Di 6. Jun 2017, 18:00
Die Nachricht war klar, deutlich und in geschwungenen Lettern verfasst worden; keine Schnörkel, keine unnötigen Verzierungen. Wenn es sich bei dem auf erlesenem Pergament verfassten Schriftstück nicht um die hochoffizielle Einladung des Schwarzen Monarchen Hardestadt, an Liliane von Erzhausen gehandelt hätte, hätte man annehmen können der Angriffsbefehl auf die Hauptstreitmacht eines Feindes wäre hier festgehalten worden. Das Siegel unter den scharfen Buchstaben, die selbstverständlich deutsche Worte formten, glänzte wie ein leitender Stern im Halbdunkeln der Privatgemächer der Brügger Toreador. Der Monarch und Fürst über unzählige Domänen, Ländereien und dienstbare Vasallen, bat um ihr Erscheinen und das Ratsmitglied war nicht so leichtfertig gewesen, eine derartige Einladung auszuschlagen.
So war binnen eines Tages, bereits alles für die bevorstehende Reise nach Deutschland vorbereitet und unter den wachsamen Augen ihres Leibgardisten und obersten Befehlshaber der hauseigenen Wachtruppen, reisefertig gemacht worden. Die kleine Wagenkolonne, bestehend aus einer robusten und doch fein gearbeiteten Kutsche sowie einem zweiten Fuhrwerk mit der unverzichtbaren Dienerschaft und allem, was eine Dame und Politikerin von Welt bei einem derartigen Besuch benötigen könnte, hatte sich kurz darauf auf den Weg Richtung Aachen gemacht. Man hatte ihr mitgeteilt, dass der Monarch geruhte sie auf seinem Sommeranwesen auf Schloss Frankenberg zu empfangen und es war nicht zu erwarten, das Hardestadt bei dieser Gelegenheit noch andere Bittsteller, Diplomaten oder Verbündete empfing. Geschäftliches in größerem Rahmen, pflegte der Fürst andernorts zu besprechen, was für Liliane deutlich machte, dass sie sich in sehr privatem Rahmen mit ihrem Gastgeber würde austauschen können.
Die Fahrt dauerte nicht lange und führte zwei Tage und Nächte lang durch das mittlerweile sommerlich erblühte Flandern. Vorbei an gepflegten Feldern und mondbeschienenen Seen und Äckern, machte man gelegentlich in kleinen Dörfern und größeren Städten halt, um Unterkunft und Logis gegen ein kleines Salär zu erbitten. Ihre Reise führte sogar über Antwerpen, sodass Liliane die Gelegenheit bekam, sich noch vor Ort davon zu überzeugen welche Fortschritte ihre ehemalige Marionettenstadt doch mittlerweile gemacht hatte. Das Ratssystem, schien selbst noch nach all dieser langen Zeit seinen Zweck als Herrschaftssystem in Flandern zu erfüllen. Die Grenze zu Deutschland passierte man völlig unbehelligt, denn allein am Wappen Lillianes gerüsteter Begleitung, erkannte selbst der ungebildetste Grenzzöllner, dass er es hier mit einer hochoffiziellen Entourage zu tun hatte. Dem einen oder anderen, war sogar noch der dazugehörige Name geläufig, selbst wenn man sich nicht allzu häufig mit Heraldik auseinandergesetzt hatte. Am frühen Abend, erreicht man dann die Tore von Aachen und hielt sich nicht lange mit einer müßigen Stadtrundfahrt auf. Die Architektur war ähnlich wie die in Flandern und doch wurde der Toreador erst in diesem Augenblick wieder so richtig bewusst, dass sie soeben wieder heimischen, und zwar wirklich heimischen Boden, betreten hatte.
