Mo 5. Dez 2016, 21:13
Akt 1Der Brügger Rat erhält im kalten Februar des Jahres 1228 Besuch von einem Gesandten des Venezianischen Hofes mit Namen Giacomo; offensichtlich ein Ghul und Höfling in den Diensten des Prinzen der Domäne Venedig, Guilelmo Aliprando.
Dieser lässt ein hochoffizielles Schreiben an die Koterie entsenden, das eine Einladung zur öffentlichen Unterzeichnung eines Waffenstillstandes zwischen Hardestadt, dem Fürsten der Lehen des schwarzen Kreuzes und Vladimir Rustovich, dem Drachen des Ostens, darstellt. Gerüchten zufolge können beide Parteien sich die Fortführung des ewigwährenden Konfliktes nicht mehr leisten, da ihre Aufmerksamkeit auch bei innerpolitischen Belangen dringend benötigt wird.
Venedig hat sich offenbar dazu bereit erklärt als neutraler Treffpunkt zu fungieren; stellt für die Zeit des Aufenthaltes Verpflegung, Unterbringung und Annehmlichkeiten bereit und kümmert sich überdies um die sicherheitsrelevanten Details dieses Aufeinandertreffens. Im Rahmen des Ereignisses, wird dieser besondere und geschichtlich relevante Augenblick mit einem berauschenden Fest im typisch venezianischen Stil begangen. Auf zahlreiches Erscheinen wird gehofft und Masken, festliche Kostüme und prunkvolle Kleiderwahl sind ausdrücklich erwünscht.
Der Rat diskutiert die dargebotene Einladung und sagt schlussendlich zu, nachdem zuvor bereits wichtige politische Details und delikate, zu beachtende Maßnahmen und Gefahrenpotentiale erörtert werden. Es wird allerdings zu bedenken gegeben, dass sich zwei Ratsmitglieder, Gerrit, der Alte, und Lucien Sabatier wohl nicht auf den Weg nach Venedig machen könnten, da sie außer Landes wären und nicht mehr rechtzeitig erscheinen würden. Lucien befindet sich in Deutschland und Gerrit hat sich überraschenderweise auf den Weg nach England gemacht. Etwaige Kunde würde sie wohl zu spät erreichen um noch eine Reise in Erwägung zu ziehen. Der venezianische Hof stellt eine Kutsche mit einer Entourage aus gut ausgebildeten Soldaten zur Verfügung, die ab der italienischen Staatsgrenze eine Eskorte bis nach Venedig bilden würde. Dies wird vom Rat allerdings dankend abgelehnt; stattdessen entschließt man sich den Seeweg zu nehmen und ein Handelsschiff der van de Burse zu diesem Zwecke mit einer erfahrenen Mannschaft, genügend Proviant und entsprechender Ausrüstung wie persönliche Waffen, Kleidung und Präsente für die Domäne in Abfahrbereitschaft zu versetzen. Das Fest als auch die Vertragsunterzeichnung, finden in genau vierzehn Tagen in der Perle des Südens statt; die schriftliche Einladung stellt zugleich einen offiziellen Passierschein dar, der es überhaupt erst erlaubt die Stadt zu betreten, da die Sicherheit vor Ort entsprechend hoch sein würde.
Nur wenig später, setzt sich das Handelsschiff mit der erfahrenen Mannschaft samt Kapitän und dem Brügger Rat in Bewegung. In einer stürmischen Nacht der länger dauernden Überfahrt, findet ein Gespräch zwischen Alida van de Burse und Leif Thorson statt, das die Verbindung der blonden Händlerin zu den Unholden des Ostens aufgreift (
).
Eben jene hatte zuvor bereits über rituellen Wege Kontakt mit Andrej Rustovich aufgenommen, um sich über die genaueren Umstände des zu unterzeichnenden Vertrages zu informieren.
Die Auskunft, die sie erhielt, schien nur das wiederzugeben, was in den Kreisen der Nacht ohnehin geflüstert wird: Beide Domänen hätten aktuell genügend interne Probleme, sodass ein vorläufiger Waffenstillstand unvermeidlich wäre.
