Vampire: Die Maskerade


Eine Welt der Dunkelheit
Aktuelle Zeit: Mi 8. Mai 2024, 10:09

Alle Zeiten sind UTC + 1 Stunde





Ein neues Thema erstellen Auf das Thema antworten  [ 242 Beiträge ]  Gehe zu Seite Vorherige  1, 2, 3, 4, 5, 6 ... 25  Nächste
Autor Nachricht
 Betreff des Beitrags: Re: Prag I: Hector
BeitragVerfasst: Fr 25. Nov 2022, 20:34 
Offline
Benutzeravatar
 Profil

Registriert: Fr 24. Jul 2009, 01:13
Beiträge: 1418
Hectors Hand fühlte sich warm und stark, in Ermangelung eines besseren Wortes, irgendwie ‚vital‘ an. Er lächelte Apollonia zu und holte sein Handy aus der Hosentasche, und spielte mit der rechten Hand ein ab, dessen Klänge und Beats die warme Mittagsluft erfüllten. Instinktiv und aufgrund ihrer guten theoretischen Ausbildung, wusste die Hermetikerin, dass Hector so seine Magie wirkte.

In the nighttime
When the world is at it's rest
You will find me
In the place I know the best


Plötzlich war Apollonia ganz woanders, oder besser gesagt, wann anders... Die Musik begann zu verschwinden. Sie saß noch immer auf dem Balkon, aber die Mittagsonne war dem goldenen Licht eines Sonnenuntergangs gewichen, während das Frühstück, welches sie so appetitlich auf dem Tisch positioniert hatte, gänzlich verschwunden war. Hector drückte ihre Hand, offenbar um sie abzusichern und sprach dann mit leiser Stimme. „Keine Sorge. Ich teile lediglich meine Wahrnehmung mit dir. Alles, was hier passiert, ist nur eine Vision. Wir schauen gerade etwa viereinhalb Jahre in die Zeit zurück.“ Im Inneren der Wohnung konnte Apollonia schließlich eine Bewegung wahrnehmen. Sie sah Abraham in der Wohnung, der an einem unfertigen Gemälde arbeitete, das die Hermetikerin noch vor einiger Zeit im fertigen Zustand gesehen hatte.

Bild

Bild

Auch die Stimme von Hector konnte sie plötzlich hören, obwohl der Mann, der ihr gegenüber saß, nichts gesagt hatte. Die Stimme kam von einer Version Hectors, die sich gerade im Schnellschritt durch die Wohnung bewegte. „Bram ich muss runter in den Club und du weißt, wie ich aussehe. Außerdem malst du doch eh…abstrakt? Was für einen Unterschied macht es, ob mein Rücken auf deinem Bild genauso aussieht. Für alles, was ich weiß, bekomme ich am Ende eh Flügel oder meine Schulterblätter verwandeln sich in Farbflecke.“ Bram lachte. „Du bist ein Banause, daher komme ich dich nachher bei DEINER Arbeit besuchen, um DIR das Leben schwer machen.“ Der andere Hector antworte kurz und enthusiastisch, bevor er aus der Tür verschwand. „Ich bitte darum!“ Bram schüttelte nur lächelnd den Kopf und malte weiter. Apollonia wusste, dass es sich um eine Vision handelte, aber es fühlte sich trotzdem unglaublich real an. Sie konnte die Wärme der Sonne im Rücken spüren und den Geruch der Farbe riechen, der aus der Wohnung strömte.

_________________
- Do not go gentle into that good night. Rage, rage against the dying of the light. -


Nach oben
 Profil  
Mit Zitat antworten  

 Betreff des Beitrags:
Verfasst: Fr 25. Nov 2022, 20:34 


Nach oben
  
 

 Betreff des Beitrags: Re: Prag I: Hector
BeitragVerfasst: Fr 25. Nov 2022, 22:55 
Offline
Benutzeravatar
 Profil

