Vampire: Die Maskerade


Eine Welt der Dunkelheit
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 Betreff des Beitrags: Eine Heimkehr (Alida)
BeitragVerfasst: Fr 20. Nov 2015, 10:52 
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Frühjahr 1220

Alida war wieder zu Hause. Die vertrauten Räumlichkeiten ihres Hauses schienen sich um sie legen zu wollen wie eine Decke und alles sah noch genauso aus, ja roch noch genauso wie sie es damals verlassen hatte. Abgesehen vielleicht von ein paar fragwürdig aussehenden Dekorationsgegenständen die ein paar Cousinen inzwischen ins Haus geschleppt hatten. Ohne auch nur groß danach zu fragen wurde Alida erklärt, dass es sich um den letzten Schrei aus Frankreich handelte. Die Zeit war schnelllebig wie eh und je. Überhaupt hatte Brügge sich verändert und zwar zum Guten. Bei ihrer Einreise hatte sie bereits gesehen, dass die Ruinen inzwischen alle abgerissen waren und neue schmucke, kleine Häuschen mit frisch gedeckten Dächern das Stadtbild ergänzten. Die Kanäle glitzerten wieder ruhig und sauber im Fackel- und Mondlicht und manchmal kam man sicherlich nicht umhin sich zu fragen wie wundervoll diese wohl im Sonnenlicht aussehen würden.

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Lärm drängte selbst durch die geschlossenen Fensterläden. Heute fand der Mitternachtsmarkt statt, eine neue Tradition die sich während ihrer Abwesenheit in Brügge etabliert hatte. Der Mitternachtsmarkt bedeutete nicht, dass der Markt nur zu diesem Zeitpunkt stattfand, aber er erreichte in dieser Zeit seinen Höhepunkt mit einer Messe die dann im Freien abgehalten wurde. Dieser Gottesdienst war Teil der Tradition geworden, bei dem man den Gefallen im Krieg um Brügge gedachte und er fand auf den Feldern der Tränen statt, jenem Ort an dem man all die namenlosen Toten bestattet hatte, die bei der Verteidigung der Stadt ihr Leben ließen. Heute, fast zehn Jahre später war das ehemalige Feld schon zu einem Park geworden. Mit bunten Feldblumen und kleinen Obstbäumen, die langsam aber sicher zu stattlicher Größe wuchsen. Von draußen schaffte es aber auch noch etwas anderes außer die Geräusche einer geschäftigen Stadt in die Stube von Alida. Lautes Lachen. Den hohen Stimmchen nach zu urteilen eine Gruppe von vielleicht 5 oder 6 Jahre alten Kindern die die Straßen hinauf und hinab rannten, ganz aufgeregt ob der Tatsache heute so lange wach bleiben zu dürfen. Die Neugier packte sie und sie ging in den Nebenraum um durch das geöffnete Fenster einen kurzen Blick hinunter auf die Straßen ihrer Stadt zu werfen.

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Aber mit ihr im Raum waren auch noch zwei andere Personen, wie sie recht schnell feststellte. Henrik und eine Dienerin die wohl auf diesen Acht gab. Sie saß still in einer Ecke, in die Ausbesserung einer Hose des Jungen vertieft. Henrik. Alyssas geheimer Sohn und das Pflegekind von Jean und Marlene. Er hatte bereits schon in so jungen Jahren ein mehr als schweres Erbe vor sich. Der Junge beachtete sie nicht, oder gar die Geräusche der anderen Kinder auf der Straße machten. Er spielte mit ein paar fein geschnitzten Holzklötzen. Kirschholz könnte Alida ob der Farbe des Spielzeugs vermuten. Der Junge verhielt sich wie so oft still und sie beobachtete das Treiben einige wenige Minuten in Gedanken versunken. Plötzlich und ohne Vorwarnung machte Henrik, mit einer Lautstärke die einem einen Schreck einjagen konnte aufmerksam. "Verdammt!" Der Fluch kam wie ein Pfeilschuss abgefeuert. Mit einem Wutanfall zerstörte er seinen Turm und die Steine flogen in alle Ecken des Raumes. Alida beobachtete danach, dass der Junge sich fast so schnell wie der Ausfall gekommen war wieder beruhigt hatte und ohne ein einziges weiteres Wort zu sagen aufstand, die Steine akribisch einsammelte und mit dem konstruieren eines Gebäudes fortfuhr, dass mehr und mehr nach dem Belfried aussah. Die Dienerin rührte sich nur kurz am Anfang und das wohl auch ehr aufgrund des Schrecks. Sie schien an solche Szenen gewöhnt zu sein. Alida wusste Marlene würde bald hier sein, sie zog sich für den Mitternachtsmarkt um und Jean selbst war noch im Dienst weswegen sie den Jungen kurz hier gelassen hatte. Außerdem hatte ihre Familie eh beschlossen gemeinsam ein großes Mahl im Anwesen einzunehmen bevor man auf den Markt gehen würde. Man würde sich dort im Gedränge eh nur verlieren, weswegen es sinnvoller war hier ein wenig Zeit mit der Familie zu genießen. Zumindest all jene die im Moment noch nicht für Markt und Handel gebraucht wurden. Es war eigentlich verwunderlich das sie noch hier war, aber Frederik hatte darauf bestanden ihre Aufgaben heute Nacht zu übernehmen, damit sie mal wieder mit der ganzen Familie speisen konnte. Nach einigen Minuten klopfte es an der Tür und ein schmaler Küchenjunge mit rabenschwarzem Haar das über und über mit Mehl bedeckt war betrat die Stube. Er verbeugte sich leicht und ein wenig Mehl rieselte auf den Boden. „Herrin man erwartet euch in der Küche. Es gibt ein kleines Problem mit einer Lieferung und man bittet um eure Hilfe.“

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 Betreff des Beitrags:
Verfasst: Fr 20. Nov 2015, 10:52 


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 Betreff des Beitrags: Re: Eine Heimkehr (Alida)
BeitragVerfasst: Sa 21. Nov 2015, 01:09 
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Alida sah den Jungen an. „Danke, ich komme gleich.“ Sie warf einen Blick auf Hendrik, der noch immer mit den Holzklötzen beschäftigt war. Sie ging näher zu ihm und beugte sich hinunter. „Wie sieht’s aus, Hendrik? Möchtest du mit in die Küche kommen oder baust du erst noch Brügge fertig?“ Sie grinste
Henrik sagte nicht, blickte kurz zwischen Alida und den Steinen hin und her und nickte dann kurz bevor er aufstand. Zusammen betraten sie die Küche mit dem Jungen der als Bote fungiert hatte. Er gesellte sich gleich wieder zu einem anderen Jungen im etwa gleichen Alter und sie kneteten weiter Teigfladen die schließlich in den heißen Ofen wanderten und einen herrlichen Duft in der Küche verbreiten. Das war also die Quelle des Mehls gewesen. Alles war geschäftig um das große Mahl vorzubereiten, ganze Hühner brutzelten über der Flamme, Soßen wurden mit allerlei heimischen Kräutern und exotischen Gewürzen noch schmackhafter gemacht. Eine Symphonie an Gerüchen, die wahrscheinlich jedem Sterblichen das Wasser im Mund zusammenlaufen ließ. Auch Henrik schnupperte interessiert.