Vor den Toren von Schloss Frankenberg, erwartete man den edlen Besuch bereits mit einem tadellosen Aufgebot an Bediensteten und Dienstbeflissenheit. Die Pferde wurden umgehend in die Stallungen geführt, die Kutsche würde noch in dieser Nacht gereinigt werden und selbst die Dienerschaft, bekäme für ihre Verhältnisse gar ‚fürstliche‘ Quartiere zugesichert. Lady Liliane von Erzhausen selbst, wurde von einem hochgewachsenen Mann mit dunklen Augen und dichtem Bartwuchs in Empfang genommen, der ihr nach einer tiefen Verbeugung und einem galanten Handkuss, den Weg zu ihrem Gemach wies. Während die Mägde der Gräfin von Erzhausen, bereits die Kleider der Herrschaft säuberlich in Kommoden und Schränken verstaute, überprüfte Michel seinerseits das opulent ausgestattet aber spärlich beleuchtete Zimmer. Schloss Frankenberg wirkte innen, sowie außen sehr gepflegt und ließ keinerlei Zweifel darüber aufkommen, das der Hausherr auf die schmeichelnde Wirkung eines solchen ‚Lustschlösschens‘ bedacht war. Vermutlich waren ihm reine Bollwerke und Rüstburgen zum Einsatz an der Front, weit weniger wichtig was Ausstattung und superbes Interieur betraf. Dies hier aber war die Sommerresidenz und eine solche lud dazu ein, sich in seinem selten aber doch immer wieder gerne zur Schau gestellten Reichtum zu aalen.
Schon auf dem Weg in ihr Gemach, hatte Liliane feststellen können, dass von den Teppichen bis zu den Leuchtern und Türschlössern, den Fenstern und Schießscharten, von der Regentraufe bis zum eigentlichen Mauerwerk alles vom Besten war, dass die deutsche Handwerkskunst zu diesen Zeiten herzustellen vermochte. Der Adjutant des Fürsten, der sich ihr als Eugen vorstellte, überließ sie für einige Zeit sich selbst, und würde die Gräfin dann zum abendlichen Mahle mit dem Monarchen wieder abholen. Hardestadt freue sich schon ganz besonders und die Anwesenheit einer solchen liebreizenden und klugen Landsfrau, war ihm im allerhöchsten Maße willkommen. Die Mägde bereiteten gerade die Kämme und Bürsten, Salben und Duftfläschchen her, die sie auf die ausladende Frisierkommode, in welche ein breiter Spiegel eingelassen war, legten. Michel überprüfte einstweilen das Badezimmer auf seine Sicherheit und seufzte gelegentlich.
Lilliana überwachte die nicht immer alltäglichen Arbeiten der Mägde mit einem zufriedenen Lächeln im Gesicht, nickte hier und da und wechselte einige Worte mit den Personen. Erfreut nahm sie zur Kenntnis, dass die Dienerschaft selbst zufrieden war mit den eigenen Unterkünften. Nicht immer war dies gegeben oder es wurde darauf geachtet. Bevor die Mägde anfangen konnten sie für das Mahl mit Hardestadt auszustaffieren, bat sie um eine kurze Pause und richtete dann ihre Schritte in Richtung ihres Ghules und wohl baldigen Kindes. Ob er sie schon vorher hörte, oder erst als sie neben ihm stand und ihm eine Hand auf seine linke Armbeuge legte, war ihr egal gewesen, aber ganz anschleichen wollte sie sich an ihn nicht. „Ich denke hier sind mehr als nur einige wenige Lebenswerke in diesem Gebäude verewigt. Handwerkskunst von Meisterhand, verknüpft Pinselfertigkeit vieler Künstler.“ Sie hatte durchaus ein Auge für gewisse Fertigkeiten bekommen, auch wenn die Schwäche ihres Clanes sie manches Mal ein Auge zu sehr auf die Stücke werfen ließ. Auch hier auf Schloss Frankenberg spürte sie so manches Mal die Anziehungskraft, doch noch konnte sie ihr entkommen.
