Mi 27. Mär 2024, 21:17
[quote="Alida"]Sie sah sich das Gesicht im Monitor einen Moment an und fragte sich, ob der Hermetiker, der es sich zur Aufgabe gemacht hatte, sie hier in Prag zu unterstützen, überhaupt ahnte, dass er beobachtet wurde. Moderne Technik war für ihn wie eine Sphäre, die er nie gelernt hatte und mit de rer sich besonders schwer tat. Sie war vor einiger Zeit im Garten von Martin, seinem Sanctum, als man sie gebeten hatte zu warten, auf seinen untoten Mitbewohner gestoßen. Sie hatte sich daran erinnert, dass es sich bei dem jung aussehenden Mann um seinen Zwillingsbruder gehandelt hatte und allein der Gedanke, dass sie einem Vampir gegenüber stand, hatte sie mit ausgesprochenem Unbehagen erfüllt, auch wenn der Mann fröhlich und ausgelassen geplaudert hatte.
Apollonia hatte es schließlich gewagt ihn zu fragen, wie alt er eigentlich wäre, worauf dieser nur charmant gelacht und das Thema gewechselt hatte. Der Gedanke, dass diese beiden Männer in irgendeiner Zeit einmal gleich ausgesehen haben mussten irritierte sie.
Sie griff rasch nach ihrer Handtasche und einem Blazer und rannte hinunter ohne ihre Freisprecheinrichtung zu betätigen. Sie sammelte sich und beruhigte ihren Atem um schließlich die Haustür zu öffnen und ihren Mentor zu begrüßen.
Ihr Mentor, und so durfte sie ihn mittlerweile wohl durchaus nennen, nickte ihr freundlich zu und betrachtete sie kurz und knapp von oben bis unten. Wie als ob er ihre Erscheinung oder möglicherweise wohl eher ihren Gesundheitszustand überprüfen wollte. Seine Lippen verzogen sich zu einem Lächeln als er offenbar erleichtert festgestellt hatte, dass es seiner Patientin wieder um einiges besser zu gehen schien. Er bot ihr seinen Arm an und deutete auf die gegenüberliegende Straßenseite. „Du siehst um einiges rosiger und frischer aus als noch vor ein paar Tagen. Ich bin sehr froh, dass du mich heute begleitest. Wollen wir?“ Von irgendwelchen Wifi-Kameras in Funkklingeln schien er weder etwas mitbekommen zu haben noch, und das war viel wahrscheinlicher, zu wissen. Immerhin hatte er zumindest nicht nach dem goldenen Türklopfer in Form eines Löwenschädels an der Eingangspforte gesucht um sich bemerkbar zu machen.
Apollonia lächelte und nickte. „Dank der ‚Medizin‘. Ja. Wie sollten gehen. Sollte ich noch irgendetwas besonderes wissen, bevor wir zu den Herren stoßen?“
Würde sie sich beim ihm einhaken, dann würde er ihr beruhigend auf den Arm klopfen. „Nur, dass wir uns darauf geeinigt haben, dass unser Treffen in einer von ihnen gewählten Einrichtung stattfinden wird. Aber das wusstest du ja bereits. Ich denke es geht um ihr erhöhtes Sicherheitsbedürfnis. Sie möchten, wie wir ja wissen, alles kontrollieren und notfalls korrigieren, und es scheint ihnen besonders daran gelegen zu sein, das nichts von alledem nach außen dringt. Daran haben sie tatsächlich ein begründetes Interesse, das nachvollziehbar erscheint. Mitunter befinden wir uns jedoch auch schon nah an Paranoia.“ Er schmunzelte. „Wir sind sehr sicher, Apollonia, dafür hat der Rat gesorgt. Mach dir keine Gedanken. Du darfst dich frei äußern und sprechen. Du begleitest mich nicht nur als hübsches Accessoire, denn wie wir wissen, bist du weit mehr als das, junge Hermetikerin.“
„Danke für das Kompliment und die Hinweise. Manchmal mag es jedoch auch von Vorteil sein für ein hübsches Accessoire gehalten zu werden. Ich bin gespannt.“ Sie nickte bekräftigend.
