Do 17. Aug 2017, 21:28
Theresa schaute ihre Gesprächspartnerin mit wachen Augen an. „Ich habe eine Frage an euch Alida und ihr müsst diese nicht beantworten, wenn ihr nicht wollt.“ Die Tremere duftete leicht nach etwas Süßlichem. „Fürchtet ihr das Übernatürliche und Zauberei? Oder lehnt ihr diese Facette unserer Welt aus anderen Gründen ab?“
Alida musterte die Frau, die ihr gegenübersaß lange mit leicht zusammen gekniffenen Augenbrauen, überlegend, ob sie so viel über sich selbst vor Theresa preisgeben wollte. „Das Übernatürliche, oder Magie, Okkultes, oder wie auch immer ihr es bezeichnen wollt, gehört nicht in die Welt in die ich geboren und hineingewachsen bin. Sie ist eine Größe, die in der Lage ist, das, was mir wichtig ist zu bedrohen und das mag ich nicht zuzulassen. Ich könnte wie so manch andere versuchen, meine Nächte in düsteren Bibliotheken verbringen in der Hoffnung, mir irgendwann einbilden zu können, diese Mächte begreifen oder gar beherrschen zu können, aber ihr, Theresa, als Tremere, wisst um so vieles besser als ich, dass das nichts als Anmaßung wäre. Weder ihr noch ich sind oder wären jemals in der Lage diese Kräfte wahrhaft zu durchschauen oder sie anwenden zu können, wie so mancher Magus erkennen musste, nachdem er den Kuss erhielt. Ich bevorzuge Dinge, die ich anfassen kann, Schiffsrouten, die ich überblicken kann, Gespräche mit anderen Händlern, die mich übers Ohr hauen wollen, wissend, dass ich genau das gleiche mit ihnen vor habe. Das ist meine Welt.“ Sie seufzte kaum hörbar
Die Tremere nickte leicht während sie ihre schlanken Hände ineinanderlegte und für einen Moment die Augen schloss. „Ich weiß, was ihr meint und kann eure Gedankengänge nachvollziehen. Trotzdem würde ich euch gerne ein Wort der Warnung mit auf den Weg geben, eines das ich dieser ganzen Domäne gerne mitgeben würde.“ Theresa Stimme wurde ein wenig leiser, ganz so als würde sie vermeiden wollen, dass man ihr Gespräch belauschen konnte. „Wenn dieses Wesen wirklich Interesse an der Stadt oder ihren Bewohner hat, dann dürft ihr euch nicht vor ihm verschließen. Es wird auf Schwäche warten, einen Moment seine Agenda voranbringen zu können und auch wenn man es nicht kontrollieren oder Berühren kann ist es trotzdem sehr real. Bitte behaltet das immer im Hinterkopf.“ Die Tremere lehnte sich zurück und stand dann auf. „Aber was auch immer dort draußen lauert, es ist nicht allmächtig. Jeder Dämon, jedes übernatürliche Wesen und jeder Geist sind irgendwie verwundbar.“ Sie nickte ihrer Gesprächspartnerin zu. „Wenn ihr keine Fragen mehr habt, Alida, würde ich mich jetzt zurückziehen. Ich werde mich mit Gerrit und Gretlin besprechen und dann gemeinsam mit ihnen die Archive durchsuchen. Vielleicht finden wir einen Hinweis der uns weiterhilft.“
