Vampire: Die Maskerade

Kurz glitt ein freudloses Lächeln über ihre ebenmäßigen Züge. "Es ist fürwahr der vielleicht größte Fluch, dass sich die Gefahren und Feinde für Unseresgleichen mit wachsender Erfahrung, Alter und Macht stetig zu mehren scheinen, bis man schließlich niemandem mehr einfach glauben kann, was er sagt. Gelegentlich frage ich mich, ob die Zahl der eingebildeten Feinde diejenige der tatsächlichen nicht womöglich um ein Mehrfaches übertreffen mag. Ein kluger Schachzug Gottes in diesem Fall, um uns als Geschöpfe der Dunkelheit unschädlich zu machen... wir beschäftigen uns mehr mit uns selbst und unseren inneren Dämonen und haben so nicht die Zeit, Seine Pläne zu durchkreuzen. Ein interessante Theorie, findet Ihr nicht?"

Übergangslos verschwand der zynische Ausdruck wieder vom Gesicht der Brujah und machte erneut dem vorherigen Ernst Platz. "Solltet Ihr etwas in Erfahrung bringen, lasst es mich wissen. Und auch wenn Ihr keinen Dank fordert, so werde ich mich dennoch Eurer Haltung... erinnern. Und verlasst Euch darauf, ich behalte Gefälligkeiten ebenso im Gedächtnis wie Anfeindungen. Zugegebenermaßen mag ich die angenehmen Sünden dieser Welt genießen und mich ihren Freuden hingeben, ohne mich von menschlichen Normen für Sitte und Moral behindern zu lassen – doch ich bin auch eine Geschäftsfrau und weiß, was Verlässlichkeit wert ist. Insbesondere unter jenen, die offenbar dazu verdammt sind, allüberall Verrat und Intrige zu wittern."

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~ Begehren ist die Triebfeder allen Handelns ~

Thorson nickte, beinahe ein wenig abwesend, als er über Louisas Worte nachdachte. Schließlich brach er in ein schnaubendes Lachen aus. „Ich weiß nicht, welcher Gedanke mich mehr verstört. Entweder habe ich tatsächlich eine ganze Reihe von Feinden, oder ich bilde mir die Hälfte nur ein…Wahrlich eine verstörende Theorie. Aber ich schätze die Ironie dahinter sehr. Ihr seid wahrlich eine Philosophin, Frau van de Voort.“ Thorson nickte der Brujah anerkennend zu. „Lasst uns sehen, was die Zukunft noch bringen mag. Ich bin bestimmt kein leuchtendes Vorbild für die Gebote der Via Humanitas, aber es freut mich dennoch, jemanden in dieser Stadt zu wissen, der grundsätzlich sehr ähnliche moralische Überzeugungen hat. Außerdem, wenn ihr die Geschäfte schon erwähnt, dann seht meine Unterstützung gerne als eine Art Investition an. Ich würde Euch in dieser Stadt definitiv lieber florieren als scheitern sehen.“

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- Do not go gentle into that good night. Rage, rage against the dying of the light. -

"Ich hatte einen strengen Lehrer. Vielleicht ist die Philosophie das größte, was er mir mitgab – vielleicht auch das schlimmste Gift, das an mir frisst. Was von beidem zutrifft, vermag ich nicht zu sagen" gab die Brujah trocken zurück. Offenkundig gedankenverloren spielte sie mit ihren schlanken Finger an den kunstvollen Stickereien ihres Mieders, während sie Thorson zuhörte. "An gewissen moralischen Grundsätzen festzuhalten diktiert die Vernunft, so sehr ich das Wort manchmal hasse. Es stellt ohne Zweifel eine Verlockung dar, sich ohne solche Grundsätze all seinen Gelüsten hinzugeben, doch schiene der Verzicht auf Regeln kaum anders, als in einem Kampf den schützenden Schild von sich zu werfen." Mit einem Nicken und einem feinen Lächeln meinte sie sodann: "Nun sprecht ihr eine Sprache, welche ich als Geschäftsfrau gut verstehe. Auch ich lege Wert auf allseitige Prosperität und – gute Beziehungen." Es mochte Einbildung sein, zumal die Dinge zwischen ihnen in dieser Beziehung wohl ausreichend geklärt waren, aber wurde dieses Lächeln nicht von einem kaum merklich zu langen Verweilen jener eleganten Finger an der Rundung ihres Busens über dem Mieder begleitet, eher einem Liebkosen als einem beiläufigen Befühlen des Stoffes? Fast hatte es den Anschein, als könne Louisa nicht verleugnen, was Teil ihres Wesens zu sein schien.

