Fr 12. Okt 2018, 21:25
Frederik zuckte nur kurz mit den Schultern, während er sein Wams glatt strich und sich noch einmal durch die Haare fuhr. "Ich habe nichts von irgendwelchen Überraschungen gehört, aber du weißt ja wie es in diesem Haus manchmal zu geht." Der Toreador lachte zuversichtlich und Alida konnte spüren, dass der Toreador sich wirklich auf den Abend zu freuen schien. "Ich gehe jetzt runter. Lass nicht mehr allzu lange auf dich warten, immerhin willst du doch Großonkel Gustav nicht warten lassen." Mit einem Grinsen ließ Frederik die Tzimisce allein.
Alida sah an sich herunter und ärgerte sich, dass sie nicht früher ein anderes Gewand angelegt hatte. Nun geriet sie in Zeitdruck. Sie schob die Papiere aufeinander und hastete aus dem Gemach zu ihrer Stube. Sie suchte eines der einfacheren Festtagsgewänder heraus, schnürte es auf und schlüpfte, so schnell es die Bindung und die vermaledeiten Unterröcke möglich machten, in den weichen Stoff. Sie hatte einige Mühe das Gewand alleine zu schließen, aber sie wollte keine der Mägde, die derzeit mehr als beschäftigt waren, herbei rufen. Auch die Frisur, die sie in Kürze ‚zauberte‘ hatte nicht den Reiz von einer der Kammermägde, aber für jetzt musste es reichen. Sie warf einen kurzen Blick in den angelaufenen Spiegel, der sich in einer kleinen Dose befand und nickte sich selbst zu.
So… jetzt galt es nur noch dem guten Onkel Gustav aus dem Weg zu gehen. Sie war zuversichtlich dieses Mal Erfolg zu haben. Immerhin war der Gute fast blind und taub.
Die unteren Räume, die Wohnstube und der große Speisesaal, waren, ohne dass es wirklich überraschte voller van de Burses. Es wurde bereits ausgiebig gelacht, gesprochen und sich überall begrüßt. Eine der Mägde sah Alida und huschte schnell mit einem Tablett auf sie zu auf dem Krüge, gefüllt mit Apfelmost, Wein und Aldurbräu standen. Im Grunde kannte Alida alle Gesichter hier, aber unter Leute wie Jean und Marlene hatten sich auch einige der weiter verzweigten Äste des Stammbaums van de Burse gemischt. Peter und Paul brachte die Familie tatsächlich einmal wieder in großer Runde zusammen und die meisten der Gäste schien sich prächtig zu amüsieren.
Alida griff mit einem kurzen ‚Danke‘ nach einem Krug mit Apfelmost und sah sich in den Räumen um. Die Höflichkeit gebot es alle Gäste zu grüßen und zunächst ein paar Worte zu wechseln. Später mochten sich daraus gute Gespräche entwickeln, doch zunächst galt es, geliebte Belanglosigkeiten auszutauschen,: das regnerische, für den Juni viel zu kalte Wetter, die Ernte der Erdbeeren (ein erfreuliches und damit besonders geeignetes Thema, da sie in diesem Jahr gut ausgefallen war,) die Anreise, die Gesundheit der Kinder, das entzückende Neugeborene, entsprechend dem Geschlecht natürlich ‚immer ganz der Vater beziehungsweise die Mutter.‘ Man durfte bei dem weder weiblich noch männlich anmutenden Kindchen nur nicht durcheinander kommen. Sie steuerte die nächstgelegene kleine Gruppe an.
Alida schaffte es tatsächlich mit fast jedem ein paar Worte und Höflichkeiten auszutauschen, während die Zeit wie im Flug verstrich. Noch immer erreichten hier und da Gäste das Anwesen der Familie van de Burse wie zum Beispiel Mildred, die inzwischen ihrem eigenen Haushalt vorstand. Die dunkelblonde Meisterin der Seidenweber ließ sich wie eine Tochter des Hochadels von zwei ihrer Gesellinnen flankieren. Beide der jungen Frauen hielten eine Art Schirm, der Mildred vor dem Regen schützte, und halfen ihr auch sich auszukleiden. Danach wurden sie mit einer knappen Geste in Richtung Küche entlassen, während ihre Meisterin schon mit einem großen Becher voller dunklem Rotwein Frederik in Beschlag nahm. Ihr uralter Gatte Arn folgte ein wenig später. Er wurde von zwei seiner Wachleute auf einem Stuhl hineingetragen und wie auf Befehl direkt neben Onkel Gustav platziert, der in einer Ecke leise vor sich hin schnarchte. Der Geruch nach dem köstlichen Festmahl wurde beinahe unerträglich und schließlich wurde ihre Gesellschaft mit einem leisen Glockenschlag erlöst, der alle Gäste zu Tisch bat noch bevor Alida die nächste Gruppe für belangloses Geplänkel erreichen konnte.
Das Familienoberhaupt Christian und sein offizieller Nachfolger, sein Sohn Frederik, hatten ihren Platz wie immer am Kopf der Tafel. Dann folgte der Höflichkeit Folge leistend und da Frederik nicht verheiratet war, Marlene. Alida nahm ihren Platz in der Nähe von Christian und Frederik ein und warf einen Platz auf die Tischordnung. Anscheinend hatte man vorwiegend Geschwister und deren erwachsene Kinder zueinander gesetzt und dabei auf das Alter geachtet. Am Ende der Halle war ein fast ein wenig überfüllter Kindertisch aufgebaut. Alida nickte einem Bruder von Christian zu, der ihr gengenüber Platz genommen hatte. Der Vater von Mildred. Wenige Plätze weiter erkannte sie auch die junge blonde Frau und schenkte ihr ein anerkennendes Lächeln.
