Vampire: Die Maskerade


Eine Welt der Dunkelheit
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 Betreff des Beitrags: Re: Prag I: Hector
BeitragVerfasst: Do 13. Jul 2023, 20:19 
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Simon sah Hector nachdenklich an, dann war der Hauch eines freudlosen Lächelns um seine Mundwinkel zu erkennen. „Jemanden an meiner Stelle zurück schicken? Ein interessanter Gedanke.“ Wieder nahm er einen Zug. „Und wenn du dieser Person meine Zeit schildern würdest, wäre sicher mehr als einer sofort bereit.“ Das Lächeln verschwand als er Hector mit umschatteten Augen ansah. Er wirkte als hätte er nächtelang nicht geschlafen.
Er überlegte eine ganze Weile, starrte auf die im Schoß gefalteten Hände als würde er dort nach einer Antwort suchen und griff schließlich ohne zu fragen nach Hectors Arm. Die Haut war kühl und trocken. „Verzeih mir, aber ich möchte, dass du verstehst.“ Simon zauberte ohne dafür viel Vorbereitung zu benötigen und Hector konnte die Kraft in der Art der Magie spüren, die der Mann aus der Zukunft anwandte. Simon verwendete eine ähnliche Art wie die, die er selbst benutzt hatte um Apollonia seine eigenen Erinnerungen sehen zu lassen.
Was Hector sah waren Erinnerungen. Sie unterschieden sich von Bildern oder einem Film darin, dass manche Personen oder Dinge schärfer und mehr im Fokus lagen als andere. Gerüche konnte er wahrnehmen, ebenso wie Wind und Hitze auf seiner Haut. Töne erschienen ihm intensiver, manchmal sogar heller als das Bild vor seinen Augen. Er spürte einen Herzschlag, der, je nachdem, was die Erinnerung preisgab, schneller oder langsamer pochte, sich manchmal fast ins Unermessliche steigerte.
Die Bilder zeigten Grauen, dass Hector im besten Fall in Filmen gesehen hatte. Er sah Leichen, die in dreckigen Straßenecken vor sich hin verwesten und einen süßlichen Gestank verbreiteten, der einen würgen ließ. Einzelne wankende Personen machten einen breiten Bogen um sie und niemand schien sich mehr zu kümmern. Häuser, die in ihrer Bauart denen ähnelten, die Hector aus seiner eigenen Zeit kannte, wurden verlassen und stürzten ein paar Jahre später in sich zusammen. Irgendeine Stadt hatte starke Ähnlichkeit mit Prag, aber ein Großteil der Gebäude war niedergebrannt oder brannte in der Erinnerung noch immer. Hector sah aufgespießte Köpfe auf langen Pfählen an Wegkreuzungen, Erhängte, die wie überreife Früchte in Eichen und Buchen vor sich hin baumelten, Schreie von Gefolterten. Der Ekstatiker bemerkte, dass sich Simon auf etwas bestimmtes konzentrierte und mit einem Mal konnte er Menschen in langen dunklen oder leuchtend hellen farbigen Roben erkennen. Es hatte Ähnlichkeit mit einem schlechten 60er Jahre Horrorfilm über Dämonen- oder Hexenkulte. Hunderte oder Tausende Menschen umringten die paar Menschen in den Kutten, beteten zu ihnen, sangen und wiegten sich vor uns zurück. Manche hatten Opfergaben mitgebracht: Kleidungsstücke, Münzen, Nahrung, aber auch Juwelen und Schmuck. Es hatte etwas unrealistisches, bizarres an sich. Schließlich hoben die Angebeteten die Hände, Hector sah Licht, dass von ihnen in Richtung Himmel schoss. Dann begann es zu regnen. Eine andere Erinnerung schob sich nach vorne: eine dunkelhaarige Frau wurde an der Kehle festgehalten, jemand schrie sie an, den Aufenthaltsort von jemandem preis zu geben, was sie verweigerte. Ohne jegliche Ursache fing erst das Haar der Frau Feuer, dann ihre Kleidung, dann stand sie allein und schreiend da, während der damals stille Beobachter, der jetzt seine Erinnerungen mit Hector teilte, nur schweigend zusah, unfähig sich zu rühren und mühsam den Würgereiz unterdrückte, der in ihm aufstieg. Hector spürte den Herzschlag, rasch und panisch.
Dann hörte es ebenso rasch wieder auf wie es begonnen hatte. Simon war zurück gewichen als erwarte er jeden Moment von Hector angegriffen zu werden.

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 Betreff des Beitrags:
Verfasst: Do 13. Jul 2023, 20:19 


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 Betreff des Beitrags: Re: Prag I: Hector
BeitragVerfasst: Sa 15. Jul 2023, 14:41 
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Hector ertrug das Grauen vor seinem inneren Auge stoisch. Er hatte mit einer Katastrophe gerechnet und eine genau solche baute sich nun in seinem Geist auf. Der Ekstatiker war sich nicht sicher über die Details oder die Umstände, unter denen sich eine solche Zukunft formte, aber die offensichtlich magische Dystopie war unbestreitbar. Dennoch änderte sich Hectors Meinung über Simon nicht sonderlich. „Ich wünsche niemandem an so einem Ort leben zu müssen, aber du hättest uns fünf hier genauso zurückgelassen, um nicht in deine Zeit zurückkehren zu müssen.“ Der Ekstatiker rieb seinen Arm, den Simon zuvor berührt hatte, geistesabwesend, beinahe, als hätte er sich verbrannt. „Ich sehe keinen Unterschied, zwischen dem, was du vorhast und dem Plan, jemanden an deiner Stelle zu schicken. Es gibt Situationen, in denen es keine Gewinner gibt, sondern nur Verlierer.“

Ohne eine Antwort abzuwarten, hob der braunhaarige Magier schließlich entschuldigend die Hände, ganz als wollte er Frieden signalisieren. „Sei es drum. Ich habe trotz, dass du vielleicht anderes denken magst, nicht den Wunsch dich zu verärgern. Im Gegenteil, ich verstehe dich vielleicht besser als du glaubst.“ Hector schien sich etwas zu erinnern und schwieg einen Moment, bevor er weitersprach. „Während meiner Ausbildung habe ich viel über die Sphäre der Zeit gelernt. Es ist die Magie, die mir am leichtesten fällt, trotz ihres esoterischen Charakters. Dadurch habe ich viel von ekstatischen Lehrern gelernt, auch Sehern, Orakeln und anderen, die sich auf prophetische Zauberei verstehen. In der Art und Weise, wie sie ihre Kunst wirken, sind sie alle sehr unterschiedlich, selbst wenn sie der gleichen Tradition angehören, aber in einer Sache sind sich alle einig. Ab einem gewissen Punkt wird es beinahe unmöglich in die Zukunft zu sehen. Es ist beinahe wie eine Barriere, die den Blick ablenkt und jene Magier, die diese Grenze herauszufordern, werden von irgendetwas auf brutalste Art und Weise bestraft.“ Hector ließ die Worte erst einmal verklingen. „Vor Jahrhunderten gingen die Meister davon aus, dass es einfach schwerer ist, in eine weit entfernte Zukunft zu blicken, aber diese Grenze verschob sich auch mit den vergehenden Jahren nur minimal. Das alles hatte eine Konsequenz, und zwar die, dass jene, die über Zukunft Bescheid wussten, diese fürchten – offenbar zurecht.“

Der Ekstatiker suchte noch einmal Simons Blick. „Wofür es wert ist, ich hoffe ehrlich, dass du nicht in diese Hölle zurückmusst, aber ich muss meinen Freunden helfen, in ihre Zeit zurückzukehren, denn auf Dauer werden sie hier nicht überleben, ohne dass ihnen etwas Schlimmes widerfährt. Nicht mit diesen wahnsinnigen Verschwörern auf unseren Fersen, die offensichtlich sehr viel mehr wissen, als gut ist.“

