Vampire: Die Maskerade

Auch in der nächsten Nacht fand Louisa sicher ihren Weg zurück zum Drachenkopf. Der Regen und die für Sommer so unangenehme Kälte schienen am vergangenen Tag ein wenig nachgelassen zu haben, weshalb Louisa auf den nächtlichen Straßen von Brügge dieses Mal auch ein paar mehr Menschen begegnete als gestern. Die Taverne fand die Brujah genauso vor, wie sie sie zurückgelassen hatte und niemand schien auch nur zu ahnen, was sich gestern noch zu so später Stunde in den Kellern des Gebäudes zugetragen hatte. Bereits kurz nach ihrem Eintreten konnte die Kainitin wieder feiernde, trinkende und spielende Menschen beobachten, die für ein paar Stunden ihre Sorgen vergessen, oder ihre Erfolge feiern wollten. Heute war es noch voller als gestern, was wohl auch bedeutete, dass im ersten Moment niemand Louisa sonderlich viel Aufmerksamkeit zu schenken schien, so sie es denn nicht im besonderen Maße darauf anlegte. Im warmen Inneren der Taverne konnte sie das ein oder andere Gesicht des vorherigen Abends erkennen, auch wenn Odric selbst nirgendwo zu sehen war.

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- Do not go gentle into that good night. Rage, rage against the dying of the light. -

Da sie ihre Maskerade nicht ändern konnte, hatte die Kainitin auch dieses Mal wieder die Kleidung einer gut situierten Bürgersfrau angelegt. Die Erfahrung hatte sie jedoch gelehrt, dass sie damit in der Taverne auffiel. Sie hatte daher zusätzlich einen langen Mantel mit einer weiten Kapuze gewählt und auch im Schankraum nur die letztere zurückgeschlagen, um die Aufmerksamkeit nicht allzu sehr auf sich zu ziehen, denn sie war sich des zweischneidigen Schwerts bewusst, das ihr Aussehen bedeutete. Das Interesse der Männer oder den Neid der Schankmägde hervorzurufen, lag heute Nacht nämlich nicht in ihrer Absicht. So drückte sie sich auch recht bescheiden an einen leeren Tisch in einer Ecke und mied den Blick anderer Gäste. Sollte sie gefragt werden, würde sie nur einen Becher mit Dünnbier bestellen.

Es war ihr nur recht, wenn man bemerkte, dass sie auf jemand bestimmten wartete und nicht auf Abenteuer aus war. Denn der einzige Mann, auf den ihre Absichten gerichtet waren, musste sehr bald von ihrer Anwesenheit erfahren, wenn sie sich nicht sehr in ihm täuschte. Und dass er sie in der Zwischenzeit nicht vergessen hatte, dafür sollte der spezielle Liebestrank gesorgt haben, den sie ihm verabreicht hatte. Jetzt war es an ihm, Initiative zu zeigen, nachdem sie schon bei der ersten Begegnung gezwungen gewesen war, beinahe unangemessen forsch aufzutreten. Gelegentlich spielte sie an ihren Locken herum, die noch immer leicht nervöse Mätresse spielend, die mit der bangen Frage im Herzen ausharrte, ob Odric seine neue Gespielin zu sich holen würde. Ihr wäre es gar nicht unrecht, wenn jedermann zu der Meinung gelangte, die gelangweilte, vernachlässigte Kaufmannsgattin hinge an der Angel des stattlichen Schankwirts statt umgekehrt.

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~ Begehren ist die Triebfeder allen Handelns ~

Louisa musste warten, länger als ihr vielleicht lieb war aber so hatte die Brujah zumindest die Gelegenheit sich etwas genauer in der Taverne umzuschauen. Die Gäste schienen sich auch nach einem zweiten Blick nicht anders zu verhalten als gestern, da hatte ihr Instinkt völlig richtiggelegen, der Schankknecht und die beiden Maiden, die ihm zur Hand gingen, wirkten allerdings wie ausgewechselt. Sie schienen nervös und schauten immer wieder verstohlen zur Tür, ganz so als erwarteten sie, dass jeden Moment der Leibhaftige hindurchtreten könnte. Nichts dergleichen passierte zwar, aber irgendwie schien die Brujah sich von deren Unruhe anstecken zu lassen und so konnte Louisa schließlich das leise Gefühl entwickeln aus irgendeiner Ecke der verwinkelten Gaststube beobachtet zu werden.

