Vampire: Die Maskerade


Eine Welt der Dunkelheit
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 Betreff des Beitrags: Re: Prag I: Hector
BeitragVerfasst: Sa 3. Dez 2022, 22:05 
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Apollonia folgte Hectors Blick zu den Folianten und dicken, alten Wälzern. Sie schien mit sich selbst zu ringen und zu überlegen, irgendwo in sich drin abzuwägen. „In den ganzen Schriften dort werden wir nichts zu dem Schloss zu dem Schlüssel finden. Glaub mir, ich hab die Bücher mehr als einmal danach durchforstet.“ Sie seufzte und zog dann mit einer langsamen, zögernden Bewegung eine silberne Kette unter ihrem dünnen, braunen Pullover hervor. An dieser baumelte, das erkannte Hector sofort, ein glänzender Schlüssel, der dem von Bram ausgesprochen ähnlich sah, jedoch keinerlei Anzeichen von Alter zeigte. „Ich habe auch so einen.“ Sie wirkte unsicher. „Behalt das bitte für dich. Das wissen mit Ausnahme einer Tante und eines Onkels nicht mal meine engsten Verwandten und ich möchte, dass das so bleibt. Meine Tante hat, als ich klein war, gemeint, es gäbe Dinge, die nicht jeder wissen muss und dass ich gut daran täte mich daran zu halten. Nun ja: Ich halte große Stücke auf sie und habe ihren Rat befolgt. Man hat mir gesagt, es wäre ein Andenken an meine Eltern, die ich leider nie wirklich kennen gelernt habe. Autounfall“, fügte sie mit einer Beiläufigkeit hinzu, die jeden Psychologen hellhörig gemacht hätte. Sie reichte den Anhänger an Hector weiter, der auch ohne ihn zu berühren spürte, dass ihn Magie umgab.
Der Bart des Schlüssels erschien identisch zu dem von Bram, öffnete wahrscheinlich das gleiche Schloss, doch anstelle von Buchstaben war mit dünnen Linien ein winziges, kaum merkliches Bild eingraviert, das Hector irgendwie bekannt vorkam.
„Ich hatte gehofft, ein paar mehr Informationen zu bekommen, aber stattdessen werfen sich nur mehr und mehr Fragen auf.“ Sie versuchte ein Lächeln. „Ganz schön komplizierte Sache… Was denkst du?“


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Verfasst: Sa 3. Dez 2022, 22:05 


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 Betreff des Beitrags: Re: Prag I: Hector
BeitragVerfasst: So 4. Dez 2022, 17:32 
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„Das mit deinen Eltern wusste ich nicht. Mein Beileid. Es tut mir leid für dich, dass du nicht die Chance gehabt hast, sie kennenzulernen.“ Hector hatte das Gefühl, dass Apollonia dieses Kapitel noch nicht abgeschlossen hatte, stellte aber auch keine weiteren Fragen. Er erinnerte sich mit absoluter Gleichgültigkeit an seinen eigenen Vater, den er einmal mit Passion gehasst, inzwischen aber nur noch als Fremden sah, der einfach keine Rolle mehr in seinem Leben spielte. Der junge Magier versuchte, sich wieder auf das Hier und Jetzt zu konzentrieren. „Deine Tante klingt wie eine kluge Frau, auch wenn ich selbst eine andere Meinung habe. Geheimnisse wirken auf den ersten Blick wie Schätze, die nur für uns bestimmt sind und die wir beschützen müssen. Diese Verantwortung gibt uns einen Platz und eine Aufgabe, aber am Ende isolieren uns diese auch und sorgen dafür, dass wir uns alleine fühlen.“

Hector lächelte Apollonia aufmunternd zu. „Aber das ist nur meine Meinung und ich habe nicht vor irgendwem meine Weltsicht aufzudrängen. Daher, danke das du dein Geheimnis mit mir geteilt hast. Ich kann mir vorstellen, dass es nicht leicht war und du kannst dich darauf verlassen, dass ich es für mich behalten werde. So oder so solltest du je das Bedürfnis haben über irgendwas zu reden, dann höre ich dir gerne zu. Die meisten, die mich kennen, sagen, dass ich das ganz gut kann.“ Der Ekstatiker schaute sich den zweiten Schlüssel genauer an. „Irgendwie verrückt ist diese Sache auf jeden Fall. Das Bild sieht aus wie eine Burg, vielleicht auch ein Schloss.“ Er überlegte und versuchte sich zu erinnern. „Ich habe das Gefühl, dass mir das irgendwie bekannt vorkommt. Wahrscheinlich gibt es diese Burg noch irgendwo und ich habe sie schon einmal gesehen.“

