Do 12. Feb 2015, 23:33
3.6.
Lucien lag auf dem etwas harten Bett, dass er in dem Zimmer aufgestellt hatte, dass er zu seinem eigenen Schlafzimmer auserkoren hatte. Es lag im hinteren Teil des Hauses und ohne Fenster wohl der sicherste Raum für jemanden wie ihn. Er spürte die Reste eines Traumes, die er gewaltsam abstreifen musste. Die Gestalt, die in die Flammen fiel, spürte noch wie er selbst in einen tiefen Abgrund gerissen wurde und nicht mehr mit ansehen musste, wie sein Freund verbrannte. Falls… er verdrängte den Gedanken. Lucien spürte die dünne Decke, die er sich eher einem Ritual folgend über den Körper gelegt hatte. Draußen war die Nacht angebrochen und ein letzter Vogel sang leise. Lucien spürte, wie er beobachtet wurde. Ein Blick nach links verriet ihm die Ursache. Auf einem Schemel, dicht neben seinem Bett saß Jean und blickte ihn nachdenklich an. Er knete nervös seine schwitzigen Finger und schluckte als er sah, wie sich sein Meister bewegte.
„Lucien. Es tut mir leid, dass ich hier so sitze und gewartet habe.“ Der Hauptmann konnte sehen, dass die Sache dem Jungen äußerst unangenehm war. „Ich musste hier sein, wenn du erwachst. Es geht um… Balduin.“
Der Hauptmann, der es noch immer nicht recht gewohnt war, seine Lagerstätte mit etwas anderem als dem Tod zu teilen, schwang sich, die letzte verbliebene Müdigkeit abschüttelnd auf seinem provisorischem Lager herum und warf die im Grunde nutzlose, kratzige, dünne Decke von sich. Diese Träume... für gewöhnlich träumte er nicht und wenn doch, dann waren es immer entweder merkwürdige surreale Traumgewebe die nur dem kranken Geist eines Blutmagiers wie Sebastian entsprungen sein konnten oder aber seine ganz eigenen Dämonen. Leif... das Feuer, ein Verrat der tiefer und bitterer schnitt als er vor den anderen zugeben wollte und doch... und doch war da der letzte verbliebene Zweifel, dass alles doch seine Richtigkeit hatte. Dass es einen Grund gab. Einen musste es ja immerhin geben - alles machte für irgendjemanden, irgendwo Sinn. "Was ist mit ihm?" quittierte er Jeans zögerliches Fragen.
„Balduin hat mir einiges erzählt, was er mir eigentlich nicht erzählen durfte. Alida hat geplant mit ihm zu verreisen. Sie kennt jemand, der ihm vielleicht helfen kann wieder so zu werden, wie er war. Eigentlich wollten sie sich heute Abend gemeinsam mit Frederik und dem Doppelgänger auf den Weg machen, aber Gerrit hat irgendwo eine Nachricht abfangen lassen können und nun…“ Der Junge holte tief Luft um wieder zu Atem zu kommen. „Gerrit und Alida vermuten, dass Draga einen Anschlag auf die Kontore der Familie van de Burse oder ihr Zuhause und auf die Kanalisation plant. Weil die beiden den alten Costayne abgeschlachtet haben. Gerrit und Alida bereiten alles für die vielelicht kommenden Angriffe vor. Es ist nur so…“ Der Blick der grauen Augen fixierte Lucien. „Wenn sie nicht heute oder morgen aufbrechen, wird es zu spät sein. Dann gibt es keine Chance mehr für Balduin. Ich weiß, du hast nicht viel mit dem Grafensohn zu schaffen. Er für dich ist er nur ein etwas ängstliches, verweichlichtes Adelssöhnchen, aber für mich war er bis ich hierher nach Brügge kam der einzige und gleichzeitig beste Freund, den ich je hatte… Ich will nicht, dass er ein solches Schicksal haben soll.“ Jean biss die Lippen aufeinander und ballte in einer hilflosen Geste die Fäuste.
Lucien drehte den Kopf leicht schief und hob beinahe mahnend eine Augenbraue. "Und das fällt dir so schwer zu sagen? Alida möchte Balduin die vielleicht letzte Möglichkeit geben, wieder menschlich auszusehen aber gleichzeitig scheint es einen Angriff auf ihre Kontore zu geben?" Der Gangrel erhob sich langsam von seinem Lager und machte, sich streckend und die Jahrhunderte alten Knochen knacken lassend, ein paar Schritte auf Jean zu. "Mit anderen Worten: Ich soll Wachhund spielen während sie sich um Balduin kümmert - was fällt dir so schwer daran mir das so zu sagen? Draga kommt doch so oder so, wenn wir ein paar von ihren Handlangern auseinandernehmen können, sodass sie sich anständig in die Hosen scheißen, ist das eine gute Möglichkeit ihren ersten Zug in diesem Spiel gebührend zu beantworten." Im Vorbeigehen, strich er Jean etwas grober über den Kopf; dennoch war es nett gemeint. "Ich nehme an Gerrit rotiert mit Kobald - und vor allem der, wieder im Untergrund hm? Dann kümmern wir uns um die Speicher und Kontore. Nimm Geri und Freki mit, wir instruieren die Wachschicht."
