So 18. Feb 2024, 22:48
Als Hector endlich begriff, was gerade um ihn geschehen war, spürte er, wie Galle in seinem Hals aufstieg. Die blutigen Pfützen, die die toten Menschen hinterlassen hatten, waren über alle Maßen grotesk und auch der Gedanke, dass er um Haaresbreite sein Ende gefunden hätte, half dem Ekstatiker nicht unbedingt dabei, sich zu beruhigen. Erst der Anblick von Jura brachte ihn auf andere Gedanken und er wollte schon zu der Verbena sprinten, als er sich erinnerte, dass er nicht viel Zeit hatte. Er würde Jura nicht helfen können, sollte sie ernsthaft verletzt sein, also begann er zu laufen, zurück aus der Richtung, aus der er gekommen war. Hector merkte sofort, wie schwierig es geworden war vorwärts zu kommen. Überall lagen Gesteinsbrocken und abgesplittertes Holz. Baumwurzeln waren aus dem Boden gerissen worden, breite Stämme versperrten den Weg während er sich nach unten kämpfte. Während er so schnell es ihm möglich war rannte spürte er, dass etwas Ungewöhnliches geschah, ohne, dass er es im ersten Moment recht benennen konnte. Dann erblickte er in wohl hundert Meter Tiefe unter ihm, auf dem, was wahrscheinlich einst eine steinerne Brücke über einen Bach gewesen war, eine bläulich schimmernde Gestalt und es war ihm mit einem Mal klar: das bläuliche Licht waberte um ihn und schien von ihm oder seiner Magie angezogen wie Motten vom Licht. Und etwas anderes bemerkte er: desto tiefer er sich voran kämpfte, desto kälter wurde es. Hector sah die weißen Atemwolken, die er ausatmete und er spürte wie seine Muskeln zu zittern begannen.
Hector war nicht klar, was hier wirklich geschah, vermutete aber, dass es sicherlich nicht unbedingt etwas Gutes war. Er beschloss, weiter zu rennen, so gut er eben konnte, um der übernatürlichen Kälte zu entkommen.
An den Eiskristallen, die sich wie ein dünner Teppich über den Boden legten, erkannte er, dass die Temperatur recht weit unter den Gefrierpunkt gesunken sein musste. Das Vorwärtskommen wurde immer schwieriger, wurde doch mittlerweile jeder Schritt zur Schlitterpartie. Als die Gestalt an der Brücke den Kopf hob, erkannte er sie: Tia.
Die junge Frau sah zu ihm hinauf und schien unschlüssig, wie sie hinüber kommen sollte.
https://sm.ign.com/t/ign_in/screenshot/ ... t.1280.jpgDie Gedanken des Ekstatikers drehten sich um ein ähnliches Problem, als er immer näher in Tias Richtung kam. Es war eine Sache auf dem Waldboden auszurutschen, eine gänzlich andere, die Brücke in die tödlichen Tiefen hinunter schlittern. Mit aller Vorsicht, die er aufbringen konnte, versuchte sich Hector zumindest erst einmal bis zu Tia hin durchzuschlagen.
Es dauerte wenige Minuten bis er das wohl 16 oder 17 jährige Mädchen erreicht hatte. Sie war sichtlich erfreut ihn zu sehen, auch wenn sie mit einem ernst aufgesetzten Gesichtsausdruck versuchte, diese Gefühlsregung zu unterdrücken. Sie hüllte sich fester in den dünnen Mantel, den sie trug. „Es ist ein Glück, dass Ihr die Explosion überlebt habt, Hector! Ich hoffe, die anderen sind wie wir bei Wohlbefinden. Etwas muss den Monolithen zum Bersten gebracht haben. Es war wahrscheinlich nur eine Frage der Zeit.“ Als sie das Wort ‚Zeit‘ aussprach sah sie zögernd zu ihm auf als erwarte sie, dass ihm jegliches Wissen über dieses seltsame Mysterium Zeit zu eigen war.
Hector nickte Tia kurz zu, auch er war froh, dass der Frau nichts geschehen war, während er sich beinahe ein unangebrachtes Lachen ob ihrer Worte verkneifen musste. Er hatte durchaus ein wenig Kontrolle über die Sphäre der Zeit und gehörte sogar einer Gemeinschaft an, die sich deren Erforschung verschrieben hatte, aber zu behaupten, er verstünde tatsächlich irgendetwas über besagte Kräfte, war mehr als übertrieben. Beinahe reflexartig schüttelte er den Kopf. „Wir müssen zurück zur Wand, dass hat zumindest hat Jura gesagt.“ Der Ekstatiker ließ den Blick über die Brücke schweifen. „Warum ist es hier so kalt und wie kommen wir am besten zurück ins Schloss?“
„Die Kälte ist ein Ergebnis der Zauber, die wir beschworen haben. Die Mischung aus großer Hitze und Kälte in der richtigen Zusammensetzung kann anscheinend ein Gewitter erschaffen, was auch mir nicht bewusst war. Ich schätze, auf der anderen Seite des Hügels ist es erbarmungswürdig heiß, oder vielleicht steht der Wald dort auch in Flammen.“ Sie schluckte beim Gedanken an die anderen Teilnehmer dieser seltsamen Zeitreise. Dann deutete Tia auf das Eis, dass sich vor ihnen ausbreitete und das wie eine glatte seidige Fläche das ehemalige Bachbett bedeckte. „Ich weiß nicht, wie wir hinüber kommen können. Der Hang, der vor uns liegt ist steil und mit den ganzen Gesteinsbrocken und Holzsplittern ein ungeheuerliches Hindernis.“ Einen kurzen Moment zögerte sie. Dann sprach sie leiser weiter als wäre es ihr unangenehm oder als verrate sie ein Geheimnis, das sie ansonsten mehr als gut hütete. „Ich kenne einen Magus, der in den Künsten der Tradition der Ekstatiker bewandert ist, so wie ihr. Er versteht sich ausgesprochen gut auf Zufallsmagie und hat mich einiges gelehrt. Er würde wahrscheinlich einfach den direkten Weg nehmen und auf sein Glück vertrauen.“ Für einen Sekundenbruchteil erschien ein zögerliches Lächeln um ihre Mundwinkel. „Wahrscheinlich wäre er damit erfolgreich.“
Ein tiefer Seufzer folgte Tias Erklärung. „Ich habe es fast befürchtet.“ Hector wippte, ein wenig unzufrieden, sich aber seinem Schicksal ergebend von einem Bein auf das andere. „Ich vermute, aber wir haben keine andere Wahl. Mir ist der Gedanke auch schon gekommen. Ich vermute, einen Versuch ist es auf jeden Fall wert.“ Der braunhaarige Magier verkniff sich zu erwähnen, dass es wahrscheinlich ihre einzige Chance war, diese Herausforderung zu meiden, ohne zu viel Zeit zu verlieren. Zeit. Da war es wieder, dieses Konzept, welches ihn – zum Guten wie zum Schlechten – nie loszulassen schien.
