Alida schüttelte hastig den Kopf. Sie hatte keine Zeit um sich um Theresa oder was auch immer dort in der Gestalt der Tremere stand, zu kümmern. Sie musste dem Mann hinterher bevor er endgültig verschwand. Sie rannte los.
Alida folgte der Gasse durch mehrere dunkle Hinterhöfe und schlecht beleuchtete Wege. Herbstlaub sammelte sich hier abseits der gut instand gehaltenen Straßen von Brügge und in einem der Kanalenden, die es hier gab verwitterten die Blätter in dem brackigen Wasser, nur um einen starken Gestank nach Verwesung zu hinterlassen. Der Mann schien trotz seiner sicherlich schmerzenden Wunde schnell voranzukommen, aber das Blut wurde mehr und Alida sah eine offene Tür in einem verlassenen Haus.
Es war kein Wunder das er rannte als wäre der Teufel selbst hinter ihm her, wenn er Angst haben musste getötet zu werden wie er selbst sagte. Verwundet worden zu sein schien da noch immer die bessere Alternative.
Als sie näher an die offene Pforte trat, konnte sie jemanden reden hören. Die Stimme kannte sie nicht und sie war so leise, dass Alida sie nur dank ihrer geschärften Sinne wahrnehmen konnte. Die Sprache war das Flandrisch der Bauerndörfer um Brügge, aber er sprach abgehackt. Ganz offensichtlich unterdrückte er Schmerzen. “Toll hast du das gemacht, Thomas. Geh nach Brügge Thomas, da ist das Leben einfacher, die Frauen hübscher und das Gras grüner.” Er schnaubte und keuchte kurz danach. “Was für ein verdammter Mist”
„Hängt wohl immer davon ab, wo man herkommt und mit welchem Ort man es vergleicht, nicht wahr?“ Alida hatte ihre Waffe gezogen und trat ohne lange nachzudenken ein. „Tu mir den Gefallen und renn bitte nicht wieder davon. Mit deinen Wunden, schätz ich mal, kommst du eh nicht so viele Meilen…“ Sie senkte das Schwert einige Zoll.
Der Mann schreckte aus seinem Selbstgespräch auf und zuckte kurz zusammen. Die dunkeln Augen wanderten zuerst zu Alidas Schwert und dann zu ihr selbst. Er setzte ein tapferes Lächeln auf während er die Wunde mit ein paar abgerissenen Stofffetzten notdürftig versorgte. Die Nähte waren gerissen und es war offensichtlich, dass keine Gefahr mehr bestand, dass er weglief. Dann sprach er Alida zum ersten Mal an. “Brügges Frauen sind in jedem Falle anders als dort, wo ich herkomme. Sehr viel gefährlicher wie es scheint, dafür aber auch hübscher. Eine Kombination, von der ich noch nicht weiß ob ich sie empfehlen kann, aber wer bin ich schon die Eigenarten der Städter zu hinterfragen.” Der Mann schwitzte. “Vielleicht seid ihr aber auch in der Lage mich ein wenig mehr zu überzeugen, also wie kann dieser einfache Mann namens Thomas zu Diensten sein junge Dame?” Er lächelte breit und versuchte aufzustehen, sackte aber sofort wieder zusammen. “Verzeiht meine Manieren aber auf eine Verbeugung werdet ihr warten müssen bis ich wieder auf dem Damm bin, oder wenigstens stehen kann.”
