Mi 8. Nov 2017, 13:53
Der alte
im Hintergrund des etwas heruntergekommenen Lokals zauberte eine beinahe nostalgische Atmosphäre, die einem das Herz hätte erwärmen können, wäre da nicht die einfache Tatsache gewesen, dass selbst die Klänge der schönsten Sinfonie nicht darüber hinwegtäuschen konnten, dass der Laden schon weitaus bessere Tage erlebt hatte. Dieser simple Fakt, ließ sich passenderweise aber auch mühelos auf den Rest der teilweise lichterlosen Stadt übertragen; Detroit hatte schon einmal besser ausgesehen.
Bei Tag, als auch bei Nacht. Zumindest von letzterem, hatte Richard Kane, ehemaliger Zögling einer wohlhabenden Industriellen-Familie, mittlerweile einen umfassenden Eindruck erhalten, auch wenn er und seine Rudelkameraden gerade mal drei Monate die verschmutzten Straßen dieser urbanen Einöde unsicher machten. Leicht war es nicht gewesen, als er damals mitgeteilt bekommen hatte, die Firma seines Vaters hatte Konkurs anmelden müssen und noch umso schwerer war es, all die leichten Mädchen, die schnellen Autos und das feinste Kokain von hier bis Miami aufzugeben aber das Schicksal verteilte manchmal gnadenlose Tiefschläge. Mittlerweile hatte er sich daran gewöhnt. An all das Blut, den Lärm, die sinnfreien Gespräche der Saftbeutel und billigen Flittchen, die nicht einmal ansatzweise der Klasse eines Kane würdig waren. Wie lächerlich sie alle ihre kleinen, unbedeutenden Leben lebten und auch noch zufrieden damit schienen. Zugegeben, leicht war es nicht gewesen als ihn sein Erzeuger damals in Michigan beinahe das Genick gebrochen hatte, gleich nachdem er mit dieser rothaarigen Nutte fertig gewesen war. Aber Wunden heilen schnell, vor allem jetzt, da man sich das Zwei-Klassen Gesundheitssystem getrost schenken konnte. Den alten 69er Dodge Charger, der hinter der Bar parkte, hatte er dennoch nicht aufgegeben. Weder bei der Belagerung von Phoenix, noch im Schützengraben bei El Paso, als sie die Gesäßbacken der Anarchen mit einem nachhaltigen Stiefelabdruck versahen.
Dafür hatte er sich seine Sporen verdient, nachdem er zuvor mehrere Jahre lang den Arsch irgendeines abgefuckten Gigolos hatte küssen müssen. Die Rohrbombe hatte dem ein Ende gesetzt, genauso wie dem Rest seines Rudels; diese Revoluzzer aus den Freistaaten waren wirklich findige Bastarde. Einerseits war die Angelegenheit schon ernüchternd gewesen, auf der anderen Seite hatte er aus Mangel an Alternativen sogleich ein Kommando übertragen bekommen – und Verstärkung. Sein Blick fiel auf die junge Frau ihm gegenüber auf dem ausgefransten Polsterbezug der Sitzecke. In ihren gelangweilten Augen spiegelte sich eine kaum zurückgehaltene Aggression wieder, die auf blutigen Tatendrang pochte und jeden Moment auszubrechen drohte. Brujah, man musste sie einfach lieben. Immerhin hatten sie es fertiggebracht, ein altes Wohnhaus mit Garage soweit wieder flott zu bekommen, dass es eine brauchbare, relativ sichere Zuflucht abgab. Natürlich mussten die Sprengfallen und Überwachungssysteme noch installiert werden aber nachdem sie den letzten Hausbesetzer und seinen stinkenden Hund stückchenweise im Viertel verteilt hatten, war die Message selbst beim hirnlosesten Penner und Drogendealer angekommen. Hier regiert der Sabbat, wer Einwände einbringen mochte, war gerne dazu aufgefordert auf einen Sprung vorbei zu kommen. Richard war Duktus, und er hatte nicht vor weiterhin ein unbekanntes Gesicht in der wimmernden Masse aus trostlosen, wenig ambitionierten Lutschern zu werden, die beim ersten Anlauf wie ein Silvesterböller verpufften. Sein Blick fiel auf die leicht zerkratzte Armbanduhr und dann zu Angelica, während er den abgestandenen Cognac schwenkte in dem sich langsam die Eiswürfel verflüssigten.