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Alida entdeckte schließlich Lydia die gerade Anweisungen an einen Mann gab der eine riesige Honigwabe durch die Küche trug, während sie zeitgleich noch von einer dicken braune Soße kostete um gleich darauf noch ein wenig Pulver aus einer irdenen Schale hinzuzufügen. Sie war wirklich die Tochter ihrer Mutter.
Sie sah Alida in die Küche kommen. „Alida! Es ist wundervoll dich wieder hier zu haben! Sie strahlte über das ganze Gesicht. Hallo Henrik.“ Sie lächelte den Jungen an. „Du wirst den Nachtisch heute lieben, glaub mir, nur so viel schon einmal. Es gibt etwas mit Äpfeln.“ Sie zwinkerte dem Jungen zu. „Entschuldige mich bitte, aber ich muss weitermachen, bevor irgendwer hier noch all diese wunderschönen Sachen anbrennen lässt.“ Sie blieb noch einmal kurz stehen. „Ach so ja. Du bist sicher wegen Alyssa hier. Sie ist hinten beim Liefereingang. Irgendwas ist wohl schief gelaufen.“ Dann war sie auch schon wieder verschwunden, dieses Mal endgültig und steckte ihre Nase in einen weiteren Topf aus dem es nach Fleisch und Minze roch. Der Mann, der eben die Honigwabe reingetragen hatte kam zurück und drückte Henrik ein Stück davon in die Hand, der nicht ganz überzeugt davon aussah, was er jetzt damit anfangen sollte. Ein wenig Honig kleckerte von der prall gefüllten Wabe auf den gescheuerten Steinboden.
Als das Wort auf Alyssa kam unterdrückte Alida ein Seufzen. Auch der Anblick des verdutzten Jungen entlockte ihr diesmal kein Lächeln. Sie ging näher zu ihm heran und flüsterte verschwörerisch. „Vielleicht bleibst du kurz in der Küche und findest heraus, was es zum Nachtisch gibt? Ich guck derweil mal beim Liefereingang vorbei.“ Sie sah das Kind fragend an.
Der Junge nickte nur und begann zaghaft an der Wabe zu lutschen und schien schließlich Gefallen daran zu finden. Als Alida aufblickte sah sie für einen kurzen Augenblick Alyssa die um die Ecke kam, beim Anblick von Henrik aber sofort wie versteinert stehen blieb und dann sofort kehrt machte. Alida war sich sicher, dass niemand außer ihr diesen kleinen Zwischenfall gerade mitbekommen hatte.
Die blonde Händlerin machte sich auf den Weg zum Liefereingang, sog tief die Luft ein und roch die Vielzahl an Wohlgerüchen. Das Festmahl, das zubereitet wurde, der Garten, der draußen blühte, der Geruch des alten Hauses, der tief im Gebälk und Gemäuer saß: Zuhause.
Sie hielt schließlich nach Alyssa Ausschau.
Alyssa wartete um der Ecke auf sie, angespannt wie sofort klar war aber beherrscht. Sie wischte sich eine Haarsträhne aus dem Gesicht. Den Zwischenfall von gerade erwähnte sie mit keinem Wort. „Danke dass du hergekommen bist Alida. Ich hätte nach jemand anderem geschickt, aber du bist die ranghöchste Vertreterin im Haus was Handelsangelegenheiten angeht. Es hätte daher keinen Sinn gemacht irgendwen sonst vom Mitternachtsmarkt zu holen.“ Ihre Stimme war nicht unangenehm und sehr sachlich. Sie schien darüber hinaus Selbstvertrauen darin zu finden über ihre Arbeit zu sprechen. „Ein Fehler wurde bei der Bestellung des Fleisches für heute Abend gemacht. Wir hatten 2 Rebhühner bestellt, aber wir haben 20 geliefert bekommen. Der Jäger ist jetzt draußen und verlangt sein Geld.“ Alyssa zeigte auf einen Tisch der mit Pergamentrollen beladen war, die über und über mit Zahlen und Tabellen vollgeschrieben waren. „Ich habe den Fehler gefunden und bin mir inzwischen sicher, dass er von unserer Seite gemacht wurde. Im Grunde ist es kein Problem, wir können die 18 anderen Rebhühner entweder weiterverkaufen, oder was ich vorschlagen würde gleich für den Winter einpökeln. Es macht keinen Unterschied, dass wir dies schon jetzt im Frühjahr tun. Wir müssen es nur vermerken und diese zuerst während des Winters essen. Aber ich brauche trotzdem eine offizielle Zustimmung um das zusätzliche Geld auszugeben.“ Sie schaute Alida erwartungsvoll an während sie sich eine Strähne aus dem Gesicht blies.
Alida sah die braunhaarige Frau etwas ungläubig an. „Rebhühner? Warum hast du das Geflügel nicht einfach in die Küche bringen lassen. Lydia hätt‘ die längst aufm Herd. Wenn ich mich recht entsinne, ist selbst mit Federn kaum was an den Dingern dran. Die werden sicher nicht alt. Sind zwar etwas teurer als herkömmliche Hühner aber zur Feier des Tages können wir uns das sicher gönnen.“ Fragend sah sie Alyssa an. „Seit wann ziehst du mich hinzu, wenn es um solche Belange geht? Alles in Ordnung?“
Alyssa ließ sich von Alida nicht einschüchtern und es war auch schnell klar warum. Sie wusste wovon sie redete. „Weil es nicht um die Rebhühner geht Alida.“ Sie zeigte auf die Pergamentrollen. „Das Handelshaus van de Burse ist inzwischen groß. Ein wahrer Koloss. Das weißt du besser als ich. Das bedeutet auch das wir viel Geld im Haus selbst hin und herschieben und ich habe die letzten Jahre damit zugebracht zu verhindern, dass dieses Geld einfach ‚verschwindet‘. Wir müssen sehen wo unsere Ausgaben und Einnahmen wirklich bleiben auch und vor allem intern.“ Sie zeigte auf eine ein dickes Buch über und über mit Zahlen versehen. Dann schaute sie Alida an. Sie schien kurz Mut fassen zu müssen. „Schau, Frederik war eine gute Vertretung für dich, die Beste die es gab. Aber auch er macht Fehler wie die Hühner heute Abend und ich vermute auch andere haben das mitbekommen und es ist leicht solche Situationen auszunutzen. Wir bezahlen 20 Hühner fein, aber wenn 5 davon verschwinden taucht das nirgendwo auf. Am Ende sieht zwar alles gut aus, aber das ist nur der Fall weil unter dem Strich eine positive Zahl rauskommt. Nachdem alle Aus- und Einnahmen berechnet wurden. Aber die 5 Hühner und das Silber was wir bezahlt haben ist auf nimmer wiedersehen verschwunden. Deswegen habe ich an einem neuen System gearbeitet, einem System mit dem wir den Fluss des Geldes im Handelshaus direkt nachvollziehen können. Es ist noch nicht perfekt, aber im Grundsatz beinhaltet es, dass alle Ausgaben und Einnahmen an verschieden Stellen auftauchen damit wir diese nicht einfach im ‚System‘ verlieren wenn du verstehst was ich meine.“ Sie drückte Alida schließlich eine Feder in die Hand. „Außerdem habe ich veranlasst, dass alle extra Ausgaben, die von jemandem der nicht du oder Frederik ist von mindestens einer weiteren Person quittiert werden, damit wir sicher sind das das Geld für den vorgegebenen Zweck eingesetzt wurde.“ Sie atmete einmal tief durch. „Wie die heutige von mir wegen der Rebhühner. Deswegen bitte ich dich hier kurz zu unterschreiben“ Alyssa kaute an ihrer Unterlippe, eine Geste die Alida nur zu gut kannte. Sie war sich ein wenig unsicher was gleich kommen würde.
Alida sah sie ein wenig skeptisch an. „Ich finde es ausgesprochen gut, dass du dir Gedanken über unnötige Verluste machst. Vor allem, wenn es sich um große Summen handelt ist es wichtig, dass wir ein Auge darauf haben. Hast du deine Gedanken diesbezüglich schon mit den anderen abgesprochen? Frederik, Christian, Marlene?“
Alyssa nickte. "Ich habe mit Frederik gesprochen und da ich immer noch die Bücher führe..." Sie sprach gleich weiter. "Frederik brauchte Hilfe. Er war eingespannt im Rat, im Handelshaus und mit so vielen anderen kleinen Dingen." Sie schaute Alida immer noch an. "Die Verluste sind alles in allem nicht groß, aber ich will auch nicht, dass sie noch größer werden. Ich weiß das System ist noch verbesserungswürdig und neu, aber ich bin mir sicher dass es den van de Burses als Ganzes dienlich ist wenn wir es für alle Handelsabläufe benutzen würden sobald es fertig ist." Alyssa schwieg kurz und drehte den Kopf zur Seite. "Ich weiß du vertraust mir nicht, aber von diesen Sachen verstehe ich etwas. Zahlen, Tabellen, Transaktionen! Das bin ich und vor allem bin ich darin gut! Die Vergangenheit liegt hinter mir ich werde nicht wieder versagen." Sie schaute Alida immer noch nicht wieder in die Augen.
Alida schüttelte den Kopf. „Du bist was diese Dinge anbelangt erstklassig. Das warst du immer. Du verfügst über den logischsten Verstand von uns allen.“ Sie grinste. „Dennoch bin ich dafür, dass wir das System einführen sobald wir alle gemeinsam drüber beratschlagt haben. Das haben wir immer so gemacht. Familientradition.“ Sie lächelte. „Vielleicht sollten wir jetzt einfach in die Küche gehen und schauen, was das Essen macht. Gibt’s sonst noch was Wichtiges?“
Alyssa nickte nur. "Danke." und kehrte schließlich zu ihrem geschäftsmäßigen Ton zurück. "Ich räume hier noch auf. Wir sehen uns später beim Essen." Alida war klar, dass Alyssa die Zeit unnötig in die Länge zog denn so viel gab es im Großen und Ganzen nicht aufzuräumen. Sobald Alida zurück in der Küche war würde sie sehen, dass Henrik noch immer auf sie wartete. Sogar am genau gleichen Ort an dem sie ihn zurückgelassen hatte, während er auf die honigverschmierte Hand starrte als würde er sie am liebsten abschlagen wollen. Die Bediensteten bekamen davon jedoch nichts mit, denn die Vorbereitungen gingen dem Ende zu und Lydia rief Kommandos von allen Seiten.
Alida setzte sich neben den Jungen und betrachtete ihn gespielt beiläufig. Sie holte ein Taschentuch hervor, tunkte es kurz in etwas Wasser, das sie in der Nähe erspäht hatte und reichte es ihm. „Alles in Ordnung bei dir?“
Er nickte nur. "Es sind nur so viele Leute hier und Niemand beachtet mich." Er schwieg für einen Moment so als ob er die richtigen Worte suchte. "Ich weiß nicht genau ob das gut oder schlecht ist." er schaute sie fragend an.
Sie lachte und lächelte ihm aufmunternd zu. „Das hängt immer ganz davon ab, was man will, Hendrik. Ruhe oder geselliges Beisammensein. Jeder Tag und jede Nacht hat sowohl für das eine als auch das andere genug Minuten. Was willst du denn im Moment?“
"Ich weiß nicht so recht. Die Äpfel in Sahne von Lydia klangen ganz gut." Er lächelte Alida zum ersten Mal an diesem Abend zu.
„Na dann? Worauf warten wir dann? Auf zur Apfelernte.“ Sie grinste und streckte dem Jungen eine Hand hin um ihn hochzuziehen.
Ein Klatschen ertönte. "Es geht gleich los!" Die Stimme gehörte Lydia die sich an Alida wandte. "Wir beginnen gleich den ersten Gang aufzutafeln. Ihr solltet euch langsam im Speisezimmer einfinden, Alida." Sie trällerte ihre Aufforderung fast.
Die blonde Frau freute sich die vielen vertrauten Gesichter, die im Haus umherschwärmten wie Bienen in ihrem Stock, wieder zu sehen. Fünf Jahre waren keine lange Zeit aber vor allem für Kinder bedeuteten sie ein halbes Leben und entschieden zwischen Kindheit, Jugend und Erwachsenenalter. Sie staunte immer wieder, wenn es ihr schwer viel, eines der jungen Gesichter im ersten Moment zuzuordnen. Nun ja, sie würde sich wieder daran gewöhnen. Sie ließ Hendrik nicht aus den Augen und machte sich auf den Weg ins Speisezimmer aus dem es herrlich duftete.
Beim Eintreten ins Speisezimmer, sah Alida sofort ein paar vertraute Gesichter. Marlene saß bereits am Tisch. Sie hatte zwischen sich und Jean einen Platz für Henrik freigelassen. Luciens Verwandter hatte in den letzten Jahren ein klein wenig am Bauch zugelegt, sah aber immer noch fast wie das Ebenbild ihres alten Freundes aus. Beide begrüßten sie herzlich. Marlene hatte natürlich einen Platz neben sich freigehalten. Schließlich begann das Abendessen mit einer kräftigen Wildsuppe, die mit den ersten frischen Kräutern des Jahres gewürzt war. Aber bevor es richtig losging erhob Marlene eine wunderschon gearbeitet Glas in dem ein schwerer Rotwein schwappte um ein paar Worte zur Begrüßung zu sagen. Sie war aufgeregt und fröhlich das war von Anfang an klar und Marlene schaute zu Alida mit einem verschwörerischen Blick. Sie wusste was das Mädchen wollte, sie kannte sie schon seit ihrer Geburt. Sie wollte Alida auffordern selbst ein paar Worte zur Begrüßung zu sagen.

