Vampire: Die Maskerade


Eine Welt der Dunkelheit
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BeitragVerfasst: So 24. Apr 2016, 20:20 
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Vanya schüttelte nachlässig die Schultern, lehnte sich mit dem Rücken an den Fels und räkelte sich schließlich auf dem großen Stein. „Vielleicht würde Mitru auf mich hören… wahrscheinlich… aber warum sollte ich? Warum willst du ihn, wenn nicht als Teil des Rudels? Hast du dein abgestorbenes kaltes Herz etwa an einen vergänglichen Sterblichen gehängt? Du weißt genau, wozu das führt…“ Sie schwieg einen Moment und sah in Richtung Sternenhimmel. „… also lass es! Wir sind Jäger… und wenn unsere Beute zu viel Umgang mit uns hat, zahlt sie den Preis. So oder so.“ Sie schob sich das nasse braune Haar nach hinten. „Vielleicht hat Mitru recht und der Junge eignet ich hervorragend als Mitglied unseres Clans. Alles deutete darauf hin. Du sagst, er hängt an dem, was er zurücklassen müsste… braves Weib am Herd, schreiende Kinderchen… aber das war bei dir damals ähnlich. Auch du hast im Fieber immer noch den Namen dieses rothaarigen Mädchens geflüstert, halb bewusstlos noch gehofft, dass jemand namens Merten dich erlösen würde… aber das Blut und alles, was es verheißt, haben dir den rechten Weg gezeigt: den Weg der Wildnis, der Freiheit, Unabhängigkeit… des Jägers. Jean ist dir auch in dieser Hinsicht mehr als ähnlich… Das Blut zeigt ihm den Weg, den er vielleicht vorher nicht zu gehen bereit gewesen wäre und er wird mit der Zeit vergessen, was früher war. Er genießt unseren Kuss genauso wie du, ist berauscht von dessen Geschmack und der Macht und Freiheit, die es bietet… und er vögelt fast genauso gut wie du in den Minuten bevor du deinen letzten Atemzug getan hast und einer von uns wurdest. Sehr vielversprechend, wenn du mich fragst.“
Lucien schüttelte nur den Kopf. Sie verstand es nicht und würde es nie verstehen. Wenn er so darüber nachdachte, verstand er es ja selber nicht einmal wirklich. Im Grunde ging alles was er gerade tat gegen seine Überzeugungen und den von ihm erwählten Weg. Er war ein Gangrel auf dem Weg des Tieres und das Tier nahm sich wonach es verlangte; es war kein Teufel und kein Engel sondern lediglich ein Überlebenskünstler. Andere schuldeten einem nichts und man selbst schuldete anderen noch weniger. Warum also Jean? Die Antwort war so einfach wie sie ihm schwer fiel: Der Junge bedeutete ihm etwas. „Ich weiß, was es heißt sich zu nahe bei den Schafen aufzuhalten. Irgendwann wird man selbst ein verweichlichtes Schaf und zu einer leichten Beute. Die Sinne lassen nach, man wird fett und faul; wartet nur noch an der gedeckten Tafel ohne einen Finger zu rühren. Auf kurz oder lang, werden selbst die schönsten und besten Bündnisse nur das wiederspiegeln, was die Natur fordert. Wölfe und Schafe können nicht nebeneinander leben.“ Er lächelte schwach. „Glaub mir, ich habe diese simple Tatsache ganz sicher nicht vergessen, im Gegenteil: Ich habe es auch in Brügge mehrfach betont. Wir sollen nicht vorgeben etwas zu sein, was wir nicht sind und trotzdem…“ Seine Augen fielen wieder in ihre Richtung; er ignorierte ihre räkelnden Bewegungen nunmehr völlig. Sie spielte mit ihm und erfreute sich an der hübschen Bredouille in die sie ihn gerade gebracht hatte. Das war typisch für Vanya.
„…trotzdem wird der Junge weder der Blutsklave irgendeines unserer Art, noch wird er selbst zu einem Kainit und mag er noch so sehr dazu taugen.“ Dann tat er unvermittelt einen Schritt auf Vanya zu und knurrte bedrohlich, seine Stimme wurde lauter und bedrohlicher. „Unsinn. Ich war das Hurenkind irgendeiner billigen Mätresse und kam aus der untersten Gosse, selbst die Kirche hat noch auf mich gespuckt! Ich hatte weder Frau noch Kind noch eine Arbeit oder einen großen Sinn im Leben, nur ein großes Maul… das hatte ich schon immer. Ich habe getötet und vergewaltigt für Geld und die Anerkennung einer Halunkenbande aus dreckigen Unterklasse-Tagelöhnern und Spießgesellen. Und das war alles was ich hatte, Vanya!“ Es folgte ein weiterer Schritt.
„Und weil ich dem dummen Traum nachhing, irgendetwas würde sich durch wundersame Weise durch die Liebe einer hübschen, adeligen Frau für mich verbessern, habe ich versucht meinem Leben einen Sinn zu geben, was jämmerlich missglückt ist. Ich bin gestorben, meine liebste Vanya, ob du mich in die Nacht geholt hast oder nicht, der Räuber Sabatier ist damals in diesem Wald krepiert. Ich habe nichts verloren, denn ich hatte nichts. Selbst das kleinste bisschen Glück, das ich mir nehmen wollte, wurde mir versagt. Mein Schicksal war es ebenso zu enden und mehr war für einen wie mich nicht drin. Jean hingegen hat alle Möglichkeiten, er hat alles was ich nie hatte und nie haben werde. Ich schulde ihm gar nichts Vanya, nicht das geringste aber ich werde bei allem was mir heilig ist dafür sorgen, dass er im Gegensatz zu mir wenigstens eine faire Chance erhält.“
Mit einem letzten Schritt kam er vor ihr zu stehen und starrte sie wutentbrannt an.
„Versuche nicht mich wütend zu machen, das ist dir bereits gelungen. Ich habe kein Problem dir den Kopf von den Schultern zu reißen, bevor ich mich durch meinen Großerzeuger schneide. Und wenn ich dabei draufgehe. Die Frage ist nur: Willst du das?“
