Vampire: Die Maskerade

Alida nickte nachdenklich. „Es ist wohl stets schwer jemanden einzuschätzen.“ Sie kam noch ein Mal auf die Narbe zu sprechen. „Es ist klug, wenn ihr Bedenken äußert.“ Dann jedoch lachte sie leise auf. „. Verzeiht mir die Blasphemie, aber Leif und ich hattes des öfteren schon ins Auge gefasst der wundertätigen Statue der weinenden Maria ab und an ein wenig unter die Arme zu greifen. Behauptet vielleicht einfach eine Zeit lang, ihr hättet zum Herrn gefunden. Oder ihr lobt im Beisein von Skeptikern die Heilkünste des Thor Leifson, die diejenigen seines Vaters bei weitem übersteigen… Überlegt euch die Angelegenheit noch einmal, wenn ihr wollt.“ Sie erhob sich. „Seht unser Haus als das eure an und genießt das Fest. Ich werde schauen… Vielleicht kann ich in den frühen Morgenstunden, wenn sich das Fest dem Ende zu neigt bereits nach Flussfall aufbrechen. Dann wäre es mir möglich, mich bereits morgen mit Karl zu besprechen. Werdet ihr auch dorthin reisen?“

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Der Weg zum Ziel beginnt an dem Tag, an dem du die hundertprozentige Verantwortung für dein Tun übernimms.
Dante Alighieri

Thyra lächelte und Alida konnte zwei Reihen heller, ebenmäßiger Zähne erkennen. "Ich werde über eure Worte nachdenken. Das ist keine Entscheidung die ich leicht zu treffen ist, aber ihr habt mir einige Dinge gegeben die ich abwägen muss." Die junge Frau nickte dankbar, wobei sich ihre Züge kurz danach in etwas wie Bedauern verwandelten. "Ich selbst werde nicht wieder nach Flussfall reisen. Ich will weder die Geduld eurer Verwandten weiter auf die Probe stellen, noch ihre Freundlichkeit ausnutzen indem ich mich weiter von der Gilde fernhalte. Ich wurde lediglich für die Abreise meiner Mutter ins heilige Land entbunden."

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Alida zog fragend die Augenbrauen zusammen. „Von welcher Gilde sprecht ihr?“ Man sah ihr an, dass sie über Thyras Worte nachdachte, aber nicht recht verstand.

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„Die Seidenweberinnen.“ Thyra ließ ihre Worte einen Moment im Raum verklingen, bevor sie dazu ansetzte Alidas Frage weiter zu beantworten. „Es war wohl nicht abzusehen, dass ich dieses Handwerk erlerne. Meine Hände sind seit meiner Kindheit mehr mit Axt und Schild vertraut als mit Nadel und Faden, aber die Umstände ließen mir keine Wahl.“ Die blonde Frau strich sich einige Haare aus den Augen, die irgendwie den Weg in ihr Gesicht gefunden hatten. „Vielleicht habt ihr es gehört, aber einige Wochen vor dem Bürgerkrieg wurde meine Mutter auf dem Markt für Verbrechen gegen die Gilde der Schmiede verhaftet und nach Gent gebracht. Die Gräfin Johanna selbst hatte veranlasst, dass ab sofort alle Verletzungen gegen die heiligen Gesetze des Handwerks vor einem gräflichen Gericht verhandelt werden sollten.“ Thyra seufzte. „All das war von ihrem Gildemeister natürlich an den Haaren herbeigezogen. Lem van de Meer hat seit Jahren eine Fehde mit meiner Mutter und das gräfliche Dekret kam ihm sehr zugute sie endlich aus dem Weg zu räumen. Dabei war einer der Vorwürfe die sie ihr gemacht haben die unerlaubte Ausbildung eines Lehrlings. Mich selbst genauer gesagt.“ Alida konnte sehen, wie Thyra die Fäuste ballte. Ihre Reaktion zeigte, dass offenbar auch sie recht wenige Sympathien für den Gildemeister übrig hatte. „Sie hätten mich auch verhaftet, obwohl Brunhild mich nie ausgebildet hat. Ich habe ihr lediglich im Haus und auf dem Markt ausgeholfen. Nicht mehr oder weniger als normales Gesinde, aber diese Erklärungen haben die Männer der Gilde nicht interessiert. In diesem Moment hat sich eure Verwandte Mildred eingeschaltet und behauptet, dass die Anschuldigungen falsch seien, da ich nicht der Lehrling meiner Mutter, sondern der ihre war. Lem van de Meer konnte nun nichts mehr tun als mich gehen zu lassen. Der gute Name und Einfluss eurer Verwandten war nichts was er einfach ignorieren auch wenn ich glaube, dass er es nicht vergessen hat das eure Verwandte ihn so offen herausgefordert und gedemütigt hat. Insbesondere da sie eine Frau war.“ Die junge Nordländerin seufzte. „Ich bin der Herrin Mildred dankbar für diese Unterstützung in einem Moment der Not. All, das bedeutet allerdings auch das ich dieses Handwerk nun erlernen muss und ich noch mindestens die nächsten zwei Jahre Verpflichtungen gegenüber der Gilde habe, damit ich Lem van de Meer keine weitere Angriffsfläche bieten kann.“ Thyra lächelte mit einem Ausdruck im Gesicht, der zeigte, dass sie sich diesen Umständen gefügt hatte. Auch ihr schien völlig klar zu sein, dass ihr als unverheirateter Frau und Ausländerin schlimmeres hätte widerfahren können, als eine Ausbildung und den Schutz in einer der reichsten Gilden der Stadt zu erhalten. Es galt der alte Spruch: Gottes – oder welche Macht Thyra auch immer anbetete – Wege waren unergründlich.