Sie sah ihn etwas irritiert an. Sie hatte mit vielem gerechnet, vielleicht einem weiteren Fluchtversuch, einem Angriff, aber mit Sicherheit nicht mit Charme und selbstironischem Witz. „Frauen reagieren zumeist so, wie man mit ihnen interagiert.“ Sie schob das Schwert zurück in die Klinge. Sie sah sich unruhig in den Räumlichkeiten um trat dann näher. „Ich weiß nicht, wer ihr seid, aber ich hoffe, dass ihr Informationen habt, die mir weiterhelfen können. Einer meiner treuesten Mitarbeiter wurde gefoltert und kaltblütig abgeschlachtet, aber ich vermute, das wisst ihr.“ Sie sah ihn fragend an. „Hört zu: Ich habe mittlerweile mitbekommen, dass ihr verfolgt werdet und eure eigenen Feinde habt. Wenn ihr mit mir kommt, kann ich euch Schutz anbieten und jemanden finden, der sich um eure Wunden kümmern wird.“
Er stöhnte noch einmal vor Schmerz, als er seine Position veränderte. “Ich wünschte, ich könnte leugnen was ich gesehen habe aber ihr habt es auf den Punkt getroffen. Offensichtlich muss ich bei meinen Beobachtungen, was die Brügger Damenwelt angeht noch gute Portion Klugheit ergänzen.” Dieses Mal erreichte das Lächeln aber nicht ganz seine Augen. Im Gegenteil, ein Schauer schien dem Mann kurz danach über den Rücken zu laufen, offenbar als er sich an die Situation im Lagerhaus erinnerte. “Ich habe mich als Tagelöhner in einem Kontor verdingt. Ihr wisst schon: Waren von Punkt A zu Punkt B tragen und fand den Job schnell … nun sagen wir repetitiv und wollte meinen Lohn beim Vorarbeiter abholen um weiter zu ziehen…” Aber er kam nicht dazu, noch mehr zu erzählen bevor sie unterbrochen wurden. Wie aus dem nichts tauchten zwei Gestalten in Roben auf, einer trug eine Fackel und schloss die Tür, die schwer ins Schloss fiel. Es war eine Falle! Der andere stand einfach nur da und schlug seine Kapuze zurück um sie mit verstümmelten Augen anzustarren, wenn so etwas bei dieser Behinderung überhaupt möglich war.
Seine Stimme klang wie Kreide auf einer Schiefertafel. “Schau was uns ins Netz gegangen ist.” Die Tzimisce sah aus den Augenwinkeln, wie Thomas nach etwas griff was wohl einmal ein Besenstiel gewesen war und ihn dann drohend in die Richtung des Kultisten hielt. Er biss die Zähne zusammen und adressierte Alida. “Ich wünschte mir zwar gerade, bei allen Heiligen, ihr würdet sagen, dass das hier eure Freunde sind aber die wahre Antwort kennen wohl bereits.”
Sie zog das Schwert. „Leider, in diesem Fall, trifft Weisheit und Klugheit nicht nur auf die Brügger Damenwelt zu, sondern auch auf euch... Keine Freunde...“ Ihre Knöchel verkrampften sich um das Schwert aus dem Osten. Sie sah die Eindringlinge wütend an und ging in Angriffsposition. „Was wollt ihr?“
"Ihr und eure Freunde habt euch schon zu lange in unsere Angelegenheiten eingemischt." Alida sah, wie der Mann eine unmenschlich lange Zunge ausfuhr und seine Haut sich mit grünlichen Schuppen bedeckte. Thomas keuchte hinter ihr auf. Dieses Mal nicht vor Schmerz sondern vor Überraschung. "Verschwindet hier!" Die Worte waren an Alida gerichtet und es schien ihn eine ganze Menge Mut gekostet zu haben um sie so überzeugend auszusprechen wie sie klangen. "Ich komme schon klar. Holt Hilfe."
„Klar, mit dem Stock hier hackt ihr die beiden sofort in zwei Hälften. Sehr vertrauenserweckend, das Holz.“ Alida schob sich zwischen den Verletzen und die beiden Männer, blickte auf das sich verwandelnde Wesen. „Ich dachte schon, eure Sorte sei ausgestorben… Da habe ich wohl falsch gehofft, wie schade.“ Sie wartete auf den Angriff.
Der Priester ließ seine überlange Zunge wie ein Pfeil vorschnellen. Sie war scharf wie Stahl und zeriss Alidas linke Schulter. Aber das war nicht alles. Alida spürte auch wie ihr im gleichen Moment Vitae durch die Wunde entrissen wurde, die sich die Zunge wie ein gieriger Schwamm einverleibte.
Es klang beinahe metallisch als Alidas Schlag auf den Mann niederging und an seinen Schuppen abprallte.
Plötzlich drückte etwas die Vordertür ein und es klang als würde eine Horde Ochsen durch die Pforte brechen. Zusammen mit den Holzsplittern und Putz flutete das brackige Wasser des Kanals von draußen, so wie ein großer Teil der verwesenden Blätter die kleine Hütte. Theresa stand in der Tür und schaute sich panisch im Raum um. "Verdammt, ich habe gesagt ihr lauft in eine Falle." Sie bewegte die Arme in einer fließenden Bewegung und das Wasser auf dem Boden sammelte sich zu schmutzigen Schnüren, die die Form von Ketten annahmen. Sie schossen auf den zweiten Mann zu, löschten seine Fackel und fesselten ihn. Er schien sich nicht bewegen zu können kämpfte aber gegen die Fesseln. Der augenlose Priester zischte nur in Richtung Alida. "Aus der Dunkelheit geboren euch zu verschlingen." Dann begann er langsam sich zu verwandeln. Seine Arme und Beine schienen sich in den Körper zu ziehen.