Bertha hatte sich einmal mehr selbst übertroffen, oder zumindest war das die einhellige Meinung aller Gäste als die Speisen hereingetragen wurden. Es gab dem hässlichen Sommer zum Trotz eine ganze Menge hervorragende Speisen, die wie im Haushalt üblich nicht verschwenderisch, sondern bescheiden und mit guter Handwerkskunst zubereitet worden.
Es gab allerlei Wurzelgemüse mit frischen Kräutern und ganze, frisch gefangene Fische aus den nahen Gewässern. Herzstück der Tafel war ein krosser, in eigenem Fett und Saft zubereiteter Schweinebraten mit einer Thymiankruste. Frederik hatte dieses Rezept selbst aus Italien mitgebracht und inzwischen hatte es, wenn auch erst nach einigem gutem Zureden und Überredungskunst seitens ihres Verwandten einen festen Platz in Berthas Sammlung von Köstlichkeiten und an der Festtafel der van de Burses.
Die Mägde verteilten frisch gebackenes Brot damit man damit die herrlichen Soßen vom Teller wischen konnte und zum ersten Mal an diesem Abend erstarb das ständige Geschnatter für einen Moment und wurde durch zufriedene Essensgeräusche ersetzt. Ein Gedanke hatte Alida schon die ganze Zeit seit der Begrüßung von Mildred begleitet und zwar meinte sie sich erinnern zu können, eine ihrer Gesellinnen von irgendwo her zu kennen. Erst nach dem zweiten Gang und während sie gerade mit Frederik und Christian angestoßen hatte fiel es wie Schuppen von den Augen. Die junge Frau war Thyra gewesen, die Bekannte von Leif und Tochter von Brunhild. Alida schnitt sich ein Stück von dem Braten in Thymiankruste ab, das sie auf dem Teller hatte, und schob es in den Mund. Der Geschmack war schal und fad im Vergleich zu dem, was ihre sterblichen Verwandten sich gerade auf der Zunge zergehen ließen, aber sie mochte den Geruch, den es verbreitete und sie kaute langsam und gleichmäßig. Dann schluckte sie. Ihre Stirn legte sich einen Moment in Falten als sie über Thyra nachdachte. Sie wusste nicht viel über das Mädchen. Sie war vor einigen Jahren einige Wochen lang im Gästehaus von Balduin gepflegt worden und hatte einige unansehnliche Brandwunden davon getragen. Alida hatte damals, schon allein wegen der Schwärmerei, die Hendrik für die junge Frau an den Tag gelegt hatte, darüber nachgedacht ihre Hilfe bei der Entfernung der Narben anzubieten, aber sie wusste, Leif kannte ihre Fähigkeiten und hätte Thyra davon berichtet, wenn er es für die richtige Vorgehensweise gehalten hätte. So hatte sie geschwiegen. Es wunderte sie, dass das Mädchen als Dienerin von Mildred auftrat, bei dem Stolz, den ihre Mutter Brunhild an den Tag legte.
Inzwischen hatte ein besonders begabtes Mitglied der van de Burses eine Flöte gezuckt und begann leise im Hintergrund zu spielen, während nicht nur für die Kinder ein süßer Nachtisch aufgetragen wurde. Es gab frische Erdbeeren mit geschlagener Sahne. Dazu wurde ein lieblicher, dickflüssiger Wein gereicht, der ebenfalls aus Italien stammte und als Geschenk einer befreundeten Händlerfamilie bei der letzten Warenlieferung beigelegen hatte. Erst als die letzten Teller abgetragen und die Unterhaltungen langsam wieder aufgenommen wurden, kam Mildred zu Alida und begrüßte ihre Verwandte noch einmal mit einem freundlichen Lächeln. „Das Essen von Bertha war wie immer vorzüglich. Danke für die Einladung. Es war tatsächlich an der Zeit einmal wieder einen schönen Abend im Kreise der Familie verbringen zu dürfen. Ich bin sehr gespannt was es für neuen Klatsch und Tratsch gibt.“ Die junge Frau lächelte zufrieden und irgendwie verspielt, beinahe wie eine Katze. „Alida bevor ich es vergesse. Eine meiner Gesellinnen bittet dich um eine kurze Unterredung. Sie sagt sie hat eine Botschaft für dich. Ich habe ihr aufgetragen in der Küche zu warten. Falls du später einen Moment für sie hast, wäre ich dankbar.“
Alida machte eine wegwerfende Handbewegung als Mildred sich bedanken wollte. „Es ist vor allem in diesen Zeiten wichtig sich auch ein Mal an die angenehmen Seiten des Lebens zu erinnern. Wir haben in den letzten Jahren genug gesehen finde ich. Also…“ Sie griff nach dem Dessertwein. „… sollten wir auf ‚Gute Tage‘ anstoßen. Auf dass noch viele folgen mögen!“ Nach dem Toast beuget sie sich zu Mildred hinüber. „Ich bin sehr gespannt, was deine Gesellin zu berichten hat. Geheime Botschaften und so weiter. Das klingt viel zu spannend um lange zu warten. Entschuldigt mich bitte einen Moment.“ Sie erhob sich höflich lächelnd von ihrem Stuhl und wich einer Magd aus, die einen Stapel Teller zur Waschküche tragen wollte. Sie war tatsächlich gespannt.