Mo 29. Apr 2019, 21:40
Grell war das geradezu penetrant künstliche Neonlicht tatsächlich und die beruhigende Schwärze der finsteren Nacht oder einer verspiegelten Sonnenbrille waren dieser ekelhaften Verstrahlung definitiv vorzuziehen aber immerhin ging es hier um ein wichtiges Scheingeschäft mit Blutbeuteln. Und dazu nicht nur um irgendeine Art von belanglosem Geschäft, sondern eben sein Geschäft. Das Geschäft mit dem bunten Reigen aus lustigen und weniger lustigen synthetischen, gepressten, flüssigen und verdampfbaren Substanzen. Ein Panorama ungeahnter Möglichkeiten tat sich da vor ihm auf. Und was immer er richtig gemacht hatte - waren es seine unglaublich lässige und erfahrene, weltmännische und kompetente Ausdrucksweise, der Stil seiner Jacke oder die Art wie er sich geradewegs den offenbar richtigen Ansprechpartner hinter dem nach Nudeln stinkenden Tresen herausfischte - das Gesicht des jungen, in fettige Schürze und Papphütchen gekleideten Asiaten mit der Suppenkelle, verzog sich innerhalb weniger Augenblicke zu einem bemerkenswert ehrlich wirkendem Lächeln. Da hatte wohl einer soeben die Karrierechance seines Lebens gewittert und war vollends überzeugt vom Angebot der Schlange. Wahrscheinlich malte der Bursche sich eine wohlwollende Provision oder zumindest ehrenhafte Nennung innerhalb der Familie aus, falls er Jackson den Weg ins gelobte Land zeigte.
Und genau das tat er, ohne auch nur eine weitere Frage zu stellen. Sich breit grinsend etwas über die Verkleidung des Tresens nach vorne beugend, flüsterte er Jackson verschwörerisch zu: „Hier nimm das und geh nach hinten zu den Toiletten. Bieg dann links ab in die Küche und zeig das hier vor. Damit kommst du in den Salon. Waffen und Handy musst du abgeben Bruder aber das sollte dich nicht weiter stören. Geht schließlich ums Geschäft oder?“ Zwinkernd händigte er Jackson eine Papiertüte mit aufgedruckten chinesischen Schriftzeichen aus, die wohl ursprünglich dazu gedacht war verführerisch fettige Nudeln mit nach Hause nehmen zu können. Darin befand sich nach knapper Überprüfung allerdings nicht das ‚Tuesday Special Menü‘ mit einer Dose Cola-light, sondern ein kleiner, unscheinbarer, asiatischer Plastikdrache wie man ihn wohl in jedem billigen Souvenirladen hätte kaufen können.
Möglicherweise war dieser eine Art Eintrittskarte. Vielleicht sogar ein VIP Backstage Pass, dem beständigen Grinsen des Burschen zu urteilen. Erfreulicherweise gingen die genuschelten Worte des Asiaten, im allgemeinen Klappern von Tellern, Zischen von heißem Fett und dem regelmäßigen Hacken von Küchenmessern beinahe unter. Nicht das sich einer der anderen Schlitzaugen-Kollegen oder der fette Biker wirklich intensiv für Jackson oder das Gespräch interessiert hätten. Er war hier offenbar lediglich Kunde und ein weiteres, namenloses Gesicht, das bald wieder vergessen wäre. Immerhin konnte die Schlange aber nun gleich ungehindert den ‚Salon‘ betreten, was immer das auch sein mochte.
