Mo 2. Mär 2015, 11:18
Nachdem sich die kleine Reisegruppe wieder zusammen gefunden hatte verlief die weitere Wanderschaft ohne weitere Vorkommnisse oder Veränderungen. Frederik übernahm die Planung der Reise bei Tag und besprach sich derweil des nachts mit den beiden Kainiten. Martin hatte offensichtlich seine Lektion gelernt und war so eingeschüchtert, dass er nicht noch einmal wagte die Autorität des Hauptmanns anzuzweifeln um die Stellung eines adeligen Bastards anzunehmen. Einen Teil der Strecke ließen sie sich von Schiffen auf dem Rhein mitnehmen und erreichten so erfolgreich die Stadt Basel und wanderten danach weiter Richtung Alpen.
Tagebucheinträge aus den Briefen von Frederik an Alida van de BurseIm Schatten der Alpen, den 8. Juli, abends.Hierher gekommen, gleichsam gezwungen, endlich an einen Ruhepunkt, an einen stillen Ort, wie ich ihn mir nur hätte wünschen können. Es war ein Tag, den man jahrelang in der Erinnerung genießen kann. Um sechs Uhr verließen wir die kleine Stadt, den klaren Himmel reinigte ein scharfer Wind vollkommen. Nun aber bei dem Glanze der aufgehenden Sonne die dunkeln, mit Fichten bewachsenen Vordergründe, die grauen Kalkfelsen dazwischen und dahinter die beschneiten höchsten Gipfel auf einem tieferen Himmelsblau, das waren köstliche, ewig abwechselnde Bilder.
Diese Berge sind von einer unvorstellbaren Höhe und reichen gar mächtig in den Himmel hinauf, des öfteren umwandert von hellen Wolkenfetzen. Zu meiner Welterschaffung habe ich manches erobert, doch nichts das ich mitnehmen könnte außer Erinnerungen an diese überirdische Größe und Macht. Wir wanderten den ganzen Tag.
Nun wurde es dunkler und dunkler, das Einzelne verlor sich, die Massen wurden immer größer und herrlicher, endlich, da sich alles nur wie ein tiefes geheimes Bild vor mir bewegte, sah ich auf einmal wieder die hohen Schneegipfel vom Mond beleuchtet, und nun erwarte ich, daß der Morgen diese Felsenkluft erhelle, in der ich auf der Grenzscheide des Südens und Nordens eingeklemmt bin.
Dein Freund Sabatier erweist sich als fähiger Anführer unseres Trosses. Mit seiner meist etwas mürrischen Stimme verkündet er seine Order, der keiner der Jungen zu widersprechen wagt. Er hat sich den Respekt der Mitreisenden verdient und trifft nach Beratungen mit unserem Italiener, der die Gegend zumindest grob zu kennen scheint und meiner Wenigkeit die richtigen Entscheidungen zu einem guten Gelingen unseres Vorankommens
Die Kalkalpen, welche wir bisher durchschnitten, haben eine graue Farbe und schöne, sonderbare, unregelmäßige Formen, ob sich gleich der Fels in Lager und Bänke teilt. Aber weil der Fels überhaupt ungleich verwittert, so sehen die Wände und Gipfel seltsam aus.
Vom Äußern des Menschengeschlechts habe ich so viel aufgefaßt. Die Nation ist wacker und gerade vor sich hin. Ich habe Gelegenheit gehabt zu sehen wie von den Männern und Frauen jede bunte Feder geehrt wird. Wer diese Gebirge bereisen wollte, müßte dergleichen mit sich führen. Eine solche am rechten Orte angebrachte Feder würde statt des willkommensten Trinkgeldes dienen.
Indem ich nun diese Blätter sondere, sammele, hefte und dergestalt einrichte, daß sie dir bald einen leichten Überblick meiner bisherigen Schicksale gewähren können, und daß ich mir zugleich, was ich bisher erfahren und gedacht, von der Seele wälze, betrachte ich dagegen mit einem Schauer manche Pakete, von denen ich ein kurz und gutes Bekenntnis ablegen muß: sind es doch meine Begleiter, werden sie nicht viel Einfluß auf meine nächsten Tage haben!
An der Grenze zum SüdenDen 11. Juli, abends.
Hier bin ich nun an der Grenze, wo die Sprache sich abschneidet; oben herein schwankt es noch immer vom Deutschen zum Italienischen. Es ist eine Freude den Herrn Giovanni mit seinen Landsleuten reden zu hören. Die Leichtigkeit und dennoch antike Würde des Italienischen ist ein Genuss; Unser Wirt spricht kein Deutsch, und ich muß nun auch meine Sprachkünste versuchen. Wie froh bin ich, daß nunmehr die geliebte Sprache lebendig, die Sprache des Gebrauchs wird! Unser Hauptmann bedient sich entweder der altbewährten Sprache der Gestik und Mimik oder bei gebildeteren Bürgern eines gar erlesenen Lateins und wirkt plötzlich wie ein studierter Gelehrter.
Am großen SeeWie sehr wünschte ich meine Familie einen Augenblick neben mich, daß sie sich der Aussicht freuen könnten, die vor mir liegt! Giovani hat mir erklärt, dass die Einheimischen das vor uns liegende Wasser nur Lago Maggiore, den großen See, nennen. Hier wo wir rasten übersieht man den See beinah in seiner ganzen Länge, nur am Ende entwendet er sich unsern Augen. Das Ufer, auf beiden Seiten von Hügeln und Bergen eingefaßt, glänzt von unzähligen kleinen Ortschaften.