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„Ich weiß gar nicht, welches das größte und gleichzeitig schlimmste Geschenk ist, welches meine Lehrer mir mit auf den Weg gegeben haben...Dennoch, ein wahrlich interessanter Gedanke, den ich Euch vielleicht bei unserem nächsten Treffen werde beantworten können.“ Thorson lächelte freundlich, um die unausgesprochene Einladung auf ein zukünftiges Treffen noch zu untermalen. Objektiv handelte es sich bei dem Heiler um einen gutaussehenden Mann mit geradezu außergewöhnlichem Erscheinungsbild, welches für gut oder schlecht in jeder Menge die Blicke auf sich ziehen konnte. Dennoch haftete seinem ganzen Auftreten, eine gewisse Dissonanz an. So schwangen in sowohl Mimik als auch Gestik immer etwas Ablehnendes und Kaltes mit. In diesem Moment konnte es Louisa sich sogar an einen dunklen Spiegel ihres Selbst erinnert fühlen.

Ihre Leidenschaft war, wie sie selbst wusste, so sehr Teil ihres Wesens wie die Vitae, die durch ihre Adern floss. Ein Feuer, welches wärmte und ohne entsprechende Vorsicht überspringen konnte, um zu entfachen oder gar zu verbrennen. Thorson wiederum war auf dieser Ebene mehr wie Eis und Frost, welche Passionen erstarren und schließlich einfach sterben ließen. Trotzt des desinteressierten Verhaltens an ihren üblichen Vorzügen, konnte Louisa dennoch das Gefühl gewinnen, dass der andere Kainit ihrer Person mehr zugetan war, als noch zu Beginn ihrer Zusammenkunft. Irgendetwas, was sie gesagt, oder getan hatte, schien genau den richtigen Nerv getroffen zu haben. Thorson räusperte sich kurz. „Ich will Euch nicht weiter aufhalten, Frau van de Voort. Unser Gespräch war aufschlussreich, aber es gibt noch einige lose Enden, um die ich gedenke mich zu kümmern. Soll ich Euch hinausbegleiten, oder habt Ihr noch Fragen?“

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Die Brujah mochte auf der anderen Seite des Spiegels stehen, ließ sich davon aber ebensowenig stören wie ihr Gegenüber. Sie erwiderte Thorsons Lächeln, ohne direkt auf die unterschwellige Kälte in seinem Auftreten einzugehen. "Ich bin gespannt darauf, wie Eure Antwort ausfallen wird" meinte sie mit einem anerkennenden Blick ob seines ansprechenden Äußeren. Ähnlich wie er hatte sie jedoch wohl auch auf anderweitiger Ebene etwas an ihm wahrgenommen, das ihr gefiel – die laszive Gestik mochte eine pure Folge ihrer Natur sein, welche Louisa atmete wie ein Sterblicher die Luft in seinen Lungen. "Habt Dank für Eure Freundlichkeit, Mijnheer Thorson" gab sie zurück. "Für den Moment habe ich mich vor allem um die Klärung dieses versuchten Anschlags auf meine Stellung und auf das Leben dieses armen Burschen zu kümmern und will Euch auch nicht von Euren Pflichten und Vorhaben abhalten." Womit sie in weiblicher Abwandlung einer galanten Geste mit einer Hand ihren Rocksaum leicht hob, um ihm die andere zu bieten, damit er sie in ritterlicher Manier hinausgeleiten könnte. "Ich hoffe bald wieder Gelegenheit zu einem Gespräch mit Euch zu bekommen, wiewohl ich fröhlichere Orte als diesen vorziehe" sagte sie charmant.

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„Dann überlasse ich den Ort unserer nächsten Zusammenkunft gerne Euch Frau van de Voort.“ Thorson nahm tatsächlich ihre Hand, um die andere Kainitin aus der unterirdischen Kammer zu begleiten. Die frische Nachtluft am Ende der Wendeltreppe, war eine willkommene Abwechslung zu der dunkeln Enge der Krypta. Thorson neigte das Haupt zur Verabschiedung und entließ Louisa in die Nacht, um ihren eigenen Geschäften nachzugehen.

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Mit der Leichtigkeit einer an die Etikette gewöhnten Frau deutete die Brujah einen dankenden Knicks an und ließ sich ins Freie geleiten. "Ich hoffe mit meiner Wahl eine Euch genehme zu treffen, Mijnheer Thorson," erwiderte sie, "und freue mich bereits wieder auf Eure galante Gesellschaft." Nachdem die beiden Kainiten höflich Abschied voneinander genommen hatten, wandte sie sich eilends ihrem ursprünglichen Ziel zu. Sie wirkte dabei nachdenklich und aufgewühlt – in ihrem Inneren rangen der Schreck über den ersten direkten Angriff in dieser Domäne auf ihre Person und der bange Gedanke, wer dahinterstecken mochte, mit der Wut über das Vorkommnis an sich und ihre Hilflosigkeit, dem perfiden Plan Inhalt zu gebieten und den jungen Mann zu retten. Louisa war derart in diese Gedankengänge vertieft, dass ihre Blicke sogar möglicherweise ihren Weg kreuzende attraktive Sterbliche männlichen Geschlechts nur streiften, denen sie sonst mit Genuss größere Aufmerksamkeit widmete. Ebenso wenig vermochten jene anderen Reize ihre scharfen Sinne zu fesseln, die es sonst taten, vom heranwehenden Duft einer seltenen Weinsorte über ein fernes Kinderlachen bis hin zum seidig glänzenden Zipfel eines eleganten Kleids an einer wohlhabenden Dame.

