Mo 5. Nov 2018, 22:12
Alida nickte. Sowohl zu Frederiks Bemerkung die Feier ausklingen zu lassen als auch zu seinem Vorschlag etwas mehr Männer mitzunehmen. Die Zeiten waren wahrhaftig unruhig. Vielleicht gab es auch einen Tross Soldaten, die nach Flussfall unterwegs waren und denen man sich anschließen könnte. Sie würde noch jemanden bitten sich tagsüber umzuhören bevor sie ihre Kammer aufsuchen würde.
Die nächste Nacht brach ohne besondere Überraschungen herein und in ihrem Arbeitszimmer fand Alida bereits einige gepackte Taschen, die nur darauf warteten gesattelt und verstaut zu werden. Die Tzimisce sah eine Auswahl von Schuhen und Kleidung, praktisch bis festlich sowie ein paar einfach Schmuckstücke und Gegenstände für die persönliche Pflege. In einer zweiten, kleineren Tasche fanden sich Pergamente, Tinte, Löschsand und Federkiele. Meistens war der Ablauf immer der gleiche. Die Dienerschaft bereitete alles vorbereitet und Alida hatte dann noch die Möglichkeit alles durchzusehen und gegebenenfalls zu ergänzen. Danach wurden ihre persönlichen Sachen zur Abreise bereit gemacht. Man hatte ihr schließlich auch bezüglich ihrer Erkundungen Bericht erstattet. Es gab einen Händler, der Bauholz nach Flussfall zu liefern schien und dieser war sogar bereit gewesen auf sie zu warten, um ihren Tross zu vereinen. Er wartete am Osttor auf sie.
Alida lächelte still in sich hinein. Es war gut, dass sie so verlässliche Leute hatte auf die sie zählen konnte
Beide Taschen waren gut gefüllt worden. Sie öffnete die Schranktüren und griff nach ihrer Rüstung, die nur darauf zu warten schien. Irgendwie war es immer ein Jammer, die edlen Rüstteile unter der weiten Kleidung zu verstecken, aber so war das nun einmal, wenn man nicht gerade in einen offenen Kampf ritt, was sich als Frau nicht wirklich schickte. Sie würde zwei Wachmänner zusätzlich nach Flussfall mitnehmen. Sie dachte an den Händler. Wahrscheinlich würde er den Tross langsamer machen. Aber solang sie noch in der selbigen Nacht ankäme wäre das in Ordnung. Sie schulterte die Taschen.
Kurz hinter dem Osttor konnte Alida bereits ihre zukünftige Reisebegleitung ausmachen. Ein einzelner Wagen erheblich weniger schwer beladen als man vielleicht von einem Händler der ‚Bauholz‘ lieferte erwarten mochte, warte im Fackelschein auf sie. Alida ahnte, welche Art von Holz der Händler geladen hatte. Edle Balken und Bretter. Kirsche, Eiche, vielleicht goldene Birne. Dieser Werkstoff würde für Vertäfelungen und Dekoration benutzt werden, nicht für simple Konstruktionen und Bauvorhaben. Ein mittelalter Mann in praktischer Kleidung von hoher Qualität erwartete sie bereits. Der Händler hatte einen vollen Bart und verbeugte sich leicht. „Guten Abend wünsche ich euch. Ich gebe zu, es behagt mir nicht unbedingt so spät zu reisen, aber eine Gelegenheit unsere Männer zusammen zuschließen wollte ich mir nicht entgehen lassen.“ Er lächelte jovial. „Jost Westfurt, mein Name. Was führt ein Mitglied der berühmten van de Burses so spät auf die Straßen?“
Alida begrüßte den Händler wie unter Kaufleuten üblich mit einem Handschlag. „Alida van de Burse. Es freut mich eure Bekanntschaft zu machen. Es ist gut, wenn wir zusammen reisen können. Ich muss gestehen: Eine Familienfeier zu Ehren von Peter und Paul wurde gestern in unserem Hause abgehalten und es bedarf ebenso viel Planung bei der Organisation einer solchen Festlichkeit, wie beim Aufräumen hinterher. Deswegen die späte Abreise. Wobei: Ich muss gestehen: Ich bin in meiner Familie eh als die ‚Nachteule‘ verschrien, weil ich mich häufiger als die anderen melde Geschäfte, die des Nachts getätigt werden müssen, wie das Löschen von Ladung, zu bewerkstelligen. Nun ja… einer muss es ja machen und ich habe mich in all den Jahren längst an den nächtlichen Rhythmus gewöhnt.“ Sie machte eine wegwerfende Handbewegung als beschriebe sie frühes Aufstehen.