Lilliana musterte ihren Ghul und ein Schatten breitete sich auf ihrem Gesicht aus. „Sehne nicht die Nacht herbei Michel. Das hier…“ sie machte eine ausladende Handbewegung „…ist eine Art des Willkommens und oder auch des Kampfes. Du wirst bald viele solcher Dinge von anderer Seite sehen. Ich hoffe nur, du bist dann nicht ganz enttäuscht.“
Es gab wohl wenige Individuen in Brügge, die schon derart lange, ausdauernd und unbeugsam loyal das Geheimnis der Welt hinter dem Vorhang mit den Wesen der Nacht teilten, wie ihren unablässig aufmerksamen Ghul und Leibwächter Michel. Kritisch, hatte er gerade einen metallbeschlagenen Badezuber in Augenschein genommen, und aus einer in unmittelbarer Nähe platzierten Ablage ein unbenutztes Stück Seife angehoben. Auf dem kleinen Beistelltischchen, hatte man der Gräfin diverse Duft Öle, Kräuterzusätze und wohltuende Essenzen bereitgestellt; wohl um ihr zu schmeicheln und den eigenen Wohlstand zu verdeutlichen. Neben französischen und spanischen, gab es selbstredend auch deutsche und flandrische Kosmetika für die adelige und anspruchsvolle Dame. Die Geruchsintensität war beinahe schon ein wenig zu aufdringlich. Die Seife in seiner Hand, duftete schmeichelnd nach frischen Rosen und war von erstklassiger Qualität; ohne Zweifel handgeschöpft. Sein Blick glitt zunächst seufzend hinab zu ihrer Hand auf seinem Arm, und wanderte danach sachte lächelnd zu ihrem Gesicht. Vorsichtig schüttelte er den Kopf, als wolle er verneinen und gleichsam einen unliebsamen Gedanken vertreiben. „Das ist es gar nicht Herrin. Zumindest nicht direkt. Ich weiß eure Sorge zu schätzen, doch quält mich heute Nacht in erster Linie nicht die Tatsache, dass man uns federweiche Betten und edle Weine auftischen will, für die man anderswo ein ganzes Königreich kaufen könnte. Mich stimmt allein die Tatsache etwas besorgt, wer uns all diese Annehmlichkeiten beschert. Der Schwarze Monarch ist… wie soll ich sagen? Ein anderes Kaliber, als die Prinzen und Adeligen, denen wir sonst Besuche abstatten und mit denen wir zu verhandeln pflegen. Während diese sich nur auf einer eher lokalen Bühne bewegen, und gelegentlich verschämt die Hände nach größerem Ausstrecken, ist die Hand in diesem Hause jene, die ganze Heere gegen den Osten marschieren lässt. Dutzende Vasallen und Günstlinge umschmeicheln seinen Hof und ich frage mich…“ Michel biss die Zähne zusammen. „Ich frage mich Herrin, ob wir uns nicht langsam in einer Größenordnung bewegen, die wir nicht mehr überblicken können.“ Er legte die Seife zurück auf den Ablagetisch. „Noch weile ich unter den Sterblichen und muss mich mit den Schatten nicht in diesem Umfang beschäftigen. Doch bald wird dies anders sein. Hin und wieder gestehe ich, das die Möglichkeiten und Gefahren übermächtig auf mich wirken. Gerade jetzt wieder.“ Ihr Ghul räusperte sich etwas und nahm wieder Haltung an. „Verzeiht…“
Lilliana schüttelte deutlichst den Kopf, ihr Blick ruhte dabei jedoch weiter auf dem seinen und ihre Hand blieb dort wo sie war. „Es gibt nichts zu verzeihen. Deine Worte machen mich im Gegenteil froh Michel, glaube mir das.“ Der Griff um seinen Arm wurde eine Spur fester, ehe sie ihn losließ. „Wo ich dir helfen kann, werde ich es tun. Wo ich dich leiten kann, werde ich es tun.“ Sie trat nun auch wieder einen Schritt zurück. „Zeit die vergeht, Taten die der Vergangenheit angehören und dennoch Präsenz in der Gegenwart zeigen. Den Überblick zu behalten ist ein schweres Los, dass keiner der Ratsmitglieder je vorhersehen konnte, als wir nach und nach diese Stadt zu unserer machten. Es birgt immer ein gewisses Maß an Risiken, doch habe in Gott das Vertrauen. Er führte uns zu diesem Pfad und ohne den Herrn wären viele Menschen und auch Geschöpfe der Nacht bereits verloren ohne je ihren eigenen Pfad gegangen zu sein.“
Sie ließ ihren Blick nun von ihm und sah sich im Raum um. „Hardestadt muss sich nicht einschmeicheln, wenn er will, dann kann er uns überrennen, aber er wählte einen anderen Weg.“ Sie nahm ein anderes Stück Seife in die Hand, dessen Duft sie an den Pfirsichbaum in ihrem Garten erinnern ließen, als sie das Stück an die Nase hielt. „Was er möchte wird er nun sagen. Vielleicht wünscht er sich Gesellschaft fern der Vasallen und Günstlinge. Auch ein Fürst ist ein Kainit und war einst ein Mensch, der von Gott zur Erde gesandt wurde.“ Sie nahm das Stück Seife mit und verließ das Bad rückwärts, um sich zu den Mägden zu begeben.