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Alida war noch nie gut darin gewesen Reden zu halten. Sie kannte zwar genug höfische Etikette um bei einem gesellschaftlichen Anlass nicht weiter aufzufallen aber im Mittelpunkt stehen war noch nie ihr Ding gewesen. Aber das hier war ihre Familie…
Sie erhob sich schließlich. „In Anbetracht der Tatsache des köstlichen Festmahls das Lydia und ihr kleiner Hofstaat heute an diesem besonderen Tag gezaubert haben und mit Rücksicht auf die brummenden Mägen, die sich nach Äpfeln in Sahne sehnen mache ich es kurz: Ich war einige Jahre in der Fremde, habe Städte von so unvorstellbarer Größe gesehen, Paläste, alt und prächtig, Winter erlebt in denen es nie wirklich kalt werden wollte… aber egal, was ich erlebt habe, nichts ist vergleichbar mit Brügge, nirgendwo fühlt man sich so zu Hause, kein königliches Festmahl, egal wie opulent, käme annähernd an das heran, was wir hier haben, keine Sprache, egal wie alt und klangvoll, klingt so wohl und melodisch in den Ohren wie unser Flandrisch. Ich bin froh wieder hier zu sein. Auf uns, die van de Burse und alle, die dazu gehören, auf Brügge und auf Flandern.“ Sie hob das Glas.
Die Gläser begannen zu klingen und einer nach dem anderen stimmte ein "Hört, Hört und Auf Flandern!" Das Festmahl begann.
Das Essen war herausragend. Würdig eines Fürsten oder gar Königs, allerdings wusste Alida das dies vor allem auf die Fähigkeiten von Lydia zurückzuführen war. Die Zutaten waren bis auf wenige Ausnahmen weder besonders fremd noch exklusiv. Viele lokale Speisen, herzhaft zubereitet und nur selten gaben verschiedenste Exotika die die Schiffe der van de Burses aus der Welt heimbrachten einen besonderen unbekannten Kick und wenn war es immer etwas Besonderes. Es gab erstes frisches Gemüse in Bratensaft, einen honigglasierten Schweinbraten in Minzsoße, geröstete ganze Zwiebeln gefüllt mit Nüssen und trockene Pflaumen, Hühner in verschiedenen Soßen, Äpfel in Sahne und so vieles mehr. Auch ein paar Stücke kurz angebratenes Rebhuhn in einer Rotweinsoße wurde schließlich mit etwas Verzögerung aufgetischt. Eine ganze Reihe van de Burses war heute Nacht zum Anwesen gekommen. Nicht nur Mitglieder der Familien, die im Haus lebten, sondern auch Cousinen und Tanten die ihn unterschiedliche Familien eingeheiratet hatten. Selbst ein alte Verwandte aus Deutschland, die Alida seit 30 Jahren nicht mehr gesehen hatte war zum Fest gekommen. Alyssa saß in einer Ecke, zwischen Verwandten, die streng genommen kaum noch zu den van de Burses gehörten und betrieb höfliche aber distanzierte Konversation. Es schien als würde sie sich von etwas ablenken wollen und Alida war auch klar von was. Schließlich kam eine leicht angesäuselte, entfernte Cousine zu ihr. Der Wein schien ihr schon zu Kopf gestiegen zu sein. „Alida!“ Sie hatte einen kleinen Schluckauf und zog sie gleichzeitig in die Arme. Sie hatten sich nie wirklich nah gestanden und Alida konnte sich nur mit Mühe an den Namen erinnern. Mildred? „Alida.“ Sie hickste. „Hast du Balduin irgendwo gesehen? Ich habe ihn schon so lange nicht mehr gesehen. Wo ist er denn?“

