Mi 16. Nov 2022, 22:55
Apollonia konnte nicht das Gefühl bekommen, Hector zu nahe getreten zu sein. Er antwortete bereitwillig auf die ihm gestellte Frage. „Hmm…naja…um ehrlich zu sein, habe ich nichts dekoriert. Abraham hat die Wohnung, ja das ganze Haus gehört. Wir haben hier zusammen gelebt und er hat hier gearbeitet. Manchmal auch auf dem Dach oder im Keller, wo sich jetzt Matej’s Werkstatt befindet.“ Hector seufzte kurz. „Aber hier konnte und wollte ich seine Sachen noch nicht wegräumen. Alleine der Gedanke fühlt sich irgendwie falsch an. Also habe ich alles so gelassen, wie es ist…“
Sie nickte zustimmend. „Verstehe ich… Sowas braucht seine Zeit. Danke, dass wir die Möglichkeit erhalten haben hier zu wohnen.“ Sie senkte den Blick. „Wie lange ist das eigentlich alles her?“
Hector zuckte mit den Schultern. „Naja, es ist nicht so, dass ich, was euch angeht eine echte Wahl hatte. Versteh mich nicht falsch, ich bereue trotz Clea’s gelegentlichem Chaos und Vaclav’s schlechter Laune zu meiner Überraschung keine Sekunde, aber Dominik wollte das so und normalerweise bekommt er auch was er will.“ Hectors Blick glitt einmal mehr über die Gemälde im Inneren der Wohnung. „Bram ist vor drei Jahren gestorben.“ Hector schwieg einen Moment und wirkte überraschenderweise etwas unsicher. „Du musst das alles für ein wenig befremdlich halten…“
Sie griff nach der Kaffeetasse. „Die ganze Situation mag befremdlich sein, ja. ‚Zufälligerweise‘ leben wir alle in dem Haus, dass ihr gemeinsam bewohnt habt, der sich zufälligerweise als ‚Kraftort‘ entpuppt. Aber die Gegebenheit, dass du eure Wohnung noch nicht verändern wolltest, finde ich nicht befremdlich.“
Apollonia zog einen kleinen silbernen Gegenstand aus der Tasche. Das grelle Sonnenlicht brach sich für einen Sekundenbruchteil auf ihm und blendete Hector wie ein Lichtblitz. Dann konnte er ihn erkennen: Es handelte sich um die eine Hälfte eines alten, angelaufenen Schlüssels. Apollonia reichte den Gegenstand an den Ekstatiker weiter. Er schien handgemacht und musste wahrscheinlich bereits mehrere Jahrhunderte alt sein. In den Hals waren die Buchstaben ‚CEH‘ eingeritzt. Apollonia deutete auf das Wort. „Tschechisch für ‚Gilde‘. Die andere Hälfte fehlt leider.“
Hector mochte diese positive und energetische Seite von Apollonia sehr. Er wusste, dass manche seiner Bekannten und Freunde die blonde Frau als bieder, einfarbig und vielleicht sogar langweilig beschreiben würden, aber das entsprach einfach nicht der Wahrheit. Apollonia war klug, hatte einen feinen Sinn für Humor und versprühte manchmal ein Selbstbewusstsein, dass ihr das Charisma einer erfolgreichen Schauspielerin oder eines Models verlieh, insbesondere, solange sie sich in ihrer Komfortzone befand. Seit Paris fühlte er eine Verbindung zu der Hermetikern, die er mit den anderen Mitgliedern der Kabale so nicht teilte, aber wahrscheinlich lag es am Alter, welches die beiden beinahe miteinander teilten. Wie sehr ein paar Lebensjahre manche Dinge doch in Perspektive rücken konnte, sinnierte Hector. Seine Gedanken wieder ordnend, bestaunte der Ekstatiker den funkelnden Gegenstand, den er langsam in seinen Händen hin und her drehte. „Was ist das? Das ist schön.“
„Hm“, sie strich sich nachdenklich die Haare nach hinten. „Ich weiß nicht recht, wo ich anfangen soll… Kommt dir das hier bekannt vor? Hast du jemals etwas ähnliches gesehen?“
„Hmm…“ Hector überlegte. „irgendwie meine ich mich an was zu erinnern, aber es fällt mir einfach nicht ein…“ er betrachtet den Schlüssel weiter. Er erinnerte sich, dass er etwas Ähnliches einst bei seinem verstorbenen Freund gesehen hatte. Er hatte es eine Zeit lang als Kette um den Hals
„Moment mal…“ ohne Vorwarnung schnellte Hector auf und verschwand in der Wohnung. Nach einigen Minuten kam er mit einem Bild in einem Rahmen zurück und hielt es Apollonia hin. „Siehst du das die Kette…“ auf dem Bild war ein junger Mann zu sehen, der einen Teil eines Schlüssels um den Hals trug, ähnlich dem den Apollonia gerade aus ihrer Tasche gezogen hatte.
Apollonia nickte. „Das dachte ich mir. Er hatte den Schlüssel…“ Sie bemerkte plötzlich etwas und deutete auf den Rest des Schlüssels, der auf diesem Bild wie eine modische Kette wirkten. „Da erkennt man den Rest der Schrift. ‚ROT‘.“ Sie überlegte. „Tschechisch für verrottend… Die verrottete Gilde?“
„Ich weiß nicht, wieviel Bram dir erzählt hat und ich bin absolut nicht die Richtige um überhaupt solche Fragen zu stellen, da ich wahrscheinlich noch viel, viel weniger weiß als du… Bram stand in Kontakt mit meiner Familie. Er ist der Sohn meiner Großtante.“ Sie zögerte einen Moment, sah über die Dächer der Stadt, biss dann ein Stück von dem Croissant ab. „Er wuchs überwiegend bei seinem Vater Dominik auf. Als er älter war, trat meine Großtante wieder häufiger in sein Leben. Sie wollte ihn der Familie vorstellen, vielleicht sogar in diese integrieren. Soweit ich weiß, leistete er dabei exzellente Arbeit, galt als fast so etwas wie ein Wunderkind, stand direkt vor deren Karriereleiter.“ Sie hob den kleinen Schlüssel in die Höhe. „… bis eines Tages dieses kleine Ding hier daherkam. Oder er irgendetwas erfuhr, dass seine Motivation geändert hat. Er ist in das Haus von einer der Ältesten eingestiegen und hat versucht diesen Schlüssel zu stehlen. Dabei wurde er entdeckt, floh aus dem Gebäude. Er ist bei einer morschen Treppe gestürzt und der Schlüssel beim Aufprall auseinandergebrochen. Diesen Teil hier hat man dort noch gefunden, der andere war verschwunden.“ Sie legte die Finger um die Hälfte des Schlüssels, wie um ihn verschwinden zu lassen. „Abraham hat es raus geschafft, aber er war danach für die Familie gestorben. Meine Großtante muss alle Hebel in Bewegung gesetzt haben um zu verhindern, dass man Bram verfolgt hat. Ich will nicht wissen, welchen Trumpf gegen wen sie noch in ihrer Tasche hatte.“ Ihre Mundwinkel hoben sich leicht nach oben. „Meine Großtante war eine ziemlich gute und sehr gerissene Magierin.“
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