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Der Weg zur ehemaligen Taverne Drachenkopf führte Louisa einmal mehr ein wenig aus der Innenstadt Brügges hinaus. Die großen Anwesen der reichen Händler ließ sie hinter sich, die Straßen wurden enger und das Pflaster war hier und da gesprungen. Der ‚Drachenkopf‘ leuchtete noch immer wie in eine helle Fackel in dunkelster Nacht, wenn auch inzwischen unter neuer Führung. Odric hatte die Schankstube für gutes Geld an Charlotte Erembald verkauft, die anscheinend ihre ganz eigenen Pläne verfolgte, wie man aus den Baugerüsten und Konstruktionsmaterialien sehen konnte, die überall vor der Taverne lagen. Am Tage musste es hier sicherlich geschäftig zugehen. Die blonde Brujah wurde von dem altbekannten, verwitterten Holzschild mit einem roten Drachen begrüßt und schon von außen, konnte sie Gelächter, Musik und den Geruch von Eintopf wahrnehmen. Wie schon immer war der Drachenkopf eine Insel des Lebens in einem Meer der Stille.

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Aufmerksam besah sich Louisa die Spuren emsiger Umbauarbeiten am Drachenkopf. Man mochte über Charlotte Erembald sagen können, was man wollte, doch zur Untätigkeit neigte sie offenbar nicht. Die Brujah ließ ihren Blick schweifen und fragte sich, welche Pläne diese Frau verfolgte – jedenfalls glaubte sie hier auf eine recht verwandte Seele gestoßen zu sein. Eine Geschäftsfrau, die ihren Weg ging, Dinge in Bewegung setzte, Aufträge vergab, Untergebene lenkte... Wenn sie den Charakter der Kainitin nicht gänzlich falsch einschätzte, würde diese die Bedeutung ihres schlichten, aber ausgesuchten Gastgeschenks erkennen. Nachdem sie sich noch einmal vergewissert hatte, dass die zarte Rosenblüte nicht unter dem Transport gelitten hatte, und auch ihr Äußeres einer eitlen Betrachtung mittels der spiegelnden Oberfläche in einem Regenfass unterzogen hatte, betrat sie das Haus.

Sie dämpfte unwillkürlich ihre überscharfen Sinne beim Wechsel aus der dunklen Stille der Nacht in das warme, helle von diversen Lauten und Gerüchen durchflutete Innere des Drachenkopfs. Dennoch strömten die Eindrücke von allen Seiten so intensiv und mit so überwältigender Lebendigkeit auf sie ein, dass sich ihre Brust unter einem tiefen Atemzug hob, mit dem sie jene Atmosphäre in sich aufnahm. Die Nähe so vieler warmer Leiber voll köstlichen Lebenssafts ließ ihre marmorblasse Haut prickeln wie unter den Berührungen eines Liebhabers. Ihre Lippen hoben sich zu einem Lächeln, in den Augen erschien ein Leuchten, aus dem Unternehmungslust sprach. Mit einer eleganten Bewegung nahm sie ihren Umhang von den Schultern und enthüllte äußerst gefällige Körperformen, wobei sie einen Eindruck von Selbstbewusstsein, ja Mutwillen machte, der nicht ganz zu ihrer sittsamen Bürgerinnentracht passen wollte.

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Wärme, Gelächter, Licht und Leben erwarteten Louisa, als sie den Drachenkopf schließlich betrat. Glücksspieler und Glücksritter, Arbeiter und Handwerker saßen in der Stube und gingen trotz der späten Stunde ihrem Vergnügen nach, während die Bediensteten geschäftig Bier an die durstigen Kunden verteilte. Ein paar Köpfe blickten in die Richtung der Brujah, als sie den Raum betrat und auch wenn sie Anerkennung in den Augen der Männer ob ihrer wohlgestalteten Erscheinung erkennen konnte, ließ man sie in Ruhe ihren Geschäften nachgehen. Alles in allem hatte sich die Kundschaft der Taverne nach dem Besitzerwechsel nicht sonderlich verändert. Theresa Kymena konnte Louisa auf den ersten Blick nirgendwo im Schankraum erblicken.

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