerkte er wie Belinkov stehen blieb. Ein kurzes Räuspern und das Geräusch von Stoff verrieten ihm, dass sich der andere tief verbeugte.
Auch Vito verbeugte sich tief und ärgerte sich mehr und mehr über den Stil dieser Baronessa - ein solches Verhalten war ungezogen - und auch wenn es effektiv zu sein schien - schließlich beherrschte sie die Stadt schon einige Zeit zeugte es für ihn doch von schlechtem Stil.
Aus der Finsternis und Dunkelheit vor ihnen, vernahm man plötzlich eine helle Frauenstimme, die in makellosem Italienisch, das Wort an sich richtete. Die Person hinter dieser Stimme war ob der Schwärze nicht zu erkennen und nur die Tonlage und Akkzentuierung der Sprache, verriet dem Besucher etwas über die Gemütsverfassung des Prinzen von Genua. Sie klang durchaus belustigt, hatte aber diesen etwas kalten, schneidenen Unterton, den man von Kainiten kannte, die es gewohnt waren den Ton anzugeben und keinerlei Widerworte duldeten. "Sergej, das ihr mich wieder einmal besuchen kommt; ich hatte in diesem Jahr gar nicht mehr mit euch gerechnet, man hört ja alle möglichen schauderhaften Geschichten über die Kriege im Osten." Nach einer vollkommen stillen Pause in der nicht einmal ein Atemgeräusch zu hören war, fuhr die Stimme fort. "Und ihr müsste Vittorio Giovani sein, Cato hat mir bereits über euch und die Brügger Delegation in meiner Stadt berichtet. Ihr ward ja auch so höflich euch vorab bereits in einem Schreiben anzukündigen. Willkommen in Genua, Signore Giovani."

Belinkov trat einige Schritte nach vorne. „Baronessa. Es ist mir eine große Ehre, dass ihr meine Wenigkeit in dieser Nacht empfangt. Erlaubt mir eurem Haushofmeister ein Geschenk für euch zu überreichen und erlaubt mir euch diese Kleinigkeit selbst zu übergeben.“ Am Rascheln des Stoffes erkannte Vito, dass er von den Paketen sprach.

Vito hörte, wie das Vogelkäfigartige Paket von dem Tuch befreit wurde und mit einem Male breite sich schwaches glühendes Licht in dem weiten Thronsaal aus. Vito erblickte ein Glas in dem winzige Lichtpunkte schwirrten: Glühwürmchen. Mit seinen geschärften Sinnen erkannte er mit einem Male die ausgedehnte Halle, die edlen Säulen, die Statuen in den Seitenbereichen und die großen edlen Spiegel, die die Wände verzierten und das Licht brachen.
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Der Schatten eines Spiegelbildes huschte schnell wie der Strahl eines Blitzes, den man eigentlich erst bemerkte wenn er schon wieder erloschen war durch das Glas der Spiegel und schien seinen Platz zu suchen. Dann sah er die wunderschöne Frau, die vor ihnen auf einem steinernen Stuhl thronte.

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Schein und Sein - das alte Spiel dachte sich Vito während ihn die Halle aber ehr kalt ließ. Sei es ein Ballsaal oder eine Krypta - die Emotionen die sie bei dem Kappadozianer auslösten waren immer dieselben, nämlich die von höflichem Interesse und purer Pragmatik. Ein verbeugte sich noch einmal leicht. "Habt Dank für eure Worte Baronessa. Ich konnte mich bereits von der Schönheit und Effektivität der Stadt Brügge überzeugen und bin überzeugt das dies der Beginn einer wunderbaren Kooperation zwischen beiden Städten sein könnte der allen zugutekommen würden."
Die Baronessa, die es sich auf ihrem steinernen Thron offenbar sehr bequem gemacht hatte, legte den Kopf leicht schief als das schwache, beinahe magische Leuchten den Raum erhellte und der säulendurchzogenen Halle einen beinahe gespenstischen Anstrich verlieh. Ein spitzes und auf merkwürdige Art, wissendes Schmunzeln umspielte ihre Lippen, als sie die Glühwürmchen sah. "Eine vortreffliche Idee, Sergej, ihr wisst ja das mich der Schein des Feuers nicht recht leiden mag. Eine wundervolle Ergänzung für mein Schlafgemach und zudem äußerst hübsch anzusehen." Die zierliche Gestalt erhob sich von ihrem Thron und machte einige gemächliche, getragene Schritte auf die beiden zu, sah dabei auf das Geschenk in Vitos Händen. "Auch euch möchte ich für euer Geschenk danken Signore Giovani. Ich bin überzeugt davon, es wird eine nützliche Verwendung in meiner Domäne finden. Mein Siegelbewahrer, Nicodemus, der ebenfalls eurem Clan angehört, wird sich besonders dafür interessieren. Sein Interesse am Geheimnis des Todes ist nach wie vor ungebrochen." Sie vollführte eine knappe Geste mit der rechten Hand. "Cato, einen Tisch und Stühle für meine Gäste. Wir wollen die ehrenwerten Herren nicht herumstehen lassen. Und Erfrischungen. Beide können einen guten Trunk nach der langen Reise sicher gebrauchen, seht zu das eine erlesene Auswahl bereit steht."
"Ihr seid zu freundlich Herrin." Vito verbeugte sich.
Cato, der neben den beiden Männern stand nickte. Er entfernte kurz den Stoff des anderen Pakets und enthüllte ein blaues Kleid über und über mit silbernen spiegelnden Pailletten benäht. Dann legte er das Gewand auf einen kleinen Tisch im Seitenbereich und klatschte laut in die Hände. Das Geräusch hallte im leeren Raum wieder. Wenige Minuten später wurden ein Tisch und mehrere Stühle herein getragen. Mehrere Männer und Frauen, wie sie unterschiedlicher nicht sein konnten positionierten sich im Seitenbereich und warteten geduldig während sich die Gäste zu den Stühlen begaben. Vito bemerkte das Spiegelbild der Baronessa aber so wie auch Belinkov den Hauch etwas Unwirklichen, Künstlichen mit sich trug so hatte auch dieses Spiegelbild einen Makel. Es war nie synchron zu seiner Besitzerin sondern folgte den Bruchteil einer Sekunde später.
Das die Baronessa überhaupt eine Reflektion war ungewöhnlich... Allerdings war diese auch irgendwo fehlerhaft was bedeutete, dass diese Umwege -vielleicht sogar dunkle Wege erworben wurde. Vito setzte sich nieder und betrachtet die eingetretenen Männer und Frauen.
Nachdem die Tische und Stühle herangetragen wurden, ließ sich die Baronessa auf dem Kopfende nieder, Cato rückte ihr dienstbeflissen den Stuhl zurecht. Ihr knapper Blick, viel auf das edel wirkenden Kleid und sie nickte lächelnd. "Wie mir scheint ward ihr wieder viel auf Reisen mein guter." Mit einer zügigen Geste, deutete sie den versammelten Sterblichen näher zu treten und sich neben dem Tisch in einer Reihe zu positionieren. "Ich kann den Herren Vitae aus eingelagerten Flaschen anbieten aber seien wir einmal ehrlich: Der Geschmack ist dröge und schahl. Nur aus frischen, gesunden Gefäßen kann man einen spätabendlichen Trunk so recht genießen, nicht wahr?" Es handelte sich ganz offensichtlich um eine rhetorische Frage. Dennoch fuhr sie fort. "Wir würden gerne euch den Vorzug geben Signore Giovani. Wählt wie es euch beliebt und nur keine Scheu." Sie lächelte ihm aufmunternd zu. Ein Lächeln das selbst wenn sie es noch so versucht hätte, niemals die Augen erreicht hätte.