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 Betreff des Beitrags: Re: Prag I: Hector
BeitragVerfasst: So 16. Jul 2023, 21:54 
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Simons Gesicht nahm einen erstaunten Ausdruck an. Er hatte mit vielem gerechnet, wahrscheinlich am ehesten mit Fragen, aber nicht auf so eine Reaktion von Hector. Sein Körper entspannte sich. Seine Stimme wurde leiser als er weiter sprach. „Die Welt im Jahr 2050 ist ein Traum für jeden Magier: ein Paradies für jeden, der mit magischen Fähigkeiten gesegnet ist. Für uns und sonst niemanden. Aber der Preis, das habe ich gelernt, den das alles gekostet hat, war zu hoch. Viel zu hoch. Ich möchte nichts über die Zukunft wissen. Ich möchte die Vergangenheit ändern. Diese verfluchten 20er und 30er Jahre. Oder das, was dazu geführt hat.“ Er seufzte. „Aber das sind wahrscheinlich Haarspaltereien.“ Er wechselte seine Zigarette zur linken Hand und streckte Hector die Rechte hin. „Ich helfe euch mit allem, was ich kann, dafür zwingt ihr mich nicht in meine Gegenwart zurück kehren zu müssen. Einverstanden?“
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„Ich werde dich gewiss nicht dazu zwingen in diese Zeit zurückzukehren und sollte es jemanden brauchen, werden wir jemanden finden…“ Hector ließ die Implikationen dieser Worte ungesagt und wechselte das Thema, welches nicht viel positiver war. „Ich bezweifle, dass du oder irgendjemand wirklich in der Lage sein wird, diese Zukunft zu ändern. Wir denken immer, dass eine einzige Handlung in der Vergangenheit, ein einzelner Schritt oder eine Entscheidung alles verändern würde. Leider ist nichts weniger wahr.l. Nicht nur wehrt sich die Zeit selbst gegen Eingriffe, die Vorstellung, dass ein Mensch mit dem Wissen über die Zukunft alles verändern könnte, wird nur von unserer eigenen Arroganz am Leben gehalten, etwas Besonderes zu sein.“
Hector erläuterte nicht, woher seine Weltsicht kam, aber Simon konnte klar werden, dass der Ekstatiker viel über diese – theoretischen? - Fragen nachgedacht hatte. „Denk einmal darüber nach. Glaubst du nicht, dass Menschen der Vergangenheit, ohne Wissen über die Zukunft wussten, dass bestimmte Dinge katastrophale Auswirkungen haben würden? Genozide, Kriege, Hitler oder der Klimawandel? Es gab immer genug Leute, die in ihrer Zeit auf solche Dinge aufmerksam gemacht haben. Zu denken, dass du oder ich in der Lage wären, Ereignisse von solcher Tragweite zu verändern, ist im besten Fall arrogant und im schlechtesten Fall der Auslöser, der alles noch schlimmer macht, oder vielleicht sogar auslöst.“ Hector schwieg.
Simon schloss für einen Moment die Augen. Er schien zu überlegen, was er sagen sollte. "Ich weiß nicht, warum wir hier sind. Aber vielleicht ist das genau der Grund. Die Katastrophen, die geschehen sind, sind das Werk von wenigen. Manche sagen, dass die Exsugation der Städte, zuletzt Prag 2016, das erste Werk der Gruppe waren, aber andere sehen in dem was später kam, keinen Zusammenhang dazu.“ Er sog die Luft ein und drückte die Zigarette aus. „Wenn ich ihre Namen raus bekomme, oder die ihrer Helfer bevor sie überhaupt auf die Erkenntnisse zum Wesen von Magie und Paradox kommen… oder wenn ich wenigstens ein paar ihrer späteren Helfer davon abhalten kann, sich ihnen anzuschließen.“ Er wandte den Blick ab. „Vielleicht würde es schon reichen, wenn man mich davon abhalten könnte auf ihre Lügen herein zu fallen und ihnen zu helfen.“ Er biss sich auf die Lippen und Hector konnte erkennen, dass es schmerzen musste. „Es ist spät. Bram und du: ihr hattet Erfolg und habt uns gefunden. Was macht ihr jetzt? Kehrt ihr zur Burg zurück oder übernachtet ihr in diesem Städtchen. Ich würde euch den Weg zur Burg nicht mehr empfehlen. Er ist steil und in der Dunkelheit nicht ungefährlich. Außerdem gibt es Wegelagerer und Burgwachen, die euch wahrscheinlich nichr mehr einlassen würden, wenn ihr nach Mitternacht dort auftaucht.“ Er griff nach einem Etui um nach einer zweiten Zigarette zu greifen, verschloss es nach kurzem Zögern jedoch wieder und schob es zurück in die Hosentasche.
Hectors Mimik wirkte müde und abgeschlagen als er die nächsten Worte sagte. „Größere als wir haben versucht, die Dinge zu ihren Gunsten zu verändern und sind doch gescheitert“ Er seufzte. „Ich sage nicht, dass es unmöglich ist, aber die Dinge funktionieren anders, als wir es gerne hätten. Der Fluss der Zeit – auch wenn das eine durch und durch unzureichende Analogie ist – kann vielleicht in einem anderen Arm fließen als gewohnt, ein Auengebiet überfluten, oder von einem Damm aufgehalten werden, aber am Ende fließt er doch immer in das gleiche Meer. Das Beste, was man hoffen kann, ist eine Kleinigkeit zu verändern, gegen die sich sonst niemand aufbäumt.“ Den Teil, dass Simon den Mächtigen seiner Zeit geholfen hatte, speicherte der Ekstatiker ab, ging aber nicht weiter darauf ein. Bezüglich der Frage, wie ihr Plan war, musste Hector nachdenken. „Ich würde lieber zurück zur Burg gehen. Diese Mächte, die uns auf den Fersen sind, hätten hier viel leichteres Spiel und könnten uns hier viel einfacher überraschen. Vermutlich hast du aber recht. Wir sollten das Risiko eingehen und morgen beim ersten Licht zurück zur Burg gehen.“
„Ich kann euch bei der Frau des Schreibers eine Kammer klar machen, oder ihr versucht euer Glück im Gasthaus?“
Hector überlegte kurz, bevor er sich entschied. „Je näher wir beieinander sind, umso sicherer ist es unter den gegebenen Umständen.“
Simon nickte und erhob sich. Als er wenige Minuten später zurück kam hielt er einen schweren metallenen Schlüssel in der Hand und Bram und das kleine Mädchen folgten ihm. Simon zuckte mit den Schultern. „Ich dachte mir, ich bring die beiden gleich mit.“
Bram klopfte der Kleinen auf die Schulter. „Du hattest Glück, dass wir gerade Pause gemacht haben. Wir waren beim Verstecken spielen und Charlotte hier hättest du nie wieder gefunden.“ Das kleine Mädchen lächelte selig dank des Kompliments und trat dann wieder in die Kammer von Simon, der Hector den Schlüssel überreichte. „Die Frau hat ein Zimmer am Ende des Flurs, das gerade leer steht. Dort könnt ihr euch ausruhen.“
Sie verloren nicht mehr allzu viele Worte und fünf Minuten später war Hector mit Bram allein im Zimmer. Es war spärlich möbliert, zwei Pritschen konnten als notdürftiges Lager dienen. „Und? Hast du ihn dazu gekriegt mit uns mit zu kommen oder halten wir heute Nacht abwechselnd Wache um auszuschließen, dass er sich doch wieder heimlich aus dem Staub machen will?“ Der junge Mann zwinkerte ihm verschwörerisch zu.
Der Ekstatiker zuckte nur erschöpft mit den Schultern. „Zwingen können wir Simon eh zu nichts, daher hoffe ich, dass wir ihn überzeugen konnten.“ Hector ließ sich ohne große Grazie auf eine der Pritschen in der Kammer fallen. „Ich habe eher Sorge, dass die Söldner uns diese Nacht aufspüren könnten. Daher sollten wir uns das mit der Wache halten vielleicht noch einmal überlegen.“ Der braunhaarige Magier schloss kurz die Augen. Er war tatsächlich müde und ausgelaugt durch das Gespräch mit Simon. Mehr als davon tagelang durch die tschechische Wildnis des Jahres 1618 zu wandern.
Bram sah ihn lange an. „Du siehst ziemlich erschöpft aus.“ Er wartete.
„Ich bin tatsächlich müde.“ Hector richtete sich wieder auf, um Bram anzuschauen. „Das Gespräch mit Simon lief genauso, wie ich es mir vorgestellt habe. Leider.“ Der braunhaarige Mann rieb sich die Augen, wie um wieder wach zu werden. „Er will tatsächlich nicht zurück in seine Zeit, wie wir vermutet haben. Das macht alles nicht einfacher und auch wenn ich das gut nachvollziehen kann, bringt das doch einfach nur wieder das Problem mit sich, dass sich seine Interessen und die von uns, die nach Hause wollen entgegenstehen.“ Hector lächelte schwach. „Warum sollte es auch einmal einfach sein? Alles wird zu Scheiße seitdem wir hier gelandet sind und ich will gar nicht wissen, was zu Hause überhaupt passiert.“
Der Ekstatiker spürte Brams Hand auf seinem Arm. „Ich glaube fest daran, dass wir wieder zurückkommen. Wir finden einen Weg. Ob mit oder ohne Simon. Wir geben unser bestes und das muss reichen. Ich verpasse derweil mein Abi, aber das kommt zum Leidwesen der Schüler ja bekanntermaßen jedes Jahr wieder. Was geht derweil bei dir zu Hause alles schief?“ Er schenkte ihm ein aufmunterndes Lächeln und Hector bemerkte, dass Bram eigentlich nach weiteren Details aus Hectors Leben fragte.
Hector stand von der Pritsche auf. Er erkannte Brams Versuch, ihn zu beruhigen, besser vielleicht sogar als der junge Mann selbst, kannte er ihn doch so viel besser als er je ahnen konnte. Doch dieses Mal halfen selbst seine wohl gewählten Worte nicht. „Ist es nicht ironisch? Hier stehst du, liebst die Magie und kannst sie nicht anwenden? Und ich? Ich kann so viel, aber eigentlich habe ich gar kein Bedürfnis danach. Nie war ich irgendwem, irgendetwas wert, bis meine Fähigkeiten bekannt geworden sind.“ Hector schüttelte abweisend das Haupt, während er nach neuen Worten suchte. „Weißt du Bram manchmal denke ich mir, wozu ist all das gut? Wir bekommen vorgespielt, wir könnten die Welt, ja die Realität selbst verändern, aber am Ende ist das alles nur eine Farce. Denn was bringt uns das? Können wir denen helfen, die uns nahestehen? Können wir, die wir lieben, vor schlimmen Schicksalen bewahren?“ Der Ekstatiker wandte den Blick ab. „Es ist am Ende doch nicht mehr als ein falsches Versprechen, eine grausame Hoffnung, die sich durch neue Herausforderungen, unvorhersehbare Probleme und schiere Willkür mehr Schaden als Gutes anrichtet. Manchmal denke ich mir, unsere Welt stünde besser da ohne all die Magie, die Möglichkeiten und das Hirngespinst, dass wir als Erwachte irgendeine Art von Kontrolle haben.“
Bram ließ sich Hectors Worte lange durch den Kopf gehen. Er versuchte ein aufmunterndes Lächeln. „Ich verfüge natürlich bei weitem nicht über deine Lebenserfahrung, aber ich denke, auch wenn mir da viele wahrscheinlich widersprechen würden: wir sind auch nur Menschen. Wir haben Stärken, Schwächen, die Möglichkeit den Versuch zu unternehmen das Beste aus unserer Zeit zu machen. Nicht mehr und nicht weniger. Und wahrscheinlich sind wir zu guter Letzt nur uns selbst Rechenschaft schuldig. Du selbst hast gesagt, es kommt nicht auf Magie oder unsere Fähigkeiten an, sondern auf den Mensch, der dahinter steckt.“
Hector lächelte schwach. „Und doch ist das – selbst nur das implizite Versprechen – Dinge nach unseren Vorstellungen, Wünschen und Träumen verändern zu können, doch ein vergiftetes Geschenk.“ Hector schien geschlagen. „Ich würde so viel geben, jetzt in meinem Club zu sein und einfach nur vergessen zu können. Die Menschen zu beobachten, ihnen eine gute Zeit zu ermöglichen und für keine größeren Entscheidungen verantwortlich zu sein, als darüber, ob ich ein neues Fass ansteche, oder für den Rest der Nacht Flaschenbiere ausschenke.“ Der Ekstatiker ging in Richtung Tür. „Verzeih mir, aber ich denke, ich brauche einen Moment für mich. Das alles nimmt mich mehr mit, als mir lieb ist. Ich will nur ein bisschen frische Luft schnappen, dann höre ich auch auf zu jammern.“
Im dämmrigen Schein einer Kerze sah Hector wie Bram stumm nickte. Er schien sein Bedürfnis nach Einsamkeit zu verstehen. Während der Ekstatiker die Tür hinter sich schloss konnte er hören, wie der Jüngere lange einatmete und langsam die Luft wieder entweichen ließ. Er kannte dieses Geräusch gut. Bram wünschte, er könne ihm irgendwie helfen und wusste doch, dass er im Moment nur hilflos zusehen konnte.