Angelica oder auch „Death Angel“ Angelica, wie einige sie nannten war die Personifizierung einer schlagkräftigen Privatarmee. Sehnig, durchtrainiert und für keine Schlägerei zu schade. Immerhin gab es Kiefer zu brechen, Beine abzureißen und ein Statement deutlich zu machen: ‚Leg dich mit mir an – bitte‘. Das Thema ‚Auseinandersetzung‘, spiegelte sich nicht nur in ihren Blicken, sondern passenderweise auch in ihrer Biografie wider. Nach einem vorprogrammierten Rausschmiss aus dem College, trat sie dienstbeflissen und aus Mangel an Alternativen der Army bei und verlieh dem Ausdruck ‚Amazone‘ eine völlig neue Bedeutung. Kollegen die der ganzen ‚Frauen beim Bund‘-Sache eher ‚kritisch‘ gegenüberstanden, wurden verbal und auch physisch immer wieder gerne darauf hingewiesen, wie unqualifiziert ihre Meinung doch war. Blaue Flecken und Schürfwunden waren bei diesen Meinungsverschiedenheiten noch das geringste Übel und nachdem sich zu dieser Gewaltbereitschaft, noch eine tiefe Abneigung gegen Autoritäten abzeichnete und diverse psychologische Schulungsprogramme auch keine Abhilfe schafften, reihten sich nach und nach verschiedene Disziplinarverfahren ein. Am Ende gab es sogar eine unehrenhafte Entlassung, die stilecht mit einem emporgereckten Mittelfinger beantwortet wurde. Dass ihr damit sogar der letzte Sold gestrichen wurde, war nur mehr von untergeordneter Bedeutung für Angelica. In den nächsten Jahren hielten sie einige schlecht bezahlte Jobs über Wasser, bis sie erneut in den Staatsdienst eintrat: Diesmal als Justizbeamte in Guantánamo. Was sich die Insassen gegenseitig manchmal antaten war schon bemerkenswert aber irgendwie hatte das auch seine Vorteile. Immerhin konnte sie dadurch ausgiebig von ihrem Teleskopschlagstock und den Gummigeschossen Gebrauch machen. Sie zeigte dabei jedoch abermals so viel Eifer, dass ihr weiterer Verbleib in der redlichen Position als ausführendes Organ des Gesetzes „nicht wünschenswert“ war, wie es im Abschlussbericht vermerkt wurde. Ein paar Streifzüge durch die eher gefährlicheren Teile Südamerikas und dem Drogen-Eldorado der versifften Städte, brachten sie dem organisierten Verbrechen oder genauer gesagt: dem organisierten Morden näher. Wie es in der Natur der Sache liegt, brachte sie dies aber auch dem Sabbat näher und ihre Erzeugerin schien im Zuge des Palla Grande gerade in besonderer Feierlaune zu sein, wodurch Angelica sich erneut in den Dienst einer ‚gerechten Sache‘ stellte. Wobei diese Sache alles bisher dagewesen an Bösartigkeit und Menschenverachtung bei weitem übertraf. Bisher war sie lediglich ein Mensch gewesen, der sich mit Menschen anlegte. Jetzt spielte sie in einer gänzlich anderen Liga. Aber sie wäre nicht der „Death Angel“ gewesen, wenn sie nicht auch dieser neuen Herausforderung nimit frischem Elan und begeistertem Tatendrang entgegensah, was sich ebenfalls wie bei Richard in der Belagerung von Phoenix widerspiegelte. Als Speerspitze des Kreuzzugs säte sie Chaos und Verwirrung, sorgte für strategische Ablenkung und einen großen Haufen dampfender Leichen. In der Army hätte sie einen Verdienstorden bekommen, im Sabbat hatte sie sich durch ihre Taten der Ehre des Untodes als würdig erwiesen. Nur wenig später wurden die Überlebenden der Belagerung zu neuen Rudeln zusammengefasst und so lernte sie Richard kennen, der ihr als Duktus vorgestellt wurde.