Jean biss sich erneut auf die Lippen wirkte jedoch schon um einiges erleichterter. Er sprang vom Schemel und ging Richtung Tür. „Ich vermute, du wirst nicht Wachhund spielen müssen.“ Jean lachte kurz auf. „Alida kümmert sich um alles. Ich glaub, sie wollte zum Kontor im Norden.“ Hat Marlene gesagt, fügte er erklärend hinzu.
Lucien stieg die kaum erleuchteten Treppen des spartanisch eingerichteten Wohnhauses nach unten. Knarzend gab die Treppe unter dem Gewicht seiner schweren Stiefel nach - für gewöhnlich machte er sich nicht die Mühe seine Kleidung auzuziehen; Schweiß und Körperflüssigkeiten mit Ausnahme von einer, waren vor so unendlicher langer Zeit, lediglich dem sterblichen Körper zueigen gewesen. Mit den rötlich schimmernden Augen leuchtete er den Raum ab und griff nach der Schwertscheide, die er sich in gewohnter Routine umschnallte. "Hm.. also umgekehrt? Ich soll Balduin zu seinem Retter eskortieren und sie beschützt ihre Kontore selbst? Würde ja irgendwo noch Sinn ergeben, wenn es um ihr Hab und Gut geht wird sie schon mal ein wenig fanatisch." Mit einem festen Griff, zog er den Gürtel straffer. "Norden also? Na dann besuchen wir sie doch mal." Die Tür öffnend, ließ er Jean den vortritt und schloss hinter ihnen ab. "Im Übrigen weißt du um welche Zeit ich ungefähr aufwache Junge, das ändert sich kaum.. es nutzt also nicht viel mit schweißnassen Händen, stundenlang vor meinem Bett zu warten, das beschleunigt es nicht."
"Immer genau 13 Minuten nach Sonnenuntergang. Aber ich konnte nicht abwarten." Er grinste erleichtert.
Sie begaben sich durch die noch immer stark frequentierte Straße nach Norden. Die Fuhrwerke machten sich nach einem erfolgreichen Markttag auf den Nachhauseweg, emsige Gesellen erledigten ihre letzten Aufträge um bald nach Hause gehen zu können. Es war noch immer hell und Lucien spürte ein leichtes unangenehmes Prickeln auf seiner Haut obwohl die Sonne schon untergegangen war.
Sie kamen gut voran und erreichten wenig später das hohe alte Gebäude.
Das Haus war beleuchtet und Arbeiter waren mit dem Beladen von Fuhrwerken beschäftigt. Lucien und Jean wurden von einem der Vorarbeiter erkannt und mit einer knappen Handbewegung Richtung Lageräume im Hinterhof des Gebäudes verwiesen. In einer großen Scheune konnten sie schließlich Alida entdecken. Sie war mit vier Männern, darunter Frederik und seinem jüngerer Bruder Heinrich sowie einer Frau über mehrere Unterlagen gebeugt und die Gruppe diskutierte in sachlichem Ton das effizienteste Vorgehen bei einem Brand. Frederik hielt die Ergebnisse schriftlich fest.
Alida bemerkte den Hauptmann und seinen jungen Schüler und zog überrascht eine Augenbraue nach oben. Sie entschuldigte sich bei ihren Gesprächspartnern und verließ die Scheune.
„Guten Abend, ihr zwei.“ Auch ihre Stimme klang überrascht. „Kommt doch mit. Hinten, Richtung Hafen sind wir ungestört. Hier vorne ist derweil zuviel Betrieb…“ Sie stieg eine Mauer hinauf und atmete die Seeluft, die vom Meer herangeweht wurde ein. Dann drehte sie sich zu den Besuchern um.