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 Betreff des Beitrags: Re: Prag I: Hector
BeitragVerfasst: So 4. Dez 2022, 22:44 
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Apollonia zuckte mit den Schultern. „Wenn ich das mit dem Schlüssel in meiner Familie publik gemacht hätte, wäre ich gebeten worden, es abzugeben. Dieses gute Stück wäre erst von allen Seiten analysiert und dann in einem Archiv verschwunden. Da bin ich froh, dass es anders gekommen ist.“
Hector versuchte sich zu erinnern, wo er das Bild dieses Schlosses schon einmal gesehen hatte. In seiner Kindheit war er selten aus Berlin heraus gekommen und in Filmen oder Büchern war es auch nicht gewesen… Es war als würde man sich an einen Traum erinnern wollen, aus dem man gerade erwacht war und den man versuchte an einem winzigen zufälligen Gedankenfetzen festzuhalten. Dann war die Erinnerung wieder da: Eine seltsame Begebenheit vor wohl acht Jahren… Bram hatte den ganzen Abend ohne Unterbrechung gemalt, Farbe auf die Leinwand geklatscht mit einer ungewohnten Intensität und Aggression, Nahrung abgelehnt und auch jede Unterhaltung ungewohnt schroff abgebrochen. Er hatte ein Bild dieser Burg gemalt.
Schließlich war eine gefühlte Ewigkeit davor stehen geblieben und hatte es genau beobachtet. Hector, der näher getreten war, konnte eine kurze gemurmelte Erklärung in seine Richtung hören. „Burg Kriechstein, ziemlich hässliches Gebäude, oder?“ Er schien noch einen Moment mit sich zu hadern, dann schnappte er sich das noch feuchte Gemälde, ging mit festen Schritten auf die Dachterrasse und warf es auf den Grill, der dort in einer Ecke stand. Er zog ein Streichholz aus einer Schachtel, entzündete es und ließ das Bild in Flammen aufgehen. Die emporlodernden Feuerzungen leuchteten in allen nur denkbaren Farben und das surreale Bild, als Bram da stand und der Vernichtung seines leuchtenden Gemäldes zusah, war von einer kreativen Schönheit, die viel zu schnell von der Dunkelheit der Nacht aufgesogen wurde.
Bild
Später hatte Bram das ganze Geschehen mit einer wegwerfenden Handbewegung abgetan. „Das Bild war einfach schlecht“, war seine knapper Erklärung


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 Betreff des Beitrags: Re: Prag I: Hector
BeitragVerfasst: Mo 5. Dez 2022, 19:21 
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Die Erinnerung tauchte auf, wie aus einem Nebel befreit. Diese Situation war so abstrus und ordinär zugleich, dass Hector sich sofort wieder an diesen Abend zurückversetzt fühlte. Es war plötzlich als hätte den Geruch von brennender Farbe in der Nase, während sich das Motiv tief in seinem Geist eingebrannt hatte. Nein, er hatte diese Burg nie im Original gesehen, aber er was sich sicher, dass es diese sein musste. Er räusperte sich. „Das ist die Burg Kriechstein.“ Die Information kam faktisch, ohne einen Hauch von Zweifel. „Ich bin nie da gewesen, aber ich bin mir sicher, denn Bram hat genau diese Burg einst gemalt.“ Hector erklärte weiter. „Er war beinahe manisch, nur um das Bild am Ende zu verbrennen. Er hat nie mehr dazu gesagt, aber ich bin überzeugt davon, dass wir dort Antworten finden. Das spüre ich.“ Er suchte Apollonias Blick. „Hast du Lust auf einen Ausflug?“

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 Betreff des Beitrags: Re: Prag I: Hector
BeitragVerfasst: Mo 5. Dez 2022, 23:23 
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Apollonia starrte ihn ungläubig an. Dann fasste sie sich. „Bram muss einiges gewusst haben. Und anscheinend hat er sein Wissen nicht mit vielen geteilt. Weder mit Familie, noch Freunden oder anderen Magiern… Kommt dir das nicht skurril vor?“ Sie wartete seine Antwort ab und zog dann ihr Smartphone aus der Tasche. „Burg Kriechstein ist eine Ruine. Schau mal!“ Sie hielt ihm das Foto entgegen.