(Perception + Alertness [8]; deinen Auspex Wert kannst du von der Schwierigkeit abziehen)

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Sie musste sich nach einiger Zeit nicht mehr bemühen, Nervosität vorzugaukeln, weil das seltsame Verhalten des Mannes und der Mädchen sie mit einem vagen Gefühl der Unruhe zu infizieren begann. Während sie so wartete, nutzte die Brujah das vorgebliche Nippen an ihrem Humpen jeweils dazu, prüfende Blicke in die Runde zu werfen. Ohne ihre Empfindungen auf eine konkrete Ursache – abgesehen von den offenbar eingeschüchterten Sterblichen – zurückführen zu können, ging sie allmählich dazu über, immer längere und angestrengtere Blicke in die dunklen Winkel des Raums zu werfen. Gewohnt, dass ihre übermenschlich scharfen Augen jedes Mäuschen ohne Mühe selbst im Halbdunkel wahrnahmen, hatte sie das Gefühl, gegen etwas anzukämpfen, das ihre Aufmerksamkeit zu lähmen suchte wie der bleierne Schlaf, der mit der aufgehenden Sonne stets ihre Glieder und ihren Willen erfasste. Dennoch: Die Sorge um ihre Sicherheit ließ Louisa immer wieder mit den Kräften ihres Geistes gegen den betäubenden Nebel aufbegehren**, der ihr zuzuflüstern schien, dass dort nichts zu sehen sei, gar nichts...

**Perception+Alertness: 1 Erfolg.

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Es dauerte auch mit der Hilfe ihrer übernatürlichen Wahrnehmung eine ganze Weile, bis die Brujah die Blicke, die auf ihr zu liegen schienen, zurückverfolgen konnte. Verhüllt von einer Kapuze und tief in einer dunklen Ecke verborgen, konnte Louisa schließlich eine blonde Gestalt ausmachen, die ihr selbstbewussten Lächeln auf den Lippen zunickte. Es handelte sich um Svantje, die Ghulin von Charlotte Erembald. Die junge Sterbliche ließ Louisa eine kurze Geste zukommen, die man nur als Einladung verstehen konnte, sich zu ihr zu setzten. Beinahe im selben Moment jedoch trat auch der Schankjunge an sie heran und sprach mit leiser Stimme. „Odric hat nach Euch gefragt und gebeten, dass Ihr ihn in den Hinterzimmern treffen mögt.“ Der Schankjunge wirkte noch immer etwas nervös, schien aber geduldig darauf zu warten, dass sich die Brujah erhob und mit ihm gehen würde.

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Als sie Svantje endlich entdeckte, hielt Louisa kurz inne. Sie ließ einen flinken Blick durch den Raum gleiten, ob niemand sie beobachtete, ehe sie das Nicken der anderen mit einem leisen, unauffälligen Kopfneigen beantwortete. Innerlich spürte sie eine leise Nervosität aufsteigen. Wenn schon die Dienerin über ausreichend Kraft verfügte, sich ihren Sinnen, wenn auch nur beinahe, zu entziehen – wie mächtig mochte dann die Herrin sein..? Sie erinnerte sich an ihren Meister, die unglaublichen körperlichen und auch sonstigen Fähigkeiten, die er ihr oft genug demonstriert hatte, und schauderte leise zusammen. Sie würde vorsichtig sein müssen, Kainitin hin oder her... unter den Unsterblichen stand sie am unteren Ende der Pyramide, weshalb sie sich Feindschaften nicht würde leisten können. Charme und Nachgiebigkeit mussten ihre Waffen sein, um sich zu behaupten, bis sie sich ihre kleine Nische erkämpft hätte. Sie musste sich die Gunst von Charlotte und Ihresgleichen erhalten!

Daher war sie schon drauf und dran, sich zu erheben und der Einladung Svantjes zu folgen, als der Junge an ihre Seite trat. Indem sie freudige Erleichterung heuchelte, sagte sie hastig zu ihm: "Ich komme gleich, sofort! Bitte sage ihm, das ich sogleich kommen werde!" Damit langte sie in ihr Täschchen, um ihm eine kleine Münze zuzustecken, und begann mit fliegenden Fingern ihr Haar unter der Haube zu richten und an ihrer Schürze herumzuzupfen wie eine Frau, die sich bemüht, sich so schnell wie möglich von ihrem tadellosen Aussehen zu überzeugen. Sollte der Junge Odric nur melden, dass sie bemüht sei, ihm zu gefallen – ihr ging es in Hauptsache darum, einige unbeobachtete Momente zu gewinnen, in denen sie ein paar Worte mit Svantje wechseln konnte. "So beeile dich doch, mein Junge, lass Herrn Odric nicht warten – sage ihm, dass ich sofort da sein werde!" drängte sie mit gespielt koketter Aufregung.

