Di 19. Nov 2019, 21:28
‚Onkel‘ Andrej wippte belustigt mit einem locker überschlagenen Bein während seine Ellenbogen sich auf den breiten Armlehnen platzierten und die Finger ineinander verschränkt wurden. „Ach, ist das so?“, fragte er amüsiert lächelnd ohne weiter zu präzisieren worauf er sich bezog. Immer noch schmunzelnd fügte er nach einer kurzen Pause hinzu: „Dann ist es doch umso erfreulicher, dass du hochoffiziell aus dem Hause Rustovich bist, ohne auch nur annähernd mit den Angelegenheiten des Clans in seinen Stammlanden zu tun zu haben, nicht wahr? Wäre es nicht ganz erstaunlich, wenn eine unseres Blutes die gleichen Überzeugungen teilt wie Graf Vronsky? Dann müsstest du doch niemanden mehr von irgendetwas überzeugen, denn alles was dann übrig bleibt sind Fakten. Eine Rustovich, die das System eines Senats lebt aber dennoch Vladimirs Führerschaft befürwortet.“ Andrejs Lippen verzogen sich noch ein gutes Stück weiter nach oben. „Und solltest du in Erwägung ziehen unser Haus an irgendjemanden zu verraten, würdest du dir ganz besonders tief ins eigene Fleisch schneiden. Emilian wäre einer der ersten, den sie beseitigen würden. Allein schon wegen seiner überragenden Künste.“ Er hob die silberne Karaffe an. „Noch einen Schluck, meine Liebe?“
Alida zog skeptisch, die Stirn in Falten, hielt ihm dann jedoch den Pokal hin. „Aber natürlich, ich mag dieses Gebräu. Auch wenn ich bezweifle, dass ich den Abend durchstehe, wenn ich noch mehr davon bekomme. Ich bewundere wie viel so ein russischer Bauer vertragen kann.“ Sie schüttelte den Kopf. „Macht euch keine Sorgen, Andrei.“ Sie nippte erneut an dem roten Saft. „Familie, Ehre, Pflicht sind keine Begriffe, die hier im Osten ihre Bedeutung für mich verlieren. Auch dann nicht, wenn sie hier möglicherweise ganz anders ausgelegt werden als bei uns im Westen. Ich würde die Familie nie verraten. Aber das wisst ihr, sonst wäre ich nicht hier.“
Sie überlegte, setzte dann erneut den Pokal an und leerte ihn in einem Schluck. „Ich denke, ich sollte mich fertig machen gehen.“ Sie hielt noch einen Augenblick inne. „Wo ihr ihn gerade erwähnt: euer Neffe, Emilian, wird wohl erst gemeinsam mit dem Voivode der Voivoden, mit dem er aufgebrochen ist, wieder hier eintreffen, oder?“
Andrej Rustovich schenkte Alida großzügig nach und schmunzelte nur weiter amüsiert als diese sich in besonderem Maße positiv über die Trinkfestigkeit der russischen Bauern äußerste. „Oh Vodka ist hierzulande ein altes Hausmittel gegen… nun eigentlich fast alles. Du wirst dich daran gewöhnen, versprochen.“ Alidas weitere Ausführungen bezüglich ihrer Loyalitäten und Prinzipien quittierte der Unhold lediglich mit einem abweisenden Wink seiner Hand. „Nicht doch. Es ist nicht notwendig mich von deiner Redlichkeit zu überzeugen.“ Denn offensichtlich war ihrem Kommentar, dass sie ansonsten heute nicht hier wäre, auch von seiner Seite her rein gar nichts mehr hinzuzufügen. Mit einer fließenden Bewegung erhob sich der hagere, aber ausgesucht höfliche Mann um ihr die Hand beim Aufstehen zu reichen. „Ja, ich denke es wird tatsächlich Zeit. Am besten wirfst du einen Blick auf die Wintergarderobe, die ich in dein Zimmer habe bringen lassen. Die Kälte kann dir zwar an und für sich nichts anhaben aber gefrorenes Eis schickt sich dennoch nicht sonderlich bei festlichen Anlässen.“ Andrej schickte sich an mit der Dame an der Hand das Zimmer zu verlassen als schwere Schritte auf dem Gang zu hören waren. „Sollte das etwa…“ Weiter kam er nicht mehr, denn mit einem geradezu ohrenbetäubenden Rumms wurde die schwere Tür aufgeschlagen und hätte beinahe die Scharniere aus dem Stein geschlagen. Hereingestapft kam in der vollen Schlachtmontur seiner geschwärzten Rüstung Vladimir Rustovich, der Voivode der Voivoden. In seinen Augen glühte unbändiger, kaum zu zügelnder Zorn und seine Haare wurden langsam durch den schmelzenden Schnee feucht und hingen ihm in wilden Strähnen ins Gesicht. Er streifte einen seiner Panzerhandschuhe ab und warf ihn mit einem übermenschlichen Schwung gegen eine Wand, wo er ein Ölporträt von Andrej traf, das unverzüglich zu Boden fiel und am Rahmen zerbarst. „Ich werde sie alle häuten und einsalzen lassen, diese dreckigen kleinen Maden!“, brüllte der Drache ungebremst und schien sich nicht durch die Anwesenheit seines Bruders oder Alidas in seiner Wut zu mäßigen; im Gegenteil. Er ignorierte die beiden förmlich, stürzte an ihnen vorbei und riss die Karaffe hoch, die er gierig und hastig leerte. Dicke Vitae sickerte ihm die Lippen entlang auf das Unterwams der Plattenrüstung, die sich augenblicklich rot färbte.