Die beiden gestylten Asiaten, die zuvor am Tresen bedient worden waren, hatten indessen ihre fernöstlichen Köstlichkeiten in großen Papiertüten verstaut unter den Arm geklemmt, und waren mit einem unverständlichen Gruß, der sich in etwa anhörte wie ‚cho den luc do‘, zur Tür hinaus geschlendert…
… wo sie auf die Gruppe ihrer offensichtlichen Freunde bei den nach wie vor hell erleuchteten, musiktechnisch aber abrupt verstummten, Subarus zuhielten. In ihren Gesichtern zeichnete sich eine gewisse Verwunderung und merkliches Misstrauen ab, als sie die Silhouetten von Richard und Angel in der Dunkelheit ausmachen konnte. Letztere waren aber nach wie vor gerade in ein erquickendes Gespräch mit ihrem neuen Vietnamesen Buddy vertieft, der ungebrochen angetan von den Rudelmitgliedern zu sein schien. Von Richard, weil er irgendwie ein echt geiler Typ mit Eiern in der Hose zu sein schien und Angel, weil sie sich ihm gerade gekonnt an den Hals warf und irgendwie abgedreht Hardcore wirkte. Und wenn sie Richards Freundin war, dann musste sie doch was draufhaben. Anders konnte es ja gar nicht sein, das gebot die Logik der grenzgenialen Schlussfolgerung. Eifrig nickte er in Richtung von Angel und es war ihm eindeutig anzusehen, dass er sich schon detailreich ausmalte wie sie ihm bei 180 mit Wonne einen blasen würde. Die halb nuttig, halb stylish und ziemlich überbetont geschminkten Asia-Mädchen im Hintergrund, reagierten auf Angels sinnlich-lüsterne Verheißungen und dem Kopfkino voller perverser Freuden, nur mit eiskaltem Schweigen und noch größerer Unsicherheit. Nicht zuletzt deswegen waren die Gänschen auch ein gutes Stück näher aneinandergerückt und warteten irgendwie in einer Art unsicheren Schockstarre das Ergebnis dieser nächtlichen Begegnung ab. Richard hingegen durfte sich ungehindert an der Proleten-Schaukel des Jugendlichen anlehnen und den beiden Jungs im Anschluss den Arm auf die Schulter legen. Das Schlitzauge, dem er zuvor seine Präsenz in die Gehirnwindungen gedrückt hatte, empfand das sogar als ziemlich cool. Der andere… nun ja… weniger. Mittlerweile schon leicht verärgert, versuchte der Junge trotz der aufgezwungen ‚freundschaftlichen‘ Geste genügend Abstand zwischen sich und den Ventrue zu bekommen.
„Alter… was soll der Scheiß?“, fuhr er seinen noch immer dümmlich grinsenden Freund erneut an, der beim Blick auf Angel und die anderen beiden Mädchen, sowie der Aussicht auf eine fette Ausfahrt mit einem echt coolen Typ voller ‚Leidenschaft‘, nur noch begeisterter wirkte. Er machte sich auf zur Fahrertür und riss diese auf, bedeutete Richard und Angel bei ihm einzusteigen: „Geile Idee Alter, steig ein. Ich zeig dir was ich aus der Kutsche rausholen kann!“ In Richtung seines Kumpels fluchte er nur laut: „Ach fick dich doch Mann! Die Karre gehört mir und ich kann damit machen was ich will klar?“ Er machte eine wegwerfende Handbewegung. „Die beiden sind cool ok? Ich weiß das, ich kann Pisser und gute Leute voneinander unterscheiden, das is ne Gabe“, führte er weiter aus. Sein Freund schüttelte nur mit geweiteten Augen und ungläubigem Blick den Kopf. „Du bist high verdammt, die sind noch nicht mal mit dem Zeug zurück und du bist jetzt scheinbar schon high du Volltrottel.“ Bevor das Wortgefecht weitergeführt werden konnte, mischte sich eine weitere Stimme hinter Angel und Richard in das Gespräch ein. Die beiden Vietnamesen aus dem Fusion, waren mittlerweile mit ihren prall gefüllten Papiertüten bei den Fahrzeugen angekommen. Sie unterschieden sich in Alter und Kleidungsstil nicht maßgeblich vom Rest des Haufens und hätten alle irgendwie armeselige Brüder sein können.
„Was geht denn hier ab?“, fragte ein hochgewachsener Typ mit Lederjacke, der ebenfalls an einer Kippe zog. Der aufgebrachte Freund am Wagen, wechselte beinahe wie von selbst wieder in diese hektische, abgehackte Chinesen-Sprache. Wahrscheinlich war es vietnamesisch, aber egal ob japanisch, chinesisch oder was auch immer, es war derselbe unverständliche Mix aus irgendwelchen Lautmalereien, die kein Schwein außer den Schlitzaugen selbst verstand.