Michel legte seine linke Hand vorsichtig auf die seiner Herrin und drückte diese zaghaft, während seine Miene sich bei ihren Worten allmählich aufhellte. Sie konnte nicht nur an seiner Mimik, sondern ebenso an der langsam nachlassenden Körperspannung bemerken, dass ihre fürsorgliche Stütze und ihr Halt dem Ghul Kraft gaben. Kraft, nicht nur weiterhin an die Rechtschaffenheit und Barmherzigkeit des Herrn, sondern auch an jene die in ihm selbst weilte zu glauben. „Ich danke euch Herrin. Es wird gewiss vieles anders werden, sollte ich in baldiger Zukunft den Kuss von euch erhalten. Doch bin ich guter Dinge in dem Wissen, das ihr stets an meiner Seite weilen werdet, um mich anzuleiten und mir Rat zu erteilen, sollte ich einmal wanken.“ Mit einem bekräftigenden Nicken, drückte er ein letztes Mal ihre Hand, bevor sie sich vollends von ihm löste. Dann nahm ihr getreuer Ghul und Leibwächter vorbildlich Haltung an. „Wenn unsere Aufgaben wachsen Gräfin, dann müssen wir mit ihnen wachsen“, fügte er mittlerweile wieder um einiges gefestigter hinzu und begleitete seine Herrin zurück in die Wohnräumlichkeiten.
„Ich bin mit Verlaub, bei Weitem nicht so bewandert wie ihr oder die anderen Ratsmitglieder in höfischer Etikette oder den gefährlichen Gratwanderungen auf dem politischen Parkett, doch habe ich eines mittlerweile recht gut gelernt: Es gibt keine Einladungen, Feste, Bälle oder knappen Gespräche, ohne dass es dabei nicht irgendeinen Hintergedanken gäbe. Und mag er auch noch so klein und unbedeutend sein.“ Die Mägde, hatten das Schlafgemach sowie den Wohnbereich der Gräfin mittlerweile ordentlich und sorgsam mit den Gegenständen des täglichen und nächtlichen Bedarfs ausgestattet, und waren gerade geneigt dies mit einem kurzen Knicks in Richtung der Herrschaft als beendet anzuzeigen, als ein lautes Klopfen an der Tür ertönte. Die Stimme Eugens hallte dumpf durch das schwere Eichenholz. „Mein Fürst Hardestadt lässt die Gräfin Liliane von Erzhausen bitten, ihn bei einem kleinen Abendessen Gesellschaft zu leisten, so sie sich denn bereits dazu in der Lage sieht. Ich werde vor der Tür warten, um euer Gnaden zu geleiten.“
Ein kurzer Blick zu Michel, nachdem das letzte Wort gesprochen war, dann ließ sich in den Stuhl sinken, während sie ihr Spiegelbild vor sich betrachtete und die Mägde mit einem kurzen Nicken anwies ihr Werk zu beginnen. Sie sollten nicht allzu lange brauchen. Man erwartete sie zum Abendessen, nicht zu einem Ball und dennoch spielten manches Mal Kleinigkeiten wie zum Beispiel der Geruch nach Pfirsich, den die Seife an ihre Hände abgab ebenso eine wichtige Rolle, wie die Zeit, die vergeht, ehe der Gast auf die Bitte des Fürsten eingeht.