Ein unverfrorenes Lächeln umspielte ihre Lippen und sie lachte einen kurzen Augenblick auf. In ihrem Blick lag die elegante Arroganz der katzenhaften Raubtiere. Sie erhob sich und fuhr ohne nur mit der Wimper zu zucken die Krallen aus. Sie war im gleichen Atemzug vor ihm und legte ihm eine ihrer Krallen unter das Kinn. Obwohl sie zu ihm aufschauen musste, lag in ihrem Blick so viel Überheblichkeit und Selbstüberzeugtheit, wie sie nur einem jahrhundertealten kainitischen Jäger innewohnen konnten. Ihre Stimme hatte die Schärfe, die sie immer annahm, wenn sie einander herausgefordert hatten. „Lucien? Du bist gut, warst es immer. Der beste, der mir je begegnet ist. Aber ich habe dich damals zur Strecke gebracht, so wie ich jede Beute zur Strecke bringe und wenn du mir drohst, dann überleg dir noch einmal gut, wen du dir zum Feind machen willst.“ Sie wandte sich von ihm ab und drehte ihm den Rücken zu so als hätte sie das Interesse verloren, aber Lucien bemerkte durchaus den Tonus ihrer Muskulatur. Eine Jägerin wie sie war auf alles vorbereitet. Dann drehte sie sich wieder in seine Richtung. „Ich habe mit der Angelegenheit, mit deinem kleinen Sterblichen und der ganzen Angelegenheit nichts zu tun. Also halt mich da raus. Auch ist es mir gleichgültig, ob du damals ein erfülltes sterbliches Leben hattest, es viel oder nichts zu verlieren gab, dir dieses Mädchen, der Alte, was bedeutet haben. Es ist vergangen so wie alles. Wenn du zu Mitru willst, bereit bist, dich mit ihm im Zweikampf zu messen, dir den Kopf abreißen zu lassen, dann tu das. Ein herber Verlust für unseren Clan, wenn du mich fragst. Seit wann ist dir ein Sterblicher so viel wert, Schattenwolf?“
Er hielt ihren Blicken, als auch den rasiermesserscharfen Krallen die sich unter sein Kinn legten stand. Keine noch so kleine Bewegung durchzuckte seinen untoten Leib, während er sie einfach nur entschlossen anstarrte. „Exakt, Vanya. Es ist völlig bedeutungslos, was ich für ein Leben geführt habe, denn ich bin genauso wie du mittlerweile schon eine geraume Zeit tot. Der Junge allerdings noch nicht.“ Für einen kurzen Augenblick, schloss er die Augen während sie sich von ihm entfernte; seufzte resignierend. Das war weder der Zeit noch der Ort für eine Auseinandersetzung mit seiner Erzeugerin. Man mochte von ihr halten was man wollte aber ihre Gefährlichkeit war nicht zu leugnen. „Wenn du es als Drohung aufgefasst hast, dann bitte. Ich mag unsere kleinen Spiele, Vanya, ganz wirklich aber ich habe zu tun und mir bleibt nicht mehr allzu viel Zeit. Du bist mir überlegen, warst es schon immer, so wie Mitru dir vermutlich überlegen sein wird.“
Mit raschen Schritten stapfte er an ihr vorbei ohne sie noch einmal anzusehen. Das hier führte zu nichts. Diese neckenden Spiele mussten bis zu ihrer nächsten Begegnung warten, er hatte sich bereits zu lange aufhalten lassen. Über die Schulter hinweg warf er ihr noch ein paar Worte zu. „Oder anders gesagt: Die Wahrscheinlichkeit, dass mir dein Erzeuger demnächst den Kopf halbieren wird, ist ziemlich hoch. Und bitte verschone mich mit den Verlusten, anders als du hatte ich auf allen Things und Allthings nicht gerade viel zu erzählen. Niemand wird mich groß vermissen, aber das ist ebenfalls wie meine Vergangenheit völlig bedeutungslos. Der Junge bedeutet mir etwas und ist mir tatsächlich mehr wert, als du jemals begreifen könntest. Leb wohl, Vanya.“ Damit nutzte er noch einen kurzen Moment der Orientierung, während er nach dem rechten Weg suchte; huschte dann schweigend durch das nächste Gebüsch.
Ein fasziniertes Lächeln legte sich auf ihre Züge. „Der einzige, der dich anscheinend in Ketten legen kann bist du selbst. Schattenwolf? Den Spuren des Bären ist leichter zu folgen als denen der Katze. Die Spuren des jungen Wolfes entdeckst du nur mit äußerstem Geschick aber dem Geruch kannst du recht geschickt folgen. Reiz den Bären nicht. Das mag er gar nicht.“
Er ließ seinen Kopf ein letztes Mal zwischen den Bäumen hervorlugen und lächelte sie schief an. „Danke Vanya. Wenn wir uns das nächste Mal sehen, sollten wir vielleicht ein wenig zusammen das Umland unsicher machen. Ich zeig dir meinen Wald, du wirst es lieben. Vielleicht besuchen wir auch Liliane, ich habe gehört ihr hättet euch während des Krieges so großartig verstanden.“ Damit war er auch schon wieder im Unterholz verschwunden und versuchte die Fährte des Bären oder des jungen Wolfes aufzunehmen. In erster Linie war es Jean den er suchte, denn wenn er es irgendwie bewerkstelligen konnte Mitru zu umgehen und mit Jean heimlich zu verschwinden, müsste er sich nicht auf den blutigsten Kampf seiner Existenz einlassen. Vorsichtig setzte er seine überlegten Schritte und hielt nach Spuren Ausschau.
So wie seine Erzeugerin es bereits angedeutet hatte, war sein Schüler äußerst geschickt im Verbergen seiner Spuren geworden. Nirgendwo war etwas davon zu bemerken. Er verwandelte sich in die schwarze Gestalt des ihm so vertrauten Wolfes und benötigte nur einige Minute um Jeans schwachen Geruch zu wittern. Fast lautlos folgte er der Spur.
Er gelangte schließlich an eine schmale, zwischen den hohen Felswänden gelegene Lichtung. Lucien hörte Geräusche, die er im ersten Moment nicht einordnen konnte. Er schlich sich näher und näher gegen den Wind, wartete geduldig. Es war ihm plötzlich als er zwischen den Büschen hervorlugte bewusst, worum es sich handelte: der Kampf zweier Männer. Lucien erblickte zwei Krieger, die an der gegenüberliegenden Felswand lehnten und sich über den Kampf von zwei weiteren Gestalten unterhielten. Mit wilden Gesten beurteilten sie die einzelnen Schläge, Hiebe, Tritte. Lucien erkannte den schwachen verräterischen Schimmer der roten Augen jedes einzelnen der vier Männer.