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„Tief im Wald gelegen, in Südmähren, nicht weit von der Grenze zu Österreich und zu Budweis. Ich glaube, die Festung hat irgendwann mal einem Teil meiner Familie gehört, aber für solche Ruinen interessiert sich heutzutage niemand mehr. Der Unterhalt und die Instandsetzungskosten sind unbezahlbar.“ Sie blickte einige Zeit auf das Display. „Ich würde sehr gerne dort hin und mich dort mal umschauen. Heute und morgen könnte ich mir frei nehmen, da ich nächstes Wochenende im Museum zu sein habe. Eine neue Ausstellung wird eröffnet und da bin ich selbstverständlich anwesend. Wie sieht es mit deinem Club aus? Kannst du da abkömmlich sein?“

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 Betreff des Beitrags: Re: Prag I: Hector
BeitragVerfasst: Di 6. Dez 2022, 11:17 
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„Das alles kommt mir sogar sehr eigenartig vor.“ Hector dachte nach. Es war absolut klar, dass Bram in irgendetwas verstrickt gewesen war, etwas über das er nie berichtet hatte. Zu seiner eigenen Überraschung fühlte sich Hector dabei allerdings weder ausgeschlossen noch in irgendeiner Form übergangen. Er vertraute Bram genug, um sich sicher zu sein, dass dieser seine Gründe dafür gehabt haben musste, auch wenn die Frage, wie er und Apollonia in all das verwoben waren, über all dem ragte, was sie bis jetzt herausgefunden hatten. Zum Glück gab es eine Möglichkeit, diesem Mysterium weiter auf den Grund zu gehen. Der Ekstatiker schaute schließlich wieder von dem Display mit der Burgruine auf. „Ich denke auch, dass ich mir zwei Tage freinehmen kann. Außerhalb des Wochenendes ist eh nicht viel los und wenn ich Vaclav ganz lieb frage, wird er den Getränkezulieferern aufschließen. Außerdem hatten sich Clea und Matej schon früher einmal bereit erklärt einzuspringen, falls ich mal unterbesetzt sein sollte.“ Hector erhob sich. „Ich packe ein paar Sachen zusammen. Je schneller wir loskommen, desto länger haben wir Tageslicht, um uns bei der Ruine ein wenig umzusehen.“

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 Betreff des Beitrags: Re: Prag I: Hector
BeitragVerfasst: Di 6. Dez 2022, 23:06 
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Apollonia nickte. Sie hängte sich den silbernen Anhänger wieder um den Hals und ließ ihn unter dem Pullover verschwinden. Sie sah unschlüssig zu der anderen silbernen Kette und zuckte schließlich mit den Schultern. „Ich denke, die lassen wir wohl derweil bei dir. Pass gut darauf auf! Wir treffen uns in zwanzig Minuten, in Ordnung?“
Hector griff nach kurzem Zögern nach dem Schlüssel. Das Kleinod aus Silber fühlte sich noch nicht so an, als würde es wirklich mit ihm in Verbindung stehen, aber als Bewahrer für diesen kuriosen Gegenstand konnte sich Hector sehen. „Zwanzig Minuten, abgemacht.“ Er nickte und verließ Apollonias Wohnung und nahm beschwingt zwei Stufen auf einmal zurück in seine Wohnung. Ohne sonderliche Ordnung warf er ein paar Sachen in eine schwarze Sporttasche. Wechselkleidung, Toilettenartikel, ein Handtuch, sowie seinen Geldbeutel inklusive Ausweis. In einer extra Tasche verstaute er noch einen Flachmann, eine Schachtel Zigaretten samt Feuerzeug, zwei Ladebanken und einen mobilen Lautsprecher, alles Dinge, die ihm im Zweifel dabei helfen konnten, seine Magie zu wirken. Hector war zufrieden und auf dem Weg nach unten schrieb er sowohl Vaclav als auch Clea, um sie darum zu bitten, sich morgen des Clubs anzunehmen, wenn er unterwegs sein würde. Hector trat in die Nachmittagssonne und ging sein Auto holen.