Die Frau in der roten Gewandung überlegte und schüttelte schließlich leicht mit dem Kopf. „Mein Erzeuger liebte das Meer und das Wasser. Die unbändige Kraft von Stürmen und Regen, sowie die klirrende Kälte von Winter und Eis. Aber ich gebe zu, das hilft uns nicht viel weiter. Ansonsten können wir nur hoffen, dass das Wenige was von seinen Aufzeichnungen übrig ist irgendwelche Hinweise liefern wird. Das meiste ist unvollständig, zerstört oder beschädigt. Wenn es nicht ganz und gar verschwunden ist. Die Kriege der letzten Jahre und die Zerstörung der Drachenfeste haben diesem Wissen nicht gutgetan.“ Die Tremere war noch nicht fertig. „Das Gildehaus wurde damals auf einem magischen Kraftknoten von relativ beträchtlicher Macht gegründet. Zu einer Zeit als die Stadt nicht mehr als ein Weiler war. Von der magischen Kraft dieses Ortes ist nicht mehr viel übrig, ebenso wenig von den damaligen Gebäuden, aber es würde sicherlich nicht Schaden die Suche auch an diesen Ort auszuweiten.“
Alida nickte. „Ich werde mich noch heute Nacht dorthin begeben, auch wenn ich bezweifle, dass jemand wie ich in der Lage sein mag, dort irgendwelche Zeichen zu erkennen, selbst wenn sie in Rot leuchtender Schrift direkt vor meinen Augen erscheinen würden.“ Das kurze selbstironische Grinsen verschwand nach einem kurzen Augenblick wieder. „Wahrscheinlich würde es mehr Sinn machen jemanden dort suchen zu lassen, der überhaupt weiß, wonach er überhaupt suchen sollte. Auf der anderen Seite freut sich der Dämon insgeheim sicher, wenn er mir erneut begegnet und mich mit den Gesichtern der mir Vertrauten irritieren kann.“ Sie erhob sich aufbruchsbereit.
„Schaut euch ruhig dort um. Ein paar mehr Augen schaden sicherlich nicht, insbesondere wenn sie nicht blind wie jene sind, die manchmal den Wald vor lauter Bäumen nicht sehen.“ Theresa ging langsam in Richtung Tür. „Es muss einen Grund geben, warum der Dämon so an euch interessiert ist und warum er die Gesichter von jenen annimmt, die euch bekannt sind, oder zumindest bekannt waren." Die Tremere stieß einen tiefen Seufzer aus. "Ich gebe zu, die Situation ist einzigartig und deckt sich mit keinem Bericht, den ich über diese Wesen kenne, auch wenn ich keine Expertin bin, wie ich bereits sagte. Seid nur vorsichtig.“
Alida straffte die Schultern. „Ich kann euch eines sagen: Was auch immer Übersinnliches daherkommt: Es würde wahrscheinlich ohne jeglichen Aufwand gegen mich triumphieren: Mit einer Ausnahme: Das hier ist Brügge!“ Sie nickte bekräftigend. „Habt Dank für die Mühe, die ihr habt. Ich hoffe, ihr findet das Wissen, das euch hilft die damaligen Beweggründe eures Erzeugers zu verstehen.“
Mit einer letzten Verbeugung bedankte sich Theresa und verließ dann das Elysium in Richtung der dunklen Nacht. Stille kehrte wieder in dem warmen, einladenden Raum ein und Alida war mit ihren Gedanken allein.
Alida kaute mehrere Minuten nachdenklich auf ihrer Unterlippe, ließ alles Gesagte in ihrem Kopf Revue passieren. Sie musste aufbrechen. Auch wenn sie gerne jemanden mitgenommen hätte, wollte sie keine Zeit vergeuden und auf der anderen Seite auch niemanden in diese Misere mit hineinziehen. Außer Gretlin und Gerrit, mit denen Theresa bereits die Archive durchsuchen wollte, kam ihr niemand in den Sinn, der ihr zu helfen vermochte. Vielleicht wäre Konstantin in der Lage, aber der befand sich derzeit in Gent. Sie griff nach ihrem Mantel, legte ihn um die Schultern und verschloss die Schnalle vor der Brust. Es wurde Zeit das alte Gildenhaus aufzusuchen.