Sie erhielt überdies über die Wiedergängerin ein persönliches Schreiben ihres Erzeugers, Emilian Victorovich, der ihr zu verstehen gab, dass er persönlich nicht anwesend sein könnte, da seine Familie ihn dringend in den Landen des Ostens zur Wahrung des Friedens an den Grenzen benötigen würde.
Er hätte aber jemanden entsandt, dem man vertrauen könnte und der ein Auge auf Alida, als auch den Brügger Rat haben würde. Jemand der außerhalb politischer Fraktionszugehörigkeiten agieren könnte und dennoch in Verbindung mit den Unholden stünde. Die Person würde sich mit einer geheimen Frage an Alida wenden, sobald diese sich auf dem Fest befände. Die entsprechende Antwort, war ebenfalls in ihrem Schreiben vermerkt.
Etwa zur gleichen Zeit machte sich auch Gerrit auf den Weg nach Venedig, der zuvor in England verweilt hatte, um sich mit einem hervorragenden und vielgelobten Baumeister zu unterhalten, der sich unter Umständen um den Wideraufbau bzw. Weiterführung des Bauvorhabens am Brügger Dom verpflichten lassen würde. Der Nosferatu war gerade am französischen Hof in abermals diplomatischer Mission unterwegs, als der venezianische Bote auch an Frankreich die entsprechende Einladung überbrachte. Es wurde ihm zugesagt, mit dem französischen Hofstaat ebenfalls per Schiff anreisen zu dürfen, da man ja gute politische Verbindungen pflegen würde.
In Venedig angekommen, musste der Rat zunächst einmal mit dem Schiff am Lido anlegen, einem elf Kilometer langen Strand, der dazu diente die ankommenden Schiffe eine Zeit lang unter Quarantäne zu stellen und auf Krankheiten zu untersuchen; eine gewöhnliche Vorgehensweise in Venedig. Der Lido, eine teils sandige, teils sumpfige Landschaft, offenbarte dann auf dem Weg zur Überfahrt in die eigentliche Stadt jedoch ein grausames Geheimnis.
Die Leiche eines rothaarigen Mädchens, in prächtigen Kleidern lag etwas versteckt zwischen Geäst und morschen Wurzeln. An der Innenseite des Saumes, waren Initialen eingestickt worden: I. B. Daneben fand man ein hübsch gearbeitetes Kreuz als Anhänger, sowie einen merkwürdigen Beutel mit leicht rötlich glänzendem Sand. Die Untersuchung des Kreuzes ergab, dass es für den Besitzer keine große Bedeutung gehabt hatte, dieser aber in boshafter Erwartung und klar erkennbarer Absicht, mit dem Gegenstand in Verbindung gebracht werden konnte. Der Beutel Sand offenbarte eine wahre Flut an sich überschneidenden, unzähligen, wirren und nicht eindeutig interpretierbaren Sinneseindrücken. Es war als würde man die Chronik der Welt in Buchform im Sekundentakt durchblättern. Beide Gegenstände wurden verwahrt und nach einigen Diskussionen, wie mit der Leiche des Mädchens zu verfahren wäre, entschied man sich dazu die Leiche den Behörden zu übergeben, auch wenn mancher dahinter bereits die erste Intrige in der Stadt der Masken vermutete. Die medizinische Untersuchung des Mädchens ergab nämlich eindeutig eine klar erkennbare Blutarmut, die unverkennbar durch einen Kainiten zustande gekommen war. Es blieb ein Rätsel, wie ein Mädchen aus gutem Hause, auf die Quarantäne-Insel gekommen war ohne bemerkt worden zu sein. Über geschickte Fragestellungen, konnte man den Namen des Mädchens in Erfahrung bringen: Isabella Barosso. Da man des Italienischen mächtig war, gab man sich als trauernde Verwandtschaft aus, welche die Verstorbene in ihrem Geburtsort beerdigen wollte. Man konnte die Wachmannschaft recht schnell davon überzeugen, dass die rothaarige Frau natürlich keinesfalls Opfer einer Seuche an Bord geworden war.
Man trat die Überfahrt in einem kleinen Ruderboot an; eigens dafür abgestellte Schiffer nahmen die Einladung des Rates entgegen die als Passier- und Erlaubnisschein fungierte.
