Alida freute sich sichtlich den Blutrichter zu sehen, ein Mitglied der Augen von Brügge. Sie hatte sich seit ihrer Ankunft um vieles gekümmert aber die Arbeit dieses Geheimbunds hatte bisher kein Teil davon sein können. Das musste sie sobald als möglich nachholen. Sie nickte ihm erfreut zu.
„Claude? Es ist schön Euch hier in dem Getümmel zu sehen.“ Sie hob bezüglich seines Angebots höflich ablehnend die Hand. „Vielen Dank. Die Früchte sind köstlich aber unsere Köchin hat vor nicht einmal einer Stunde für die ganze Familie aufgetischt. Wahrscheinlich um uns zu erinnern, was die gute flandrische Küche so alles zu bieten hat bevor wir alle auf dem Markt verschwinden.“ Sie grinste breit, wurde dann aber wieder ernst. „Wir vermissen einen kleinen Jungen unserer Familie, Hendrik, 5 ½ Jahre, braune Locken, blaue Augen, ungefähr so hoch.“ Mit den Fingern deutete sie die ungefähre Größe des Kindes an. „Irgendetwas hat ihn verschreckt.“ Sie seufzte. „Habt ihr eine Ahnung wie ich die Suche am effektivsten gestalten kann? Wir trommeln grad unsere Leute zusammen, ich folge den Spuren von ein paar Templern die zuletzt in seiner Nähe gesehen worden sind und die wohl ins Zentrum unterwegs waren.“ Alida sah ihr Gegenüber mit niedergeschlagenem Blick an.
Claude lächelte freundlich, aber sein Blick wurde erst ernst und dann nachdenklich, während er sich mit Daumen und Zeigefinger über den Bart strich. Der Blutrichter sprach nie ohne vorher zu überlegen und fällte so auch seine Urteile. Seit seiner Berufung in das Amt waren Korruption und Willkür in der Brügger Rechtsprechung immer weiter zurückgedrängt worden. Gerechtigkeit war ihm wichtig und das war ein Segen für die Stadt, die er mit allerlei Methoden wie den Augen von Brügge aufrechtzuerhalten versuchte. Bis jetzt gelang ihm dies gut. Schließlich sprach er mit seiner angenehm tiefen Stimme. "Ich glaube ich habe euren Jungen gesehen Alida. In Begleitung besagter Templer, er ritt vor nicht langer Zeit am Marktplatz vorbei in Richtung Händlerviertel. Ich wusste nicht, dass der Kleine zu euch gehört. Gibt es ein Problem?"
Alidas Augen weiteten sich überrascht. „Er ritt? Warum sollte eine Gruppe Templer einen kleinen Jungen mitnehmen? Und auf ihrem Pferd reiten lassen?“ Sie schluckte. „Hoffen wir mal, dass der Grund christliche Nächstenliebe ist… und sie ihn nur nach Hause bringen wollen.“ Sie blickte den Blutrichter fest an. „Könnt ihr mir vielleicht sagen, wann und wo ihr diese zuletzt gesehen habt, dann kann ich direkt dorthin.“
Er überlegte noch einmal. "Vor ein paar Minuten muss das gewesen sein." Er schaute sich um. "Ja in Richtung eures Anwesens. Dort am Marktplatz vorbei wo ich diese herrlichen Datteln erstanden habe." Er schaute die Tzimisce mit einer Mischung aus Sorge und Vorsicht an. "Gibt es ein Problem bei dem ihr...bei dem Ihr Hilfe benötigt Alida? Ich höre Mitglieder des Templerordens sind in letzter Zeit bei Bischof Martin gesehen worden."
„Bischof Martin ist ein rechtschaffender, gütiger Hirte Gottes.“ Sie sprach die Worte laut aus, doch der Blick, den sie dem Blutrichter zuwarf war für diesen leicht zu deuten und stellte ihre Worte noch im gleichen Moment in Frage. Claude wusste, dass sie sowie einige Mitglieder ihrer Familie von der Inquisition verhaftet und später als unschuldig erklärt worden waren.