Die dunkle Nacht umschloss Alida schließlich wie ein ausladender Mantel. Es war Ruhe in die Stadt eingekehrt und selbst die letzten Nachtschwärmer, die sich ihre Zeit in den immer gut besuchten Tavernen der Stadt vertrieben, machten sich langsam auf den Weg nach Hause. Entweder weil sie genug getrunken, oder ihr Silber beim Würfeln verspielt hatten. Es dauert nicht lange bis Alida das Gelände erreichte auf dem einst das Gildehaus von Orlando Oriundus gestanden hatte. Früher erhob sich hier eine beinahe zweieinhalb Meter hohe Mauer, die ein altes Herrenhaus von der eigentlichen Stadt getrennt hatte. Der damalige Gildenmeister wollte sich nicht bei seinen perversen Experimenten stören lassen und erst als er den endgültigen Tod gefunden hatte, wurde die steinerne Grenze eingerissen. Überhaupt hatten die Kainiten Brügges die Gebäude durchsucht, entkernt und schließlich Teile des alten Herrenhauses abgerissen. Das Herz des Gildehauses war eine alte Kapelle, die erneut geweiht wurde und einem Priester unterstellt wurde. Trotz der Lage im Kern der Stadt hatte sich nie eine sonderlich große Gemeinde in dem alten Gemäuer eingefunden. Überhaupt hatte dieser Block der Stadt einen üblen Ruf und alte Großmütter sprachen am Feuer von Unglück und Flüchen, die die alten Gemäuer heimsuchten. Schließlich ragte die alte Kapelle vor Alida auf. Es brannten keine Kerzen und auch in den umliegenden Fenstern konnte man keine Bewegungen mehr ausmachen. Alida war allein, oder zumindest konnte sie im Moment niemanden anders ausmachen. Weder Mensch noch Dämon.
„Nun denn“, stieß sie flüsternd hervor. „So hast du, alter Griesgram, doch noch deine kleine Rache hier hinterlassen, Oriundus. Was um alles in der Welt hast du erwartet als du die Blutjagd auf uns hast ausrufen lassen? Auch Welpen werden beißen, wenn man versucht sie zu ertränken.“ Sie stießt erneut ein leichtes Seufzen aus, dann griff sie mit der Hand nach der Klinke der Kapelle und drückte diese nach unten.
Die Tür war zu Alidas Überraschung nicht einmal verschlossen. Es war offensichtlich, dass weder der zuständige Priester noch sonst jemand sich sonderlich für die Kapelle zu interessieren schien. Außerdem gab es hier wohl auch nichts zu stehlen, nicht einmal Kerzen oder auch nur ein wenig Messwein. Das hölzerne Portal öffnete sich knarrend und gab den Blick in ein kleines Kirchenschiff frei. Sechs Reihen mit groben Holzbänken, die in Richtung eines schmucklosen Altars standen, waren alles was man in dem rechteckigen Raum sehen konnte. Nichts erinnerte mehr an den Kampf gegen das Wasserelementar, welches sich ihnen damals hier in den Weg gestellt hatte. Überall war Wasser gewesen, Aufzeichnungen und Bücher. Auch an Kerzen und allerlei okkulte Gegenstände konnte sich Alida erinnern, aber nichts davon hatte die Jahre überstanden. Draga hatte viel mit in ihre Drachenfeste genommen und ein Teil war in den Katakomben gelagert worden. Alles andere...nun niemand hatten einen wirklichen Überblick was einmal in diesen Hallen gelagert worden war und die meisten Kainiten waren einfach nur froh gewesen, dass die Gefahr aus dem Herzen der Stadt endlich verschwunden war. Trotz der spartanischen Einrichtung war der Raum nicht leer, wie Alida nach kurzer Zeit erkennen konnte. In der ersten Reihe des Raumes saß eine Gestalt. Die Tzimisce konnte nicht viel erkennen, außer dass es sich wohl um einen Mann handelte, der ohne sich zu bewegen in Richtung des Altars starrte.
Sie blinzelte überrascht. Ein Besucher zu dieser späten Nachtzeit? Sie schlug das Kreuzzeichen und trat ins düstere Innere. Vorsichtig sah sie sich um und schritt dann langsam durch die Bankreihen nach vorne um schließlich wohl eineinhalb Meter neben der Gestalt zu Stehen zu kommen. Fragend betrachtete sie den Besucher.