Nachdem man vom Lido auf die Lagune übersetzt hatte, wurde man bereits von einem Höfling im Dienste des Prinzen in Empfang genommen, der versprach sich um die ärgerliche und beunruhigende Mordtat zu kümmern. Der Höfling selbst wusste nicht viel zu den Geschehnissen zu sagen, gab aber erneut zu bedenken, dass der Prinz der Stadt gerade bei so hohem Besuch von wichtigen Würdenträgern besonderen Wert auf die Sicherheit und Stille des Blutes legen würde. Waffen wären auf dem eigentlichen Fest untersagt und alle Fraktionen mitsamt Begleitung, wären in unterschiedlichen Zufluchten untergebracht, die über den Standort der jeweils anderen nicht Bescheid wüssten. Die Leiche des Mädchens wurde von Helfern unter strenger Geheimhaltung fortgeschafft, während der Rat zu ihrer temporären Unterkunft in Venedig geführt wurde.
Die Villa Biscari, die einem wohlhabendem Händler und gutem Freund des Prinzens gehörte, war gerade zur Verfügung gestellt worden, da der Hausherr sich auf Reisen befand. Das Dienstpersonal war entsprechend instruiert und würde den Herrschaften jeden Wunsch erfüllen. Über ansprechendes Interieur, Stuck und Fresken, großen Ölgemälden und sonnendichten Zimmern mit üppig ausgestatteten Gemächern und ausladenden Betten, gab es nichts das der anspruchsvolle Gast vermissen könnte.
Der Rat hatte jeweils einen sterblichen Ghul bzw. Reisegefährten mit in die Stadt genommen und während die Schiffsmannschaft an Ort und Stelle verblieb, transportierten Konstantin, Michel und Thomas die persönlichen Gegenstände, die Kisten und Säcke, Garderobe und Besitztümer der Ratsmitglieder in die Villa. Der begleitende Höfling, gab zu verstehen, dass der Prinz die Herrschaften noch heute Nacht gerne persönlich begrüßen würde und diese in einer Stunde in der Villa Narsette, dem Prinzenpalast empfangen würde. Nachdem man sich in der vorläufigen Zuflucht eingerichtet hatte, untersuchte Leif Thorson den merkwürdigen Beutel mit rötlichem Sand, der noch immer ein Mysterium war. Dieser rieselte ihm durch die Finger und fing an merkwürdig zu leuchten und zu blinken, wie kleine Sterne die immer strahlender und heller brannten und schlussendlich anfingen die Raumzeit zu krümmen, zu dehnen und zu verändern. Mit einem Mal fand sich die Koterie wieder in der Schlacht um Brügge wieder; stand kurzerhand vor der zerteilten Lilliane die von Volgar einst beinahe getötet worden war. Nach einigen Diskussionen, ob man diese offensichtliche Vergangenheit beeinflussen oder verändern könnte oder überhaupt sollte, entschied man sich dazu nicht weiter einzugreifen. Als man kurzzeitig dennoch versuchte die Figuren der blutigen Szenerie zu berühren, veränderte sich die Realität erneut.
Der Horizont zerrann zu einer klebrigen Masse aus Farben und setzte sich erneut zur Stadt Venedig zusammen oder besagt gesagt, zu einem bläulich-gräulichem Zerrbild der Stadt das in dichte Nebelschwaden gehüllt und von Schatten durchzogen schien, die sich in grotesker Agonie emporreckten. Offenbar begann eine kalte und fremdartige Dimension zwischen den Welten in diese Realität zu sickern und diese damit zu verändern; sich mit dieser zu vermischen. Menschen oder Lebewesen, waren keine auszumachen und die ganze Stadt schien wie ausgestorben. Die Einladung zu einem privaten Maskenball am Donnerstag, welche sich auf einem kleinen Beistelltischchen im Salon befand, ließ mutmaßen das man sich in der Zukunft befand. Die Villa selbst schien verwüstet, geplündert und verfallen als ob sich die Last von Jahrhunderten über das Bauwerk gelegt hätte. Dann verblasste das Bild so schnell wie es gekommen war und die Gruppe befand sich wieder in ihrer eigenen Realität. Keiner der Charaktere hatte eine wirkliche Erklärung für die Geschehnisse und es schien nicht klar, ob man eine Prophezeiung, eine feststehende Zukunft oder etwas Anderes gesehen hatte. Fest stand wohl nur, dass der Sand über unheimliche und schwer einzuschätzende Kräfte verfügte. Woher Isabel den Sand hatte blieb auch ungeklärt, genauso wie die Frage, ob man die Geschichte den zuständigen sterblichen bzw. unsterblichen Behörden berichten sollte. Das Geheimnis um Isabel und den Sand, musste wohl auch vorläufig eines bleiben, denn der Höfling betrat erneut die Villa, um die Gesandtschaft zum Prinzenpalast zu geleiten.