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Der Geruch war genauso eindeutig wie das Äußere: Jean kämpfte in der Mitte der Lichtung mit einem stiernackigen bärtigen eher untersetzten Krieger. Beide hatten sie ihre Oberbekleidung abgelegt und Lucien bemerkte die zahlreichen blutigen Striemen und Narben am Körper seines Ebenbildes. Mitrus Stimme tönte über die Lichtung. „Na los, junger Wolf! Gib’s ihm. Polier ihm die Fresse! Keine Angst! Wär ja nicht so als wenn er’s nicht verdient hätte.“ Beide Männer an der Wand begannen schallend zu lachen. Der stiernackige drehte sich zu den beiden um. „Wartet nur, bis ich mit euch an der Reihe bin.“
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Jean nutzte die Gelegenheit und versetzte dem Gegner einen Tritt ins Kreuz, der ihn Taumeln und dann Stürzen ließ. Der Mann fluchte, sah wütend zu dem Brügger auf und zog einen Dolch unter seinem Kittel hervor. Er zielte auf den jungen Mann. Mit einem einzigen Sprung war Mitru in seinem Rücken, riss ihm die Klinge aus der Hand und hieb sie ihm ins eigene Herz. Wie ein Stein fiel der Gepflockte zu Boden. Wie ein riesiges wütendes Ungetüm thronte Mitru über ihm. Er stieß ein wütendes Gebrüll hervor, das eher an einen Bären als einen Menschen erinnerte. „Malesch? Zu diesem Kampf gehören Regeln… Abmachungen, wenn du so willst, die wohl wenn du wütend bist nicht bis ganz in dein Hirn gelangen. Noch ist dein kleiner Dolch eine tödliche Waffe für den jungen Wolf. Und wenn du dich nicht an die Spielregeln hältst, du Volltrottel, dann nehm‘ ich dich für heute aus dem Spiel. Und wehe du lässt deine Raserei später an uns aus.“
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Verfasst: So 24. Apr 2016, 20:20 


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BeitragVerfasst: Mo 9. Mai 2016, 20:46 
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Lucien stöhnte innerlich auf. Es war kein bedauerndes Stöhnen weil Jean sich als Sterblicher mit diesen Monstern herumschlagen musste und mittlerweile zahlreiche Narben, Abschürfungen und Prellungen davongetragen hatte; nein. Diese Dinge würden irgendwann wieder vergehen und was war ein Mann schon ohne die eine oder andere stolze Erinnerung in seinem Fleisch. Der Hauptmann war vielmehr ratlos wegen der düsteren Versammlung vor ihm. Einen hätte er womöglich noch irgendwie auf dem falschen Bein erwischen können, vielleicht auch zwei – vielleicht wäre wenn alle sieben Höllen, Erzengel und Totenteufel ihre Freude mit ihm hätten sogar ein Sieg gegen Mitru möglich gewesen aber als versammelte Meute hatte er keine Chance gegen die Gangrel. Was hatte ihm Vanya gesagt? Er solle Mitru nicht reizen. Gut das war ein Anfang. Würde er sich auf irgendwelchen Handel einlassen? Was er bis jetzt von seinem Großerzeuger gesehen hatte, war dies wenig wahrscheinlich, zumal Vanya auch schon betont hatte wie angetan er von seinem sterblichen Ebenbild war. Nein, es gab nichts was er Mitru im Austausch bieten konnte und nichts dass sein Vorfahre von ihm wollen könnte oder akzeptiert hätte. Vanya ausgenommen, aber die konnte man leider nicht in einem Paket verschnürt vor seine Haustür legen. Es blieb ihm nichts anderes übrig als zu warten bis sich seine Beute wieder separierte oder er mehr über seine Gegner herausfand. Wenn er vielleicht die zwei jüngeren erledigen könnte und Jean dann zur Flucht helfe? Lucien beobachtete weiterhin die Bewegungen und lauschte den Worten.
Ein kurzer Blickkontakt und ein Nicken in die Richtung des jungen Mannes ließen den Kampf erneut beginnen. Der rothaarige Hüne umkreiste seinen Gegner mit einem breiten Grinsen, das die scharfen Eckzähne entblößte und ballte die Fäuste. Mitru trat mehrere Schritte zurück und lehnte sich erneut lässig gegen die Mauer. Die beiden Kontrahenten warfen sich gegeneinander.
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Lucien schüttelte nur den Kopf und sah zu Boden. Warten war keine Lösung, die Meute würde sich hier nicht so ohne weiteres auflösen. Hier ging es gerade darum Fähigkeiten zu erlernen, zu verbessern und zu trainieren. Ganz nebenbei war es eine wunderbare Gelegenheit seinem Ärger Luft zu machen oder das eigene Ego ein wenig hochleben zu lassen; er kannte das selbst von seinen Auseinandersetzungen mit Gerrit. Doch die Nacht wartete nicht auf ihn und der Tag würde anbrechen. Grundsätzlich wäre das kein Problem aber die Chance, dass sich das Rudel so einfach voneinander entfernte war gering. Demnach musste er alles auf eine Karte setzen. Sein Blick ging zum Mond über der trügerischen Wildnis rings um ihn und er lächelte schief. Für Jean. Der einzige, der es wert war. Dann trat er aus seiner Deckung und machte ein paar Schritte auf die Gruppe zu. Sein Gang war aufrecht, die Brust durchgestreckt. Er würde definitiv in den Stiefeln sterben. Nacheinander sah er sich jeden einzelnen an; sagte aber kein Wort.