„Im Moment ist mir nur daran gelegen, dass der Junge heil nach Hause kommt. Wenn ihr mir dabei zur Hand gehen könnt ohne, dass ich euch damit unnötige Umstände mache, dann würde ich mich freuen. Aber ihr seid ein vielbeschäftigter Mann und habt sicher noch andere Verpflichtungen.“
Claude nickte langsam. Er verstand. "Niemand darf einfach so ein Kind mitnehmen, auch kein Mann der Kirche, wenn es keinen hieb- und stichfesten Grund dafür gibt. Ich werde sichergehen, dass diesem Gesetz heute Nacht Genüge getan wird. Ihr solltet diese Ritter aufsuchen und sie nach ihren Beweggründen ein Kind mitzunehmen fragen Alida. Nur für den Fall der Fälle. Ich werde zusätzlich noch ein paar unserer Freunde alarmieren." Er flüsterte die letzten Worte kaum hörbar, nickte ihr zu und machte sich auf den Weg.
Alida atmete tief ein. Sie spürte den Hauch von Erleichterung. Der Name Martin hatte bei ihr ausgesprochen unangenehme Erinnerungen hervorgerufen aber der Blutrichter war ein fähiger Mann und sie wusste, Claude würde sein Bestes tun. Sie rief ihm ein „Danke“ hinterher, als er zwischen den Passanten verschwand. Dann hastete sie so schnell sie konnte ohne unnötige Aufmerksamkeit zu erregen zum Händlerviertel.
Mit der Wegbeschreibung des Blutrichters konnte sie die Spur der Templer schnell aufnehmen. Eine Vermutung baute sich in Alida auf, die sich schnell in Gewissheit verwandelte als sie schließlich immer näher an einen Ort kam den sie nur zu gut kannte. Ihr eigenes zu Hause. Als sie in die Sichtweise ihres Heims kam sah sie auch schon eine beeindruckende Gestalt die wie eine Marmorstatue vor ihrem Haus stand. Ein vollgerüsteter Ritter des Templerordens.
Alida gab ihrem Ungetüm von einem Hund den Befehl im Schatten einer Seitengasse zurück zu bleiben und trat festen Schrittes näher heran. Das hier war ihr zu Hause. Ihre Augen suchten nach Hendrik.
Der Ritter schien sie weder zu sehen noch zu beachten. Aber unter seinem Vollhelm war auch nicht viel von seinem Gesicht zu sehen, so dass sie sich nicht wirklich sicher sein konnte was der Mann wirklich wahrnahm. Von Hendrik war keine Spur zu sehen, lediglich ein riesiges schwarzes Schlachtross stand in ihrem Hof. Abgesehen davon schien alles wie immer.
Die blonde Frau blieb einige Schritte entfernt stehen, versuchte in das Sichtfeld des Mannes zu geraten. Sie deutete eine Verbeugung an, wie es einem Ritter gegenüber ziemlich war bevor sie ihn ansprach. Sie versuchte sich an die höflichen Floskeln zu erinnern, die man bei einer solchen Ansprache verwendete.
„Guter Mann. Ihr befindet euch auf dem Anwesen der Familie van de Burse. Mein Name ist Alida van de Burse. Kann ich euch behilflich sein?“
Der Mann antwortete Alida nicht. Er sprach nicht und schüttelte nur einmal den Kopf.
Alida musterte den Ritter fragend. Vielleicht wartete er hier auf einen Waffenbruder, der den Weg ins Haus gewählt hatte. Sie wandte dem Mann den Rücken zu und ging Richtung Wohngebäude.
Als Alida in Richtung des Wohngebäudes ging sah sie es ruhig daliegen. Das war keine sonderlich große Überraschung, waren die meisten Bewohner dieses Hauses doch auf dem Mitternachtsmarkt.
Sie trat ohne langes Zögern durch das große Eingangsportal und durch den Flur. „Lydia? Georg?“ Sie hatte keine Ahnung wer ihrer Familie sich derzeit noch im Haus befinden würde. Irgendjemand würde zu Hause geblieben sein. Sie sah sich um, hielt nach einem Ritter Ausschau. Irgendwo musste der Templer, dessen Pferd im Hof stand sein.