Registriert: So 21. Jun 2009, 20:25
Beiträge: 1400
Apollonia schwieg und Hector bemerkte, dass ihr Körper erstarrt schien. Sie hatte den Atem angehalten und ließ das seltsame Bild, das um sie herum geschah passieren. Sie war ein Fremdkörper in diesem Gebilde, der überall zu sein hatte, aber nicht hier. Und ja eigentlich auch gar nicht hier war. Es schien fast eine Minute zu vergehen bis sie die Luft langsam wieder zwischen den Lippen entweichen lassen musste. „Puh…“ Sie schluckte schwer. „Wie hältst du das aus?“ Hector bemerkte, dass sie sich beschämt und schnell etwas aus dem Auge wischte.
Hector wollte Apollonias nicht mehr zumuten als er ihre Reaktion erkannte und ließ ihre Hand los. So-fort war die Hermetikerin wieder im hier und jetzt. Das Frühstück war lecker und frisch zurückgekehrt, genauso wie die Mittagssonne. Auch die Wohnung war wieder frei von schemenhaften Besuchern aus der Vergangenheit. Hector antworte mit leicht belegter Stimme. „Das ist alles, was ich noch von ihm habe. Sollte ich diesen Ort wirklich verlassen, dann hätte ich ihn verloren. Für immer.“ Hector schwieg für einen Moment. „Ich erwarte nicht, dass du es verstehst, oder gut heißt.“ Der Ekstatiker fuhr seine Ausführungen mit Überzeugung fort. „Aber anlügen wollte ich dich auch nicht. Das hast du nicht ver-dient.“
Apollonia schüttelte den Kopf, sah auf das Frühstück als überlegte sie, was real, was Illusion sei. Sie sah ihn zunächst nicht an. „Ich denke, ich verstehe dich gut. Du hast die Möglichkeit zurück zu gehen, in die Zeit, in der alles gut war. Wenn auch nur als Zuschauer. Dieser Augenblick gehört dir.“ Sie schwieg wie-der, suchte dann seinen Blick. „Wie geht es dir hinterher?“
Für einen Moment wirkte Hector entwaffnet. Ganz so als hätte er über diese Frage noch nie nachge-dacht. „Ich…ich bin dankbar.“ Die Antwort klang fast wie eine Frage. „Wenigstens verblassen meine Erinnerungen nicht so schnell wie die anderer.“ Hector schien noch etwas sagen zu wollen, entschied sich dann aber dagegen.
Apollonia wartete.
Apollonias zurückhaltende Reaktion schien Hector einknicken zu lassen. „Es gibt mir auch Hoffnung. Ich weiß, dass Magie nicht mehr so einfach zu wirken ist, wie einst, aber ich habe noch immer die Hoffnung. Vielleicht kann ich ihn irgendwie retten, oder all das irgendwie umkehren, was passiert ist.“
Sie nickte langsam. „Wenn es jemandem gelingt, dann einem Mann wie dir. Ich wünsche dir Glück dabei.“ Nachdenklich stütze sie das Kinn in die Hände. „Ich denke, die meisten Magier würden dir abraten an solchen Ideen dein Herz zu verlieren, aber… hm… erinnerst du dich an Henri Martin, das Mitglied meines Ordens aus Paris? Er ist Jahrhunderte alt und in der Lage Magie zu wirken, die weit über die Fähigkeiten einfacher Zauberkundiger hinaus reicht. Karst mit Sicherheit genauso… Und meine Tante, Brams Mutter, hätte dir vielleicht zu deiner Idee gratuliert. Sie hielt Zeitzauber nicht für unmöglich, hat mich sogar immer damit aufgezogen, dass ich eigentlich aus der Vergangenheit käme. Sozusagen ein running gag zwischen uns“ Sie zuckte mit den Schultern und lächelte.
Triumphierend lächelte Hector. „Siehst du? Meister und Alte wissen noch immer, was einmal möglich war und…und wie kann man keine Hoffnung haben, wenn man das Wissen aufgebürdet bekommen hat, dass im Grunde alles möglich ist, solange du nur fest genug daran glaubst?“ Hector wirkte zum ersten Mal, seit Apollina ihn kennengelernt hatte, bitter. „Aber lass uns das nicht weiter ausführen.“ Abrupt wechselte der Ekstatiker das Thema und wechselte in die ihr bekannte, unbekümmerte emotionale Haltung. „Also du Apollonia eine Zeitreisende? Ich hatte immer schon das Gefühl, dass du uns was verheimlichst“ Hector lachte, wenn auch nicht so unbekümmert wie zuvor.
Apollonia nahm den Faden auf und ließ das sensible Thema fallen. „Ich vermute, sie wollte einfach nur darauf hinweisen, dass ich in meinen Ansichten etwas zu verstaubt für dieses Jahrtausend bin.“ Sie grinste breit. „Oder vielleicht bei der Kleiderwahl.“ Die Hermetikerin zog erneut das kleine Silberstück aus der Tasche und legte es auf den Tisch. Das Sonnenlicht brach sich in den Buchstaben ‚CEH‘. „Was machen wir nun damit?“
Hector ging nicht sofort auf das Schlüsselthema ein. „Ich finde dich weder verstaubt noch aus der Zeit gefallen, Apollonia.“ Er schaute die blonde Frau aufrichtig und anerkennend an. „Ich mag dich genauso wie du bist und ich hoffe, du lässt dir niemals von jemand anderen etwas einreden! Wenn es halb so viele kluge und freundliche Menschen gäbe, wäre diese Welt tatsächlich eine bessere – mit oder ohne Magie…und falls du je das Bedürfnis verspüren solltest meine Beobachtungen zu bestätigen, könntest du immer auch in den Bernsteinstrom gehen – dort gibt es einen Raum, der dir ganz sicher bestätigen kann, dass du in diese Zeit gehörst, denn wenn nicht, könntest du ihn gar nicht betreten.“ Es schien, als hätte Hector die Situation mit dem Schlüssel schon fast wieder vergessen, nickte die Frage dann aber sofort ab. „Ich bin mir fast sicher, Dominik hat einige der Gegenstände von Bram an sich genommen. Vielleicht sogar den anderen Teil des Schlüssels. Das wäre wahrscheinlich. Daher sollten wir zu ihm gehen und ihn danach fragen – vielleicht nur nicht so offensichtlich.“
Bei der Erwähnung des Bernsteinzimmers zog sich Apollonias Stirn in Falten. Man konnte ihr ansehen, dass sie den Gedanken im Hinterkopf behalten würde. „Danke für die ganzen Komplimente. Ich denke, dass du mit deiner Meinung von mir ein wenig allein stehen magst, aber es ist schön zu wissen, dass du so denkst.“ Sie schmunzelte, wurde dann wieder ernster. „Du kennst Dominik besser. Was denkst du? Wie können wir vorgehen?“
„Ich denke, dass du dein Licht unter den Scheffel stellst, Apollonia. Aber auch das ist dein Recht, wenn du das möchtest!“ Hector schien seine Aussage genauso zu meinen, wie er sie gesagt hatte. „Was Dominik angeht, sollte ich hingehen. Er wird nicht überrascht sein, wenn ich plötzlich auftauche und wir uns über Bram streiten. Es wäre definitiv nicht das erste Mal und vielleicht kann ich so genauer überprüfen, was er mitgenommen hat und ob der Schlüssel dabei ist.“
Apollonia nickte. „Das ist wahrscheinlich wirklich das Beste. Du kennst Dominik.“
"Denke nicht, dass dich dieser Plan nicht mit einschließt." Hector wirkte beinahe verschwörerisch. "Solange du dabei bist, wird meine Begegnung mit Dominik zumindest nicht gleich eskalieren. Vor schönen Frauen hat er noch nie die Beherrschung oder auch nur seinen Charme verloren."
„Ich denke, es wäre besser, wenn du alleine gehst. Es wäre seltsam, wenn du mit jemandem auftauchst, der Bram nicht mal gekannt hat, um Dominik auf private Gegenstände anzusprechen, die er ‚entwendet‘ hat. Vielleicht ist es ja auch zielführend, wenn er die Beherrschung verliert und die Besitztümer deines früheren Freundes wieder heraus gibt. Was denkst du?“
Hector konnte die Zurückhaltung Apollinas spüren und wollte sie zu nichts zwingen, was sie nicht wollte. „OK“ sagte der Hermetiker schlicht. „Aber ich gebe dir die Schuld, wenn man morgen in den Zeitungen über den größten Schwiegerfamilienkrach berichtet den es je gegeben hat.“
„Ich hätte mir vorgestellt, dass ihr den bereits hinter euch habt, oder?“ Um ihre Mundwinkel zuckte es. „Hoffentlich klappt es. Ansonsten kann ich ja immer noch bei Nacht und Nebel bei ihm einsteigen oder meiner Familie den Aufenthaltsort des Schlüsselparts übermitteln. Bei zweiter Option sehen wir das Ding dann nur leider nie wieder.“
"Oh, den hatten wir...das heißt nur nichts" Hector genoss den Schlagabtausch. "Ich werde sehen was ich erreichen kann und dann sehen wir weiter. Aber sag, Apollonia, hast du irgendeine Theorie über den Schlüssel?"
Apollonia nickte zögernd. „Ich habe tatsächlich eine Theorie über den Schlüssel, aber die ist ziemlich weit hergeholt. Es ist etwas zu früh um so weit auszuholen. Außerdem möchte ich wissen, wie der Schlüssel in seinem eigentlichen Zustand aussieht. Über die Inschrift ‚Rot Ceh‘, eine ‚Verrottete Gilde‘, habe ich allerdings nie etwas gelesen. Klingt irgendwie nach dem Inbegriff von ‚Schwarzer Magie‘.“