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Apollonia war tatsächlich nach ungefähr 20 Minuten am Auto. Sie hatte es Hector anscheinend gleich getan und nur ein paar Sachen in ihre Reisetasche geworfen. Sie warf alles auf den Rücksitz und nahm auf dem Beifahrersitz Platz. „Ich bin froh, dass du ein Auto hast und fahren kannst. Ich sollte vielleicht auch mal den Führerschein machen. Bisher hab‘ ich das nur nicht oft gebraucht. Entweder ich hab in einer größeren Stadt gelebt oder es gab tatsächlich irgendwo einen Chauffeur eines wichtigen Familienmitglieds, der sich erbarmt hat.
Die Reise verlief ohne größere Vorkommnisse nachdem sie Prag verlassen hatten. Es war heiß und sonnig, die Natur stand in vollster Blüte und die Luft war voller intensiver Gerüche nach blühenden Wiesen, frischem Wald und in der Sonne funkelnden Seen. Sie unterhielten sich über Belangloses und Privates, Hector erwähnte, dass er plante sein Abitur in nächster Zeit nachzumachen, Apollonia von ihrer strengen Schulzeit auf einem Mädcheninternat und dem anschließenden Studium in Wien, das ihr wie eine Befreiung vorgekommen war.
Die Umgebung, in die sie schließlich fuhren wurde immer bergiger und ländlicher. Kleine Städte wurden abgewechselt von winzigen Dörfern, die schließlich nur noch einsamen Gehöften Platz machten. Schließlich fuhren sie in einen dichten Wald ein, bei dem nur die Forstwege ein Hinweis dafür sein mochten, dass sie nach wie vor in einem zivilisierten Land waren. Schließlich mussten sie das Auto stehen lassen und die letzten drei Kilometer zu Fuß gehen.
Das Licht des Nachmittags begann langsam seine Farbe von hellem weiß zu goldenem Abendglühen zu verändern, als sie schließlich, nach einem langen Aufstieg die alten Mauern erreichten.
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Hector empfand die Fahrt als sehr angenehm. Apollonia war eine unaufdringliche und doch nützliche Beifahrerin und so verging die Fahrtzeit wie im Flug. Beide tauschten sich über die verschiedensten Dinge aus und Hector fiel einmal mehr auf, wie unterschiedlich die beiden doch aufgewachsen waren und musste unweigerlich ein wenig schmunzeln, als Apollonia den Chauffeur erwähnte. Nachdem die beiden schließlich ihr Ziel erreicht und die letzten Meter zu Fuß zurückgelegt hatten, schaute Hector gespannt auf die alte Ruine und nahm sich einen Moment Zeit, die schöne Aussicht zu genießen. „Also hast du noch irgendwelche Insiderinformationen? Zum Beispiel das geheime Zimmer voller Schlüssellöcher, von welchem man im Reiseführer nichts liest, was sich aber gleich hinter dem alten Kamin befindet?“ Hector schien zwar durchaus angespannt, hatte aber offenbar dennoch gute Laune.