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Alida spürte das dumpfe ungute Gefühl, das sich in ihrem Rücken ausbreitete. Erinnerungen an lang zurück liegende Fehler, die sie nicht mehr hatte gut machen können. Sie erinnerte sich an seine Worte zur Familie van de Burse vor nunmehr fast 8 Jahren. „Ich weiß Namen sind wichtig ebenso wie Blut und Familienbande. Das ist schließlich auch ein Grund warum wir zurückgekommen sind. Aber wir werden unser eigenes Schicksal in die Hand nehmen - unsere eigene kleine Familie gründen.“ Er war kein häufiger Gast gewesen und wenn er sich tatsächlich ab und an mal in das Familienanwesen begeben hatte dann hatte er es tunlichst vermieden ihr über den Weg zu laufen. Sie wusste, dass es der Familie nicht so gut ging wie es sich Balduin als er herkam erhofft hatte, aber ihre angebotene Hilfe hatte er nie angenommen. Das Gespräch über diesen Teil der Familie war auch der Auslöser gewesen wegen dem sich Leif und Alida zerstritten hatten… Was immer Balduin trieb, sie hatte keine Ahnung davon. Sie unterdrückte ein Seufzen und lächelte der Verwandten freundlich zu.
„Ich weiß nicht, wo Balduin ist. Du könntest aber Alyssa fragen. Sie weiß es sicher.“ Sie drehte die angeheiterte Frau sanft an den Schultern um die eigene Achse und schob sie in Richtung Alyssa.
Marlene schien auch bald zu merken, dass Alida nicht wohl war und eilte zu ihrer Rettung. „Cousine Mildred!“ Sie zog sie in eine Umarmung. „Balduin?“ Ja da sollten wir in der Tat Alyssa fragen. Mit einigen Schritten waren die beiden Frauen auch schon aus Alidas direkter Näher verschwunden. Alida erinnerte sich. Frederik hatte erwähnt, dass Marlene ein gewisses Talent hatte mit Anmut und in gebotener Höflichkeit ihre diplomatischen Fähigkeiten auszuspielen. Schließlich sah sie Jean auf sich zukommen. Er lächelt. „Ein wahrlich schöner Abend, Alida. Es ist schön, dass du wieder da bist.“ Er umarmte sie noch einmal. „Das Essen ist ebenso vorzüglich wie immer. Ich werde mir wohl bald meine Schichten so legen lassen müssen, dass ich diese Feierlichkeiten verpasse. Sonst werde ich noch fett bevor ich alt bin.“ Er klopfte sich zwei Mal kurz auf den Bauch. „Aber nun gut. Wir werden mit Henrik noch ein wenig über den Mitternachtsmarkt gehen, bevor wir ihn ins Bett stecken. Es ist Zeit.“ Jean lächelte, er hatte fast das Gleiche Lächeln wie sein Verwandter Lucien aber es war doch ein wenig unterschiedlich und Alida konnte sich inzwischen auch denken warum. Jean hatte nie die Härten und Grausamkeiten seines Vorfahren erleben müssen, was bedeute, dass sein Lächeln ohne Bitterkeit und Sarkasmus auskam. Er war ein liebender Ehemann, den besten den sie sich für Marlene hätte wünschen können. „Also Alida.“ Er holte sie aus ihren Gedanken. „Gehst du auch noch zum Markt? Ich bin sicher du willst ein paar andere...äh... Verwandte auch noch sehen wie Gerrit und Lucien.“
Alida nickte fröhlich. „Oh ja. Ihr habt mich ja vor ein paar Monaten abgeholt. Lucien erinnert einen immer wieder an die wichtigen Dinge im… äh… Leben. Wer weiß, wann ich wohl sonst nach Hause gekommen wäre. Danke, dass du heute auch dabei warst. Ich bin sehr gespannt auf den Markt. Hoffentlich brennt uns nicht die ganze Stadt ab bei der Menge an Kerzen, die man entzünden muss, damit die Käufer noch ihre Waren finden.“ Sie lachte, klopfte aber vorsorglich auf die hölzerne Tischkante.
Jean und Marlene verabschiedeten sich schließlich, immerhin war Marlene schwanger und früher oder später würde sie etwas Ruhe benötigen. Endlich könnte sich Alida vielleicht im Stillen denken. Es hatte immerhin lange genug gedauert. Jetzt blieb Alida nur noch eins zu tun. Auf die Straße zu gehen, der Markt wartete auf sie, denn sie sah wie die Gäste nach und nach, inklusive der Diener nachdem sie aufgeräumt hatten das Anwesen verließen.
Sie trat noch einmal als es etwas ruhiger geworden war zu Marlene. Sie wusste, Marlene konnte die Betroffenheit in ihren Zügen erkennen. „Und? Wie geht es Balduin?“
Marlene war müde, dass konnte Alida ihr Ansehen aber sie lächelte noch immer. "Balduin?" Sie klang kurz überrascht. Es war immerhin kein Thema über das sie oft sprachen. Aber Marlene lächelte beruhigend bei der Antwort. „Ihm geht es eigentlich ziemlich gut. Er hat eine Krankenstation, quasi einen Ableger unseres Hospitals in Zeerbrügge gegründet und bildet von Jahr zu Jahr neue Heiler aus. Er hat ein paar graue Haare bekommen, dafür aber aufgehört zu trinken oder sonstige Ablenkungen wie Huren oder Glücksspiel zu suchen.“ Marlene lächelte, auch weil sie wusste, dass sie offen miteinander reden konnten. „Er kommt eigentlich immer zu Festivitäten ins Anwesen, es hat mich auch gewundert warum er heute nicht hier war, aber ich denke es liegt daran, dass du zurückgekehrt bist. Ich fürchte er war unsicher was ihn erwartet, Alida.“
Alida sah sich unschlüssig im Raum um. Sie holte tief Luft. „Nun ja. Wie auch immer. Es freut mich zu höre, dass es ihm gut geht.“ Sie wechselte das Thema, und Marlene wusste, dass ihr die Angelegenheit nicht behagte. „Vielleicht laufen wir uns ja später auf dem Markt noch über den Weg. Passt auf euch auf.“ Sie drückte die junge Frau kurz fest an sich. Dann wandte sie sich den letzten Gästen zu.
Inzwischen waren fast alle unterwegs. Auch die älteren und weiter entfernt verwandten Gäste. Die Messe würde bald starten und die wenigsten wollten diese verpassen.
Alida dachte kurz sie wäre inzwischen alleine im Anwesen, hörte aber kurz darauf noch ein paar Schritte und gab sich zu erkennen. Es war Alyssa. Durch beide Frauen schien eine Art Schock zu gehen, so als hätte sie sich lieber nicht gesehen. Schließlich brach Alyssa die Stille aber recht schnell. "Alida?" Sie fragte vorsichtig. "Willst du auch zur Messe gehen?" Ihre Stimme schien fast hoffungsvoll aber eher so als würde sie sich wünschen Alida würde 'Nein' sagen.