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 Betreff des Beitrags: Re: Prag I: Hector
BeitragVerfasst: Mi 19. Jul 2023, 21:30 
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Hector verließ das kleine Zimmer und ging kurz nach draußen, um die kühlere Nachtluft einzuatmen. Nach ein paar Atemzügen spürte er wie er sich merklich beruhigte und blickte zum Sternenhimmel. Nach etwa fünf Minuten ging er wieder rein.
Als Hector zurück kam war das Lager auf dem Bram gesessen hatte leer. Ein kurzer Blick in die Umgebung machte ihm klar, dass sein ehemaliger Gefährte, sich in Simons und Charlottes Zimmer befinden musste. Er erkannte den schwachen Schein einer flackernden Kerze und hörte den Klang von ihm bekannten Stimmen, die leise flüsterten.
Der Ekstatiker setzte sich erst auf seine Pritsche und entschied sich dann, sich hinzulegen. Der Tag war lang gewesen und er spürte wie langsam aber sicher die Müdigkeit in ihm hochkroch. Er überlegte kurz, ob er noch einmal zu Simon und Bram schauen sollte, entschied sich dann aber, die beiden nicht zu stören und sich auszuruhen, eine Entscheidung, die er damit unterstrich, sich hinzulegen und die Augen zu schließen.

Der braunhaarige Mann hatte das Gefühl kaum geschlafen zu haben, als Geräusche von draußen ihn weckten. Laute Kirchturmglocken schlugen zur sechsten Stunde und geschäftige Stimmen klangen durch die schlecht abgedichteten Fenster zu ihm herein. Er erkannte Bram, der auf der anderen Pritsche ruhte und offenbar einen tieferen Schlaf hatte und ein graues, ausgewaschenes Bon Jovi These Days T Shirt trug. Er hatte sich auf dem Bauch ausgestreckt, die Kopfhörer seines tragbaren CD Players waren ihm von den Ohren gerutscht und immer noch war kaum hörbar ein anklagender Song von Lincin Park zu hören.
Einen Moment lang hörte Hector dem Beat der Musik zu und stellte sich vor, dies wäre ein ganz normaler Morgen in Prag. Er würde etwas frühstücken, die Nachrichten anschauen und vielleicht eine Runde laufen gehen. Aber heute würde kein normaler Tag. Wie schon die letzten Tage nicht. Dennoch wollte er Bram nicht sofort wecken und gönnte ihm ein paar Minuten mehr Schlaf. Daher kleidete er sich leise an, zog seine Schuhe an und ging auf den Gang. Dort steuerte er in Richtung von Simons Zimmer, um zu überprüfen, ob sich bei den beiden etwas tat, vielleicht auch, um zu überprüfen, ob der Mann aus der Zukunft sein Wort gehalten hatte, oder am Ende doch einfach abgehauen war.
Hector fand die beiden anderen Zeitreisenden nicht in ihrem Zimmer, sondern draußen auf einer hölzernen Bank neben einem Zugbrunnen auf der sie saßen und Brot und harten Käse aßen. Offensichtlich hatte Simon Wort gehalten. Sie boten ihm ebenfalls an und das kleine Mädchen streckte dem neu hinzugekommenen eine Hand voll Haselnüsse entgegen. Wenig später gesellte sich auch Bram zu ihnen. Der junge Mann erschien Hector etwas schweigsamer als gewöhnlich, aber sie hatten alle zu wenig Schlaf in der letzten Nacht gehabt.
Nachdem das Frühstück beendet war machten sie sich auf den Weg zurück zur Burg und erreichten sie als die Hitze begann unangenehm zu werden und sie langsam ihre groben Leinenhemden durchschwitzten. Das kleine Mädchen, das sich einen Teil der Strecke von Bram und Simon hatte tragen lassen, eilte hastig zu dem Zimmer, in dem sie die beiden Frauen vermutete. Wenig später saßen die fünf Erwachsenen um den Tisch herum während Charlotte im Ofen die leuchtenden Tass Brocken bewunderte, sie putzte oder gegeneinander schlug, so dass lang anhaltende leuchtende Funken flogen.
Die ganze Situation wirkte auch nach all der Zeit im Jahr 1618 noch immer irgendwie unreal. Hector schaute jedem der Anwesenden kurz ins Gesicht und unterbrach dann die Stille. Mit knappen Worten berichtete er noch einmal, was sich in Prag zugetragen hatte. Er erzählte von den Söldnern und der Kabale, die offenbar über die Zukunft Bescheid wusste, nannte aber keine Namen. Dieses Detail sollte Apollonia selbst offenbaren, wenn sie es denn wünschte. Als er geendet hatte, schaute er fragend in die Runde: “Also wie geht es jetzt weiter? Haben wir einen Plan? Wir müssen schließlich auch bedenken, dass Simon nur hier ist, um uns zu helfen, nicht aber in seine Zeit zurückzukehren…” Der braunhaarige Magier schaute fragend in die Runde.
Eine ganze Zeit lang schwieg jeder in der Runde. Hector konnte sehen, dass sich Tia auf die Lippen biss. Ganz offensichtlich wollte sie widersprechen, beherrschte sich jedoch. Schließlich entschied sie sich dazu direkt auf Hectors Frage zu antworten. Ihr Wiener Dialekt wirkte nach wie vor etwas seltsam und gestellt. „Apollonia, Simon und ich waren in den letzten Tagen damit beschäftigt den Raum so herzurichten, wie wir ihn aus unseren Zeiten in Erinnerung haben. Des weiteren haben wir Orte in Erwägung ziehen können, die zur Vorbereitung des Rituals dienlich sein können.“
Bram, der sich neben Hector gesetzt hatte, zog eine Tasche hervor, griff hinein und reichte jedem einen kleinen in ein Stück Stoff eingewickelten Gegenstand. „Ich denke, die werden wir brauchen. Ich hab sowas Ähnliches mal in der Schule gemacht.“ Er beugte sich auch zu Charlotte hinunter um ihr das kleine Bündel in die Hand zu drücken und griff dann nach einem Krug mit klarem Wasser, de rauf dem Tisch stand.
Als der Stoff verrutschte, erkannte Hector den Gegenstand. Es war der kleine silberne Schlüssel mit dem all das Chaos begonnen hatte. Markanter als im Jahr 2017 waren die ineinander geschlungenen Buchstaben zu erkennen. Rot Ceh- Hector.

