Fr 17. Mär 2017, 16:59
Leon beugte sich leicht weiter auf seinem Sitzschemel nach vor und nickte knapp bei den Worten des Heilkundigen. Selbstredend war ein Mann der kämpferischen Profession seines Alters und seiner Erfahrung nicht selten mit kleineren und größeren Verletzungen verschiedenster Art konfrontiert, dennoch änderte wohl auch diese Tatsache nichts daran, dass tiefe, verunreinigte Stichwunden einfach höllisch schmerzten und mitunter kräftig bluteten. Er biss die Zähne zusammen und stöhnte leicht auf, als Leif mit seinem Werk begann. Ein kundiger, über die Jahrhunderte geschulter Blick teilte dem Salubri glücklicherweise mit, dass die Wunde an und für sich schlimmer aussah als es dem unbedarften Laien vorgekommen sein musste. Die Untoten und namenlosen Schrecken der finsteren Nächte hatten glücklicherweise ja weniger mit brandigen Schnitten und eitrigen Aussonderungen zu tun. Dennoch, dass wusste er, hatte Leon richtig gehandelt. Wie oft war er an den Schlachtfeldern der Weltgeschichte vorbeigekommen, nur um mitzuerleben wie ein siegreicher Feldherr an einer lächerlichen Kleinigkeit wie beispielsweise einem rostigen Nagel frühzeitig verschied ohne sich seines Sieges erfreuen zu können? Das Stöhnen des Wachmannes, kam aber sicher nicht nur aus unterdrücktem Schmerz, sondern gewiss ebenfalls aus einer gewissen, ganz und gar alltäglichen Resignation bezüglich seines Aufgabenfeldes. Betrunkene Gäste, randalierende Räuber, zeternde Huren und belehrungsresistente Freier waren nur ein Bruchteil dessen, womit sich die Stadt- und insbesondere die Nachtwache, tagaus tagein herumschlagen musste. Wachmann in Brügge zu sein, war mitnichten eine Goldmine aus üppigem Sold und sozialer Anerkennung. Mit einem aber hatte der Salubri wirklich recht gehabt: Leon war tatsächlich einer der verlässlichsten Männer, die der Brügger Wachhauptmann dieser Nächte zu seiner Belegschaft zählen durfte. Andererseits konnten wohl auch einfach nicht alle Wächter bestechungsfreudige, unaufmerksame und vor allem hoffnungslos dumme Tölpel sein. Sonst gäbe es die von ihm erwählte Domäne wohl schon gar nicht mehr. Als der straffe Verband sich um die frische Naht schloss, versuchte Leon sich ein wenig damit zu bewegen und seine Miene hellte sich sogleich wieder um ein gutes Stück auf.
„War weniger schmerzhaft als erwartet“, meinte der Wachmann grinsend. „Aber was war von einem Meister seines Fachs auch anderes zu erwarten? Habt vielen Dank Meister Thorson, ihr seid nach wie vor die hiesige Autorität auf dem Gebiet der Heilung. Und jetzt da der Herr Balduin sich von den Aufgaben im Krankenhaus abgewandt hat… “ Noch während er sich erhob, machte er einen Schritt auf die kleine Kommode in der Nähe des Kamins zu und begann sich im flackernden Licht des Kerzenscheins anzukleiden. Leon unterließ es die Tatsache, dass Balduin sich bis auf Weiteres aus den Belangen und Aufgaben des Brügger Krankenhauses zurückgezogen hatte weiter zu vertiefen. Es war ein offenes Geheimnis, das dem guten Mann der Tod vieler wichtiger, ihm nahestehender Personen, in eine nachvollziehbare Schwermut hatte verfallen lassen. „Falls die Wunde sich irgendwie in eine eher ungünstige Richtung verändern sollten, werde ich euch umgehend konsultieren Meister.“ Mit einem breiten Lächeln fügte er beinahe spitzbübisch hinzu: „Ich werde den Hauptmann später bitten mir beim Wechseln des Verbandes zu helfen, da kann ich ihm auch gleich eure Rechnung überreichen. Ich bin überzeugt, er wird sich über euren Einsatz zur Erhaltung meiner Gesundheit und Kampfkraft freuen… er ist ja ein sehr…“. Begriffe wie ‚cholerisch‘ oder ‚Menschenschinder‘ kamen ihm in den Sinn, schlussendlich endete er aber mit: „… fähiger und vorausschauender Vorgesetzter.“
Leons Augenbrauen hoben sich kurz nach oben, als er den schweren, ledernen Waffengurt anlegte nachdem er sorgfältig prüfte, ob das Rüstgeschirr nicht allzu fest auf die frisch vernähte Wunde drückte. „Oh die Südländer…“ Er hob abermals seufzend die Schultern. „Im Grunde tun sie nichts, was nicht auch ohne ihre Anwesenheit immer wieder mal vorkommen würde. Allerdings haben sie ein sehr… impulsives Gemüt; neigen dazu nach Ende eines Tages ganz besonders viel zu trinken und belästigen hin und wieder auch die tugendhaften Damen, wenn ab einem gewissen Punkt, selbst die Huren ihrer überdrüssig werden. Der Hauptmann hat daher das Hafenviertel verstärkt überwachen lassen was… zusätzliche Manneskraft und Schichten bedeutet.“ Leon räusperte sich leicht.