Apollonia war im ersten Moment aufgrund der Anspannung, die man ihr ansah, etwas verwundert über Hectors Humor, sie fing sich jedoch schnell wieder und schmunzelte. „Absolut nicht. Und Mattai hat leider auch vergessen mir eine von ihm selbst bearbeitete magischen Wünschelrute einzupacken, die Geheimnisse detektiert. Leider, leider…“ Sie durchschritt die großen Säulen, die wohl ursprünglich mal das Eingangstor und eine Zugbrücke beinhaltet hatten, und ließ ihre Finger über die Steine gleiten. Sie schüttelte den Kopf. „Keine Magie hier…“ Ich weiß nicht viel über Kriechstein. Es gehörte theoretisch der Familie, wird wahrscheinlich aber jetzt vom tschechischen Staat gehalten und verwaltet. Vor ein paar Hundert Jahren war die Festung noch viel genutzt, da ein Handelsweg von Budweis nach Linz und Wien direkt durch das Tal dort unten lief.“ Sie ließ ihren Blick in die Tiefen wandern. „Wahrscheinlich war damals alles etwas belebter…“
„Schade, schade. Sobald wir zurück sind, sollten wir uns auf jeden Fall bei Matej beschweren. Er macht dieses ganze Unterfangen so viel komplizierter.“ Hector folgte Apollonia und betrachtete die alte Ruine, während er der Erklärung lauschte. „Wir sollten uns einmal etwas genauer umschauen. Wenn diese Burg so belebt war, wird deine Familie ihre Geheimnisse nicht gleich für jeden offensichtlich am Eingang präsentiert haben. Falls wir hier wirklich Anhaltspunkte für etwas Magisches finden können, dann wahrscheinlich eher im Verborgenen.“
Apollonia gab ihm recht. „Ich suche links, du rechts, in Ordnung?“ Sie begann sich die Steine genau anzuschauen, sprang auf alte Wälle und spähte in dunklere Löcher. Hector konnte sie aus einigen Metern Entfernung hören. „Wie sieht es bei dir aus? Hat Bram damals noch irgendetwas zu dieser Burg gesagt oder gemalt, das uns einen Hinweis geben könnte?“ Sie inspizierte eine Inschrift.
„Nicht, dass ich wüsste. Es war eine Außenansicht, wenn ich mich richtig erinnere und es muss aus einer Zeit gestammt haben, in der es noch sehr viel mehr von dieser Burg gab, da es noch mehr Gebäude und Türme gab.“ Auch Hector begann, sich umzuschauen.
Der Ekstatiker durchwanderte die grasüberwucherten Mauern, die einst Stallungen, die Burgküche, Speisesaal und Schlafkammern gewesen sein mochten. Nichts machte den Eindruck als wäre es ungewöhnlich oder würde nicht dorthin gehören. Die beiden jungen Magier wanderten sicher eine Stunde umher ohne dass einer von beiden eine Entdeckung machte. Dann bemerkte Hector jedoch etwas. Nachdem er zig Mal die Strecke vom Eingangsportal zum Berghang gegangen war, spürte er, dass ein Fehler in seiner Umgebung war. Er konnte ihn kaum ausmachen, doch dann schließlich wurde er greifbarer: Die Zeit, die er für das Zurücklegen des Weges benötigte erschien ihm zu lang.
Hectors vorherige gute Laune wich langsam Sorge und schließlich leichtem Frust, als er und auch Apollonia nichts finden konnten, was sie in irgendeiner Weise weitergebracht hätte. Waren sie am Ende doch in einer Sackgasse gelandet? Hatte dieser Ort vielleicht doch nichts mit all dem zu tun? Oder waren die Spuren von dem Lauf der Zeit weggewaschen worden? Er kannte den Grund der Burg beinahe auswendig, bis ihn ein bekanntes Gefühl des Übernatürlichen überraschte. Konnte das sein? Ja, es bestand trotz seiner anfänglichen Skepsis kein Zweifel, der Weg zwischen Abhang und Eingang…er war - so blöd das klang - einfach zu lang.“ Hector schaute sich nach seiner Begleiterin um. „Apollonia komm mal her. Ich glaube, ich habe etwas gefunden.“
Sie brauchte keine Minute um an seiner Seite zu sein. „Außer Steinen und Gras habe ich nichts gefunden. Nun ja, das wäre keine schlechte Stelle für eine Ausgrabung, aber von Burgen und Mittelalter gibt es in den tschechischen Museen schon reichlich…“ Hoffnungsvoll sah sie zu ihm.