_________________
"Alea iacta est." oder "Die Würfel sind gefallen." - Lateinisches Sprichwort


Nach oben
 Profil  
Mit Zitat antworten  

 Betreff des Beitrags: Re: Prag I: Hector
BeitragVerfasst: So 27. Nov 2022, 11:52 
Offline
Benutzeravatar
 Profil

Registriert: Fr 24. Jul 2009, 01:13
Beiträge: 1418
„Hmm…“ Hector überlegte, während er den Rest seines Kaffees austrank. „Ich weiß nicht viel über ‚Schwarze Magie‘, aber alle Mutmaßungen bringen uns wenig, bis wir den Schlüssel im Ganzen gesehen haben.“ Hector erhob sich und verließ den Balkon. Apollonia konnte sehen, wie er sich eine schwarze Jacke überzog und den Kopf noch einmal zu ihr hinaussteckte. „Ich werde sehen, was ich erreichen kann. Trink du in Ruhe deinen Kaffee aus und lass dann alles stehen. Ich räume später auf, denn immerhin hast du ja schon alles vorbereitet und mitgebracht. Danke noch einmal.“ Hector schnappte sich noch ein letztes Stück Croissant für den Weg. „Wenn mich nicht alles täuscht, dann sollte Dominik im Restaurant sein und wenn nicht, dann weiß vielleicht Matej wo er ist.“

_________________
- Do not go gentle into that good night. Rage, rage against the dying of the light. -


Nach oben
 Profil  
Mit Zitat antworten  

 Betreff des Beitrags: Re: Prag I: Hector
BeitragVerfasst: So 27. Nov 2022, 21:37 
Offline
Benutzeravatar
 Profil

Registriert: So 21. Jun 2009, 20:25
Beiträge: 1400
„Danke. Ich hoffe, du hast Erfolg.“ Sie nickte ihm ein letztes Mal zu, dann sah sie ihm hinterher, wie er die Wohnung verließ

Bild

Hector verließ das Gebäude und trat auf die Straße. Es war außergewöhnlich warm für Mitte Mai und er merkte schon jetzt, dass er zu schwitzen begann. Wahrscheinlich würde heute ein heißer Tag werden, der die Bürger Prags eher ins Freibad als zum Arbeiten oder zum Besuch eines Clubs einlud.
Er ging an einem der zwei Eingänge zu seinem Club vorbei und musterte das seit gestern Nacht neu hinzugekommene Graffiti: Provokant, nichtssagend, aggressiv und ohne das kleinste bisschen Kreativität oder Inspiration. Es stank nach Erbrochenem und Hochprozentigem auf der Straße, eine Mischung, die seine Lust auf jegliche Art von geistreichen Getränken massiv senkte. Hector erkannte, dass eine der Mülltonnen vor seinem Club gebrannt hatte, weil wahrscheinlich jemand darin Feuer gelegt oder zu viele Zigaretten hinein geworfen worden waren. Vaclav, dessen Geschäft nur wenige Meter entfernt lag, hatte wahrscheinlich einen Eimer Wasser darüber gekippt, denn darum herum hatte sich eine Wasserlache ausgebreitet.