Um Missverständnissen vorzubeugen, würde ihr Ghul aus der Türe treten und unter eingehaltener Etikette ihr Erscheinen in wenigen Minuten ankündigen. Als die Eichentüre sich erneut öffnete, trat Lilliana, gehüllt in ein dunkelrotes Abendkleid aus feinster flandrischer Seide. Auf den ersten Blick schien es schlicht und einfach, nur wer einen genaueren Blick darauf warf, erkannte feine geschwungene Linien, die mit Silber und Goldfäden eingelassen waren. Rosenranken mit kleinen Blüten, die den Rahmen bildete. In manchen dieser Blüten waren zusätzlich noch andere Symbole eingelassen. Jeweils einzeln, eine Schlange, ein Wolf, ein Bär und drei Geldbeutel waren so man wirklich sehr nah herantrat erkennbar. Es müssen Stunden und Tage vergangen sein, ehe die feinen Hände der Näherinnen damit fertig gewesen waren. In Kontrast dazu trug sie um den Hals ein schlichtes Holzkreuz, ein Geschenk ihres Erzeugers. Ihre Haare waren züchtig unter dem feinen ebenfalls dunkelroten Schleier, der mit dem Kleid verbunden war, verborgen.
Es dauerte nicht lange und die Gräfin war dem Abend angemessen gekleidet und zurechtgemacht. Ihre Mägde und Dienerinnen, mussten nicht oft für das penibel adrette und ansprechende Äußere ihrer Herrin sorgen und doch besaßen die emsigen und tüchtigen Frauen, mittlerweile genug Erfahrung in diesen Dingen, die in Zusammenspiel mit dem dezenten Geschmack der Toreador, ein sehr attraktives und gepflegtes Erscheinungsbild für erhabene Anlässe zauberte. Vor der Tür ließ sich Eugen zu einer tiefen Verbeugung hinreißen, als er die bezaubernde Rose in ihrem kunstvoll gefertigten Abendkleid erblickte. Ein knappes und höfliches Kompliment weiter, war man bereits auf dem Wege durch langgezogene Korridore und gut ausgeleuchtete Gänge, die von Rüstungen, Gemälden und feinen Teppichen gesäumt waren. Vor einer zweiflügeligen, hohen Tür mit filigranen Einlegearbeiten und geschnitzten Löwenmäulern, machte der Diener dann schlussendlich Halt, um behutsam anzuklopfen und sich abermals der Gräfin zuzuwenden. „Der Fürst wünscht eure Gesellschaft für sich alleine Gräfin von Erzhausen. Es wäre ihm demnach sehr daran gelegen, das euer Begleiter diesen Augenblick ebenso wenig stört, wie seine eigenen Burgwachen.“ Bei diesen Worten, bedachte er Michel, der seiner Herrin bisweilen schweigend und aufmerksam gefolgt war, mit einem leichten Nicken. Dieser wandte sich nun selbst an seine Herrin. „Ich denke, ihr werdet eine Weile ohne mich auskommen müssen. Aber ich werde hier auf euch warten.“ Der Ausdruck in seinen Augen, machte ihr deutlich das er verstand, dass ihm der Zutritt zwar offiziell versagt blieb, er jedoch sicher nicht zögern würde einzuschreiten, sollte seiner Herrin Gefahr drohen. Eugen seinerseits schmunzelte verlegen. „Es wird euch kein Leid geschehen Gräfin von Erzhausen, genauso wenig wie eurer Dienerschaft. Ihr habt das Wort meines Fürsten.“ Von drinnen klang eine gedämpfte Stimme, woraufhin Eugen die schwere Tür langsam öffnete, und Liliane mit einer einladenden Geste eintreten ließ. Als sie die Pforte passiert hatte, zog der Diener die Tür hinter ihr zu.