Aus einer der Hauptstuben in denen immer ein Feuer brannte kamen gedämpfte Stimmen. Zu ihrer Rechten tauchte eine junge Magd auf, deren Gesicht verriet das sie lieber auf dem Markt wäre als hier Dienst zu tun, aber dieser Ausdruck verschwand sofort als sie die Matriarchin der van de Burses erkannte. "Herrin? Wie kann ich euch helfen? Ich bin überrascht, dass ihr schon vom Markt zurückgekehrt seid. Der heiße Wein und die Erfrischungen sind noch nicht fertig, aber es sind natürlich noch Reste vom Festessen übrig wenn es euch gleich direkt nach einer Kleinigkeit gelüstet." Ihre Stimme war sanft und melodisch wie die eines Vogels. Sie schickte sich Alida den Mantel abzunehmen.
„Hannah? Lass nur.“ Sie nahm selbst den Mantel ab und hängte ihn an die Garderobe. Es war nicht ihre Art sich einfache Tätigkeiten abnehmen zu lassen. „Hat Lydia dich noch nicht entlassen? Der Markt draußen ist wirklich ein Erlebnis.“ Sie kam schnell wieder auf den Punkt. „Marlene und Jean haben Hendrik auf dem Markt verloren. Ist der Kleine vielleicht schon wieder hier? Oder weißt du, ob er schon beim Haus der Sabatiers gesehen wurde?“ Sie wartete kurz bevor sie weiter sprach. „Draußen steht das Pferd eines Templers. Hast du eine Ahnung wo sich der Ritter gerade aufhält?“
Die Magd schien kurz verwirrt. "Hendrik? Ja er ist in der Stube. Zusammen mit Karl-Christian van de Burse. Die zwei sind zusammen gekommen. Ist etwas nicht in Ordnung?" Sie sammelte sich kurz. "Ich weiß nicht genau was ein Templer ist, Herrin aber wenn ihr den Ritter Karl meint.?" Sie schaute dich fragend an. "Euer Verwandter hatte darum gebeten seine Großmutter zu sehen. Ich habe die alte Alda gerade zu ihm gebracht. Sie sind in der beheizten Stube. Ich,… ich hoffe ich habe nichts falsch gemacht?" Sie klang ein wenig ängstlich, so als hätte sie einen Fehler gemacht wusste aber nicht genau welcher das war.
Alida klopfte der Magd ermutigend auf die Schulter. „Hannah, du hast nichts falsch gemacht. Das weißt du doch. Wir waren nur in Sorge. Tu mir den Gefallen, lass dich von Lydia frei stellen, geh auf den Markt und informier unterwegs alle, dass Hendrik wieder zu Hause ist. Geh sicher, dass vor allem Marlene und Jean Bescheid wissen, damit sie sich nicht mehr sorgen müssen. Den Rest des Abends lässt du es dir gut gehen und amüsierst dich auf dem Markt, ja?“
Sie schluckte kurz. Dann trat sie in Richtung Wohnstube. Karl Christian also? Ein seltener Besuch. Sie hatte den Jungen vor Ewigkeiten, das war wohl neun Jahre her, gesehen als Leif mit seinen Begleitern aus Konstantinopel zurückgekehrt war. Ein aufgeweckter Bub mit blonden Haaren, grauen Augen, einem gewissen Charme und guten Manieren, wenn sie sich recht erinnerte. Sie wusste zwar, dass er ab und an Familienmitglieder besucht hatte aber wenn, dann war das tagsüber geschehen und sie hatte ihn nie beabsichtigt oder nicht nie zu Gesicht bekommen. Sie blieb einen Moment vor der Wohnzimmertür stehen bevor sie die Klinke hinunterdrückte.