Der Rat hatte sich bereits im Vorfeld mit prachtvollen Kostümen und Masken ausgestattet, die er zu diesem Anlass in kürzester Zeit hatte anfertigen lassen.
Auf dem Weg zum Prinzenpalast, konnte man schon den allgemeinen Lärm der johlenden, Lachenden und sich unterhaltenden Menge vernehmen. Überall in Venedig wurde getanzt und gefeiert, Verkäufer hatten kleine Hütten und Verkaufsstände mit Wein und Heißgetränken aufgebaut, Spielleute musizierten und der köstliche Geruch von deftigen und süßen Speisen lag in der kalten Nachtluft. Die schiere Flut der prachtvollen Masken und Kostüme war überwältigend; der Karneval war ein Ausnahmezustand in der Stadt. Der Besuch beim Prinzen verlief relativ unspektakulär; da dieser aufgrund der Vorbereitungen für das Fest in der morgigen Nacht noch zahlreiche Dinge zu erledigen hatte. Er empfing die Gruppe im Palast, der gut bewacht schien und bereits jetzt üppig dekoriert und ausgestattet worden war. Überall hasteten Bedienstete und Mägde herum, befüllten Tische mit kleinen Leckereien, verschoben Vasen und Gedecke, Bilder und Blumenarrangements. Guilelmo Aliprando, das Kind von Narses von Venedig, dem einstigen Führer der kainitischen Häresie, tauschte einige höfliche Floskeln mit dem Rat aus und ermahnte nochmals zur Stille des Blutes, während er die Sicherheitsmaßnahmen und den zeitlichen Ablauf der morgigen Veranstaltung bekanntgab.
Gerüchten zufolge war sein Erzeuger in Verruf geraten sich mit allzu weltlichen Dingen zu beschäftigen und wurde höchstpersönlich von seinem Kind abgesetzt, das nunmehr Prinz der Stadt geworden war. Die Führung der Häresie, war einem russischen Unhold mit Namen Nikita von Szredentz übertragen worden, der dem Prinzen bei der Unterhaltung mit der Brügger Koterie Gesellschaft leistete und überdies als sein Seneschall fungierte.
Das Zentrum der Häresie, einer rituellen, kainitischen Glaubensgemeinschaft, welche die katholische Kirche von innen und außen unterwanderte, um einem angeblichen Irrglauben entgegenzuwirken und über Intrigen ihre eigenen Dogmen durchzusetzen, befand sich gegenwärtig ebenso in der reichsten Stadt des Kontinents. Nach dem kurzen Gespräch mit dem Prinzen der Stadt, wollte sich die Gesellschaft wieder in Richtung Zuflucht begeben, als sie von einem jungen, offenbar sterblichen Burschen aufgehalten wurden, der angab im Auftrag seines Herren, dem Händler Barosso entsandt worden zu sein. Dieser wäre der Vater von Isabel und wäre in tiefer Trauer über den Verlust seiner einzigen Tochter; es wäre ihm aber zu Ohren gekommen, dass eine Hand voll Fremde diese als erstes entdeckt hätten. Er bat die Koterie also ihm alles zu berichten, was es zu berichten gäbe, da die örtlichen Behörden auffällig langsam und geheimnistuerisch arbeiteten. Mit einem Mal war wohl klar, dass Gerüchte und die beliebte Stille-Post in Venedig ganz besonders schnell arbeiteten. Irgendwie musste er wohl schon vorzeitig vom Tod seines Kindes erfahren haben. Der Rat stimmte zu dem Vater der Ermordeten, Giuseppe Barosso Rede und Antwort zu stehen. Der sie begleitende Höfling des Prinzen war zuerst verärgert und argwöhnisch, lenkte dann aber ein und gab zu verstehen, dass es wohl tatsächlich das Beste wäre dem Vater gerade so viel zu erzählen wie nötig wäre, um diesen in trügerische Sicherheit zu wiegen. Die Beauftragten der Domäne, würden sich der Sache gewiss annehmen; wären aber wohl aufgrund des bevorstehenden Festes recht eingespannt.