Bild

Sein Club hatte definitiv schon bessere Tage gesehen. Es schien Jahrzehnte, statt nur wenige Jahre her, dass der Club einer der angesagtesten der ganzen Stadt gewesen war. Massige Athleten in schwarzen Anzügen hatten die wartenden Massen, die sich an der roten Absperrkordel versammelten, zurück gehalten, die besten Vibes von vielversprechenden neuen Talenten und in ganz Tschechien bekannten Musikern liefen bis in die frühen Morgenstunden während sich die heißesten jungen Leute in künstlerischem Licht zum Beat bewegten.
Es war als wäre mit Brams Tod der Niedergang des Clubs besiegelt worden. Als wäre mit ihm jeglicher Esprit, Einfallsreichtum und auch das Glück dahin geschwunden. Ein Schicksalsschlag schien dem nächsten zu folgen: Wasserrohrbruch mit gigantischem Wasserschaden, aufgeflogener Drogenverkauf mit der Unterstützung eines seiner Mitarbeiter, Rattenkot just in dem Moment als die Gesundheitsinspektoren sich zur Besichtigung angekündigt hatten… Er hatte seinen Club erhalten können, aber der Preis dafür war hoch gewesen: sehr hoch…
Es dauerte eine ganze Zeit lang bis Hector das gut situierte Viertel erreichte in dem sich das Café von Dominik befand. Fröhlich plaudernde Leute saßen im Schatten der Sonnenschirme und genossen ihre Getränke und kleinen Gerichte, manch einer las die Zeitung, andere Besucher nippten entspannt an ihrem Cappuccino und musterten die vorbeischlenderndem Passanten während perfekt gekleidete Kellner dazwischen hin- und herschwebten und diskret deren Wünsch erfüllten.

Bild

Bild

Auch drinnen war reger Betrieb. Hector entdeckte Dominik am Tisch von vier Herren, in angeregte Plauderei vertieft. Er lachte laut, herzlich und absolut glaubwürdig für jeden Nichteingeweihten bei einer der Bemerkungen des Korpulentesten der Gäste. Der junge Ekstatiker hatte dessen Gesicht schon einmal in einer Zeitung gesehen: der Prager Polizeipräsident.

_________________
"Alea iacta est." oder "Die Würfel sind gefallen." - Lateinisches Sprichwort


Nach oben
 Profil  
Mit Zitat antworten  

 Betreff des Beitrags: Re: Prag I: Hector
BeitragVerfasst: Mi 30. Nov 2022, 22:37 
Offline
Benutzeravatar
 Profil

Registriert: So 21. Jun 2009, 20:25
Beiträge: 1400
Dominik behielt das Lächeln auf den etwas schmalen Lippen als er ihn sah und ihm mit einem Zwinkern zu verstehen gab, dass er seine Ankunft bemerkt hatte. Er betrieb noch ein paar Minuten angeregte Konversation mit dem Polizeichef und den anderen Gästen und entschuldigte sich dann höflich mit einem so charmanten Gesichtsausdruck, dass Hector sich sicher sein konnte, dass die Sitzenden bald wieder hier vorbeischauen würden.
Bild
Er trat zu Hector. „Schön dich hier zu sehen! Komm doch mit nach hinten. Du hast doch sicher Zeit für einen Kaffee, oder?“ Sein Lächeln war makellos und zeigte strahlende Zähne. Mit einem Fingerzeig gab er einem der Kellner ein Zeichen und begab sich in den derzeit geschlossenen hinteren Bereich des Cafés, der erst in den Abendstunden geöffnet war
Bild
Er deutete auf zwei gemütliche Lounge Sessel und nahm sogleich in einem darin Platz. Lässig lehnte er sich nach hinten, während der Kellner, der bereits gefolgt war, Kaffee mit Hochprozentigem, Orangensaft, Sekt und Gebäck auf einem Tischchen drapierte und mit einem Nicken verschwand. Dominik beugte sich nach vorne. „Was verschafft mir die Ehre des Besuchs meines Lieblingsekstatikers?“, fragte er mit einem spitzbübischen Schmunzeln.
„Um zu deinem Lieblingsekstatiker zu werden braucht es nicht viel, wenn ich an deine ‚Liebe’ zum Bernsteinstrom denke…“ Hector war angespannt, versuchte die Worte aber weder herausfordernd noch aggressiv klingen zu lassen. Hector nahm sich den Kaffee, wohl wissend, dass dieser gut sein würde. „Danke für deine Zeit, aber ich bin nicht einfach nur aus Zufall hier, wie du dir sicher vorstellen kannst.“ Es war besser, gleich zur Sache zu kommen. Je länger beide miteinander zu tun hatten, desto höher war die Wahrscheinlichkeit einer Eskalation.
Dominik lachte herzhaft zu Hectors Bemerkung. „Hast du mich ertappt! Ja, ja… Der Bernsteinstrom. Aber nein, ich schätze dich wirklich, Hector. Ganz ehrlich. Du hebst dich deutlich von den anderen Ekstatikern ab.“ Er rührte mit einem kleinen silbernen Löffel in seinem Kaffee. „Was kann ich für dich tun?“
Hector seufzte nur kurz innerlich und nahm einen Schluck Kaffee, um sich mit anzutrinken. „Warst du in letzter Zeit zufällig in meiner und Brams Wohnung und hast ein paar Sachen von ihm mitgenommen? Erinnerungsstücke?“
„In letzter Zeit?“ Er zog die Augenbraue hinauf. „Nein.“
„Du solltest am besten wissen, wie relativ Zeit sein kann. Ich meine überhaupt.“ Hector überlegte kurz und fügte dann noch etwas hinzu. „Ich meine überhaupt, denn ich suche ein Schmuckstück von Bram.“
Das Lächeln verschwand für einen Augenblick. „Ich habe nach dem Tod meines Sohnes ein paar Erinnerungsstücke aus seiner Wohnung geholt. Kleinigkeiten. Wie das wohl jeder gute Vater tun würde…“
Hector nickte nur. „Ja sicher.“ Der blonde Mann schwieg einen Moment. „Ich suche etwas ganz Bestimmtes. Einen halben Schlüssel, den man als Kette tragen kann. Hast du den?“
Dominik lehnte sich weiter nach vorne und wirkte mit einem Mal interessiert. „Einen halben Schlüssel? Was willst du mit dem Ding? Was hast du herausgefunden?“ Wieder erschien das wissende Schmunzeln. „Du wärest nicht hier und würdest mich nicht auf ein so unwichtiges Ding ansprechen, wenn es nicht so wäre.“
„Und du hättest das ‚unwichtige Ding‘ nicht eingesackt, wenn es nicht in irgendeiner Weise dein Interesse erregt hätte. Die Kette mag viel sein, aber sie ist bestimmt kein Erinnerungsstück, für das sich andere gute Väter entschieden hätten.“ Hector hielt dagegen, beschloss dann aber mit zumindest halbwegs offenen Karten zu spielen. „Es kann sein, dass ich denjenigen gefunden habe, der die andere Hälfte hat.“
„Ich hatte damals das Gefühl, dass das Ding ihm was bedeutet hat. Er hat es von einem Ausflug nach seinem Abitur bei seiner leiblichen Mutter mitgebracht und danach den Kontakt zu ihr abgebrochen. Oder wie auch immer… Er hat es damals mit 18 oder 19 eine ganze Zeit lang getragen, bevor ihr euch kennen gelernt habt.“ Er faltete die Hände ineinander. „Wer hat denn die andere Hälfte?“
„Es muss Bram wirklich etwas bedeutet haben, denn angeblich hat er es dem mütterlichen Teil seiner Familie gestohlen.“ Nach einer kurzen Pause fügte er noch einen Gedanken hinzu, der ihm gerade gekommen war. „Es ist sogar sehr wahrscheinlich der Grund, wieso Bram dann den Kontakt zu seiner Mutter abgebrochen hat. Er wurde dabei erwischt und die Familie hat wohl entsprechend hart reagier.“ Es war paradox. So sehr sich Hector wünschte gerade nicht hier zu sein, gab es doch niemanden auf der Welt mit dem er so offen über Bram reden konnte, oder der ihn so gut gekannt hatte, wie Dominik.
„Aha, eine von den Waldsteins also? Wilhelmina oder die Junge, wie heißt sie noch? Apollonia? Wahrscheinlich diese… Immerhin wohnt ihr im gleichen Haus.“ Das Lächeln verschwand und er schien nachzudenken. „Vielleicht hat man sie auch extra nach Prag geschickt um diese Aufgabe wahrzunehmen. Den Waldsteins sollte man nicht trauen. Der ganzen Familie nicht!“ Ein bitterer Zug erschien um seine Mundwinkel.