Martin führte sie an seiner Hand ein Stück die Straße entlang. Ihr fiel auf, dass er einen Anzug trug, der zwar modern wirkte, aber im Schnitt sehr altertümlich anmutete. Der Gedanke mochte sie womöglich erheitern, wie Martin mit dem Schneider, denn dass es sich um eine Maßanfertigung handelte war unumstritten, diskutiert haben mochte bis man sich auf etwas geeinigt hatte, was den Erzmagier nicht wie für einen Kostümball verkleidet wirken ließ und doch den Wünschen des werten Kunden entsprach. Ein Stück weiter die Straße entlang, hielt Martin vor einer kleinen Bäckerei und blickte ins Schaufenster. Er griff in die Innenseite seines Jackets und entzog diesem einen 10 Euro Schein. „Apollonia wärst du so freundlich uns eine Packung dieser offenkundig frisch gebackenen Madeleines zu kaufen? Ich warte so lange.“
Sie war für einen Moment etwas irritiert, folgte der Aufforderung jedoch prompt. Mit einer großen duftenden Papierschachtel beladen kam sie wenige Minuten später wieder aus der Bäckerei. Beabsichtigte Martin die Technokraten mit Madelaines zu bestechen?
Es hatte keine zwei Minuten gedauert die Packung der kleinen, duftenden Köstlichkeiten zu erwerben und Martin hatte sich nicht vom Fleck gerührt; die Arme hinter dem Rücken verschränkt der Straße zugewandt, hatte er auf sie gewartet. Unmittelbar als Apollonia das Geschäft verließ hatte sich die Welt um sie herum verändert. Nun das hieß, nicht unbedingt verändert, sie hatte nur aufgehört sich zu bewegen. Es war auch kein Geräusch mehr zu vernehmen. Weder der Motorenlärm, noch das Widerhallen der Schritte von Passanten. Studentinnen blieben mitten auf dem Zebrastreifen stehen, lachend sich zugewandt. Die Blinker der Autos auf der Abbiegespur blinkten nicht mehr, der Abgasrauch war wie in der Luft verharrt. Fahrradfahrer waren wie eingefroren. Es war als ob sie sich in der Szene eines Filmes befand, den jemand gerade pausiert hatte. Inklusive Tonspur. Dann hörte sie von links das Geräusch eines herannahenden Wagens. Eine schwarze Limousine die alle paar Sekunden zu verschwinden, und dann wieder aufzutauchen schien. Dabei flackerte die gesamte Karosserie als ob sie jemand schlecht in das Bild eingefügt hätte. Martin nahm die kleinen Leckerbissen entgegen und dankte ihr mit einem breiten Lächeln. „Danke Liebes. Ich glaube die Herren sind pünktlich.“
Der Wagen blieb vor ihnen stehen und auf der Beifahrerseite entstieg ein Mann im dunklen Anzug der den beiden Fahrgästen die hintere Tür aufhielt. Martin machte eine einladende Geste. „Nach dir Apollonia.“ Apollonia blieb der Mund offen stehen. Wie um alles in der Welt umgingen sie so ein gigantisches Paradox? Mühsam schloss sie ihn wieder und folgte mit einem Schlucken der Aufforderung und stieg ein.
