Vampire: Die Maskerade

Die Empfindung irritierte sie vorübergehend. Louisa war es gewohnt, die Anziehungskraft ihres Körpers zu nutzen und solch intime Blicke zu provozieren. Dennoch war für gewöhnlich sie es, die die Initiative bewahrte und mit der Lust Sterblicher und auch manches Unsterblichen spielte. Dass ohne ihr aktives Zutun, ja, womöglich sogar schon eine Weile lange ohne ihr Wissen jemand sie derart... intensiv anstarrte, war eine neue Erfahrung, deren Intensität durchaus nicht mehr angenehm war oder auch nur eine Bestätigung ihrer Verführungskünste bedeutete. Sie runzelte unwillig die Stirn, hielt aber für kaum mehr als den Bruchteil eines Atemzugs inne, um ihren Weg scheinbar unbeirrt fortzusetzen. Dabei konzentrierte sie nun allerdings alle Sinne auf den ungebetenen Beobachter und widmete dem Pfad nur noch so viel Aufmerksamkeit, wie zur Vermeidung unerwünschter Zwischenfälle vonnöten war.

Nachdem sie einen Blick auf den Unbekannten erhascht hatte, lenkte die Brujah ihre Schritte so, dass sich eine Gelegenheit ergeben würde, in eine dunkle Gasse einzutauchen, in der sie für Momente aus der Sicht geraten würde, bis der Verfolger ebenfalls die Gasse betreten hätte. Sie huschte eilig einige Schritte weiter in das Dunkel hinein, blieb dort mit dem Rücken zu der Gestalt mitten auf dem Weg stehen und horchte aufmerksam, bis sie Schritte oder andere Geräusche hören würde, die ihr verrieten, dass der andere die Gasse erreicht hatte. Ohne sich umzudrehen, würde sie in diesem Moment mit gleichmütiger, leicht spöttischer Stimme fragen: "Kann ich Euch helfen... Bruder? Habt Ihr Euch verlaufen?" Obwohl sie nicht mit einem Angriff oder einer wilden Flucht rechnete, spannte sie sich dennoch an, um rasch reagieren zu können, sollte es nötig werden.

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~ Begehren ist die Triebfeder allen Handelns ~

„Ich entschuldige mich, dass ich Euch so überfalle, Louisa van de Voort.“ Die Stimme war männlich und sprach Flandrisch, ohne einen besonderen, wahrnehmbaren Akzent. Etwas weniger förmlich, beinahe erheitert, fügte der Verfolger schließlich noch etwas hinzu. „Offenbar bin ich weit weniger subtil als ich gerne wäre. Ich verneige mich vor Euren Fähigkeiten.“ Louisa erkannte die Stimme. Es handelte sich um Leif Thorson, ein Ratsmitglied der Stadt und dieser Verdacht würde sich auch bestätigen, sobald die Brujah sich umdrehen würde. Der Kainit räusperte sich noch einmal. "Bevor Ihr euch die Frage stellt, ja es gibt in der Tat einen Grund, wieso ich Euch so unangekündigt und auf unkonventionelle Weise aufsuche."

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- Do not go gentle into that good night. Rage, rage against the dying of the light. -

Sie wandte sich um und musterte Thorson zurückhaltend, mit einer Andeutung von Verärgerung in den funkelnden Augen, wollte es sich mit einem Ratsmitglied aber offenbar nicht so einfach verderben. Gemessen erwiderte die Brujah: "Ich gehe davon aus, dass Ihr guten Grund für Euer Vorgehen habt, Mijnheer Thorson. Und ihn mir vermutlich auch erläutern werdet, soweit Euch das gestattet ist." Nach einer kurzen Pause fügte sie hinzu, wenn auch mit einer für sie unüblichen Neutralität des Tonfalls und ohne ihre Worte durch lockende Gesten zu unterstreichen: "Ich darf mir wohl nicht schmeicheln, dass Euch galante Absichten bewegt haben, mir zu folgen?"