Im gleichen Moment, in dem der Schattenwolf die Lichtung betrat endete der Kampf so abrupt als hätte man die Zeit eingefroren, die beiden Kontrahenten ließen voneinander ab und gingen sofort in eine abwartende Verteidigungshaltung. Es war ein seltsames Bild Jean so zu sehen und nur ein schwaches Funkeln in den Augen des jungen Mannes verriet die Freude bei dem Anblick des Gangrel.

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Mitru stieß sich von der Wand ab und kam mit einem schiefen Grinsen auf Lucien zu. „Sieh an… Wen haben wir denn hier? Anscheinend haben Urschk und Vanya ihre Wache nicht so ernst genommen wie sie sollten. Oder sie haben versagt.“ Er machte eine winzige höhnische Verbeugung. „Der Kettenwolf aus Brügge wagt sich in die Wildnis. Oder hast du dich verlaufen?“
Lucien legte den Kopf leicht schief und betrachtete zunächst die in abwartender Verteidigungsposition stierenden Gangrel; wandte sich dann Mitru zu. In seinen Zügen lag keine Freude oder der Bedarf an sarkastischen Beleidigungen. „Nun, wenn sie versagt haben, dann müssen wir wohl davon ausgehen das ich sie beide bereits getötet habe. Die Frage ist nur: Warum sollte ich dieses Spiel nicht fortsetzen?“ Er wollte diese Frage im Grunde gar nicht beantwortet wissen; das sollte sich Mitru nur schön selbst zusammenreimen. Wenn er es in Erwägung zog, Lucien könnte jemanden wie Vanya vernichten und das auch obwohl sie seine Erzeugerin war, dann könnte das mitunter hilfreich sein, seine Forderungen zu unterstützen und ihnen Nachdruck zu verleihen. „Der Kettenhund an der Leine von Brügge lernt, Mitru, er lernt schon eine ganze Weile sehr fleißig und beobachtet die feinen Damen und Herren sehr ausgiebig. Man muss die andere Seite kennen, bevor man sich gegen sie auflehnt aber das sind alles neckende Belanglosigkeiten, die wir gerne ein andermal fortführen können.“ Sein Blick viel zu Jean, dann wieder zu Mitru. „Heute Nacht, bin ich aus einem anderen Grund gekommen. Der Sterbliche dort.“ Der Hauptmann deutete in Jeans Richtung. „Er gehört zu mir und steht weder für den Kuss, noch das Vasallentum zur Verfügung. Ich beanspruche ihn.“
Mitru begann zu lachen. „Du beanspruchst ihn? Warum? Weil er dir wie aus dem Gesicht geschnitten ist? Ihn mit in die kleine brave Domäne zu schicken wäre vergeudetes Potential. Da draußen…“ Er vollführte eine weite Geste, die die Landschaft um sie herum umfasste. „Da ist das wahre Leben, die wahre Freiheit… das, was wirklich zählt. Was unser Unleben lebenswert macht… Der junge Wolf ist aus dem gleichen Holz geschnitzt wie wir.“ Er sah kurz zu Lucien und ließ seinen Blick zu Jean wandern. Er schien die beiden Männer miteinander zu vergleichen. Auf sein lachendes Gesicht legte sich ein winziger Schatten als wenn ihm nicht recht gefiele, was er vor sich hatte. Er sprach wieder Lucien an. „Du würdest Vanya nicht töten… Zum einen ist sie dafür zu gewandt und gewitzt… und zum anderen bist du ihr wahrscheinlich genauso verfallen wie die meisten, die ihre Wege kreuzen und die sie erhört.“ Er lachte und es klang wie das Rollen von Gestein.
Der Hauptmann hob die Schultern und schien wenig beeindruckt. „Vanya und ich hatten unsere gemeinsame Zeit. Sie hat mich mitgenommen in die Wildnis, auf meinen Platz verwiesen, wenn ich mir zu viel angemaßt habe und unterstützt, wenn ich dabei war neue Erfahrungen in meiner Existenz zu machen. Ich verdanke ihr meinen Tod und meine Freiheit, in gewisser Weise hat sie mir ein neues Leben geschenkt und für eine ganze Weile waren wir wirklich unzertrennlich.“ Sein Blick wurde fester und ruhte kalt auf Mitru. „Aber das war einmal und was immer wir hatten, jetzt ist es nur noch eine Erinnerung. Alles ändert sich; selbst wir. Ich respektiere sie für das was sie war und ist und würde sie, ganz so wie du schon sagtest, sicher nicht aus lächerlich nebensächlichen Gründen töten aber du überschätzt meine Zuneigung zu Vanya bei weitem.“ Er machte zwei weitere Schritte auf die Gruppe zu und ignorierte das grollende Lachen. „Mag alles sein. Mag sein, dass er der beste unseres Clans schlechthin werden könnte, gefürchtet, gehasst und verehrt aber das zu erörtern ist recht sinnlos denn...“ Er sah die Gruppe noch einmal nacheinander an. „… Ich beanspruche ihn für mich und für mich alleine. Wenn du so willst, ist er meine Beute und wie man unschwer erkennen kann, ganz und gar mein eigen. In jeglicher Hinsicht.“
Mitru maß ihn mit erwachender Neugier und fast so etwas wie Respekt. „Du willst ihn also? Zum Guten wie zum Schlechten? Auch wenn er das Leben, das du ihm anbieten willst vielleicht gar nicht mehr will?“ Er erhob sich zu seiner vollen Größe.
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„Man mag über dich sagen, was man will, Kindeskind. Aber du hast Mut.“ Er nickte wie um seinen eigenen Worten mehr Gewicht zu geben. „Du bist hier um um den jungen Wolf zu kämpfen. Stellst du dich mir im Kampf? Unterliege ich, magst du ihn mitnehmen wohin du willst, sofern er bereit ist mit zu gehen. Unterliegst du, bleibt er mein Schüler, erhält den Kuss und kehrt mit mir in den Osten in die unvorstellbaren Weiten, die ich dort meine Domäne nenne.“