Vor ihm aufgereiht, standen verschiedene Männer und Frauen in unterschiedlichen Altersgruppen. Es gab blonde, junge Mädchen mit der Kleidung von Mägden. Stramme, drahtige Burschen mit Handwerkertracht, dazwischen auch ältere Herren in modischen Gewändern oder brünette Damen in italienischer Tracht. Für fast jeden Geschmack schien etwas dabei zu sein und man mochte rätseln, wie die Baronessa an diese 'Sammlung' gekommen war.
"Habt Dank für eure erlesene und aufmerksame Gastfreundschaft." Vito ging an den Gefäßen vorbei und blieb vor einem unschuldig aussehenden Mädchen mit italienischen Gesichtszügen stehen. Sie trug die Kleidung einer Magd. Das Mädchen war nicht übermäßig hübsch, wirkte aber unschuldig. Dann tat er einen guten Zug und lobte insgeheim den guten Geschmack der Baronessa.
Belinkov wählte den trockenen Franzosen mit dem Hauch von Rosmarin vom letzten Mal.
Die bleiche Frau mit den dunklen Haaren sah ihm vergnügt und zufrieden zu, erwählte sich selbst einen kernigen Handwerker mit sonnengegerbter Haut und trank genüsslich ein paar Schlucke. Die schweigenden 'Köstlichkeiten', ertrugen ihre Behandlung in stiller Eintracht, zuckten nicht einmal mehr als sich die Zähne wie spitze Nadeln durch die Haut bohrten. Nachdem sie gespeist hatten, wurde ihnen von Cato eine Tischserviette aus edlem Stoff in purpurner Färbung und gülden-ornamentbestickem Rand gereicht. Die Baronessa tupfte sich leicht die Mundwinkel und wirkte gleich um einiges zufriedener. An Belinkov gewandt sprach sie: "Mein Lieber, ich freue mich sehr über eure Besuche. Eure Anwesenheit ist immer ein Quell großer Freude für mein totes Herz und eure Geschenke wissen mich schon seit Jahren zu verzücken. Gewiss wollt ihr euch heute erneut dem Thema der Handelsniederlassung widmen und seit versichert, ich werde euch mein Gehör schenken." Sie wandte den Blick zu Vito. "Aber ihr werdet sicher Verständnis dafür haben, dass ich heute Nacht einem so einmaligen und seltenen Besuch den Vorzug geben werde." Damit blickte sie Vito interessiert an. "Nun denn Vittorio Giovani. Ich hörte ihr wäret Italiener und stammtet ursprünglich aus Venedig? Auch munkelt man ihr hättet die eine oder andere Beziehung zu unserer Mutter Kirche geknüpft. Sagt mir Vittorio, wie kommt ein Mann eurer Abstammung und eures Blutes in den hohen Norden - in eine Stadt die von einem... Rat oder dergleichen regiert wird? Es muss ja ganz sicherlich befremdlich sein."
Auch Vito tupfte sich mit der edlen Serviette die Mundwinkel ab und hörte seiner Gastgeberin aufmerksam zu. Dann schließlich antwortet er ihr. "Ihr erweist mir zu viel der Ehre Herrin. Nun Brügge ist in der Tat eine besondere Domäne mit besonderem Führungsstil der in der Tat recht effektiv zu sein scheint. Aber wie ihr es schon richtig bemerkt habt, ich komme ursprünglich aus Venedig und habe über Rom meinen Weg quer durch Europa eingeschlagen. Vor Brügge war ich in Brüssel und mit dem Umsturz in der Domäne habe ich mich in meine jetzige Heimat orientiert. Was unsere Kirche angeht muss ich gestehen, dass diese Kapitel ehr in meiner sterblichen Vergangenheit liegt was nichts an meinem Respekt vor der Institution selbst geändert hat. Aber gerne würde ich mehr über diese Domäne und auch euch erfahren wenn es euch beliebt." Vito lächelte.
Die edle Dame stützte eine Hand leicht an die Schläfe und lauschte Vito, nickte ab und an knapp. Beim Wort 'Rom', schienen ihre dunklen Augen für den Bruchteil einer Sekunde aufzublitzen. "Nun, ich selbst war bedauerlicherweise noch niemals in Brüssel oder Brügge aber man hört ja höchst interessante Geschichten und Berichte über den Norden. Über den Umsturz hörte ich bereits - es muss euch ja mit Gram erfüllt haben, eure einstige Wahldomäne so schnell in den Händen anderer Herren wiederzufinden." Sie lächelte leicht. "Aber augenscheinlich habt ihr euch ja gut an die Brügger Verhältnisse angepasst." Ihr Blick fiel auf Belinkov. "Solange die Usurpatoren nicht regieren kann die Lage ja noch gar nicht so schlimm sein, obgleich ich erneut sagen muss dass ich einen Rat, bei allem Respekt, für mehr als fragwürdig halte. Ist da nicht eine Unholdin stark in die Wirtschaft verwoben? Nun, zumindest eine von hohem Geblüt. Ihr solltet dem Rat so gut es geht Unterstützung leisten Vittorio, immerhin seid ihr Kappadozianer." Baronessa Giulia Vittoria Caravaggio, faltete die Hände und senkte kurz demütig den Blick. "Es freut mich zudem überaus, dass ihr selbst mit dem Fluch Kains beladen, nicht vom Weg abgekommen seid. Ihr werdet feststellen dass ich in Genua großes Interesse daran habe, unsere Gotteshäuser unangetastet und in bestem Zustand zu wissen." Auf seine Frage nach Genau, legte sie leicht den Kopf schief. "Genau ist wie viele Städte am Mittelmeer eine Handelsstadt und mein Handelshaus, hat überall entlang der Küste Richtung Süden Handelsniederlassungen errichtet. Wir sind eine fromme und ehrwürdige Stadt in der Traditionen und Gesetze hochgehalten und jede Nacht aufs Neue gelebt werden." Etwas zögern fügte sie hinzu. "Darum wundert mich auch ein klein wenig der Besuch aus Brügge, das werdet ihr mir sicher nachsehen Vittorio. Gibt es einen bestimmten Grund warum ein Kappadozianer, der den Fall Brüssels überdauerte und nunmehr in Brügge weilt, hier in meiner Stadt ist?"
Vito hörte der Lasombra aufmerksam zu. Sie war nach den anfänglichen Spielereien inzwischen eine angenehme Gesprächspartnerin mit interessanten Ansichten. "Nun sicherlich war die Zeit abenteuerlich, aber fairerweise muss man auch gestehen, dass der Besitz einer Domäne nicht alles ist. Man muss das was man das seine nennt auch verteidigen können und die Herren von Brüssel konnten es offenbar nicht. Was den Rat angeht neige ich dazu euch eigentlich Recht zu geben - allerdings ist die Arbeitsteilung vom Vorteil da sich ein jedes Ratsmitglied selbstständig um einen gewissen Teil der Arbeit kümmert. Allerdings macht sie das auch verwundbar, schließlich ist die stärke das Rats nur solange gewährleistet wie sie sich einig sind - als zerstrittene Parteien sind die einzelnen Individuen schwach und angreifbar. Was die Unholdin angeht handelt es sich im Übrigen um Alida van der Burse, die sicherlich sehr gerne den Handel mit Genua intensivieren möchte. Auf ihre Initiative sind wir auch hier wie man dem Schreiben entnehmen kann. Bezüglich meiner eigenen Motivation - wie ihr so schön sagt - man sollte jede Nacht auf ein neues Leben und wenn sich irgendwo eine Tür schließt dann öffnet sich woanders eine neue. Doch sagt mir bezüglich des Handels - welche Optionen gäbe es denn mit Genua zu handeln - immerhin haben wir einen Händler am Tisch und es mag eine gute Gelegenheit sein solcherlei Dinge zu diskutieren. Sagt treibt ihr Herrin, Handel mit dem ehrenwerten Belinkov?"