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Der Schankjunge zögerte nur kurz, bevor er die ihm angebotene Münze mit Dank annahm. Er verbeugte sich leicht und flüsterte dann leise. „Geht durch die Tür direkt hinter mir. Dann haltet euch rechts und folgt dem dahinterliegenden Flur in einen kleinen Raum. Odric hält sich dort auf. Wartet nicht zu lange.“ Mit diesen letzten Worten drehte sich der Junge um und verschwand wieder hinter der Theke. Svantje beobachte diesen kleinen Austausch aufmerksam. Die Ghulin wartete bis Louisa sich zu ihr gesetzt hatte und begrüßte sie noch einmal diskret. Die blonde Frau hatte sich ebenso unauffällig gekleidet wie die Brujah selbst, offenbar auch um ungewollter Aufmerksamkeit zu entgehen. Ganz so als, ob sie Louisas Zeitdruck spürte, hielt sie sich nicht weiter mit irgendwelchen Höflichkeiten auf. „Ich bin hier um euch eine Warnung zu überbringen Frau van de Voort, aber zuvor erlaubt mir eine kurze Frage für meine Herrin. Habt ihr schon Fortschritte bezüglich eurer Aufgabe erzielen können?“

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Louisa wartete, bis sich der Junge entfernt hatte, dann ließ sie sich Svantje gegenüber auf eine Bank gleiten und neigte nochmals ganz leicht den Kopf. Froh, dass ihr Gegenüber keine Zeit verlor, antwortete sie ebenso formlos mit gesenkter Stimme: "Ich denke, bald werde ich dafür garantieren können, dass Odrics künftige Entscheidungen ganz im Sinne Eurer Herrin ausfallen werden", gestattete sich dabei ein vielsagendes Lächeln und strich sich geziert über das Mieder. Das Lächeln wich jedoch sehr schnell wieder einem ernsteren Gesichtsausdruck. "Eine Warnung?!" erkundigte sie sich alarmiert. "Hängt sie mit meinem Auftrag zusammen? Oder..?" Sie hielt inne, indem sie sich die weiteren Möglichkeiten durch den Kopf gehen ließ.

Nein, in der Domäne war sie kaum lange genug, um sich wirklich mächtige Feinde gemacht zu haben – also schied ein Kainit der Stadt als Quelle einer möglichen Gefahr hoffentlich aus. Aber da fiel ihr eine weitere Möglichkeit ein, und der bloße Gedanke daran ließ sie auch innerlich erstarren: Konnte es sein, dass ihr Meister ihre Spur bis hierhin, so fern ihrer letzten Begegnung, verfolgt hatte? Hatte sie seine Möglichkeiten doch unterschätzt? Wie weit reichte sein Arm, wo hatte er Verbündete und Zuträger, die ihn informierten? Oder bediente er sich geheimnisvoller Kräfte, die sie selbst allenfalls in einigen Jahrhunderten beherrschen würde, wenn sie denn so lange überlebte? Der Blick der Brujah huschte forschend durch den Raum. War er auf ihrer Spur, hatte er sie bereits aufgestöbert, saßen etwa schon Häscher in seinen Diensten an den umliegenden Schanktischen, von ihr unerkannt..?