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BeitragVerfasst: Mi 11. Mai 2016, 18:55 
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Lucien lächelte bitter. Mut traf es nicht wirklich eher Dummheit. Dumm und suizidal war es, sich gegen den eigenen Großerzeuger, samt Erzeugerin und einer Meute aus hungrigen Wilden zu stellen aber er sah in dieser Situation bedauerlicherweise keinen anderen Ausweg, als sich darauf einzulassen. Er hatte niemanden in Brügge von dieser Sache unterrichtet, niemanden eingeweiht denn es war etwas Persönliches. Im Nachhinein betrachtet war er sogar diesbezüglich recht dumm gewesen; Leif hatte er zumindest schon von Jeans Verschwinden berichtet. Der Hauptmann war überzeugt, dass der Salubri ihm beigestanden hätte aber jetzt war es für Hilfsgesuche zu spät. Nicht einmal, wenn er fliehen könnte und den Rat über die Lage unterrichtete, hatten sie viele Chancen Mitru und damit Jean jemals wieder zu finden. Es würde eine odysseeartige Hatz quer durch die Wildnis dieser Erde werden, mit wenig Aussicht auf Erfolg. Nein, es blieb ihm nur dieser eine Versuch, diese eine Herausforderung, der er sich stellen und die er unmöglich gewinnen konnte. Der Schattenwolf nickte.

„So sei es, der Handel gilt.“ Er streckte ihm die Hand hin und würde diese kräftig und mit Nachdruck schütteln; seinem Großerzeuger dabei scharf ins Auge fassen. „Wie und wo soll der Kampf ablaufen? Bis zum ersten, zweiten oder dritten Blut? Freie Wahl der Waffen oder gibt es Auflagen und Restriktionen?“ Allein das er danach fragte, hörte sich lächerlich in den eigenen Ohren an. Mit was auch immer und wo auch immer sie sich gegenüberstehen würden; er würde nur verlieren können. Trotzdem, sollte das hier so ablaufen, das man ihm später nicht vorwerfen könnte unehrenhaft und feige gehandelt zu haben. Er war Gangrel und er würde es immer sein, sich dagegen zu sträuben war sinnlos.

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BeitragVerfasst: Mi 11. Mai 2016, 20:13 
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Mitrus Händedruck hatte die Härte eines Schraubstocks aber das war Lucien bereits bewusst, als er ihm die Rechte entgegenstreckte. Ein anerkennendes Lächeln zuckte um dessen Mundwinkel. Obwohl Mitru nicht die Größe von Gerrit hatte, war er doch noch eine Handbreit höher als Lucien. Mit einer Handbewegung winkte er Jean heran. „Junger Wolf? Hier geht es um dich und deine Zukunft. Du kennst diesen Kainit hier und mittlerweile auch mich. Es soll an die liegen unsere Waffen zu wählen.“
Jean schien sichtlich überrascht. Er presste ein wenig die Lippen aufeinander um sein Erstaunen zu verbergen. Der rothaarige Krieger trat ebenfalls mit raschen donnernden Schritten heran und baute sich drohend neben Mitru vor Lucien auf. Er sah den alten Gangrel fest an. Seine Stimme war tief und hatte einen schwingenden nordischen Klang, den er in minimaler Variante ab und an bei Leif hören konnte. „Mitru? Jean ist ohne Frage eine gute Wahl für den Kuss, da habe ich dir stets Recht gegeben. Aber ihm sollte dennoch nicht ein solches Privileg zugesprochen werden. Zuviel hängt davon ab!“
Mitru machte eine wegwerfende Handbewegung. „Ich sage, er hat das Recht! Also hat er das Recht. Dabei bleibt es. Pass du nur auf, Wulfar, dass mein Gegner sich auch daranhält.“ Der Gangrel grinste breit und klopfte Jean dann mit einer Pranke so fest auf die Schultern, dass er nach vorne stolperte. „Also?“
Jean musterte Mitru und dann auch Lucien einen Augenblick. „Die Fäuste. Nichts sonst. Jeglicher Einsatz kainitischer Disziplinen ist verboten… Keine Klauen, keine Zähne... Wer zuerst in Raserei gehen sollte, hat automatisch verloren“
Wulfar schüttelte entrüstet den Kopf. „Das ist…“ Doch Mitru brachte ihn mit einer raschen Handbewegung zum Schweigen. „Es gilt.“
Der Hüne legte den Kopf in den Nacken und stieß mit einem Mal ein so hohes und die nächtliche Stille des Waldes durchbrechendes Geheul aus, dass der Ton auch eine halbe Minute später noch von den Wänden der Schlucht als Echo zu ihnen zurückschallte. Er grinste Lucien schief an. „Bist du bereit?“