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„Ich befürchte, dass Galanterie tatsächlich noch nie zu meinen Stärken oder auch nur Vorlieben gehört hat. Das habt Ihr ganz richtig erkannt.“ Thorson schenkte ihr ein beinahe umwerfendes Lächeln und redete noch immer in einem leichten Plauderton, ganz so als würde er die Abstrusität und Anspannung dieser ganzen Situation nicht bemerken würde. Auch den aufflammenden Ärger der Brujah, schien der Kainit nicht wahrzunehmen, oder geflissentlich zu ignorieren. „Ich genieße jedoch grundsätzlich in der Tat die kleinen Dinge und Facetten menschlicher Interaktionen, die Sterbliche tagein und tagaus beschäftigen. Dinge, wie eine Umarmung zwischen alten Freunden, die sich lange nicht gesehen haben, ein aufrichtig und originelles Lied in einer Taverne oder eben auch nur eine kuriose Geschichte, die das Interesse seiner Hörer weckt…“

Das Ratsmitglied brach plötzlich ab und suchte den Blick von Louisa. Die blauen Augen, eines mit einem kleinen braunen Segment auf der Iris, schienen ihr in die Seele blicken zu wollen, auch wenn jetzt ein unangenehmes Gefühl gänzlich ausblieb. Neugier lag in der Miene das anderen Kainiten und etwas, was die Brujah nicht gänzlich deuten konnte, aber vage an Vorsicht und eine unausgesprochene Frage erinnerte. „… Lasst mich sagen, dass eine Geschichte, die ich erst heute gehört habe, mein Interesse ganz besonders geweckt hat und bei der Eure Person kurioserweise als einer der Hauptakteure bezeichnet werden muss.“ Thorson drehte sich plötzlich um, ohne auf eine direkte Erwiderung der Brujah zu warten. Über seine Schulter sagte er nur: „Ihr solltet mir folgen. Ich möchte Euch etwas zeigen, was Ihr mit aller Wahrscheinlichkeit sehen wollt.“

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"Höchst bedauerlich" gab sie zurück, stemmte eine Hand in die Hüfte und musterte ihn nochmals von Kopf bis Fuß, ehe sie sein charmantes Lächeln mit einem erwiderte, in dem sich eine demonstrativ abwartende Haltung und ein womöglich gerade aufkommendes unzweideutiges Interesse an ihrem Gegenüber die Waage hielten. "Immerhin, das ist eine Art von Tugend" kommentierte die Brujah sodann sein Eingeständnis, dass er den Sinn für die Reize menschlicher Nähe noch nicht an die Jahrhunderte verloren hatte. Als er ihren Blick suchte, blinzelte sie unwillkürlich, als erwartete sie eine Wiederholung des unangenehmen Eindringens in ihre privateste Sphäre, hielt ihm dann jedoch mit dem leicht spöttischen Maß lasziver Herausforderung stand, das man von ihr kannte. In ihrer provokanten Pose, die Röcke auf einer Seite die Fessel des vorgestellten Beins entblößend, sah sie ihm nach, wie er sich plötzlich abwandte, und gab eine Mischung aus Schnauben und Kichern von sich. "Ihr scheint zu glauben, wenn es schon nicht umgekehrt der Fall ist, so sei ich Euch in heißer Glut verfallen, dass Ihr erwartet, ich folgte Euch auf ein bloßes Wort hin, mein Lieber..." Was sie nicht daran hinderte, sich in Bewegung zu setzen und ihm mit der Leichtfüßigkeit einer Tänzerin zu folgen.