_________________
"Alea iacta est." oder "Die Würfel sind gefallen." - Lateinisches Sprichwort


Nach oben
 Profil  
Mit Zitat antworten  

 Betreff des Beitrags: Re: Prag I: Hector
BeitragVerfasst: Do 1. Dez 2022, 18:06 
Offline
Benutzeravatar
 Profil

Registriert: Fr 24. Jul 2009, 01:13
Beiträge: 1418
Hector reagierte mit stiller Überraschung. Domikis Reaktion bezüglich der Familie Waldstein, hatte er nicht kommen sehen, allerdings sagte er auch nichts. Schon mit Bram hatte er sich unausgesprochen darüber geeinigt, über den mütterlichen Teil seiner Familie nicht zu sprechen und auch mit Dominik wollte er nicht weiter darüber reden. Dennoch hatte er das Bedürfnis, zumindest Apollonia zu verteidigen. „Ich weiß nichts über diese Familie, aber Apollonia hat nichts getan, was in irgendeiner Weise mein Misstrauen verdient hätte. Ja, sie hat mich auf das Thema angesprochen, dafür aber auch alle meine Fragen ohne Zögern beantwortet. Außerdem habe ich sie tatsächlich gefragt, ob sie wegen dieses Schlüssels nach Prag gekommen ist und auch diesen Verdacht mehr als zufriedenstellend entkräften können.“ Hector konnte schließlich nicht anders, als noch eine kleine Spitze hinzuzufügen. „Mal ganz davon abgesehen, dass ich nicht um irgendwelche Mitbewohner gebeten habe. Dass Apollonia, Clea, Matej und Vaclav dort wohnen war ganz allein deine Idee.“

_________________
- Do not go gentle into that good night. Rage, rage against the dying of the light. -


Nach oben
 Profil  
Mit Zitat antworten  

 Betreff des Beitrags: Re: Prag I: Hector
BeitragVerfasst: Do 1. Dez 2022, 22:51 
Offline
Benutzeravatar
 Profil