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Hector drehte den Schlüssel nachdenklich in seinen Händen hin und her. Er wusste nicht so recht, was er damit anfangen sollte, oder wie genau das Ritual vonstattengehen würde und wartete auf weitere Anweisungen. Seine Gedanken drehten sich allerdings auch viel mehr darum, ob es vielleicht doch eine Möglichkeit geben könnte Simon hierzulassen.
Apollonia und Tia nahmen ihre Schlüssel an und bedankten sich beide bei Bram. Gedankenverloren strich die Hermetikerin über das Metall. Darauf war eine kleine Leier abgebildet. Brams Schlüssel zierte ein Schiff. Simon sah entgeistert auf den länglichen Gegenstand, den er ausgepackt hatte. Er hielt ihn Bram hin. „Was soll das? Da steht Benjamin.“
Bram zuckte entschuldigend mit den Schultern. „Nun ja… Du bist, auch wenn es vielleicht derzeit nicht so aussieht, der jüngste von unserer Truppe. Da fand ich Benjamin passend. Aber ich schmirgel dir das auch gerne weg, wenn es dich stört.“
Simon sah noch einmal auf das Metall und schob es dann von sich. „Das wird nicht nötig sein. Ich werde nicht mitkommen.“ Hector war ohne jeglichen Zweifel klar, dass es etwas ganz anderes war, das den Mann aus der Zukunft so erschreckt hatte.
Apollonia ging nicht näher darauf ein und sah zu Hector. „Wir brauchen den Raum fertig und ich hoffe, dass Bram uns helfen kann. Er ist von uns allen der mit dem größten künstlerischen Talent. Ursprünglich waren bei den Handabdrücken Bilder zu sehen gewesen. Vielleicht bekommt er da was hin. Wir haben uns überlegt, dass wir beim nächsten Vollmond, das ist morgen, ein Gewitter erschaffen und dazu einen Blitz in das Zimmer oder zumindest in den Turm leiten müssen. Um das Gewitter zu schaffen, könnten wir die vier Elemente beschwören. Aber keiner von uns ist wahrscheinlich geschickt genug ein Gewitter lenken zu können.“
Hector hatte im Moment weder die Kapazitäten, noch die Kraft, sich mit der Masse an Simons – oder Benjamins Dämonen herumschlagen. Welche Geheimnisse auch immer der Magier mit sich herumtrug, er würde ihnen nichts erzählen, was nicht absolut nötig war. Im Stillen hoffte der Ekstatiker nur, dass nichts davon genug Potenzial hatte, ihr Vorhaben zu gefährden und sie am Ende doch für immer in dieser Zeit festzusetzen. „Was das Gewitter angeht, kann uns wahrscheinlich Jura aus Prag helfen. Sie hat ihre Hilfe zumindest angeboten und uns sogar eine Möglichkeit gegeben, sie zu erreichen.“ Hector dachte an die Brieftaube zurück. „Wäre das in eurem Sinne.“
Apollonia sah ihn an. „Ist sie vertrauenswürdig?“
Er nickte nur. "Ja das ist sie. Ohne sie hätten wir es vielleicht nicht zurück geschafft. Außerdem..." Er schmunzelte kurz. "Ist sie die Tochter eines alten Bekannten und zwar von Karst."
Der Name ließ Apollonia kurz zurück weichen und sie musste schwer schlucken. Tia wiederholte den Namen „Karst? Wirklich?“
Apollonia sah skeptisch zu Hector. „Ich weiß nicht, ob das eine gute Idee ist, aber ich vertraue dir.“ Sie sah fragend zu Bram, der zustimmend nickte.
„Jura ist sehr eigenwillig, aber vertrauenswürdig. Außerdem hat sie gute Gründe, diese Söldner genauso zu hassen wie wir.“ Hectors Gesichtsausdruck verdunkelte sich, als er an die ermordete Lydit dachte. Diese düsteren Gedanken vertreibend, schaute er dankbar nickend zu Apollonia. Dass sie ihm vertraute und dies auch laut aussprach, bedeute dem Ekstatiker viel und er war froh mehr Verbündete als Feinde in dieser verrückten Situation um sich zu wissen.
Apollonia lächelte ihm aufmunternd zu und sah dann in die Runde. „Für ein Gewitter braucht es heiße Luft, kühlere Luft, und jede Menge Energie. Sand in der Atmosphäre wäre gut, wenn wir zusätzlich Regen brauchen. Was denkst du?“
Hector musste unweigerlich lachen und diese spontan-witzige Situation vertrieb seine düsteren Gedanken vollends. „Was ich denke? Ich habe keine Ahnung, wovon du sprichst, Apollonia.“ Der Ekstatiker prustete die Worte zwischen zwei Lachsalven heraus. „Also ich denke, wir sollten machen, was immer du sagst, wenn sich jemand mit dem Zeug auskennt, dann du!“
Apollonia war etwas perplex als Hector zu lachen anfing. Offensichtlich fiel es ihr in diesem Moment nicht so leicht sich vorzustellen, dass andere Menschen nicht sie gleiche Begeisterung in ihrem Leben für Hexerrituale, Okkultes und Magiegeschichte an den Tag legten wie sie. „Mit welchen Sphären bist du am vertrautesten?“ fragte sie ihn.
Hector tat es leid, dass er Apollonia offenbar überrumpelt hatte, war das doch nie seine Absicht, weshalb er noch etwas weiter ausholte. „Meine Sphären sind Zeit und Ursprung, vielleicht noch ein bisschen Entropie, aber um die Magie ging es mir gar nicht. Ich habe einfach keine Ahnung, wie so ein Gewitter zustande kommt, oder Regen, wenn ich ehrlich bin.“ Er zuckte kurz mit den Schultern und spürte, wie sich ein gewisses Unbehagen in ihm breit machte. Er hatte seine mangelnde Schulbildung immer als etwas angesehen, womit man nicht hausieren ging. „Es war einfach so…so abstrus … dass du mir zugetraut hast, so etwas zu wissen.“
Apollonia sah ihn verwundert an, schwieg etwas zu lange und auch ihr Blick ruhte eigentlich zu lange auf ihm. In diesem Moment wurde Hector klar, dass es Apollonia schwer fiel mit jeglicher Art von zwischenmenschlicher Nähe umzugehen. Ein kleines Eingeständnis von Schwäche als Vertrauensbeweis, wie Hector es einer ‚Freundin‘ gegenüber entgegenbrachte, verwirrte sie und es fiel ihr schwer damit umzugehen. Sie wechselte auch sogleich das Thema.
„Ich könnte mit der entsprechenden Vorbereitungszeit und unseren Hilfsmitteln ein magisches Feuer kreieren, dass für warme Luft sorgte.“
Simon meldete sich zu Wort. „Ich kann mich um die kalte Luft kümmern. Das ist ein Kinderspiel.“ Er strich die Handflächen gegeneinander und es war fast beängstigend mit welcher Geschwindigkeit es in ihrem kleinen Sanktum merklich kälter wurde. Der Magier bemerkte am irritierten Blick der um ihn Herumsitzenden, dass er zu weit gegangen war, erhob sich und öffnete ein Fenster um die heiße Mailuft hinein zu lassen. Er strich mit den Fingern über die Rahmen des Fensters und Hector ahnte, dass er einen Zauber wirkte, der potentielles Zuhören nicht möglich unterband.
Tia zögerte. „Ein… Freund… hat mir einiges über Zufallsmagie beigebracht. Er ist ausgesprochen gut darin. Ich kann helfen, dass eure Zauber besser gelingen.“