Ein bekanntes Gesicht, dessen Mimik doch so fremd war schaute Alida mit ihren so einzigartig gefärbten Augen an. Es war beinahe als wollte sein Mund sich ein Lächeln abringen, schien aber nicht so richtig zu wissen, wie er diesen Gesichtsausdruck zustande bringen sollte. „Ich freue mich dich wiederzusehen, Alida van de Burse.“ Es war Alida sofort klar, dass es sich hier nicht um ihren Erzeuger handelte.
Alida schloss für einen langen Moment die Augen, kämpfte das dumpf pochende Gefühl in sich nieder. Der Anblick ihres Erzeugers berührte sie schon allein wegen dem Blutsband immer mehr als wohl für sie zuträglich war und auch der Dämon in Emilians Gestalt ließ sie nicht unberührt, auch wenn sie es sich vor allem in diesem Moment gewünscht hatte. Sie schluckte, grüßte dann mit einem langsamen Nicken und nahm in der Bank neben dem Besucher Platz. „Du liebst es mich zu irritieren, Dämon. Und interessanterweise weißt du, wie dir das gelingt… So, ich bin noch immer hier in Brügge, genau wie du. Du wirst wohl nicht eher Ruhe geben wollen, bis du Oriundus alte Feinde ein für alle Mal vernichtet hast, nicht wahr? Und wir werden versuchen es dir so schwer wie möglich zu machen, aber das weißt du natürlich. Oriundus hat uns damals unterschätzt…“
Die Gestalt neben starrte sie nur an, für eine beinahe unangenehm lange Zeit und doch er schien über jedes ihrer Worte nachzudenken. „Nein.“ Nach diesem einen Wort und ohne weitere Erklärung verfiel er wieder in Schweigen bevor er überraschend wieder das Wort ergriff. „Ich glaube nicht, dass ein Kampf zwischen uns noch nötig ist.“ Es fand sich kein Funke von Emotion in der Stimme der Erscheinung. Lediglich Distanz und pure Nüchternheit.
Sie unterließ es, auf sein ‚Nein‘ einzugehen und zu fragen, auf welche ihrer Aussagen es sich bezog. „Warum nicht? Warum ist der Kampf nicht mehr nötig?“
„Weil Orlando Oriundus nicht mehr ist und du mir eine neue Aufgabe gegeben hast.“ Die Stimme die Alida antwortete, veränderte sich leicht und erinnerte sie an ein Elternteil, das seinem Kind etwas zu erklären versuchte. „Du hast mich in dich aufgenommen und mir deine Welt gezeigt.“
Alida unterdrückte das panische Gefühl, das in ihr aufkommen wollte und stellt mühsam mit erzwungener Beherrschung die entscheidende Frage. „Und was ist nun deine neue Aufgabe?“
Die Augen, die Alida so gut kannte, die ihr so vertraut waren, starrten sie ein weiteres Mal an. Direkt in ihre Seele, aber im Gegensatz zu ihrem Erzeuger ohne Wärme, ohne Zuneigung oder Liebe. Sie waren leere Seen ohne einen Funken von Vitalität, die man selbst bei den untoten Kainiten fand. „Ich werde leben. Ich werde Asche und Rauch eines Feuers riechen, Stoffe und Seide mit meinen eigenen Fingern spüren, werde das Rauschen des Windes in den Bäumen hören. Ich werde leben und all die Dinge, die ich gesehen habe selbst erleben und nicht nur aus Erinnerungen der Toten kennenlernen.“
Alida stutzte. Sie hatte nicht damit gerechnet, dass ein Dämon Interesse an solchen Dingen hatte. Nach allem, was sie von diesen Wesen wusste, was zugegebenermaßen nicht viel war. Sie wüsste nur zu gerne, warum und wie dieses Geschöpf ‚dachte‘, aber sie wusste, dass sie auf eine klare Frage danach wohl keine Antwort erhalten würde. Sie würde ihre Fragen bewusst hintereinander stellen müssen, wenn sie überhaupt etwas erfahren wollte, dass sie verstehen konnte. „Du kannst die Erinnerungen von Toten sehen?“
„Ich weiß alles, was jene die die Schwelle überschreiten, gewusst haben. Kenne ihre Erinnerungen, ihre Träume, Hoffnungen und Wünsche. Sie sind alle gleich, wenn sie ihre letzte Reise antreten. Voller Bedauern, Erleichterung. Manchmal friedlich, manchmal kämpfend, klagend – alles leugnend und doch immer gleich.“ Die Erklärung kam wieder ohne Emotion. Eher wie eine schlichte Beobachtung über den Zustand des Wetters, das man erlebte oder den Zustand einer Straße über die man reiste.