Das zischende Prickeln auf seiner Haut, tat Lucien mit einem grummelnden Fletschen seiner Raubtierzähne ab; heute war er wirklich früh aufgestanden möglicherweise auch deshalb, weil er insinktiv irgendwie gewusst hatte, das sein Schlaf beobachtet wurde. Es war schon merkwürdig denn normalerweise schlief er... nun, wie ein Toter eben. Sein Blick streifte im Gehen Jean, den jungen Mann, der mittlerweile doch schon einige Zeit bei und mit ihm lebte, sich um die Hunde und das Haus sowie die Pferde kümmerte. Jean war fleißig und bestrebt sein Bestes zu geben, was mit auch ein Grund war, warum Lucien ihm erlaubt hatte am Training der Wache teilzunehmen und den einen oder anderen Wachgang zu übernehmen. Überall war er mittlerweile als sein Neffe eingeführt und ob der Ähnlichkeit auch ohne ein weiteres Wort als selbiger anerkannt worden. Dennoch war es ungewohnt für ihn einen Sterblichen neben sich zu haben, der friedlich in einem Bett schlief, morgens zwei Eier in die Pfanne warf und die Stube fegte. Von dem was der einstige Wanderer Lucien Sabatier kannte und gewesen war, war er aktuell wirklich weit entfernt - Sesshaftigkeit war merkwürdig, hatte aber durchaus seine Vorzüge befand er.
Bei der Scheune angekommen, würde Lucien den Anwesenden nur ein knappes Nicken zuwerfen. Den einen oder anderen Seitenblick, Richtung der Mitschrift von Frederik werfen aber im Grunde kein großes Interesse daran zeigen. Vorbereitung für etwas, das man schon allzu lange kannte und erwartet hatte. Kein Wunder das Alida sich nunmehr persönlich darum kümmerte. Scheigend folgt er ihr die Mauer nach oben und schwenkte seinen wachen Blick, einschätzend über die nächtliche See und die Hafenanbauten. Dann drehte er sich zu der blonden Frau um, ohne den Gruß zu erwidern. "Jean meinte es würde einen Angriff auf deine Kontore geben der von Draga initiiert wäre. Zudem hättest du eine Möglichkeit gefunden, Balduin sein altes Aussehen wieder zu geben. Da ich nicht annehme, dass du selbst dazu in der Lage bist hast du wohl ein paar Beziehungen spielen lassen. Muss dich einiges gekostet haben hm?" Sein Lächeln war schwach, zu ernst war die augenblickliche Situation. "So wie ich das sehe, willst du das ich entweder die Kontore überwache oder aber dafür sorge das Balduin sicher dort ankommt, wo immer er auch hin muss ja?"
„Also hat Balduin alles ausgeplaudert…“ Sie seufzte. „So gut wie ihr miteinander befreundet seid, wäre das zu erwarten gewesen. Mein Fehler…“
Sie verschränkte die Arme vor der Brust. „Ja, ich hatte eigentlich in Erwägung gezogen einen mir bekannten Tsimiske aufzusuchen.“ Sie blickte zu Lucien. „Du erinnerst dich an Belinkov? Man mag über ihn sagen, was man möchte, aber er ist ein Meister im Verändern von Formen und Körpern. Er wäre wahrscheinlich in der Lage Balduin sein altes Aussehen zurück zu geben… Ich wollte es auf einen Versuch ankommen lassen. Ich weiß, das vorläufige Ziel seiner Handelsreise war Genua.“ Sie sah das junge Abbild von Lucien an und ihr Blick wurde traurig und entschuldigend. „Aber es hat sich alles geändert. Gestern konnten zwei Mitglieder der Diebesgilde einen Kurier vom östlichen Voivoidat abfangen. Dieser hatte eine Botschaft für einen Mann in Ostende dabei, bei dem es sich um den Ghul eines Assamiten handelt. Die Botschaft umfasst Anschläge, die auf die Kanalisation von Brügge und die Handelshäuser meiner Familie gerichtet sind. Gerrit vermutet einen Racheakt, da er und ich Dragas „Kind“ vernichtet haben. Ich wünschte, ich könnte Balduin nach Italien bringen, aber die Anschläge, da sind sich Gerrit und ich einig werden folgen und ich kann meine Familie in dieser Zeit nicht alleine lassen. Es tut mir leid.“
Jean sah sie an und er ballte die Fäuste. „Wenn zu viel Zeit verstreicht wird der Unhold Genua wieder verlassen und du weißt nicht wo er als nächstes hinreisen wird. Und die Truppen von Balduins Vater werden auch in zwei Tagen Richtung Palästina aufbrechen… Das ist nicht fair.“
Alida nickte nur. „Ich weiß.“