Die Frau ihm gegenüber nickte leicht und schien durchaus angetan von seinen eloquenten und durchdachten Ausführungen. Sie schien dieses Gespräch durchaus zu genießen, selbst oder vielleicht auch gerade deshalb, weil das einzige Licht, dass den Raum erhellte von den beinahe geisterhaft glühenden Glühwürmchen zu kommen schien. "Weise Worte Signore Giovani. Der Besitz von etwas allein heißt noch lange nicht, dass es einem nicht mehr entrissen werden kann. Geschickte Verhandlungen, kluge Manöver und die eiserne Willensstärke müssen dominieren damit man auch auf lange Zeit behält, woran man sein Herz hängt. Brüssel hatte in dieser Hinsicht wohl Nachholbedarf und andere haben die günstige Gelegenheit ergriffen. Das lehrt uns erneut, dass der Djihad ein Spiel ist indem man besser nicht unvorbereitet ist." Ihr Lächeln war kalt und unterstrich eher die Bedrohlichkeit der Aussage, als das sie zur Entspannung beitrug. "Der Rat mag soweit gut funktionieren aber wie ihr gut bemerkt, wird die Uneinigkeit und wenn ihr mir gestattet - wohl auch mitunter die Unfähigkeit von einzelnen Individuen dazu beitragen, dass eines Tages ein kapitaler Fehler gemacht wird. Hoffen wir das es nicht soweit kommt, auch für eure Alida van de Burse." Sie lehnte sich in ihrem Stuhl zurück und warf einen aufmunternden Blick zu Belinkov. "Ah, bezüglich des Handels stehen euch alle Möglichkeiten offen. Ich muss gestehen mit dem Norden habe ich bisher nicht Handel betrieben aber gewiss könnte sich das arrangieren lassen. Nicodemus kümmert sich für gewöhnlich um diese Kleinigkeiten, für mich ist es eher eine Art 'Erbe' das ich lediglich übernommen habe. Er wird mit Freuden eure Unterlagen durchgehen und man wird sich gewiss einig werden - was Signore Belinkov betrifft....", sie zögerte kurz einen Moment lang, so als müsse sie die richtigen Worte finden. "Sergej hier besucht mich schon seit einigen Jahren und ist mit seiner charmanten und bezaubernden Art, einer der wenigen die mich hier in meinem Castello besuchen um sich auszutauschen und die neusten Nachrichten weiterzugeben. Für jemanden wie mich, der nicht viel reisen kann immer eine willkommene Abwechslung. Zudem versüßt er mir das Unleben mit exotischen Geschenken und anderen Kostbarkeiten." Sie schmunzelte ein wenig. "Und für gewöhnlich fragt er mich bei jedem Besuch die altbekannte Frage: Wann darf ich einen Handelsposten in Genua errichten? Dieses Thema besprechen wir jetzt schon eine recht lange Zeit nicht wahr, Signore Belinkov?"
Belinkov faltete die Hände auf der hölzernen Tischplatte und lächelte leicht. „Eure Stadt ist eines der Glanzlichter Italiens. Ihre Schönheit, ihr Glanz und ihre Macht überstrahlen die Stadtstaaten um ein vielfaches. Welcher Händler wäre nicht geehrt in eurer Stadt sein Kontor zu führen und seiner Geschäfte nachgehen zu können? Und wie ihr soeben gehört habt gibt noch andere Mitglieder meines Clans, die diesen kleinen Wunsch hegen mögen. Alida van de Burse gilt als vortreffliche Händlerin für Wein sowie Silber und Erz aus dem hohen Norden.“ Er griff wie seine Gesprächspartner zuvor nach der goldenen Serviette.

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 Betreff des Beitrags: Re: Gen Süden bei Nacht
BeitragVerfasst: So 29. Mär 2015, 21:06 
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Es wäre eine Schande, wenn sie ihre Handelsbeziehungen nach Pisa ausbauen würde, nicht wahr, Signore Giovani.
Vito blickte zwischen beiden Parteien hin und her und räusperte sich dann unauffällig. "Ein Handelsposten hier in dieser wunderschönen Stadt klingt wahrlich vielversprechend. Ihr handelt mit Waren aus dem Osten nicht wahr, Herr Belinkov?" Die Frage war eine der solchen die keiner Antwort bedurften. "Waren aus dem Osten sind aufgrund des Omenkriegs rar geworden. Es währe sicherlich eine Quelle großer Einkünfte und interessanter Kleinode wenn man die Waren aus dem Osten direkt hier umschlagen würde und nicht über Deutschland geht."
Die Baronessa lächelte leicht bei den schmeichelnden Worten Belinkovs. Vermutlich nicht deswegen weil sie wirklich Wirkung zeigten, sondern wohl eher deshalb weil sie jene schon in ähnlicher Form immer wieder aus seinem Munde vernommen hatte. Dennoch ließ sie seine Ehrerbietung mit einem knappen Nicken nicht unbemerkt. Sie hob leicht die Hand in einer abwehrenden Bewegung. "Handel mit Gütern aus dem Osten mag ein profitables Geschäft sein, gewiss. Gerade auch in Zeiten in denen solche Waren rar sind und Kriege toben doch fürchte ich, zwingen mich höhere politische Entscheidungen dazu, erneut eure Bitte abschlagen zu müssen Signore Belinkov. Meine Beweggründe dafür, sind nach wie vor dieselben." Ihr Blick ging kaum verlegen zu Vito.
Belinkov seufzte nur leicht. Offensichtlich hatten sie das Thema schon hundert Mal miteinander besprochen.
Vito erinnerte sich an dir Geschichte des Tzimisce aus Pisa. Gelegentlich waren auch Kainiten nicht besser als ein Kindergarten. Nun denn wenn sie es unbedingt so haben wollten. "Ich habe von jenen Umständen gehört. Nun es ist eine Schande wenn durch jene politischen Gründe Chance verloren gehen. Aber das größere Problem was ich sehe ist die Tatsache das Brügge unter diesen Umständen mit einer anderen Stadt wird Handel treiben müssen. Genua wäre die erste Wahl gewesen, natürlich, aber nun werden wir uns neu orientieren um unsere Nachfrage zu decken." Er schaue die Baronessa an, auf einer Reaktion wartend.
Ihr Blick sprach Bände und für einen Moment konnte man leicht den Eindruck gewinnen, zusätzlich zur Finsternis, schlich sich eine eisige Kälte in die aus totem Stein errichteten Hallen. Man konnte förmlich spüren, wie der Prinz von Genua mit sich selber kämpfte. Schlussendlich, überwog wohl die politische und höfische Vernunft. "Ach, ihr sprecht den Umstand an, dass Alida van de Burse unter den gegebenen Umständen auch keine Handelsniederlassung in Genua unterhalten dürfte, da habt ihr wohl recht." Es war untrügerisch klar, dass dies der Baronessa sehr zu missfallen schien. Das Dekret gegen die Tzimisce, war im Grunde - soviel stand fest - keines das sich aufgrund der Blutabstammung entwickelt hatte. Es war nur die Antwort einer geschmähten Stadt und einem gekränktem Stolz. Italien hatte sich ähnlich wie Spanien zu einer Art Lasombra Hochburg entwickelt und wenngleich nicht alle hohen Ämter vom Clan der Schatten besetzt waren, so zog man doch im Hintergrund leise die Fäden. Etwas unruhiger tippte die Baronessa mit den schlanken Finger auf der dunklen Tischoberfläche. "Ich denke es wäre möglich über eine Sondergenehmigung für Brügge zu sprechen, immerhin wird es nicht nur von einer Tzimisce sondern von einem Rat beherrscht. Insofern treibt Brügge als kainitische Stadt Handel mit Genua, nicht nur eine einzelne Person."