Giuseppe Barosso schien am Boden zerstört; seine Frau hatte ihn bereits früh verlassen und nun wurde ihm auch seine Tochter genommen.
Die wohlhabende und sehr erfolgreiche Händlerfamilie, drohte frühzeitig auszusterben. Die Gruppe berichtete ihm gerade so viel wie notwendig war, ließ aber verräterische Details zur kainitischen Natur sorgsam aus. Als der Händler das Kreuz, welches man bei der Leiche des Mädchens gefunden hatte zu sehen bekam, zeigte er sich äußerst aufgebracht und wütend. Zwischen Tränen und schwermütiger Gram packte ihn der Zorn, denn es stünde außer Frage, das Venantius di Bari dahinterstecken würde. Dieser Mann wäre ein ortsansässiger, exzentrischer Künstler der den Mädchen gerne schöne Augen machte, sich besonders christlich und gläubig gab aber dabei doch nur ein verdammenswert sündiger Mensch wäre. Die Damenwelt läge ihm zu Füßen aber über seine Kunst ließe sich streiten. Er habe Isabel mehrmals verboten Venantius aufzusuchen aber junge Mädchen aus privilegierten Häusern hatten ja ohnehin ihren eigenen Kopf. Von Rachegedanken, konnte er vorerst mit vereinten Kräften abgebracht werden, obgleich ihm die Trauer und die Wut beinahe alle Sinne raubten. Gleich morgen, wolle er den Dogen aufsuchen und ein Verfahren beantragen. Die Gruppe bekundete ihr Beileid und verließ den trauernden Vater, um sich in ihre Zuflucht zurückzuziehen. Dort bekundete Michel großes Interesse daran den Kuss von Lilliane zu erhalten, da er sie auf diese Weise besser schützen könne. Zunächst schien es nicht so, dass die Gräfin von diesem Ansinnen besonders erfreut wäre aber schlussendlich lenkte sie ein; verschob diesen wichtigen Moment jedoch auf später. Der Kuss sollte in der Sicherheit und Behaglichkeit der eigenen Heimstatt vollzogen werden und vorerst hatte Venedig Priorität. Konstantin merkte an, das Venedig eingehüllt wäre in eine mächtige Energie, die schwierig zu interpretieren wäre aber großes Potential in sich trüge. Genaueres vermochte er nicht zu sagen.
Ein paar Stunden später, war der venezianische Karneval in den Straßen noch immer in vollem Gange; die Straßen hell erleuchtet, die Palais und Villen prachtvoll geschmückt und durchzogen mit den Stimmen als auch den Düften der dekadenten, verschwenderischen Serenissima, die sich selbst feierte, als der Rat sich für das große Fest ankleidete und sich alsbald auf den Weg dorthin machte. Auch Gerrit war mittlerweile rechtzeitig per Schiff in Venedig angekommen, anders als die französische Delegation, hatte er aber nur das notwendigste bei sich, sodass er auf Anfrage bei einem venezianischen Höfling, noch eilig nach der Überfahrt vom Lido zur Lagune, einen recht überteuerten Schneider aufsuchte, der ihm entsprechend prunkvolle Gewänder fertigte und Unsummen dafür abnahm. Ausgestattet in edle Tuche und mit ansprechender Maskierung, begab auch er sich auf das Fest, nachdem ihm die Information zugetragen worden war, die Brügger Abgesandten hätten sich bereits auf den Weg dorthin gemacht.
Das Fest war bereits in vollem Gange, als die Brügger Delegation und kurz darauf Gerrit im Palazzo Narsette eintrafen. Der Palast bestand aus drei hoch aufragenden Innenhöfen, die über Durchgänge mit Rundbögen miteinander verbunden waren. Überall gab es verschwenderisch eingerichtete Zimmer und Räumlichkeiten die entweder der Allgemeinheit zugänglich waren oder von aufmerksamem Wachpersonal verschlossen gehalten wurden.