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 Betreff des Beitrags: Re: Prag I: Hector
BeitragVerfasst: Mo 24. Jul 2023, 09:40 
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Dies war weder die Zeit noch der Ort, um sich tiefer mit der plötzlichen Einsicht auseinanderzusetzen, die ihm gerade bezüglich Apollonia gekommen war. Dennoch speicherte er die Situation mental ab. Die Hermetikerin war ihm wichtig und je mehr er sie verstand, desto besser. Im Moment mussten sie sich allerdings um andere Dinge kümmern und so verfolgte er das Gespräch zwischen den anderen Magiern. Sobald sich eine Möglichkeit bot, würde der Ekstatiker eine Frage stellen. „Ich bin mir unsicher, was genau ich beitragen kann. Was wird noch für das Ritual gebraucht, wofür sich vielleicht Zeit oder Ursprung eignen?“

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 Betreff des Beitrags: Re: Prag I: Hector
BeitragVerfasst: Sa 29. Jul 2023, 20:13 
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Apollonia schien ebenfalls zu überlegen. „Ich bin mir diesbezüglich auch nicht sicher. Vielleicht gelingt es dir ja die Rituale zu koordinieren. Es ist nicht einfach beides zum gleichen Zeitpunkt ablaufen zu lassen. Außerdem, falls etwas schieflaufen sollte, bist du wahrscheinlich der einzige der in der Lage ist dies ungeschehen zu machen.“ Sie wirkte zerknirscht als beharre der Gedanke, dass etwas schief laufen könne, ihr nicht.
Simon richtete sich auf und beugte sich etwas näher an die Gruppe, näher an den Tisch heran. „Ich hatte gestern viel Zeit zum Nachdenken. Ich denke, ihr solltet wissen, was mich davon abhält, zurück in meine Zeit zu wollen.“
Tia schüttelte vehement den Kopf. „Ich denke nicht, dass es gut ist, wenn du uns etwas über deine Zeit erzählt. Dies könnte unser Handeln beeinflussen.„
Simons Gesicht verhärtete sich. “Wir sind in dieser seltsamen Geschichte hineingeraten. Wir alle haben genug mit Zeit in jeglicher Art zu tun gehabt. Unsere Zeiten verschwimmen sowieso, oder?“ Er sah sie an, dann den Rest der Gruppe. „Tia? Wenn du das nicht hören willst, halt dir einfach die Ohren zu!“
Falls dieser Vorschlag Tia sinnvoll erschien, so folgte sie ihm dennoch nicht. Simon begann zu berichten und Hector erkannte viel von dem, was der Mann aus der Zukunft ihm gestern berichtet hatte wieder.
„In der Zeit aus der ihr kommt“, er sah zu Bram, Anna und Hector. „Ist Magie nur noch ein schwacher Abglanz von dem, was es einst war. Das Paradox macht fast jegliche Magie unmöglich. Technokraten sind noch in der Lage ihren Willen auf ihre Art und Weise umzusetzen, aber die wirkliche, reine Magie ist fast verschwunden. Magier haben sich über jahrtausende, wahrscheinlich 10.000 oder 100.000 von Jahren Gedanken gemacht über den Ursprung von Magie. Dabei sind sie auf die Idee gekommen, dass Zauberei nur dann wirkungsvoll ist, wenn die Menschen drumherum, die Umgebung des Zaubernden an die Magier und die Magie glaubt. Wenn keiner mehr an Zauberei glaubt, ist diese quasi wirkungslos.“ Simon Seufzte.“ Und genau dieser Umstand hat dazu geführt, dass sich Magier Gedanken darüber gemacht haben, dass man die Menschen um sich herum ändern muss um wieder wirklich machtvoll zu werden. Leider ist dies nicht ohne weiteres möglich. Menschen glauben, was sie glauben und nicht das, was man möchte, das sie glauben.
Man weiß nicht genau, woher sie die Macht genommen haben um ihre Pläne umzusetzen, aber sie waren sehr erfolgreich. Vielleicht daraus, dass sie jegliche Essenz aus ganzen Städten wie auch Prag gezogen haben. Wenn das wirklich ihre Quelle war. Im Jahr 2020 sucht eine Seuche, Corona genannt, die Menschenheim. Das ganze normale Leben der Menschen verändert sich, viele alte Leute sterben. Man erschafft eine Impfung und glaubt mehrere Jahre, die Seuche wäre vorbei. Das ist leider ein Irrglaube. Coronar war nur ein Probelauf. Die eigentliche Seuche, die ‚neue Pest‘ genannt, bricht im Jahr 2027 aus. Fast die gesamte Menschheit, mit Ausnahme von einigen 100.000, wird ausgelöscht. Hungersnöte, Kriege, Flüchtlingswellen folgen.“ Simon senkte den Blick und schwieg eine ganze Zeit lang.“ Diejenigen, die überleben sind Gläubige. Sie glauben an Magie und was noch viel wichtiger ist, an die Zaubernden, diejenigen die der Magie mächtig sind, ihre neuen Götter. Die Magier, die aus dieser Seuche hervorgehen, sind mächtig, wie kaum jemals zuvor. Sie können Regen schaffen, Blitze vom Himmel regnen lassen, ihre Feinde mit Fels Brocken steinigen. Die Menschen, die übrig sind, sind nichts weiter als Diener.“
Tia sah ihn mit weit geöffneten Augen an. „Ich möchte das nicht hören.“
Simon schnaubte abfällig. „Dann halt dir Ohren zu. In den 2050 er Jahren gibt es kaum noch Paradox. Wenn es jedoch auftritt, ist es gewaltig.“ Wieder sah er in die Runde.“ Manche glauben, das Paradox sei eigentlich eine göttliche Gabe, geschaffen die Menschen vor Unheil und Willkür zu bewahren, um sie einander anzugleichen und vor der Macht der Magier zu schützen. Manche glauben wir hätten kein Recht über normale Sterblichkeit zu herrschen. Andere sehen das anders. Es gibt unter den normalen Menschen und auch den Magi Geschichten, dass das Paradox eines Tages wieder alles verändern wird, zurück schlagen wird. Die Geschichten rühren daher, dass genau in der Zeit in denen die Gruppe ihre Macht ausbaute, die ‚neue Pest‘ über dem ganzen Erdball wütete, das Paradox die nie ereilt hat, die gegen sie gearbeitet haben. Das waren nicht viele, weil man keine Ahnung hatte, dass der Ursprung all des Elends in unseren eigenen Reihen zu finden war. Aber die wenigen hatten fast immer Glück. Fast wie ein Zeichen.“ Er seufzte. „Ich bin hier. Das Paradox hat mich nicht zurück gehalten, obwohl es das eigentlich tun müsste. Die Magier arbeiten daran die Grenzen des Paradox für Zeitmagie zu überwinden, aber bisher ist es ihnen nicht gelungen. Aber euch und mir.“ Er fixierte Tia. „und für mich ist das ein Zeichen.“

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 Betreff des Beitrags: Re: Prag I: Hector
BeitragVerfasst: Mi 9. Aug 2023, 21:20 
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Etwas ‘ungeschehen’ machen…als ob er dazu in der Lage wäre…doch bevor Hector weiter darauf eingehen konnte, wurde er von Simon unterbrochen. Im Stillen gab der Ekstatiker Tia recht, er wollte eigentlich nicht mehr über die Zukunft hören, als eh schon, aber auch Simon hatte einen Punkt. In ihrer aktuellen Situation war unangebrachtes Wissen über die Zukunft wohl eher ein geringes Problem. Mit düsterer Miene verfolgte Hector die Beschreibungen von Simon und erkannte einige Dinge, die Simon ihm bereits gesagt hatte, wieder. Es war in der Tat eine grimme Zukunft, die der Magier hier beschrieb und es war wahrlich keine Überraschung, dass er nicht zurückwollte. Simons Überlegungen zum Wesen und zur Rolle der Magie waren interessant, aber nichts davon schien ihnen beim Ritual zu helfen. Bei diesem Gedanken flammte auch die Ablehnung gegen Simon in Hector wieder auf, die er zuvor verspürt hatte. „Zeichen hin oder her, Simon.“ Er schaute den dunkelhaarigen Mann an und verschränkte die Arme. „Das scheint uns wenig zu bringen, wenn du uns ursprünglich nicht helfen wolltest, oder übersehe ich etwas?“
Simon funkelte ihn an. "Ich denke, es gibt Wichtigeres als die Frage ob fünf Magier wieder in ihre Zeit zurück kommen. 7 Milliarden Menschen sind gestorben."
Tia erhob sich und auch in ihrem Blick lag mit einem Mal Wut. Ihr 'Wiener' Dialekt war veschwunden und machte einer einfacheren 'böhmischen' Sprachmelodie Platz. "Du hast deinen Standpunkt Platz gemacht. Ob wir gewollt haben oder nicht. Du triffst deine Entscheidungen und zwingst uns auf unsere Zukunft zu verzichten. Eine Zukunft, die wir mitgestalten können. Tu doch, was du willst, Simon!" Sie wandte ihnen den Rücken zu und stürmte aus dem Saal.

