Sa 19. Aug 2017, 11:42
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Das heiße, pulsierende Metall fiel völlig lautlos in den dunklen Brunnenschacht, dessen Grund selbst für geschulte Augen kaum auszumachen war. Dann, als bereits eine quälend lange Zeit vergangen schien, in der Leif bereits annahm der Fall des Kleinods würde gar nicht mehr enden, ertönte das Geräusch eines dumpfen Platschens, das vielfach von der steinernen Einfassung verstärkt wurde. Zur großen Überraschung der Brügger Delegation jedoch, passierten selbst unter der Berücksichtigung all der merkwürdigen, unerklärlichen Phänomene um sie herum keine weiteren Wunder oder furchteinflößenden Erscheinungen mehr. Lediglich der Wächter war es, der ihre Aufmerksamkeit mit knirschenden, langsamen Schritten wieder zurück auf den Ort des Geschehens richtete. Bedächtig stapfte der Koloss zurück auf die Aussparung der sie umgebenden Wände, während seine Statur dabei kontinuierlich auf normale Größe zurückkehrte, bis er sich annähernd menschengroß wieder in die Reihen der seltsamen Statuen eingliederte. Dort verharrte er und war nicht mehr von dem gewöhnlichen, bearbeiteten Stück Stein zu unterscheiden, dass er eigentlich auch sein sollte. Ein sanftes Klicken an der hölzernen Tür gegenüber, deutete darauf hin, dass ihnen der Weg nun tatsächlich offenstand. Zunächst zögerlich aber dann rasch von neuem Mut beseelt, konnte Leif die Türklinke ergreifen und dicht gefolgt von Alida, die Schwelle in die in Aussicht gestellte, neue Welt überschreiten.
Blendendes Licht empfing die Brügger und es dauerte sogar einige Zeit, bis sich die beinahe ausschließlich nachtaktiven Augen an den hellen Schein einer prallen Sonne gewöhnt hatten, welche die nähere Umgebung in strahlendes Leuchten tauchte. Hinter ihnen, vernahm man das Geräusch der hölzernen Tür, die wie durch magisches Wirken geschlossen und abermals versperrt wurde. Es hatte etwas bedrohlich Endgültiges, als die Verriegelung einschnappte und ihnen den Weg zurück vorerst zu verweigern schien. Auch prüfendes Ziehen und Zerren an der Konstruktion, schien daran bis auf Weiteres nichts ändern zu können. Die nähere Umgebung begutachtend stellten beide überrascht fest, dass das steinerne Labyrinth hinter ihnen verschwunden war und stattdessen die weitläufigen Überreste und bröckligen Mauerstücke einer kleinen Feste in den hellen Himmel ragten. Die Tür, aus welcher sie gerade gekommen waren, war in eine der noch halbwegs tragenden Mauern eingelassen und wirkte auf den ersten Blick wie der für Dienstboten angelegte Seiteneingang. Das wuchernde Unkraut und die tiefen Risse machten jedoch schnell deutlich, dass wer immer die Burg errichtet haben musste, schon seit Äonen nicht mehr darin weilte. Mittlerweile war sie wohl nicht mehr als ein einsamer Steinhaufen in dicht bewaldeter Umgebung, der mit keinem Detail etwas über seine einstmaligen Herren verriet. Auffallend war, nachdem sich die Augen der Kainiten ein wenig an das Licht der gleißenden Sonne gewöhnt hatten, dass es sie nicht verbrannte oder die Augäpfel aus den Höhlen ätzte; vielmehr unirdisch und auf unerklärliche Art und Weise künstlich wirkte. Rasch wurde ihnen einhellig klar, was daran fehlte: die Wärme. Es war strahlend hell aber so gnadenlos der Schein auch auf dieses Land zu fallen schien, er erfüllte weder Haut noch Seele mit angenehmer Wärme und Behaglichkeit. Dafür schien die Natur und Pflanzenwelt üppig zu gedeihen, was aufgrund der fehlenden Wärme der seltsamen Sonne umso unglaubwürdiger schien. Dennoch rankten sich seltsam farbenprächtige Ranken um großgewachsene, unförmige und verdrehte Bäume, blühten knallig bunte Knospen auf dichten tiefgrünen Hecken und saftigem Wiesenkraut. Kniehohe Pilze in verschieden Formen und Variationen schmiegten sich an den Schatten einer süßlich duftenden Laube.