Was folgte war ein Moment, den man häufig im Ausland erlebte, wenn man den Hotelfernseher anmachte und irgendeine Serie in einer unbekannten Sprache lief, die mit viel Gestik und Dramatik scheinbar irrsinnig emotional Aufwühlendes runterspulte, dass keinen Sinn zu geben schien, aber einen zumindest für ein paar Minuten verwundert fesseln konnte. Eine gute Zeit lang gingen die fremdländischen Wortfetzen hin und her, es wurde laut und hektisch. Schließlich machte die gerade erst angekommene Lederjacke eine abwehrende Handbewegung und überdrehte die Augen. „Ok fuck na gut. Wenn du die Typen mitnehmen willst ist das deine Sache Mann, is deine Karre und deine Entscheidung. Bei mir steigen die auf jeden Fall nicht ein. Und wir fahren jetzt erstmal nirgendwo hin. Wofür hab ich uns die ganze Scheiße hier denn sonst besorgt? Willst du einen Fressflash kriegen? Iss was, dann fahren wir in den Club Mann. Und beruhig dich verdammte Scheiße oder du kriegst gar nix von unserm Zeug ab, nicht mal einen kleinen Sniff ok?“ Mürrisch und seufzend betrachtete die Lederjacke nacheinander Angel und Richard, während sie das soeben gekaufte China-Fast-Food in kleinen Plastik und Papierschachteln an die beiden noch immer schweigenden und ängstlichen Mädels verteilte und ihnen dabei etwas in der fremden Sprache zuflüsterte. Wahrscheinlich waren es irgendwelche beruhigenden oder aufmunternden Worte. Da sprang wohl augenscheinlich ein wenig der männliche Beschützerinstinkt an. Lederjacke selbst begann danach in aller Seelenruhe seine Nudeln zu verspeisen, die scharf nach Curry und Gemüse rochen; ließ dabei die beiden Sabbati nicht aus den Augen. Die anderen begannen alle ebenfalls sich zu bedienen und den großen Papiertüten dampfende Nudeln und Hühnchen zu entnehmen. Die Mädchen aßen langsam und mit wenig Appetit, der Rest bemühte sich den Anschein totaler Entspannung zu bewahren.
Der Asiate, den Richard sich gewogen gemacht hatte, zuckte daraufhin auch nur resignierend mit den Schultern und schnappte sich seine Portion. „Ja, hast ja recht. Lass uns was essen und dann fahren wir.“ Lächelnd kam er mit einer kleinen Schachtel heiß-gebratener Entenstücke in süß-saurer Soße zu den beiden Kainiten und hielt sie Richard unter die Nase. „Hier, ihr könnt auch was abhaben. Sorry ey aber, er hat schon recht. Wir müssen noch was essen bevor wir einen draufmachen gehen ok? Danach geben wir aber richtig Gas versprochen. Dann sprengen wir die Schallmauer. Und danach…“ Er sah grinsend zu Angel. „… lassen wir noch was anderes so richtig abgehen. Wenn du willst.“ Die anderen Asiaten verputzten weiterhin schweigend ihr Essen und der Lederjacke war es am deutlichsten anzusehen, dass er währenddessen die ganze Zeit darüber nachdachte, wie er Angel und Richard loswerden könnte. Wo immer es demnächst hingehen würde, er hatte offenbar genauso wie die Mehrheit der Gruppe keine Lust die beiden auf die Party mitzunehmen. Die ganze Situation wäre ja schon irgendwie witzig gewesen und war, wenn man es recht bedachte, auch ziemlich alltäglich. Ein Haufen Party-Kiddies die sich vom Schnellimbiss was zu futtern holten, bevor sie in ihren angesagten Klamotten die Clubmeile unsicher machten. Vorher lud man sich noch was ‚anregendes‘ vom Dealer seines Vertrauens ein und das Wochenende war gerettet. Abgesehen davon das der Duft der sterblichen Nahrung mit all diesen scharfen Gewürzen für den durchschnittlichen Kainiten aber eher weniger appetitlich wirkte, hatten die Sabbati die Situation aber momentan ganz gut im Griff. Die Frage war nur, was man damit nun anfangen wollte. Ein wenig Spaß könnte man trotz aller ernsthaften Intention, die einen überhaupt erst hierhergeführt hatte, auf jeden Fall für sich dabei herausschlagen. Und bis die Sterblichen ihr Essen vertilgt hätten, wäre zumindest auch ausgiebig Zeit, um sich ein wenig zu unterhalten. Wenn schon sonst nichts dabei herumkommen sollte.