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Alida überlegte kurz wie sie die Situation noch retten konnte. „Ich dachte mir, ich werde mal nachschauen gehen, ob ich Frederik unterstützen kann. Wäre ja schade, wenn er den ganzen Spaß verpasst, nicht wahr? Und davor möchte ich ein wenig über den Markt schlendern. Ich bin gespannt, wen man so alles um Mitternacht antreffen mag. Wie steht’s mit dir?“
Alyssa schluckte. Danach nickte sie nur. Sie trug einen feinen Mantel um sich vor der Kälte zu schützen. Dann sprach sie schließlich. "Dann lass uns gehen. Die Messe beginnt bald. Wir könne uns gut am Marktplatz trennen."
Alida griff ebenfalls zu ihrem Mantel. „Wenn du noch etwas Wichtiges vorhast musst du mich nicht begleiten. Die Nacht ist hell und ich hab ja Cato. Ich glaub fast, ich wird immer noch zum Marktplatz finden, auch wenn ich schon lange nicht mehr da war.“ Sie grinste aufmunternd
Alyssa schüttelte nur kurz den ihr Haupt. "Ich will wirklich zur Messe. Deshalb muss ich jetzt los. Aber wenn du noch hierbleiben willst versteh ich das natürlich. Obwohl ein Stück zusammen gehen wird uns schon nicht umbringen oder?" Alyssa lächelte aufmunternd auch wenn ihr der Satz ein wenig Kraft zu kosten schien.
Alida sah es ebenso und schloss sich der braunhaarigen Frau an. Kurz pfiff sie nach Cato. Auch wenn sie ihn nirgendwo hören konnte wusste sie doch, dass er bald zur Stelle sein würde. Vielleicht zankte er sich auch mit dem Ungeheuer Dragi um ein Huhn. Sie unterdrückte ein Lächeln bei dem Gedanken.
Nach einiger Zeit, als es etwas ruhiger geworden war um sie herum sah sie Alyssa direkt an. „Alyssa? Wie ist es dir denn in den fünf Jahren so ergangen? Du hast in deinen Briefen nie viel Privates berichtet. Hast du dich zu sehr mit Frederik, Georg, Christian und Marlene rumschlagen müssen, oder war es auszuhalten? Vor allem Georg kann mitunter ausgesprochen stur sein.“
Der Weg zur Messe war kurz, aber es gab genügend Gelegenheiten für ein Gespräch. Wie dieses hier. Alyssa schien wie bereits zuvor Kraft zu sammeln und blickte dann Alida an. „Danke für die Nachfrage:“ Sie machte eine kurze Pause, schien ihre Gedanken erneut zu sammeln. „Alles ist gut und besser als es sonst vielleicht je sein könnte. Ich kann...“ Sie stockte. „Ich komme manchmal eben trotzdem nicht umhin ihn zu beobachten. Er ist... er ist immerhin mein Sohn, insbesondere wenn er mir so oft vor die Füße läuft “ Leise Tränen liefen an den Wangen der Frau hinab. Marlene, Georg, Frederik und Christian ließ sie ganz aus ihrer Antwort und irgendwann knurrte ein großer Hund.
Alida kaute betroffen auf ihrer Unterlippe. „Und es ist schwer für sich, weil du ihn so oft sehen musst?“
Alyssa schaffte es zu ihrem geschäftsmäßigen Ton zurück und antworte schnell. "Nein." Dann fügte sie noch etwas hinzu. "Ich weiß es...es so ist wie es ist und ich weiß auch das es ihm so besser geht. Eine liebende, stabile Familie." Sie lächelte kurz. "Alida ich muss mich jetzt verabschieden. Die Messe wartet nicht. Bis... bis später-" Ein letztes Lächeln dann war Alida auf dem Marktplatz mit wenigen anderen Individuen um sich herum.
Alida hielt sie am Arm fest bevor sie sich entfernen konnte. „Alyssa? Wenn du an den gegebenen Umständen etwas ändern willst? Du hast genug Möglichkeiten dazu. Und wenn du mit ihm Zeit verbringen willst: Kein Mensch würd’s dir verübeln. Und irgendwann wird er alt genug sein um verstehen wer seine Mutter ist. Oft genug danach fragen tut er laut Marlene. Und was dann geschieht liegt in eurer Hand.“
Alida sah Tränen in den Augen von Alyssa. "Ich weiß." Sie presste die zwei Wörter unter einem Schluchzen hervor. Sie fuhr erst fort als sie sich wieder unter Kontrolle hatte "Aber wir wissen beide auch, dass es hier nicht um mich geht, sondern um ihn." Sie lächelte. "Deswegen ist alles fein, solange es dem Kleinen gut geht." Alyssa lächelte wieder und wollte diesen Ort verlassen, so viel war offensichtlich.
Alida seufzte, blieb stehen und sah der braunhaarigen Frau hinterher als sie fort eilte. Sie schüttelte den Kopf. Tief in sich spürte sie ein Gefühl wie einen schweren Stein, den sie nicht loswerden konnte, den sie mit sich herumtragen musste. Ein wenig wünschte sie sich in diesem Moment das leise Plätschern der mediterranen Wellen zurück, das Gefühl einer Hand, die ihr beruhigend über den Rücken strich, den Geruch von Pinienharz und Orangenblüten. Aber jetzt war sie wieder hier: mit neuen und alten Problemen
Alida und Alyssa trennten sich zum bestmöglichen Zeitpunkt. Die Tzimisce war nun irgendwie ein bisschen im Mittelpunkt des Geschehens, konnte aber im Moment nirgendwo anders mehr hin. Der Abend war für Alida bereits recht lang gewesen und im Moment war sie nicht auf der Suche nach irgendetwas Außergewöhnlichem. Schließlich, auf dem Weg zu ihrem eigenen Stand und Frederik traf sie schließlich mit einem Mann zusammen der sie sofort erkannte. Es war Leif Thorson. Der Ausdruck seiner Überraschung war ihrer gleich.
Sie nickte ihm kurz zu. Eine Geste, die man einem flüchtig Bekannten gegenüber verwendete, oder einem Nachbarn, der am anderen Ende der Straße wohnte, den man aber eigentlich nicht kannte. Ihre Stimme war fest und klang beiläufig. „Guten Abend.“ Dann ging sie weiter, betrachtete kurz die Waren in der Auslage zu ihrer linken: handgestrickte einfarbig graue Socken für Arbeiter und Bauersleute.
"Ein Zufall das wir uns heute Nacht treffen oder?" Leif klang erst fröhlich. Aber der Ton veränderte sich bald. In einen traurigen Singsang. Oder war es vielleicht doch nur ein unvorhergesehener Zufall, dass du zurückgekommen bist Alida?“

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Alida zauberte ein entzückendes Lächeln auf ihre Lippen, das jedoch nicht die Augen erreichte. „Es ist wirklich schön dich hier zu treffen, aber ich hoffe, du verzeihst? Die Messe fängt bald an und da sollte ich anwesend sein. Wir kommen bestimmt zu einem anderen Zeitpunkt irgendwann mal zum Plaudern.“ Wieder nickte sie Leif zu. Diesmal zum Abschied. Sie schritt weiter gen Marktplatz.
Leif lächelte ein wenig weiter, rannte dann aber Alida hinterher und flüsterte ihr ins Ohr. "Die Messe findet in entgegengesetzter Richtung statt. Der Weg den du gerade wegen mir meiden wolltest..."
Alida deutete zu einer runzligen alten Frau die Äpfel anbot, die sie wohl mehrere Winter über in ihrem Keller gelagert hatte und die sie unbedingt loswerden musste, da man sie sonst wegen dem Gestank aus der Wohnung verweisen würde. „Oh, ich dachte mir nur, ich sollte noch etwas Obst mitnehmen. Unsere Ernte vom letzten Jahr fiel nicht so reich aus.“ Sie suchte sich aus dem Stapel ein paar aus, die nicht gar zu madig oder verschimmelt aussahen und drückte der alten Vettel ohne langes Verhandeln eine Münze in die Hand bei der sie wohl bei einem anderen Händler die dreifache Menge erntefrische Ware erhalten hätte. Dann hastete sie in die andere Richtung davon.

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Der Weg zum Ziel beginnt an dem Tag, an dem du die hundertprozentige Verantwortung für dein Tun übernimms.
Dante Alighieri