Jost fragte nicht weiter nach und wechselte noch einige belanglose Kleinigkeiten und Gerüchte mit Alida, während er seinen Tross abfahrbereit machte. Der ältere Händler erwies sich als angenehmer und unaufdringlicher Reisegefährte. Er sprach nicht zu viel, hatte seine Leute gut im Griff und wirkte allgemein wie jemand, der es gewohnt war draußen unterwegs zu sein, zumindest was Straßen und Handelswege betraf. Dank des Halbmondes am Nachthimmel dauerte es auch nicht lange bis die Reisegruppe Brügge hinter sich gelassen hatte. Glücklicherweise hatte es heute einmal aufgehört zu regnen, was es trotz des schlammigen Bodens ein wenig einfacher machte voranzukommen. Ihr erstes Ziel würde die Scheldenfurt sein um den Fluss zu überqueren, aber bis dahin hatten sie noch einige Stunden Ritt vor sich.
Ihre Reise verlief ruhig und doch wurde die Aufmerksamkeit des Trosses gelegentlich auf die Narben gelenkt, die der Bürgerkrieg hinterlassen hatte. Mehr als einmal säumten ein verlassenes Gehöft, unbestellte Felder oder verwilderte Weiden ihren Weg.
Es war nicht so, dass die, denen das Land gehörte, nicht versuchten diese Flächen zu bewirtschaften, aber es gab nach dem Krieg einfach nicht genügend Männer für die Arbeit. Irgendwann musste die Reisegruppe Rast machen. Ein nahes Waldstück mit kleinem Bach bot sich dafür perfekt an. Einige der Bäume waren gerodet worden und kreierten eine künstliche Lichtung, die wohl während des Bürgerkrieges als Heerlager gedient hatte. Die Pferde stürmten gierig zum Wasser und begannen zu trinken, während Alidas Begleiter Fackeln entzündeten und Wachen aufstellten. Jost gesellte sich zu der Tzimisce. „Ich schlage eine halbe Stunde Rast vor. Dann sollten wir uns wieder auf den Weg machen. Die Scheldenfurt ist nicht mehr weit.“
Die Sterne leuchteten prachtvoll am Himmel und Alida konnte eine einzelne, beinahe lautlose Bewegung am Waldsaum ausmachen. Alidas Augen verengten sich und sie versuchte mit ihren übernatürlichen Fähigkeiten mehr zu sehen als es das bloße Auge her gab. Leider war, was auch immer die Bewegung verursacht hatte, wieder im Gebüsch verschwunden.
Die Kräfte des Auspex begannen ihre ganze Umgebung zu verändern. Alida hörte plötzlich wie sich einer der Wachen in einem nahen Busch entleerte, beinahe als würde sie direkt daneben stehen und roch den Teer der Fackeln. Da es beinahe Windstill war konnte sie sich nach einem kurzen Moment schließlich gut auf das verdächtige Geräusch einstellen und schließlich eine abgehackte Unterhaltung zweier Fremder hören. „...dieses Mal?“ „...“ „...aber du hast doch...“ „Nein habe ich gesagt...sind...viele.“ Das Schnauben eines Pferdes und die Stimme von Jost rissen sie aber schließlich aus der Konzentration. Sie wandte sich an die anderen. „Ich habe eine Bewegung am Waldrand gesehen.“ Sie deutete auf die Stelle. „Da war etwas. Und ich hab ein paar Gesprächsfetzen vernommen. Ich weiß nicht, ob es eine gute Idee ist hier zu rasten. Wenn überhaupt nur mit gezogenen Waffen und in Verteidigungsstellung.“ Sie sah zum Wagen des Holzhändlers. „Ich kann mir nicht vorstellen, dass ihr das wollt.“
Der Holzhändler schien Alidas Urteilsvermögen komplett zu vertrauen und nickte ihr zu. "In Ordnung." Mit lauter Stimme an seine Leute rief er nur. "Aufsitzen!" und kurze Zeit später waren alle bereit zur Abreise. Die Pferde waren zwar müde, aber bis zur Scheldenfurt, oder zumindest in deren Nähe würden sie es allemal schaffen. Ihr Tross kam einmal mehr an überwucherten Weideflächen und einer verlassenen Fischerhütte vorbei, aber die Tzimisce konnte in dieser Zeit nichts Verdächtiges mehr ausmachen. Jost schien ebenfalls ein wenig von der Anspannung zu verlieren und schloss zu Alida auf. "Ihr habt gute Ohren, Alida van de Burses. Ich zweifele keine Sekunde daran, dass ihr etwas gehört habt. Dieser Abschnitt der Handelsstraße ist bekannt dafür gelegentlich überfallen zu werden. Irgendwo in den tiefen der Wälder gibt es sicherlich ein größeres Räuberlager."