Lucien hob einen Fuß an und stemmte ihn auf die Mauer, den anderen ließ er am Treppenansatz als er die Arme verschränkte und eine Augenbraue bei Alidas Worten nach oben schnellen ließ. Wie er so dastand, wirkte er beinahe ein wenig zu sehr selbstüberzeugt und gebieterisch; als wäre die Geste mit seinem angewinkelten Bein dazu da, nur noch weiter zu unterstreichen wie wenig er gewillt war Draga die Stadt zu überlassen und wie wenig ihm die ganze Sache zu schmecken schien. Sachte nickte er. "Ich verstehe. Einfach gesagt, werdet ihr die Verteidigung der Stadt, Kanalisation und Kontore übernehmen während ich mit dem verkrüppelten Balduin nach Genua in Italien reisen soll um dort Belinkov, den russischen Tzimisce-Händler zu treffen der angeblich das Antlitz unsere verschollenen Prinzregenten wiederherstellen kann ja?" Die Haltung des Gangrel lockerte sich etwas. "Ich fürchte genau wie du muss ich meine Prioritäten wohl anders setzen, auch wenn ich nicht weiß, was du Belinkov für diese Gunst wohl geboten haben magst Alida. Brügge geht auch für mich vor, vor allem wenn die Kanalisation angegriffen werden soll, mit Assamiten und anderen Mordgesindel - was wenn der Tausendschlächter wieder angeheuert wurde weil er ja schon einmal so erfolgreich war? Da wäre jede Hilfe von Nöten um ihm auch nur ansatzweise beizukommen." Sein Seufzen war ehrlich und klang nicht so als ob er es künstlich in die Länge ziehen müsste. "Ich mag Balduin und ich kann verstehen das ihm sich hier wohl eine gute Chance bietet, selbst wenn ich diesem Belinkov mehr als misstraue - zumal du ihn in ziemlich viel eingeweiht haben musst, wenn er den Thronfolger widerherstellen soll.. aber davon mal abgesehn: Er wird sicher nochmal hier bei uns vorbeikommen oder es wird andere geben die Balduin helfen können, meinst du nicht? Sollten wir uns nicht alle gemeinsam zunächst auf Brügge konzentrieren?" In seiner Stimme lag offene Skepsis.
Alida sah Jean an, dessen Blick Funken zu sprühen schien. „Jean? Würdest du uns kurz allein lassen? Vielleicht kannst du beim Gespräch meiner Leute mitreden. Du hast sicher auch einige gute Ideen, wie man ein Feuer vermeiden kann?“ Der Junge biss die Lippen aufeinander, nickte dann schweigend und ging ohne die beiden noch eines Blickes zu würdigen die Treppe nach unten. Die blonde Händlerin sah ihm hinterher. „Er ist ein cleverer Junge. Ihm ist wirklich zuzutrauen, dass er auf schlaue Ideen kommt und sich als gutes Mitglied dieses kleinen Rats macht.“ Sie schüttelte nachdenklich den Kopf. „Ich sehe es genauso wie du, Lucien. Ich hätte mich mit Balduin auf den Weg gemacht, aber es gibt nun einmal Dinge, die wichtiger sind als Jeans bester Freund. Auch wenn dein Neffe das noch nicht versteht. Und für mich ist das nun einmal das Wohl meiner Familie. Ich hatte nicht die Absicht meine Pläne irgendjemand mitzuteilen. In letzter Zeit fange ich an überall Verrat zu wittern. Das ist nicht gut… Du brauchst dir jedoch nicht so viele Gedanken zu machen. Die Anschläge sollen auf die Lagerhäuser der van de Burse gehen. Wir haben im Moment unglaublich viele Schiffe entladen und unsere Hallen sind voll von Waren, die verkauft werden müssen. Ein Brand wäre im Moment eine Katastrophe für uns. Aber diesbezüglich bin ich schon am organisieren. Noch heute stechen drei voll beladene Schiffe in See. Zwei Wochen früher als beabsichtigt, aber immerhin... Die Anschläge auf die Kanalisation betreffen überwiegend geplante systematische Tunneleinstürze. Es soll eine Warnung an uns sein. Draga wagt derzeit noch nicht weiter zu gehen. Vor allem nicht offen vorzugehen…“ Alida sah Lucien an und ihr Blick wurde härter. „Und bezüglich Belinkov: Ich habe ihm gar nichts angeboten. Ich weiß nichts außer, dass er nach Genua gereist ist. Soll ich ihm ne Brieftaube hinterherschicken, die im Dunklen seine Aura aufspürt oder was? Ich hab keine Ahnung welche Route der Tross nehmen wollte…“ Man konnte ihr ansehen, dass sie aufgebracht war.