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Alida musste an sich halten um nicht mit dem Kopf zu schütteln oder die Fäuste zu ballen. Wenn diese junge Frau auch nur ansatzweise ihrer Mutter glich, dann war sie bei den Seidenweberinnen wohl so gut aufgehoben wie ein Lucien Sabatier, der zur Vergebung seiner Sünden das Kreuz nahm und im heiligen Land Mauren massakrierte. Alida wusste nur zu gut, dass die wenigsten Frauen so priveligiert waren wie sie oder eine Gräfin von Erzhausen. In ihrer Familie schätzte man die Arbeit der Frauen viel zu sehr um darauf zu verzichten und als ‚Teil der Familie‘ kam man nie offen mit den Obersten der Gilde aneinander, denn wer konnte es einer Gemahlin, Tochter oder Mutter schon verübeln, wenn sie im ‚Betrieb‘ aushalf. Brunhild uns Thyra hatten es weitaus weniger einfach. Die Seidenweberinnen…? Alida ließ sich den Gedanken kurz durch den Kopf gehen. Was hatte sich Mildred wohl dabei gedacht? Zum einen war sie eine viel zu selbstbewusste und stolze Frau um das Schicksal des Mädchens gleichmütig hinzunehmen. Zum anderen jedoch war sie mindestens ebenso klug und gerissen. Wo konnte sie wohl eine bessere Leibwächterin herbekommen als diese ausgebildete Kämpferin, die sie bei Tag und bei Nacht in ihrer Nähe haben konnte. Cleveres Mädchen, gestand Alida Mildred anerkennend zu. Wahrscheinlich ließ sie Thyra genauso oft mit Schwert und Schild trainieren wie mit Nadel und Faden. Sie sah in die hellen Augen der Nordländerin. „Verzeiht mir meine Dreistigkeit, Thyra. Ihr braucht meine Frage nicht zu beantworten, wenn sie euch zu privater Natur ist… Wo seht ihr selbst eure Zukunft? Was wollt ihr tun nach den zwei Jahren Lehrzeit?“

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„Sorgt euch nicht. Ihr tretet mir gewiss nicht zu nahe.“ Thyra schien nach Worten zu suchen. „Eure Frage ist nur sehr schwer zu beantworten. Die letzten Jahre waren eine Herausforderung und alleine das ich nun hier stehe ist für mich wahrlich eine Überraschung. Ich habe Entscheidungen getroffen, die die Türen zu meiner Vergangenheit für immer geschlossen haben. Mein Weg liegt zwar vor mir, ich weiß aber noch immer nicht wo er mich hinführen wird…außer...nun vielleicht irgendwann nach Spanien.“ Thyra errötete und wirkte in diesem Moment sehr jung, wie eine junge Maid die sich für etwas zu schämen schien. „Mein Bruder wollte immer dort hin. Schon als kleiner Junge hat er mir von diesem Ort erzählt. Geschichten, die er von Händlern auf dem Markt gehört hat und wilde Abenteuer von Reisenden. Von den Hochebenen und grünen Tälern, sowie den Mauren und ihren bunten Märkten. Den Arabern und ihrem Gott Allar, von Türmen und Gebäuden die bis in den Himmel reichen. Irgendwann einmal werde ich dort hinreisen und all das was er immer erleben wollte mit eigenen Augen sehen. Ich habe das Gefühl, dass ihn das glücklich gemacht hätte und dieser Gedanke macht seine Abwesenheit ein bisschen einfacher und weniger traurig. Er starb für seinen Traum von Freiheit, aber das heißt nicht das sein Traum mit ihm enden muss.“ Sie zuckte mit den Schultern, beinahe entschuldigend. „Es ist jedoch wie so oft. Die Zukunft ist ein Weg mit vielen Abzweigungen. Wer weiß schon was morgen ist? Geschweige denn im nächsten Jahr.“ Thyra suchte den Blick der blonden Händlerin. Sie schien sich entschlossen zu haben ihr ebenso eine persönliche Frage zu stellen. „Wusstet ihr denn immer, was eure Zukunft bringen wird und habt ihr euch je vor dem gefürchtet, was vielleicht noch kommen mag?“