Hinter ihm, mit einigem Abstand, betrat Emilian mit bemüht gefasstem und neutralen Gesichtsausdruck den Raum.
Er nickte Andrej langsam zu und machte dann einige Schritte auf Alida zu, der er ein verhaltenes Lächeln schenkte. Andrej hingegen tätschelte nur sachte Alidas Arm und nickte ihr aufmunternd zu bevor er einige Schritte in Richtung seines Bruders tat und dort die Finger ineinander verschränkte.
„Es ist auch schön dich so unverhofft früh wieder zurück in der Festung zu wissen liebster Bruder. Obgleich ich dir mitteilen muss, dass der Künstler, der dieses Porträt von mir anfertigte bedauerlicherweise seit 20 Jahren tot ist. Es ist mir also nicht möglich ein weiteres Bild bei ihm in Auftrag zu geben. Ich hoffe, du findest mir jemanden der meine Augen genauso gut zu treffen vermag wie Meister van Kleist.“
Vladimir Rustovich spie Andrej blutige Vitaefetzen ins Gesicht als er ihn mit dem Zeigefinger wiederholt in die Brust bohrte. „Geschissen auf dich und deine nutzlosen Ölgemälde von irgendwelchen Ziegen fickenden Farbpanscher! Während ihr euch hier gemütlich in eure Pelze wälzt und dicke Vitae aus silbernen Pokalen schlürft, reiben uns diese verdammten Verborgenen die ganzen Truppen auf!“ Er fasste Andrej am Kragen. „Ich habe 2 Regimenter in der Nordwest-Passage stehen, die es nicht mehr über den Fluss geschafft haben bevor es anfing zu schneien und das nur weil wir zu wenige unserer Linie dabei haben die in der Lage wären so große Areale effektiv hinsichtlich getarnter Einheiten zu überwachen! Möchte jemand von euch zur Abwechslung mal etwas produktives zu diesem Krieg, den ich für euch, liebste Verwandte, jede Nacht schlage beitragen?“ Er drehte den bulligen Kopf Richtung Alida: „Oder zählt ihr beide wieder nur euer Geld und spielt Schach?“
Alida schluckte und tat einen Schritt nach hinten. Sie versuchte mit den Schatten hinter ihr zu verschmelzen, was ihr nicht recht gelang. Sie interpretierte die Frage kurzfristig als rein rhetorischer Natur und schwieg. Hatte sie je von den Verborgenen gehört? Sie versuchte sich zu erinnern.