Vor ihr lag nunmehr, ein langgezogener Saal der zwar kaum als Veranstaltungsort für gar ungeheuerlich ausladende Feste dienen mochte aber für einen Empfand der örtlichen Aristokratie, allemal ausgereicht hätte. Er war völlig leer und unmöbliert, sodass einem der Begriff ‚Tanzsaal‘ sofort in den Sinn kam. An manchen Abenden, mochten hier große Tafeln aufgedeckt werden und ganze Hundertschaften an Bediensteten, ihren Herren eilig einschenken und auftragen. Vor ihrem geistigen Auge, hatten sich auch bereits die Musiker versammelt und unterhielten die Festgemeinschaft mit ausgelassenen Stücken. An jenem Abend aber, war der Raum mit Ausnahme der zahlreichen Öllampen und Stehleuchtern an den Wänden, gähnend leer. Sie befand sich offenbar in einem der oberen Stockwerke an der Rückseite des Gebäudes, das mit bläulich-weißem Mondlicht gefüllt war, welches durch die riesigen, sich aneinanderreihenden Fenster fiel und einen Ausblick auf die dahinterliegenden, ausgedehnten Parkanlagen freigab. Der Raum war gut und gerne fünf Meter hoch und der Boden bestand aus einer höchst präzisen, sich wiederholenden Holzeinlegearbeit, die verspielte Muster durch das Halbdunkel zog. Dicke Vorhänge, waren an den Seiten der Fenster angebracht worden und die Türen zu einem großen Balkon, mehr einer Terrasse, waren weit geöffnet. Der Wind blähte die dünnen Seidenvorhänge am Durchgang etwas auf und dahinter, sah Liliane jemanden aufrecht, die Hände hinter dem Rücken verschränkt, vor einem länglichen Tisch stehen, der bereits mit kostbaren, silbernen Bestecken, fein gearbeiteten Tellern und glänzenden Gläsern gedeckt war. Eine blutrote Tischdecke, untermalte die noble Tischdekoration.
Dann hörte sie eine tiefe und durchdringende Stimme, die sie mit einer einladenden Geste aufforderte. „Bitte werte Gräfin. Ihr seid mein Gast, nur keine falsche Scheu. Ich hoffe es macht euch nichts aus, das wir unter freiem Himmel speisen. Ich empfinde es als weitaus angenehmer, als unentwegt zwischen kalten Steinen festzusitzen. Zudem erfreut der Ausblick das Gemüt. Tretet doch näher.“ Hardestadt war wie immer kerzengerade aufrecht, wirkte streng und militärisch, um nicht zu sagen befehlsgewohnt. Gekleidet war der Schwarze Monarch, in eine mitternachtsblaue Robe, darunter trug er ein schwarzes Seidenhemd und ebenso dunkel gefärbte Hosen. Polierte Reiterstiefel, bildeten den Abschluss. Er trug an Schmuck nur zwei Ringe an jeder Hand, sowie eine goldene Halskette mit Rubinen. Allein mit diesem Stück persönlichen Wohlstandes, könnte man mehrere Bauern monatelang ernähren. Zu ihrer Überraschung, musste sie feststellen, dass sie bisher überhaupt keine Wachen entdeckt hatte. Weder vor, noch im Schloss selbst. Auch der Fürst selbst trug keine sichtbaren Waffen.
Lilliana folgte der Einladung des Fürsten ohne die Spur eines Widerwillens oder Widerstandes zu zeigen. Ganz im Gegenteil. Während sie den Raum entlangschritt, den Blick auf das Ziel, aber nicht auf den Monarchen selbst gerichtet, übertrugen ihre Schritte sanfte rhythmische Schläge auf den Holzboden. Drei Meter vor dem Prinzen ging sie in eine tiefe Verbeugung und senkte den Blick, wartend auf die erlösenden Worte sich wieder zu erheben.
Der wohlwollende Blick des Monarchen ruhte lächelnd auf ihrer imposanten Erscheinung, und wenn man es nicht besser wüsste, hätte man sogar meinen können der Fürst wäre durchaus angetan von ihrer edlen und-fein gearbeiteten Abendgarderobe. Mit einem freundlichen Lächeln, trat er näher an sie heran und beugte sich zu ihr herab, um ihre Hände zu umfassen und sie vorsichtig aber doch mit sanftem Druck wieder nach oben zu ziehen. „Aber Frau Gräfin, ich bitte euch. Genug dieser überschwänglichen Höflichkeiten. Zwar mag es sich gewiss geziemen einem Fürsten die ihm zustehende Ehrerbietung angedeihen zu lassen, doch sind wir hier in einem so privaten Rahmen, dass eine derartige Etikette nicht unbedingt überbeansprucht werden sollte, findet ihr nicht auch? Wir sind hier ja nicht bei den Franzosen, die vor lauter Kniefällen kaum noch zum Regieren kommen.“ Schweigend glitt der scharfe Blick über den Stoff ihres Kleides und die Mundwinkel verzogen ich zu einem kleinen Schmunzeln. „Wie überaus Originell. Diese feinen Linien und Muster in eurem Kleid, wahrlich hinreißend anzusehen. Und wenn ich nicht falsch liege und das tue ich selten, ahmen sie wohl Tiere nach, die womöglich sinnbildlich für Personen stehen. Ihr müsst euch deshalb nicht schämen Teuerste. Ihr tragt die Insignien eures Landes und niemandem würden sie besser stehen als euch.“ Er entzog ihr eine seiner Hände, und führte sie mit der anderen gemächlichen Schrittes näher an die Balustrade heran, von der aus man den gepflegten und weitläufigen Garten, nun in all seiner Pracht bewundern konnte. Offenbar hatte die fleißige Dienerschaft, mehrere Öllaternen mit gefärbtem Pergament umwickelt, sodass unter ihnen ein hell leuchtendes, prächtiges Farbenspiel aus Grün, Rot, Blau und Gelb, abwechselnd durch das mondbeschiene Grün wanderte.
