So 21. Okt 2018, 20:46
Tempus fugit (1228)Es brannte! Die Flammen des düsteren Feuers loderten hoch in ihren Adern. Das unheimliche Etwas, das sie seit ihrer Wandlung in sich verspürte, spie Feuer wie ein alptraumhafter Drache. Die Kainitin hörte das Rascheln, mit dem ihre Beine durch das hohe Gras pflügten, sie spürte die Wucht jedes einzelnen wütenden Schritts durch die dünnen ledernen Sohlen ihrer feinen Stiefel, sie roch die feuchte Nachtluft, die vom Main heraufstieg, ja, sie schmeckte mit ihren neuen, scharfen Sinnen sogar den winzigen Tropfen ihres eigenen Bluts, der über ihre kürzlich noch kirschroten, jetzt aber fahlen Lippen rann, wo ihre scharfen Zähne das untote Fleisch im Zorn zerbissen hatten. Doch sie nahm nichts von alledem bewusst wahr – mit Ausnahme dieses Geschmacks, der lockend und zugleich abstoßend war. Wärme versprach er, die Wärme lebender, junger Körper, die allein noch ihrem Leib – schön, erregend, aber dennoch kalt und tot – den schwachen Hauch von Leben verleihen konnten. Für eine kurze Zeit. Wie Brennmaterial für jenes Feuer, das ewig hungrig alles verschlingt und doch immer wieder nach kurzer Zeit zu verlöschen droht.
Dieser Geschmack quälte sie, lockte und narrte sie, wie sie es mit den Sterblichen tat. Gerade jetzt, wo der Zorn sie im Griff gehabt hatte, die Erregung, welche als Fluch auf dem Blut ihres Erzeugers lastete und so auch ihr weitergegeben worden war. Immer wenn die Welt wie hinter einem blutroten Schleier verborgen schien und das Blut in ihr aufwallte, kehrte der unstillbare Durst hernach mit doppelter, zehnfacher Stärke zurück, und sie sehnte sich danach, ihrem kalten Leib wieder den warmen Odem des Lebenssafts einzuhauchen. Die Brust Louisas, durch ein sinnreich geschnürtes Mieder Aufmerksamkeit heischend den Blicken ihrer sterblichen Beute dargeboten, hob sich unter tiefen Atemzügen. Nicht dass sie noch atmen hätte müssen, doch ihr Leib schien sich noch früherer Zeiten zu entsinnen, in denen sie stets heftig geatmet hatte, wenn sie diesen unbändigen Zorn verspürte. Zorn... was für ein schwaches Wort für die Regung, welche sie nunmehr in sich fühlte! Fauchend wie eine gereizte Katze raffte sie ihre Röcke an sich, trat mit einem energischen Sprung über eine flache Natursteinmauer von der grasbewachsenen Fläche auf die schmale Seitenstraße zwischen den einfachen Häusern am Fluss in Sichtweite des Schwanentors.
Sie warf einen Blick über das glitzernde Band des Stroms, starrte zur düsteren Silhouette der
Festung Marienberg auf der anderen Mainseite hinauf, wo die Herren über die Stadt und das Umland hausten – der sterbliche Fürstbischof wie auch der untote Herrscher über Würzburg, dessen tote, blinde Augen ihn nicht daran hinderten, die Kainiten seiner Domäne mithilfe seiner schwer durchschaubaren Kräfte unter einer steten, bedrückenden Beobachtung zu halten. Die junge Frau riss mit einem Mal am Ausschnitt ihrer Bluse, glaubte ersticken zu müssen unter dem gesichtslosen Blick des alten Toreador, den sie überall um sich her zu fühlen meinte. Sie ahnte, nein, sie wusste, dass auch der Streit mit ihrem Erzeuger dem Prinzen sehr schnell bekannt werden würde, wie alles und jedes, das sich in dieser Stadt tat. Und sie musste hier heraus! Sie wollte nichts mehr hören oder sehen von Prinz, Ahn und all den anderen, die sie in ein enges Korsett von Regeln und Vorschriften zu pressen versuchten! Jawohl: "Raus hier..!" flüsterte sie und realisierte mit einem Mal, dass es genau das war, was sie zu tun hatte: heraus aus Würzburg! Fliehen, dem eisernen Griff der älteren Kainiten entgehen, ihre Wut vergessen, indem sie sich in all die sinnlichen Genüsse stürzte, die ihr neues Dasein ihr bot. Die Lust, die ihr das Herz wärmte, so es auch nicht mehr aus eigener Kraft schlug. Die jungen Männer, in deren Armen sie wohlige, erregende Hitze fand, in deren Adern das süße Blut ihrer harrte, welches das Feuer in ihrer Brust nährte und das Biest für eine Weile im Zaum zu halten vermochte...