Hector versuchte sich so gut es ging an das von Bram gemalte Bild zu erinnern. Dort war ein Fenster, welches mit einem Leuchten besonders hervorgehoben wurde, vielleicht… „Wenn mich nicht alles täuscht, dann gibt es hier eine Art Verzerrung im Raum, oder auch in der Zeit, da bin ich mir noch nicht ganz sicher.“ Er zeigte auf den Weg zwischen Eingang und Abhang. „In dem Bild von Bram hat er einen Raum, ein Fenster besonders hervorgehoben, wenn mich nicht alles täuscht.“ Hector ging in die Richtung, in welcher er diesen Teil des Gebäudes vermutete. „Wenn ich nicht völlig falsch liege, dann könnte es hier sein.“ Er schaute sich um und versuchte mittels der Sphären der Zeit und Korrespondenz irgendwelche Auffälligkeit im Gewebe der Realität wahrzunehmen.
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Hector konnte nichts spüren. Er fand den Bereich, den Bram besonders hervorgehoben hatte, mühelos, doch war nichts von Magie hier zu bemerken. Apollonia war an seine Seite getreten. „Das hier ist es?“, fragte sie. „Ich spüre nichts.“
„Hmm, ich auch nicht, aber irgendwas ist hier.“ Ein weiterer Gedanke kam Hector und er holte den Schlüssel aus der Tasche, vielleicht reagierte dieser in irgendeiner Art und Weise auf diesen Ort und riet der Hermetikerin das Gleiche zu tun. „Apollonia schau mal, ob dein Schlüssel sich hier irgendwie zu Hause fühlt, immerhin ist dieses Bild darauf verewigt.“
Hector konnte spüren wie der Schlüssel, den er hervorzog, die Wand berührte und mühelos, wie durch einen Schleier, hindurchglitt. Der kleine silberne Schlüssel war Tür und Tor zugleich.
Hector holte kurz Luft, nickte Apollonia zu und versuchte selbst, mit dem Schlüssel in der Hand durch die Wand zu treten. Das Schicksal belohnt die Mutigen, oder zumindest hoffte Hector, dass er sich nicht falsch an diesen Spruch erinnerte.
Der Ekstatiker konnte ohne jeden Widerstand durch die Wand hindurchschreiten. Der Raum dahinter war dämmrig und durch ein kleines eingestürztes Fenster fielen die letzten Sonnenstrahlen des Abends hinein. Es war stickig und staubig hier. Leif sah Holzreste, die wahrscheinlich vor langer Zeit einmal ein Tisch und Stühle gewesen sein mochten, altes Pergament, das vielleicht einmal beschriftet gewesen sein mochte. An eine der Wände hatte jemand vor langer Zeit Handabrücke mit Gesichtern darauf gemalt, die jetzt verwaschen und mit wenigen Ausnahmen ziemlich unkenntlich geworden waren.
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Ehrlicherweise überrascht, blinzelte Hector mehrfach, um sich in seiner neuen Umgebung zurechtzufinden. Er schritt durch den Raum und auf die bemalte Wand zu. Nach und nach betrachtete er die Gesichter, die durch die tief stehende Abendsonne in ein goldenes Licht getaucht waren. Die ganze Situation schien schlicht unwirklich.