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BeitragVerfasst: So 15. Mai 2016, 16:40 
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Der Hauptmann warf einen missmutigen Blick zu Wulfar, der Jean die Pranke auf die Schulter legte und sich über die von ihm getroffene Wahl der Waffen entrüstete. Mitru schien die ganze Angelegenheit jedoch gänzlich anders zu sehen; kein Wunder. Mit welchen Waffen sie auch gegeneinander antreten würden, er hätte vermutlich leichtes Spiel gegen Lucien. Selbst dann noch, wenn jeglicher Einsatz von Disziplinen untersagt wäre. Sein Mündel, der mittlerweile zu einem jungen Mann und Familienvater herangereift war, spielte auf Zeit. Eine ordinäre Schlägerei mit den Fäusten, versprach die beste Fairness und Chancengleichheit die man in diesem ungleichen Kampf erwarten konnte. Mehr war nicht drin. Der Schattenwolf nickte zu seinem Großerzeuger. „Es soll so geschehen.“ Dann wandte er sich von den Gangrel ab und zog Jean im Gehen mit sich, vergrößerte den Abstand zu seinem Kontrahenten um in Ausgangsstellung zu gehen. Das hier würde richtig schön übel werden. Er legte Jean noch schnell die Hand auf die Schultern und sah ihn eindringlich an. „Mir bleibt nicht mehr viel Zeit, sollte das Wunder geschehen und ich als Sieger vom Platz gehen, ist alles geklärt. Wenn ich verliere habe ich nur wenig Augenblicke um dir einen Vorsprung zu verschaffen, Wenn ich zu Boden gehe, werde ich eine Schattenwolke herbeirufen und den Wilden die Sicht nehmen, diese Zeit wirst du nutzen um so schnell wie möglich Gent zu erreichen. Lauf wie der Teufel und sieh dich nicht um, das ist deine einzige Chance.“ Er sah in Richtung Mitru, dann wieder zu Jean. „Und jetzt sieh zu das du dir schon eine gute Startposition für deine Flucht aussuchst und bitte Borlut in Gent um Hilfe, sie wird einem Brügger Ratsmitglied nichts abschlagen.“ Lucien drückte ihm seinen Siegelring in die Hand. „Es ist womöglich bald an dir, du bist jetzt der Hauptmann.“ Dann drehte er sich von ihm weg und krempelte die Ärmel hoch; grinste Mitru schief an. Na dann, auf in die Keilerei seines Lebens.

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BeitragVerfasst: So 15. Mai 2016, 20:49 
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Jean schenkte ihm ein trauriges Lächeln. Lucien wusste genau, was das bedeutete: Auch wenn Jean wollte, würde es ihm wohl nicht gelingen zu fliehen. Es gab Bande, die stärker fesselten als Ketten. Die beiden Kämpfer entledigten sich ihrer Rüstung und standen nur mit Hose und Hemd bekleidet einander gegenüber. Mitru grinste erneut und entblößte seine Reißzähne.
Er stieß ein letztes Brüllen aus, dann stürzte er sich auf seinen Gegner. Lucien spürte die Wucht der Hiebe, die auf ihn niedergingen. Mit Mühe hielt er sich aufrecht und suchte all seine Kräfte in sich um den Schaden, den sie unweigerlich auf jeder sterblichen Haut hinterlassen mussten zu überwinden.
Er sah das Erstaunen in Mitrus Augen, dass er nicht mehr Wunden erhielt. Und noch mehr erstaunte die heftige Gegenwehr, die Lucien ihm entgegensetzte. So wie er einsteckte, konnte er auch austeilen. Mit rasender geschwindigkeit bewegten sich die geübten Kämpfer und standen sich in nichts nach. Beide hatten in den Zeiten ihrer Existenz gejagt, verwundet, selbst Verletzungen heilen müssen, waren besiegt worden um daraus zu lernen und besser zu werden.
Lucien spürte den einen Vorteil, den er besaß mit jedem Schlag, den er dem Hünen versetzte: Gerrits Blut schwang in jeder Faser seines Körpers, konzentrierte seine Kräfte und versetzten seinen Hieben eine unvorstellbare Gewalt.
Am Rand seines Sichtfeldes konnte Lucien Gestalten ausmachen, die sich aus dem schattigen Dickicht des Waldes schälten und langsam näherten. Sie ließen sich auf Steinen und niedrig hängenden Ästen nieder und beobachteten das Schauspiel.
Während Lucien mit Mitru rang gelang es ihm schließlich einen Mann und eine Frau näher zu erkennen.

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Der dritte Beobachter war Vanya, die an Jeans Seite getreten war, sich näher an ihn heran beugte und ihm etwas zuflüsterte. Sie fuhr ihm mit den Fingerspitzen über den Nacken und Lucien erkannte, wie sein Schüler erstarrte und die Augen schloss um sich zusammen zu reißen.
Mitrus Schläge nahmen an Härte zu und beide verloren sie langsam an Kraft. Lucien sah, dass sein Großerzeuger mehrmals große Kraftanstrengungen unternahm um seine Wunden zu schließen. Dann geriet sein Gegner plötzlich zu Boden und Luciens Chance war gekommen. Mit allem, was ihm an Stärke zur Verfügung stand schlug er zu, doch erneut gelang es Mitru sich aufzurappeln. Der Hüne warf sich ihm entgegen und schleuderte ihn in den Morast. Beide rangen sie weiter miteinander, doch Mitru musste schon nach wenigen Augenblicken einsehen, dass das Manöver, das in der Regel jeden Gegner aus dem Gleichgewicht brachte und ihm unterlegen machte, bei diesem Kontrahenten das Gegenteil bewirkte, denn Luciens Kräfte überstiegen die eines gewöhnlichen Gangrel bei weitem.
Mühsam gelang es beiden wieder auf die Beine zu kommen, denn jeder nutzte jede Chanca, die ihm blieb zum Angriff. Der Kampf schien Stunden zu dauern und nicht enden zu wollen.
Lucien hörte, wie die rothaarige Frau am Rand der Lichtung rief. „Mitru, verdammt, jetzt mach ihn schon fertig!“ Der braunhaarige Mann lachte siegessicher und brüllte hinterher. „Los! Mach schon! Ich will noch mal jagen gehen bevor‘s hell wird.“ Luciens Wut wurde angestachelt. Schlag um Schlag tauschten beiden aus und langsam spürte der Hauptmann, dass Mitrus Kräfte nachließen. Der Bär ermüdete. Mit allem, was ihm an Stärke geblieben war hieb Lucien zu.
Mitru taumelte mehrere Schritte nach hinten und hob schützend und einhaltgebietend die Hand. Seien Stimme war leise durch die Erschöpfung doch immer noch laut und auf der ganzen Lichtung vernehmbar. “Es ist genug, Wolf. Du hast deinen Anspruch durchgesetzt!“