Belinkov sah sowohl Vito als auch die Baronessa an und ein Blick verbarg nur mit Mühe eine gewisse Schärfe. „Ja, Baronessa. Es ist eine gar vortreffliche Idee Sondergenehmigungen für Tsimiske zu erlassen, die sich besonders für den genuesischen Handel verdient machen können. Gemeinsam mit den Finanzkräften des Nordens und des Ostens sollte es mit Leichtigkeit gelingen Pisa und auch die anderen Stadtstaaten zu überflügeln.“ Die Tatsache, dass die Baronessa im vorherigen Satz nur von einer Sondergenehmigung für Brügge gesprochen hatte überhörte er gekonnt.
"Diese Idee klingt ganz vortrefflich. Also die Warenströme des Ostens gehen über Genua in den Norden und die des Nordens wiederum über Genua in den Osten. Es wäre eine komplett neue Handelsroute mit Genau als Herz, unabhängig von allen deutschen Landen. Die Idee ist so verwegen wie sie interessant ist Herr Belinkov."
Der Prinz von Genua drehte für einen Moment, das von schwarzem, glänzenden Haar gekrönte Haupt. Es mochte wohl ganze Heerscharen von Bediensteten brauchen um die Baronessa jeden Abend aufs Neue so makellos herzurichten - sie selber konnte sich ja bekannterweise nicht selbst im Spiegel betrachten. Ein bitterer Umstand, bedachte man das sie sich als Dame von Welt sah. Ihr Augen blitzten für einen Moment kurz auf als die Sprache erneut auf Pisa fiel und nickte sachte. Offenbar hatten Vitos als auch Belinkovs Worte Wunder gezeigt. Die Tatsache, dass sie mit ihren Worten Belinkov indirekt beleidigt hatte, obwohl er hier Jahr und Tag ein- und ausging war nicht nur ignoriert sondern völlig vergessen. "Fürwahr meine Herren, fürwahr. Eure Worte wissen mich zu überzeugen. Ein Handelszug aus dem Norden, mit einem der gewinnbringensten Wirtschaftsstandpunkte - Brügge als auch die Karawanen mit seltenen Waren aus dem Osten ist etwas das Genua die weitere Vorherrschaft über die Stadtstaaten von Italien sichern sollte." Sie schloss für einen Moment die Augen nur um sie im nächsten Moment von einem charmanten Lächeln begleitet wieder zu öffnen. "Es ist beschieden. Signore Belinkov, ihr dürft euren Handelsposten errichten und mit Genau handel treiben. Und ich werde mich erneut an euren liebreizenden Besuchen erfreuen dürfen. So könnte ihr auch einmal länger bleiben als üblich." Danach wandte sie sich an Vito. "Ihr seid ein kluger Mann Signore Giovani und eure Argumente sind nicht zuletzt ausschlaggebend. Richtet dem Rat aus, das Alida van de Burse mehr als willkommen ist, in unserer schönen Stadt handel zu treiben. Ich möchte bei dieser Gelegenheit auch den Rat persönlich dazu einladen, meine Domäne zu besuchen um sich mit mir in angenehmer Atmosphäre über die neusten Geschichten aus Nord und Süd auszutauschen." Sie klatschte in die Hände. "Cato, übermittelt Nicodemus meine Order. Für die Herren Belinkov und Giovani sind Genehmigungen zum Handel in Genua auszustellen. Er soll die Bücher bereithalten und mir alles zur Unterzeichnung vorlegen, noch heute Nacht. Ich bin überzeugt davon, je eher wir dieses wunderbare Übereinkommen besiegeln desto strahlender können wir in die aussichtsreiche Zukunft unserer Städte blicken."
Belinkov nickte leicht als würde er eine Order der Baronessa entgegennehmen, doch bei genauem Hinsehen konnte Vito den winzigen siegessicheren Zug um seine Lippen erkennen. Er genoss den Rest des Abends mit dem auserlesen Geschmack an Vitae der Baronessa und übte sich gekonnt im Austauschen höfischer Belanglosigkeiten.
In Vito löste sich ein riesiger Knoten. Aber auch ehr war schon lange genug in Sterblicher wie unsterblicher Politik zugeben um sich solcherlei Gefühle nicht ansehen zulassen. Lediglich ein Kainit mit geübter Fähigkeit Auren zu lesen währe in der Lage seinen Gemütszustand im Moment deuten zu können. "Es ist eine wahrhaftige Freude mit euch Geschäfte zu machen Baronessa. Ihr verstehe es nicht nur außergewöhnlich zu bewirten, sondern entscheidet darüber hinaus nachhaltig und mit einem guten Gespür für die Zukunft. Herr Belinkov - ich bin überzeug, dass dies der Beginn eines für alle Parteien gewinnbringenden Handels ist." Der Kappadozianer schien bester Laune und auch er tauscht noch belanglose Höflichkeiten aus und genoss das Angebot an feinster vitae.
Der Prinz ihrerseits, gab sich höflich galant und genoss es sehr sich mit dem russischen Händler sowie dem kirchlichen Würdenträger aus dem Osten auszutauschen. Vergessen schien die Tatsache, dass sie das Dekret aufgrund einer persönlichen Schmähung hatte verfassen lassen. Offensichtlich wog die Vorstellung, Pisa wirtschaftlich zu überflügeln und damit die Vormachtstellung in Italien inne zu haben, bei weitem mehr als eine simple 'Rückantwort'. Und vielleicht war das sogar eine bessere Möglichkeit, der verhassten Stadt die Stirn zu bieten und sie auf dem Parkett der kainitischen Höfe zu demütigen. Aber das ist eine andere Geschichte und soll ein andermal erzählt werden.

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 Betreff des Beitrags: Re: Gen Süden bei Nacht
BeitragVerfasst: So 29. Mär 2015, 23:39 
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Die Audienz bei der Baronessa war durchweg positiv verlaufen und wenige Tage später erhielten auch Lucien und Vito eine schriftliche Benachrichtigung über die Rücknahme des Dekrets und eine offizielle ein wenig informell gehaltene Einladung der Baronessa an Alida van de Burse.
Bereits am nächsten Abend wurde Jean von Belinkov zurück zum Gasthof geschickt. Er schickte eine kurze Nachricht, dass er bereit war mit seinem Werk und mit den gröberen Vorarbeiten beginnen würde. Jean zeigte sich nicht erbaut darüber seinen Freund allein in den Händen des ihm nach wie vor suspekten Fleischformers lassen zu müssen aber er fügte sich in sein Schicksal. Ungefähr eine Woche verging. Am nächsten Samstag war ein kurzes Treffen zur Übergabe mit den Gesandten der Familie Medici anberaumt. Frederik bat Lucien ihn dabei zu begleiten. Der Gangrel war lang genug im Hause der Familie van de Burse ein – und ausgegangen und er schien dem Hauptmann ein gewisses Maß an Vertrauen entgegen zu bringen. So wie auch Lucien hatte der braunhaarige Mann die ersten Tage mit der Suche nach Martin verbracht, aber bereits am übernächsten Tag die Schönheiten Genuas für sich entdeckt und sie Suche beendet um sich Kunst und Geschichte Italiens zu widmen.