Apollonia war seinem Beispiel gefolgt und hatte den Raum ebenso betreten. Auch sie war überrascht. „Wow. Das ist mal ein gut geschützter Raum. Wofür um alles in der Welt war der da?“ Sie stellte sich neben ihn und betrachtete ebenso die Handabdrücke. „Als Mitarbeiterin eines Museums kann ich dir mitteilen, dass diese Malkunst mit Ausnahme der Steinzeit eher rar ist.“ Sie versuchte ein kurzes Lachen, das seltsam hohl in diesem Gemäuer klang.
Hector wandte seinen Blick nicht von den Wandmalereien ab, während er Apollonias Ankunft bemerkte und schließlich sprach. „Wir können auf jeden Fall davon ausgehen, dass wir auf der richtigen Fährte sind.“ Hector studierte weiter die Gesichter und Hände. „Kennst du irgendjemanden hier? Irgendein Großonkel oder eine Urgroßmutter von dir?“

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„Die sind viel zu verschmiert. Das könnten meine Tante, mein Onkel sein, aber genauso gut Vaclav, der polnische Präsident oder du.“ Sie ging näher hin und betrachtete die Gesichter eingehend. „Der seiht dir sogar ein wenig ähnlich, finde ich. Die Handabdrücke… hm, wahrscheinlich drei Männer, zwei Frauen und ein Kind. Vielleicht eine Familie?“
„Keine Ahnung, wenn ich ehrlich bin.“ Hector versuchte seine Aufmerksamkeit von der eigenartigen Wand zu lösen und logisch zu denken. „Die Schlüssel haben uns bis hierher gebracht, vielleicht bringen sie uns noch ein Stück weiter.“ Mit dieser Überlegung versuchte Hector die einzelnen Handabdrücke an der Wand mit dem Schlüssel zu berühren, beginnend bei dem Größten.
Beim größten Handabdruck bemerkte Hector, dass der Besitzer der Hand einen sechsten Finger gehabt haben musste. Er tastete nur bloßes Mauerwerk. Beim nächsten jedoch war es anders. Der Schlüssel glitt erneut durch den Felsen, schien fast hineingerissen zu werden. Hector konnte spüren, dass etwas ebenfalls an ihm riss, sobald er die Steinwand berührte, die sich plötzlich nicht mehr wie Fels anfühlte. Eher wie Wasser. Ihm wurde mit einem Mal schwarz vor Augen und speiübel als hätte er sich zig dutzende Male mit unvorstellbarer Geschwindigkeit um die eigene Achse gedreht. Hector konnte nur mit Mühe verhindern, dass er sich übergeben musste.
Mit flackernden Lidern versuchte er etwas zu erkennen nachdem das grausame Gefühl verebbt war. Stattdessen hörte er nur eine Stimme, die ihm bekannt vorkam. „Trink das hier. Ist nur abgekochtes Wasser. Dann geht’s dir wieder besser.“

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 Betreff des Beitrags: Re: Prag I: Hector
BeitragVerfasst: Mi 7. Dez 2022, 12:21 
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Noch immer drehte sich alles in ihm. Es war wie das seltsame Gefühl, dass man hatte nachdem man ein Schiff verließ auf dem man sich einen Tag lang aufgehalten hatte. Hector roch Stroh und Rauch. Jemand versuchte ihm mit einem Becher kaltes Wasser zu trinken zu geben.
Es gelang ihm mit etwas Mühe die brennenden Augen zu öffnen. Um ihn war es dämmrig und ein Feuer glomm in einem Kamin, den man kaum als solchen bezeichnen konnte. Das Zimmer war altertümlich und dunkel, nur erhellt vom Licht des Feuers, zweier Kerzen und einer Taschenlampe, die ihren Strahl an die flache Decke warf. Er erkannte in dem Bereich, der nicht im Schatten lag, ein paar notdürftige Betten, einen schweren Eichenschrank sowie einen Tisch mit ein paar Stühlen, an dem jemand über ein paar Dokumente gebeugt saß und sich Notizen machte. Und dann ein anderes Gesicht, dessen Besitzer den Becher auf einen Nachttisch abstellte. Es sah Bram so ähnlich, dass es ihm fast den Atem geraubt hätte. Und dann auch wieder nicht. Dann dämmerte es ihm:
Der wohl 18 oder 19jährige hier, der versuchte ihm zu helfen, war ein jüngeres Ebenbild seines Freundes.