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Der Hüne vollführte eine ungelenke Bewegung in der man wohl so etwas wie eine Verbeugung vermuten mochte. Dann richtete er sich wieder zu seiner vollen Größe auf. Ein Grinsen erschien auf seinen Zügen und seine Stimme senkte sich zu einer vertraulicheren Lautstärke. „Respekt… Wie nennt man dich noch mal? Kettenhund trifft es nicht. Da habe ich mich unweigerlich getäuscht.“ Wieder folgte so etwas wie ein grummeliges Lachen. „Schattenwolf? Nicht wahr?“

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Es war ein harter und schier ewig andauernder Kampf gewesen aber Lucien hatte schlussendlich triumphiert. Ob es wirklich Können, reines Glück oder eine Kombination beider Faktoren gewesen war, die ihn schlussendlich den Sieg davon trugen ließen, konnte er beim besten Willen nicht sagen. Aber was sollte ihn das in diesem Moment auch kümmern? Er hatte gesiegt und Mitru den Jäger, seinen Großerzeuger besiegt; sich gegen alle Hindernisse durchgesetzt und ihm schlussendlich sogar Respekt abgerungen. Das war eines der natürlichsten Dinge unter den Wilden: Respekt und Anerkennung, Lob und die seltene Bewunderung seines Clans, musste man sich erarbeiten und verdienen. Er grinste schief und erinnerte sich noch gut an jenen Abend, an dem Gerrit und er sich mit dem jeweiligen Blut des anderen zugeprostet hatten und angewidert das Gesicht verziehend getrunken hatten. Ja die Stärke des Alten war schon wirklich gewaltig und er schickte ein paar gemurmelte Dankesbekundungen in die Kanalisation unter Brügge. Danach kam er auf Mitru zu und richtete sich ebenfalls etwas mühselig auf; verbeugte sich ebenfalls vor ihm und streckte ihm die Hand entgegen. „Du bist ein Ehrenmann, Mitru, der Jäger, und hast gut gekämpft. Den Führungsanspruch über deine Leute kann dir so schnell niemand streitig machen und dennoch…“ Er sah in Richtung Jean. „… dennoch muss ich meinen Preis fordern und Jean mit zu mir nehmen. Vielleicht wird er sich eines Tages tatsächlich für diesen Weg entscheiden aber wenn, dann ist es alleine seine Entscheidung.“ Er schüttelte ihm die Hand, sah ihm dabei tief in die Augen und ging dann wieder in Richtung Jean, wo er sein Rüstzeug und seine Waffen wieder an sich nahm. „Gehen wir nach Hause, Junge…“, sagte er mit einem müden Lächeln und klopfte Jean auf die Schulter. „Genug Keilerei für eine Nacht. Tut gut dich wieder zu sehen, wirklich.“
Jean sah erleichtert aus und fast ebenso erschöpft als hätte er selbst an dem Kampf teilgenommen. Man sah ihm an wie sehr er um Lucien gebangt hatte. „Ich wusste, dass du es schaffen würdest“, kam die leise, kaum hörbare Erwiderung.“
Lucien konnte erkennen, dass bei Mitrus Worten auch die anderen Kainiten der Gruppe anerkennend das Haupt gesenkt hatten. Ihr Anführer war besiegt worden und das allein war wohl keinem der Anwesenden je gelungen. Auch Vanya schenkte ihm ein wissendes Lächeln, das verriet auf wen sie gesetzt hätte.
Jean fügte erklärend hinzu „Gunnhild“ und deutete auf die Rothaarige, „Armin“. Sein Blick wanderte zu dem Braunhaarigen. „Vanya kennst du bereits. Der Rothaarige ist Wulfar, Kind von Mitru.“ Er sah sich kurz auf der Lichtung um und sein Blick verdüsterte sich. „Es gibt eigentlich noch Öystein, aber keine Ahnung wo der sich rumtreibt.“
„Wusstest du das?“ Der Gangrel lächelte ihn weiterhin schief und etwas gespielt ungläubig an. „Ich war mir da nicht so sicher.“ Sein Blick glitt über die versammelte Gruppe aus Kainiten; fing das wissenden Grinsen seiner Erzeugerin auf und erwiderte es zaghaft. „Nun, wenigstens scheinst du nicht der einzige gewesen zu sein. Du hast die Waffen weise gewählt Jean, unter anderen Umständen wäre dieser Kampf sicher gänzlich anders ausgegangen. Du hast sicher auch deinen Teil dazu beigetragen.“ Ein erneutes Nicken seines Kopfes, bekräftige diese Aussage und tatsächlich entsprach sie der Wahrheit. Hätte man mit dem Schwert oder den Klauen gekämpft oder andere Disziplinen eingesetzt; er hätte gar nicht wissen wollen, was er alles zu sehen und spüren bekommen hätte. Nacheinander nickte er nachdenklich, als er die Namen vernahm und sah beim letzten wiederum fast etwas höhnisch zu Jean. „Öystein? Öystein ist tot, er zog es vor eine Wölfin zu quälen, die vor kurzem erst ihren ersten Wurf hinter sich gebracht hatte. Die Welpen hätte er auch noch mehr zum Vergnügen als wegen des Hungers geschlachtet. Und schlussendlich…“ Mit einer kräftigen Handbewegung streifte er sich einen schweren Lederhandschuh über. „.. habe ich ihn dann geschlachtet.“ Er räusperte sich und ging in Richtung der Gruppe aus Gangrel. „Warte noch kurz auf mich Jean“, warf er ihm über die Schulter hinweg zu.
Vor der Gruppe angekommen, nickte er allen einschließlich Vanya respektvoll zu und verbeugte sich ein kleines Stück. „Brüder und Schwestern, ihr habt allesamt hart gekämpft und unserem Clan Ehre erwiesen, euer Anführer ist ein wilder Kämpfer, dem es nicht an Erfahrung und Können mangelt. Heute Nacht habe ich ihn gefordert und gewonnen, doch ging es mir nicht darum andere Ansprüche geltend zu machen, als die über diesen Sterblichen dort. Der Kampf war hart aber fair; ein ehrenvolles Duell unter Kriegern. Mein Weg wird mich jetzt wieder in meine Domäne führen aber ich möchte euch allen freies Geleit durch den Brügger Wald erlauben, sofern ihr diesen passieren wollt oder müsst. Ihr seid willkommene Gäste innerhalb, als auch außerhalb der Stadtmauern, solange ihr meinen Anspruch auf meine Gebiete achtet. Was Öystein betrifft… er ist tot. Er quälte eine Wölfin und wollte ihre Jungen verschlingen, das war unnötig. Aber ich bin sicher, dass ihr auch gut ohne ihn auskommen werdet. Euch allen noch viele erfolgreiche Jagden und Nächte. Kommt gut über den Winter. Ennoia mit uns allen.“ Damit verbeugte er sich noch einmal und ging dann zu Jean; zog diesen mit sich. „Gehen wir. Das wird noch ein langer Marsch und ich muss unterwegs noch jemanden abholen, der allein keine Chance zum Überleben hat.“ Er grinste. „Genau wie du damals aber auch wie du, wird er eines Tages mehr als dazu in der Lage sein für sich selbst und dann auch für andere zu sorgen und zu kämpfen.“
Mitru kam ein letztes Mal auf ihn zu, legte ihm seine Hand, die eher einer Pranke glich, auf die Schulter. „Ich hoffe, unsere Wege werden sich irgendwann ein weiteres Mal kreuzen, Kindeskind. Die Weiten meines Domäne werden dir offen stehen solltest du sie je durchwandern wollen.“ Ein grimmiger Zug legte sich auf seinen Mund. „Zunächst jedoch muss ich dafür sorgen, dass die Hexer, die sich in Teilen meiner Domäne eingenistet haben, brav wieder verschwinden… Damit werde ich wohl einige Zeit zu tun haben.“ Er ging auch zu Jean und nickte ihm wohlwollend zu. „Du wärest einer der würdigsten Anwärter für den Kuss gewesen, die ich je gehabt habe und nie habe ich jemanden erlebt, der mir im Traum als auch in der Wirklichkeit so viel Widerstand entgegen gesetzt hat.“ Er schmunzelte. „Jetzt weiß ich zumindest, wer dich das gelehrt hat.“
Er trat noch ein Mal zu Lucien und deutete auf Jean. „Der Junge ist eine Bereicherung und ein Geschenk. Es wäre eine Schande, wenn er nicht eines Tages den Kuss erhalten würde. Aber das…“ Er nickte Lucien zu „… ist jetzt deine Aufgabe. Ennoia mit uns allen.“