Im zweiten Stockwerk auf der linken, sowie auf der rechten Seite, prangten die Banner von Hardestadt respektive Rustovich. Die beiden Fürsten und Widersacher, waren wohl aus gutem Grunde möglichst weit voneinander weg untergebracht worden. Die feierliche Vertragsunterfertigung, war auf Mitternacht angesetzt worden und bis dahin hatte die Gruppe die Möglichkeit sich dem berauschenden Wogen aus Sterblichen und Untoten hinzugeben, die aßen und tranken, tanzten und lachten und sich in ihrem Wohlstand und Dekadenz aalten. Hie und da verschwanden angetrunkene, kichernde Pärchen es wurde zünftig aufgespielt, die Tische bogen sich unter der Last der Köstlichkeiten und lediglich die strenge Bewachung durch die persönlichen Gardisten des Prinzen, erinnerten einen gelegentlich daran das bei dieser Zusammenkunft immer mit unvorhersehbaren Schwierigkeiten gerechnet werden musste.
Madame Lavalle, wurde beim Eintreffen von Venantius di Bari in Beschlag genommen, der mehr als entzückt und entbrannt vor Leidenschaft für die Französin schien; für sie ließ er sogar seine eigene Begleitung stehen.
Die Dame selbst hingegen, schien dezent ausgedrückt weniger angetan von seinen Avancen. Wie aus dem abgefangenen Brief, den man beim Speckfürst in den Taschen des ermordeten Händlers aus Venedig gefunden hatte hervorging, standen sich die beiden offenbar recht nahe. So nahe sogar, dass er wohl ihren Vornamen kannte und die aus Brügge abhanden gekommene, heilige Lanze für sie ausgemacht hatte.
Währenddessen, traf sich Alida im Garten des Anwesens mit ihrer geheimen Kontaktperson, die von Emilian zu ihrer Sicherheit entsandt worden war und tauschte das Losungswort aus.
Die Agentin des Ostens hieß offenbar Anastasia; eine schwarzhaarige, wenig grazile Dame, die wohl mit feiner Gesellschaft und Etikette nicht viel am Hut hatte, dafür sogleich ein paar wichtige Informationen an Alida weitergab und sie darüber aufklärte, dass Jaques de Camarque wieder aus den Kreuzzügen zurück wäre und bei Geoffrey du Temple in Ungnade gefallen wäre. Etienne de Poitou hätte ihn wieder aufgenommen und der blonde Franzose wäre ebenfalls auf dem Fest zugegen. Des Weiteren konnte über einige Gespräche und geflüsterte Gerüchte in Erfahrung gebracht werden, dass Madame Lavalle ihren Posten als Seneschall wieder abgegeben hatte, was kontrovers diskutiert wurde. Manche sahen es als entwürdigenden Machtverlust, andere sahen darin einen klugen Schachzug des französischen Prinzen. Jaques de Camarque war es dann auch, der Lilliane von Erzhausen, die das Spektakel von einer erhöhten Brüstung aus beobachtete ansprach und ihr erneut seine ewige Liebe und Zuneigung kundtat.
Auch auf mehrfaches Insistieren ihrerseits, ließ er sich in seiner unsterblichen Leidenschaft nicht davon abbringen, dass beide füreinander bestimmt wären. Kurz darauf wurde mit Fanfaren und unter Applaus das Erscheinen der beiden Fürsten angekündigt, die sich beide ihrerseits mit einer Delegation von Wachen über breite, reich verzierte Treppen, ihren Weg durch die Menge bahnten.
Der Innenhof wurde für die Allgemeinheit gesperrt und nur noch für die geladenen Gäste und Unsterblichen offen gehalten. Die Türen wurden nach strenger Kontrolle geschlossen, sodass die Stille des Blutes nicht gefährdet wäre. Auf einer großen Steinsäule, lagen bereits mehrfach überprüft und inspiziert die entsprechenden Vertragsdokumente, welche die beiden Kontrahenten nach einigen verbalen Machtkämpfen und unterschwelligen Drohungen und Schmähungen auch nacheinander unterschrieben.