Lucien blickte dem Jungen lange hinterher ohne eine Miene zu verziehen. Der Zorn und die Wut, die für einen Augenblick in seinen Blicken gelegen hatte, waren förmlich greifbar gewesen. Der Gangrel konnte diese Gefühle nachvollziehen und respektieren aber er würde niemals zulassen, dass diese sterblichen Motivationen die seinen werden würden. Er hatte größere Dinge im Auge zu behalten, gänzlich andere Schlachten, Winkel- und Schachzüge die auf dem dunklen Schachbrett des Djihad ausgefochten wurden, viel schlimmer und allumfassender als es der junge Jean sich wohl jemals ausmalen könnte. "Jean ist eine Bereicherung und bisweilen zeigt er mir, was für Prioritäten und Leidenschaften die Sterblichen lenken - das hilft mir manchmal und manchmal...", er pausierte kurz, "… kann ich darauf auch einfach keine Rücksicht nehmen, so sehr ich es auch wollen würde." Stumm lauschte er ihren Erklärungen und nickte zustimmend ohne sich zu rühren. "Wenn diese Informationen auch wirklich gesichert sind ja, dann verhält sich die ganze Situation so, wenn nicht haben wir möglicherweise mit weitaus schlimmerem zu rechnen." Sein Blick fixierte den ihren hart und bohrend. "Was du von mir verlangst, ist Brügge und die Verteidigung der Stadt allein euch zu überlassen ohne irgendwelche Garantie, dass eure Informationen die bevorstehenden Ereignisse abschätzbar machen. Du willst das ich mit einem sterblichen Krüppelkind ungefähr Richtung Genua reite um dort einen Tzimisce-Händler an ihm herumdoktern zu lassen, dessen Gesinnung noch unklar ist, während meine Domäne empfindlich angegriffen und taktisch vom Feind ausgelotet wird?" Der Hauptmann sah sie lange an. "Findest du nicht Balduin kann warten? Ist es so wichtig, dass du mich schicken willst auch wenn Draga demnächst in ungeahnter Stärke einfallen könnte? Ist es dir so viel Wert?"
Alida sah ihn an und schüttelte den Kopf. Wut legte sich in seinen Blick. „Ich habe mit keinem einzigen Wort je erwähnt, dass ich gedenke dich nach Genua zu schicken. Ich habe bereits gesagt: Balduin muss warten. Und ja: wenn er nicht nach Genua kommt, wenn er Belikov nicht rechtzeitig antreffen wird…“ sie schnaubte kurz. „… und ja, das wird er höchstwahrscheinlich nicht wenn er nicht bis morgen Nacht aufgebrochen sein wird da ich mit der Verteidigung meiner Leute beschäftigt bin, dann ist das leider sein Schicksal. Denn mein Schicksal ist hier und nicht im fernen Italien. Er wäre der Erbe Flanderns, derjenige, der eventuell das Schicksal dieses Landes in den Händen halten wird, aber ich werde hier in Brügge gebraucht. Und vielleicht wirst du das auch. Was weiß ich?“ Sie wandte sich Richtung Hafen. „Vielleicht solltest du Gerrit aufsuchen und ihn fragen ob du ihm helfen kannst Pfeiler abzustützen? Damit ist er nämlich grad beschäftigt: steinerne Verstärkung der Grundkonstrukte. Er kann sicher deine handwerklichen Fähigkeiten gebrauchen…“ Sie bemerkte, dass sie zu weit gegangen war und sah ihn an. „Es tut mir leid, Lucien… Ich komme nur nicht zu einer halbwegs guten Lösung…“
Lucien hob eine Hand und machte lediglich eine abwehrende Geste, die andeuten sollte, dass er sie schon verstanden haben mochte. "Der Heiler hat uns alle ziemlich durcheinander gebracht, wir haben mit so etwas nicht gerechnet und vor allem hatten wir auch keinerlei Zeit, diesen Verrat für uns zu überdenken und einzuordnen; man lässt uns ja nicht. Merkwürdig, dass wir von dem was wir eigentlich zur Genüge haben, im richtigen Moment dann wieder dringend benötigen: die Zeit." Knirschend, hob er den Fuß vom brüchigen Mauerwerk und lehnte sich etwas seitlich an die Rückwand des Gebäudes. "Wir brauchen alle mal eine Pause aber die haben wir eben nicht und Entscheidungen müssen getroffen werden, so oder so, wenn wir sie nicht treffen dann entscheiden andere für uns deshalb werde ich den Knaben zusammenpacken und mit ihm Richtung Genua aufbrechen." Bevor er sich zum Gehen wandte, drehte er sich noch einmal zu Alida um. "Ich tue das nicht aus Nächstenliebe oder irgendwelcher herzlichen Menschlichkeit wegen und schon gar nicht wegen Jean. Ich sehe nur die Chance, den echten und rechtmäßigen Thronfolger der sterblichen Nation Flandern zu unseren Trümpfen zählen zu können, wenn Belinkov wirklich so vertrauenswürdig und gut ist, wie du behauptest. Du kannst es nicht und ja, wenn wir ihn jetzt nicht wieder herstellen dann irgendwann später nur fragt sich, wann das sein wird? In hundert Jahren nützt uns der Bengel überhaupt nichts mehr, nicht mal in zehn nützt er uns was. Entweder er wird schnell wieder eine nützliche Ressource oder er ist gar nichts mehr wert - deshalb tue ich es und weil ich dir vertraue." Er grinste. "Wenn ich jemanden hier vertraue, dann dir wenn es um die Verteidigung deiner Stadt geht. Es gibt kaum jemanden der so energiegeladen wird wenn seine Domäne in Bedrängnis gerät. Viel Erfolg, ich gehe Gerrit Bescheid sagen." Als er schon um die Ecke verschwinden wollte, blieb er noch kurz stehen und sah Alida ernst an. "Ich verlasse mich auf dich und die anderen, wenn ich zurückkomme und Brügge brennt, werde ich nicht derjenige sein der eure Überreste zusammenkehrt - also gewinnt diesen Konflikt gefälligst."