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 Betreff des Beitrags: Re: Eine Heimkehr (Alida)
BeitragVerfasst: So 22. Nov 2015, 21:25 
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Leif rief ihr schließlich noch etwas Kryptisches hinterher. „Kauf lieber noch ein paar mehr Äpfel, Alida. Letztes Mal schienen sie zu schnell ausgegangen zu sein.“ Dann war er auch schon in einer Seitenstraße verschwunden. Die Tzimisce war nach dem Zwischenfall ein bisschen vom Weg abgekommen und befand sich in einer Straße, die sie nicht kannte. Sie wusste zwar wo in Brügge sie sich befand, aber sie schlussfolgerte, dass diese eine neu angelegte Straße sein musste. Die Meisten der sauberen, dicht an dicht gedrängten Gebäude waren geschlossen und nur hier und dort war das Licht einer Kerze hinter verschlossenen Fenstern zu sehen, aber im Grunde gab es hier nichts zu sehen. Alida war sich aber auch sicher, dass die nächste Querstraße sie wieder zum Markt zurückbringen würde.
Sie hörte ihn bevor sie ihn sah. Ein dreckiger Jüngling tauchte plötzlich wie aus dem nichts vor ihr auf und hielt ihr, mehr schlecht als Recht ein Messer entgegen. Er sprach gehetzt und mit einer Stimme die gerade tiefer, die eines Mannes wurde. „Gib mir deine Geldbörse. Los keine Mätzchen, Weib.“
Alida wog ihre Chancen ab. Sie wusste haargenau, dass diese nicht schlecht standen. Sie hatte genug von Lucien gelernt um mit dem jungen Mann wahrscheinlich recht leichtes Spiel zu haben. Außerdem war bereits nach wenigen Sekunden das Ungetüm von einem Hund neben ihr. Cato knurrte bedrohlich, zeigte die messerscharfen Zähne.
Alida rief das Tier mit einem Fauchen zurück. Sie trat einen Schritt nach hinten um mehr Abstand zwischen sich und den Jungen zu bringen damit sie ihr Schwert wenn nötig ziehen konnte. „Hör zu, Junge. Ich beabsichtige nicht, dir meine Geldbörse zu geben. Wenn du einfach abziehst können wir das was eben vorgefallen ist vergessen. Ich bin nicht schlecht mit dem Einhänder und außerdem bin ich nicht allein, wie du siehst.“ Sie deutete auf Cato.
Der Junge schien sich zu verschlucken und begann ohne ein weiteres Wort zu rennen, als er Catos enorme Größe sah. Ihre Worte schienen noch einen weiteren Teil zu seiner Entscheidung beigetragen zu haben. Er war so schnell verschwunden wie er gekommen war.
Alida seufzte erleichtert. Sie war froh, dass es nicht zu einem Handgemenge gekommen war. In Gedanken fragte sie sich, wie wohl Lucien in einer solchen Situation gehandelt hätte? Oder Leif? Liliana, das vermutete sie mal, hätte wahrscheinlich sofort ihre Geldbörse gezückt und dem armen Jungen einen ordentlichen Betrag zugesteckt. Wahrscheinlich mit der Bemerkung, dass er sich nächste Woche noch mehr bei ihr abholen konnte. Nun ja… so nächstenlieb war sie dann wahrscheinlich doch nicht. Alida setzte ihren Weg fort und strich dem Hund dankbar über den Kopf.
Cato nahm ihre Berührung dankbar entgegen und leckte über ihre Hand. Man konnte fast denken, der enorme Hund hatte den Strauchdieb eigentlich gar nicht als wirkliche Gefahr angesehen, denn das große Tier trottete zufrieden neben seiner Herrin her. Sie dachte kurz über den Dieb nach. Früher gab es einmal eine Diebesgilde in der Stadt, aber von allem was sie gehört hatte konnte sie sich zusammenreimen, dass Leif, Gerrit und Lucien diese nach dem Krieg aufgelöst hatten. Von allem was sie im Moment wusste war, dass die Unterwelt der Stadt in viele kleine Banden zerbrochen war, die sich um Einfluss und Beute bekriegten. Der Reichtum der wieder unaufhörlich in die Stadt floss zog eine ganze Menge an Gesindel an und wenn man eine Bande aushob, schienen einen Monat später dafür drei neue zu existieren. Frederik schien diese Entwicklung aber im Blick gehabt zu haben und hatte mehr Wachpersonal eingestellt, was glücklicherweise half sich das Gesindel vom Hals zu halten.
Ihr Gefühl hatte sie nicht getäuscht. Auf der rechten Seite konnte sie schon die Lichter des Marktplatzes sehen und langsam aber sicher strömten die Leute von der Messe zu den Ständen. Der Priester hatte diese wohl, vielleicht auch auf Betreiben der Händler, dankbar kurz gehalten. Sie war innerhalb weniger Schritte wieder unter Menschen. Es gab mehr oder weniger drei Bereiche in die der Marktplatz aufgeteilt war. Im vorderen, größten Teil wurden lokale Handwerkserzeugnisse und Rohstoffe gehandelt. Auf der linken Seite Nahrungsmittel und Getränk wie Bier und sauberes Wasser. Auf der rechten Seite hingegen wurden eher teurere und importierte Güter, wie Waffen, Gewürze, Schmuck und andere Luxusartikeln angepriesen. Die Stimmung auf dem Markt war gelöst und betriebsam. Wer Waren hatte wollte diese verkaufen, wer Geld hatte dieses ausgeben. Überall um sie herum wurde gefeilscht und gelacht, geflucht und Waren angepriesen. Die Stimmung war anders als auf einem Volksfest, stellte Alida fest. Sie war zwar ohne Zweifel gut aber die Leute kamen eben nicht nur hierher um zu feiern. Ganz im Gegenteil sie waren hier um zu arbeiten, um Geld zu verdienen oder welches zu sparen. Eine Sprache die die blonde Händlerin wie eine zweite Muttersprache verstand. Aber eins wurde bei diesem im Licht der Fackeln eingerahmten Marktständen einmal mehr klar – Brügge war kein vergessener Weiler im Norden Europas mehr. Es war inzwischen eine wahre Metropole.
Sie ging durch die Reihen der Stände, behielt nach dem versuchten Überfall ihr Geld besonders nah am Körper und verschaffte sich einen groben Überblick. Sie hielt nach bekannten Händlern Ausschau, fragte sich, wer wohl die vor ihr ausgelegten Waren importiert hatte, ob das ein oder andere Produkt der Gegend wohl gute Exportware abgeben würde. Das Thema der unkoordinierten Diebesbanden würde sie beim nächsten Ratstreffen ansprechen. Weder Lucien, noch Leif oder Gerrit wären bereit auf die Einnahmen aus den Diebesgilden zu verzichten. Dann wurde es auch an der Zeit, dass wenn man Verbrechen schon nicht komplett auslöschen könnte, man wenigstens versuchen musste es einzudämmen. Sie versuchte die Gedanken zu vertreiben. Bis zum nächsten Treffen würde sie eh nichts dran ändern können. Dann hielt sie nach den Ständen ihrer eigenen Leute Ausschau.