Die Stube war vom warmen Licht, des knisternden Feuers erfüllt und Alida konnte drei Gestalten ausmachen. Hendrik der wohlbehalten in einer Ecke saß aber keinen Ton von sich gab sowie Karl-Christian und die alte Alda. Alda war die Mutter von Alyssa und Balduin, damit die Großmutter von Karl und eine einfache gottesfürchtige Frau. Sie war zwar noch nicht sehr alt, aber um ihre Gesundheit war es nicht sonderlich gut bestellt. Ihr Augenlicht wurde immer schwächer und sie vergaß manchmal wichtige Dinge, angefangen beim Datum bis manchmal dahin sich am Morgen anzukleiden. Am Anfang hatte man noch über ihre kleinen Aussetzer gelacht, was ihr den Spitznamen „Die vergessliche Alda“ eingebracht hatte, aber inzwischen war diese Erheiterung eher der Sorge sie könne sich in Gefahr bringen gewichen. Ihr Enkel saß neben ihr und sprach leise mit der alten Frau, während er ihre Hand hielt. Er bemerkte schließlich Alida und stand auf um sich vor ihr zu verbeugen. „Alida.“ Seine Respektsbekundung war höflich-elegant und formvollendet. „Ich wusste gar nicht, dass ihr wieder in der Stadt weilt.“ Auf dem zweiten Blick sah sie, dass der Junge Kettenhemd und Wams eines Knappen trug, zusammen mit einem schwarz-weißen Templerumhang, der anders war als, dass Ornat des Mannes der vor ihrer Tür stand. Überhaupt war von dem ‚Jungen‘ nicht mehr sonderlich viel übrig an den sie sich zurückerinnerte, überragte er sie doch um Haupteslänge und war im Grunde schon ein Mann.
Alida versuchte ein zögerndes Lächeln. Sie wusste nicht so recht wie sie sich in diesem Moment verhalten sollte, das sah man ihr an. „Und ich wusste nicht, dass du… ihr…“ Sie korrigierte sich. Vor ihr stand ein angehender Ritter, kein Kind, und wenn er der Höflichkeit in entsprechendem Maße Genüge tun wollte und das höfliche ‚ihr‘ statt dem ‚familiären ‚du‘ gebrauchte, dann würde sie es ihm gleich tun. „ich wusste nicht, dass Ihr derzeit in der Stadt weilt. Ihr habt Hendrik zurück gebracht, nicht wahr? Damit seid ihr in dieser Nacht der Retter der Familie.“ Sie grinste. „Alle waren schon ganz außer sich vor Sorge.“ Sie ging kurz zu Alda, beugte sich zu der alten Frau herunter und drückte sanft ihre Hand. „Abend Alda. Na? Hat dir Lydias Festmahl heute geschmeckt?“ Sie wusste, dass Alda nur in den seltensten Fällen antworte und ging deshalb zu dem kleinen Jungen hinüber. Auch vor ihm ging sie auf die Knie. „Puh, Hendrik. Wir haben uns alle ganz schöne Sorgen um dich gemacht. Vor allem Marlene und Jean. Die sind unter jeden Marktstand geklettert und haben jedes Apfelfass ausgeräumt um zu schauen ob du dich da irgendwo versteckt hast.“ Sie fuhr ihm über die braunen Haare. „Alles in Ordnung mit dir?“
Alda reagierte wie immer kaum, aber Hendrik brachte schließlich ein kleinlautes. „Es tut mir Leid.“ Hervor, nachdem er bestätigt hatte das es ihm gut ging. Alida kannte den Jungen inzwischen gut genug um zu wissen, dass er gerade nicht alles preisgab, aber sie wusste auch, dass es nichts brachte ihn zu drängen. Vor allem nicht wenn sich für Hendrik Fremde im Raum aufhielten. „Ach, du kannst also doch sprechen!“ Sagte Karl gut gelaunt. „Die Förmlichkeit tut mir Leid Alida. Verzeih mir meine Steifheit, aber das höfische Protokoll kann eine echte Fessel sein und manchmal vergisst man sie abzulegen wenn man sie gar nicht tragen muss.“ Er streckte kurz die Zunge zu sich selbst heraus um zu zeigen, dass er sich lustig über seine eigene Steifheit machte. „Ich habe den Kleinen alleine am Stadttor gefunden und hätte ihn fast nicht erkannt, dachte dann aber ich liefere ihn lieber wieder zu Hause ab als ich mir sicher war das es sich um Hendrik handelt. Leider scheint er nicht mit jedem zu sprechen – oder zumindest nicht mit mir.“ Er lächelte dem Jungen aufmunternd zu, der die Situation seinerseits nur mit einem stoischen Gesichtsausdruck quittierte. „Wie dem auch sei ich will heute Nacht noch zu Vater denn ich bin streng genommen nur auf der Durchreise. Ich werde im Rahmen einiger neuer Verpflichtungen ins Heilige Land reisen und wollte mich wenigstens verabschieden.“ Karl schien etwas einzufallen und ein Lächeln breitete sich auf seinen Gesichtszügen aus. „Fasst hätte ich es vergessen. Ich hoffe der alte Ian vor den Toren hat dir keine Angst gemacht Alida.“ Er kicherte ein wenig. „Der Gute ist ein wenig einsilbig, was manchmal ein wenig einschüchtern sein kann wenn er stocksteif in seiner Rüstung irgendwo rumsteht.“
Wieder drehte sie sich zu Karl- Christian um. „Noch mal, vielen vielen Dank. Ein Markt ist kein Ort für Kinder, die nachts allein unterwegs sind. Auch nicht für so mutige Nachteulen wie unsren Hendrik hier.“ Aufmunternd grinste sie den Knaben an. Es war nicht leicht ihn aus der Reserve zu locken.