„Ein ausgesprochen unschöner Gedanke… Beten wir, dass uns keiner von dieser Truppe heute Nacht zu Gesicht bekommt. Das sind nun einmal die Folgen des Krieges. Marodierende Söldner, die nicht ausgezahlt wurden, Bauern, die ihr Vieh und Feld verloren haben, Halbstarke, denen man die Eltern abgeschlachtet hat und die nun ihren Weg nicht mehr vor sich sehen. Aber es wird nicht mehr allzu weit nach Flussfall sein. Ich bin mir sicher, ihr werdet dort sehnsüchtig erwartet.“
Jost zuckte nur kurz mit den Schultern. „Wahrscheinlich. Aber immerhin ist es nicht so, als würde ich Wasser zu Verdurstenden transportieren.“ Er lachte mit tiefer Stimme. „Das Holz mag für die Handwerker wichtig sein, aber es ist nicht so, als ob jemand Geist und Gesundheit verliert, sollte ich etwas später anreisen. Die Bezahlung ist dennoch ausgesprochen großzügig.“ Der Händler rieb sich begierig die Hände und das trotz der Tatsache, dass er auf einem Pferd saß. Sie ritten weiter und schließlich erreichten sie die Scheldenfurt. Hier war eine der größten Schlachten des Bürgerkriegs geschlagen worden und das Gebiet wirkte auch nach der Bergung all der Toten noch immer trostlos und leer. Die Scheldenfurt war eine Brücke, von beiden Seiten befestigt und an der ihnen zugewandten Seite, konnte man noch immer die Beschädigungen der Belagerungsmaschinen sehen, für deren Ausbesserung es bis jetzt wohl weder Zeit, noch Geld gegeben hatte.
Die blonde Tsmiske ritt mit dem Tross darauf zu und beäugte missmutig die Einschlagslöcher. Hier hatten sie gekämpft: Lucien, Gerrit, Leif. Sie hatten in einem Krieg zwischen Schwestern Partei ergriffen und dafür gemordet. War das richtig gewesen? Hatte es Dorchas geschadet? Vielleicht hatte all das Blutvergießen dem Gott die Augen geöffnet, aber war es das wert gewesen? Sie vertrieb den Gedanken missmutig aus ihrem Kopf. Sie würde keine zufriedenstellende Antwort bekommen.
Sie erreichten die Brücke und nach einigen Worten von Jost konnten sie passieren. Die Wachmannschaften auf beiden Seiten waren bestimmt, aber freundlich. Nebel stieg vom Wasser auf und erfüllte die Luft mit einer klammen Kälte, die sie auf ihrem weiteren Weg nach Flussfall begleitete. Der Weg war nun nicht mehr weit und der Tross kam auf den gepflegten Straßen, trotz der Dunkelheit gut voran. Sie kamen an gut bestellten Weiden, ordentlich bestellten Feldern und den allgegenwärtigen Obsthainen von Flussfall vorbei. Die Festung war schon in der Ferne zu erkennen, als Jost noch einmal das Wort an sie richtete. „Wir reiten in drei Tagen zurück. Ich kenne eure Pläne nicht, aber es wäre mir eine Ehre wieder mit euch reisen zu dürfen, Alida van de Burse, egal zu welcher Zeit.“
Alida lächelte. „Danke, die Ehre ist ganz meinerseits. Ich weiß noch nicht wie lang ich hier verweilen werde, aber wenn wir in drei Tagen abreisen, dann gerne in eurer Gesellschaft. Ich wünsche euch gute Geschäfte!“
„Ich euch ebenso.“ Er nickte ihr zu, während sie den letzten Hügel nach Flussfall bezwangen. Unter ihr sah sie bereits die riesige Festung, die auf ihrer Insel direkt am Zusammenfluss zweier Ströme aus der Landschaft ragte. Dicke Nebelschwaden gaben der Gegend in der Dunkelheit etwas anderweltliches so wie sie die alten Mauern immer wieder verschluckten und freigaben. Alida erkannte aber trotz dieses vertrauten Anblicks, dass sich eine ganze Menge getan hatte. Vor den Toren der Festung gab es unzählige Baustellen und Konstruktionsstätten. Hölzerne Gerüste, Baustellen, Gräben und Pfähle im Wasser wirkten beinahe als würde hier ein Dorf als Ganzes aus dem Boden gestampft werden. Neben den Baustellen war eine riesige Zeltstadt zu sehen, die größtenteils bereits im Dunkeln lag. Hier und da waren aber dennoch einige Fackeln und Lichter zu erkennen. Alida sah bereits von weitem, dass die große Zugbrücke bereits hochgezogen war oder besser gesagt noch, da man am Osthimmel bereits das erste zarte Azurblau des kommenden Sonnenaufgangs ausmachen konnte. In einer Stunde etwa würde das geschäftige Treiben wahrscheinlich wieder beginnen, aber bis dahin hatte sie noch genug Zeit sich anzukündigen, ein erstes Gespräch zu führen und sich dann für den Tag zurückziehen. Jost verabschiedete sich wenig zeremoniell, aber herzlich von ihr und brach dann mit den seinen in Richtung der Zeltkolonie auf.