Registriert: So 21. Jun 2009, 20:25
Beiträge: 1400
Dominik schien sein gewinnendes Wesen wieder gewonnen zu haben. „Ja, das war meine Idee. Und keine allzu schlechte, wenn ich mir dieses Lob erlauben kann: Du hast zahlende Mieter, die dir helfen dich in ZUkunft wieder finanziell unabhängig auf eigenen Füßen zu bewegen und recht tapfere Mitstreiter, wenn es darum geht euren Kraftort zu verteidigen, von dem du mit deinem Club wohl am stärksten profitierst, nicht wahr?“ Er zwinkerte Hector zu. „Das haben die Gegebenheiten der letzten Monate gezeigt: Ihr habt entgegen den Erwartungen der Magier Prags nicht zugelassen, dass man euch den Kraftort wegnimmt. Respekt! Und nicht zu vergessen sind unsere Untermieter Magier vor denen du deine Fähigkeiten nicht verbergen musst und mit denen du dich austauschen kannst. Ich gehe davon aus, dass ihr alle mehr als genug von diesem Arrangement profitiert.“ Er machte eine wegwerfende Handbewegung. „Erspar dir die Dankesworte. Eines Tages, da bin ich mir sicher, wirst du mir recht geben.“
Bild
Er beugte sich vor. „Um zu dem…“ Er suchte nach einem Wort. „… nennen wir es mal Talisman… zurück zu kommen: Warum sollte ich ihn dir geben, wenn du beabsichtigst ihn einer von Waldstein in den Rachen zu werfen?“ Er seufzte gutmütig wie ein Vater, der seinem Sohn bereits bekanntes Wissen vermitteln möchte. „Die von Waldstein sind ein altes böhmisches Herrengeschlecht aus der Sippe der Markwartinger mit dem Stammhaus Burg Waldstein. Mitglieder der Familie wurden durch ihre magischen Fähigkeiten jahrhundertelang hohe Geistliche und Gelehrte, Militärs und übernahmen hohe Hofämter bis hin zum Amt des Statthalters des Böhmischen Königreiches. Den bekanntesten aus der Sippe kennt man unter dem Namen Wallenstein und der hat einen großen Anteil an den 6 Millionen Toten, die im 30-jährigen Krieg umkamen. In jeder Generation haben sie mehr als einen Magier gestellt. Für ihre Ziele gingen und gehen sie über Leichen. Im letzten Weltkrieg haben sie sich mit den Nazis verbündet um noch mehr Macht und Besitzungen anhäufen zu können und ihre Feinde zu schwächen. Dabei haben sie sich verschätzt und fast ihr ganzes Vermögen verloren. Es laufen heutzutage Prozesse, in denen sie ihre Besitzungen vom tschechischen Staat einklagen wollen, aber ich schätze, da werden sie leider Pech haben.“ Er hob gleichgültig die Schultern und sah sein Gegenüber dann fast ein wenig neugierig an. „Was denkst du, Hector? Was wäre das beste Vorgehen?“ Wieder hatte der junge Ekstatiker das Gefühl Dominik wolle ihn prüfen wie ein Lehrer oder Vater das wohl tun würden.

_________________
"Alea iacta est." oder "Die Würfel sind gefallen." - Lateinisches Sprichwort


Nach oben
 Profil  
Mit Zitat antworten  

 Betreff des Beitrags: Re: Prag I: Hector
BeitragVerfasst: Fr 2. Dez 2022, 18:34 
Offline
Benutzeravatar
 Profil

Registriert: Fr 24. Jul 2009, 01:13
Beiträge: 1418
Dominik, wie er leibt und lebt, dachte sich Hector im Stillen. Er hätte sich weiter streiten können, entschloss sich aber dagegen. „Vielleicht hast du sogar recht. Aber das kann nur die Zukunft zeigen.“ Hector mochte die Mitglieder seiner Kabale tatsächlich, aber dennoch würde die Zeit zeigen, wie gut diese Idee am Ende wirklich war. Der junge Magier wandte sich dem anderen Thema zu. „Dominik ich kann dir sogar drei Gründe nennen, unabhängig davon, dass niemand je gesagt hat, dass der Familie Waldsteins irgendetwas in den Rachen geworfen wird.“

„Erstens, wäre es eine perfekte Methode, um herauszufinden, ob meine neue Mitbewohnerin wirklich nur wegen dieses Schlüssels nach Prag gekommen ist. Ich habe zwar nicht das Gefühl, dass es so ist, aber ich nehme auch nicht für mich in Anspruch alles zu wissen oder vorhersehen zu können, wie so manch anderer an diesem Tisch.“ Hector hob die linke Faust, bei der Zeige- und Mittelfinger aufgerichtet waren. „Zweitens mag der Talisman unter den aktuellen Umständen sich vielleicht sogar als hilfreich herausstellen und gewinnbringend für alle Bewohner Prags eingesetzt werden und falls nicht könnte man eine mögliche Gefahr aus dem Verkehrt ziehen. Drittens…“ Hector suchte Dominiks Blick und erhob den Ringfinger. „… Drittens kenne ich dich gut genug, um mir sicher zu sein, dass dich dieses Mysterium zumindest grundlegend interessiert und es dich reizt, den Sinn und Zweck dieses Gegenstandes herauszufinden.“

Der blonde Mann trank genüsslich einen Schluck des hervorragenden Kaffees und spürte wie der Alkohol sich wohlig und warm in seinem Magen ausbreitete. Wäre die Diskussion mit Dominik nicht so ermüdend, hätte man sich hier wunderbar entspannen können. Er setzte noch einmal an. „Hör zu, ich kenne die Familie Waldstein nicht und ich gebe zu, das, was du mir erzählst, gefällt mir nicht sonderlich, aber ich kann kaum Apollonia für die Sünden ihrer Vorväter verantwortlich machen. Du hast deine Erfahrungen gemacht und das respektiere ich, aber vergiss Bram war auch ein Waldstein, zumindest zur Hälfte.“

Hector ließ seine Worte verklingen, um ihnen Nachdruck zu verleihen. „Willst du nicht wissen, was ihn angetrieben hat, diesen Schlüssel zu stehlen? Was deinen Sohn überzeugt hat, ein solches Risiko einzugehen, ja sogar auf die Gefahr hin, den Kontakt zu seiner Mutter abbrechen zu müssen, oder was auch die Konsequenzen hätten sein können? Die Sache ist persönlich und wenn ich die Wahl habe, dann mache ich mir lieber selber einen Eindruck, als mich später auf eine Version zu verlassen, die mir vielleicht erzählt wird.“

Bild

_________________
- Do not go gentle into that good night. Rage, rage against the dying of the light. -


Nach oben
 Profil  
Mit Zitat antworten  

 Betreff des Beitrags: Re: Prag I: Hector
BeitragVerfasst: Fr 2. Dez 2022, 22:33 
Offline
Benutzeravatar
 Profil

