So 7. Feb 2021, 21:05
Er ließ sich neben sie sinken und verzog sein Gesicht zu einem müden, ja tatsächlich müden, Lächeln; hob dabei knapp die Schultern. „Ich habe schon eine Wahl, in gewisser Art und Weise. Manchmal wird einem diese Wahl jedoch abgenommen. Mir ist noch nicht ganz klar inwiefern ihr eure Wut, euren Zorn und euren inneren Drang eure Feinde zu zerreißen und zu zerfleischen nachgebt oder nachgeben müsst aber bei uns verhält es sich eher so dass wir, wenn wir genug gereizt werden in eine Art Berserkerwahn verfallen, in welchem wir nicht mehr wirklich Herr unserer Entscheidungen und Sinne sind. Manche von uns können diese Lust zu töten bis zu einem gewissen Grad steuern und behalten eine marginale Kontrolle. Aber jedes dieser Blutbäder fordert einen Tribut von mir in Form meiner… tierischen Mahle.“ Mit der rechten ergriff er einen kleinen Findling und warf ihn über die Bergkuppe in die Tiefe. „Es gibt Gangrel, die sehen mehr aus wir ihr Wolflinge in eurer Kampfgestalt als blutleere Sterbliche ohne Herzschlag. Einige so munkelt man, tragen nicht einmal mehr das Antlitz von Tieren in ihren Zügen, sondern wirken noch um einiges fremdartiger. Chimären oder Fabelwesen oder noch viel groteskeres.“ Nachdem der Findling sich mit ein paar leisen Sprüngen in der Finsternis verabschiedet hatte, warf der Hauptmann einen Blick auf die Finger seiner rechten Hand; schloss und öffnete diese wieder. „Vielleicht mag einst die Nacht kommen, wo ich von mir selbst überzeugt bin ganz und gar andersartig und unmenschlich zu sein, bis jetzt war mir immer klar, woher ich kam. Ich bin vielleicht kein Mensch mehr, aber ich war einmal einer. Ich denke es ist wichtig, dass man diesen Gedanken nicht verdrängt, egal wie fremdartig diese Existenz sein mag. Für uns alle kommt früh genug die endlose Nacht in der sich unser Selbst verabschiedet und man nur noch… existiert. Das macht die Unsterblichkeit.“
Als sie ihn darauf ansprach in Zukunft der Bewahrer des Briefes bezüglich des Mordauftrages zu sein, da ihm laut ihrer Kenntnis ganz bemerkenswerte Fähigkeiten zur Verfügung standen, hob er nur abwehrend die Hände. „Das mag eine Diskussion wert sein, wenn Leif oder ich gerade dazu in der Lage wären einige dieser übernatürlichen Vorteile auszuspielen – gewiss. Aktuell sind wir aber weit entfernt davon. Demnach ist dieser Brief derzeit wohl bei dir oder einen von den beiden Brüdern in weitaus besseren Händen. Leif und ich sind derzeit nichts weiter als Sterbliche. Sterbliche mit dem Können einiger Jahrhunderte gewiss aber wir bluten, wir atmen, wir geraten außer Puste. Wir müssen essen und schlafen und ein Pfeil kann uns genauso schnell töten wie jeden anderen. Es gibt momentan keinen Grund warum wir ihn verwahren sollten.“
Francesca unterdrückte ein Schauern als Lucien ihr seine Gedanken zu dem absoluten Verlust des Selbst im Laufe der Jahrhunderte offen legte und ihr den Nachteil rasereibedingten Nachteil seines Clans erklärte. Ihre Stimme, die sonst nur allzuoft dazu geneigt hatte, zu reizen und zu verhöhnen, war leise. „Ich würde mir, wenn es wirklich je zu einem solchen Punkt kommt an dem nichts von einem selbst mehr übrig ist, jemanden wünschen, der mich von meinem Dasein erlöst.“ Sie sog tief die kühle Luft ein. „Zumindest verstehe ich nun vielleicht die Gedanken von manchen meines Rudels, die am liebsten Jagd auf jeden von euch machen würden…“ Sie schüttelte den Kopf um den grausamen Gedanken zu vertreiben und sah zu der dünnen Mondsichel am Firmament. Dann griff sie in eine Tasche, die sie an ihrem Ledergürtel befestigt hatte und zog eine mehrfach umwickelte Flasche heraus. Sie entkorkte das Gefäß und hielt es Lucien hin. Er roch den scharfen Duft von gebranntem Kräuterschnaps. „Auf eine lange Nacht!“
Lucien zog die Mundwinkel noch ein kleines Stück nach oben, sodass er ihr am Ende sein altbekannt, schiefes Lächeln präsentierte. „Ich bin überzeugt davon, auf so viele von uns müsst ihr gar keine Jagd machen, um uns vom Antlitz dieser Erde zu tilgen. Wir sind tatsächlich meisterlich darin uns gegenseitig über die Unendlichkeit der Zeit hinweg die Existenz zur Hölle zu machen und uns gegenseitig zu vernichten. Viele der Jungen und unerfahrenen unserer Art überleben womöglich nur eine Handvoll Jahrzehnte in diesem Dasein. Die Nächte sind finster, voller Verrat und Tücke. Man muss entweder schnell lernen oder erfreut sich nur kurz seines semi-unsterblichen Daseins. Für gewöhnlich werdet ihr gemieden oder ignoriert, weil es unsinnig ist die Unendlichkeit für einen Kampf mit euch wegzuwerfen. Diejenigen, die es aber tatsächlich schaffen sich aller anderen Feinde und Intriganten zu entledigen, die dieses Spiel perfektionieren werden am Ende tatsächlich unweigerlich selbst zu den Monstern, die sie zu anfangs selbst so gefürchtet haben. Die Spirale dreht sich im Grunde unweigerlich weiter.