„Lucien, warte kurz.“ Sie ging auf ihn zu. „Du musst das nicht tun. Balduin hat deine Hilfe schon oft genug in Anspruch nehmen können. Wenn du das Gefühl hast, dass du hier gebraucht wirst, dann ist dein Platz hier.“ Sie sah über den Hafen. „Aber der Schlag ist als Warnung an Gerrit und mich gedacht und nicht an die Stadt an sich…“ Dann blickte sie zu den grauen Augen des Hauptmannes hinauf. „Ich habe nie behauptet, Belinkov wäre gut oder vertrauenswürdig.“ Sie grinste kurz. „Ich würde ihm mein Leben anvertrauen, aber wohl nicht mehr und nicht weniger. Du solltest auf der Hut sein… aber das bist du eh immer“ Sie lächelte. „Willst du wirklich in den Süden ziehen, Lucien?“
Der Hauptmann nickte und wirkte dennoch eine Spur verwundert, als sie Belinkov noch einmal anbrachte. Das Band zwischen ihr und dem Russen, war ihm immer noch nicht ganz klar geworden - sie hatte sich aber bisher noch nicht allzu viel dazu geäußert und er hatte angenommen, dass es dazu auch nicht mehr allzu viel zu sagen gegeben hätte. Offensichtlich hatte er sich grundlegend geirrt. Ein süffisantes Grinsen aufsetzend und die Schultern nonchalant anhebend nickte er knapp. "Will ich. Was immer Draga in der Stadt treibt, ob es eine Warnung oder ein Anschlag gegen dich, Geritt, die Stadt oder wen auch immer ist, ihr müsst es auch ohne mich schaffen können. Du bist auch oft tagelang nicht in der Stadt und Geritt ist immer wieder außenpolitisch in Frankreich unterwegs, trotzdem muss der Laden laufen, so ist es eben. Niemand kann sich nur auf die anderen verlassen, man muss auch allein etwas zustande bringen. Ihr könnt euch nicht immer auf mich verlassen und ich werde mich davor hüten, all die Verantwortung für mich selbst in eure Hände zu legen. Wenn jeder für sich selbst stark und standhaft bleibt, sind wir gemeinsam nicht zu Fall zu bekommen." Er hob die Hand zum Abschiedsgruß und machte sich auf den Weg. "Ach und Alida: Sei vorsichtig wem du dein Unleben anvertraust, der letzte dem wir das zugestanden haben, war ein Verräter par excellence und ist mittlerweile nur noch ein Aschehaufen im Wind - ich will nicht, das es eines Tages andersrum abläuft." Wieder griff Alida nach seinem Arm und hielt ihn zurück. „Warte einen Moment, Lucien. Bevor du gehst gibt es ein paar Dinge, die du wissen solltest. Ich habe nicht beabsichtigt, offen mit dem Erben von Flandern und seinem noch immer beleidigten Doppelgänger durch die Gegend zu ziehen. Offiziell begebe ich mich mit Frederik, „meinem entstellten Neffen“ und seinem Bruder nach Genua um dort eine andere Händlerfamilie zu treffen. Sie sind eine noch recht junge Familie aber ausgesprochen interessiert und erfolgsversprechend. Medici ist der Name. Sie waren bereits mehrfach bei meiner Familie zu Besuch, falls man das so nennen kann… Frederik wurde letztes Jahr von ihnen eingeladen und wird eine Zeitlang bei ihnen in Florenz leben. Dieser Zufall hat sich gut ergeben. Auf kainitscher Ebene ist ein Treffen mit dem Medici Oberhaupt, einem Toreador, anberaumt. Ich habe einen Boten zu der Regentin von Genua, einer Lasombra geschickt und sollte sie der Höflichkeit Genüge tun, stehen euch die Tore für die Zeit eures Aufenthalts zum Treffen mit den Medici offen. „ Sie kaute nachdenklich auf ihrer Unterlippe. „Vielleicht wäre es sinnvoll einen Kainit mit ausgeprägtem diplomatischen Geschick mitzusenden. Liliana ist im Moment mit dem Hospital und dessen Umgestaltung beschäftigt. Es gibt doch diesen jungen Kappadozianer, der vor kurzem seine etwas forsche Rede vor unserem Rat gehalten hat und nun einige Zeit in Brügge leben darf. Vielleicht möchte er seinen Wert für die Stadt beweisen und mit euch reisen? Er ist Italiener und könnte dich mit der Sprache unterstützen.