Der Körper des Priesters oder was auch immer er war verwandelte sich immer mehr in den einer Schlange, während Alida auf ihn einschlug. Sie verletzte ihn, aber offensichtlich nicht genug. Es war als würden ihre Schläge an den glänzenden Schuppen ganz und gar abgleiten oder von diesen absorbiert werden. Schließlich stand eine riesige Schlange vor der Tzimisce, aber wieder erwarten griff sie Alida nicht an, sondern sprang in Richtung eines Spalts in der Wand durch den sie offenbar verschwinden wollte.
Alida war keine Närrin. Ihr war klar, dass sie in der Gestalt einer einfachen Frau nicht in der Lage sein würde, den Setiten so zu schwächen, dass sie wirklich etwas gegen ihn ausrichten konnte. Und alles andere war vor den Augen eines Sterblichen ein Bruch der Tradition, den sie nicht begehen würde. Sie baute sich vor dem Verletzten auf um ihn falls nötig zu schützen falls ein erneuter Angriff folgen sollte.
Theresa ging in Richtung Thomas, ließ aber den mit ihren Wasserketten gefesselten Mann nicht aus den Augen. "Wir müssen weg hier. Er könnte jederzeit wiederkommen." Sie schaute zu dem verwundeten Mann. "Jetzt mal langsam. Ich will euch nicht umbringen. Nehmt meine Hand." Der dunkelhaarige Mann schaute gequält zu Alida und schien irgendwie Sinn aus dem was gerade passiert war machen zu wollen. Er schüttelte nur mit dem Kopf. "Darf ich entgegen aller Erwartungen dieses Mal darauf hoffen, dass es sich dieses Mal um eine Freundin von euch handelt?"
Alida schloss die Lippen. Sie schluckte eine Antwort hinunter und trat an die Seite des Verwundeten. „Thomas? Diese Frau hat mit ihrer Aussage Recht. Diese Kreatur kann wieder kommen und ich bin nicht scharf darauf dann noch hier zu sein.
Thomas nickte der Tzimisce zu. "Ich glaube meine Alternativen sind nicht vielversprechend genug um wählerisch zu sein." Theresa half dem Mann ebenfalls auf und schien Alidas Gedanken erraten zu haben. "Mein Heim ist nur ein paar Straßen von hier weg. Dort sind wir sicher." Ihr Blick wandte sich aber an Alida. "Ich bin aber auch für andere Vorschläge offen wenn euch das nicht zusagt."
Alida musterte die Tremere skeptisch. „Sind wir bei euch vor dem Vieh sicher? Und verfügt ihr über Verbandsmaterial für die Wunden dieses Mannes hier?“ Sie schloss für einen kurzen Moment due Augen um sich zu sammeln. „Bevor ich irgendwohin gehe: Beantwortet mir bitte dir Frage was ihr im Hospital von Thomas hier wolltet. Offensichtlich scheint ihr euch ja nicht so gut zu kennen.“
Theresa straffte sich. "Ich habe alles, was wir brauchen könnten." Dann schaute sie zu dem noch verbliebenen Kultisten und kniff die Augen zusammen. "Ich wollte ihn davor warnen, dass man jemanden auf ihn angesetzt hatte. Im Grunde vor genau dem, was hier passiert ist. Ich bin diesen Wahnsinnigen nämlich schon länger auf der Spur. Als unser Freund hier dann Besuch von jemand Unbekannten bekommen hat, hat er überreagiert und ist geflohen. Zumindest vermute ich das, Aber fragt ihn doch selber."
Die blonde Händlerin massierte sich die Schläfen. „Nein. Das ist weder der rechte Ort noch die rechte Zeit für Gespräche. Wir sollten hier verschwinden.“ Sie beobachtete die Ursupatorin. Wie würde sie mit dem Sterblichen verfahren, den sie immer noch gefesselt hatte?