Die Szenerie mochte wie einem kindlichem Traum entsprungen wirken, wäre da nicht die Tatsache gewesen, das die gewöhnlichen Gesetze der Physik nach wie vor intakt waren: Steine fielen zu Boden, die taktile und olfaktorisch Wahrnehmung schien ungetrübt und wenn man sich seiner eigenen, geistigen Gesundheit vollkommen sicher sein konnte, dann war dieser Ort so real wie nur irgend möglich. Ein leicht überwucherter Trampelpfad vor ihnen, führte durch ein dicht bewaldetes Areal mit noch unübersichtlicherer Vegetation, jedoch verhieß der Lichtschein am Ende desselbigen dass es die kurze Wegstrecke unabdingbar zu durchqueren galt, wollte man weiter vorankommen. Vermutlich wäre es der eigenen Unversehrtheit auch recht abträglich gewesen, querfeldein durch einen beliebigen Teil des Waldes zu stapfen. Sie erblickten Rehe, die genügsam Gräser und Kräuter von moosigen Steinen, nahe eines idyllisch
zupften und wie ganz gewöhnliche Tiere erschraken, als sie der Präsenz der beiden Besucher gewahr wurden. Große, leuchtende Schmetterlinge, die sicher die Flügelspannweite einer kleinen Faust aufwiesen, flatterten durch den Halbschatten des Blätterdaches, während gelegentlich
rhythmisch im Klang des Insektenzirpens durch das Unterholz drangen.
Aus den Augenwinkeln nahmen die Brügger wahr wie einer der nahe dem Bächlein stehenden, kleineren Bäume plötzlich erbebte und tatsächlich vor ihnen davonlief. Ohne das sie dem Flüchtling noch etwas zurufen konnten, oder ihre Waffen bereitmachen konnten, war die seltsame Gestalt bereits wieder tiefer in diesem undurchdringlichen Dschungel verschwunden. Alida hätte schwören können das der merkwürdige ‚Baum‘ sowohl Arme als auch Beine besessen hatte.
In einiger Entfernung ertönte plötzlich ein schreckliches, ohrenbetäubendes
, das fast wie der Schrei eines gigantischen Tieres wirkte und das belaubte Blätterdach der unmittelbaren Umgebung selbst noch auf diese Distanz zum Erzittern brachte. Seltsam gefiederte Vögel stoben mit schrillen Schreien durch die Luft gen strahlenden Himmel und die beiden Brügger eilten sich den Wald so schnell wie möglich zu verlassen. Ihre Reise schien wohl tatsächlich, so wie die Hexe ihnen prophezeit hatte, unter einem günstigen Stern zu stehen, denn noch während sie sich zügig und aufmerksam lauschend durch das wuchernde Unterholz kämpften, um im Anschluss daran auf eine gut ausgebaute Straße zu gelangen, kehrte rasch wieder bedächtige Stille rings um sie herum ein. Kein weiteres Knacken oder Rascheln, kein Brüllen oder das bebende Stapfen titanischer Alpträume war mehr zu vernehmen. Was immer es mit dem laufenden Baum oder dem vermeintlichen Ungetüm im Wald auf sich gehabt hatte, für den Moment schienen sie wieder einigermaßen sicher zu sein. So sicher man in solch einer Umgebung nur sein konnte.