Lucien beschenkte Alida mit einem argwöhnischen Blick, der teils der Tatsache geschuldet war, dass etwas so simples wie eine Reise gen Süden auch wenn sie unter erschwerten Bedingungen erfolgte, wieder kainitisch als auch sterblich abgesichert werden musste, teils auch deshalb weil sie ihm unliebsame Begleitung, noch dazu unbekannte, unliebsame Begleitung empfahl. "Ich wäre ja am liebsten allein geritten wenn ich ehrlich bin. Balduin als vermummter Lepra Kranker und eine Geschichte, wie ich meinen entstellten Neffen zu einem Wunderheiler in der Nähe von Genua bringen möchte für die Sterblichen und für die Blutsauger eine andere ähnlich dumme Geschichte aber gut, sei es drum. Dann reisen wir eben mit Kind und Kegel in semi-hochoffiziellen Handelsgeschäften im Namen der Familie van de Burse." Sein Grinsen nahm wieder die altgewohnte hämisch-sarkastische Note an. "Genua liegt in Italien und auch wenn die Lasombra da unten jeder ihr eigenes Süppchen kochen und sich untereinander rangeln, zumindest diese Stadt sitzt fest im Sattel. Einzig Venedig kann ihr da unten das Wasser reichen habe ich gehört." Müsig kratze er sich am Bart. "Die Regentin wird uns sicher diese kleine Unterredung gewähren Alida aber wir müssen dennoch vorsichtig sein. Brügge, Venedig, Genua sind alles Städte die es weit gebracht haben und diesen Status auch so schnell nicht verlieren wollen. Deine Lasombra wird nicht untätig sein und gewiss werden wir dennoch vorsprechen müssen. Hoffen wir das es nicht zum politischen Glatteis mutiert." Als die blonde Frau Liliana erwähnt weiten sich Luciens Augen und beide Hände gehen abwehrend nach oben. "Tu mir das nicht an, es reicht wenn ich einen Krüppel zum Doktor bringen muss in eine Domäne die so dunkel ist wie die beunruhigenden Geschichten die man sich über sie erzählt, da kann ich Lilly nicht brauchen, lieber soll sie das Krankenhaus schmücken und Bilderbücher aufschlagen." Ein Zucken seiner Schultern deutete an, das ihm der Kappadozianer nichts sagte. "Wir haben einen Nekromanten in der Stadt? Warum weiß ich davon nichts? Schlimm genug das Gent und Antwerpen uns jetzt auch noch auf die Finger sieht, meiner Meinung nach dürfen die sofort wieder gehen, Leif war der einzige der Diablerie begangen hat das stinkt alles nach purem Neid und dem nächsten Verrat." Misstrauisch stemmte der Gangrel die Hände in die Hüften. "Wer ist dieser Totenbeschwörer? Ist er brauchbar? Woher kommt er? Wie heißt er? Kann er was? Wie steht er zu uns und den Anliegen der Stadt? Kann er die Klappe halten wenn ich es ihm sage?" Erneut grinste Lucien.