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Alida kannte die meisten Waren die hier gehandelt wurden in- und auswendig. Starkes, noch nach Harz duftendes Holz, Getreide welches auf den schweren, dunklen Böden der trocken gelegten Sümpfe besonders gut gedieh, geräucherte und gepökelte Fische und so vieles mehr. Aber es waren nicht die lokalen Ressourcen die die Stadt reich machte, es waren ehr die Fähigkeit der Menschen hier zu verstehen wer genau was zu einem bestimmten Zeitpunkt brauchte und bereit war gutes Geld dafür auszugeben. Ihre Familie hatte das von allen Einwohnern Brügges vielleicht sogar am besten verinnerlicht und darauf nicht nur ihr Vermögen sondern auch eine Philosophie aufgebaut. Alida schlenderte weiter über den Marktplatz, sie erkannte ein paar der Händler. Es waren entweder alte Kollegen oder deren Kinder, die versuchten die Waren an den Mann oder die Frau zu bringen. Es gab auch einige neue Gesichter, die wohl die Plätze getöteter und weggezogener eingenommen hatten sowie einige Individuen die sie eigentlich gar nicht mit Handel assoziierte. Brunhild war eine solche, die von einem kleinen aber feinen Aufbau allerlei im Licht der Fackeln glitzernde Waffen und geschmiedete Klingen verkaufte. Ein paar Stände weiter fand sie schließlich, wen sie suchte. Da war Frederik, direkt vor der größten Auswahl an Waren die sie bei einem Händler bis jetzt gesehen hatte. Er war gerade dabei mit Alyssa über einer Pergamentrolle zu diskutierten und sah sie gar nicht kommen.
Alida ließ einen kurzen Blick über den Stand wandern. In diesem Bereich des Marktes wurden lokale Handwerkserzeugnisse und Rohstoffe gehandelt. Die Familie van de Burse unterhielt selbst keine Manufakturen sondern kaufte dort wo sie gute Ware zu einem angemessen Preis erstehen konnte. Folglich erkannte man hier Salz aus den holsteinischen Salinen, Rohmetall aus Skandinavien und Schottland, Schafsfliese und Berge von Saatgut für Pflanzen, die erst im späteren Sommer gedeihen würden und die man bald aussähen konnte. Ein Angestellter des Handelshauses, Tudo, wenn sie sich richtig erinnerte, übernahm gemeinsam mit seiner Frau den eigentlichen Verkauf. Er war gerade dabei einem Kunden die nötige Bodenbeschaffenheit für Wirsing zu erklären. Sie ließ ihre Hand durch Weizenkörner, Hirse, Flachs, Erbsen und Leinsamen fahren bevor sie näher an Alyssa und Frederik herantrat.
Alida hörte die Stimmen der beiden die sich recht leise unterhielten. "...außerdem hast du hast 20 anstelle von 2 Rebhühner für das Festmahl bestellt. Ich weiß du hast viel zu tun, aber diese kleinen Fehler häufen sich. Delegier solche Aufgaben doch anstelle alles selber zu machen. Wir alle wissen du hast wichtigere Dinge zu tun als Geflügel Frederik." Alyssa untermalte ihre Erklärung mit Gesten auf die entsprechenden Tabellen und Zahlen. "Ich mache mich wieder auf den Weg. Ich will noch in den Lagerhäusern vorbeischauen." Sie packte ihre Sachen und sah Alida nicht einmal als sie schon wieder in der Menschenmenge verschwand. "Frederik bemerkte sie aber plötzlich. Alida!" Er strahlte. "Schön, dass du hier bist. Wie war das Essen? Gefällt dir was du siehst?" Er hob beide Arme so als würde er den ganzen Markt umarmen wollen.
Sie grüßte in Richtung der braunhaarigen Frau. „Bis später, Alyssa.“ Dann strahlte sie Frederik freudig an und schloss ihn kurz fest in die Arme. „Es tut gut, wieder daheim zu sein. Hab ich das schon mal gesagt?“ Sie grinste. „Wohl jeden Tag so an die 30 Mal, ich weiß.“ Sie nickte anerkennend in Richtung der Auslage. „Das Essen war großartig, aber wir haben ja leider eh nicht soviel davon, wie wir gerne hätten. Aber der Geruch…“ Sie seufzte bei der Erinnerung. „Der Stand sieht großartig aus. Ihr wart sehr fleißig.“ Sie grinste. Dann wurde ihr Gesicht wieder ernst. „Alles in Ordnung bei dir?“
Alyssa war aufgeschreckt von der weiblichen Stimme und drehte sich noch einmal um. "Oh Hallo Alida." Sie lächelte schwach. "Ich bin auf dem Sprung" Dann war sie endgültig verschwunden. Frederik schien nach Alidas Umarmung und Beschreibung des Mahls kurz in Erinnerung zu schwelgen. "Ja, ja Äpfel mit Sahne. Was würde ich nicht..." Dann schüttelte er kurz den Kopf. "Aber gut. Mir geht es gut, hier läuft alles wie am Schnürchen. Aber ich bin auch froh, dass du wieder da bist. Die letzten Jahre waren anstrengend." Er deutete Alida an mit ihm zu gehen und ging in Richtung eines kleinen Lagers. Mit einem großen Schlüssel öffnete er das Tor und schloss die Tür auch wieder hinter sich nachdem sie eingetreten waren. Es roch erdig, angenehm nach Getreide. "Weißt du, es gab immer so viel zu tun. Das Handelshaus ist eine Menge Arbeit alleine schon, dann kommen noch die ganzen Sitzungen im großen und kleinen Rat hinzu, andere kainitische Anlässe und so weiter. Ach ja und all der andere Spaß wie Hochzeiten von irgendwelchen Cousinen die man kaum kennt." Er sagte das Wort ‚Hochzeit‘ mit ein wenig Widerwillen und Abscheu. "Wusstest du eigentlich wie viel Arbeit in so einer verdammten Hochzeit steckt?" Er lächelte auch wenn Alida wusste das er es auf spielerische Art und Weise ernst meinte. "Wie hast du das nur geschafft all die Jahre?"
Sie klopfte ihm auf die Schulter. „Indem ich mich um solche wichtigen Sachen wie Hochzeiten und so weiter nicht gekümmert habe.“ Sie grinste. „Es gibt so viele willige Tanten und stolze Väter, die sich darum reißen, so etwas zu erledigen. Und wir haben gute Leute in der Familie, auf die man sich verlassen kann: Georg, deinen Vater Christian, Marlene, Alyssa und jede Menge fähige Arbeiter, die gern und tatkräftig für uns arbeiten: Lydia, Andors um nur einige zu nennen. Aber ich weiß genau, was du meinst: man hat oft das Gefühl, die Arbeit wachse einem über den Kopf. Alyssa nimmt ihre Arbeit im Moment, so scheint mir, auch ganz besonders ernst.“ Sie warf ihm einen zweideutigen Blick zu.
Dann blieb die blonde Frau kurz stehen und sah ihn an. „Frederik? Leif hat mir einen Brief nach Genua schicken lassen in dem er andeutet du hättest ihm Schläger auf den Hals gehetzt. Er deutet seltsame Dinge an, von denen ich keine Ahnung hab, was er eigentlich will. Prinzipiell kann’s mir auch gleich sein. Ich hwüsst nur gern: Hast du da irgendwas mit zu tun?“
Frederik hatte ebenfalls inne gehalten und überlegte einen Moment. Er sah sie zweifeln an. „Nein. Ich hab sowas ganz sicher nicht in Auftrag gegeben. Ich habe keine Probleme mit dem Heiler und er ist ein wichtiges Mitglied im kleinen Rat und ein unverzichtbarer Heiler.“
Alida nickte. „Ich hab nichts anderes erwartet.“
Dann folgte sie ihm wieder
"Alyssa war in der Tat eine unverzichtbare Hilfe. Sie hat sich nach der Geburt von Henrik eben mit Arbeit abgelenkt und das kommt uns nur zu gute." Er lächelte kurz. "Ich glaube sie hat dieses neue System in der Buchhaltung nur entwickelt um mir und jedem anderen nachweisen zu können wo sie Fehler machen." Er lächelte. "Aber Spaß beiseite. Hast du dir überlegt was mit ihr geschehen soll? Sie könnte für eine Weile nach Italien gehen. Oder Norwegen. Fähige Leute werden dort immer gebraucht und vielleicht verhindern wir so auch, dass es noch zu Konflikten wegen Henrik kommt." Er schaute sie nachdenklich an.
Alida seufzte. „Das geht nicht. Auch wenn es mit Sicherheit eine gute Idee wäre. Sie wäre auf jeden Fall in der Lage ein Kontor zu lenken und die Konflikte… Ich hätte nicht gedacht, dass sie es sich so zu Herzen nehmen würde. Sie wollte das Kind nicht, hat sich nur von mir überreden lassen, weil sie meine Einstellung dazu kennt. Ich musste ihr versprechen, dass ich sie weiterhin im Ghulstatus lassen würde. Wenn sie woanders selbstständig arbeitet, was ihr mit Sicherheit gut täte, dann würde ich das Versprechen brechen. Ich hatte eigentlich gedacht, sie wäre mittlerweile mit Michel oder meinetwegen einem französischen Ritter oder irgendeinem fähigen Händler verheiratet, hätte mit dem drei Kinder und wäre abgelenkt…“
Frederik überlegte und rieb sich kurz die Schläfen.

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"Ich dachte das auch, aber ihr ganzes Benehmen wurde ganz plötzlich wieder normal. Als Henrik schließlich geboren war und zu Jean und Marlene ging war sie nichts mehr von der verrückten Alyssa da. Seitdem hat sie auch keinen Mann mehr angesehen und arbeitet mindestens für drei Angestellte.“ Frederik ließ sich kurz auf einem Holzbalken nieder und kramte in seiner Tasche. „Sie hat mir das hier vor einiger Zeit gegeben.“ Er holte zwei kleine bemalte Holzritter hervor. Sie waren alt und verblichen Alida erinnerte sich dunkel, dass diese Alyssas Spielzeug waren als sie noch ein Kind war. „Sie wollte Henrik diese schenken, hat sie dann aber mir gegeben. Sie meinte ich sollte als Oberhaupt der Familie entscheiden ob das eine gute Idee ist oder nicht.“ Er drückte er schließlich die beiden Figuren in die Hand. „Das habe ich bis jetzt aber nicht gemacht uns da du nun wieder da bist...denke ich solltest du das entscheiden:“ Er hob entschuldigend die schultern. „Weißt du Alida ich denke in Alyssa regen sich ein paar Muttergefühle. Sie mag es nie kommen gesehen haben, aber den Jungen so oft zu sehen...Bei Festen und in der Stadt, hat vielleicht etwas in ihr ausgelöst. Was denkst du denn?“

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Alida spürte den schweren Kloß in ihrer Kehle als sie die Holzfiguren an sich nahm. Sie schloss für einen Moment die Augen. „Alyssa ist die Mutter von Hendrik. Wenn sie ihn als ihren Sohn annehmen möchte, dann gibt es so viele Wege, die ihr offen stehen. Genug Wege, die keinen traumatisieren müssen. Alyssa muss selbst wissen, was sie will. Wir können ihr dabei nur helfen, aber den eigentlichen Schritt muss sie selbst tun.“ Sie blickte ihn lange an. „Frederik? Das ist nicht unsere Entscheidung sondern ihre.“

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 Betreff des Beitrags: Re: Eine Heimkehr (Alida)
BeitragVerfasst: Do 26. Nov 2015, 13:44 
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Frederik nickte. „Das habe ich ihr am Anfang auch gedacht, aber sie meinte das sie ihre zweite Chance nicht einfach so mit einem erneuten Alleingang in Gefahr bringen würde und deshalb lieber alles mit dem Kopf der Familie abspricht um vorher sicher zu stellen, dass niemand etwas dagegen hat oder Anstoß daran nimmt. Ich glaube nicht einmal, dass sie ihn einfach so zu sich nehmen will, vielleicht will sie nur eine wenig engere Bindung? Aber das spielt nicht einmal die größte Rolle, denn in einer Sache glaube ich liegst du falsch Alida. Genauso wie ich zu Beginn falsch damit lag. Immerhin ist der Junge jetzt der Sohn von Jean und Marlene und sie haben ihn in all den Jahren großgezogen wie ein eigenes Kind. Die beiden sind technisch eigentlich mehr seine Eltern als Alyssa, was ihnen ein gewisses Mitsprachrecht gibt. Und um den Gedanken abzuschließen gibt es nicht einmal einen Vater, der ihr helfen könnte mit Henriks ‚speziellem‘ Wesen klar zukommen. Daher denke ich, dass diese eine Entscheidung ist die wir als Familie werden treffen müssen falls es soweit kommen sollte. Es geht einfach um mehr als einen verlorene Mutter-Sohn Beziehung.“ Frederik wirkte nachdenklich und sehr froh wieder in der Lage zu sein solche Probleme mit Alida zu erörtern und nicht mehr alles alleine entscheiden zu müssen.