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Thorson reagiert überaus erheitert auf Louisas Kommentar und lachte kurz und trocken. „Passt nur auf, was Ihr Euch wünscht, verehrte Frau van de Voort. Ich kann äußerst charmant und faszinierend sein, wenn mir der Sinn danach steht.“ Louisas Gesprächspartner wartete kurz, bis diese zu ihm aufgeschlossen hatte. „Aber ihr habt Glück, denn das ist nur äußerst selten der Fall.“ Thorson führte die Brujah sicheren Schrittes durch die Gassen und erwähnte dabei auch, dass sie beide auf dem Weg ins Hospital waren und der Weg dahin nur ein paar Minuten dauern würde. Das Ratsmitglied wandte sich noch einmal an Louisa und in der Stimme schwang tatsächliches Interesse mit, soweit die Brujah das einschätzen konnte. „Verratet mir doch, habt Ihr Euch inzwischen in der Stadt eingelebt? Brügge hat sicherlich einige gute Seiten, kann aber meiner eigenen Einschätzung nach manchmal etwas rau oder langweilig sein. Von dieser Beobachtung nehme ich meine Person im Übrigen keinesfalls aus.“

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"Was für ein Zufall – das ist auch bei mir der Fall. Es käme also wohl auf den Versuch an, wer von uns charmanter und faszinierender sein kann" gab sie mit einem anzüglichen Lächeln zurück und fügte nach einer erneuten und recht ungenierten Musterung seiner Gestalt hinzu: "Lasst es mich gern wissen, wenn Ihr den Mut schöpfen solltet, dem gemeinsam auf den Grund zu gehen..." Es blieb schwer einzuschätzen, ob sie die Missstimmung ob des ersten Kontakts bereits überwunden hatte oder einfachen Gewohnheiten folgte, doch warf sie ihm einen Seitenblick zu, der einen unbedarften Sterblichen gewiss sehr plötzlich hätte munter werden lassen. Als Thorson allerdings auf ein anderes Thema umschwenkte, ging Louisa auch darauf übergangslos ein.

"Nun, ich habe meine Wahl bislang nicht bereut" gab sie leichthin zurück, wobei sie sich mit gelegentlichen Blicken offenkundig zu orientieren versuchte, welchen Weg zum Hospital ihr Gegenüber wählte und wie lange sie wohl von dort wieder zu ihrem ursprünglichen Treffpunkt brauchen würde. "Und da ich gewohnt bin, mir die besseren Seiten einer Situation herauszusuchen, jammere ich selten über die weniger guten. Was Euch angeht, so glaube ich nicht, dass Ihr zur Kategorie 'langweilig' gehört. Und raue Männer... haben ihren Reiz. Seid Ihr gelegentlich rau..?" Ihre Stimme hob sich bei der Frage kaum, doch es hatte fast den Anschein, als habe sie mit den Worten der Brujah eine weitere Qualität gewonnen. Eine Qualität wie von schwerem, tiefgoldenem Honig.

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„Ich bin ungehobelt, höfisches Protokoll langweilt mich meist zu einem zweiten Tode und Geduld ist wahrlich keine Tugend, die mir nahesteht. Im Gegenteil, ich bin davon überzeugt, dass es Probleme gibt, die mit Axt und Schwert bei weitem besser zu erledigen sind, als mit Etikette und Intrige. Schließlich lassen sich Arme und Beine manchmal nicht mehr heilen und müssen zum Wohle des ganzen Körpers amputiert werden.“ Thorson zuckte nur kurz mit den Schultern. „Aber, ob ich rau bin?“ Die Stimme des Kainiten hatte etwas Verwirrtes an sich, so als wäre es völlig abstrus überhaupt eine solche Frage zu stellen. „Vielleicht bin ich rau, vielleicht auch nicht. Darüber müsst Ihr Euch jedoch keine Gedanken machen, denn es mangelt mir nicht an Mut, sondern lediglich am Interesse, solchen Dingen mit Euch auf den Grund zu gehen. Ein Umstand den ich meines Wissens nach auch bereits einmal erwähnt habe.“