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Louisas Erfolg oder Misserfolg schien Svantje auf den ersten Blick nicht sonderlich zu interessieren, aber die Brujah konnte spüren, dass sie froh über deren Selbstvertrauen war. Schließlich fügte die Ghulin noch etwas hinzu. „Meine Herrin ist äußerst großzügig, wenn Dinge effizient und nach ihren Vorstellungen erledigt werden. Aber aus diesem Grund bin ich nicht hier.“ Der Blick der blonden Frau verfinsterte sich etwas und sie suchte unauffällig den Raum nach etwas ab. Erst als alles zu ihrer Zufriedenheit schien, sprach sie weiter. „Etwas ist heute hier geschehen.“ Svantje pausierte kurz bevor sie so leise sprach, dass Louisa genau hinhören musste, um alles zu verstehen. „Der Gildemeister der Schmiede, van Dinken, soll heute Morgen vor dem geschlossenen Drachenkopf eine ganz schöne Szene gemacht haben. Ich bin daraufhin hierhergekommen, um weitere Nachforschungen anzustellen und habe herausgefunden, dass der besagte Schmied eine der Schankmaiden bestochen hat. Ich kann nicht sagen worum es ging, allerdings ahne ich nichts Gutes.“ Svantje wirkte nachdenklich. „Seid also vorsichtig und versucht unnötige Aufmerksamkeit oder Zwischenfälle zu vermeiden. Die Stille des Blutes muss unter allen Umstände gewahrt bleiben, nicht nur wegen dem Rat der Stadt, sondern auch weil dieser Ort für meine Herrin und Eure Auftraggeberin jeglichen Wert verliert, sollte er in den Fokus zu großer Aufmerksamkeit gelangen.“ Der letzte Satz der Ghulin schien tatsächlich keine Drohung, sondern ein ehrlich gemeinter Hinweis zu sein. Zugegeben, einer die nicht unbedingt Louisas Wohlergehen, sondern das Ihrer Herrin im Fokus hatte, aber dennoch ein Hinweis.

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Obwohl es nur eine Bemerkung am Rande war, registrierte die Brujah doch mit Wohlwollen die Äußerung ihres Gegenübers. Die Dame war also großzügig, wenn die Dinge nach ihren Wünschen verliefen – und dafür gedachte Louisa zu sorgen! Eine einflussreiche Gönnerin wäre ihr gewiss mehr als nützlich, um in dieser Domäne Fuß zu fassen... "Der Gildemeister also," wiederholte sie leise, "ja, ich hörte bereits, dass er gewisse Interessen hier hat, die er... recht vehement zu vertreten sucht." Sie blickte sinnierend vor sich hin, ehe sie wieder lächelte. "Habt Dank für die Warnung, die ich beherzigen werde. Eure Herrin sei versichert: Niemand soll wissen, dass sie Odric am Gängelband führen wird!" Da sie selbst beabsichtigte, eben jenes zu sein, und ihre eigenen Methoden hatte, fügte sie leise hinzu: "...noch nicht einmal er selbst." Die Zügel würden zart sein, mit denen sie ihn zu lenken plante, so zart, dass er sie kaum spüren würde... und dennoch unwiderstehlich.

Es war ohnehin klar, dass sie nicht auffallen durfte – wozu sonst hätte sie sich in die Verkleidung einer simplen, wenn auch wohlhabenden Bürgersfrau gehüllt? Und wenn Mijnheer van Dinken glaubte, er könne mit seinem albernen gekränkten Stolz ihre Pläne durchkreuzen, würde sie auch ihn besuchen und davon überzeugen, dass er Ruhe hielt. Was wunderte sich der alte Tölpel auch, wenn er seinem jungen Weib dem Vernehmen nach nicht gab, was eine Ehefrau nun einmal von ihrem Gemahl erwarten und verlangen durfte? Nochmals sah sie sich vorsichtig um, ehe sie Svantje zuraunte: "Ihr mögt mich nun entschuldigen – ich verzehre mich so sehr nach der Aufmerksamkeit Odrics, dass ich nicht länger warten kann. Ich bin gänzlich die Sklavin meines Verlangens nach seiner Manneskraft geworden..." Ihr übertrieben schmachtendes Seufzen begleitete ein spöttisches Glitzern in ihren Augen.

Nur ein sehr feinfühliger Beobachter würde womöglich das Feuer bemerken, das hinter diesem Glitzern aufloderte, ehe sie nach einem letzten Neigen des Kopfes aufstand und sich mit sanft wiegenden Hüften auf den Weg machte, den der Schankjunge ihr beschrieben hatte. Es hatte fast den Anschein, als verbinde sie mit ihrem Vorhaben mehr und stärkere Leidenschaften, als ihr kalter, untoter Körper es hätte ermöglichen dürfen. Dies hier schien nicht einfach ein Raubtier, dass sich bar echter Gefühle für sein Opfer nur seines verführerischen Äußeren bediente, um seine Ziele zu erreichen – dies schien wirklich und fürwahr eine leidenschaftliche Frau auf dem Weg zu ihrem Liebhaber. Perfekte Schauspielerei, makellose Maske, oder doch mehr..?

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