Der breite Pfad, welchen sie über den Wald erreicht hatten, war nicht gepflastert aber gut ausgetreten. Spuren von Stiefeln unbekannter Herkunft, kleine Tapser von vogelähnlichen Beinchen und die Rinnen von schweren Wagenrädern deuteten darauf hin, dass sie wohl die örtliche ‚Hauptstraße‘ oder zumindest etwas vergleichbares erreicht hatten. Natürlich war nicht gesagt, dass die Brügger Vorstellung von Sicherheit und Bequemlichkeit auf gut gepflegten Straßen, sich ohne Umschweife auch auf diesen Flecken Erde übertragen ließ aber in Anbetracht dessen, was womöglich noch alles jenseits davon auf sie warten mochte, war ihre Wahl nicht die schlechteste. Häufig roch es herb-süßlich, dann wiederum moosig-frisch und ab und an war die Luft durchzogen vom salzigen Duft der tiefblauen See. Wie auch immer diese Geruchskomposition auf offener Straße zustande kam.
So wanderten sie weiter die breite Straße entlang, umgeben von den Geräuschen unbekannter Insekten, Tieren und dem kontinuierlichen Fiepen und Zwitschern verschiedenster Vögel, die sich zeitweise sogar regelrecht miteinander zu unterhalten schienen. Als wäre ihr Gesang eine amüsante Unterhaltung über die beiden Neuankömmlinge, die ihnen wunderbar die Zeit vertrieb. Ab und an zog ein dunkler Schatten über die Köpfe der beiden Kainiten hinweg, war jedoch so schnell wieder verschwunden wie er aufgetaucht war und selbst die Umrisse der höchst wahrscheinlich äußerst stattlichen Flugkreatur, waren aufgrund der Geschwindigkeit für die Brügger nicht einwandfrei ersichtlich. Vom mythischen Drachen, bis zur überdimensionalen Biene hätte es sich wohl tatsächlich um alles Mögliche handeln können – nicht das man es wirklich hätte genauer wissen wollen. Ihre vorsichtige und eigentümliche Wanderung durch diese Welt, mochte wohl ungefähr zwei Stunden andauern, obgleich sich das Voranschreiten des Tages nicht wirklich feststellen ließ, da sich die gleißende, unbarmherzige Sonne am Firmament, um keinen Zentimeter bewegte, da kamen sie unverhofft an eine Weggabelung. An einer Ansammlung aus kantigen Steinen, hatte jemand einen hölzernen Wegweiser platziert der links- und rechtsseitig, lediglich mit Symbolen den Weg anzuzeigen schien. Auf der linken Seite des Schildes, hatte jemand mit rostigen Nägeln eine Fischgräte aufgehängt, die irritierenderweise mit dem Kopf nach rechts zeigte. Auf der rechten Seite des Schildes, war ein rostiger Schlüsselbund aufgehängt worden.
Einen eindeutigeren Hinweis darauf, welchen Weg die beiden Brügger nun einzuschlagen hatten, gab es offenbar nicht, jedoch vernahmen sie unlängst der Weggabelung, heftiges Schnaufen und Fluchen. Ihr Blick fiel auf einen hoch gewachsenen, knorrigen Baum auf dessen Ästen eine kleine, dickliche Gestalt saß und mit einem langen Seil hantierte. Auf den ersten Blick wirkte sie wie ein Mensch, allerdings sprachen die gedrungene Körperform, als auch die Stummelarme- und Beine bei näherer Betrachtung eher für einen Kleinwüchsigen oder sprichwörtlichen Zwerg als einen ausgewachsenen Mann. Zudem war das Männchen, das den Gesichtszügen zu urteilen wohl mittleren Alters war, splitternackt. Lediglich zu Füßen des Baumes, standen zwei abgetragene Wanderschuhe die wohl schon wahrlich bessere Tage erlebt hatten. Der
hantierte mit dem dicken Seil, band ein loses Ende an den dicksten Ast den er finden konnte und versuchte mit dem anderen eine Schlaufe zu formen und fest zu verknoten.
Wenn man es nicht besser wüsste, hätte man annehmen können er versuche gerade einen Galgenstrick zu formen, wie ihn die Henker in Brügge und anderswo als Richtwerkzeug verwendeten. Dabei wirkte er energisch, beinahe manisch und zunehmend ungestüm als habe er keinerlei Geduld mehr für seine Tätigkeit übrig. Fluchend hantierte er wie besessen mit dem Seil herum und schien die beiden Untoten noch nicht bemerkt zu haben.