Entgegen der allgemeinen Meinung, brach das bereits erwartete Chaos aus Attentaten, Giftmorden und intriganten Anschlägen nicht aus; im Gegenteil. Es wurde eine lange Tafel aufgedeckt, an der sich die Größen der Nacht mit frischer Vitae aus prunkvollen Kelchen stärken durften. Selbst Hardestadt und Rustovich stießen miteinander an und die Feierlichkeiten nahmen ungehindert und ungestört ihren Lauf. Als krönenden Abschluss des gelungenen Abends, als auch dem Abschluss des Waffenstillstandes, war eine Reihe von Spielen angedacht, zu deren Teilnahme jeder unabhängig seiner Herkunft oder seiner Treueschwüre eingeladen war. Verschiedene Kainiten nahmen teil, darunter auch der Rat aus Brügge. Es begann mit einem Wetttanzen, zu dem Leif Lilliane aufforderte, die sich aber zunächst nicht dafür erwärmen konnte. Erst als Jaques de Camarque sie aufforderte, ließ sie sich unter der Prämisse, er dürfe nicht vergessen wem ihr Herz gehöre, darauf ein. Gerrit tanzte mit Madame Lavalle und Leif forderte aus Jux und Tollerei einen Nosferatu auf, der grinsend zusagte.
Man fegte über den peinlichst genau gesäuberten Marmorboden zu den schnellen Klängen der Musiker und obgleich alle eine gute Figur machten, waren es Gerrit und Madame Lavalle die schlussendlich einen famosen, leidenschaftlichen Tanz vollführten der alle in Erstaunen versetzte und ihnen den Sieg bescherte. Lilliane und Alida nahmen jeweils an Bogenschießen und Gesangwettbewerben teil, konnten aber den Sieg schlussendlich nicht für sich beanspruchen.
Der Heiler Leif hingegen stellte einen neuen Rekord im beliebten französischen Hof-Spiel „Fang das Ferkel“ auf.
Mit schier übermenschlicher Geschicklichkeit und Geschwindigkeit, hatte er das quiekende Tier innerhalb weniger Sekunden gepackt, alle Verfolger hinter sich gelassen und in Bestzeit wieder in seinem kleinen Weidenkörbchen abgesetzt. Als Belohnung gab es für ihn eine äußerst wertvolle Rüstung aus Konstantinopel von meisterlicher Machart, während Gerrit einen ebenso vortrefflichen Helm sein eigen nennen durfte. Madame Lavalle erhielt schier unbezahlbaren Schmuck.
Als Ausklang sollte es noch eine kleine Gondel-Regatta geben, die von einem festgelegten Starpunkt des Canale Grande aus, einige hundert Meter lang durch die trüben, kalten Wasser der Lagune führte. Die Festgesellschaft begab sich also zur feiernden, sterblichen Menge nach draußen an den Startpunkt, wo Alida mit ihrer Kenntnis von Schiffsbau in kürzester Zeit die perfekte Gondel für die teilnehmenden Gerrit und Leif ausgesucht hatte. Unter den Teilnehmern waren unter anderem auch Nikita der Seneschall und nominelle Führer der Häresie, sowie der ehrenwerte Besuch aus Spanien, der Kardinal Antonio Delgado.
Lilliane von Erzhausen gab mit einem Taschentuch den Startschuss und unter begeistertem Jubel und Pfiffen, setzten sich die Gondeln in Bewegung. Es dauerte nicht lange und ein klarer Favorit kristallisierte sich unter den Teilnehmern heraus: Brügge. Gerrit und Leif hatten sich ein gutes Stück vom Rest der Gondeln abgesetzt und steuerten schon auf das Ziel zu, als plötzlich das Unfassbare geschah. Mehrere Armbrustbolzen, schlugen in die Gondel von Nikita und Delgado, versanken im Wasser, trafen lackierte Teile aber auch den schmerzvoll aufschreienden Kardinal. Der Seneschall riss den Mann über Bord; suchte hinter der wackeligen Gondel im eiskalten Wasser Schutz, da die beiden hier im offenen Kanal ein mehr als leicht zu treffendes Ziel abgaben. Die sterblichen und unsterblichen Zuschauer brauchen eine ganze Weile lang, um nach und nach zu verstehen was da gerade vor sich ging und die gellenden Hilfeschreie von Nikita, gaben erst allmählich die Erkenntnis Preis: Ein Attentat und offensichtlich hatte der Schütze keinen der untoten Würdenträger im Visier gehabt.