Registriert: So 21. Jun 2009, 20:25
Beiträge: 1400
Dominik nahm sorgsam die Kaffeetasse mit Untersetzer und führte sie an die Lippen. Er trank das dunkle, heiße Getränk mit Milch und genoss es langsam im Mund wie ein Weinkenner einen Roséwein. Dominik konnte ihm ansehen, dass er nachdachte. Einer der Punkte zumindest musste ins Schwarze getroffen haben. Schließlich atmete er ein bevor er zu sprechen ansetzte: „Ich unterbreite dir einen Vorschlag: Du kannst dieses Ding haben. Für mich war es eine Erinnerung an meinen Sohn, nichts weiter.“ Er setzte die Tasse ab. „Im Gegenzug möchte ich, dass du mich über die Dinge, die du herausfindest, informierst. Was hältst du von meinem Vorschlag?“
Hector überlegte kurz und nickte dann. „Ja, das ist fair. Wir haben einen Deal.“ Es spielte keine Rolle, ob er hier zustimmte oder nicht, dachte der jüngere Magier. Dominik würde sich so oder so nicht einfach aus dieser Sache herausnehmen, jetzt wo sie einmal angestoßen war. Daher konnte er auch die Gunst der Stunde nutzen und dem Deal einfach zustimmen, dachte sich Hector.
Der Ältere streckte ihm die kräftige Hand entgegen. „Dann ist das hiermit beschlossen.“
Hector ergriff die ihm angebotene Hand. "Ja ist es."
Dominik schüttelte sie um den ‚Pakt‘ zu besiegeln und hielt ihm dann eines der Gläser mit dem Schaumwein hin. „Hier! Wir wollen doch nicht, dass der Champagner schal wird, oder?“ Er setzte an und leerte das Glas in einem Schluck. „Ich geh den Talisman holen. Es wird ein paar Minuten dauern, aber ich bin mir sicher, dass du dich eine Weile allein beschäftigen kannst. Fühl dich wie zu Hause.“ Dominik erhob sich und machte sich auf den Weg zur Tür.
„Nein, das wollen wir nicht, das wäre eine Schande.“ Hector leerte gedankenverloren, das ihm angebotene Glas und genoss die fruchtige Trockenheit des edlen Getränks, während er sich in dem Raum umsah.
Es dauerte wohl eine Viertel Stunde bis Dominik wieder erschien. Er drückte Hector einen kleinen Gegenstand, der in ein rotes Samttuch eingebettet war, in die Hand und nickte ihm zu. „Ich hab draußen Kundschaft, die nicht gerne wartet und gerne von mir die Aufwartung gemacht bekommt. Ich muss mich also leider verabschieden. Du weißt, wo du mich findest.“ Er klopfte Hector wohlwollend auf die Schulter. „Pass auf dich auf!“
Im Tuch befand sich die andere Hälfte des Schlüssels. Das alte Metall war schwärzlich angelaufen und das Silber war leicht verbogen. Die Buchstaben ‚ROT‘ waren so eingraviert, wie er es in Erinnerung gehabt hatte. Auch hier spürte er einen Hauch von Magie.
Der jüngere Magier nahm den Gegenstand vorsichtig entgegen. „Ich werde dich über die Fortschritte informieren, sofern ich welche mache.“ Hector erhob sich. „Bis dann Dominik und Danke.“ Hector verließ das Bistro und hatte die ganze Zeit das Gefühl, dass der kleine Gegenstand in seiner Jackentasche glühte. Das hatte jedoch nichts mit der schwachen, magischen Aura des Talismans zu tun, sondern lediglich mit der Tatsache, dass dieser Schlüssel einmal Bram gehört hatte und dieser dafür erhebliche Risiken eingegangen war. Welche Geheimnisse mochten wohl mit diesem Kleinod in Verbindung stehen? Hector richtete seine Schritte zielgerichtet nach Hause, um Apollonia aufzusuchen.


Er fand die Magierin ohne Schwierigkeiten in ihrer eigenen Wohnung. Sie öffnete die Tür und schien überrascht ihn zu sehen. „Hector? Du bist schon wieder zurück?“ Einen Moment überlegte sie, dann hielt sie die Tür sperrangelweit offen um ihn herein zu bitten. Hector wusste, dass die junge Frau so gut wie nie Besuch in ihren eigenen vier Wänden hatte. Drinnen wirkte alles irgendwie altertümlich. Er erwartete fast den unangenehmen Geruch alter Mottenkugeln zu riechen, doch statt dessen verströmte frischer Flieder, der auf einem Tisch arrangiert war, angenehmen Wohlgeruch.
„Es ging schneller als gedacht.“ Hector ging durch die ihm geöffnete Tür und zog die Schuhe aus, um nichts dreckig zu machen. Er schaute sich kurz in der Wohnung um und lächelte leicht. Dies war sicherlich nicht sein Stil, aber das Arrangement hatte etwas gemütlich und trotz der Tatsache, dass die Hermetikerin so selten Besuch empfing auch etwas Einladendes. „Ich sehe, du hast dich fertig eingerichtet. Es gefällt mir.“ Hector lächelte leicht und zog das rote Samttuch aus der Tasche, um es in seiner linken Handfläche aufzuschlagen. „Hier ist die andere Hälfte.“ Der Ekstatiker suchte Apollonias Blick. „Hast du dir schon überlegt, wie es jetzt weitergehen soll?“
„Wow!“ Apollonia nickte anerkennend mit fragend in die Höhe gezogenen Augenbrauen. Fast ehrfurchtsvoll blickte sie auf das Schlüsselteil, das Hector mitgebracht hatte. „Ich hab mit allem Möglichen gerechnet, aber nicht damit, dass du so schnell Dominik überzeugen könntest!!! Ich hab mich schon im Mondschein in sein Fenster im obersten Stock einbrechen sehen.“ Sie grinste. „Komm mit!“ Sie ging zu einem dunklen Eichentisch.
Apollonia zog ein Feuerzeug aus der Tasche, entzündete eine Kerze, die auf dem Tisch stand, und zog dann ein Pendel hervor, das sie mehrmals vor und zurück schwingen ließ. Dann hielt sie die aneinandergepressten Schlüsselteile in die Flammen und murmelte mit geschlossenen Augen ein paar Phrasen in einer Sprache, die wie Latein klang. Hector konnte sehen wie die Flamme mit einem Mal heller brannte und die beiden Silberteile miteinander verband.
Apollonia blies die Kerze aus und reichte ihm den nun wieder verbundenen Schlüssel.
„Um ehrlich zu sein, habe ich auch nicht damit gerechnet, dass Dominik sich so schnell überzeugen lässt.“ Hector beobachtete aufmerksam, wie Apollonia ihre Magie wirkte und die beiden Teile wieder miteinander verband. Als die Hermetikerin ihm den Schlüssel wieder in die Hand legte, schaute er genau auf die Worte und den Gegenstand.
Hector bemerkte nichts Außergewöhnliches, außer der Tatsache, dass sich die Magie, die darin enthalten war, vervielfacht hatte. Apollonia nahm den Schlüssel erneut und tat es ihm gleich. Im Sonnenlicht des Mainachmittags analysierte sie das kleine Stück Silber. Dann wurde sie mit einem mal blass.
Bild