Wenn man hinabkommt, liegt ein Örtchen am nördlichen Ende des Sees und ist ein kleiner Hafen. Die Feigenbäume hatten mich schon den Weg herauf häufig begleitet, und indem ich in das Felsamphitheater hinabstieg, fand ich die ersten Ölbäume voller Oliven.
Nach Mitternacht bläst der Wind von Norden nach Süden, wer also den See hinab will, muß zu dieser Zeit fahren; denn schon einige Stunden vor Sonnenaufgang wendet sich der Luftstrom und zieht nordwärts. Unsere nächtlichen Reisegefährten nutzen diese Gegebenheit selbstredend und wir bestiegen mit unserem Tross ein Schiff, dass uns über die im Vergleich zu unserer See sanften Spiegel des Gewässers übersetzte. Jetzo nachmittag wehet er stark gegen mich und kühlt die heiße Sonne gar lieblich. Zugleich lehrt mich Giovani, daß dieser See ehemals Lacus Verbanus geheißen, und bringt einen Vers des Virgil, worin dessen gedacht wird:
Fluctibus et fremitu resonans Verbanus marino.
Der erste lateinische Vers, dessen Inhalt lebendig vor mir steht, und der in dem Augenblicke, da der Wind immer stärker wächst und der See höhere Wellen gegen die Anfahrt wirft, noch heute so wahr ist als vor vielen Jahrhunderten. So manches hat sich verändert, noch aber stürmt der Wind in dem See, dessen Anblick eine Zeile Virgils noch immer veredelt.
In der Abendkühle ging ich spazieren und befinde mich nun wirklich in einem neuen Lande, in einer ganz fremden Umgebung. Die Menschen leben ein nachlässiges Schlaraffenleben: erstlich haben die Türen keine Schlösser; der Wirt aber versicherte mir, ich könnte ganz ruhig sein, und wenn alles, was ich bei mir hätte, aus Diamanten bestünde; zweitens sind die Fenster mit Ölpapier statt Glasscheiben geschlossen; drittens fehlt eine höchst nötige Bequemlichkeit, so daß man dem Naturzustande hier ziemlich nahe kömmt. Als ich den Hausknecht nach einer gewissen Gelegenheit fragte, deutete er in den Hof hinunter. »Qui abasso può servirsi!« Ich fragte: »Dove?« - »Da per tutto, dove vuol!« antwortete er freundlich. Durchaus zeigt sich die größte Sorglosigkeit, doch Leben und Geschäftigkeit genug. Den ganzen Tag verführen die Nachbarinnen ein Geschwätz, ein Geschrei, und haben alle zugleich etwas zu tun, etwas zu schaffen. Ich habe noch kein müßiges Weib gesehn.
Ankunft in MailandNun aber kann die Herrlichkeit der neuen Gegend, die man beim Herabsteigen übersieht, durch Worte nicht dargestellt werden. Es ist ein Garten meilenlang und -breit, der, am Fuß hoher Gebirge und schroffer Felsen, ganz flach in der größten Reinlichkeit daliegt. Und so kam ich denn am 18. Juli gegen ein Uhr hier in Mailand an, wo ich zuerst noch dieses schreibe, das zweite Stück meines Tagebuchs schließe und hefte und gegen Abend mit freudigem Geiste das Amphitheater zu sehen hoffe.
Die Nacht vom 13. auf den 14. war abwechselnd hell und bedeckt, der Mond behielt immer einen Schein um sich. Morgens gegen fünf Uhr überzog sich der ganze Himmel mit grauen, nicht schweren Wolken, die mit dem wachsenden Tage verschwanden. Je tiefer ich hinabkam, desto schöner war das Wetter
Von den Menschen wußte ich nur weniges und wenig Erfreuliches zu sagen. Sobald mir vom Brenner Herunterfahrendem der Tag aufging, bemerkte ich eine entschiedene Veränderung der Gestalt, besonders mißfiel mir die bräunlich bleiche Farbe der Weiber. Ihre Gesichtszüge deuten auf Elend, Kinder waren ebenso erbärmlich anzusehen, Männer ein wenig besser. Ich fragte Vito, ob es nicht auch reiche Bauern gäbe. - »Ja freilich.« - »Tun sie sich nichts zugute? essen sie nicht ein wenig besser?« - »Nein, sie sind es einmal so gewohnt.« - »Wo kommen sie denn mit ihrem Gelde hin? Was machen sie sonst für Aufwand?« - »O, die haben schon ihre Herren, die es ihnen wieder abnehmen.« -
Ferner vernahm ich von Vito, daß die Weinbauern, die am wohlhabendsten scheinen, sich am übelsten befinden, denn sie sind in den Händen der städtischen Adelsleute, die ihnen bei schlechten Jahren den Lebensunterhalt vorschießen und bei guten den Wein um ein Geringes an sich nehmen. Doch das ist überall dasselbe.
Wir werden in Bälde die Stadt Genua erreichen und ich freue mich bereits in diesem Augenblick das Meer wieder zu sehen. Auch wenn mir versichert wurde, es wäre in keinster Weise mit unserem rauen, windgepeitschten Atlantik zu vergleichen. Ich bete zu Gott, dass unsere Reise für alle ein Gutes Ende nehme und das wir in einiger Zeit um einige Erfahrungen reicher wieder unserem gewohnten Tagwerk nach zu gehen vermögen.
Grüße unsere Familie, die ich über alle Maßen vermisse
Frederik van de Burse