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 Betreff des Beitrags: Re: Eine Heimkehr (Alida)
BeitragVerfasst: Do 26. Nov 2015, 17:11 
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Alida schwieg einige Sekunden, dann schüttelte sie langsam den Kopf. „Deine Gedanken sind absolut richtig und vollkommen berechtigt. Aber können nur verlieren wenn wir unsere Ansichten durchsetzen. Ich habe es einmal getan als es um das Leben des Kindes ging…“ Sie schwieg, sah sich kurz unschlüssig im Raum um, dann zu ihrem Großneffen. „Wenn sich Alyssa unschlüssig ist, sollte sie mit Marlene und Jean reden. Sie kennen den Jungen besser als irgendjemand sonst. Als Teil der Familie ist Alyssa in der Lage so viel Kontakt zu ihm zu haben wie sie sich wünscht… Sie kann jederzeit mit dir und mir reden und wir werden ihr zuhören. Aber ihre Entscheidung können wir ihr nicht abnehmen. Frederik? Wir tun niemandem einen Gefallen wenn wir es tun. Und wer sagt, dass das was wir für richtig halten sich zu guter Letzt als das Richtige erweist?“ Wieder folgte das Kopfschütteln.
Dann lächelt sie aufmunternd. „Was gibt es sonst wichtiges Neues abseits von Handel und Wandel?“

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 Betreff des Beitrags: Re: Eine Heimkehr (Alida)
BeitragVerfasst: Fr 27. Nov 2015, 22:11 
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Frederik diskutierte mit Alida auch nicht weiter über das Thema Henrik. Er nickte lediglich und signalisierte damit seine Zustimmung zu Alidas Gedanken. Dann antwortete er auf die noch ausstehende Frage. "Ach du weißt doch dies und das." Er ging wieder in Richtung der Tür. "Der große wie auch kleine Rat hatten in den letzten Jahren eine starke Tendenz sich mit Frankreich zu verbünden, Gerrit versucht eine neue Kathedrale in der Stadt zu errichten was Bischof Martin natürlich mit aller Macht verhindern will, weil das natürlich seinen Einfluss auf Brügge schmälern würde. Madame Lavalle hat sich inzwischen hier niedergelassen, dafür hat aber wenigstens Jaques de Carmaque hat die Stadt verlassen." Frederik schien zu überlegen. "Aber im Grunde habe ich nicht viel zu berichten, was ich auch schon in unseren Briefen erwähnt habe. Warenpreise fallen und steigen, den Menschen der Stadt geht es im Grunde wieder so gut wie vor dem Krieg aber am Besten schaust du dich selber noch ein bisschen auf dem Markt um. Ich muss noch ein paar Dinge erledigen.“ Dann öffnete er die Tür und trat auf den Marktplatz, der noch voller war als zuvor. „Alida wir sehen uns später.“

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 Betreff des Beitrags: Re: Eine Heimkehr (Alida)
BeitragVerfasst: Fr 27. Nov 2015, 22:12 
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 Betreff des Beitrags: Re: Eine Heimkehr (Alida)
BeitragVerfasst: Fr 27. Nov 2015, 22:22 
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Die Stadt schien sich auf eine lange Nacht vorzubereiten. Fröhliche Menschen schlenderten durch die von Fackeln erleuchteten Straßen und lachten, aßen, tranken und handelten an den Marktständen über all die kleinen Dinge die man eben brauchte oder eben auch nicht. Man konnte sich ganz in dem Geschehen verlieren, aber plötzlich sah sie etwas. Marlene lief auf sie zu, ihr Haar war in Unordnung und sie sah gehetzt aus wie ein Tier. „Alida!“ Sie schloss zu ihrer Verwandten auf und rang nach Atem um ihr dann ins Ohr zu flüstern. „Henrik ist weg, ich kann ihn nicht finden.“ Sie schluckte schwer. „Er...er...hat irgendwas von jemandem erzählt der ihn immer wieder beobachtet. Ein Monster, oder irgendwas das ihm Angst macht...aber ich dachte er macht Spaß. ich meine er ist ja noch ein Kind und alle Kinder erzählen solche Geschichten. Aber jetzt ist er...er ist weg und ich habe Angst das ihm etwas passiert sein könnte. Ich habe mich nur umgedreht.“ Sie hielt die Hände vor ihr Gesicht. „Alida wir müssen ihn finden, ich würde mir nicht verzeihen wenn ihm etwas zustößt nur weil ich ihm nicht zugehört habe. Jean hat schon damit begonnen die ganze Stadtwache aufzuscheuchen, damit sie nach ihm suchen."

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 Betreff des Beitrags: Re: Eine Heimkehr (Alida)
BeitragVerfasst: Sa 28. Nov 2015, 17:05 
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Alida wartete einen Moment ab, zog Marlene dann in eine etwas dunklere Gasse. Sie kaute kurz auf ihrer Unterlippe.
„Marlene, auch wenn du das jetzt nicht hören möchtest: Du solltest Jean aufsuchen und ihn davon abhalten die Stadtwache da mit hinein zu ziehen. Ich verstehe, dass ihr euch Sorgen macht, aber Hendrik ist doch noch nicht lange weg, oder? Vielleicht hat er irgendetwas entdeckt, das ihn fasziniert hat und ist der Sache hinterher gelaufen. Oder er hat tatsächlich was entdeckt, das ihn geängstigt hat und er hat sich versteckt. Bevor sich die Stadtwache auf die Suche nach einem 5 1/2 jährigen macht sollten zunächst einmal wir nach ihm suchen. Stell dir vor, der Kleine ist schon auf dem Weg nach Hause, dann würde sich sowohl Jean als auch die Stadtwache blamieren.
Erzähl mir bitte alles, was du weißt. So genau wie es dir möglich ist. Ich würd vorschlagen, du suchst danach Jean auf, dann Georg und die Familie. Trommel alle zusammen, die du finden kannst. Sie sollen sich bei der Suche beteiligen. Vielleicht find ich auch Lucien und frag ihn ob er hilft. Ich gehe dorthin, wo du ihn zuletzt gesehen hast und versuche dort etwas heraus zu bekommen. Einverstanden?“

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 Betreff des Beitrags: Re: Eine Heimkehr (Alida)
BeitragVerfasst: Sa 28. Nov 2015, 20:40 
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Marlene brauchte ein paar Minuten um sich wieder zu beruhigen und hörte dann Alida aufmerksam zu. Schließlich nickte sie. „Du hast Recht.“ Sie überlegte kurz. „Ich werde gleich zu Jean gehen. Wir können die Stadtwache immer noch einschalten wenn wir uns wirklich sicher sind, dass Henrik verschwunden ist.“ Marlene schloss kurz die Augen. Sie hatte sich wieder ein wenig beruhigt „Henrik hat mir an einem Stand mit gebratenen Äpfeln gesagt, dass am Stadttor ein Monster lauert...“ Sie schwieg kurz. „Ich habe das natürlich nicht ernst genommen und nur scherzhaft ein wenig mitgespielt. Dann sagte er mir und Jean er würde gerne noch ein paar gekochte Eier essen und wir sind zum nächsten Stand gegangen um welche zu kaufen. Dort haben wir uns irgendwo im Gedränge verloren“ Marlene schaute ihre Verwandte an. „Glaubst du...glaubst du er ist auf die Suche nach dem Monster gegangen Alida? Was ist...was ist wenn es wirklich ein Monster gibt da draußen? Du weißt wie grausam...“ Sie flüsterte den letzten Teil des Satzes. „Wie grausam eure Welt sein kann...“ Die alte Anspannung schien in Marlene wieder die Überhand zu gewinnen.

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