Hardestadt und Rustovich beschuldigten sich schon gegenseitig; vermuteten ein weiteres, zeitgleich stattfindendes Komplott und ließen ihre Wachen aufmarschieren, um jeder für sich den Attentäter, den sowohl Alida als auch Gerrit und Leif alsbald auf einem der hohen Hausdächer der Kanalseite entlang ausfindig machen konnten, dingfest zu machen. Erst das Eingreifen Andrejs einerseits und Lillanes andererseits, brachten die Fürsten von diesem unüberlegten Vorhaben ab, da die Straßen mehr als genügend Verstecke und Möglichkeiten für Hinterhalte boten und niemand wissen konnte, ob nicht tatsächlich auch dieser so feige aber gleichsam schon gefährlich offensichtliche Anschlag, nicht Teil eines perfiden Plans wäre. Während Leif Thorson an die Seite des verwundeten Kardinals gerufen wurde, da ihm sein Ruf als hervorragender Heiler bereits vorauseilte, nahmen Alida und Gerrit die Verfolgung des Attentäters auf, der weite, helle Kleidung trug und einen leicht morgenländischen Einschlag erkennen ließ. Der Verwundete wurde in das Ärztekabinett eines befreundeten Heilers des Prinzen gebracht, als die zerstrittenen Fürsten voneinander abließen und auf Geheiß des venezianischen Prinzen wieder in ihre jeweiligen Zufluchten zurückkehrten; man würde sich als Domäne Venedig des Problems annehmen. Leif erkannte, dass der Kardinal von mehreren Bolzen getroffen wurde. Die eigentliche Gefahr ging aber von verschiedenen Giften aus, mit denen man die Spitzen getränkt hatte und die auf die lebenswichtigen Organe des Würdenträgers abzielten. Er schaffte es unter Aufbietung all seines Könnens und seiner Kunstfertigkeit, dem Mann das Leben zu retten wofür ihm vor allem der Seneschall unendlich dankbar war, da Delgado als vielversprechender Kandidat für das höchste Amt in der katholischen Kirche in Rom galt. Der Kardinal würde unter strenger Bewachung im Behandlungszimmer des Arztes verweilen, bis er transportfähig wäre. Danach würde man ihn an einen geheimen und schwer bewachten Ort bringen, um sein Leben zu schützen. Nach außen, würde man es auf Anraten des Heilers so darstellen, als hätte der Mann den Anschlag nicht überlebt um die Mörder auf eine falsche Fährte zu locken.
Indessen verfolgten Alida und Gerrit den Attentäter über Häuser und Dächer, durch überfüllte Straßen und Gässchen, quer durch die Massen der feiernden Venezianer, bis sie ihn an einer Häuserkante, hoch über einem der größeren Kanäle stellen konnten.
Gerrit näherte sich dem scheinbaren Araber, während Alida von der Straße aus darauf achtete, ihm unter Umständen die Flucht abzuschneiden. Der überaus geschickte und gelenkige, durchtrainierte Mann sprach den Nosferatu zunächst auf Arabisch, dann auf Latein an und gab zu verstehen, dass offenbar niemand in dieser Stadt verstand was wirklich vor sich gehe. Dann breitete er die Arme aus und ließ sich nach unten fallen. Noch im Sturz verwandelte er sich in einen Adler und selbst die heranrauschende, geworfene Holzaxt, die Alida aus einem naheliegenden Hackstock gerissen hatte, hielt seine Flucht nicht auf. Man kehrte wieder zu Leif, Lilliane und dem Prinzen der Stadt zurück, der versprach alle Vorgänge restlos aufzuklären und noch heute die entsprechenden Maßnahmen zu setzen, um jedes bisschen Information einzusammeln und jeden verfügbaren Mann zu entsenden. Bis auf weiteres, wurde auch die Brügger Delegation gebeten sich wieder zurück in ihre Zuflucht zu begeben. Morgen Nacht, würde es bereits erste weitere Hinweise auf den Attentäter und etwaige Zusammenhänge geben. Die Koterie begab sich zurück zum Palazzo Biscari, wo noch eine Weile diskutiert und überlegt wurde, bevor man sich für den herannahenden Tag zur Ruhe begab.