Am entscheidenden Abend kleidete er sich in eines seiner Gewänder aus bestem flandrischen Tuch, das in ganz Europa für seine Qualität bekannt war und sattelte Ajax und sein Pferd. Er drückte dem Hauptmann die Zügel des Brabanters in die Hand. Der Hauptmann ergriff die Zügel, sein Gesicht spiegelte Skepsis wieder als er die edle Tuche sah, in die sich Frederick geworfen hatte; ohne Frage um der einflussreichen italienischen Händlerfamilie zu imponieren. Die Tage in Genua waren schnell vergangen und ausnahmsweise schien jemand mal etwas richtig gemacht zu haben, denn der Tross hatte nicht nur ein Dauergastrecht ausgesprochen bekommen sondern Vito hatte es überdies geschafft, die Baronessa von einem Handelsposten für Belinkov zu überzeugen. Im Grunde war alles gut gegangen, bis auf die Sache mit Martin. Aber daran dachte der Gangrel schon gar nicht mehr. Es half nichts dem Ganzen nachzutrauern - weg war eben weg. Jetzt galt es, das Beste aus der Situation zu machen und so bestieg er den treuen Ajax um an der Seite von Frederick den Weg zum Treffpunkt mit den Medici zu bestreiten.
Frederik warf ihm einen Blick von der Seite zu. „Danke, dass ihr mitkommt, Hauptmann.“
Er drehte den Kopf kaum merklich in seine Richtung, das Nicken war träge. "Es ist ja sonst niemand da, der dich 'offiziell' begleiten könnte. Allerdings finde ich, dass was Alida da mit dir und ihrer Familie vorhat nicht gerade klug. Aber wie schon bei Lilliana: Jeder ist seines eigenen Glückes Schmied. Man wird sehen was noch kommen mag."
Frederik sah Lucien an und ein leichtes Lächeln umspielte seine Lippen. „Die Idee war ursprünglich einmal vor vielen Jahren Alidas, aber die Entscheidung liegt bei mir. Die Medici sind eine reiche und einflussreiche Handelsfamilie, die sicher noch von sich hören lassen wird. Es ist eine Ehre bei ihnen einige Jahre leben und lernen zu dürfen. Und wenn ich mir dabei die Ehre des Kusses verdienen kann…“ Er presste die Lippen aufeinander. „Ich weiß… viele von euch erhalten den Kuss nicht aus freiem Willen… Es tut mir leid, wenn ich euch an unliebsames erinnere.“
Lucien schüttelte den Kopf. "Darum geht es nicht - darum geht es nie bei einem Kuss." Er sah den jungen Mann in den edlen Tuchen Flanderns an und sein Ausdruck verriet missmutige Besorgnis. "Der Kuss verdammt einen, es ist nichts das man aus einer Laune heraus tut oder weil es einem für den Moment Vorteile verschafft. Bisher warst du nur ein Mensch, der sich mit den normalen sterblichen Dingen der Welt beschäftig hast, wie sehr du auch Alidas Unleben ein Stück weit mitgelebt- und getragen haben magst." Der Gangrel zog am Zügel und Ajax brummte leise. "Bist du aber untot, hast du ein Bluterbe das öffentlich ist und das du tragen musst. Du darfst dich dann mit sämtlichen Rechten und Pflichten, der Politik, der Intrige, allen Gemetzeln und sämtlichen anderen Dingen des Djihads befassen. Und glaube mir: Das wirst du zwangsweise müssen. Ein Kuss ist schnell passiert, was so etwas heißt kann kaum einer abschätzen."
Frederik musterte den Hauptmann an seiner Seite kritisch. „Wie sieht es mit euch aus, Hauptmann? Würdet ihr auf den Kuss verzichten, wenn ihr Dinge der Vergangenheit ungeschehen machen könntet? Auf die Macht, die er euch gebracht hat? Die Möglichkeit Dinge zu verbessern, nicht jeder weltlichen Kleinigkeit hilflos ausgeliefert zu sein? Die Möglichkeit besser für das zu kämpfen, das euch wichtig ist?“ Er seufzte leicht. „Verzeiht mir. Eine solche Frage sollte ich euch nicht stellen. Eure Art zu leben ist ehrenhaft. Ihr kämpft als Hauptmann und Sheriff für die Belange eurer Domäne, auch wenn ihr einen anderen Weg beschreitet. Doch sagt mir: Seid ihr nicht dankbar für die Kräfte die ihr besitzt?“
Lucien grinste leicht schief und setzte einen vielsagenden Blick auf. "Du kannst ruhig ehrlich mit mir sein Frederick, wir kennen uns doch mittlerweile schon ein paar Jährchen, hm? Immer raus mit der Sprache, lieber ein paar Beleidigungen die ehrlich gemeint sind als jedes langweilige Gesülze." Dann schien er für einen Moment zu überlegen. "Was ich damals vor ewigen Zeiten anders gemacht hätte, was ich verändert hätte oder wie ich mich entschieden hätte tut nichts zur Sache - ich bin bereits da wo ich nun bin aber du..." Und damit sah er wieder zu ihm. "Du hast eine Wahl, hier und jetzt - heute Nacht. Ich hatte keine und ja, unter den gegebenen Umständen kommen mir meine Kräfte sehr zugute. Die Frage ist nur ob es dir das alles wert ist? Das ist eine Sackgasse. Den Untod wählt man oder erhält man nur einmal. Überleg dir gut, was du dir da wünscht." Räuspernd fügte er hinzu. "Ganz nebenbei, auch auf die Gefahr hin das ich mich wiederhole: Ich bin weder ehrenhaft, nobel, aristokratisch oder sonst was. Ich bin ein Schwein das mit 5 schon gestohlen und mit 12 gemordet hat. So gesehen hat sich für mich praktisch nichts verändert. Sterbliche möchten mich scheinbar gerne in den edlen Hauptmann der Nachtwache verwandeln aber unter all dem bin ich immer noch das was alle Kainiten sind: Raubtiere; vergiss das nie."
Frederik schnalzte mit der Zunge und sein Pferd lief etwas schneller. „Ich denke, ich bin mir der Tragweite meiner Entscheidung bewusst. Seit zu vielen Jahren ist mein Leben mehr mit eurem Unleben verwoben als mit dem der Sterblichen. Was soll ich in der Welt der Lebenden? Heiraten? Kinder zeugen? Als alter Mann friedlich in meinem Bett versterben?“ Seine Worte hatten einen höhnischen Beiklang. „Ich denke, das Unleben hält mehr Überraschungen bereit. Mehr Möglichkeiten mich für meine Familie, Brügge, meine Freunde und auch mich selbst einzusetzen. Und ob die Entscheidung die Rechte sein wird? Vielleicht werde ich es euch eines Tages beantworten können. Wer weiß das schon?“ Er atmete tief ein.