Sie reichte den Schlüssel zurück und schluckte. „Da steht nichts von einer Gilde. Lies die Buchstaben mal rückwärts! Das ist ein Ambigramm.“
Als der Groschen endlich fiel, wurde auch Hector kurz blass. „Verdammt noch eins. Lese ich das richtig?“`Er schaute Apollonia mit skeptischem Blick an. „Und wenn ja, warum hat deine Familie…“ Er verstummte und starrte auf die Buchstaben. ROTCEH oder eben HECTOR…
Apollonia ließ sich auf einen der Stühle fallen und starrte den Schlüssel in Hectors Hand wie einen Geist an. „Das macht doch überhaupt keinen Sinn…“ kam eine schwache Erwiderung.
Der blonde Mann tat es seiner Gastgeberin gleich und setzte sich verwirrt. „Was ist das? Bist du dir sicher, dass der Schlüssel wirklich von deiner Familie stammt?“ Hector nahm den kleinen Gegenstand noch einmal an sich und betrachtete ihn mit einem grundlegenden, magischen Blick.
Apollonia nickte zögernd. „Man hat mir gesagt, dass er seit Jahrhunderten im Familienbesitz ist und meine Quelle ist zuverlässig.“ Sie sah zu dem Ekstatiker. „Kann es sein, dass er den Schlüssel vielleicht für dich stehlen wollte? Quasi als Geschenk?“, versuchte sie nicht wirklich überzeugt.


Dateianhänge:
wohnzimmer.jpg
wohnzimmer.jpg [ 809.11 KiB | 39-mal betrachtet ]

_________________
"Alea iacta est." oder "Die Würfel sind gefallen." - Lateinisches Sprichwort
Nach oben
 Profil  
Mit Zitat antworten  

 Betreff des Beitrags: Re: Prag I: Hector
BeitragVerfasst: Sa 3. Dez 2022, 12:26 
Offline
Benutzeravatar
 Profil

Registriert: Fr 24. Jul 2009, 01:13
Beiträge: 1418
Hector überlegte kurz und schüttelte den Kopf. „Nein, das kann nicht sein. Wir haben uns erst vier oder fünf Jahre später kennengelernt.“ Seine nächsten Worte klangen wenig überzeugend. „Vielleicht geht es ja auch um einen völlig anderen Hector? Immerhin bin ich nicht der einzige Mensch, der so heißt, mal abgesehen davon, dass der Name uralt ist.“ Der Ekstatiker dachte kurz an die Sage des trojanischen Prinzen, nach welchem er benannt wurde. Er strich über seinen kurzen Bart, nachdenkend. „Aber unabhängig davon, erklärt das alles immer noch nicht, was Bram so wichtig an diesem Talisman war.“ Hectors Blicke streiften über die Reihen an ledergebundenen Folianten, die alten Drucke und gelegentlichen Handschriften, die Apollonias Wohnzimmer in ordentlichen Reihen säumten. „Vielleicht sollten wir ein wenig recherchieren. Der Schlüssel ist ein magischer Talisman und vielleicht hat irgendjemand etwas darüber geschrieben. Wenn wir dessen Funktion herausfinden, könnte das vielleicht ein paar Fragen beantworten…oder wir könnten versuchen, das Schloss zu diesem Schlüssel zu finden. Was denkst du?“ Er schaute die Hermetikerin mit fragenden Augen an.

_________________
- Do not go gentle into that good night. Rage, rage against the dying of the light. -


Nach oben
 Profil  
Mit Zitat antworten  

Beiträge der letzten Zeit anzeigen:  Sortiere nach  
Ein neues Thema erstellen Auf das Thema antworten  [ 242 Beiträge ]  Gehe zu Seite Vorherige  1, 2, 3, 4, 5, 6 ... 25  Nächste

Alle Zeiten sind UTC + 1 Stunde



Wer ist online?

0 Mitglieder


Ähnliche Beiträge

Entdeckung in Prag
Forum: Offplay
Autor: Alida
Antworten: 0
Paris: Hector
Forum: Prag bei Tag
Autor: Alida
Antworten: 0

Tags

Web

Du darfst keine neuen Themen in diesem Forum erstellen.
Du darfst keine Antworten zu Themen in diesem Forum erstellen.
Du darfst deine Beiträge in diesem Forum nicht ändern.
Du darfst deine Beiträge in diesem Forum nicht löschen.
Du darfst keine Dateianhänge in diesem Forum erstellen.

Suche nach:
Gehe zu:  
cron



Bei iphpbb3.com bekommen Sie ein kostenloses Forum mit vielen tollen Extras
Forum kostenlos einrichten - Hot Topics - Tags
Beliebteste Themen: Chat, NES, Erde, Essen, Haus

Impressum | Datenschutz