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Alida dachte einen Moment über die Frage nach, die sie sich nicht oft gestellt hatte. „Als ich jung war stand mein Weg irgendwie fest. Arbeiten im Kreis der Familie, einen angemessenen Mann finden… Dann… nun ja… hat die Welt der Dunkelheit alles Geplante zunichte gemacht.“ Wieder überlegte sie. „Ich habe irgendwie immer Zuversicht gehabt, dass ich meinen Weg gehen und dabei Erfolg haben kann. Allerdings ängstigt mich die Anzahl an Nächten, die mir zur Verfügung stehen, denn eines Tages, wann auch immer das sein wird, werde ich scheitern und vor diesem Tag graut mir…“ Sie vertrieb den unguten Gedanken mit einem Kopfschütteln. Dann versuchte sie sich das Gesicht des jungen blonden Mannes, Erik, ins Gedächtnis zu rufen. Er war ein paar Mal hier im Haus ein und ausgegangen als seine Schwester von Balduin gepflegt worden war. Hendrik war ebenso begeistert von ihm gewesen wie von Thyra. Vor allem die Musik auf der Laute hatte es ihm angetan. „Ihr wollt den Traum eures Bruders wahr werden lassen. Ein guter Plan. Ich bin mir sicher, es wird euch gelingen. Wenn wir euch eines Tages behilflich sein können, vielleicht mit der Schiffspassage nach Santander, oder anderweitig, dann lasst es mich bitte wissen. Euer Bruder wäre sicher sehr glücklich über eure Pläne.“

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Thyra nickte. „Ich glaube, es liegt in unserer Natur dazu zu neigen die Dinge zu fürchten, die noch eintreten können, immerhin weiß niemand ob Gutes oder Böses auf uns wartet.“ Die blonde Frau zuckte leicht mit ihren Schultern. „Erik hat Veränderungen immer freudig erwartet, aber ich denke ich bin wohl ein wenig konservativer, wenn es um solche Dinge geht. Obwohl ich mir Mühe gebe Neuem gegenüber offen zu sein, alleine schon um Eriks Willen. Wisst ihr, mein Bruder und ich sind...oder besser gesagt wir waren Zwillinge. Als Erik gestorben ist, hatte ich das Gefühl etwas von mir ist mit ihm gegangen. Sein Tod hat ein Loch in einem Teil von mir hinterlassen, den ich bis dahin nicht einmal gekannt habe. Ihr könnt euch das vielleicht nicht vorstellen, aber wir haben beinahe unser ganzes Leben miteinander verbracht. Wir sind zusammen aufgewachsen, haben die Welt zusammen erkundet und unsere Erfahrungen gemacht, auch wenn wir uns am Ende nicht unterschiedlicher hätten entwickeln können. Dennoch...“ Trotz des düsteren Themas lächelte die Nordländerin aufrichtig. „...Dennoch bedeutet das im Umkehrschluss auch das ein Teil von ihm immer in mir weiterleben wird. Ich bin mir sicher, irgendwann werde ich nach Spanien gehen. Das wird dann beinahe sein, als wäre er auch dort. Dieser Gedanke macht mich irgendwie glücklich und lässt mich trotz allem irgendwie mit Neugier und freudiger Erwartung in die Zukunft sehen.“ Sie nickte Alida dankbar zu. Thyra schien all das, was sie gesagt hatte immer gewusst, aber offenbar noch nie so offen zu formuliert zu haben. Es gab eben Situationen im Leben, wo es erheblich einfach war mit Fremden als mit vertrauten Menschen zu reden. „Ich werde also vielleicht einmal auf euer großzügiges Angebot zurückkommen. Habt Dank und bitte kehrt nun zu euren Festlichkeiten zurück. Ihr solltet die restlichen Stunden noch genießen, wenn ihr schon in so kurzer Zeit nach Flussfall aufbrechen wollt. Ich hoffe wirklich, dass euer Besuch dort ein angenehmer sein wird und nicht ein weiteres Schlachtfeld nach sich zieht."

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Alida schmunzelte kurz bei Thyras Besorgnis. „Ob der Besuch angenehm verlaufen wird, weiß ich nicht zu sagen. Aber ein Schlachtfeld wird sich daraus ganz sicher nicht entwickeln. Ich bin gespannt, was es zu besprechen geben wird.“ Sie nickte der jungen Frau ein letztes Mal zu. „Ich verstehe das mit eurem Bruder nur zu gut. Ich hatte auch dereinst einen Bruder, der mir viel bedeutet hat. Sein Wunsch war es, dass es den Kindern der Familie gut gehen würde…“ Sie zuckte leicht mit den Schultern als wäre diese Bemerkung eine unwichtige Kleinigkeit.

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„Ich wünsche euch noch einen schönen Abend Alida van de Burse.“ Thyra verabschiedete sich schließlich ebenfalls mit einem Nicken und ging dann wieder in die Küche zu der dort noch immer wartenden Seidenwebergesellin. Die eigentlichen Feierlichkeiten der van de Burses waren inzwischen ebenfalls vorangeschritten. Einige der jüngeren Mitglieder ihrer Familie hatten sich um den Flöter versammelt, um seiner Musik zu lauschen und die Älteren waren wie so oft bei einem Krug Wein oder Bier zusammengekommen, um über aktuelle Entwicklungen des Handels und der Politik zu reden. Eine ruhig, warme und vor allem familiäre Atmosphäre hatte sich im Haus ausgebreitet und eins war klar: Allen ging es gut.

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