„Warum weißt du das? Was für ein Wesen bist du?“ Sie sah das vertraute Gesicht, das doch so fremd wirkte, an.
Zum ersten und einzigen Mal schien Alidas Gesprächspartner wirklich überrascht und interessiert an ihrem Gespräch. „Ich bin Gedanke, Erinnerung und Ende dieser Lande. Der Kapuzenträger und der scharlachrote Bote. Ich reise mit jenen, die ihre letzte Reise angetreten haben, bin der Mitleidslose und der Hüter des Schleiers. Man nennt mich den letzten Wächter und blutroten Vater. Ich bin der schwarze Rächer, Beschützer der Menapii, der rote Weber und die trauernde Witwe. Der Gott des Todes und der Hoffnung.“ Stille breitete sich wieder in der kleinen Kapelle aus und doch spürte Alida für einen Moment, wie sich ihre Umgebung veränderte. Es war als würde die Zeit für einen Moment Still stehen, das Holz auf dem sie saß ächzten und die Pfeiler und Säulen der kleinen Kapelle beben. Doch all dies schien nur eine Illusion zu sein.
Verwirrt und als wolle sie es nicht glauben, schüttelte sie langsam den Kopf. „Wenn du ein solches Wesen bist, dann vermag ich nicht zu verstehen, wieso du in die Dienste eines gewöhnlichen Kainiten, Orlando Oriundus, getreten bist?“
„Orlando Oriundus brachte mich zurück von der Schwelle des Vergessens. Ich habe geschlafen, so lange geschlafen und er hat mich zurückgebracht. Ich gewährte dem Zauberer für seine Dienste eine Intervention und er wünschte sich das Ende aller Untoten außer sich selbst in dieser Stadt. Aber er wusste nicht, dass die Stadt beschützt war. Dass jene, die wie ich sind, keine Macht und keinen Zugriff auf sie hatten. Behütet von uralten Wundern, die älter sind als ich selbst.“ Die Gestalt starrte zum Altar und ließ die Worte im Raum verhallen. „Nach meinem langen Schlaf war ich nicht mächtig genug um mich in der Stadt zu bewegen und erst nach Jahren war ich in der Lage frei zu wandern. Orlando hatte den endgültigen Tod gefunden und doch war ich neugierig, wer die waren, die er unbedingt dem gleichen Ende, der finalen Gnade zuführen wollte.“ Der Geist, Dämon oder Gott, was auch immer er war verstummte wieder. Alida hörte die Geschichte, die mit einer ihr so bekannten Stimme erzählt wurde und doch erinnerte sie sich an etwas. Götter, übernatürliche Wesen und Geister waren nicht alle gleich stark. Im Gegenteil. Manche und dazu gehörten vor allem jene, die sich als Götter bezeichneten gewannen Kraft aus dem Glauben der ihnen entgegen gebracht wurde. Der Gedanke nistete sich in ihrem Kopf ein und Alida konnte vermuten, dass auch dieser Schemen Macht und Einfluss durch Glauben der Sterblichen gewann.