„Nebenbei: Cato, der Haushofmeister der Baronessa, hat uns ein Schreiben zukommen lassen, dass er auch mitkommen wird. Er wünscht die Medici im Namen seiner Herrin kurz willkommen zu heißen. Ein wenig seltsam, wenn ihr mich fragt. Wäre es nicht angebrachter eine eigene Audienz bei der Baronessa oder zumindest eine eigene Besprechung anzuberaumen? Nun ja… in Brügge laufen die Räder anders als in Italien, nicht wahr?“
Lucien nickte nur knapp und starrte ein wenig in die schwarze Leere der Nacht. "Sie vorsichtig mit dem was du dir wünscht, Frederick van de Burse, es könnte nämlich nur allzu schnell in Erfüllung gehen. Am meisten wünschen wir uns das, was wir nicht haben. Das mein guter, ändert sich auch nicht mit dem Untod." Eine kurze Zeit ritt er gemächlich schweigend neben dem jungen Spross der Familie van de Burse her, nickte dann nachdenklich bei den Worten seines Gegenübers. "Ich habe keine Ahnung von den Medici und sie interessieren mich auch nicht sonderlich. Cato kann mir ebenfalls gestohlen bleiben. Wenn sie ihre Besuche so abhalten wollen, dann sollen sie das eben so machen. Seltsam ist es dennoch ein Stück weit. Halt dich für alle Möglichkeiten bereit, vielleicht bekommen wir noch was zu hören."
Bei Luciens Bemerkung hob Frederik eine Augenbraue und sein Blick übertrug einen gewissen Sarkasmus. „Das mit dem Wünschen trifft wohl für Sterbliche in gleichem Maße wie für Kainiten zu.“
Sie ritten noch einige Zeit und erreichten schließlich die Eingangspforte eines kleinen Klosters. Der Haushofmeister Cato wartete bereits auf einem weißen edlen Pferd, flankiert von zwei Wachen in genuesischer Tracht. Er nickte Lucien wohlwollend zu, Frederik ignorierte er gekonnt. „Es ist mir eine Freude mit euch gemeinsam ein kurzes Willkommen mit den Abgesandten der Familie di Medici auszutauschen.“


Er lenkte sein Pferd gemeinsam mit den beiden Männern aus Brügge zum Hauptgebäude und tauschte mit Lucien belanglose Kleinigkeiten über die erfolgreiche Audienz des Brügger Abgesandten bei seiner Herrin aus.
Lucien nickte zur Begrüßung nur knapp und setzte sein bestes, charmantestes Lächeln auf. Die belanglosen Kleinigkeiten tauschte er auf Latein aus aber man sah ihm an dass er Mühe hatte so eine Art der Konversation aufrecht zu erhalten um nicht zu sagen: Es ödete ihn an. Dennoch ertrug er es um der guten Sache Willen. Am Haupthaus angekommen, stieg er vom Pferd und überreichte Ajax einen der dort anwesenden Stallburschen. Im Flüsterton sprach er zu Frederick: "Ich glaube langsam Cato ist hier um nachzusehen was wir von den Medici wollen. Meiner Meinung nach weiß er nichts und die werden ihm auch nichts erzählen aber dennoch sollten wir auf der Hut sein. Möglicherweise plant die Baronessa irgendetwas."
Die Gesandtschaft der Familie Medici traf in einem kleinen abgeschiedenen Kloster auf die Männer aus Flandern. Die Mönche beteten während der zweistündigen Mitternachtsandacht in der etwas entfernt liegenden Kapelle und das Scriptorium stand den Besuchern offen. Frederik trat ohne langes Zögern auf die Personen zu, die in der Nähe der Schreibtische standen und verbeugte sich tief. Beim Anblick des bildhübschen Mädchens an ihrer Seite blieb ihm eine Sekunde zu lange der Mund offen stehen und seine Augen wurden groß. Der braunhaarige Mann sah sie wie bezaubert an. Dann erinnerte er sich wieder der Etikette und stellte Lucien die beiden bleichen älteren Personen als Thoma und Anna di Medici vor.
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Beim Anblick des Haushofmeisters der Baronessa verdunkelte sich der Blick des Mannes und er biss die Lippen aufeinander. Seine Worte an Cato waren unhöflich knapp gehalten. „Richtet der Baronessa meine Grüße aus, Cato. Und fragt sie demnächst, warum sie jemanden wie euch schickt.“ Cato zeigte ein bezauberndes Lächeln. „Weil sie meine Fähigkeiten schätzt, Signore di Medici.“ Der Kaufmann aus Florenz schnaubte nur verächtlich und ignorierte den Abgesandten für den Rest des Gesprächs.
Er widmete sich Lucien. „Dies ist meine Nichte Lucia di Medici. Bitte geleitet sie sicher nach Brügge.“ Ein bedauerndes Begreifen legte sich auf die Züge des jungen van de Burse. Ganz offensichtlich war es sein Schicksal in Italien zu bleiben, während dieses bezaubernde Wesen nach Flandern aufbrechen würde.
Lucien verbeugte sich ebenfalls knapp, bliebt aber tonlos. Einzig und allein sein Blick sprach Bände. Er traute diesem ganzen von Etikette geprägten Frieden nicht. Dies hier sollte eine einfach 'Übergabe' werden, hinsichtlich derer er seine Bedenken schon zuvor bei Alida und auch bei Frederick kundgetan hatte. Aber er war der letzte der die Leute davon abhielt zu tun was sie für richtig hielten - es sei denn es passte so überhaupt nicht in seine Überzeugungen oder gefährdete seine Existenz auf welche Weise auch immer. Als er angesprochen wurde nickte er Thoma erneut zu und betrachtete die junge Schönheit eingehend. Schön war sie, beinahe zierlich und verletzlich. Unvorstellbar das sie das Blut eines Unholds in sich tragen sollte. Die ganze Sache war gefährlich und nicht zuletzt auch irgendwie pervers. Alida wurde auf ihre alten Tage schon merkwürdig. "Ihr habt mein Wort. Eure liebreizende Lucia wird Brügge sicher und wohlbehalten erreichen." Sein Seitenblick glitt zu Frederick. Keine Heirat, keine Kinder, kein Eheleben? Hatte ihm schon jemand gesagt das sich unter der Gürtellinie auch nichts mehr abspielte? Nun, jeder musste seine Erfahrungen selbst machen.
Es wurden höfliche Bemerkungen ausgetauscht. Offenbar kannte Frederik die Abgesandten bereits von Brügge und der Umgang gestaltete sich vertraut und freundlich. Die Medici entschlossen sich zu guter letzt am nächsten Abend entgültig abzureisen. Frederik sollte sich bereit halten. Nach ungefähr einer ¾ Stunde machte man sich an die Verabschiedung. Cato hielt noch eine kurze Rede, die gelungen war, jedoch an den Toereador wie an einer Wand abprallte. Dann begannen die Männer aus Brügge und Cato den Raum zu verlassen. Frederik schüttelte Thoma die Hand, küsste den beiden Frauen die Hand und warf dem blonden Mädchen einen letzten Blick hinterher. Cato verbeugte sich vor dem Kaufmann und seiner Frau.
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Er trat näher an das blonde Mädchen, streifte im Vorbeigehen ihre Locken und flüsterte kaum hörbar. „Wir sehen uns wieder, Lucia.“
„Wie könnt ihr es wagen, Cato? Das Wort an meine Nichte zu wenden? Ihr? Ein Mitglied der Aussätzigen? Die Baronessa hätte klüger gehandelt euch in die Kanalisation zu sperren wo ich hingehört.“ Wie ein Mantel fiel die Verdunklung des gutaussehenden Mannes ab und eine entsetzte entstellte Gestalt blieb erstarrt in der Mitte des Raumes stehen. Man konnte erkennen, dass er jeden Moment in Raserei gehen würde. Er vergrub die klauenartigen Finger in seinen Handflächen bis Blut hinabtropfte und schloss die Augen. Dann riss er sich herum und rannte fast aus dem Zimmer bevor sich die Raserei seiner bemächtigen konnte.