Ebenso war eben erst kürzlich ein neuer Bruder zu ihrem noch recht frischen Rudel hinzugestoßen. Ein Schwarzer namens Jackson Lafayette, der den weiten Weg aus New Orleans auf sich genommen hatte um den fehlgeleiteten Schäfchen im Norden die spirituelle Erleuchtung näherzubringen und sie auf den blutigen Pfad erlösender Monstrosität zu führen. Oder anders ausgedrückt: Er war ein ziemlich gerissener Rudelpriester, der sich leidenschaftlich gern mit diesem echt üblen Vodoo-Zeug und allerlei anderem kranken Scheiß beschäftigte. Der von der Sorte, der dann auch tatsächlich funktionierte und nicht nur zahlwillige Vollidioten um ein paar zerknitterte Dollar erleichterte, um ihnen ein dümmliches Grinsen ins Gesicht zu zaubern. Die Kunst des gechillt Labern und dabei vollmundig Auftragen hatte er da schon bei seiner Mama zu Lebzeitenn gelernt; das Blut, die toten Katzen und die Schrumpfköpfe kamen erst später. Lange her. Das hatte er früher gemacht, als er sich der wahren Sache noch nicht verschrieben hatte. Früher hatte er auch um das Klischee des dealenden Schwarzen dick mit Rot zu unterstreichen auch regelmäßig Stoff von den Cubanern gestreckt und vertickt. Es gab kaum einen Club den Jackson nicht kannte und kaum ein reiches Müttersöhnchen mit zuviel Geld und billigen Huren im Gepäck, die ihn nicht kannten. Alle kauften, Jacky ließ es sich richtig gut gehen, bis der letzte Schuss ihn geradewegs in den Himmel zu flashen drohte. Da hatte natürlich jemand eifersüchtig nachgeholfen. Wenigesten bewahrte ihn seine Erzeugerin davor den Hintern des Herrn allzu früh zu küssen und sein bemerkenswertes Talent zur durchtriebenen Bösartigkeit und Metaphysik damit zu verschwenden. Ein paar Auseinandersetzungen und eine Belagerung später war er ein wahrer Sabbat-Anhänger, frisch erwählter Rudelpriester und völllig auf sich gestellt. Der Rest seines Rudels hatte nämlich diesen genialen Plan, den Alten aus der Nachbarstadt herauszufordern ein klein wenig übertrieben. Jackson hatte an jenem Abend gerade Koks mit Mehl und einer Prise Puderzucker gestreckt und war nicht da gewesen; da hatte der Teufel schützend die Hand über ihn gehalten. Seitdem hatte es ihn fast verzehrend nach Norden gezogen, wo er schlussendlich bei seinen derzeitigen Rudelgefährten gelandet war. Immerhin, sie waren mittlerweile wenigstens zu dritt.
Der örtliche Bischofsrat, hatte jedoch bereits verkündet ihnen demnächst ein wenig ‚Frischfleisch‘ zukommen zu lassen und bis dahin lediglich die sanfte Order erteilt, Detroit weiterhin eisern zu halten und das Einflussgebiet der Sekte nach Möglichkeit zu erweitern. Schließlich war Detroit noch immer der Amboss auf den der Hammer Montreal Einschlug, während die verzweifelten Günstlinge der Camarilla unter knochenbrechender Gewalt zermalmt wurden. Zumindest in der Theorie des allgemeinen Standpunktes unter der Riege des Führungskomitees der Bischöfe, von denen die drei Kainiten erst einen, den Lasombra Emilio Juarez, persönlich getroffen hatten. Abseits der misstrauischen Blicke der anderen ortsansässigen Rudel, dem naturgemäßen, politischen Geplänkel und des großen Pläneschmiedens, hatten die getreuen Sabbat-Krieger gerade ausgiebig Zeit sich Detroit etwas näher anzusehen, ihren Einflussbereich abzustecken und sich für die ‚gute Sache‘ zu verdingen. Es war ein offenes Geheimnis, das Detroit als ein großer Umschlagplatz für Waffen aus dem Süden und ‚Materialreserve‘ im Kampf gegen den verhassten Elfenbeinturm diente und die rivalisierenden Banden der Umgebung, für die Pläne des Schwert Kains eingespannt wurden. Wichtig war dabei ein relatives Gleichgewicht der Saftbeutel, damit sie sich kontinuierlich selbst die Schädel einschlugen und nicht zu übermütig wurden, selbst