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 Betreff des Beitrags: Re: Prag I: Hector
BeitragVerfasst: Mi 7. Dez 2022, 17:16 
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Hector war verwirrt und hatte Probleme das was gerade geschehen war richtig einzuordnen. Hatte er sich vielleicht heftig den Kopf gestoßen? Erst der Anblick der jüngeren Version von Bram halfen ihm sich wieder zu fokussieren auch wenn diese aller Logik widersprechende Präsenz ein Gefühlschaos in ihm auslöste, welches er nur mit Mühe unter Kontrolle bekommen konnte. Nachdem er einmal tief durchgeatmet hatte und sein Kopf nicht mehr ganz so schwirrte, stellte Hector seine Frage an die jüngere Version von Bram. „Wo genau bin ich hier? Bist du..." Er schaute auf die Gestalt am Tisch. "...seid ihr wirklich hier?" Er stockte kurz, bevor ihm noch ein anderer Gedanke kam. "Bin ich wirklich hier?"

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 Betreff des Beitrags: Re: Prag I: Hector
BeitragVerfasst: Mi 7. Dez 2022, 21:52 
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Der junge Mann fuhr sich etwas verlegen durch die braunen Haare und Hector hätte die Antwort auf seine Frage nicht benötigt um sicher zu sein. Allein den Geruch dieses Mannes hätte er unter Millionen Menschen wiedererkannt. Diesen Geruch, den er nach dessen Tod am liebsten für die Ewigkeit konserviert hätte um im Laufe der danach folgenden Jahre einsehen zu müssen, dass er aus allem, Kleidung, Decken, selbst dem Lieblingsparfum, verschwand wie ein verblassendes Herbstblatt, dass sich schließlich komplett auflöste. Der Geruch erschien ihm sogar etwas kräftiger als er ihn in Erinnerung gehabt hatte.
„Ich bin Abraham, aber ‚Bram‘ ist mir lieber. Wollen Sie sich vielleicht aufsetzen oder am Tisch etwas essen? Es gibt Brot, etwas Braten und gebratenes Gemüse.“ Er streckte ihm die Hand entgegen um ihm aufzuhelfen. „Eine Frau ist fast zur gleichen Zeit wie Sie hier angekommen. Sie schläft noch. Gehört sie zu Ihnen?“ Er wartete Hectors Antwort ab, bevor er fortfuhr. „Wir sind mittlerweile sechs. Sie und die…“. Er suchte kurz nach einem Wort, das höflicher klang als ‚Frau‘. „… die Dame, die mit Ihnen hier angekommen ist, dann Simon und Theresia, die jedoch gerade draußen sind. Und…“ Er deutete zum Tisch. „Tia.“
Die Gestalt am Tisch hatte von ihren Unterlagen aufgeblickt und sah in seine Richtung. Es handelte sich um eine ausgesprochen schöne junge Frau mit blondem, wallendem Haar in einem pelzbesetzten Kleid, das man wohl vor ein paar hundert Jahren getragen haben mochte. Sie sah fast huldvoll zu ihm hinab und nickte. Sie hielt den Kopf höher und gerader als er es von anderen Frauen gewohnt war. „… von Waldstein“, ergänzte sie etwas schnippisch ihren Namen. Allein in diesen beiden Worten schwang ein starker Wiener Akzent mit. Dem Ekstatiker war bewusst, dass dieses Mädchen großen Wert auf Titel und ihre eigene Stellung legte. Nichtsdestotrotz rückte sie ein Stück zur Seite um den Männern Platz zu machen, falls sie sich an den Tisch setzen wollten. Sie wartete ab und ließ Bram das Wort. „Ob zum Guten oder zum Schlechten: Ja, Sie sind wirklich hier!“

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