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Der Weg zum Ziel beginnt an dem Tag, an dem du die hundertprozentige Verantwortung für dein Tun übernimms.
Dante Alighieri


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BeitragVerfasst: Mo 16. Mai 2016, 15:28 
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Lucien gelang es mühelos seine eigene Spur zurück zu verfolgen und den Felsvorsprung auf dem er den jungen Wolf zurückgelassen hatte, zu finden. Das Tier verkroch sich zunächst ängstlich am anderen Ende der Felswand, wurde jedoch als man es herunter geholt hatte schon nach der ersten halben Stunde nachdem Jean ihm ein paar Streifen getrocknetes Kaninchen verfütterte deutlich zutraulicher. Bereits am nächsten Tag wich es kaum noch von der Seite der beiden Männer, die sich mühsam durch den dichten Wald kämpften. Für Lucien wäre es ein leichtes gewesen als Adler alle Hindernisse zu überwinden, aber diese Möglichkeit stand weder Jean noch dem jungen Wolf offen.

Es war Jean sichtlich unangenehm, doch nach einigen Tagen fragte er Lucien nach der kainitischen Vitae. „Ansonsten kommt mir doch noch der Einfall dieser Horde durch den Wald hinterher zu rennen, weil ich es nicht mehr länger aushalte… Und das will ich nach allem, was passiert ist echt vermeiden“

Nach ungefähr einer Woche erreichten sie am Ende einer langen Nacht die Stadttore von Gent. Sie entschieden sich dafür die Festung der Flandrischen Fürsten, Grevensteen, aufzusuchen. Balduin war mehr als erleichtert seinen alten Freund heil wieder zu sehen und ließ beide Männer gemeinsam mit dem Tier in einem der edleren Zimmer im Inneren der Burg unterbringen. Jean fiel wie ein Stein auf das Bett und rührte sich nicht mehr. Er schlief ganze drei Tage und Nächte. Erst zu diesem Zeitpunkt wurde Lucien wirklich bewusst, was für eine Anstrengung es seinen ‚Neffen‘ gekostet haben musste all die Zeit durchzustehen.

Zu Beginn der vierten Nacht erwartete ihn Jean fertig angezogen im Vorraum ihres Zimmers. Er sah deutlich gesünder und glücklich aus. Lucien bekam ein bereits geöffnetes Pergament in die Hand gedrückt doch Jean ließ ihm keine Zeit es zu lesen, sondern fasste den Inhalt hastig zusammen. „Marlene hat vor einer Woche ein Mädchen zur Welt gebracht. Alles ist gut gegangen. Wir wollen die Kleine nach meiner Mutter ‚Florine‘ nennen.“ Der junge Mann strahlte zum ersten Mal seit langem. „Ajax vermisst dich und das hier…“ Er überreichte Lucien einen kleinen hölzernen Gegenstand, der ganz entfernt an ein hundeartiges Tier erinnerte. „.. hat Hendrik gemacht damit du bald wieder nach Hause kommst.“

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Through action, a Man becomes a Hero.
Through death, a Hero becomes a Legend.
Through time, a Legend becomes a Myth.
By learning from Myth, a Man takes action.
~Corazon~


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