„Du hast noch einen ganz schön langen Weg. Mindestens zwei Stunden Ritt bis nach Zeebrügge. Ich hab gehört Balduin hält sich derzeit dort auf und arbeitet als Heiler. Grüß ihn von mir, wenn du ihn siehst.“ Ihr Blick verdüsterte sich kurz.
„Das Heilige Land ist weit weg, der Weg dort hin gefährlich und lang. Und der Weg zurück oft noch länger. Ich hoffe, dass Gott dich auf all deinen Wegen begleitet, so dass du eines Tages wieder heil zu Hause ankommst.“ Man sah ihr an, dass sie es für einen waghalsigen Plan halt nach Palästina zu reisen.
Karl begann schon sich wieder anzukleiden, indem er ein paar Handschuhe aus Fell überstreifte und den Umhang zurechtrückte. Er drehte sich kurz um küsste Alda zum Abschied. "Bis zum nächsten Mal Nana." Dann verabschiedete er sich auch von Hendrik, der ihm wieder nicht antwortete nahm sich aber alle Zeit sein Gespräch mit Alida zu Ende zu führen. "Balduin ist im Moment in der Stadt. War er noch nicht hier? Er wollte eigentlich vorbeischauen bevor der Markt losgeht. Er hilft dort nämlich Brunhild, falls du dich an sie erinnern kannst, ihre Schmiedewaren zu verkaufen. Daher hat meine Reise heute glücklicherweise schon ein Ende gefunden. Ich hoffe eher, dass später noch ein Krug heißer Met auf mich wartet." Karl nahm einen Schild auf, der neben dem Kamin gestanden hatte. Auch auf diesem befand sich ein schwarzes Templerkreuz. "Danke für deine Sorgen, Alida aber der Orden passt gut auf die Seinen auf. Abgesehen davon gibt es eine ganze Menge wundervolle Dinge im Heiligen Land zu entdecken. Mathematik und Geometrie, Architektur. Die Araber mögen die Feinde des Abendlandes sein, aber das heißt nicht, dass wir nicht noch eine ganze Menge von ihnen lernen können. Ich hätte nie gedacht, dass die Ziffern die Tante Alyssa versuchte in meinen Schädel zu prügeln einmal wirkliche Leidenschaft und Interessen in mir wecken würden." Er lächelte Alida zu. "Es war schön dich einmal wiederzusehen. Es freut mich zu sehen, dass hier alles beim Alten ist. Bitte passt auf Großmutter auf, sie hat nur das Beste verdient."
Alida nickte ihm zum Abschied bekräftigend zu. Von den Sarazenen lernen konnte man sicher sofern sie einem nicht vorher den Kopf von den Schultern trennten. Aber sie behielt ihre wenig erbaulichen Gedanken für sich. Sie hätte sich auch nie vorgestellt, dass Karl- Christian sich entschließen würde den Templern beitreten zu wollen. Ein Orden der Mönchsritter, die den Frauen abgeschworen hatten und Armut predigten. Nun ja, sie kannte den Sohn von Balduin leider zu wenig um ihn einschätzen zu können.