„Aber es ist abgesehen davon das wir einfach aufmerksamer und vorsichtiger sein müssen, sind die Tagelöhner nichts mit dem wir nicht fertig werden würden. Gerüchten zufolge, hat dieser Martinelli einfach nur darauf bestanden, zwischen all den Arbeitern und Handwerkern der Umgebung, auch ein gutes Dutzend seiner eigenen Leute vor Ort zu haben. Ich persönlich glaube ja, damit er nachts seine italienischen Weisen trällern kann und ein paar vertraute Gesichter um sich hat. Das nördliche Klima scheint ihm trotz fürstlicher Entlohnung nicht ganz zuzusagen.“ Der Wachmann lachte auf und schüttelte den Kopf.
„Angeblich kommen noch ein paar, habe ich mir sagen lassen. Irgendwo zwischen Brügge und Italien, werden die Karren mit den Baumaterialien umgeladen und mit feinstem flandrischen Tuch vollgepackt. Die gehen dann wieder zurück in den Süden, während Arbeiter und Marmor weiterreisen. Man hat wohl darauf bestanden, sich die Transportkosten ein wenig zu teilen.“ Leon straffte sich und knackte mit den Knochen. Zufrieden sah er den Meister der Heilkunst an; seine Wunde würde ihn vorerst nicht in der Ausübung seines Dienstes behindern. „Waren harte Verhandlungspartner die Italiener aber ein geschickter Vertreter der Stadt; es war sogar ein van de Burse wenn ich mich recht entsinne, hat nicht locker gelassen. Na, auf jeden Fall ist unser neuer Dom dann ein nicht ganz so großes Fass ohne Boden. Ich würde ja gern noch die Fertigstellung erleben aber ich glaube, da müsste man schon sehr alt werden oder ewig leben, um dann noch in den heiligen Brügger Hallen unseres Herrn Jesus Christus wandeln zu können.“ Leon streckte dem Salubri freundlich die Hand entgegen um sie zu schütteln und verneigte sich zeitgleich. Gewiss war es ein wenig unüblich einem Meister seiner Zunft und obendrein gelehrten Herrn, einfach die Hand zu schütteln aber die Kameraderie in der Nachtwache, hatte dank des alten Wachhauptmanns einiges an Etikette und Eitelkeiten eingebüßt, dafür jedoch umso mehr an Zusammenhalt und einfacher Direktheit gewonnen.
„Habt noch einmal vielen Dank für eure Mühen Meister Thorson, ihr solltet vielleicht irgendwann daran denken noch einen Lehrjungen einzustellen. Es wäre doch eine Schande, wenn euer Wissen und euer Andenken so spurlos verloren gehen würden. Diese Stadt schuldet euch bereits jetzt sehr viel und die Gebrechlichen und Kranken werden euch stets in ihre Gebete einschließen.“ Er kramte ein wenig in einem kleinen Lederbeutel, den er fest verschlossen an der Seite trug und überreichte Leif ein Silberstück. „Die Stadtwache kommt natürlich für meine Behandlung auf aber das hier ist von mir persönlich. Ich würde mich freuen, wenn ihr ihn euch aufbewahrt und nach Dienstschluss einmal mit mir und den Kameraden auf ein paar Humpen mitkommen würdet. Ich bin sicher, ihr könnt neben eurer formidablen Heilkunst auch einige abenteuerliche und spannende Geschichten erzählen.“ Leon verbeugte sich erneut knapp vor Leif und wandte sich dann in Richtung Tür, um die Behausung des Salubri zu verlassen.