Das Mädchen sah ihn zögernd an.
"Wir zaubern?" Er sah ebenso zögernd zurück?
„Dann hat man euch also auch in diesen Künsten unterwiesen?“ Das blonde Mädchen wirkte erfreut und zugleich positiv überrascht. „Ihr müsst ein großer Magus sein!“
„Groß ist kein Wort, welches ich für meine Künste gebrauchen würde. Grob und rabiat trifft es eher, aber ich kenne mich ein wenig mit der Macht der Entropie aus.“ Hector machte sich bereit, indem er ein kleines Messer zückte, welches er seit Prag mit sich führte. Wenn er so spontan zaubern musste, dann war es besser, ein wenig seines Blutes zu vergießen, als weiter Alkohol zu trinken. Er musste einen klaren Kopf behalten.
Das Mädchen schien sich einen Moment Gedanken darüber zu machen, wie wohl ‚grobe und rabiate‘ Magie aussehen mochte, dann konzentrierte sie sich und ließ ihre Finger in seltsamer Art und Weise durch die Luft vor sich kreisen. Es wirkte als würde sie an unsichtbaren Fäden ziehen und diese miteinander verweben.
Hector bemerkte, wie sich bei ihm, ebenso wie bei der jungen Adeligen das bläuliche Leuchten während er Magie wirkte, verdichtete.
https://www.lucasfilm.com/app/uploads/w ... arquee.jpgEs war ein Leichtes die Energie für den Zauber aufzutreiben und Arete zu benutzen (+ 2 Erfolge). Hector vermutete, dass es Tia genauso ging.
Erneut sah das Mädchen zu ihm auf. „Nach euch!“
Hector bemerkte den Schnitt, den er in seiner Handfläche ansetzte kaum, die Macht, die dadurch freigesetzt wurde, aber um so mehr. Magie zu wirken war schlichtweg einfacher in dieser Zeit und plötzlich schien es, als ob der simple Gedanke auf dem Boden auszurutschen, lächerlich war. Er setzte einen Fuß vor den anderen und immer fand Hector einen Ast zu festhalten, ein paar Steine, die ihm Halt gaben oder ein paar Wurzeln, die seine Schritte sicherer machten.
Es war ein leichtes das zugefrorene Bachbett hinunter zu rutschen. Anders als bei natürlichen Bächen, die im Laufe eines Winters vor sich hinplätscherten und dabei gefroren, war dieser Vorgang hier innerhalb kürzester Zeit geschehen, was eine ebene Fläche geschaffen hatte. Zu guter letzt war Hector klar, dass er keinen schnelleren Weg hätte finden können. Tia folgte ihm mühelos und dicht. Ein, zwei Mal griff sie nach seiner Hand um nicht auszurutschen, aber innerhalb weniger Minuten hatten sie die künstlich angelegten Teiche vor der Burg erreicht. Der Ekstatiker konnte die offenen Burgmauern erkennen. Hektisch liefen Burgbewohner aus dem Inneren mit Wassereimern nach draußen, andere waren dabei in Windeseile ihr Hab und Gut auf Ochsen- und Pferdekarren zu verladen. Als Hector sich umsah, konnte er die Flammen erkennen, die in einigen hundert Metern über den Hügelkämmen des Berges für roten Feuerschein sorgten. Niemand schien auch nur die geringste Notiz von ihnen zu nehmen.
Zuerst irritiert von dem, was er sah, dann voller Motivation, ob der Aussicht ihren ungewollten Urlaub in der Vergangenheit endlich beenden zu können, drehte sich Hector zu Tia. „Wir müssen zum Portal.“
Tia nickte mit einem schweren Seufzen. „Glaubt ihr, die anderen werden es schaffen?“ Auch sie hatte das lodernde Feuer bemerkt, dass sich in den Berg fraß.
Hector spürte, dass ihm die Frage näher ging, als ihm lieb war, also versuchte er die damit einhergehenden schlechten Gedanken, so gut er vermochte zu verscheuchen. „Sie müssen es.“ Mehr konnte er dazu nicht sagen, während vor seinem inneren Auge nicht nur Bram, sondern auch Apollonia auftauchten.