Sie verabschiedete den braunhaarigen Knappen, brachte ihn zur Tür und wünschte ihm noch ein Mal nur das Beste. Sie sah den Reitern hinterher als sie sich auf die Pferde schwangen und den Weg zum Stadtzentrum einschlugen.
„Ich hoffe ehrlich wir haben nächstes Mal mehr Zeit Alida. In drei Jahren sollte ich zurück sein und dann will ich heiraten. Das wäre wahrlich die schönste Gelegenheit für ein Wiedersehen.“ Er lächelte noch einmal und verbeugte sich dann tief. Die beiden Männer ritten nicht, sie hatten schließlich auch nur ein Pferd, sondern spazierten die nächtlichen Straßen entlang. Alida konnte noch entfernt hören, wie Karl dem Ritter neben sich einige Besonderheiten dieses Viertels erklärte. Nachdem Karl das Anwesen verlassen hatte hörte Alida eine Stimme ihren Namen rufen. Es war Alda. "Alida?" "Alida?!" Die Stimme der alten Frau krächzte wie rostiges Metall auf Stein und klang beinahe ein wenig verzweifelt.
Alida schloss die Tür hinter sich und ging zurück ins Wohnzimmer. Das Haus lag wie verlassen da, eine seltene Begebenheit. Sie hielt nach dem kleinen Jungen Ausschau. „Na dann. Bringen wir Alda mal ins Bett. Ist ja auch schon ganz schön spät.“ Sie betrachtete die alte Frau. Sie war genauso die Großmutter von Karl-Christian wie von Hendrik, kam es ihr plötzlich in den Sinn. Schade, dass der Kleine seine Großmutter nicht mehr so kennen lernen konnte, wie sie früher einmal gewesen war.
Alda schaute Alida verwirrt an. "Alida! Balduin war hier. Er hat mir gesagt er geht weg. Weit weg. Du hattest mir doch einmal gesagt du versuchst ihn umzustimmen? Hattest du mir nicht gesagt er bleibt hier und wird Heiler?" Dicke Tränen liefen der alten Frau über die Wangen und es war offensichtlich, dass sie die Welt nicht mehr verstand. Hendrik beobachte das ganze interessiert und zeigte dann auf Alidas Tasche aus der einer der Holzritter ragte. Er sprach kurz nach Alda. "Darf ich das haben Alida? Ist das für mich?"
Sie strich der alten Frau übers Haar. „Balduin bleibt. Er ist Heiler und mit Sicherheit ein guter. Mach dir keine Gedanken, Alda.“ Sie sah der Ururenkelin ihrer Schwester in die wässrigen Augen, suchte einen Weg in deren Inneres, erblickte wirre Gedanken, fetzenhafte Erinnerungen, verwirrt und durchmischt von beängstigenden Träumen und kindlichen Gruselgeschichten. Nach kurzer Zeit fand sie, was sie suchte: eine Erinnerung an Balduin, jung, tatkräftig, auf dem Weg in die Stadt an einem warmen Sommermorgen. Es war nicht schwer dort anzuknüpfen, sie ein wenig umzuformen und die Heimkehr eines selbstbewussten Heilers mit Balduins Miene einzuflechten. Aldas Sohn sah darin glücklich aus mit der brünetten liebenswerten Katharina im Arm, den kleinen lächelnden Jungen Karl- Christian dazwischen. Sie zog sich aus den Gedanken zurück, blickte dann zu Hendrik.
Wieder beugte sie sich hinunter, zog die Figuren aus der Tasche und reichte sie ihm damit er sie sich anschauen konnte. „Die sind hübsch, nicht? Die gehören Alyssa. Ich glaub, sie möchte sie dir schenken, aber da bin ich mir nicht so sicher. Wir können sie ja fragen wenn sie wieder da ist.“ Sie nahm ihm die Holzfiguren wieder ab und stellte sie auf ein Sims. „Hier oben warten die Figuren, in Ordnung?“
Sie ging kurz nach draußen und hielt nach jemandem Ausschau, der Alda ins Bett bringen konnte. Sie wollte noch kurz ein paar Worte mit dem Jungen allein wechseln.