Andrej bewahrte in Anbetracht der Umstände eine geradezu übermenschliche, fast eiserne Ruhe und ergriff sanft aber doch mit einem gewissen ‚brüderlichen‘ Nachdruck die Hände des Voivoden und schüttelte gleichzeitig sachte den Kopf. „Ich kann dir versichern lieber Bruder, dass wir keinesfalls nur tatenlos herumsitzen und, wie du es so schön ausdrückst, Goldmünzen zählen. Du schwingst Schwerter und hackst Gliedmaßen ab, weil du darin besonders gründlich und gut bist. Ich und Alida wiederum ziehen es vor unseren Geist anzustrengen damit die Waffen unserer Gegner stumpf und wirkungslos werden. Mir ist bewusst, dass du Probleme mit einigen russischen Nosferatu hast, denen man großzügige Angebote und Versprechungen gemacht hat und die ihre Ortskenntnis, ihre Gerissenheit und schlussendlich schlicht und ergreifend die Weite Mütterchen Russlands vollends ausschöpfen um deine Truppen an der Nase herumzuführen.“ Je länger Andrej redete, desto weicher wurden nicht nur die Gesichtszüge des Voivoden sondern ebenso auch sein Griff um den Kragen seines Bruders. „Es gibt gar nicht die Möglichkeit so viele Widergänger abzuziehen um sie als Beobachter an die Front zu stellen. Auch eilig Kinder zu zeugen, die wir für solche Scharmützel vergeuden, ist absolut unter unserer Würde und wenig effizient. Dein Problem sind die Distanzen und die besonderen Eigenschaften unserer Art.“ Andrej deute auf Alida. „Deine liebste Verwandte hier und meine Wenigkeit werden heute Nacht noch beim Grafen Vronsky erscheinen; du erinnerst dich vielleicht, dass er uns zu einem Fest eingeladen hat?“
Vladimir kaute auf wüsten Beschimpfungen in seinem Mund herum und sah dann abwechselnd zu Alida und dann wieder Andrej. „Ja, saufen und Gedichtchen lesen anstatt ein paar seiner ach so glorreichen Zuchtpferde zur Verfügung zu stellen.“
Andrej nickte. „Eben jener. Du wirst sicher bereits vergessen haben, dass auch du eingeladen warst; kurzum: Wir werden ihm einen Besuch abstatten und ich denke, mit der Hilfe von Alida werden wir gewiss die eine oder andere Hilfe für deine Probleme beim Grafen erbitten können. Wofür hast du so eine vortreffliche Händlerin in deiner Familie? Ihrer Stadt im Westen gehört praktische der gesamte europäische Markt von Wien bis nach Calais und hoch ins unwirtliche Schottland.“
Vladimir Rustovich ließ seinen Bruder los und sah dann erneut abwechselnd zu diesem und dann Alida. Seine Augen funkelten misstrauisch. „So. Und ihr kleinen Klugscheißer meint also, dass ihr den Grafen Vronsky ‚gnädig‘ stimmen könnt ja? Ihr wisst hoffentlich, dass ich nicht bettle… der Voivode der Voivoden…“
Andrej unterbrach ihn. „Braucht Geld, Pferde und Waffen. Aber vor allem braucht er Loyalität in den eigenen Reihen. Du wirst nur so weit marschieren, wie dich der Rest der Tzimisce marschieren lässt.“ Der Voivode biss die Zähne zusammen sodass man das Knirschen noch bei Alida vernehmen konnte. „Und du wirst diesen Grafen also um den Finger wickeln ja?“, fragte Vladimir nun eindeutig an die blonde Händlerin gerichtet. Diesmal ergriff Andrej nicht das Wort um für die Unholdin zu antworten. Offenbar war er überzeugt sie würde die richtigen Worte finden. Emilian sah sie aus den Augenwinkeln verschwörerisch an und nickte kaum merklich.
Alida stieß unhörbar die Luft zwischen den Zähnen aus. Ganz egal, was sie über die Lobreden, die Andrei auf sie schwang und die maßlosen Übertreibungen dachte, sie wusste nur zu gut, dass Vladimir Rustovich nichts als ein ‚Ja, selbstverständlich.‘ akzeptieren würde. Auf der anderen Seite würde eine Zusage, die sie zu guter Letzt nicht würde halten können, sie genauso teuer zu stehen kommen. Sie schluckte und versuchte ihrer Stimme dann einen festen Klang zu geben. Schließlich schüttelte die blonde Händlerin den Kopf. „Nein, ich bin nicht hier um den Grafen Vronsky um den Finger zu wickeln. Der Graf ist nach allem, was ich gehört habe einflussreich und mächtig. Jemand wie er lässt sich nicht um den Finger wickeln sonst wäre er nicht so weit gekommen. Und ihr, Voivode der Voivoden, wollt Vronsky auch nicht als tumben Untergebenen. Ihr wollt einen starken Verbündeten, der seine Kräfte mit den euren vereint. Und diesbezüglich wird sich zeigen, was sich machen lässt.“