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Lucien wohnte der ganzen Zeremonie mit recht verhaltenem Interesse bei. Hier ging es nicht um ihn oder um irgendwelche Brügger Zusammenhänge. Das hier war Fredericks und Lucias Vorstellung, die ihre Familien verlassen hatten; nicht nur um vom wirtschaftlichen Erfolgsgeheimnis der jeweils anderen Häuser zu profitieren sondern auch um kainitisches Erbe weiterzugeben. 'Wie einen Wanderpokal' - wäre der Gangrel beinahe geneigt gewesen hinzuzufügen. Nach wie vor schmeckte ihm die Sache nicht so recht. Die Verabschiedung wurde dann aber doch interessanter als gedacht und neben all den Höflichkeiten, war die recht gefährliche Aussage des Medici in Richtung des direkten Vertreter der Stadt ein wenig unsachte gewählt. Umso verwunderlich war es, als sich Cato dann vor den Augen aller Anwesenden in seiner wahren Gestalt zu erkennen gab - ein Nosferatu. Hässlich, gezeichnet, widerwärtig. Nichts das Lucien nicht schon aus den Katakomben von Brügge kannte, dennoch kam es überraschend. Der gute Cato war sichtlich verärgert darüber enttarnt worden zu sein, hatte seine kunstvolle Maskerade doch auch vor Lucien und sogar Vito standgehalten. Lucien sah ihm grübelnd hinterher als er wütend aus dem Haus stürmte. Besser war es so - besser als das er hier alle zerfleischen würde. Hinsichtlich der Politik gab es wohl einen Patt. Die Medici hatten indirekt die Baronessa beleidigt aber Cato hatte sich eine Blöße hinsichtlich der Raserei gegeben. Es würde wohl keine Folgen geben, denn der Haushofmeister würde die ganze Sache tunlichst verschweigen wollte er nicht in Ungnade fallen.
Lucien stand am Eingang des Gebäudes und betrachtete den jungen Brügger Frederick van de Burse. Ein leichtes Lächeln huschte über seine Lippen. Jetzt war er schon so lange in der Stadt, das sogar schon Alidas Verwandtschaft in den Untod geholt wurde. Anerkennend klopfte er dem Mann auf die Schulter und sah ihn ernst an. "Vergiss nicht, wo du herkommst und was du einst warst. Nur wenn wir über unsere Vergangenheit bescheid wissen, können wir die Zukunft verstehen - wie dunkel sie auch werden mag. Ich wünsche dir alles Gute und sehe dich dann in einigen Jahren wieder, so dir das Glück beschieden ist."
Frederik schüttelte den Kopf. „Ich werde mich morgen zu ihnen gesellen.“ Nachdem Frederik und Lucien das Kloster verlassen hatten, schwang sich der braunhaarige Mann wieder auf sein Pferd. Ein ungläubiges Kopfschütteln begleitete den Trab des Pferdes. „Was für eine komische Geschichte…“
Der Gangrel drehte den Kopf leicht in die Richtung des Mannes und hob eine Augenbraue. "Welche? Die mit Cato? Du wirst feststellen dass es noch so einige komische Geschichten gibt, die der Untod mit sich bringt. Liebe die einem beispielsweise auf ewig verwehrt wird, weil man ein Monster ist. Verdammt und vergessen." Er grinste. "Was? Das ist doch offensichtlich, dass Cato was für die gute Lucia übrig hat aber wohl aufgrund seiner Verbindung zur Baronessa als auch seiner Herkunft, wird ihm das immer verwehrt bleiben.. und selbst wenn. Liebe gibt es nicht mehr für uns. Nicht mehr in der Art wie du sie kennst."
Frederik schwieg lange und seufzte. Ab und an schüttelte er noch immer ungläubig den Kopf. Er kannte sowohl Gerrit, Kobalt als auch Josef, aber die Art wie sich Cato präsentierte unterschied sich von derjenigen der anderen Nosferatu wie zwei Seiten der gleichen Münze, wie Feuer und Wasser. Einem Nosferatu dieser Art war er nie begegnet.
Es dauerte rund eine Stunde bis sie die Herberge erreichten. Weder Jean, Vito oder Joachim waren irgendwo zu erkennen. Frederik nahm sowohl die Zügel von Ajax als auch von seinem Pferd, führte die Tiere in den Stall und versorgte sie dort.
Frederik betrat das gemietete Zimmer und trat auf Lucien zu. Hinter dem jungen van de Burse tapste ein seltsam aussehendes Tier her, dass man mit einiger Mühe wohl als jungen Hund interpretieren konnte. Das Tier hatte bereits jetzt überall Bissspuren und Vernarbungen und der Schwanz war durch eine Verletzung abgetrennt worden. Der Kleine setzte sich neben Frederik und versuchte ein Knurren in Luciens Richtung, das jedoch alles andere als bedrohlich wirkte.

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Frederik grinste. „Den hat mir Belinkov für Alida mitgegeben. Er scheint die Viecher zu züchten. Seine Hunde haben seltsame Ernährungsgewohnheiten. Statt Fleisch ernähren sie sich von ...“ Er presste die Lippen aufeinander. „Ja, ihr könnt es euch sicher denken. Ihr hättet den Wurf sehen sollen, Lucien. Schon die Welpen saugen so lange an der Mutter bis sie zusätzlich zur Milch an Blut kommen.“ Er strich dem Hund vorsichtig über den Kopf als hätte er Angst jeden Moment gebissen zu werden. „Ich find ihn ja recht grausig und hässlich wie die Nacht aber ich vermute Belinkov hat Recht und er wird Alida gefallen. Ich finde, nach der Vorstellung von heute Abend sollte er Cato heißen, was denkt ihr?“
Der Blick des Gangrel glitt an dem kleinen zerkratzten, stinkenden Etwas hinab, dass ihn selbst bei dieser geringen Größe mit seinen Zähnen und etwas kläglichem Knurren einzuschüchtern versuchte. Er zog den Mundwinkel nach oben und fletschte anschließend seinerseits die Zähne in Richtung des Hundewelpen, präsentierte die makellos spitzen Fänge. Ein kehliges Gurgeln und Knurren entfuhr auch seiner Kehle als er den kleinen Hund in die Schranken wies. Das Fellbündel floh unters Bett und lugte ängstlich zu dem großen Schattenwolf. An Frederick gewandt nickte er. "Was immer Belinkov da für eine Zucht begonnen hat. Es ist wichtig gerade so etwas...", er deutete auf das zerbissene Häufchen Hund, "seinen Platz von anfang an kennen zu lassen. Da darf keine Unsicherheit aufkommen. So wie er deine Feinde zerreißt, zerfetzt er auch dich wenn du ihm nicht klarmachst, wer der Herr im Rudel ist." Er lächelte erneut schwach und schüttelte nachgebend den Kopf. "Na schön, ich nehme 'Cato' mit zu Alida. Immerhin sollten ihr ihre kainitischen Fähigkeiten beim Abrichten helfen und wenn er nicht spurt, nehm ich ihn mit zu Geri und Freki.. aber ich kann dir gleich sagen: Der hier, wird ein Mordsapparat werden."


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Die kleine flandrische Gruppe stand an einer Anhöhe und blickte hinab auf das große Heer der christlichen Kreuzfahrer, die bei Sonnenaufgang in Richtung Heiliges Land aufbrechen würden. Die Dämmerung kroch über den Horizont und begann das Land in schwaches blau rosanes Licht zu tauchen. Eine in einen dünnen Mantel gehüllte Gestalt trat aus der Zeltstadt hervor und stieg den Hügel hinauf, den Blick auf die flandrische Gruppe gerichtet.