Alida spürte schnell wie sich die Frau unter der physischen und psychischen Berührung beruhigte. Ihre wirren Augen wurden friedlich und sie lächelte. Es fand sich auch schnell jemand der Alida Alda abnahm um sie ins Bett zu bringen. Sie sprach ein wenig vor sich her. "Gute Nacht Christian." Sagte sie als sie Henrik anblickte und murmelte dann weiter als sie die Holzritter. "Alyssa und Balduin haben schon wieder ihr Spielzeig rumliegen lassen, ich sollte ihnen eine Tracht Prügel..." Aber der Gedanke schien sofort wieder von dem verdrängt zu werden den Alida eingepflanzt hatte, denn Alda lächelte wieder selig. Schließlich waren Alida und Hendrik alleine und der Junge baute sich vor Alida auf. Er klang aufgeregt aber sein kleines Stimmchen war mutig und fest. "Alida wir müssen reden!"
Die blonde Tzimisce unterdrückte mit Mühe ein Schmunzeln und versuchte den nötigen Ernst an den Tag zu legen. Sie nickte ihm aufmerksam zu und verkrümelte sich in dem großen gemütlichen Sessel wie sie es immer bei privaten Familiengesprächen zu tun pflegte.
Hendrik folgte ihr und setzte sich ebenfalls auf einen Stuhl, so als wollte er Alida imitieren. "Alida ich habe mich nicht verlaufen. Ich habe mich versteckt." Er schaute sie an, so ernst wie ein fast 6 Jähriger jemanden ernst anschauen konnte. "Ich habe mich vor Karl versteckt weil er mich schon seit Wochen beobachtet. Er denkt ich merke es nicht aber ich bin schlauer!" Der Junge stand fast auf seinem Sessel. "Es war komisch er hat mich sofort gesehen, dabei habe ich mich wirklich gut vor ihm versteckt. Hinter einer ganzen Reihe Fässer." Er biss sich auf die Lippen. "Alida ich glaube Karl ist böse. Du musst vorsichtig sein. Irgendwas ist komisch mit ihm. Ich habe so oft ein komisches Gefühl bei ihm." Der Junge hatte vorgetragen was er vortragen wollte und wirkte jetzt ein wenig unsicher, ganz so als wüsste er nicht ob Alida ihm glauben würde.
Alida beugte sich in ihrem Sessel nach vorne, betrachtete ihn lange nachdenklich und verschränkte die Finger ineinander. „Du hast also ein ungutes Gefühl wenn es um Karl- Christian geht?“ Sie nahm die Befürchtungen des Jungen ernst, das konnte man ihr ansehen. „Hendrik? Ich weiß nicht, warum Karl-Christian dich beobachtet hat. Aber vielleicht liegt das einfach daran, dass du genau wie er auch Teil der Familie bist. Vielleicht ahnt er, woher auch immer, dass du mehr vermagst als es andere Jungen in deinem Alter normalerweise tun. Vielleicht ist er dir sogar ähnlich und erspäht mehr als es andere junge Männer in seinem Alter. Vielleicht hat er deshalb mehr Interesse an dir als deinen Vettern und Cousinen? Und es gibt noch viele andere Gründe, warum er vielleicht wissen möchte, wer du bist“ Sie sah zu einem alten Familiengemälde, das an der Wand hing, und überlegte. Vielleicht hatte ihm auch einfach Leif aufgetragen, sich Hendrik mal näher anzusehen.
„Böse ist ein schwieriges Wort. Ich glaube, es gibt viele Arten davon, weißt du. Viele verschiedene Auslegungen.“ Sie wusste, das war etwas viel für einen 5 ½ jährigen und sie versuchte ein einfaches Beispiel. „Wenn zum Beispiel ein Vater dessen Familie Hunger leidet ein Brot stiehlt um seinen Kindern etwas zu Essen geben zu können, bezeichnen das manche Leute als böse… Wenn ein Junge einem anderen auf die Nase haut, weil der zuerst geschlagen hat bezeichnen das manche als böse, andere als Notwehr. Gut und böse, das ist nicht einfach… Aber ich weiß, was du meinst, Hendrik, wir sollen vorsichtig sein. Ich versprech‘ dir, das bin ich.“ Sie sah den kleinen Jungen fragend an.