Sie zögerte, welche Frage sie als nächstes stellen sollte. „Da du nun nicht mehr unsere Vernichtung anstrebst, was strebst du dann an, wenn du zu fühlen vermagst und das dein Ziel ist?“
„Zu fühlen und zu schmecken. Zu riechen, zu hören und mit eigenen Augen zu sehen ist mein Ziel. Ich werde unter den Lebenden wandeln und jene belohnen, die mich verehren.“ Die Erscheinung schaute Alida einmal mehr direkt an. „Du hast dir eine Position unter meinen Ergebensten verdient. Dürftest mir dienen als Hohepriesterin und Vertraute und ich würde dich reich belohnen.“ Die Worte verbreiteten sich in der kleinen Kapelle und das Kreuz an dem Jesus zu leiden schien, wirkte plötzlich als würde Licht darauf falle. Die geborgten Augen von Emilian Belinkov bohrten sich in den Sohn Gottes. „Ein Mann, der auferstanden ist. Ein Mann der tausende, zehntausende bekehrt hat und doch ist es so selbstsüchtig.“ Der Blick richtete sich wieder zu Alida. „Ich kann dir deine Lieben wiedergeben, Alida. Jene die durch Alter, Krankheit und Tod die Schwelle überschritten haben. Ich habe all jene gesehen von denen du dich verabschieden musstest in deinem langen Leben. Mit meiner Hilfe können sie die Schwelle wieder überschreiten, könnten zu dir zurückkehren. Dein Vater, deine Mutter. Dein Bruder und deine Schwester. Sie könnten dem Vergessen des Todes entrissen werden mit einer Bitte, einem Gebet aus deinem Mund, Alida van de Burse.“
Alida dachte einen Moment über seine Worte nach und die brennende Sehnsucht nach denen, die sie hatte zurücklassen müssen griff fest nach ihr. Dann schüttelte sei den Kopf. „Das hier ist nicht mehr ihre Welt. Sie gehören hier nicht her. Sie sind gestorben mit dem festen Gedanken an das Reich Gottes. Und auch wenn ich ihnen dorthin niemals folgen kann, hätte ich doch kein Recht sie zurück zu mir zu reißen. Bezahlst du deine Gläubiger nicht mit etwas, das du eigentlich nicht zu verschenken hast? Du bringst die Seelen der Verstorebenen in die andere Welt, aber hast du das Recht sie zurück zu holen. Auch wenn sie das vielleicht nicht wollen?“ Sie ließ die Worte im Raum stehen, bedurften sie doch eigentlich keiner Antwort. „Deine Gläubiger verbreiten Mord und Totschlag, foltern und richten hin. Das ist kein Glaube, der sich zu glauben lohnt.“
„Es gibt nichts hinter dem Schleier. Kein Paradies, kein Reich Gottes, keine elysischen Felder oder ewigen Sommer. Nur Vergessen. Nur das Nichts. Nur die Dunkelheit. Das Reich der Toten ist einsam, grau und letztendlich leer.“ Der Schemen drehte sich zu Alida, dieses Mal mit dem Oberkörper und nicht nur dem Kopf. Trotzdem bewegte sich nichts, man konnte kein Rascheln der Kleidung hören, kein Zeichen, dass der Mann neben ihr wirklich hier war. „Du könntest das verändern, Alida. Könntest sie auf den rechten Weg zurückbringen. Ich verlange diese Taten nicht von jenen, die mich verehren, belohne sie nicht. Sie sind noch immer Menschen oder Untote und alles was sie tun, tun sie aus eigenem Antrieb, aus eigenen Motiven. Es gibt etwas dunkles, einen Fleck, eine Krankheit, die in den Menschen lebt und die nur darauf wartet ausbrechen zu dürfen. Aber es braucht keinen Gott um diese zum Ausbruch zu bringen. Im Gegenteil: diese Plage wird genährt von Neid, Gleichgültigkeit, Hochmut und Kaltherzigkeit.“
Alida schluckte schwer bei den Worten des fremden Wesens. „Gib mir einen Beweis, dass dort nichts ist. Kein Reich Gottes, keine Hölle, keine Wiedergeburt, was auch immer…“