Schließlich erreichte sie ihr Ziel und schlug die Kapuze zurück. Balduin hielt sich gerade und das blonde Haar fiel ihm in die Stirn. Auch wenn seine Körperhaltung auf den zweiten Blick den Verdachte aufkommen ließ, man hätte den Jungen soeben geschlagen, versuchte er sich doch aufzurichten und sich nichts anmerken zu lassen. Obwohl es exakt die Gestalt war, die sie noch vor einigen Monaten aus England gerettet hatten wirkte der Junge größer und älter. Er schenkte Jean ein Lächeln und nickte den anderen zu. Er richtete sein Wort an Jean.
„Ich habe meine Eltern treffen können und lange mit ihnen geredet. Nichts kann mehr so sein wie es einst war, das ist allen bewusst. Ich werde niemals der Erbe von Flandern werden, aber mit Sicherheit ist mir als fürstlicher Bastard, der seinem König treu und tapfer in Jerusalem gedient hat ein größeres Lehen vergönnt. Vielleicht Brügge?“ Er grinste schelmisch und wurde wieder ernst. „Wer weiß, was die Zukunft bringt? Ich werde mit meinem Vater ins Heilige Land ziehen und so Gott will in einigen Jahren wieder nach Flandern zurückkehren.“ Er wandte seinen Blick wieder der ganzen Gruppe zu.
„Dass ich eine Zukunft habe verdanke ich euch. Ich kann euch niemals das vergelten, was ihr für mich getan habt.“ Er sah zu Boden. „Aber was immer in meiner Macht stehen wird, ich werde tun, was ich vermag.“ Er verbeugte sich tief. „Ich danke euch!“
Jean trat auf ihn zu und umarmte ihn fest. „Pass auf dich auf. Das musst du jetzt selbst übernehmen.“ Er grinste und Balduin erwiderte das Schmunzeln. „Ich geb‘ mir Mühe.“ In der Ferne sattelten die ersten Kreuzritter ihre Pferde und saßen auf. Blaue Fahnen wehten im milden Wind.
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Balduin trat auf Lucien zu. „Ihr habt mich mehr als ein Mal gerettet, Hauptmann. Ich werde nie Macht besitzen euch so als Verbündeter zur Seite zu stehen, wie ihr vielleicht gehofft habt. Aber was ich kann werde ich tun.“

Der Gangrel betrachtete den Jungen von allen Seiten, vielleicht etwas zu genau als er sich selber eingestehen wollte aber die 'Arbeit' des Unholds Belinkov, war bei weitem besser geworden als er es für möglich gehalten hätte und das scheinbar auch noch ohne Vorlage. Der ganze Aufwand und all die Mühe, hatten sich schlussendlich dennoch gelohnt - oder vielleicht auch nicht. Die wehenden Fahnen, die schimmernden Rüstungen und die prangenden Kreuze die überall zu sehen waren, kündeten den Aufbruch des nächsten Kreuzzuges an. Ein Kreuzzug, den der Vater des Jungen anführte und dem nunmehr auch er, selbst als geächteter Bastard, folgte. Er ließ Jean Zeit sich ausreichend von Balduin verabschieden zu können, immerhin hatte er beide nur als Paar kennengelernt. Damals, als sie bei den Benningtons Unterschlupf gesucht hatten. Wie lange war das nun schon her? Die Zeit war wirklich wie im Flug vergangen. Die Jungen waren gemeinsam nach Brügge gekommen, als Freunde und würden sich hier als Freunde trennen. Der Hauptmann der Brügger Nachtwache verschränkte die Arme und verbeugte sich knapp vor Balduin. Es bedeutete ihm nicht viel, noch gab er viel auf Etikette aber selbst er fand es in diesem Moment angemessen. "Ich bin kein Held Balduin, das war ich nie und ich werde es wohl auch niemals sein. Das was ich tat, tat ich für Brügge.... ", er überlegte kurz, "Und für Jean", fügte er etwas leiser hinzu. "Ich hätte nie gedacht, dass du uns wirklich von Nutzen sein könntest, mir ist dieses ganze Politikspiel einfach zu blöd, wie du bekanntlich weißt. Es tut mir leid, dass dein Leben sich anders entwickelt hat, als es das Schicksal für dich vorherbestimmt hatte aber ich bin überzeugt davon, das du nunmehr wieder selbst dieses Schicksal in die Hand nehmen kannst und wirst. Du musst nichts und nie wieder etwas für mich oder Brügge tun. Ich wünsche dir alles erdenklich Gute Balduin. Viel Glück und Gott mit euch."
Er zog ein Pergament und einen kleinen Beutel aus einer Tasche und reichte beides an Lucien. Er zog ein silbernes Kreuz hervor, das er an Vito weiter reichte. „Das sollte euch zurückgegeben werden, Signore Giovani.“ Er sah wieder mit ernsten blauen Augen zu Lucien hoch und musterte ihn mit festem ernstem Blick. „Belinkov bat mich euch dies zu überreichen bevor ich aufbreche.“ Die Schrift war sauber und schwungvoll.

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In dem ledernen Beutel befand sich ein Stein von intensiver grüner Farbe.

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Jean stieß Balduin von der Seite an. „Ein seltsamer Mann, dieser Belinkov.“ Balduin nickte nachdenklich. „Ja, vor allem seine Augen.“ Luciens Ebenbild zog die Stirn kraus. „Wieso? Die waren doch einfach braun.“ Der Fürstensohn schüttelte den Kopf. „Nein, die waren Rot. … wie geronnenes Blut.“ Dann zuckte er mit den Schultern und sah zu dem christlichen Heer hinunter.
Der Gangrel ergriff den grünen Stein im Beutel und wog vorsichtig dessen Gewicht, überprüfte im Licht einer nahen Laterne die grün schimmernde Farbe. Die Sache mit dem Kreuz, dass wiederum an Vito überreicht wurde, verstand er nicht so ganz aber vielleicht musste er das ja auch gar nicht denn der Brief schien einige ungeklärte Fragen endlich aufzuklären. Martin hatte sich also alleine gestellt und wurde von Frederick zu Belinkov geleitet. Offensichtlich hatte er vor dem Rest der Brügger Kainiten zuviel Angst. Seis drum, Balduin war wiederhergestellt und jetzt und hier, am Rande der Klippen von Genua von denen man das aufbrechende Heer der Kreuzfahrer mit ihren großen Schiffen, die auf der nächtlichen See in der sich die Sterne wie kleine Leuchtfeuer spiegelten, schwankten, hatte diese lange, ermüdende und teils gefährliche Reise einen glücklichen Ausgang gefunden. Er verstaute den Stein und das Schreiben in der Innenseite seines Wams. Wer mochte wissen ob man diesen Stein in zehn oder zwanzig Jahren vielleicht noch gebrauchen könnte. Zu seinen Füßen tollte die kleine Töle Cato, die Belinkov Alida vermacht hatte und zu seiner linken Schritten Jean und Frederick; rechts von ihm Vito. Joachim war schon dabei die Pferde sowie das Fuhrgespann abreisefertig zu machen. Lucien warf einen langen Blick zurück an die Klippe.

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Der Weg zum Ziel beginnt an dem Tag, an dem du die hundertprozentige Verantwortung für dein Tun übernimms.
Dante Alighieri


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