“ Er seufzte. „Die mythischen Monstren jener Zeit, vor denen selbst ihr euch fürchten müsstet und die im Grunde nicht einmal mehr etwas mit dem sozialen Konstrukt unserer Gesellschaft gemein haben, sind so versteckt und rar, dass ihr sie eigentlich vernachlässigen könnt. Gegen derartiges, hat nicht einmal ein gewaltiges Aufgebot eurer Rudel eine Chance. Beten wir, dass niemand von uns so etwas jemals zu Gesicht bekommt. Es wäre unser Ende. Für diese Wesen gibt es niemanden und nichts mehr außer ihr Gesplittertes, fremdartiges Selbst.“ Lucien nahm die Flasche an und trank einen großzügigen Schluck. Der Alkohol brannte scharf in seiner Kehle und er verzog für einen kurzen Augenblick das Gesicht. „Immerhin, spürt man das man noch lebt.“ Er grinste. „Es gibt Dinge, die vermisse selbst ich in diesen Nächten immer wieder aufs Neue. Auf eine lange Nacht.“
Die Garou zog aus dem Beutel ein winziges Säckchen mit weißem Pulver und ein paar Kräutern hervor. Das Gebräu schäumte leicht, als sie den Inhalt hineinrieseln ließ und ihn durch Schwenken verteilte. Sie setzte es an die Lippen und leerte es in einem Schluck. Sie verzog die Lippen und schüttelte sich, dann grinste sie breit. „Ein hartes Gesöff. Wärmt aber.“ Sie überlegte einen Moment, griff dann erneut zu dem Lederetui. „Auch wenn ich ja fast hoffen würde, es wäre anders, bezweifle ich, das der Zauber den unser junger Magus gewebt hat, allzulange aufrecht gehalten werden kann. Wenn dein Kumpan und du wirklich über Möglichkeiten verfügt euch rascher oder sicherer fortzubewegen, dann solltet ihr die Botschaft nehmen. Wir wissen nicht, was noch passieren wird und ich vermute sie bei euch in besseren Händen. Baldric und Henri sind hervorragende Zauberer, aber so verletzlich wie jeder x beliebige Sterbliche. Und auch ich habe nicht die Fähigkeiten, die ich gerne hätte um die Botschaft in Sicherheit zu bringen. Ich denke, bei euch ist sie besser aufgehoben.“ Sie hielt sie Lucien hin.
Der Gangrel verzog eine Augenbraue, als sie den Schnaps mit dem ominösen Pulver versetzte und zum Schäumen brachte. Er hatte ja schon viele Möglichkeiten gesehen Bier, Schnaps, Wein oder andere berauschende Substanzen zu strecken, zu würzen oder anderweitig zu „veredeln“ aber dies hier war ihm tatsächlich gänzlich neu. Anerkennend nickte er lächelnd. „Du würdest Leifs Vorfahren neidisch machen mit deiner Trinkfestigkeit, Francesca. Bei mir wäre ich mir nicht wirklich sicher, ob ich etwas Derartiges nach so langer Abstinenz wohl vertragen würde, also lass ich es erstmal sein dich um einen Schluck zu bitten.“ Als sie ihm das Lederetui erneut hinstreckte, seufzte er unschlüssig und sorgenvoll; nahm das Dokument schlussendlich aber an sich und verstaute es ihn seinem Wams, nahe am pochenden Herzen. „Es gibt nur einen Grund, warum ich dir schlussendlich zustimme Francesca: Vertrauen. Dir vertraue ich und Leif ebenso. Die beiden Brüder so drollig und mächtig sie zusammen sein mögen, kenne ich nicht, auch wenn Aleister persönlich sie wohl ausgebildet hat. Was allein schon für sie spricht. Aber du magst womöglich tatsächlich nicht in der Lage sein schnell zu reisen und die beiden Magier sind, wenn es hart auf hart kommt und vor allem ohne Vorbereitungszeit ungefähr gleich einfaches Futter wie Leif und ich derzeit. Wir hoffen einfach, dass wir gut und unbeschadet durchkommen und falls dem nicht so ist, die Magie zu diesem Zeitpunkt bereits verflogen sein wird. Dann könnte ihr zumindest alle gemeinsam mir genug Zeit verschaffen um mich auf und davon zu machen.“ Er sog scharf die kühle Nachtluft ein. „Obwohl ich euch ungern zurücklassen würde. Naja, Dienst ist Dienst. Das sind wir beide ja gewohnt.“
Sie lachte. „Ja, Dienst ist Dienst! Ich stimme dir zu: Wir sind es gewohnt. Danke für dein Vertrauen. Ein Blutsauger, der einem Wolfling vertraut…“ Ihre Stirn legte sich in Falten, ohne dass das Lächeln verflog. „Ist das etwas Gutes, oder etwas Schlechtes? Ich bin mir sicher, ein jeder, der nur halbwegs mit den Geschöpfen der Nacht zu tun hat, wird mir zustimmen, dass ein Garou, der einem Blutsauger vertraut definitiv schlechter dran ist. Ich muss also aufpassen.“ Ihr schiefes Grinsen wurde breiter. „Lass uns zu den anderen zurückkehren. Bevor Henri Leif noch um einen Gefallen wie kainitisches Blut bittet und Baldric komplett den Kopf verliert…“