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Bram seufzte, tauschte einen kurzen Blick mit Hector, dann Apollonia und stand dann ebenfalls auf. "Ich geh nach ihr sehen", meinte er knapp.
Auch Hector wurde wütend, ein Gefühl, welches er so unendlich verabscheute. Trotzdem konnte er sich nicht dagegen wehren, dass Simons Selbstgerechtigkeit ihn zur Weißglut trieb. „Was erwartest du eigentlich von uns, Simon? Dass wir alle Hoffnung aufgeben, weil die Zukunft so ein Scheißloch ist? Sollen wir uns vor Verzweiflung schluchzend auf den Boden werfen, weil das Schicksal der Menschheit so grausam ist?“ Der Ekstatiker hielt Simons Blick eisern stand. „Oder willst du eigentlich nur bemitleidet werden? Bedauert werden, wie schwer du es hattest und gesagt bekommen, dass du alles richtig gemacht machst?“ Bittere Galle stieg in Hector auf, als sich seine Gefühle Bahn brachen und er musste schlucken. „Du hast am allerwenigsten einen Grund, jetzt so empört zu spielen. Du hast es doch geschafft. Du bleibst in dieser Zeit und musst nicht dahin zurück, wohin du gehst. Herzlichen Glückwunsch. Dafür hast du uns gerade ohne mit der Wimper zu zucken unsere Zukunft genommen, ob wir wollten oder nicht.“ Hector merkte, dass er vor Wut zitterte. „Du bist ein egoistisches, selbstgefälliges Arschloch, Simon und egal was für eine Hölle deine Zeit ist, sie ist definitiv besser ohne dich dran.“
Simon fuhr in die Höhe und starrte Hector hasserfüllt an. Er öffnete den Mund um etwas zu erwidern. Der Ekstatiker konnte spüren, wie sich innerhalb eines Wimpernschlags die Energie im Raum auflud. Das Tass im ausgebrannten Ofen fing Feuer und brannte hoch mit einer viel zu hellen blau weißen Flamme, die die Luft zum Wabern brachte. Elektizität legte sich um sie wie eine Nebelbank und er war sich sicher, dass ein Fingerschnippen in diesem Raum einen Blitz entladen konnte. Der Geruch von verkohltem Holz stieg und winzige unregelmäßige Holzsplitter des in der MItte stehenden Tisches fingen Feuer. Simon zog mit ienem mal die Hände von der Tischplatte zurück und starrte auf die Handflächen, die Brandblasen aufwiesen. Er schluckte und rannte aus dem Zimmer.
Die seltsame Energie verließ den Raum ebenso rasch wie sie gekommen war. Apollonia griff nach einer der wollenen Decken und warf sie auf den Tisch, dann griff sie zu dem abgekochten Wasser und goss es in den Kamin, wo es zischend verdampfte, jedoch die Flammen löschte. Sie schwieg.
Auch in Hector geschah etwas. Die bedrohlichen, übernatürlichen Energien schienen etwas Machtvolles in dem Ekstatiker zu wecken. Etwas Altes und primordial-ursprüngliches, was dem Magier eine Standhaftigkeit zu verleihen schien, die mehr war als natürliche Trotz und der Wille zum Widerstand. Apollonia konnte klar werden, dass der Hermetiker nicht zurückgewichen wäre, bevor sie sich daran machte, die Flammen zu löschen. Als sich die Energie im Raum entlud, so schien auch Hector Anspannung zu weichen und er schaute sofort, ob er Apollonia irgendwie helfen konnte. Erst als er sicher war, dass sich die Situation wieder normalisiert hatte, sprach er die Hermetikerin an. “Es tut mir leid, dass du das miterleben musstest. Ich wünschte, ich hätte mich diplomatischer verhalten können.” Hector hätte gerne noch hinzugefügt ‘Ich bin normalerweise nicht so’, aber Handlungen haben Konsequenzen und es war noch nie jemand, der sich vor diesen versteckte oder versuchte, diese zu relativieren.
Apollonia drückte die Decke, die sie vom gelöschten Tisch genommen hatte, auf die Glut im Kamin und ließ sie einen Moment dort liegen. Dann sah sie zu Hector. "Das ist doch alles Wahnsinn. Eine in unserer Zeit bald nahende Apokalypse, Simon, der mit der Magie eines Merlin gesegnet ist, die er kaum im Zaun halten kann und wir sitzen in einem kleinen Nest in Böhmen im Jahr 1618. Vielelicht solltest du mich mal zwicken? Wird Zeit aufzuwachen, oder?" Tief sog sie die Luft ein. "Das ist, glaube ich, nicht der Zeitpunkt für Diplomatie. Ich verstehe dich, Tia, uns und ich verstehe Simon, wenn seine Geschichte wirklich der Wahrheit entspricht. NUr eine Lösung aus der... Situation ist echt nciht leicht zu finden."
Hector schüttelte nur mit dem Kopf. „Nein, ich verstehe ihn nicht. Außerdem hat er seine Lösung schon. Menschen wie Simon denken immer, dass ihnen die Welt oder das Schicksal oder wer auch immer ihnen irgendetwas schuldet. Weil sie grausames erlebt haben, oder Verlust, vergessen sie, dass es andere Schicksale gibt als die ihren. Die Tatsache, dass er machtvoll ist, macht das ganze nur noch schlimmer.“ Hector schaute zur Wand, ganz so als könnte er dahinter irgendwo Simon sehen. „Solche Kräfte machen seine Besitzer nämlich gefährlich, ob sie das wollen oder nicht, aber zum Glück neigt sich unsere gemeinsame Zeit dem Ende zu.“ Der braunhaarige Magier schwieg lange. „Wir sollten uns an die Arbeit machen.“
"Ja, das sollten wir." Sie trank einen Schluck Wasser und hielt sich anschließend an dem Holzbecher fest als würde sie einen Halt brauchen. "Ich werde sehen, was ich noch tun kann. Wahrscheinlich ist es das beste, wenn wir uns nach Sonnenuntergang wieder treffen. Jeder soll seinen Teil des Rituals durchführen. Versuch du vielleicht Kontakt zu der Magierin aufzunehmen... zu Karsts Tochter." Sie sah zu Hector und seufzte dann. "Wenn überhaupt noch jemand von uns heute Abend hier sein wird", fügte sie sarkastisch hinzu.
Der Angesprochene nickte. „In Ordnung.“ Hector ging zu der mitgebrachten Brieftaube in ihrem Käfig, um diese auf einem der Türme freizulassen. „Wir werden sehen, wie all das hier ausgeht, aber noch habe ich die Hoffnung nicht aufgegeben.“ Hector lächelte ermutigend, denn er glaubte wirklich daran.

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 Betreff des Beitrags: Re: Prag I: Hector
BeitragVerfasst: Mo 14. Aug 2023, 20:25 
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Den Vogel, den Hector aus dem Transportkäfig holte, konnte er in einem unbeobachteten Moment von einem der hohen Türme der Burg fliegen lassen. Das Tier, eine einfache Taube, gebärdete sich sobald es die Luft der Freiheit schnupperte, fuchsteufelswild und hieb nach seinen Händen und Augen. Der Blick war feindselig als es sich in die Höhe schwang und mit kräftigem Flügelschlag in der Ferne verschwand. Der junge Magier konnte sich ausrechnen, dass es wahrscheinlich bereits in ein oder zwei Stunden sein Ziel erreicht haben würde.
Den Rest des Tages war es seltsam still. Er sah keinen der Mitglieder seiner Gruppe, fand jedoch gegen Mittag einen beschriebenen Zettel, eine Seite, die man aus einer englischen Schülerausgabe von ‚The Cat on a hot tin roof‘ herausgerissen hatte. Er erkannte Brams etwas enge, Handschrift sofort. ‚Bin noch bei Tia. Denke, sie braucht Unterstützung. Bis später.“
Die nächsten Tage verliefen ohne besondere Vorkommnisse. Die Mitglieder der Gruppe waren wortkarg und vermieden jegliche unnötige Gespräche und Blickkontakt. Es gab keine gemeinsamen Mahlzeiten mehr und jeder begab sich zu Bett, wenn er vermutete, dass der andere bereits eingeschlafen war. Apollonia war, ebenso wie Tia und Simon mit der Durchführung ihrer Teile des Rituals beschäftigt, während Bram von irgendwo Pinsel und Farben herbekommen hatte, mit denen er mit gekonntem Schwung und Kopfhörer im Ohr die größte Wand des Raumes in eine riesige Leinwand verwandelte.

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 Betreff des Beitrags: Re: Prag I: Hector
BeitragVerfasst: Mi 6. Sep 2023, 21:02 
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Es fühlte sich an, wie die Ruhe vor dem Sturm. Die Stille in ihrer Gruppe war unangenehm, aber bedachte man die Umstände nicht unbedingt verwunderlich. Hector fügte sich in die Abläufe ein und suchte noch immer mehr oder weniger nach einer Aufgabe.