„Verzeiht meine Unhöflichkeit, aber ich konnte nicht umhin euch diesen Ausblick zu zeigen. Gewiss seid ihr nach der langen Reise erschöpft und möchtet speisen.“ Hardestadt nahm einen tiefen Zug der angewärmten Nachtluft und schloss für einen Moment die Augen. „Wisst ihr was mir daran am besten gefällt? Hört ihr es? Nichts. Es ist wunderbar ruhig. Keine Hörner und Pferdehufe, keine wispernden Speichellecker und intriganten Verbündeten. Kein Gekrakel auf Pergament und keine dröhnenden Stimmen. Wann darf sich unsereins so einen Moment überhaupt gönnen? Sagt Gräfin, unterhaltet ihr auch einen Garten?“
Das was sie bisher wispernd zu ignorierend gekonnt vermochte, schlug nun umso härter und mit voller Macht auf sie ein, umhüllte sie und ihr war als rief alles in ihr stehen zu bleiben und den Blick nicht mehr davon abzuwenden. Ihre Augen waren begeistert von den vorherrschenden Farben, welche in Kombination mit dem Mond eine einzigartige Kombination ergaben. Der sanfte wispernde Klang der Natur, der sich dazugesellte und schließlich der Geruch einer einzigartigen Kombination aus Duftnoten von Blüten in vollster Pracht, vermischt mit Pflanzen, deren Knospen sich gerade am Öffnen waren. Lilliana blickte wie erstarrt und in purer Verzückung auf die Szenerie, unfähig sich zu bewegen. Die nachfolgende Frage Hardestadts ließ sie zunächst unbeantwortet. Irgendwann schaffte sie es loszulassen, wohlwissend, dass es zu lange gedauert hatte, um unbemerkt geblieben zu sein. Sie drehte sich weg vom Garten und ließ mit einem warmen Lächeln begleitet nun ihn in ihr Blickfeld, während sich ihre Stimme erhob.
„Der Garten…ja der Garten. Mein eigener ist integriert in der Mitte meines Anwesens. Natürlich nicht zu vergleichen mit der Größe wie der eure, aber würdet ihr ihn euch vorstellen, so dominiert in seiner Mitte ein von mir vor vielen Jahren gepflanzter Pfirsichbaum, dessen einzelner Samen lange in der Erde schlummerte, bevor er sich an die Oberfläche wagte. Mittlerweile sind erste Früchte vom Baum zu ernten und die Mägde erfreuen sich. Neben dem Baum befindet sich eine Steinbank, klein gerade Platz für zwei Personen, die unter dem Schutz des Baumes ihren Frieden suchen. Umgeben wird dieser Ort des Friedens von kleinen verschlungenen Wegen und verschiedenen angelegten Feldern, bepflanzt mit Rosen, bepflanzt mit Rhododendren. Eine Blütenpracht, auch wenn die Nacht, selbst vom Mond erhellt, es nicht vermag ihre wahre Schönheit zu offenbaren.“ Ein leichtes Bedauern ging durch ihre Züge.
„Dies ist also nun euer Ort, an dem der Krieg vor den Türen innehält, an dem sich die Geschehnisse zurückziehen und ihr ausatmet?“