Martin folgte ihr und beide nahmen auf den perfekt sauberen, bequem gepolsterten Sitzen Platz. Es war als hätte nie jemand darin gesessen. Der Wagen war groß, geräumig und nachdem der Mann in Schwarz ebenfalls wieder eingestiegen war und der Fahrer anfuhr, merkte man wie gut das vermutlich sündhaft teure Gefährt auf der Straße lag. Jede Unebenheit schien ausgeglichen zu werden, kein Rucken und Scharren. Man fühlte sich beinahe wie in einer Magnetschwebebahn. Der Beifahrer sprach kein Wort, sah dafür eine dunkle Uhr auf seinem Handgelenk und nickte dem Fahrer zu. Dieser fragte wie beiläufig: „Zeit?“ Der Beifahrer antwortete knapp: „In etwa noch eine Minute bis Wiedereintritt in die Phase.“ Ungewöhnlich mochte man meinen für Technokraten, schmunzelte der Fahrer. „War ja klar. Ich habe denen gleich gesagt das die Kompensatoren das nie ausgeglichen bekommen. Den Bericht schreibst du.“ Während der restlichen Fahrt, fand keine weitere Kommunikation statt. Der Wagen glitt durch die Straßen von Prag und wenn Apollonia gelegentlich einen Blick aus den getönten Scheiben warf, so würde sie erkenne das nun umgekehrt die Menschen um sie herum zu flackern schiene, als ob sie aus ihrer Erstarrung erwachen wollten, dann wieder flackernd zurück in ihre Ausgangsposition wechselten. Die Abfolge schien zufüllig und rasch wechselnd. Der Wagen bog zügig in eine Seitenstraße ab und hielt auf die Einfahr einer Tiefgarage zu. Es wurde dunkel und nur das Licht der spärlichen Beleuchtung erhellte die Umgebung. Ein paar Autos waren dort geparkt aber niemand war zu sehen. Der Fahrer hielt auf eine Nische zu, die schwer einsichtig und besonders schlecht ausgeleuchet war. Anstatt abzubremsen und das Fahrzeug zu halten, hielt er jedoch weiterhin auf die Mauer zu. Bevor Apollonia sich gegen den Sitz drücken konnte um auf den unmittelbaren Aufprall zu warten, fuhr das Fahrzeug durch die Mauer einfach hindurch. Auf der „anderen Seite angekommen, befanden sie sich offenbar noch immer in einer Art Tiefgarage. Diese war aber bedeutend kleiner und bot vielleicht 3 Fahrzeugen Platz. Sie war sauber, grell in Neonlicht getaucht und an einer Aufzugtür, stand bereits eine junge Dame im Kostüm die sie freundlich anlächelte. Jetzt erst hielt der Wagen und die Türe wurde den Fahrgästen wieder geöffnet. Apollonia durfte aussteigen, dicht gefolgt von Martin der sich fasziniert und interresiert umsah. Der Blick der Hermetikerin glitt kurz zur Motorhaube des Fahrzeugs aus der es leicht dampfte. Es roch wie verbranntes Chlor. Die Agenten, die sie bis hierher geleitet hatten wirkten wenig amüsiert. „Du schreibst den Bericht“, wiederholte noch einmal der Beifahrer zu seinem Kollegen. Dieser hob nur egalitär die Schultern.
Apollonia ließ sich ihre Verwunderung nicht anmerken und versuchte so professionell wie möglich auszusteigen und souverän den Männern zu folgen. Ihr war nach Kopf schütteln zu Mute. Diese Technokraten waren im Vergleich zu ihr als wären sie mit ihren Fähigkeiten direkt aus dem Märchen Frau Holle entstiegen. Sie schwieg.
Man bewegte sich auf den Aufzug zu und die Dame im Kostüm kam ihnen entgegen. Sie reichte Martin die Hand, dann Apollonia und lächelte ein bezauberndes Lächeln. „Schön das sie da sind, wir haben sie bereits erwartet. Bitte entschuldigen sie die holprige Fahrt. Ich denke unsere Techniker werden sich noch etwas ranhalten müssen, wenn wir durch den TÜV wollen.“ Ein bemühter Scherz, ganz offensichtlich. Niemand lachte. Martin ließ sich lediglich zu einem leicht müde wirkendem Schmunzeln hinreißen. „Die Fahrt ist, denke ich, derzeit unser geringstes Problem, Fräulein...?“ Die Dame entschuldigte sich sogleich. „Oh meine Manieren. Kazaan. Elisa Kazaan. Es ist mir ein Vergnügen.“ Sie räusperte sich kurz, betätigte eine Taste am Aufzug und als sich die Türen beinahe lautlos zur Seite schoben, vollführte sie eine einladende Geste. „Wenn Sie mir bitte folgen würden die Herrschaften.“
‚Eliza Kazaan‘ also… Apollonia versuchte sich den Namen einzuprägen und folgte ihrem Begleiter in den Aufzug. Sie fragte sich, ob diese Dame nur das Empfangskomitee war, oder ob sie in diesem Business hier etwas zu sagen hatte.