Am Abend des nächsten Tages traf Jura ein. Sie stand mit einem Male im von schweren Wolken verhangenen Burghof, ohne dass irgendjemand sie eintreten gesehen hätte. Auf ihrem Gesicht konnte man ablesen, dass sie sich freute Hector und Bram wieder zu sehen.
Sie wurde mit der Gruppe vertraut gemacht und ließ sich das Ritual erklären, dass diese durchführen wollte. Sie stellte allerhand Fragen und hielt ihre Meinung wie immer nicht zurück, wenn sie sie für angebracht hielt. Unsinnige Ideen wurden sofort mit spitzen Bemerkungen als solche kommentiert. Die Art der jungen Frau imponierte vor allem Tia, die man wahrscheinlich am ehesten in die sittsame, ruhige, gehorsame Frauenrolle des späten 18. Jahrhunderts erzogen hatte.
Jura erklärte sich bereit ihre Kräfte einzusetzen um den Blitz eines Gewitters in das seltsame Zimmer, dass als Zeitportal diente, zu lenken.
Am späten Abend, nach einem langen Gespräch, das irgendwann auch das Thema auf Juras Schwester Lysit und deren Tod lenkte, fragte Tia die junge Verbena, ob sie auch in der Lage wäre ihr die Karten zu legen, was diese bejahte. Apollonia riet Tia zwar davon ab, aber die blonde Magierin bestand darauf mehr über ihre Zukunft erfahren zu wollen. Wie auch bei Bram und Hector schien das Ergebnis sie nicht glücklich zu stimmen als sie am Abend zu Bett ging. Sie wirkte verstört und wälzte sich die ganze Nacht albtraumgeplagt durch den Schlaf.
Auch der Ekstatiker freute sich über das Wiedersehen. Die wenigen Stunden, die er mit der Verbena verbracht hatte, hatten sie dennoch aufgrund ihrer Intensität sehr zusammengeschweißt, wie es traumatische Geschichten so gerne taten. Hector tat sein Bestes bei den Vorbereitungen zu helfen und am Abend wurde auch er nachdenklich. ‘Ihr werdet eines Tages ein großer Magier werden und Dinge vollbringen, die sich andere kaum vorstellen können und dabei werdet ihr lange Zeit ein Suchender bleiben, obwohl fast alles, was ihr beginnt, von Erfolg gekrönt sein wird…Ihr beginnt wieder zu vertrauen und werdet dabei enttäuscht werden…’ Hector erinnerte sich an die Worte zurück, die Lydit ihm damals in Prag nach dem Legen der Karten gesagt hatte. Er war noch immer nicht gänzlich von den Künsten der Magierin überzeugt, ohne ihre Kräfte in Zweifel ziehen zu wollen. Das Vorhersagen der Zukunft war nur eben selbst für Magier, selbst für fähige Orakel, wie man sie manchmal noch im Bernsteinstrom antreffen konnte, schwierig und ungenau. Das lag nicht an den Fähigkeit derer, die es versuchen, sondern an der Zeit selbst, die sich dagegen wehrte ihre Geheimnisse so einfach preiszugeben. Hector seufzte innerlich. Er hätte Tia gerne geholfen, ihr ein paar Worte mit auf den Weg gegeben, um sie zu beruhigen, aber dafür war er nicht die richtige Person. Mit diesen Gedanken, die schwer durch seinen Geist kreisten, begab auch er sich schließlich zu Bett und schlief – wie eigentlich immer – auch sofort ein.
Der nächste Abend sollte der entscheidende sein. Tia hatte irgendetwas von Mond- und Planetenkonstellation geredet, Apollonia das besonders geeignete Wetter gelobt und Bram irgendwann in einer ruhigen Minute gewitzelt, dass es Zeit würde bevor sich alle gegenseitig an die Kehle gehen würden. Hector war aufgefallen, dass die jugendliche Variante seines früheren Partners immer wieder versuchte mit Humor oder optimistischen Vorschlägen und Bemerkungen die Spannung abzubauen, was jedoch kaum gelang. Der Zwist mit Simon lag zu sehr zwischen ihnen.
Tia war es schließlich, die ein Gespräch mit Simon wünschte und sich angespannt an den runden Tisch niederließ als alle anderen ebenfalls anwesend waren. Sie sah dem schwarzhaarigen Mann aus der Zukunft ins Gesicht und erklärte, dass sie alle, auch er selbst, wüssten, dass es ihnen höchstwahrscheinlich nur gelänge zurück in ihre Zeit zu gelangen, wenn sie gemeinsam, so wie sie gekommen waren, wieder diese Zeit verlassen würden. Einwände, die Simon mit geöffnetem Mund erwidern wollte, wurden mit einem energischen Handstreich beiseite gewischt. Tia teilte mit, dass sie nachgedacht hätte. Sie hätte als Kind des 18. Jahrhunderts mehr als genug Zeit bis zur Mitte des 21. Jahrhunderts um Informationen über die Magier in Erfahrung zu bringen, die das Schicksal der ganzen Menschheit, der Technokraten, der Traditionalisten, umzuformen gedachten. Sie griff zu einem auf dem Tisch liegenden Ritualmesser, berührte mit der Klinge ihre Daumenspitze und führte das rote Blut wie ein Kreuzzeichen auf Brust und Stirn während sie einen Schwur ableistete, dem Treiben mit allen ihr zur Verfügung stehenden Möglichkeiten ein Ende zu setzen. Apollonia zögerte einen Moment, dann tat sie es, genauso wie auch Bram, der blonden Magierin gleich. Beide versprachen ihr möglichstes zu tun. Jura beobachtete das seltsame Schauspiel, kannte sie doch nicht die Hintergründe dieses seltsamen Rituals, zuckte dann jedoch mit den Schultern und meinte knapp, dass sie nicht eher ruhen würde, bis die Mörder ihrer Schwester zur Strecke gebracht waren. Simon wirket überrascht und starrte die ihm gegenüber sitzenden wortlos an. Er schien mit vielem gerechnet zu haben, aber nicht damit.
Hector starrte zuerst ungläubig und dann wütend zu Tia. War das wirklich ihr verdammter Ernst? Er wollte Bram und auch Apollonia davon abhalten, einen solch bindenden Schwur zu leisten, dessen Auswirkungen niemand abschätzen konnte. Hector erhob sich lediglich, als er merkte, dass er der letzte war, der den Schwur nicht geleistet hatte und mehrere Augenpaare begannen in seine Richtung zu blicken. Er schüttelte mit dem Kopf. „Nein, ich werde einen solchen Schwur nicht leisten.“ Mit einem letzten, angewiderten Blick auf das Ritualmesser, ganz so als handelte es sich dabei um ein giftiges Monster, verließ Hector die Versammlung.
Hector bekam nicht mit, was die anderen in dem Raum noch besprachen. Ob es weitere Diskussionen oder hitzige Wortgefechte gab und ob ein Schwur reichte um Simon dazu zu bekommen seine Entscheidung zu ändern. Erst gegen Mittag bekam er die anderen Magier wieder zu Gesicht. Apollonia ging mit raschen Schritten durch die mit Holz überdachten Gänge Richtung Küche um wahrscheinlich etwas zu Essen für alle zu holen, Bram besorgte Wasser, Tia war unterwegs in Richtung Kräutergarten, wahrscheinlich um Zutaten für eines der Rituale zu besorgen, während Simon mit der kleinen Charlotte unter einem Baum im Schatten saß und mit einem Stock Zahlen in den staubigen Boden malte.
Jetzt war er nicht nur nutzlos, sondern auch noch ein Ausgestoßener. Prima, aber auch die unangenehmen Konsequenzen, die mit seiner Entscheidung einhergegangen waren, ließen den Ekstatiker nicht an seiner Entscheidung zweifeln. Im Gegenteil sogar, denn er ärgerte sich noch immer über Tias eigenmächtige Entscheidung. Eine Entscheidung, deren Auswirkungen niemand absehen konnte und die sich sowohl Bram als auch Apollonia ans Bein gebunden hatten, ohne auch nur Zeit zu haben, über die Konsequenzen nachzudenken. Aber dafür war es jetzt zu spät.
Hector gewann am Verhalten der anderen zwar den Eindruck, man würde ihn meiden, aber die gelegentlichen suchenden Blicke, mit denen man nach ihm Ausschau hielt, ließen ihn bald anderes vermuten. Er war jedoch in diesem Moment von der ganzen aberwitzigen Situation zu überfordert um ein Gespräch zu suchen.