wenn die Polizeiarbeit in Detroit anhaltend als Negativbeispiel große Schlagzeilen machte. Ein knapper Besuch bei einem sterblichen Kontaktmann Richards, dem ständig unter Drogeneinfluss stehenden Steve Betowsky, fiel der Name Lenny Hanson. Steve hatte im Zuge eines seiner schlecht bezahlten Artikel über das Rotlichtmilieu der Stadt, mit einer Prostituierten gesprochen die ihm ein paar Delikate Informationen über den mehrfach vorbestraften Mann lieferte. Lenny Hanson war als Mitglied der Biker-Gang „Skullz & Bones“, hauptverantwortlich für den Handel mit Menschen und Drogen im kleinen Stil, wodurch eine ansehnliche Summe Eigenkapital entstand, die wiederum in Waffen und Motorräder investiert wurde. Von berauschenden Partys ganz zu schweigen. Als Zuhälter ließ er es sich gut gehen und räumte gelegentlich auch ein wenig Geld zur Seite, für die ‚harten Zeiten‘. Das Mädchen, das er eines nachts fast totgeprügelt hatte, war in die rettenden Arme einer rivalisierenden Gang gelaufen und wusste im Gegenzug zu großzügigen Schutzversprechungen zu berichten, das ‚Big Lenny‘ angeblich ein ganz besonders dickes Geschäft an Land gezogen hätte. Er hatte ihr gegenüber angeblich behauptet, dass er seiner Gang davon nichts erzählen würde aber bald schon würde er zu einem echten ‚Big Player‘ aufsteigen, dann wäre dieses lächerliche Drogengeschäft bald Schnee von gestern. Worum es dabei aber genau ging, wusste die völlig verängstigte Frau auch nicht zu berichten. Steve bot ihr verlässlichen Polizeischutz an, den sie besseren Wissens annahm und nur zwei Tage später, fand man ihre Leiche in einer öffentlichen Mülltonne. Laut Steve war sicher Lenny an dem Mord beteiligt gewesen, der damit ein sichtbares Zeichen setzen wollte, was Mädchen passiert die sich seinem Einfluss entziehen wollen. Ein paar Gramm feinsten Verschnitts später, war Steve bereits wieder in der heilen Welt seiner eigenen halluzinogenen Vorstellungskraft, während Richard, Jackson und Angelica weitere Erkundungen eingeholt hatten und das Etablissement, in welchem Lenny verkehrte, ausfindig machten.
Was sie genau von Lenny wollten, war augenblicklich schwierig zu sagen aber, wenn hier tatsächlich ein richtig großer Deal lief, dann war es besser zu wissen war davon profitierte und in welcher Art und Weise. Schlussendlich stellte sich auch die Frage, ob nicht auch der Sabbat ein wenig davon mitnaschen könnte, wenn hier ein wahrlicher Leckerbissen zu finden war. Zudem war es immer gut ein paar Asse im Ärmel zu haben und sich gut mit der Führungsriege zu stellen. Gangkriege waren in Ordnung, solange die Dirigenten dieser blutigen Saftbeutel-Aufführungen ein wachsames Auge über ihr Revier hatten. Entweder die Kapelle spielte nach den Regeln des Sabbats oder überhaupt nicht. Eine Stunde lang saßen sie nun schon in dieser schäbigen Spelunke und die Musik wurde einfach nicht besser, was sich auch nach und nach auf die Stimmung niederschlug. Gegenüber führte eine schmale Seitenstraße, die mit Müll zugestopft war zu dem unauffälligen Gebäude, in welchem Lenny seine illegalen Huren beschäftigte. Der Ort war nicht allgemein bekannt, zumindest nicht offiziell aber jeder der ein wenig länger in dem dämmrigen Elend von Detroit verbracht hatte, wusste das es derartige Lokalitäten quer über die ganze Stadt verteilt gab. Bisher war ‚Big Lenny‘ nicht aufgetaucht aber allzu lang konnte es wohl nicht mehr dauern. Aus informierten Kreisen, hatten sie in Erfahrung bringen können, dass seine Biker-Brüder gerade eine ihrer stinkenden Partys in einer halb verfallenen Lagerhalle feierten. Lenny würde also zuerst hier abkassieren und dann Nachschub an Bier und Schnaps besorgen, soviel stand fest. Nur noch ein kurzes Weilchen Geduld.