Thorson ließ Louisa nicht zu Wort kommen und sprach direkt weiter, ohne dabei den Weg durch die dunklen Straßen Brügges aus den Augen zu lassen, die direkt ins Herz der Stadt führten. Der Tonfall des Kainiten wechselte wieder von Irritation zu einer leichten Amüsiertheit. „Also verschwendet Euren Charme nicht an mich und seht das Ganze auch nicht als eine persönliche Niederlage, denn die Frau, die mein Interesse weckt, muss erst noch geboren werden. Es gibt in dieser Stadt Händler, Hauptmänner und andere Helden, bei der Eure Aufmerksamkeit sicher auf einen sehr viel fruchtbareren Boden fällt, als bei einem uninteressierten Heiler wie mir. Das heißt…“ Thorson schien sie jetzt doch noch einmal herausfordern zu wollen. „…das heißt natürlich nur, falls dies auch Euer tatsächliches Ziel ist und Ihr Euer Gegenüber nicht nur durch Überraschung aus der Fassung bringen wollt, um... ja um was genau zu tun? Von Euch selbst abzulenken? Aus Langeweile? Aber wer weiß das schon so genau, denn ich kann mich auch einfach irren."

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Jetzt funkelten die Augen der Brujah definitiv spöttisch, wenn auch untermalt von einem offenbar frisch erwachten Interesse. "Ihr hattet es bereits erwähnt" gab sie ohne sichtliches Unbehagen oder Verlegenheit zu. "Wie könnte ich das vergessen – Ihr tragt es ja beinahe wie einen Schild vor Euch her, als sei ich eine reißende Bestie, vor der es sich zu schützen gilt." Louisas Lachen nahm ihren Worten den Stachel, jedenfalls zum größten Teil. Man konnte den Eindruck gewinnen, dass das Thema ihr gerade jetzt, nach seiner betont kühlen Reaktion, umso mehr Spaß machte. "Es sollte mir allerdings leid tun, hätte ich Euch nun aus dem seelischen Gleichgewicht gebracht – wobei ich annahm, das sei nicht so leicht zu bewerkstelligen" bemerkte sie in neckendem Ton und strich sich kokett eine Strähne hinter das Ohr.

"Händler, Hauptmänner und Allerweltshelden sind allzu leicht zu haben" schloss sie leichthin an. "Und wie Ihr sicherlich wisst, sind die Früchte in Nachbars Garten stets die süßesten. Es gibt nämlich eine Sünde, die ich mir selbst niemals verzeihen könnte: Langeweile. Durchschnittlichkeit. Mangelnde Ambition." Die Replik Thorsons ließ sie schmunzeln, es blitzte erneut in ihren Augen, als er offenbar begann, ihre Sprache zu sprechen. "Ein interessanter Gedankengang... Wobei man nicht die Möglichkeit außer acht lassen sollte, dass beides mein Ziel sein könnte." Ihre schlanken Hände vollführten eine Geste, die eine ganze Welt der Möglichkeiten anzudeuten schien. "Vielleicht aber weiß ich es nicht einmal selbst? Ewiges Rätsel Weib... wer sagt, dass sie es nur anderen sein muss?" Das leise Lachen perlte ihr regelrecht aus der Kehle. "Ich muss zugeben, Ihr beginnt mir andeutungsweise zu zeigen, dass Ihr charmant und unterhaltsam sein könnt."

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„Bei einer Sache bin ich mir in der Tat absolut sicher. Die Ewigkeit ist eine stumpfe und langweilige Angelegenheit, ohne eine sinnvolle Beschäftigung und etwas Unterhaltung.“ Thorson schlug plötzlich einen Weg ein, den Louisa vielleicht nicht direkt erwartet hatte. Weg vom Haupteingang des Hospitals, welches einen ganzen Straßenblock einnahm, bog der Kainit in eine dunkle Seitengasse ein, die dem ersten Anschein nach in einer Sackgasse endete. Das Ratsmitglied ging allerdings sicheren Schrittes auf eine der Sandsteinmauern und betätigte wohl einen versteckten Mechanismus, der eine Klappe im Boden aufschnappen ließ. Eine steile und dunkle Wendeltreppe führte hier in den Untergrund. Thorson öffnete die Falltür weiter und zeigte, einladend und galant, auf den sich auftuenden Weg. „Bitte, nach Euch. Wir sind fast da.“

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