Am späten Nachmittag jedoch sah er Bram am runden Tisch stehen als er eintrat. Der junge Mann war gerade dabei mehrere verkorkte Flaschen auf dem unebenen Holz abzustellen und schenkte Hector ein erfreutes Lächeln als er ihn erkannte. Der Ekstatiker wusste, dass Bram ein Meister darin war seine Gefühle zu verbergen, wenn er sie nicht zeigen wollte, aber dennoch hatte er Jahre Zeit gehabt um jede Geste des Jüngeren zu kennen und bemerkte sofort die Unsicherheit an der Art wie er ein minimales bisschen zu schnell mit dem Glas hantierte. Dennoch war seine Stimme fest und enthielt den gleichen unbeschwert lässigen Unterton, der bei diesem 18-Jährigen so oft zu hören war. „So: Ich dachte, ich mach mich nützlich und besorg dir Unterstützung für deine Magie. Wir hätten hier: Met, das selbstgebraute Zeug von den Typen auf der Burg hier, Rheinländer Wein aus dem privaten Vorrat des Burgherrn, direkt aus dem Weinkeller entwendet, und…“ Er griff nach der letzten Flasche, zog den Korken heraus und roch daran. „… ich denke, dass sollte so was wie Strohrum sein. Wahrscheinlich 80%. Mehr wirst du hier, in dieser Zeit, nicht bekommen.“ Er wartete einen Moment bevor er fortfuhr und Hector konnte hören, dass der Junge etwas nervos war. „Kommt es eigentlich auf die Qualität oder den Alkoholgehalt an? Oder auf die Promille im Blut?“ Es war mittlerweile relativ kühl in ihrer Zuflucht geworden und er trug einen dünnen Wollmantel über einem einfachen blauen Hemd des 21. Jahrhunderts.

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Schließlich ließ er sich in einem der Stühle nieder und sah Hector abwartend an.
Interessiert nahm Hector die letzte der ihm dargebotenen Flaschen entgegen und roch an dem Getränk. Es roch wirklich ein bisschen nach Strohrum, oder zumindest bildete er sich das ein. Mit einem Lächeln, auch um Bram ein wenig die Nervosität zu nehmen, begann er zu sprechen. „Mit dem Alkoholgehalt oder der Promillezahl im Blut hat es ich direkt etwas zu tun.“ Der braunhaarige Magier nahm die Metflasche und roch ebenfalls daran. „Alkohol und andere bewusstseinsverändernde Drogen sind aber dennoch großartige Hilfsmittel, um Grenzen zu überwinden. Ein Schluck, um Mut zu machen, ein Zug von einer Haschischpfeife, um die Welt anders wahrzunehmen. Irgendetwas, was dir hilft den ersten Schritt zu machen, dich ermutigt, das, was du kennst, hinter dir zu lassen, um neue Dinge zu gestalten und zu kreieren.“ Er schaute den Jüngeren kurz mit einem Schulterzucken an.
„Ich weiß, das ist vielleicht nicht unbedingt das gesündeste Vorgehen, aber diese Art und Weise, die Realität zu verändern, ist sehr alt und meine Kräfte sind generell immer sehr ursprünglich. Blut, Spucke, Sperma, Meditation, Gruppenrituale und Musik funktionieren auch ziemlich gut. Klassiker, wenn man so will, die in jeder Epoche und in jeder Tradition zwar etwas anders interpretiert werden, aber doch irgendwie zeitlos sind.“ Hector schnappte sich die letzte Flasche und zeigte sie Bram. „Darüber hinaus ist Alkohol aber eine gute Repräsentation von Zeit. Die Sphäre ist relativ esoterisch und Zeit greifbar zu machen ist nicht immer einfach. Gut abgelagerte Weine, Jahrzehnte alte Whiskys, selbst der Prozess der Fermentation an sich, macht aus so einem einfachen Produkt für den Eingeweihten mehr aus so einer Flasche Fusel – nämlich verkorkte Zeit.“ Hector lachte. „Naja oder zumindest stelle ich mir das so vor. Das ist ja bei jedem ein bisschen anders und funktioniert trotzdem.“

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„Verkorkte Zeit? Was für eine krasse Idee.“ Bram sah zustimmend in Hectors Richtung und nickte. „Absolut nachvollziehbar. Und sie geht direkt ins Blut.“ Er grinste, goss sich einen großen Schluck Met ein und leerte den Becher. „Und ich verstehe, wenn mein Vater, dessen Tradition ebenfalls die Ekstatiker sind, mich anhält mich in Sachen Magie eher an meine Mutter zu halten mit der ich in den letzten 18 Jahren so gut wie nichts zu tun hatte.“ Er lachte. „Spucke, Sperma, Gruppenrituale, Alkohol, Drogen… das ist nichts mit dem man den Nachwuchs unnötig in Versuchung führen will.“ Der junge Mann wurde ernster. „Hector? Ich hab das Gefühl, dass die ganze Sache hier dabei ist aus dem Ruder zu laufen. Tia, Simon, die Kleine, du, Apollonia und ich, wir sitzen alle im selben Boot und sind, warum auch immer, in einer Zeit gelandet, in die wir nicht gehören. Anstatt dass wir zusammen halten, machen wir uns gegenseitig die Hölle heiß, überschütten uns mit Vorwürfen und reden aneinander vorbei.“ Der junge Mann drehte den Becher nachdenklich in den langen Fingern und suchte nach den richtigen Worten. „Für die Menschen da draußen sind wir sowas wie Außerirdische, was uns das Leben nicht erleichtert, und zusätzlich hat es sich irgendjemand in der Zukunft zum Ziel gemacht alles über uns heraus zu bekommen und uns ins Jenseits zu befördern. Irgendjemand, wahrscheinlich die Typen, vor denen Simon solche Angst hat, fürchten uns und sie setzten alle in ihrer Macht stehenden Mittel ein um uns zu finden. Und weißt du was?“ Für einen Moment wurde sein Griff so fest, dass die Knöchel weiß hervortraten. „Ich weiß nicht, was in der Zukunft noch passieren wird, was wir anstellen werden, aber ich hoffe, sie fürchten uns zu recht. Nach allem, was wir in Krumau und Prag erlebt haben, mit welchem Kalkül und welcher Brutalität sie vorgehen: Ich will diesem Scheißkerl in die Suppe spucken, ihn fertig machen für die Scheiße, die er hier, in unserer Zeit und in der Zukunft abzieht.“ Er sog die Luft ein und ließ sie langsam entweichen ohne Hector aus den Augen zu lassen. „Du denkst, wir sind Idioten, weil wir Simon versprochen haben, diesen Arschlöchern die Pläne zu durchkreuzen. Dass ich das nur getan habe um Simon dazu zu bewegen mit uns das Ritual durchzuziehen. Das kann ich verstehen.“ Er zögerte einen Moment. „… aber das ist nicht der eigentliche Grund: … ich will nicht, dass sie mit irgendetwas Erfolg haben. Ich will, dass sie uns jetzt und in unserer Zeit in Ruhe lassen, denn ich wette, dass sie auch 2001 nicht aufhören werden uns zu suchen, dass ihnen das Paradox den Hintern anzündet, wenn sie mit Vergangenheitsmagie rumspielen… und ich will euch wieder sehen um diesen Scheißplan in die Tat umzusetzen.“

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Der Weg zum Ziel beginnt an dem Tag, an dem du die hundertprozentige Verantwortung für dein Tun übernimms.
Dante Alighieri


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 Betreff des Beitrags: Re: Prag I: Hector
BeitragVerfasst: Do 7. Sep 2023, 11:01 
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Hector seufzte tief. Er konnte die Beweggründe des jüngeren Magiers verstehen, aber dennoch lag für seinen Geschmack zu viel Aktionismus in den Worten seines Gegenübers. „Ich kann und möchte dir nicht vorschreiben, was du tun oder lassen sollst. Das ist nicht meine Art und es wäre schon lange zu spät dafür.“ Er schüttelte entschuldigend den Kopf. „Alles, was du gesagt hast, kannst du – können wir – immer noch tun, ohne uns magisch an eine Sache zu binden, deren ganzes Ausmaß wir überhaupt nicht abschätzen können.“ Der Ekstatiker atmete tief ein und schien nach Worten zu suchen. „Ich weiß, du liebst die Magie und was sie repräsentiert, aber es gibt auch eine andere Seite, denn diese Dinge haben immer einen Preis – manchmal mehr als wir uns vorstellen können.“ Hector suchte Brams Blick. „Ich glaube wahrlich nicht, dass ihr Idioten seid. Aber ich denke, ihr habt zu schnell, zu viel versprochen, ohne dass es nötig gewesen wäre. Dieser Schwur war ein Fehler und es tut mir leid, dass ich dich und Apollonia nicht davon abhalten konnte. Ich werde euch helfen, wo ich kann, um von hier wegzukommen, aber ich weiß nicht, ob dieser Kampf in der Zukunft meiner ist.“

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- Do not go gentle into that good night. Rage, rage against the dying of the light. -


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