Alida grinste zurück. „Das musst du selbst herausfinden, fürchte ich. Aber er spricht Italienisch. Da wird er dir sicher hilfreich sein. Ich werde ihm später eine Botschaft schicken. Ihr könntet morgen gleich nach Sonnenuntergang aufbrechen. Ich würde ihm trotzdem nicht offenbaren, dass du den Erben von Flandern dabei hast. Gib ihn als sterblichen Neffen von mir aus, den Costayne aus Rache an mir entstellt hat. Den Doppelgänger konnte ich mittlerweile davon überzeugen, dass es nicht sein Schaden sein wird, wenn er mit Balduin nach Genua reist. Er sollte euch nicht viel Arbeit kosten.“ Wieder überlegte sie. „Ich hab keine Ahnung wie ihr Belinkov in Genua finden könnt, aber ein Tross von 20-30 Mann sollte genug Aufmerksamkeit auf sich ziehen.“ Sie kramte in einer Tasche und drückte ihm einen kleinen Lederbeutel in die Hand. „Gib ihm das wenn du ihn tatsächlich antriffst. Dann weiß er, dass du von mir kommst. Okay?“
Ein kurzes Nicken quittierte ihre Anweisungen, als für den Hauptmann der Nachtwache annehmbaren Vorschlag. "Nachdem die Russen schon vor den Toren stehen und uns die Dänen verraten haben, die Franzosen und Engländer nur darauf warten das wir straucheln, klopfen jetzt auch noch die Italiener an unsere Tür." Lucien schüttelte den Kopf. "Was solls, wie ich immer zu sagen pflege: Länder sind Schall und Rauch wenn man untot ist. Ich werde ihm einen Besuch abstatten und mich ein wenig mit ihm unterhalten, mir ein Bild von dem Knaben machen. Hoffentlich ist er brauchbar - falls nicht, schick ich ihn dir sofort wieder retour. Dann kann er Blumengirlanden flechten." Bestimmt, rückte er sein Wams zurecht. "Bereite du nur alles vor und instruiere deine Leute dementsprechend, ich werde morgen Abend mit dem Totenbeschwörer am Südtor abreisefertig warten. Sollte der doppelte Balduin Ärger machen, finde ich schon Möglichkeiten sein Aussehen intakt zu halten und ihn dennoch zum Schweigen zu bringen. Was Belinkov angeht: Ein russischer Händler in einer Lasombra Hochburg - ich denke wir werden nicht lange suchen müssen." Ihren kleinen Beutel nahm er überrascht entgegen und öffnete ihn kurz um den Inhalt zu begutachten. "Ein Anhänger? Euer Hochzeitsgeschenk?" Blanke Zähne die breit grinsten strahlten ihr entgegen.
Lucien konnte den Beutel ohne Mühe öffnen und dunkle feine Erde, einzelne weiße Blütenblätter und ein kleiner brauner Halbedelstein fielen ihm in die Hand. Alida stand dicht neben ihm. „Wir Tzimiske sind wohl ein seltsamer Clan. Du wirst keinen Kainit finden, der so an seine Heimat verknüpft ist… und nur wenn wir einen Teil von ihr bei uns haben können wir existieren. Das ist meiner.“ Sie lächelte.
Lucien zuckte nur abermals mit den Schultern. "Clansgeheimnisse, die ich gar nicht in aller Detail Verliebtheit kennen muss. Es reicht zu wissen, dass er es erkennen wird und vielleicht einen Augenblick länger überlegt, ob er mich köpft oder mir zuhört." Mit einem gekonnten Griff an seinen Gürtel, verstaute er den Beutel sorgfältig und tätschelte ihn liebevoll, wie zum Beweis, dass er bei ihm sicher wäre. "Ich kläre nun die restlichen Dinge mit der Stadtwache, schließlich werde ich ja dennoch eine Zeit lang wegbleiben und auch Gerrit will informiert sein. Triff deine Vorbereitungen, ich treffe die meinen und sorge bitte dafür, dass Jean auf keinen Fall auf die Idee kommt mir nachzureiten - sag ihm er wird hier gebraucht. Das ist noch nicht mal gelogen."
Sie nickte. „Dann treffen wir uns morgen am Stadttor. Ich werde Balduin, den Doppelgänger und Frederik mitbringen. Vitto, den jungen Kappadozianer, werde ich informieren. Vielleicht erklärt er sich bereit. Wir werden sehen. Ist doch eine gute Möglichkeit um ihm mal auf den Zahn zu fühlen, oder? Das mit Jean solltest du aber selbst ausmachen. Der Junge hört zwar auch auf mich, aber du bist sein großes Vorbild. Wenn er wirklich auf jemanden hört, dann auf dich, oder? Aber ich bin mir sicher, er will mit. Sowohl du als auch Balduin, da ist sich Jean sicher, können tags, beziehungsweise nachts Hilfe gebrauchen
Lucien nickte. "Ja, vermutlich hast du Recht. Das mit Jean kläre ich noch. Möglicherweise ist er in meiner Nähe sogar sicherer als hier in Brügge vor allem da die Kanäle angegriffen werden. Ich informiere jetzt die Wache und Gerrit. Schick du mir Jean nach Hause, ich werde nicht lange brauchen und der Junge muss für morgen noch packen. Vitto werd ich mir ansehen. Wenn er was taugt, lass ich es dich wissen."
Sie nickte und drückte ihn kurz fest an sich. "Paß auf dich auf, ja?" Dann ging sie die Treppe hinunter und zurück Richtung Scheune.
"Ich pass auf die anderen auf - wie immer." Dann entfernte auch er sich um sich auf morgen Nacht vorzubereiten.
Zuletzt geändert von Alida am Mo 13. Jun 2016, 14:32, insgesamt 1-mal geändert.