Ein zitternder Seufzer entrang sich ihrer Brust. Sie wischte sich mit einer fahrigen Bewegung über die Augen, suchte die Erregung niederzukämpfen. Denn eines, eines allein unter all den Wissensgebieten, in denen zu lernen ihr Meister von ihr forderte, beherrschte sie bereits recht gut: die Jagd auf die Sterblichen. Ihr Körper reagierte mittlerweile bereits instinktiv. Er wusste, was sie tun musste, um an den köstlichen Lebenssaft zu gelangen. Und so fuhren ihre Hände glättend über ihre Kleidung, drapierten das lange Haar unter der bürgerlich anmutenden Haube beinahe liebevoll, sinnlich-selbstverliebt um ihre wohlgerundeten, frivol bloßliegenden Schultern, rückten das Mieder zurecht. So wandelte sich auch ihr Gang von dem eiligen, wütenden Voranstürmen zu einem langsameren, herausfordernd lasziven Dahinschlendern, wiegte sie sich leicht in den Hüften, signalisierte mit ihrem gesamten Erscheinungsbild eine fast schon quälend spürbare Lockung. Ja, es wäre klüger, erst ihren Durst zu stillen, denn dann würde auch das Böse in ihr, das ihr zuweilen mehr Angst machte als alle Prinzen, Erzeuger und anderen Mächtigen dieser Welt, seine Augen schließen, betäubt vom Rausch des süßen roten Safts. Und sie würde wieder klar denken können. Klar genug, um sich zu überlegen, wie sie, das unerfahrene Kind, den Augen und den zugreifenden Händen jener Alten entgehen könnte, die anscheinend fast alles vermochten, was sie nur wollten. Es musste einen Weg geben, ihren Willen zu haben, ohne dass sie sie wieder an die Leine legten, und sie würde ihn finden!
Wenn sie erst einmal weit, weit weg wäre, würde sie sich einen ruhigen Ort suchen, an dem sie mit keinem anderen Untoten in Streit geraten würde und sich ganz dem neuen Gefühl von
Freiheit und dem Frönen ihrer Gelüste widmen könnte. Was kümmerten sie die politischen
Ränkespiele Gustav von Gütens, der sich unter den Kainiten bewegte wie sie unter Sterblichen, ein Fisch im Wasser? Was gingen sie die hehren Ideale an, die ihr Meister zu beschwören versuchte, die selbstgesteckten Ziele irgendwelcher uralten, verbitterten Männer, die anscheinend über den Foltern des Durstes standen oder auf geheimnisvolle Weise gelernt hatten, das Biest in ihrer Brust zu beherrschen? Wer wollte ihr das Recht aberkennen, zu sein, wozu sie gemacht worden war, ihre Bedürfnisse zu befriedigen, solange sie nicht gegen die Gesetze der Untoten verstieß und Sterblichen ihre Existenz enthüllte? Was interessierte sie ein Hoftag, bei dem eine Frau generell und erst recht eine niederer Herkunft ohnehin nichts zu sagen hätte? Was bedeuteten ihr die Namen alter, verstaubter Vampire, die keine Freuden mehr zu kennen schienen außer der an Macht, an Intrigen und gegenseitigem Betrug?
Ihr Gang wurde katzenhaft, mit langsamen, schleichend anmutenden Schritten, die mit dem sinnlichen Wiegen in den Hüften zu den Bewegungen einer Kreatur verschmolzen, welche ihre Opfer mit einem Lächeln anlockt, sich harmlos und begehrenswert gibt, um sie in Sicherheit zu wiegen. Und als dieses Lächeln um ihre noch immer blassen Lippen spielte, funkelte in ihren Augen neben der Gier nach Blut auch schon wieder die Lust einer jungen, mutwillig-verspielten Katze an der Jagd...
Ihr Schritt fand von der vor Wochen abgegrasten Wiese alleine wieder auf die staubige Straße nach Süden zurück. Sie spürte gleichzeitig den Drang einfach fortzulaufen, wie ihrem Meister noch ein Mal all das bereits Gesagte erneut ins Gesicht zu schleudern und verlor sich in den Gedanken an das gestrige Gespräch. Noch immer war ihr Blut nicht abgekühlt. Sie musste weg…
Der mit einem Mal anschwellende Applaus in weiter Ferne riss sie aus ihren Gedanken. Sie lauschte den Geräuschen der Nacht, die so eindeutig von denen von ausgelassenen Festivitäten übertönt wurden, wie das Licht einer Fackel das des Mondes verblassen ließ. Sie vernahm Schwertgeklirre, das Wiehern von Pferden, aufdringliche Musik von Dudelsack, Drehleier und Flöten und die Laute von hunderten von Menschen. Nur einen Sekundenbruchteil musste sie sich konzentrieren und ihr war bewusst, dass die Geräusche des Hoftages waren, die zu ihr drangen. Einer der Stellvertreter des Kaisers, der sich derzeit auf Kreuzzug im Heiligen Land befand, tagte in Würzburg auf der Aue, die dem Marienberg am nächsten gelegen war, und wie meist wurden diese Ratsversammlungen mit Ritterturnieren, Schaukämpfen, Festessen und Spielen begleitet, die Adelige wie einfachstes Bürgertum gleichsam anzog. Und in ihrem Schlepptau reisten die dazu gehörigen Gaukler, Bettler, Huren und Beuteschneider. Selbst nachts war es dort so lebendig wie in einem Bienenstock. Es wäre ein perfekter Ort für die Jagd.
Als sie sich den Festzelten näherte, konnte sie bereits die Soldaten des Kaisers, Bischof Konrad von Metz unterstellt, erkennen. Schwer schepperten die extra auf Hochglanz polierten Rüstungen im Schein von Fackeln und Lagerfeuern. Einige kontrollierten die Passanten, die auf das eigentliche Festgelände drängten.
Louisa hielt einen kurzen Moment inne. Aus dem Augenwinkel bemerkte sie einen Mann, der lässig an eine Mauer gelehnt stand und sich bei ihrem Anblick abstieß. Er kam mit federndem Schritt auf sie zu und verharrte einen kurzen Moment vor ihr bevor er eine galante, aber kurze Verbeugung vollzog. „Ehrwürdiges Fräulein…“
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